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Trost und Mahnung siir die Kirche des Herrn.

zum Schluß der vereinigten General-Synode am 86. November 1865 gehalten in der StadLkirche zu WayreuLH von Adolf Stählin, Stadtpfarrer und Capitels-Senior in Nördlingen.

Der Reinerlös ist für den Bau einer Gottesackerkirche in Nördlingen bestimmt.

1?- Z Z Nördlingen.

C. H. Beck’schen Buchhandlung.

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit uns Allen. Amen.

Text: 2 Timoth. 2, 19.

Aber der feste Grund Gottes bestehet, und hat dieses Siegel: der Herr kennet die Seinen, und: es trete ab von der Ungerechtigkeit, wer den Namen Christi nennet.

Im Herrn Jesu Christo Geliebte! Mit einem Scheidegruß begegnen wir uns hente vor Gottes Angesicht; einem Scheidegruß, der aber ein Gruß des Segens und Friedens sein soll, begegnen wir zunächst einander, die Glieder der Generalsynode. Unsere Verhandlungen sind geschlossen; mit Gebet und Anrufung des göttlichen Beistandes haben wir begonnen, mit Danken und Loben wollen wir schließen. Denn Gott hat sich nicht unbezeugt an uns gelassen, hat sichtlich mit seiner Gnade und dem Geiste des Friedens unter uns geweilet. Ehe wir von einander scheiden, wollen wir uns nochmals zusammenschließen auf dem einen Grunde des Glaubens und der Anbetung Gottes, um den Segen der hinter uns liegenden Stunden fest zu halten und ihn auch nach unserm Scheiden noch fortwirken zu lassen.

Ein Scheidegruß ist es auch, theure Gemeinde, mit dem ich dich heute grüße, ein Gruß des Friedens im Namen unserer Ver- sammlung, nachdem wir in deiner Mitte unsere Berathungen gepflogen und mehr denn einmal mit dir zusammen gebetet, mit dir uns um das Wort des lebendigen Gottes geschaart haben. Scheidend bitten wir Gott, daß unser Werk auch dir, wie unserer ganzen Landeskirche zum Segen und Heil gereichen möge.

Wir alle vernehmen aber noch einen ändern Scheidegruß. Es ist ein Kirchenjahr, das in seinem letzten Sonntag uns den Scheidegruß zuruft. Gar erust und eindringlich ist dieser. Rückwärts wendet sich der Blick auf all die Gaben und Gnaden, mit denen der Herr in demselben uns gesegnet, einwärts in unsere Herzen, ob wir auch treu gewesen in Benützung derselben, vorwärts auf die fernere Entwickelung, auf das letzte Ziel des göttlichen Reiches, auf den Herrn und seine Offenbarung in Macht und Herrlichkeit.

Und auch das Schriftwort, das unserer heutigen Predigt zu Grunde liegt, ist ein Scheidegruß; ein Scheidegruß ist wenigstens der Brief, dem dasselbe entnommen ist. Es ist der letzte der Briefe des großen Apostels, gerichtet an seinen geliebten Timotheus, seiu Schwanengesang. Der müde Kämpfer legt seine Waffenrüstung nieder, er sieht die Krone des Lebens sich winken. Frohlockend ruft er aus: Ich habe einen guten Kamps gekämpft, ich habe Glau-Len gehalten. Er zieht heimwärts zum Frieden, zum ewigen Frieden. Die Gemeinden läßt er aber zurück im Kampf, in schwerem Kampf. Irrlehren der gefährlichsten Art sind aufgetaucht und fressen um sich wie der Krebs. Dem Apostel ist Lauge, aber er verzagt nicht. Seine bekümmerte Seele ruht aus in der göttlichen Verheißung, die der Kirche gegeben ist. Aber der feste Grund Gottes bestehet: ruft er siegesgewiß aus; er meint damit die Kirche Christi selbst, deren Grundfesten ewiger, göttlicher Art sind. Auf diesem göttlich gelegten Grundstein sieht er ein Siegel, eine leuchtende Inschrift; sie redet von der Treue des Herrn, von der heiligen Pflicht der Kirche selbst; von der Treue des Herrn, der seine Kirche erhält und in den Seinen fortlebt, von der heiligen Pflicht der Kirche, sich zu reiuigen von aller Ungerechtigkeit, und ihr hohes Ziel nie aus dem Auge zu verlieren.

So erinnert uns alles, der Schluß unserer Generalsynode, der Schluß des Kirchenjahres, der uns vorliegende Text an Ausgabe und Ziel, an Trost und Hoffnung der Kirche. Es ist mit dem Leben der Kirche wie mit dem Leben des einzelnen. Das Christenleben hat wohl viel Schmerz und Wehe in sich, aber es ist doch vielmehr Gerechtigkeit und Friede und Freude im heiligen Geist. Die Kirche hat viel Kampf und Noth, viel Ursache zu klagen und zu trauern, namentlich in der Gegenwart, aber doch noch viel mehr Ursache, Gott zu loben – 5 - und zu danken, und von Sieg und Segen zu reden. Was freilich der Kirche zum Trost und Segen gegeben ist, das mahnt sie zugleich zu ernstester Treue. Und so sei der Gegenstand meiner heutigen Betrachtung: Trost und Mahnung für die Kirche des Herrn, und zwar finde ich beides dreifach begründet: I. darin, daß die Kirche einen festen Grund unter sich, II. ein reiches Leben in sich, III. ein hohes Ziel vor sich hat.

I.

Der Apostel Panlus sieht in mehr als einer Stelle, im Herrn Geliebte, einen mächtigen geheimnißvollen Bau vor sich, vom Himmel stammend, in diese Welt der Sünde und des Todes hinein-gestellt, wachsend und sich mehrend aus lebendigen Steinen, der Vollendung der Ewigkeit zuftreb’end. Ihr wisset, Geliebte, was er unter diesem Wunder-ban versteht; er meint die christliche Kirche. Sie nennt nun hier der Apostel den festen Grund Gottes selbst, weil er sie nur nach ihrer göttlichen Seite, nach ihrem ewig gleich bleibenden Wesen, nach ihrer unerschütterlichen Grundlage betrachtet. Er faßt in diesem Namen der Kirche Bestand mit ihrem Grunde unmittelbar zusammen und bestätigt damit, daß sie einen festen Grund unter sich hat.

Auf welchem Grunde ruht denn die Kirche? Ich glaube, es gibt heute für uns, die Glieder der Generalsynode, für euch, ihr Glieder dieser Gemeinde, in deren Mitte wir unser Werk gethan, kaum eine wichtigere Frage. Ruht sie auf Menschengedanken und Menschenmeinung, auf zufälligen Zeitströmungen und Zeitstimmungen, auf dem, was man das Gemeinbewußtsein gewisser Kreise nennt? Da wäre der Grund immer von neuem zu suchen; er ist aber ein für allemal gelegt. Die Kirche ist nicht Menschenwerk, nicht der Höhe- und Blüthepunkt natürlicher Entwickelung, nicht nach blos menschlichem Vereinigungstrieb entstanden, sie stammt nicht von unten, sondern von oben, ist nicht ein Erden-, sondern ein Himmelreich. Sie ist von Gottes Hand selbst in diese sichtbare Welt hinein gebaut. Die Kirche ruht aus einem ewigen göttlichen Liebesrath; der Gott, der eine Erlösung wollte, wollte auch eine Gemeinde von Erlösten. Sie ruht auf den Thaten, durch - 6 - welche dieser Liebesrath vollbracht wurde. Wie ein gewaltiger Höhenzug, da Berg an Berg majestätisch emporragt, stehen sie vor uns, die Thaten Gottes, geschehen zu unserm Heil und unserer Erlösung. Die Gründung der christlichen Kirche ist die letzte der großen Heilsthaten Gottes. Wie Gottes schöpferische Macht und Liebe zur Ruhe kam in dem wunderbaren Gebilde, Mensch genannt, der Fleisch ist und doch Geist aus Gottes Geist: so sand die erlösende Liebe Gottes ihren Abschluß in dem noch wunderbareren Gebilde einer Gemeinde Christi, die auf Erden pilgert, aus schwachen, sündigen Menschen besteht, und doch ein neues, ein göttliches Leben in sich trügt und ihr Auge nach der Ewigkeit richtet. Derselbe Christus, der gnadenreich vom Himmel kam ans Erden, die Sünde sühnend sich in den biltern Tod opferte, glorreich vom Tod erstanden, mächtiglich gen Himmel gefahren ist, hat auch den heiligen Geist, den Geist eines neuen Lebeüs über seine Jünger ansgegossen und sie dadurch nmgebildet zu seiner Gemeinde. Er thront zur Rechten der Majestät und überwaltet königlich den irdischen Weltlauf, lebt und wirkt zugleich aber auch auf Erden fort in seinem Geiste, in seinem Wort und Sacrament und durch dieselben in seiner Kirche. Er ist ihr Lebensgrund, ist der anserwählte köstliche Eckstein, über dem sie erbaut ist. Er hat sich ganz mit seiner Kirche zusammengefchlossen. Ihre Sache ist seine Sache, beide stehen und fallen mit einander. Man muß ihn zuerst stürzen von seinem Thron, ehe man seine Kirche stürzen kann.

Und weil nun die Kirche ans Christo als ihrem unsichtbaren Grunde ruht, bekennt sie sich auch fortwährend zu ihm und setzt seinen Namen auf ihr Panier. Sie hat dieß Panier hoch erhoben in ihrer ersten Zeit, da darauf stand: Jesus Christus, der ewige Sohn Gottes im Fleische erschienen, in der Zeit der Reformation, da es hieß: Jesus, seine Gnade und sein Verdienst allein, sie erhebt es siegesgewiß auch in unfern Tagen wieder.

Jst’s nicht wirklich ein fester Grund, aus welchem die Kirche glaubend und bekennend steht? Der feste Grund Gottes bestehet – schreibt der Apostel. Es sind gerade achtzehnhundert Jahre, daß er diese Worte geschrieben. Um die Mitte der sechziger Jahre nach Christi Geburt hat er seinen zweiten Brief an Timotheus verfaßt. Was ist in diesen langen Jahren nicht alles geschehen?

Wie oft hat diese Welt ihre Gestalt geändert, wie oft wurde auf ihr die Todtenklage laut, nicht blos über einzelne, sondern über ganze Völker und Staaten, wie viele Reiche sind entstanden und wieder verschwunden, wie viel Sterne irdischer Majestät niedergegangen, wie mancher stolze Weisheitsbau hat sich erhoben und ward wieder zertrümmert, wie rasch ward die bauende Hand von der zerstörenden abgelöst – aber an dem festen Grunde Gottes hat die Macht der Vergänglichkeit sich vergeblich versucht, eine Gemeinde der Gläubigen ist geblieben. Geliebte in Christo! Es gab eine Zeit – und diese Zeit dauerte fast dreihundert Jahre – da war die Kirche nicht unter die Fittige milder und wohlwollender irdischer Schirmherren genommen, wie es bei uns der Fall ist, wofür wir Gott auch heute danken wollen, sondern da waren alle irdischen Gewalten wider sie verschworen und hatten ihr einen Kampf auf Leben und Tod angekündet; es gab eine Zeit, da die Gemeinde Christi nicht so frei und ungestört, wie jetzt, in Kirchen und Kirchlein sich versammeln konnte, da man ihr im Gegentheil auf der Erde gar keinen Raum mehr gönnen wollte, da sie unter die Erde sich flüchten mußte, in unterirdischen Gängen, in Grabgewölben, wo sie ihre eigenen Todten begrub, ihrem Lebens-sürsten ihre Lieder sang; wir haben jetzt, Geliebte, ein Kirchenregiment, unter dessen stetiger, von kirchlichem Sinn und Geist getragener Leitung unsere Gemeinden in Frieden und Segen sich bauen können, damals waren gerade diejenigen, die am Steuerruder der Kirche saßen, am ehesten dem Opfertode um Christi willen verfallen, und wie oft wurden die Heerden hirtenlos; auch damals hielt man Synoden, aber nicht in so tiefem Frieden wie jetzt, die Glieder derselben trugen an ihrem Leibe etwa die Malzeichen des Herrn Jesu, die Spuren der um seinetwillen erlittenen Martern – aber keine blutigen Ströme Jahrhunderte langer Verfolgung vermochten den festen Grund Gottes wegzuschwemmen, auch die riesige Wucht der römischen Weltmacht hat weder die Kirche noch den Fels, aus dem sie erbaut ist, zu erdrücken vermocht.

Ihr sagt vielleicht, Geliebte, das sind längst vergangene Zeiten. Das war die Jugendkraft des Christenthums, die solches gethan hat. Aber Geliebte, die Kirche hat nicht blos in dieser Zeit des jugendfrischen Anfangs ihren festen Grund bewährt. Blutig hat man die Kirche – 8 – freilich nicht immer verfolgt, aber eine Verfolgung ist über alle Zeiten verbreitet, eine Verfolgung mit geistigen Waffen. Sie begann schon damals, als die Kirche ganz auf sich selbst gestellt war und ist fortgegangen bis auf die Gegenwart. Wer zählt all die Bücher, die je und je von Juden und Heiden und abgefallenen Christen gegen Christenthum und Kirche, gegen den Herrn und seine ewige Majestät geschrieben worden sind? Was wäre es für ein Anblick, wenn all diese Erzeugnisse widerchristlichen Geistes zu Häuf vor uns lägen! Wie oft hatte man der Kirche schon den Todtenschein ausgestellt, die Grabtücher ihr gewoben in Schriften voll tödtlichen Hasses und giftigen Spottes – aber es ging ihr wie ihrem Herrn unter dem Kreuze. Die Feinde triumphirten, er aber rüstete sich zu dem wunderbarsten Lebenssiege, das Kreuz wurde ihm die Staffel zu ewiger Herrlichkeit. So waren gerade die Zeiten, wo die Fabel aufkam über den Untergang des Christenthums und der Kirche, Zeiten neuer Kräftigung, neuer Verjüngung, neuer Lebensoffenbarung für dieselbe. Die Lanzenstiche, womit Zweifelsucht und Unglaube ihren Leib zu verletzen suchten, dienten nur dazu, daß neue Lebensströme ihr entquollen.

Aber in unfern Tagen? Seht ihr denn nicht, rufen so manche, wie eure Kirche wankt und dem Falle bereits nahe ist? Freilich, was man in Kirche und kirchlichen Dingen auf den Sandgrund menschlicher Gedanken stellt, das wankt wie dieser selbst, und mancher ohnedieß lose Stein weicht völlig. Aber der feste Grund Gottes bestehet. Den Fels, den ein Meer von Verfolgung und Widerspruch bisher vergeblich umspült, wird auch der Zungen-und Federkrieg unserer Tage nicht umstoßen. Wohl weiß ich, und wisset ihr es, Geliebte, großenteils auch, daß kaum je so keck und vermessen, um gelinde zu reden, je mit so ausgesuchten Waffen, in so verschiedenartiger und denn doch wieder so geschlossener Weise, nicht gegen Neben- und Außenwerke, sondern gegen die Burg des Christenthums, gegen den Grund der Kirche, gegen den Herrn Je-sum selbst, seine Person und sein Werk zu Felde gezogen wurde, als gegenwärtig. Aber es ist ein Wölklein und wird vorübergehen, hat ein großer Kirchenlehrer in großer Kirchennoth vor vielen Jahrhunderten nicht umsonst gesprochen. Man wird die Namen derer, die jetzt den Herrn offen oder versteckt lästern, ver- gessen. Er selbst bleibt unvergessen; bis ans Ende der Tage wird der Lobpreis seines wunderbaren Namens, wird die Adventsfreude, der Weihnachtsjubel und das Osterhalleluja über die Erde forttönen. Ist das Werk aus Gott, so könnt ihr es nicht dämpfen, hat ein kluger Mann vor achtzehnhundert Jahren gesprochen (Ap.-Gesch. 5, 39). Dieß Werk hat die Probe bestanden wie kein anderes. Was jener römische Kaiser, der, als die Kirche schon zum Frieden gekommen zu sein schien, nochmals alle Geister der untergehenden heidnischen Welt gegen das Christenthum heraufbeschwor, dessen Haß gegen dasselbe sprüchwörtlich geworden ist – Julianus den Abtrünnigen nennt ihn die Geschichte – sterbend gesagt haben soll: Galiläer, du hast gesiegt, ist das Siegel der Jahrhunderte geworden. Er hat gesiegt und mit ihm seine Kirche. Sie hat von Anfang kraft des Geistes, der in ihr wohnte, an ihre Un-überwindlichkeit geglaubt^- sie hat jetzt aber auch das Thatzeugniß der Geschichte für sich; die Geschichte hat für sie, d. H. für ihren unvergänglichen göttlichen Grund entschieden.

An uns ist es jetzt, Geliebte, sich zu entscheiden. Was dünkt euch um Christo ? ist die weltbewegende Frage. Sie soll auch unser Herz bewegen. Ist Christus der wahrhaftige Sohn Gottes, hoch gelobet in Ewigkeit oder ist er doch im Grunde nur ein Mensch wie wir, von menschlichem Todesgeschick ereilt, in des Grabes Tiefe versunken: das ist die gewaltige Frage. Mit ihr hängen andere eben so mächtige Fragen zusammen: gibt es einen Gott, heilig und gerecht, gnädig und barmherzig, zu dem wir beten, dem wir ins Auge sehen, an dessen Vaterherz wir alle unsere Noth und Sorge legen können, wie die Christenheit jubelt und anbetet – oder gibt es keinen, wie die Thoren in ihrem Herzen je und je gesprochen, die Lügner namentlich unserer Tage sprechen. Gibt es eine Auferstehung und ein ewiges Leben, eine himmlische Sabbatruh nach dieses Lebens Kampf und Müh, wie das feierliche Be-kenntniß der Kirche lautet – oder ist der Mensch eine Welle, die sich hebt aus dem Meere der Zeitlichkeit und in dasselbe wieder zurücksinkt, ist’s eine ewige Nacht, die den mühseligen Sterblichen zuletzt verschlingt, wie die trostlose, geist- und gottverlassene Weisheit der Gegenwart Gott und den Menschen zugleich lästert? Ist diese Welt trotz aller Frevel und Sünde darauf doch zuletzt - 10 – der Tempel des heiligen Gottes, an dem der Sünde und dem Teufel zum Trotz sein Rath und Wille hinausgeführt wird, wie wir in Christo glauben, oder ist sie ein wirrer Knäuel, ein Tummelplatz von Lüge und Selbstbetrug, wozu die Gegner sie machen? Denn was steht noch fest, wenn Christus nicht Gottes Sohn, wenn er nicht der auserstandene Lebensfürst ist? Sagt nicht, Geliebte, ich übertreibe, ich male zu schwarz, es gibt ein Mittleres -- in That und Wahrheit gibt es kein Mittleres. Ihr habt Gott zu eurem Gott und Vater, ihr habt ein ewiges Leben allein in Christo, dem Sohne des lebendigen Gottes. Der einzelne mag in falscher Vermittlung eine Weile scheinbare Befriedigung finden, die Zeit im Ganzen drängt mit einem gewaltigen Entweder-Oder zur Entscheidung. Die luftigen Brücken, die man zwischen Glauben und Unglauben in unfern Tagen errichten will, der Tag baut sie, der Tag bricht sie ab. Man kann nicht ja und nein zugleich sagen, man kann nicht Religion im Munde führen und im Herzen etwas ganz anderes darunter verstehen, als man je und je darunter verstanden hat, man kann nicht das Christenthum rühmen, und seine Thatsachen verläugnen, man kann sich nicht vor Christo verbeugen und ihn zugleich ins Angesicht schlagen, man kann am wenigsten mit Babels Sinn und Geist Zions Nisse und Brüche heilen wollen.

Aber der feste Grund Gottes bestehet – danken wir Gott, daß wir aus ihm stehen dürfen. Wir sollen wissen, was alles gegen ihn geredet worden und geredet wird, die ganze Tiefe des Gegensatzes wohl erkennen, und doch in der unerschütterlichsten Ueber-zeugung und der freudigsten Zuversicht glauben, daß er fest steht und fest stehen wird. Da ist Friede und Einheit, wahre Freiheit und wahre Gebundenheit zugleich, wo man auf ihm steht; während ohne ihn Zerrissenheit und Zerfahrenheit einer vermeinten Kirche trauriges, aber verdientes Loos wird. Wir haben den festen Grund der Wahrheit in unserm guten Bekenntniß; es ist die Schale für den edlen Kern ächten apostolischen Christenthums, es ist ein feierliches Ja und Amen zu dem göttlich gelegten Heilsgruude, dem göttlich bereiteten Heilswege, dem göttlich verbürgten Heilsziele. Halte, theuere Kirche, was du hast, daß niemand deine Krone raube! Die Kirche hat einen festen Grund unter sich, aber auch – 11 - II.

ein reiches Leben in sich. Auch dieß ist ihr zum Trost und zur Mahnung zugleich gesagt. Der Herr kennet die Seinen, das ist die eine Aufschrift auf dem festen Grunde. Was heißt dies anders, als daß der Herr immer ein Volk hat und haben wird, das ihm dient mit lauterem Sinne, das durch unzerreißbare Bande des Glaubens und der Liebe mit ihm verbunden ist, das der Herr nicht blos äußerlich kennt, sondern innerlich sich aneignet und mit seinen Lebenskräften füllt. Diese Aufschrift ist ein Siegel. Denn die innere Lebensbewegung der Kirche besiegelt die Göttlichkeit ihrer eigenen Grundlage. Sie verkündet in ihren lebendigen Gliedern die Gnadennähe dessen, auf welchem sie ruhl. Der Herr selbst will sein Bild in seiner Kirche ausprägen und seine Herrlichkeit in ihr leuchten lassen. Wie diese irdische Sonne tausend- und millionenfach auf dieser Erde irr ändern Kreaturen sich spiegelt, so spiegelt sich auch die ewige Sonne der Wahrheit in lausenden von Menschenseelen, die ihrem Lebensstrahl sich geöffnet.

Der Apostel sagt: der Herr kennet die Seinen. Seine Seele jubelt wohl auf bei diesem Worte. Von Rom, wo er gefangen liegt, nach Ephesus schreibt er sie, von der großen Weltstadt des Abendlandes zu einer Weltstadt des Morgenlandes. Er gedenkt dabei all der christlichen Gemeinden, die er im wunderschnellen Lauf des Evangeliums während einer zwanzigjährigen Arbeit in zwei Welttheilen gegründet hat. All die Seelen stehen vor ihm, die aus der Nacht des Heidenthums zur Anbetung des lebendigen Gottes gelangt, die als Helle Leuchten dastehen mitten in der Finsterniß, die unter einer allgemeinen sittlichen Verwilderung und Auflösung durch ein Leben der Wahrheit und Liebe, durch wunderbare Geisteskräfte ihren Herrn preisen.

Dieß Wort: der Herr kennet die Seinen, leuchtet nun aber auch als Helle Inschrift auf dem ewigen Gottesgrund, der Gemeinde Christi zum Trost, durch alle Zeiten und alle Entwickelungen der Kirche hindurch, leuchtet auch aus allen Verdunkelungen und Umhüllungen ihres eigenen Wesens herzerquickend hervor. Man hält der Kirche in unsern Tagen wie oft ein langes Sündenregister vor. Und in der That, nachdem die Kirche in das Leben der Völker verschlungen ist, geht neben dem Segens- auch ein Verderbensstrom - 12 – durch ihre Mitte. Aber die wahre Kirche ist auch nicht eine äußere Gemeinschaft, sondern die Gemeinschaft solcher, deren Leben mit Christo in Gott verborgen ist. Da ist es nun erhebend und zur Anbetung hinreißend, Geliebte, schauen zu dürfen, daß durch den langen Lauf der Kirche, auch durch ihre dunkelsten Zeiten eine Schar wahrhaft geheiligter, gottverlobter Seelen, treuer Zeugen, Arbeiter und Kämpfer, unermüdeter Beter, von dem Leben Christi erfüllter Menschen sich hindurch zieht, oft bedeckt von der Schmach der Welt, aber diese gleichwohl mit Strömen lebendigen Wassers segnend. Und zwar bilden diesen edelsten Schmuck der Kirche Leute aus allerlei Volk, aus allen Geschlechtern, Nationen, Ständen und Berufsarten, Männer und Frauen, Jünglinge und Jungfrauen, Starke und Gewaltige, die vor dem Stärkern sich gebeugt, Leute, mit Purpur und Krone geschmückt, und Arme, Geringe, Verlassene, Unglückliche, die alle einander im tiefsten Geistesbunde die Hände reichen, alle, wenn auch durch Ort und Zeit noch so von einander geschieden, getragen von einem Glauben, einer Liebe, einer Hoffnung. Wie in einer fest geschlossenen Kette wird hier der Strom höherer Kräfte fort geleitet, der vom Throne der göttlichen Gnade quillt, und zum Throne der göttlichen Herrlichkeit zurückführt. Wenn wir solches betrachten, kann uns das Herz wohl weit werden, und ein hohes Gemeinschaftsgefühl uns durchdrungen; wie eine tausendstimmige Trostpredigt tönt es aus allen Jahrhunderten auch in eine umwölkte Gegenwart herein: Der Herr kennet die Seinen. Ueberblickt nur, Geliebte, die große Wolke von Zeugen, fangt an mit den hohen Aposteln und herrlichen Märtyrern, geht fort zu den hoch erleuchteten Lehrern der alten Kirche, denkt an unsere theuern Reformatoren und ihre edlen Vorläufer, an die Dichter der Lieder, durch welche so mancher müde Pilger der Erde Trost und Labsal sich zugesungen, an die Verfasser der gesalbten Erbauungsbücher unserer Kirche, die da sind wie unverwelkliche Blätter vom Baume des Lebens, und an so viele andere, deren Namen im Himmel angeschrieben sind und zugleich fortleben im Herzen der streitenden Kirche. Fürwahr, die Kirche hat eine stolze mächtige Ahnenreihe, einen wunderbar reichen, vielverzweigten Stamm-banm, dessen Linien alle in dem einen Herrn und Haupt und seinem unerschöpflichen Lebensborn zusammenlaufen. Faßt sie dann – 13 – weiter zusammen, Geliebte, all die Beispiele heldenmütigen Glaubens, selbstverleugnender, im Dienste Gottes und der Brüder sich verzehrender Liebe, ausdauernder Geduld auch bei bitterstem Kreuze, sichtlicher Gebetserhörung, freudiger Todesüberwindung, wunderbarer Verbindung himmlischen Sinnes mit treuester Erfüllung der Erdenpflichten, die in jenem Vereine sich finden. Da soll der Unglaube auftreten und Rede stehen. Hier sind unwiderlegliche Thatbeweise, daß höhere Kräfte hereinwirken in diese von Sünde und Tod beherrschte Welt. Hier ist das unmittelbarste Zeugniß der Gegenwart Christi und seiner erneuernden Gnade. Und wenn von dem engen Kreise der Gemeinde Christi ein neues Leben auf die Welt, alle Ordnungen, Gemeinschaften und Verhältnisse, ein besserer, edlerer, menschlicherer Sinn und Geist, ein Geist der Liebe und Erbarmung ausgegangen ist, wenn von dem großen Evangelium aus, daß wir in Christo Brüder und Schwestern sind, die härtesten Gegensätze ausgeglichen worden sind, ein Bewußtsein von Menschenrecht und Menschenwürde aufkam, von dem man vorher nichts wußte – zeugt dieß nicht alles von dem reichen Leben, das die Kirche in ihrem Schooße trägt?

Meint ihr nun, Geliebte, daß diese Lebenskette abgerissen, daß dieser Lebensstrom abgedämmt sei? Nein, Geliebte, er fließt auch jetzt noch. Und fragt ihr nach dem Bette, das er sich gegraben: Wort und Sacrament ist es. In sie hat der Herr seine schöpferischen Kräfte niedergelegt; mit ihnen, nicht mit äußerer Gewalt hat er all seine Siege erfochten. Denn Gott liebt es, mit Geringem und Unscheinbarem das Größte auszurichten. Darum schart euch um diese Mittel göttlicher Gnade! Oder glaubt ihr, daß das Evangelium matt und altersschwach geworden sei in diesen achtzehnhundert Jahren? Glaubt ihr, daß der Herr seine Verheißungen von seinen Gnadenstiftungen zurückgezogen hat? Nein, Geliebte, der Herr ist nicht ein anderer geworden, seine Verheißungen fallen nicht dahin, sein Evangelium trägt die alte und doch ewig neue Gotteskraft in sich. Auf uns kommt es nur an, die in Wort und Sacrament dargebotenen Guadenkräfte im Glauben zu ergreifen, um in die Gemeinschaft aller derer einzutreten, die das Leben des Herrn und seiner Kirche wahrhaft in sich tragen.

Oder brauchen wir etwa jenes Leben nicht, das allein diesen - 14 - Namen verdient, das wahre, völlige Leben in der Gemeinschaft mit Christo? Was ist denn dieß gesummte irdische Leben mit seiner tausendfachen Noth? Ein tiefes, schweres, banges Räthsel ohne Ihn. Was ist der Mensch ohne Ihn? Sich selber ein großer, tiefer Widerspruch: dieß Gebilde von Staub, dem die Ewigkeit ins Herz gepflanzt ist, das nach einer himmlischen Heimath aufschaut und doch gebunden ist von den schweren Banden der Sünde und des Todes. Was ist das Sterben ohne Ihn? Ein entsetzliches, ein grausiges Gericht und Geschick. Aber in Ihm ist die Lösung aller Näthsel, ist Friede, der höher denn alle Vernunft, ist eine über die Noth des Lebens und die Schrecken des Todes triumphirende Freude, ist Vergebung der Sünden, ist Leben und Seligkeit zu finden.

O lasset darum, Geliebte, den Lebensstrom nicht an euch vorüberrauschen, schöpfet, trinket aus ihm, euch zum Heil und zu ewiger Erquickung. Das Wort: der Herr kennet die Seinen, ist wahrlich für uns auch eine gewaltige Mahnung und ruft in jedem die centnerschwere Frage wach: wie stehst du zu Ihm, der das Leben und Heil der Welt ist? Er allein kennt uns, unendlich mehr als wir uns selbst kennen. Seine Augen sind wie Feuerflammen, er durchforschet Herzen und Nieren und fragt uns: kennt ihr auch mich, ist mein Leben in euch?

Und wenn dann, Geliebte, ein Strahl seiner Herrlichkeit euch ins Herz gefallen, so lasset ihn doch zum Lichte werden, das auch ändern leuchtet. Führt die Heils- und Lebensquelle nicht blos in euere Herzen, sondern auch in euere Häuser, in euere ganze Gemeinde ein. Durch euch soll Christi Reich auch in ändern gefördert werden. Alle menschliche Gemeinschaft soll durch Christi Geist geheiligt, aber auch zur Förderung der Gemeinschaft mit ihm gesegnet sein. So könnet, so sollet ihr Eheleute an einander, ihr Väter und Mütter in euern Kindern das Reich Christi bauen. Wir sind ja alle ohne Ausnahme berufen, Bauleute am heiligen Bau der Kirche zu sein. Das ist gerade das Herrliche an unserer Kirche, daß sie jedem den Zugang zu der göttlichen Gnade öffnet, jedem das Recht gibt, gereinigt durch Christi Blut priesterlich Gott zu dienen, aber nun auch jedem die Pflicht auferlegt, mit seiner Gabe dem ändern und damit dem ganzen Leibe des Herrn zu dienen. Wir nennen uns Geistliche, ihr seid, Geliebte, Glieder der Ge- - 15 – meinde. Das Amt, das wir verwalten, ist göttlich gewollt und gestiftet. Aber es ist dieß doch nur ein Unterschied des Berufs, kein Gegensatz der Stellung zu Gott. Der Unterschied von geistlich und weltlich tritt wieder zurück hinter dem allgemeinen Christenberus, dem allgemeinen Priesterthum, da wir auf Grund des einen Glaubens und einen Lebens in Christo uns dem Herrn zum Opfer und seiner Gemeinde zum Dienst ergeben sollen.

Dürfen wir nun nicht, Geliebte, in unserer Generalsynode Ausdruck und Erscheinung dieses seligen Rechtes und dieser heiligen Pflicht erkennen? Hier waren Vertreter des geistlichen Amts, aber auch Vertreter der Gemeinden aus allen Gauen des Vaterlands zum gemeinsamen Dienst an unserer theuren evangelischlutherischen Landeskirche vereinigt. Der Bürger und Landmann, der Beamte des Staates, der Träger der Wissenschaft, der mit freiester Lebensstellung Begabte, sie alle wollten zugleich mit uns Geistlichen das Wohl der Kirche berathen und mit ihren Gaben und ihrer Einsicht ihr dienen. Und wenn dieß nun auf Grund des kirchlichen Bekenntnisses im Geiste der Liebe und der brüderlichen Eintracht geschehen ist, wie es durch Gottes Gnade wirklich der Fall war, so ist eine solche Generalsynode etwas hocherfreuliches und erhebendes, und wir segnen die Stunden, die wir unter Anrufung des göttlichen Beistandes dem edlen Zwecke der innern und äußern Förderung unserer Kirche weihten; wir sind inniger mit einander verbunden worden, unser Zusammensein hat auf uns alle zündend und belebend gewirkt. O laßt uns verbunden sein und bleiben auf dem Grunde des Glaubens und in der herzlichen aufrichtigen Liebe zu unserer Kirche! Die Kirche weist den Menschen himmelwärts und sagt ihm, daß er noch zu etwas anderm bestimmt sei, als zu arbeiten im Schweiße seines Angesichts, zu wirken für dieß flüchtige Dasein. Sie ist Trägerin und Hüterin der höchsten Lebensgüter, sie ist aber eben damit auch eine Stütze dieses ganzen irdischen Lebens. Denn auch diese sichtbare Welt wird nur durch unsichtbare Kräfte zusammengehalten. Die Kirche will sich nicht erheben über die ändern Gemeinschaften, oder deren Güter als einen Raub an sich reißen, sie will nicht herrschen, sondern in dienender Liebe alles Menschliche und Natürliche reinigen, erheben und veredeln und mit einer hohem Kraft durchdringen.

- 16 – Sie ist die Gemeinschaft des Glaubens und des christlichen Lebens. Religion und Glaube sind aber die tiefsten Mächte dieses Lebens überhaupt, sind der letzte Halt aller irdischen Verhältnisse. Je mehr diese Mächte unserm Volke entschwinden, je mehr Gottesfurcht und Scheu vor dem Heiligen aus seiner Mitte weichen würde, desto mehr würden auch alle Säulen sittlicher Ordnung und ächter Wohlfahrt wanken, desto mehr die Widerstandskraft gegen sittliche Auflösung dahinsinken. Seid ihr nun, in Christo geliebte Vertreter unserer Gemeinden, auf das Wohl der Kirche bedacht, wollt ihr mit aufrichtigem Sinne ihr Gedeihen und ihre Förderung, so baut ihr nicht allein sie, sondern in und mit ihr auch Ehe und Familie, Staat und Volk. Unser Volk würde in seinem Innersten geschädigt und nach allen Lehren der Geschichte unentrinnbar seinem Verfalle entgegen gehen, wollte es Ohr und Herz jenem Geiste öffnen, der seinen tausendjährigen Zusammenhang mit Kirche und Christenthum zerrissen und sein Leben deren Einflüssen möglichst entrückt sehen möchte. Auch die Liebe zu unserm Volke sollte jeden, der dem Geiste der Verneinung noch nicht völlig verfallen, antreiben, für die höchsten Güter desselben, für das wahre geschichtliche Christenthum, für den guten alten Glauben, für die Treue gegen Gott und sein Wort, für die Kirche als Wächterinderselben einzutreten. O möge diese Generalsynode dazu dienen, uns gegenseitig zu dem einem großen, hohen Liebesdienste zu verbinden, den wir der Kirche, den wir unserm Volke, den wir unfern Gemeinden schulden, Christi Reich und Christi Leben und damit wahre Sittlichkeit, ächte Liebe und Pietät, den Geist der Selbstverleugnung und Hingebung eines an das andere allenthalben zu fördern.

Und wie viel sagt uns Geistlichen die heutige Feier! Wir vor allem sollen das Siegel auf dem Herzen tragen: der Herr kennet die Seinen, in uns vor allem sollen die Lebenspulse Christi schlagen. In uns muß Wort und Bekenntniß lebendig geworden sein, wenn durch unfern Dienst wahres christliches und kirchliches Leben in unfern Gemeinden geweckt, gepflegt und erhalten werden soll. Doch will ich wahrlich heute nicht euch, ehrwürdige Väter in Christo, eine Predigt halten. Ich denke heute vielmehr mit dankbarem Herzen der zum Theil schweren, sauren Kämpfe, unter denen ihr den Boden des väterlichen Glaubens und Bekenntnisses habt erringen - 17 – helfen. Ich predige mir selbst und uns Jüngern. Hoch und groß ist unser Amt. Die Herrlichkeit unseres Amtes ist die Herrlichkeit des Evangeliums unsers Herrn Jesu Christi, das uns zu verkünden befohlen ist. Göttlich hoch und himmlisch schön ist dieß Evangelium; voll Majestät und Einfalt zugleich, preist es die wunderbaren Gottesgedanken und Gottesthaten, die göttliche Weisheit, die zur Thorheit, die göttliche Stärke, die zur Schwachheit geworden. Mit Schwung und Begeisterung sehen wir in diesen Tagen die Welt ihre Ziele verfolgen. Und wir sollten keine Begeisterung haben für das Höchste und Größte, was es gibt, nicht die vollste, tiefste, selbstverleugnendste Hingebung an unser Amt? Die Hingebung aber an unser Amt ist Hingebung an den, dessen überschwängliche Klarheit dasselbe widerspiegelt, der der hehre Mittelpunkt desselben ist, an unfern Herrn Jesum Christum. Wir sind Knechte des Gottes Himmels und der Erde, und bauen das Haus, das vorhin vor vielen Jahren gebaut war, das ein großer König Israels gebaut hat und aufgerichtet: wollen wir sprechen mit jenen Bauleuten am Tempel des Herrn (Esra 5, 11). Es ist noch ein größerer König, der das Haus gebaut hat, an dem wir dienen, und die Herrlichkeit dieses Hauses ist größer, als die des ersten. Mit betendem Herzen, mit gesalbten Lippen wollen wir unseres Königs Werk treiben. In tiefster Beugung wollen wir stehen vor dem reinen Glanze seiner Majestät und doch in freudigster Zuversicht, frei von dem Kleinmuth und der Verzagtheit, die Christi Dienern nicht ziemen, wollen wir unsere Hand in seine Hand legen. Ein lebendiger Zug zu ihm, eine Vertrautheit mit ihm, ein ersahrungsmäßiges Jnnewerden seiner Gnade und Wahrheit soll uns durchdringen. Sein Leben muß unser Leben, seine Kraft unsere Kraft, sein Sieg unser Sieg sein. Gewisser, möchte ich sagen, als unser eigen Dasein muß uns sein, daß Er lebt und wirkt. Ein heiliges Feuer, eine reine Gluth der Liebe zu ihm soll in unfern Herzen brennen und leuchten. Ihn wollen wir bekennen frei, offen und männlich, allem Halb- und Unglauben zum Trotz. Es koste Leib und Leben und alles, was ich Hab, an dir will ich fest kleben und nicht mehr lassen ab!

Ich will dich lieben, meine Krone; Ich will dich lieben, meinen Gott; 2 – 18 – Ich will dich lieben ohne Lohne Auch in der allergrößten Noth; Ich will dich lieben, schönstes Licht, Bis mir das Herze bricht.

O daß wir alle von dem tausendarmigen Strom, der vom Throne unsers Herrn durch seine Kirche fluthet, das Wasser uns zuführen ließen, das ins ewige Leben quillt! Denn dahin führt und zielt das Leben der Kirche. Es ist III.

Trost und Mahnung für die Kirche auch darinnen enthalten, daß sie ein hohes Ziel vor sich hat. Ich brauche am Schluffe des Kirchenjahres nicht viel davon zu sagen, was das für ein hohes Ziel ist, das immer vor dem Auge der Kirche steht, vor ihr stehen soll, das höchste, das es überhaupt gibt, die volle, ungetrübte, ungestörte Gemeinschaft mit ihrem Herrn und Haupt. Auf ihm ruht sie, ihn hat sie in ihrer Mitte, er steht auch in seiner Herrlichkeit vor ihr, bis diese Herrlichkeit auch ihre Herrlichkeit geworden ist. Wenn er selbst aber so vor ihr steht, so hat all ihr Ringen und Kämpfen, all ihr Reden und Bezeugen im letzten Grunde auch nur ihn zum Ziel, ihn will sie verherrlichen, zu ihm will sie führen, um in all den Ihren einst seiner Gemeinschaft sich ewig zu freuen.

Da gilt ihr nun freilich in diesem ihrem Lauf und Kampf das Wort, das als zweites Siegel auf den: festen Grunde Gottes steht: es trete ab von der Ungerechtigkeit wer den Namen Christi nennet. Die Göttlichkeit des Grundes bewährt sich auch darinnen, daß eine reinigende, scheidende Macht fort und fort von ihm ausgeht. Zeder einzelne von uns soll sie erfahren; denn die Kirche erreicht ihre Aufgabe eben nur in dem einzelnen und durch denselben.

Ist es null nicht, im Herrn Geliebte, ein gewaltiger Zuruf, den ihr allesammt heute vernehmt: es trete ab von der Ungerechtigkeit, wer den Namen Christi nennet? Ihr tragt alle Christi Namen, ihr nehmt alle bis zu einem gewissen Maße an dem Leben der Kirche Theil, wollt doch auch Theil haben an ihrem großen Ziele, ihr wollt davon tragen eurer Seelen Seligkeit. Da höret das Mark und Bein durchdringende Wort: es trete ab von der Un- – 19 - gerechtigkeit, wer den Namen Christi nennet. Dieß Wort gebietet nicht blos, alle offenen Schanden und Aergerniffe abzuthun, sondern auch den unerbittlichen Kampf zu führen gegen Sünde und Unlauterkeit in jeder Gestalt, gegen den geheimsten Dienst der Lüge, gegen alle Regungen der Selbstsucht, welcher in nnsern Tagen so viel gesröhnt wird. Wohl ist es die Gnade unseres Gottes, und seine ewige Erbarmung in Jesu Christo, die uns tragen muß von einem Tag zum ändern, bis zum letzten Athemzug, in der allein wir Frieden haben. Aber diese Gnade scheidet uns auch innerlich von der Sünde, ist selbst eine unendliche Kraft der Süude-überwindnng. Sie durchdringt uns mit dem mächtigsten Trieb der Heiligung. Neben der seligen Ruhe, die sie uns verleiht, ist auch eine heilige Unruhe in uns, da wir mit uns selbst nie zufrieden sein können, immer weiter streben und ringen, ringen um eine unvergängliche Krone. Niemand hat eine heiligere Pflicht, als die, an sich selbst zu arbeiten. Je mehr er es thut, desto mehr arbeitet er auch an dem ändern. Immer tiefer in die Gemeinschaft mit Christo, immer völliger los von sich und aller Ungerechtigkeit, um zuletzt ganz ihm dienen und seiner sich freuen zu können, ewig frei von den unseligen Banden der Sünde: das ist unsere Losung und unser Ziel, wenn wir wahre Glieder am Leibe Christi sind.

Nun muß aber, Geliebte, gerade die Kirche selbst dies Wort in den Mund nehmen, und es allen denen zurufen, die durch irgend welches Band mit ihr verbunden sind. Gerade weil es ihr nur um ihren Herrn und seine Gemeinschaft zu thun ist, darf sie von keinem Bunde mit Sünde, Fleisch und Welt wissen, und muß jedem nahen mit dem Zeugnisse unerbittlicher Wahrheit.

Es ist ihre erste und letzte Aufgabe nur die, für ihren Herrn zu gewinnen und zu sammeln; darum verkündet sie auch ihn und nur ihn, den Namen, der über alle Namen ist, der von Friede, Heil, Leben und Seligkeit zeugt. Sie möchte ihn jedem nahe bringen, nach apostolischem Vorbilde allen alles werden. Sie möchte jedem hinabgreifen in den innersten Seelengrund, und hier aufdecken das geheime Sehnen, Suchen und Fragen nach einem Gut, das Erde und Welt nicht bieten. Es ist ja in jedem Menschenherzen eine leere Stelle, die nur durch ihn ausgefüllt wird. Das – 20 – kleine Menschenherz ist größer, als daß die ganze Welt und alle ihre Herrlichkeit es aussüllen könnte. Es streckt sich nach der ewigen Liebe, es seufzt nach dem ewigen Leben, das in Jesu Christo erschienen ist. Durch alle Angst und Unruhe des Menschenherzens geht dieser Zug hindurch. Auch durch das unruhige Räderwerk weltlicher Betriebsamkeit, durch die betäubende Hast, mit der der Weltgeist seine Ziele in der Gegenwart verfolgt, geht vernehmlich genug das Wehgefühl ungestillten Sehnens. Zu all dem aber, was in der Tiefe der Meuschenbrust sich regt von Zügen des Vaters zum Sohn, von verborgenen Anklängen an die seligmachende Wahrheit und den hohen Trost des Evangeliums, läßt die Kirche sich liebend herab, erkennt in demselben ihre Verbündeten und möchte es großziehen zu einer Pflanze des Heils. Sie hat Mutterberuf, die Art dessen, den des Volkes jammerte, da er es verschmachtet und zerstreut sah, sie kommt mit dem Samariteröl eines barmherzigen, linden und geduldigen Sinnes. Sie stößt auch den Zweifler und redlich Suchenden nicht von sich, ja sie möchte jeden noch für einen Freund der hohen Sache halten, die sie vertritt, so lange sie nicht das Gegentheil glauben muß.

All dieß, um für den zu gewinnen, der allein die tiefen Bedürfnisse unserer Seele stillt, aber sie nur dann stillt, wenn wir sie ihm eingestehen und von ihm stillen lassen. Die tiefste Ungerechtigkeit des Menschen ist, daß er die Wahrheit, die noch in ihm ist, und die auf Christum den Arzt und Helfer hinweist, aufhält, die Stimme des Gewissens übertäubt, die ihm von Sünde und Schuld Zeugniß gibt, daß er das in ihm vorhandene Heilsbedürf-niß sich und seinem Gotte nicht bekenneil will. Das ganze Christenthum zieht sich aber, menschlich angesehen, zusammen auf den engen Punkt der Anerkenntniß solchen Heilsbedürsnisses. Ohne demüthiges Selbstgericht, ohne den Schmerz der Buße gelangen wir nicht zu Christo. Aber eben deshalb kommt die Kirche auch fort und fort mit dem brennenden Salz, dem zweischneidigen Schwerte richtender Wahrheit, und ruft ernst und eindringlich im Namen ihres Herrn: es trete ab von der Ungerechtigkeit, wer den Namen Christi nennt. Sie kann sich nicht mit einer nur äußern Gliedschaft und Untergebung unter ihre äußeren Ordnungen begnügen, sie muß um ihres Herrn willen eine innere Entscheidung, eine tief - 21 - innere Scheidung von der Sünde fordern, unter deren Wehen der lebendige Glaube geboren wird. Sie führt für den Anfang und Fortgang christlichen Lebens den Krieg gegen alles, was Sünde, Lüge und Unrecht heißt, um, so viel an ihr liegt, zum wahren Frieden und einer ewigen Friedensgemcinschaft zu verhelfen.

Kann es da fehlen, Geliebte, daß durch ihr Wort auch eine Scheidung und Sichtung anderer Art erfolgt, und daß ihr ans dem Zeugniß der Wahrheit viel Kampf und bitteres Weh entsteht? Entweder trittst du ab von der Ungerechtigkeit und gibst deinem Herrn die Ehre, oder du hast die Lüge lieber als die Wahrheit und wendest dich gegen ihn. Der tiefste Grund aller Christusfeindschaft auch unserer Tage ist innere Selbstbelngnng. Wer aus der Wahrheit ist, der hört die Stimme des Königs der Wahrheit. Die Kirche erstrebt die Scheidung nicht, aber sie erleidet sie. Der Herr selbst geht mit dem Sieb und der Worfschaufel in der Hand sichtend durch die Kinder dieses Geschlechts hindurch. Für mich, wider mich, ruft er. Vor unsern Augen sehen wir das innere Gericht sich vollziehen. Die alte, tief wehmüthige Klage: sie liebten die Finsterniß mehr, denn das Licht, geht wie ein Schwert durch das Herz der Kirche unserer Tage. Wohl hofft sie, daß manche, die vom Taumelkelch des Unglaubens, den man gerade unserem Volke gegenwärtig einschenkt, und noch dazu als Heilquelle anpreist, wieder nüchtern werden. Aber der Geist des Widerchristenthums wird ihrem heiligen Geiste fort und fort widerstreben, der Gegensatz immer tiefer, der Kampf immer ernster werden, aber kein vergeblicher, kein hoffnungsloser Kampf von ihrer Seite sein. Unter Schmerz und Kampf umfaßt die Kirche nur um so brünstiger das vor ihr liegende Ziel. Mögen sich scheiden von ihr, die ihr innerlich nicht zugehören, um so fester werden ihre treuen Glieder sich zusammen schließen, um so eifriger sich zusammenfassen zu einer Gemeinde, die da heilig sei und unsträflich vor ihm in der Liebe. In dieser Liebe werden sie einander die Hände reichen auf dem Boden der Wahrheit und glaubend und hoffend aufschauen zu ihrem Herrn, der durch Leid und Kampf hindurchgedrungen ist zu ewiger Herrlichkeit. Darum fürchte dich nicht, du kleine Heerde, denn es ist eures Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben. Diese kämpfende, angefochtene, vielumdrängte Gemeinde Christi wird doch - 22 - endlich zum Siege gelangen. Der letzte Kampf wird auch der letzte Sieg sein. Und auf den Sieg folgt die ewige Siegesfeier.

Wollt ihr es nicht glauben, Geliebte, daß die Kirche ihr letztes großes Ziel erreichen wird, und alle diejenigen mit ihr, die ihre wahren Glieder sind, die mit ihr leiden, mit ihr kämpfen? Hat die Kirche diese achtzehnhundert Jahre umsonst gerufen: komm, ja komm Herr Jesu? Wird derjenige, der bis heute bei ihr gewesen und ihr Schifflein durch Wind und Wogen sicher hat geleitet, sein Werk nicht an ihr hinausführen? Heute ist Schluß des Kirchenjahres: Er wird diesem irdischen Weltlauf, er wird der irdischen Pilgerfahrt seiner Gemeinde einen Schluß setzen, schreckend und tröstend, machtvoll und gnadenreich zugleich. Ueber acht Tage feiern wir Advent: Er wird die große Advemshoffnung erfüllen. Die Ewigkeit wird es offenbaren, wie fest der Grund Gottes gegründet war; wenn alles wankt und fällt, wird er fest stehen und zur ewig leuchtenden Gottesstadt werden. Das Leben, das die Kirche hier lebt als ein Leben in Gott und aus Gott, wird einem Strome gleich einmünden in das Meer einer seligen Ewigkeit. Eine herrliche Versammlung wird es da geben um Gottes Thron, von allen treuen Kämpfern und Arbeitern, die nach dem Kampf die Krone, nach der Arbeit die stolze Nuh gefunden. Ja, Geliebte, wir haben ein herrliches Ziel. Laßt uns mit aller Macht darnach ringen! Kurz ist dieses Leben; schaffen wir Frucht für die Ewigkeit; wirken wir, so lange es Tag ist. Wir scheiden jetzt von einander; ob wir uns Wiedersehen werden, ist ungewiß, wie alles in diesem Erdenleben. Gewiß sind nur Gottes Verheißungen; in ihnen wurzelt auch alle ächte, wurzelt eine unvergängliche, eine ewige Gemeinschaft. Auf Gottes Verheißungen laßt uns bauen! Sie verkünden uns jetzt schon Sieg und Frieden, und nach der Kreuz- und Knechtsgestalt, die wir hienieden mit Christi Gemeinde getragen, die Gestalt ewiger Herrlichkeit. Amen!