Wo eines Kaisersohnes Wiege stand und ein Kurhut vergessen ward

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Autor: Hugo Arnold
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Titel: Wo eines Kaisersohnes Wiege stand und ein Kurhut vergessen ward
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aus: Die Gartenlaube, Heft 81, S. 522–525
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Wo eines Kaisersohnes Wiege stand und ein Kurhut vergessen ward.

Von Hugo Arnold.0 Mit Zeichnungen von R. Püttner.

Eine klappernde Mühle am murmelnden Bach und eine gebrochene Burg auf steiler Höhe, fern abgelegen vom geräuschvollen Verkehre des Tages und für das Gedächtniß der Menschen verschollen! Mit ihren Mauern verknüpft die Erinnerung keine welterschütternden Ereignisse – und doch flüstert sie leise von Vorgängen, welche nicht ohne Einfluß auf die deutschen Geschicke blieben und in ihren späteren Folgen auf die Lose der europäischen Völker nachwirkten.

Die grüne Isar, das wilde Bergkind, ist der großen Menge gar wohl bekannt, weil in ihren eilenden Wellen die Paläste des neuen Athen, der Kunst- und Biermetropole, sich spiegeln und weil, den Lockungen der blauduftigen Berge folgend, Jahr um Jahr Tausende von Naturfreunden flußaufwärts in das Hochthal wandern, in welchem ihre Quelle rieselt. Doch die wenigsten kennen den untern Theil des Flußlaufes von München abwärts durch die bayerische Hochebene, wo die Fluthen sich ein breitsohliges Thal eingewühlt haben. Und doch fehlt es auch dort nicht an Strecken von hoher landschaftlicher Schönheit, über welchen die Schatten reicher geschichtlicher Vergangenheit schweben und welche der Reiz denkwürdiger Erinnerungen verklärt. Schon des Flusses Name weckt dergleichen aus mehrtausendjährigem Schlummer; denn er reicht weit zurück über die Tage, in welchen für uns die Morgenröthe historischer Kunde jene Gegend zu erhellen beginnt. Nicht die deutsche Zunge hat ihn zuerst gebraucht, sondern die Lippen der Kelten sprachen ihn vorher schon aus, jenes gewaltigen Volkes, dessen Stämme ganz Mitteleuropa innehatten, bis sie von den Germanen zurückgedrängt und von den Römern unterjocht wurden. Der Name der Isar wiederholt sich darum dort, wo gleichfalls Kelten saßen, im savoyischen Hochlande als Isere und im böhmischen Riesengebirge als Iser. Und hier im Bayerlande, auf dem hohen Thalrande der Isar, kommen unter den Wurzeln uralter Bäume oder unter den Schollen des Feldes allerlei Geräthe und Geschirre zu Tage, welche die Sachkundigen niemand anderem zuschreiben als den einstigen Einwohnern keltischen Stammes. Dem [523] Schwerte der Römer erlagen sie, und nun zogen diese ein vielmaschiges Straßennetz über das Land und bauten feste Schanzen, sodaß Hochdämme und Hohlwege, Wälle und Warten an vielen Orten die Isarufer begleiten.

Vor dem mächtigen Ansturme germanischer Völker wichen die Römer wiederum über die Alpen zurück, und nun besiedelten die Sippen der Bajuwaren das Land, und jeder Familienvater erbaute sein Gehöfte just da, wo ihm auf sonnigem Hügel oder an sprudelnder Quelle das Plätzlein gefiel; heute noch sitzen die Nachkommen auf den weithin zerstreuten „Einöden“. Dann schritt eine Zeit der Noth und Drangsal über die Gaue: da sicherten die vornehmen Geschlechter und die Fürsten ihre Sitze und führten auf steilen Hügeln oder vorspringenden Bergnasen die festen Burgen auf, deren Thürme schutzverheißend in das Land hinausblickten, und hinter einem schirmenden Mauerringe barg sich die Bürgerschaft der neugegründeten Stadt Landshut. Emsigkeit und Fleiß brachte ihr bald Wohlstand, mit frommem Sinne und mit vereinten Kräften schuf sie Gott zu Dank, St. Martin zu Ehren und sich selbst zum Preise ein prächtiges Gotteshaus, dessen Thurm als einer der höchsten in Deutschland (er mißt 133 Meter) kühn zum Himmel ragt.

Solche Bilder steigen vor dir auf, wenn du auf den Höhen um jene lustige und luftige Hauptstadt Niederbayerns wanderst und das Auge über die liebliche Gegend schweifen läßt. Wie ein Silberband zieht der rauschende Fluß durch das weite Thal an reichen wohlgebauten Ortschaften vorbei, zahlreiche Kirchen und Schlösser schauen von den Höhen auf ihn herab, ein welliges Gelände, überwoben vom Teppiche üppiger Wiesen, fruchtprangender Ackerfluren und hochstämmiger Waldungen, breitet sich bis zum fernverschwimmenden Horizonte aus, den gegen Mittag die feinen blauenden Linien der Alpen und gegen Mitternacht und Morgen die ernsten dunklen Umrisse des Bayer- und Böhmerwaldes umsäumen. Und wenn dein Auge sich an dem herrlichen Bilde ergötzt, so tauchen wohl auch an dem oder jenem Orte die Gestalten der Vergangenheit auf und erzählen dir von ihrem Geschicke, von Lust und Leid, das ihr Herz einst ebenso empfunden wie das deine, und von dem Wechsel aller irdischen Dinge, von ihrem Aufstieg und von ihrem Niedergang.

Willst du mit mir wandern, vom glänzenden berühmten Herzogsschlosse Trausnitz ob Landshut mit den grünen Wellen der Isar einige Stunden gegen Norden? Dort am Hochgestade des rechten Ufers, entlang der kurzen Wegstrecke von einer Drittelmeile, krönen fünf alte „Burgställe“ – so heißt der Volksmund die untergegangenen Burgen – die Bergvorsprünge, der Reihenfolge nach von Süd gegen Nord: Straßburg, Sterneck, Neudeck, Schaumburg und Wolfstein. In der Anlage gleichen sie sich alle, insofern sie die zwei typischen Bestandtheile der mittelalterlichen Burgen aufweisen: die Vorburg, als Vorwerk dienend und die Wirthschaftsgebäude einschließend, und hinter ihr, durch einen tiefen Graben getrennt, die Hauptburg mit dem eigentlichen festen Baue und dem trutzigen Bergfried, das Ganze von einem oder mehreren tiefen Gräben umfangen. Längst sind die festen Thürme, sind Pallas und Kemenate spurlos verschwunden, ja wir kennen nicht einmal mehr die Namen der Edelgeschlechter, welche in grauer Vergangenheit auf diesen Burgen saßen, ausgenommen Schaumburg und Wolfstein. Nach der Schaumburg nennt sich ein Graf Heinrich, der in den Jahren 1150 bis 1160 häufig im Gefolge der bayerischen Pfalzgrafen aus Wittelsbachischem Stamme auftritt, und auf Wolfstein hauste seines Vaters Bruder Udalrich. Bald darauf erscheinen beide Burgen im Besitze der nunmehr zur Herzogswürde gelangten Wittelsbacher, und Wolfstein gewinnt den Vorrang vor der Nachbarburg, um diesen nach kurzem Zeitraume an die neue Gründung Herzog Ottos I., an Burg und Stadt Landshut zu verlieren. Zu je höherer Blüthe aber Landshut gedieh, desto mehr trat Wolfstein zurück, endlich, 1418, wurde dieses von Herzog Heinrich an Herrn Schweigker von Gundelfingen zu Leibgeding verliehen, und aus dem Jahre 1517 melden die Urkunden, daß Maurer und Zimmerleute „das Ueberzimmer und Ausladung um und um niedergelegt, desgleichen die Tächer abgebrochen“ haben, 6 Jahre später aber besteht dort bereits die „Tafern“, in welcher die Besucher heute noch labende Erquickung finden.

Zum Wirthshause ist die stolze herzogliche Burg herabgesunken; das ist das Schicksal der Mauern, in welchen die Wiege des letzten Hohenstaufen, des letzten Edelreises auf dem Stamme des glänzenden Kaisergeschlechtes, gestanden hatte! Denn hier war es, wo der unglückliche Konradin „am Montag den 25. März 1252 nachmittags zwischen 3 und 4 Uhr, aber näher der ersteren Stunde“, das Licht der Welt erblickte. So meldet gewissenhaft und genau eine Aufzeichnung aus gleicher Zeit von der Hand eines ghibellinischen Italieners, welche vor beiläufig dreißig Jahren zu Brüssel in einem alten Buche aufgefunden wurde. Durch diese Notiz ist dem Zwiste ein Ende gemacht worden, ob Regensburg oder Landshut oder andere Orte im Bayerlande die Ehre beanspruchen dürfen, die Geburtsstätte des ritterlichen Königssohnes zu sein, der fern von der Heimath zu Neapel unter dem Beile des Henkers verbluten mußte.

Wenig Glück lächelte dem Prinzen, auf den die stolzen Hoffnungen zweier Reiche gerichtet waren. Auf seinem Haupte ruhte niemals die segnende Hand des Vaters; denn als der heiß ersehnte Sohn geboren wurde, da focht Konrad IV. im fernen Süden für die Rechte der kaiserlichen Krone und seines Hauses. Nachdem Kaiser Friedrich II. die Augen geschlossen hatte, war König Konrad nach Italien geeilt (im Oktober 1251) und hatte seine Gemahlin Elisabeth, mit welcher er am 1. September 1246 auf der alten, nun auch in Trümmern liegenden Vohburg in Glanz und Schimmer Hochzeit gefeiert hatte, in der Obhut ihres Vaters zurückgelassen, des Herzogs Otto des Erlauchten. Mit welch’ sehnsüchtigem Verlangen mag die Fürstin ihre Blicke hinübergesandt haben zur blauduftigen Alpenkette, jenseit deren dem Könige das Auge brach, ohne daß es je den Sohn geschaut hätte! –

Die Burg Wolfstein liegt auf einer Bergnase, die sich von der Thalhöhe gegen die Sohle des Isarthales vorschiebt und mit steilgeböschten Wänden nach drei Seiten hin abfällt, während die Ostseite mit dem Lande zusammenhängt. Hier sicherten einst tiefe Gräben und eine hohe und starke Mantelmauer das Burginnere, da binnenwärts das Gelände bedeutend ansteigt und somit gegen eine dem Vertheidiger recht unbequeme Ueberhöhung Vorkehrung zu treffen war. Von den Gebäuden der eigentlichen Burg ist nichts mehr vorhanden. Ihren Umfang bezeichnen die jetzt vorhandenen Häuser: die „Taferne“ mit Stadel, Stall und Scheunen, welche im offenen Viereck den Burghof umschließen. Als die einzigen Ueberreste der vormaligen Herrlichkeit sind unter dem Wirthshause noch die alten in den Felsen gehauenen Keller vorhanden, darunter ein größerer, dessen Wölbung eine starke Säule stützt; sodann die auf den Felsenrand des Ufersteilhanges aufgesetzte, westwärts schauende Mauer von etwa 20 Metern Länge und fast 2 Metern Stärke, an und auf welcher das Wirthshaus steht und durch welche die Erdgeschoßfenster des letzteren wie Schießscharten durchgebrochen sind. An der Außenseite dieser Mauer hat der historische Verein des Kreises Niederbayern pietätvoll eine Marmortafel mit entsprechender Inschrift anbringen lassen.

Eine herrliche Rundsicht in das lachende Isarthal und weit hinaus in das Hügelland belohnt den Wanderer, der seinen Fuß auf die geschichtlich geweihte Stätte gesetzt hat. Ehe wir sie verlassen, erinnern wir uns noch daran, daß Wolfstein zur bräutlichen Morgengabe Kaiser Ludwigs des Bayern an seine zweite Gemahlin, Margaretha von Holland, gehörte, und daß dort in stiller Zurückgezogenheit Ludwigs Sohn, Otto V., Markgraf von Brandenburg, sein vielbewegtes Leben noch in schönster Manneskraft beschloß. Sein Name wurde einst mit vielem Tadel und starken Schmähungen überhäuft, aber mit Unrecht, denn der Fürst wurde das Opfer der Verhältnisse und hätte ein besseres Schicksal verdient. Hören wir seine Geschichte.

Nachdem Ludwig der Bayer den deutschen Kaiserthron bestiegen hatte, war ein Hauptziel seiner Politik die Gründung einer starken Hausmacht. Hierzu war er gezwungen, wenn er überhaupt die Krone in seinem Hause vererben wollte; allein er bewies keine politische Voraussicht und keine glückliche Hand beim Erwerb der Lande, die er für Wittelsbach gewann. Der Besitz Tirols, welches er durch die Vermählung seines Sohnes Ludwig mit Margaretha Maultasch an sein Haus gebracht hatte, war eine Lebensfrage für den Bestand des habsburgischen Gebietes, und darum ruhten die österreichischen Herzöge nicht eher, als bis das herrliche Bergland ihnen gehuldigt hatte; Holland, Seeland und Brandenburg waren durch zu große Entfernungen von den bayerischen Stammlanden getrennt, als daß sie anders denn in [524] Form von Sekundogenituren, d. h. Ausstattung für Nebenlinien, von den Wittelsbachern hätten behauptet werden können. In der That währte es nicht lange – und die Errungenschaften Ludwigs waren seinen Nachkommen wieder entwunden.

Die Mark Brandenburg entriß den Wittelsbachern der verschlagene Meister ränkevoller Diplomatenkunst, Kaiser Karl IV., der zu jedem Mittel griff, um das werthvolle Gut mit der Krone Böhmens zu vereinen, und den besten Bundesgenossen für die Durchführung seiner Pläne fand er an der Zwietracht, welche die bayerischen Fürsten spaltete. Kaiser Ludwig hatte drei erwachsene und drei unmündige Söhne hinterlassen, die durch Theilungen ihren Besitz zersplitterten, anstatt ihre Macht zu gemeinsamem Frommen einträchtig zusammenzuhalten. Im Verlaufe dieser Auseinandersetzungen kam die Mark Brandenburg durch den Vertrag von Luckau (1351) an das Brüderpaar Ludwig den Römer und Otto V., von denen der erstere ein Jüngling von 21, der letztere ein Knabe von 5 Jahren war. Gegen die Unerfahrenheit der beiden jugendlichen Prinzen hatte der Kaiser leichtes Spiel und er wußte die Zwistigkeiten, in welche sie Erbschafts halber mit ihren Brüdern, den oberbayerischen Herzögen, geriethen, mit solcher Schlauheit auszunutzen, daß sie sich als blinde Werkzeuge vollständig in seine Hand gaben. Das Meisterstück dieser Politik waren die Verabredungen auf dem Nürnberger Fürstentage (1363), welche Ludwig zugleich auch für seinen in Nürnberg gar nicht anwesenden Bruder Otto einging. Hier sicherten die Markgrafen gegen die Zusage kaiserlichen Schutzes für den Fall ihres Absterbens ohne männliche Nachkommenschaft den Söhnen des Kaisers und dessen Bruder Johann die Nachfolge in den Marken zu, und Otto wurde mit des Kaisers fünfjähriger Tochter Elisabeth verlobt.

Der Keller mit der Säule.   Auf Burg Wolfstein.

Das war ein arger Mißgriff Ludwigs, und deren ließ er sich noch eine ganze Reihe zu schulden kommen. Daß Otto ihm darin beistimmte und daß er nach Ludwigs kinderlosem Tode (1365) im Anfange die alten verderblichen Bahnen weiter wandelte, ist wohl erklärlich, denn an die Regierung und an die Sorge für das Wohl seiner Unterthanen war er nie gewöhnt worden und immer hatte er nur gehört, daß der Kaiser es gut mit ihm und seinem Bruder meine. Ottos widerstandslose Fügsamkeit ging sogar so weit, daß er die ihm bestimmte Braut Elisabeth gegen des Kaisers ältere Tochter Katharina umtauschen ließ, die an Jahren reifere Witwe Herzog Rudolfs von Oesterreich. Durch Abschluß dieser Heirath arbeitete er den schlauen Plänen des Kaisers unmittelbar in die Hände; denn diese Ehe Katharinas wurde ebenso wenig mit Kindern gesegnet wie ihre frühere, die Vereinbarungen des Nürnberger Vertrages mußten sonach zur Thatsache werden. – Und des Kaisers Rechnung war nicht falsch.

Nur in der Beurtheilung seines Schwiegersohnes irrte er sich. Endlich war dieser doch zur Erkenntniß seiner Lage gelangt, mit einer ungeahnten Thatkraft suchte er seine Selbständigkeit zu erringen: es kam sogar zum Kriege mit dem Kaiser, als dieser die Maske fallen ließ und Otto rundweg zur Uebergabe seiner Lande aufforderte. Obwohl der Waffengang nicht ungünstig für Otto ausfiel und dieser auch wieder Anschluß an seine bayerischen Verwandten gefunden hatte, behauptete doch die Politik des Kaisers das Feld: im Frieden von Fürstenwalde (15. August 1373) traten die Wittelsbacher die Mark Brandenburg an den Kaiser ab, allerdings gegen eine Geldentschädigung, welche für die damalige Zeit außerordentlich hoch zu nennen war. Somit hatte das Haus Luxemburg das wichtige Land erworben, nur die Rechte und der Titel eines Kurfürsten verblieben Otto auf Lebenszeit.

Weltüberdrüssig und menschenscheu nach so herben Erfahrungen und bitteren Schicksalen zog er sich auf die stille Burg Wolfstein zurück und suchte Zerstreuung in den Freuden des edlen Weidwerks, wozu die Wälder und Auen der Umgegend reiche Gelegenheit boten. Die aufgedrungene ungeliebte Gemahlin aber hatte sich von ihm getrennt und lebte an des kaiserlichen Vaters glänzendem Hofe im hundertthürmigen goldenen Prag. –

Vom Berge herab steigen wir zu Thal in die lachende Uferau und lenken noch einmal den Blick zurück zur Höhe, welche die altersgraue Burgmauer krönt, umrahmt von den breiten Massen prächtigen Waldes. Es ist ein herrliches Landschaftsbild – wie malerisch muß es gewesen sein, als die Thürme und Giebel der Burg noch hoch gen Himmel strebten!

Den gleichen Pfad, den wir verfolgen, ist auch Markgraf Otto oftmals gewandelt, den Jagdspieß auf der Schulter. Er eilte an eine lauschige Stätte zu Füßen der alten Straßburg. Daß dort oben auf der riesigen Fläche die auf den römischen Straßenkarten genannte Station Jovisura – ein vielumstrittener Zankapfel der gelehrten Forscher – vielleicht zu suchen ist, daß hier über die Isar die römische Heerstraße setzte, welche aus Noricum kam, den Innübergang bei Pons Oeni (Pfunzen bei Rosenheim) mit dem römischen Hauptwaffenplatz an der Donau, Castra Regina [525] (Regensburg), verband und der alten Feste den bedeutungsvollen Namen gab – darüber grübelte der Prinz sicherlich nicht nach; ihn zog des Herzens Verlangen zu der Mühle, die noch heute nach seiner Geliebten den Namen der „Gredlmühle“ trägt.

Die „Gredlmühle“.   Bei den alten Ulmen.

Diese ist ein Gehöfte im uralten Stile bajuwarischer Siedlungen; um den Hof gruppieren sich im offenen Vierecke die Gebäulichkeiten, auf der einen Seite das langgestreckte Wohnhaus mit Stall, auf zwei anderen Schupfe und Stadel. Auf steinernem, weiß getünchtem Sockel ist das Wohnhaus aus festen, durch die Stürme der Jahrhunderte dunkelbraun gebeizten Balken gezimmert. Zahlreiche Blumenstöcke, besonders blutrothe Nelken, an den niedrigen und kleinen, aber blitzblanken Fenstern verleihen dem schmucken Aeußern ein anheimelndes Gepräge. Schupfe und Stadel sind einfache Holzbauten, mit hoch ansteigenden steilen Strohdächern, deren dichte Moosschicht in weitentlegene Zeiten zurückreicht. Am Wege steht eine Reihe Ulmen mit dicken, starken Stämmen, aber leider mit gekappten Kronen; ob es noch dieselben Bäume sind, in deren Schatten der Sage nach die Mühle sich barg, als Herzog Otto sie so gern besuchte?

Damals als er, verlassen von der Gattin und vom Glücke, in die Heimath zurückkehrte und mit wenigen Getreuen Aufenthalt auf der schon längst vereinsamten Burg Wolfstein nahm, hauste in der Mühle ein ehrsamer Müller mit seinem rechtschaffenen Weibe und einer jugendlichen, in blühender Schönheit prangenden Tochter Margaretha oder „Gredl“, wie der Volksmund den Namen kürzt.

Wenn Gredl ihre Flechten löste, dann fielen, so heißt es, die goldbraunen Haare nieder bis über den Gürtel; wenn sie die Wimpern hob, leuchtete ihr Auge wie das Himmelsblau, und wenn die kirschrothen Lippen lachten, dann klang es aus ihrer Kehle wie silberner Glockenton.

An einem schwülen Hochsommertage war es, da kehrte der von der Anstrengung der Jagd und von des Tages Hitze ermüdete Fürst in der Mühle ein und begehrte eine Erfrischung. Des Müllers Töchterlein kredenzte ihm einen Trunk „gestandener Milch“ – und von Stund an kam der Markgraf öfter und öfter und schließlich alltäglich, bis er die Gredl auf die rothen Lippen küßte, um so nach manchem trüben Tag sich neuen Lebensmuth zu schöpfen. Die rechtmäßige Gemahlin war ihm gewissermaßen in betrügerischem Handel aufgenöthigt worden und sie hatte ihn verlassen, nachdem ihr Vater, der Urheber des schnöden Tausches, den Eidam schmählich um sein ererbtes Land gebracht hatte; am Herzen der schönen Müllerstochter fand der Vergrämte Trost für die Unbill, fand, was ihm bis dahin fremd gewesen war, das stille Glück selbstloser Liebe, in ihren Armen vergaß er der schweren Sorgen, mit denen der Kurhut von Brandenburg sein Haupt belastet hatte, vergaß er seiner Würden und der Händel im Heiligen römischen Reiche. Und als nach einigen glücklichen Jahren am 15. November 1379 das Herz des Fürsten stille stand, das nur für sie geschlagen hatte, da blieb Gredl trauernd unter dem väterlichen Dach zurück und die Wasser des Baches mischten sich mit den Thränen aus ihren rothgeweinten Augen. –

So verrann die letzte Welle eines weltgeschichtlichen Stromes an den Mauern der Burg Wolfstein und in der Idylle der Gredlmühle.