Xeres in Spanien
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„Um die Gluth der andalusischen Sonne zu vermeiden, war ich von Puerto Santa Maria in der Nacht aufgebrochen, und gedachte Xeres noch vor Tagesanbruch zu erreichen. Es war eine Nacht, wie arabische Dichter sie beschreiben. Am tiefblauen, wolkenfreien Himmelsgewölbe funkelten ungezählte Welten, und der Vollmond warf ein melancholisches Licht über die todtenstille Landschaft. Die tiefen, starren Schatten der Oelbäume, die den Weg zu beiden Seiten einfaßten, sprachen mich schauerlich-wehmüthig an, und wandernd in einer paradiesischen Gegend dachte ich mit träumerischer Sehnsucht an die nordische Heimath. Die vom Mondlicht gebleichte Ebene kam mir vor wie ein Schneefeld, die Baumpflanzungen, welche die weiße Ebene vergitterten, wie die breiten Trauerränder düsterer Kiefernwälder, und die am blauschwarzen Himmel hinziehenden weißen Wolkenschäfchen wie ungeheuere Schneeflocken, der erstarrte Winterathem der deutschen Erde. Ich träumte in die Knabenzeit zurück und genoß noch einmal die tolle Lust jener mondhellen Decemberabende, wo wir Schlitten fuhren vom Kirchhofbühel herab und uns um das höhere Grab des dicken Schulzen, als um den besten Abfahrtspunkt, balgten. – Schnell wechselt der Traum seine Bilder. Vom Grabhügel der Heimath schaukelte er mich auf die Eisgipfel der Sierra Neveda, um welche die Städte und Kirchhöfe und die Völkerschaften Spaniens umher in weitem Kreise liegen. O wie viel Jammer der Tiefe ging an meinem weitschauenden Auge vorüber! In den grünen Thälern sah ich Schlachtfelder blutroth blühen; ich sah die Würgengel flattern, wie scharfkralligte Vögel der Nacht, über verbrannte Dorfer; Städte sah ich in Schutt, und viele Gotteshäuser reckten feurige Arme gen Himmel. Aber der blickte mit seinen tausend Sternenaugen ruhig auf die wahnsinnigen Menschen und auf ihre thränenreiche, thörichte Selbstqual. Mit zartem Rosenroth umzog er seinen Osten und verkündigte den schönsten Tag.
Der Ruf meines Dieners: Dort ist Xeres! entrückte mich meinen Träumereien. Ich sahe auf, und in der Ferne, hinter Orangenhainen und Platanenwipfeln, blitzten in den ersten Strahlen der Morgensonne die Spitzen der Thürme.
Von der Anhöhe, auf der wir waren, bis zur Stadt, sind anderthalb Stunden. In dieser Entfernung sieht Xeres aus, als wäre es ein London, oder ein Constantinopel. Die erstaunliche Menge der nahen Klöster, Kirchen, Landhäuser etc., deren weiße Gebäude sich von dem dunkeln Hintergrunde vortrefflich abheben, schmelzen mit der Stadt zu einem Ganzen zusammen und geben ihr das Ansehen einer zwanzigfachen Größe. Xeres, voll prächtiger Gebäude, hat [28] etwa 30,000 Einwohner. Meilenweit ist es umgeben mit wellenden Rebenhügeln, von welchen die kleinen, weißen Winzerhäuschen blinken, und unmittelbar um die Stadt schlingt sich ein dichter Kranz von Orangenwäldchen, freundlichen Garten-Anlagen und schattigen Gängen.
Es gibt in der Regel nichts Schöneres, als der Fernblick spanischer Städte; aber oft auch nichts Elenderes, als deren Inneres. Xeres macht eine ehrende Ausnahme. Im großen spanischen Trauerhause liegt die freundliche, rührige Stadt, wie ein sonniges Erkerstübchen, das man schwarz auszuschlagen vergessen hatte. Die Schloßenwetter des Bürgerkriegs, welche so viele Provinzen verwüstet und das öffentliche Glück fast allwärts zerschlagen haben, sie gingen an diesen glücklichen Rebengeländen bisher spurlos vorüber. Freilich walten auch hier noch andere günstige Verhältnisse ganz eigenthümlicher Art. Xeres ist gewissermassen ein HORS D’OEUVRE, es ist der Sitz einer Colonie von Fremden, deren Einfluß auf den Charakter und den Sinn der spanischen Bevölkerung seit vielen Jahren wohlthätige Wirkungen äußert, und es hat in seinen Weinbergen eine unerschöpfliche Fundgrube des Erwerbs und des Reichthums. Die hiesigen Weine sind die edelsten Spaniens. Deren Gesammtausfuhr beträgt in gewöhnlichen Jahren 35,000 Stück, (davon gehen über 20,000 Stück nach England,) und ihr Werth übersteigt 2 Millionen Piaster.
Dies große Geschäft ist meistens in den Händen von Ausländern, welche sich, viele seit mehren Generationen, hier niederließen. Man trifft Engländer, Franzosen, Deutsche, Holländer und Nordamerikaner hier an, welche zum Theil sehr reiche und angesehene Häuser repräsentiren. Die Weinniederlagen gehören zu den Bauwundern Spaniens. Denke dir nicht etwa dunkle, unterirdische Keller, sondern ungeheuere, massive, kirchenähnliche Gebäude, deren Gewölbe von Säulenreihen getragen werden, zwischen welchen die vollen Fässer zu tausenden lagern. In diesen Gebäuden, die von allen Seiten mit Fenstern versehen sind, wird eine stete Luftcirculation mit Sorgfalt unterhalten. Dennoch ist die Ausdünstung für den Neuling überwältigend. Man hat Säle, in denen 80,000 Eimer Wein liegen! Am Rheine erzählt man sich vom Heidelberger Faß, und hört mit Staunen, daß es einmal voll Wein gewesen; – hier sieht man solche Riesenbehälter (MADRE, Mutterfässer genannt) in Menge, und angefüllt mit den hundertjährigen Erzeugnissen der edelsten Gewächse. Alle ältern Weine werden in so großen Fastagen gezogen, weil man die Erfahrung gemacht hat, daß sie sich in solchen zu einer vollkommneren Reife entwickeln. – Diese Mutterweine werden niemals in unvermischtem Zustande versendet; sie dienen vielmehr dazu, jüngeren Weinen die Blume und den Geschmack der ältern zu verleihen, und ein sehr mäßiger Zusatz reicht für diesen Zweck gewöhnlich aus.
Wenn aber die Preise es nicht zulassen, jene kostbaren Madre-Weine zum Verschneiden anzuwenden, dann bedient man sich dazu gekochter Weine, von denen immer große Vorräthe da sind. Es gehört schon ein feiner [29] Kenner dazu, die Vermischung zu entdecken. – Die leichten, trocknen Weine erhalten überdieß, bevor sie verschifft werden, stets einen Zusatz von Weingeist, und man will behaupten, daß sie sich ohne solchen gar nicht verfahren lassen.
Die besten Gewächse sind die von Pryerate und Amontillado. Letztere kommen nie ächt in’s Ausland. An Ort und Stelle wird die Flasche mit 20 Piaster und darüber bezahlt.