Zooplastik

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Autor: Guido Hammer
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Titel: Zooplastik
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aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 315–317
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Zooplastik.

Angeregt durch die Beschauung einer Abtheilung des zooplastischen Cabinets des Herrn Leven in Frankfurt a. M., die zur Zeit in Dresden aufgestellt ist, kann ich mir nicht versagen, eine der gelungensten Gruppen im Bilde wiederzugeben, und von meinem Standpunkte aus einige Bemerkungen über diese interessante Ausstellung beizufügen. Gleich beim Eintritte glaubt man sich in Wald und Gebirge versetzt. Felsen, Schluchten, düstere Tannen, Büsche, Schilf, Moos und Gräser umgeben uns, und dieser aus natürlichen Stoffen künstlich geschaffenen örtlichen und vegetabilischen Verschiedenheit entsprechen die mannichfachsten Gruppen von Thieren, welche mit so anatomisch wie künstlerisch feinem Verständniß ausgestopft sind, daß sie zu leben scheinen. Hier balzt der liebebrünstige Auerhahn im dürren Wipfel, dort schleicht der Biederschurke Reinecke an Schilf oder Busch umher, einmal mit Erfolg, eine Ente erwischend, ein andermal mit giftig lüsternem Blicke einem aufstehenden Fasan nachsehend, von dem er in zu kurzem Sprunge nur ein paar Schwanzfedern erobert hat. Aus düsterem Waldesdunkel äugt das alte Reh hervor, von seinen zwei Kälbchen vertraulich umspielt. Wieder anderswo ist „Lampe“ von Wiesel und Raubvögeln oder sonstigem Jagdgesindel, welches Geschmack an ihm findet, angegriffen, und habsüchtig schlägt sich das Raubzeug um das unglückliche Opfer.

Ferner gibt es vorstehende Hühnerhunde, bei denen man nicht einmal die fehlende wirkliche Bewegung vermißt, weil in solchen

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Ein Keiler von Wölfen angefallen. Zooplastische Gruppe von Leven.

[317] Momenten ohnehin der lebende wie angewurzelt erscheint. Man glaubt in dem wunderbar gelungenen künstlichen Auge die Gier und Lust zu lesen, mit welcher der Hund den Wind in die schnüffelnde Nase bekommt, und es bedarf eben keiner lebhaften Einbildungskraft, um die Ruthenspitze des jagdgewohnten Thieres sich leise regen zu sehen. Alle Momente sind dabei aufgefaßt; den einen reißt es ordentlich herum, als bekäme er eben den Wind von seitwärts; dort geht Nimrod oder Castor, oder wie er sonst im Leben geheißen haben mag, höchst vorsichtig vor, wie den Befehl seines Herrn zum Einspringen erwartend. Und wie duckt sich Huhn oder Fasan vor dem vierbeinigen Jäger, wenn es nicht eben im Begriff ist, aufzustehen und herauszustieben!

Doch gehen wir weiter und betrachten die am meisten in die Augen springende Partie, nämlich die mit den Gemsen. Sie stehen zerstreut, etwas zu zerstreut, ohne recht eine Gruppe zu bilden, auf einem etwa 20–30 Fuß hohen, aus Gebirgsblöcken künstlich aufgethürmten Felsen, auf dem sich noch anderes Alpengethier, wie Schnee- und Haselhühner, Alpenhasen, Adler etc. befinden. Wie schon angedeutet, ist diese umfangreichste Zusammenstellung vom künstlerischen Standpunkte aus die am wenigsten gelungene; auch in der Charakteristik der Gemsen ist Manches verfehlt, z. B. daß sie zu dünn- und langhälsig, wie überhaupt zu langgestreckt erscheinen. Unten, am Fuße des Felsens, finden wir die Fischotter, den Fuchs mit Raub, der überhaupt immer vortrefflich charakterisirt vertreten ist. Ebenso charakteristisch ist auch die Welt der Vögel, namentlich das Volk der Raubvögel im Streite um den Fraß dargestellt. Den Preis aber verdient, was künstlerische Anordnung und Lebendigkeit anbetrifft, entschieden die den Mittelpunkt des Cabinets bildende Gruppe: ein Keiler, der von Wölfen angefallen worden ist und von dem einen gedeckt[1] wird, während der andere geschlagen[2] unter ihm liegt, aber nichtsdestoweniger von hinten den borstigen Recken in die Hessen[3] packt. Das Schwein ist ein kostbares Exemplar und in seiner Situation meisterhaft zur Geltung gebracht.

Mit weitgeöffnetem Gebreche und zornfunkelndem Blicke ist es von seinen heißhungrigen Gegnern zum Stehen gebracht, denen es jedenfalls noch unterliegen wird; dennoch liegt noch der Ausdruck all des todesmuthigen Trotzes in dieser urkräftigen Thiergestalt. Ein echter Streiter, der sich selbst im letzten Augenblicke nicht ergibt! Wilder Grimm und befriedigte Beutegier spricht sich in den vortrefflich gehaltenen Köpfen der Wölfe aus, sodaß sich das volle Leben des harten Kampfes vergegenwärtigt. Ob es thatsächlich ist, daß der Wolf, wie hier, gleich einem gut dressirten Hatzhunde das Schwein gekreuzt am Gehöre packt, und nicht, wie fast alle Raubthiere, das Opfer beim Genicke zu fassen sucht, um es möglichst schnell für sich unschädlich zu machen, muß ich dahingestellt sein lassen, da ich nie Gelegenheit hatte, Wölfe in dieser Action zu beobachten.

Schließlich wenden wir uns zu einem Cyklus humoristisch dargestellter Gruppen. Hier sind die Thiere vermenschlicht aufgefaßt und in solcher Art mit Kleidungsstücken angethan, sodaß eigentlich nur die Köpfe in ihrer ursprünglichen Gestalt zu sehen sind. Diese zeichnen sich durch komische Physiognomie und drollige Charakteristik aus, sodaß sie nicht verfehlen, das Publicum höchlichst zu unterhalten. So sieht man z. B. den Heuchler Fuchs dem ehrbaren, aber bornirten Hühnervolke gegenüber, oder die giftige, falsche Katze als kartenschlagende Zigeunerin einem Paar backfischiger, junger Häschenmädchen Unglück prophezeiend, in derselben Weise Kakadu, Affe, Hase, Hund und andere Thiere auf das Ergötzlichste zu komischen Gestalten und Situationen benutzt. Aus dem Gesagten geht hervor, daß die Ausstellung nicht eine rein wissenschaftlich angeordnete Reihenfolge bestimmter Thiergattungen bietet, sondern daß ihr Hauptzweck ist, das Leben und Treiben eines Theils der Thierwelt mit lebendiger Anschaulichkeit vor das Auge zu führen. Menagerien und zoologische Gärten gewähren zwar oft willkommene Gelegenheit, alle diese Thiere – und noch mehr – lebend zu sehen, dennoch hat diese Sammlung lebloser, aber künstlerisch belebter Gebilde den großen Vortheil vor jenen voraus, daß sie die geheimsten, sowie die leidenschaftlichsten Scenen aus der organischen Natur kennen zu lernen gestattet, während das wirklich lebende Thier sich im gefangenen Zustande selten in seiner ganzen Eigenthümlichkeit zeigt.

Knüpfen wir hieran den Wunsch, daß möglichst alle zoologischen Museen in dieser Art reformirt werden möchten, wenn es sich vorläufig auch nur auf das Neuhinzukommende erstrecken sollte. Dann erst würden die Museen als wirkliche Bildungsanstalten zu betrachten sein, die nicht nur das systematisch Wissenschaftliche zu fördern, sondern in’s volle Leben eingreifend zugleich den Schönheitssinn zu erwecken im Stande wären. Wie oft hat man früher Löwen und Tiger ausgestopft gesehen, die eher langgestreckten Sophas mit einer Art von Gesicht vorn und einem Schwanz hinten glichen, als edeln Thierkörpern; oder Bäre, die man befugt war, für Fußsäcke zu nehmen! Habe ich doch selbst einmal von dem Conservator eines Museums, als er gerade einen Hirsch ausstopfte, dessen Haut er zu einer nudelartigen Länge ausgedehnt hatte, die Versicherung erhalten, daß er von dem Princip ausgehe, in ein Fell so viel, als es zu fassen vermöge, hineinzustopfen, was bei einer präparirten, angefeuchteten und deshalb dehnbaren Haut allerdings etwas sagen will.

Mögen mir meine geneigten Leser diesen Excurs in das scheinbar Lebendige zu Gute halten. Später treffen wir schon wieder unter dem wirklich Lebenden am Waldsee zusammen.

Guido Hammer.




  1. Gedeckt: so gehalten, daß das Schwein zum Stehen gebracht wird.
  2. Geschlagen: verwundet.
  3. Hessen: Fersensehnen.