Zu Fuß um die Erde/Auf den Trümmern von Kutschan

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Autor: Konstantin von Rengarten
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Titel: Zu Fuß um die Erde. Auf den Trümmern von Kutschan
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aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 767–770
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Besuch des Autors in Ghutschan (Persien), das nach zwei verheerenden Erdbeben völlig zerstört ist
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[767]

Zu Fuß um die Erde.

Von K. von Rengarten.[1]
Auf den Trümmern von Kutschan.

Durch Persien führte mein Weg; es war im „wunderschönen“ Monat Mai, da ich, von Dorf zu Dorf wandernd, über den Gebirgsrücken des Aladagh dahinzog. Die trostlose Kewirsche Salzwüste lag längst hinter mir und schon seit mehreren Tagen hatte ich Gelegenheit, mich des frischen Grüns zu erfreuen, in dem die Landschaft um mich her prangte. Wälder gab es freilich hier wie auch sonst in Persien nicht, aber die Fülle herrlicher Blumen, die Menge üppiger Felder und Wiesen um mich her gewährten ein so heiteres Bild, daß es mir kaum glaubhaft erschien, in kürzester Zeit den schrecklichsten Anblick meines Lebens vor Augen haben zu sollen. Das vorläufige Ziel meiner Wanderung war ja Kutschan, die feste Stadt in der persischen Provinz Chorassan, die einst an 20000 Einwohner gezählt hatte und über die kurz vor meiner Ankunft schlimme Schicksalsschläge, Erdbeben und Aufruhr, ergangen waren.

Gleich hinter Sawsewar hatte der Weg begonnen, steil in das Gebirge emporzustreben, und schon nach einem halben Tagemarsch befand ich mich in einer Höhe von etwa 1600 Metern über dem Meeresspiegel. Gottlob: da oben wehten frischere Lüfte; noch vor kurzem hatte ich die Glut von +40° R. erdulden müssen, heißen Tagen waren schwüle Nächte gefolgt; hier waren zwar die Tage gleichfalls heiß, aber die Nächte erquickend kühl.

Von dem höher gelegenen Dorfe Gala-Plow erblickte ich endlich Kutschan – ich schaute in ein weites Thal hinab, in dem sich ein langer grüner Streifen ausdehnte. Näher kommend, erkenne ich in ihm rechts herrliche von Obstbäumen und Pappeln bestandene Gärten, links aber ganze mit Weinreben bepflanzte Felder. Dazwischen leuchten in der Mitte weiße Punkte hervor. Noch ein kleiner Marsch und klarer werden die Einzelheiten des Landschaftsbildes; die weißen Punkte werden zu Zelten; die Bäume treten auseinander und der Blick fällt auf die Trümmer von 8000 menschlichen Behausungen, die nicht etwa emporragende Ruinen, sondern einen wirr durcheinander geworfenen Haufen von Ziegeln und Lehmblöcken bilden. Kein Haus ist hier stehen geblieben! Die Sonne leuchtet vom wolkenlosen Himmel nieder; durch die Sohlen der Stiefel merkt man, wie heiß der Boden ist, es darf daher nicht wunder nehmen, wenn in den Tagesstunden stets ein Leichengeruch über Kutschan schwebt, denn unter jenen Trümmern schlafen ja noch heute Tausende von erschlagenen oder verhungerten Männern, Weibern und Kindern dem jüngsten Tage entgegen.

Vor der ersten am 17. November 1893 erfolgten Katastrophe besaß Kutschan 8000 Wohnhäuser, eine über 500 Jahre alte Moschee, in welcher der als heilig geltende Sultan Ibrahim oder Imam Sädä, der Sohn des Meschheder Heiligen Imam Mirsa, beigesetzt ist, 4 große Karawanseraien, eine Mädrässé (Schule zur Ausbildung von Priestern), eine Menge großer Badehäuser und einen Bazar, der vier- bis fünfhundert Magazine in sich barg. Die Einwohnerzahl betrug etwa 22000 Personen und an jenem Tage sollen 8000 Fremde dort geweilt haben.

Ich war im Zelte eines ansässigen Armeniers abgestiegen, zu dem ich freundlichst durch seine Landsleute in Sawsewar und Teheran empfohlen wurde. Er hatte beide Katastrophen überlebt, nach der zweiten war er jedoch in wenigen Tagen vollständig ergraut. Er erzählte Folgendes:

Nachdem es längere Zeit hinter einander leichte Erdstöße gegeben hatte, begab er sich, an ähnliche Erscheinungen gewöhnt, [768] am Abend des 17. November in eine der Karawanseraien, wo Baumwolle untergebracht war, und als er dort Anordnungen getroffen hatte, trat er zur Thür hinaus. Es war ein rauher Herbsttag. Kaum einige Sekunden im Freien, hört er plötzlich ein aus dem Erdboden kommendes furchtbares Dröhnen; dann beginnt der Boden unter seinen Füßen wie ein sturmbewegtes Meer zu schwanken; unter einem furchtbaren Krachen und Prasseln hüllen ihn dunkle Staubwolken ein, und von einer unbeschreiblichen Furcht gepeinigt, stürzt er blindlings vorwärts, hinter sich das markerschütternde Schreien und Heulen Tausender von Menschen vernehmend. Als er zu sich kam, sah er nur noch die 180 Fuß hohe Moschee, die Schule, eine besonders fest gebaute Badestube und wenige Wohnhäuser über den Trümmern emporragen; die Karawanserai, wo er noch eben geweilt, und alles übrige war dem Erdboden gleichgemacht, verschwunden – versunken! Was mein Gewährsmann empfand, als das Schreien halb von Trümmern Begrabener, das Weinen der ihre Lieben suchenden Eltern und Waisen die ganze Nacht fortwährte und dazu noch bei kaltem Winde ein von Schnee untermischter Regen fiel, es spottet jeder Beschreibung. Wochenlang danach fürchtete er die Augen zum Schlafe zu schließen, denn seine überreizten Sinne zauberten ihm die miterlebten Eindrücke mit einer Lebhaftigkeit vor, die ihn befürchten ließ, den Verstand zu verlieren. – –

Doch wie alle Wunden heilen, so gab es auch hier ein teilweises Vergessen. Die Thränen versiegten unter den Verpflichtungen, die der rauhe Winter den 7000 Ueberlebenden auferlegte – es galt, sich zunächst neue Heimstätten zu gründen.

[769] Aus dem nahen Rußland, d. h. aus Ashabad trafen sofort unter Führung von Aerzten und Ingenieuren Sanitätskolonnen ein, die für Linderung körperlicher Leiden Sorge trugen. Etwas aber, doch nicht durch die Schuld des nördlichen Nachbars, unterblieb, und zwar die Rettung der lebendig Begrabenen!

Die am zweiten Tage nach der Katastrophe angelangten russischen Herren stellten dem Gouverneur das Anerbieten, sofort aus Ashabad Kavallerie zu beordern, um Nachgrabungen vorzunehmen, doch wurden sie abschlägig beschieden, denn, wie es hieß, sei aus Meschhed Hilfe unterwegs. Und wirklich trafen nach drei (!) Tagen hundert Reiter von dort unter Führung eines Bevollmächtigten des Schah ein.

Was nun folgt, klingt so unglaublich, daß ich es gewiß in diesen Bericht nicht aufnähme, wenn ich darüber nicht von sehr zuverlässiger Seite Mitteilung erhalten hätte, namentlich aber, wenn ich nicht dem meine eigenen Beobachtungen zur Seite stellen könnte. Die Regierung bestrafte nämlich den Gouverneur, des geschehenen Unglücks wegen, mit 20000 Tuman (etwa 70000 Mark), die nachher vom Volke der ganzen Provinz beigetrieben wurden.

Die hundert aus Meschhed angelangten Reiter hatten somit nichts weiter zu bedeuten, als daß sie die Forderung der Regierung wirksam unterstützen sollten, und nachdem sie auf Rechnung des Haakim (Gouverneurs) gut verpflegt worden waren, zogen sie davon. Die unter der Erde Gebetteten blieben ihrem Schicksal überlassen.

Das war die erste im Jahre 1893 hereingebrochene Heimsuchung, von welcher das Volk sich jedoch scheinbar rasch erholte, denn trotzdem in der Zwischenzeit, bis zum 17. Januar 1895, täglich [770] Erdstöße (mitunter sogar fünfmal am Tage) empfunden wurden, wuchsen doch die kleinen Lehmhäuschen der Uebriggebliebenen rasch aus den Trümmern empor und die zweite Katastrophe fand neue Opfer, im ganzen abermals 3000 Personen ein Massengrab bereitend.

Mein Kutschaner Gewährsmann hatte eine Tekinen-Kibitke (Zelt aus schwarzem Filz), in der auch ich dann bei ihm lebte, erworben, als wiederum an einem rauhen Wintertage jenes nunmehr zwei volle Minuten währende Rollen im Erdinnern ertönte, dann ein heftiges Schwanken ihn zu Boden warf und unter den Trümmern aller im Zelte befindlichen Gegenstände begrub. Er behauptete, daß es ihm ganz unbegreiflich scheine, wie die Erdoberfläche nicht auseinandergeborsten sei und alles verschlungen habe, so furchtbar heftig seien die Stöße gewesen. An mehreren Stellen hatte die Erde zollbreite Risse davongetragen, die unter einer Erdschicht zum Winter gebetteten Weinreben wurden vielfach, als hätte man an ihnen herumgezerrt, von ihrer schützenden Hülle befreit. Hierbei geriet die Stadt in einen Zustand, wie ich ihn bei meinem am 20. Mai erfolgten Einmarsch antraf, d. h. nicht das kleinste Wohnhaus war stehen geblieben. In der vorerwähnten Badestube wurden mehrere hundert Frauen begraben, da der Donnerstag ja derjenige Tag ist, wo alle Mohammedaner sich zum kommenden Freitag einer sorgfältigen Säuberung hinzugeben pflegen. Hinter den Staubwolken war während einer halben Stunde die Sonne nicht sichtbar und selbst die uralte Moschee, die schon mehr als einen jener Schreckenstage überdauert hatte, war eingestürzt, alles unter ihren Trümmern begrabend. Vom Eindruck, den dieser Tag auf die Einwohnerschaft hervorgebracht haben mag, konnte ich mich selbst überzeugen, da mir aller Orten Personen begegneten, die aus ihren Zügen deutliche Spuren einer hart an Wahnsinn grenzenden Geisteszerrüttung erkennen ließen.

Rührend ist es, wie sehr der Mensch doch an der heimatlichen Scholle klebt. Als ich am 21. Mai früh, noch bevor ich der Einladung des Gouverneurs Folge leistete, durch die Stadt, oder besser gesagt über die Trümmer derselben hinweg, einen Spaziergang unternahm, konnte ich meines Erstaunens nicht Herr werden, als ich die aller Orten vereinzelt dastehenden Zelte und kleinen Lehmhöhlen genau auf derselben Stelle (wie mein Begleiter mich unterrichtete) stehen sah, wo in 14 Monaten zweimal das ganze Glück der Leute vernichtet worden war. Nicht das Bestreben, möglichst dicht bei einander zu wohnen, gab hierzu Anlaß, sondern die Macht der Gewohnheit hatte über die Furcht vor einer neuen Heimsuchung gesiegt.

Wir begannen unsere Wanderung von der Nordseite der Stadt und befanden uns alsbald auf einem freien Platz, der einst zur linken Hand von einer großen Karawanserei, dem Telegraphen-, Zoll- und Posthause eingerahmt war. Genau auf derselben Stelle, wo früher die Dscharwadaren (Kameel- und Eseltreiber) ihre Nachtherberge gefunden hatten, kampierten sie jetzt auf den Trümmern jenes Gebäudes und auch die Zelte der drei vorerwähnten Verkehrsämter waren an ihrem früheren Orte errichtet. Ihnen gegenüber lag die angeblich 25–30 Fuß dicke Stadtmauer zertrümmert danieder.

Als wir über sie hinweggeklettert waren, fielen mir zunächst die Nachbleibsel der altehrwürdigen Moschee in die Augen, über denen eine blaue mit einem Dreizack versehene Fahne wehte. Das Grab des Heiligen war vom Schutt befreit und mit einem Holzgerüst und Vorhängen, statt der früher die ganze Moschee umgebenden eisernen Kette, versehen, wodurch der Zutritt Ungläubiger von ihm abgewehrt werden sollte.

Auch der Bazar, aus kleinen Bretterhütten bestehend, war genau auf derselben Stelle errichtet wie früher, und auf den Gräbern ihrer Angehörigen saßen jetzt die Leute, bestrebt, die wahrhaft traurigen Reste früherer Warenvorräte in Brot umzusetzen.

Wenn ich bei diesem Gange das Gefühl hatte, daß ich nie im Leben die dabei empfangenen Eindrücke vergessen werde, so werde ich mich kaum geirrt haben, denn schon das Heer jener Bettler, die uns den Durchgang verwehrten, bot Typen, wie ich sie nicht mehr anzutreffen hoffe. Gott gebe es!

Die Erdstöße, wenngleich sehr schwach, dauerten noch fort, und als ich in Kutschan anlangte, waren auch die Spuren des blutig verlaufenen Volksaufstandes allenthalben noch wahrzunehmen.

Auf jenen Bubenstreich, demzufolge das Volk mit obenbenannter Steuer belegt wurde, folgte ein ganzes Heer von Intriguen, wie sie wohl nur Persien zu zeitigen vermag. Es ist wahr, daß die Provinz verhältnismäßig eine bemerkenswerte Fülle an Getreide, Baumwolle, Früchten, namentlich Rosinen, hervorbringt, der Zeitpunkt jedoch für eine Erhöhung der Abgaben wurde so falsch gewählt wie nur möglich, da doch die Gouvernementsstadt oder mit ihr der Kern der Bevölkerung für Jahrzehnte hinaus vernichtet oder ruiniert war. Ungeachtet dessen begannen allerhand Persönlichkeiten den im Volke sehr beliebten Haakim des Chanats Kutschan, der den Namen Mammed-Nassir-Chan-Sudsha-ud-Dolé führte, zu überbieten. Letzterer zahlte dem Schah einen jährlichen Tribut von 350000 Kran (1 Kran = 30 bis 35 Pfennig), wogegen dessen Gehilfe Ramasan-Chan-Sartip-Chan sich anheischig machte, bei Abtretung des Gouverneurpostens an ihn 700000 Kran zu zahlen. Die Provinz wurde ihm unverzüglich zugesprochen und sein Vorgänger entlassen!

Um nur einige der Machtvollkommenheiten eines persischen Haakim zu nennen, so sei erwähnt, daß er über Leben und Tod seiner Unterthanen verfügt, wobei in den meisten Fällen Geld an Stelle der gerichtlichen Strafe tritt; dann steht ihm das Recht zu, eine zu schließende Ehe zu sistieren, wenn von beiden Seiten für ihn nichts abfällt, bei Civilprozessen erhält er stets 10% der strittigen Summe etc. Ich glaube, daß aus Gesagtem hervorgeht, welch’ einem Schicksale eine Provinz verfällt, wenn sie in unrechte Hände gerät; es giebt aber leider in Persien nur solche.

Der im höchsten Grade unpopuläre Ramasan-Chan wurde also Gouverneur von Kutschan und nahm sich zum Gehilfen den ehemaligen Sekretär seines Vorgängers, Namens Mustopi-Mirsa-Najara-Kuli, dem dieser einer Unredlichkeit wegen die Fingerspitzen der rechten Hand hatte abhauen lassen. Das würdige Paar begann auch sofort seine Thätigkeit, die jedoch nicht lange währte.

Am 28. April d. J. versammelten sich nämlich vor der Kibitke des Machthabers etwa 500 Einwohner und verlangten eine sofortige Herstellung des früheren Pacht-, bezw. Steuerverhältnisses. Der Gouverneur, der sich seiner vermeintlichen Macht bewußt zu sein schien, ordnete den Worten eines zu seiner Suite gehörenden Kaukasiers Dschafar-Beck zufolge an, seine ganze Suite möge sich entfernen, und begann mit den Aufrührern zu unterhandeln, was jedoch nur dazu führte, daß schon in kürzester Zeit ein lauter Hilferuf an das Ohr seiner Leute drang. Als diese herbeieilten, war das Zelt demoliert und unter demselben lagen, durch Dolchstiche, Steine und Stockhiebe umgebracht, der Gouverneur und sein Sekretär, der genannte Mustopi-Mirsa-Najara-Kuli. Die Aufständischen flüchteten in die nächstgelegenen Dörfer und Gebirge.

In den folgenden Tagen war die Stadt wie ausgestorben. Die Rache des unmittelbar darauf bei gleicher Tributpflichtigkeit (d. h. 700000 Kran) eingesetzten Chan-Baba-Chan, der sich nach seiner Bestätigung zum Gouverneur Mirsa-Farath-Soltana nennt, fürchtend, hatten alle Kaufleute ihre Buden geschlossen, was um so geratener erschien, als der neue Machthaber ein gerichtliches Verfahren sofort als zu umständlich verwarf und seinen Untergebenen befahl, jeden der Auflehnung Verdächtigen niederzumachen.

Ich selbst wurde unfreiwilliger Zeuge einer dieser Gewaltthaten, als ich dem Gouverneur einen Abschiedsbesuch machte. Ich näherte mich gerade dem Zelte desselben, neben ihm stand Mamad-Chan, der 18jährige Sohn des erschlagenen Ramasan-Chan, als von der andern Seite ein in Ketten geschmiedeter Arrestant herangeführt wurde, der angeblich mit einem Dolch bewaffnet an der Ermordung Ramasan-Chans beteiligt gewesen sein sollte.

Wenn doch der Mensch bei unerwartet eintretenden schrecklichen Momenten nicht durch eine über ihn kommende Starre, sei es auch nur für Sekunden, am Handeln behindert würde! Noch heute kann ich mich des Vorwurfs nicht erwehren, einem Morde, ohne rechtzeitig einzugreifen, beigewohnt zu haben. Kaum erblickte nämlich der junge Mamad-Chan den Arrestanten, so zog er seinen Dolch und stürzte auf ihn los, ihm die Schneide zweimal tief in den Leib stoßend. Ehe ich noch hinzueilen konnte, hatte er den Unglücklichen förmlich in Fetzen zerschnitten. Der Gouverneur wohnte diesem Henkerwerk mit den Worten „heili hub“ (sehr gut) bei, und mir lachend zunickend fügte er hinzu, daß noch hundert Einwohnern der Stadt etwas Aehnliches bevorstehe. Ich hatte genug, und ohne mich zu verabschieden eilte ich, den Revolver in der Hand, nach der Wohnung meines armenischen Gastgebers, wo ich erst bemerkte, daß meine ganze linke Seite mit Blut bespritzt war.

Am andern Morgen ganz früh brach ich, das Herz voller Ingrimm gegen den Schah und seine schändlichen Helfershelfer, auf, und schon nach zwei weiteren Tagen überschritt ich die russische Grenze bei Haudan.



  1. Vergl. „Gartenlaube“ S. 298 des laufenden Jahrgangs.