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Zu J. G. Fischers fünfundsiebzigstem Geburtstag

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Titel: Zu J. G. Fischers fünfundsiebzigstem Geburtstag
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 739–740
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[739] Zu J. G. Fischers fünfundsiebzigstem Geburtstag. Es sind jetzt einunddreißig Jahre her, da erschien in der „Gartenlaube“ ein Gedicht, das einen tiefen Eindruck hervorrief im ganzen deutschen Volke. Es war jener elementare Nothschrei aus Deutschlands Zerfahrenheit heraus, jenes stürmische Stoßgebet aus dem Herzen eines glühenden Vaterlandsfreundes: „Nur einen Mann aus Millionen!“, das seitdem so oft als ein historisches Stimmungsbild citirt wurde und – was noch besser ist – das seitdem so herrliche Erfüllung gefunden hat. Der Dichter hieß Johann Georg Fischer und war ein Schwabe, kein Jüngling mehr, sondern ein reifer Mann, auch als Dichter nicht unbekannt, sondern bereits durch eine Gedichtsammlung in litterarischen Kreisen vortheilhaft eingeführt – den breiten Massen unseres Volkes aber ist sein Name wohl erst durch jenen Sturmgesang bekannt geworden.

Und das deutsche Volk hat J. G. Fischer nicht mehr vergessen. Manch feierlicher Festesklang ist im Wandel der Jahre von seiner Harfe gerauscht, manch zartes, sinniges Lied, manch gedankenvolle Betrachtung hat ihm seine Muse geschenkt. Und wenn auch seine Dramen auf den Bühnen nicht häufig erschienen, so haben sie doch die Leser durch idealen Gehalt und edles Pathos der Sprache begeistert. So blieb er eine vertraute Gestalt für alle diejenigen, welchen der Sinn für die köstlichen Gaben der Poesie im Drange des ernüchternden Tagesringens nicht verloren gegangen ist, eine vertraute Gestalt auch den Lesern der „Gartenlaube“, welche manche seiner Schöpfungen zuerst genießen durften.

Am 26. Oktober feiert nun J. G. Fischer seinen fünfundsiebzigsten Geburtstag. Sollte da die „Gartenlaube“ unter der Schar der Glückwünschenden fehlen?

Zu den bewundernswerthesten Eigenschaften unseres Dichters gehört die jugendliche Frische und unverkümmerte Schöpferkraft, welche er sich bis über die Schwelle des Greisenalters hinaus bewahrt hat. Fast übermüthig sang er noch an seinem siebzigsten Geburtstage:

„Redet mir nicht von siebzig Jahren,
Redet mir nicht von Kräftesparen;
Der eine verthut’s und hat’s doch immer,
Der andere spart’s und gebraucht’s doch nimmer.
Hab’ ich die siebzig nun erklommen,
Und Gott erhält mir in alten Gnaden
Die Lust an seiner Wälder Pfaden,
Den fröhlichen Blick zwischen Licht und Wahn,
Und liebe Menschen zugethan,
Wohlan, so mögen auch achtzig kommen!“

Und wahrhaftig, wer den etwas schmalgebauten, aber immer noch aufrechten und hellen Auges in die Welt blickenden Mann durch die Straßen Stuttgarts wandeln sieht, wer sich in seine letzte, vor kurzem erschienene Gedichtsammlung „Auf dem Heimweg“ vertieft, der wird diese Prophezeiung nicht zu kühn finden.

Wohl hat Fischer vor nunmehr sechs Jahren sich veranlaßt gesehen, die Last seines Lehramts für Geschichte und Litteratur an der Oberrealanstalt zu Stuttgart auf jüngere Schultern zu übertragen, wohl hat der Tod der heißgeliebten Gattin, welche vor Jahresfrist von seiner Seite gerissen wurde, einen schmerzlichen Schatten auf seinen Lebensabend geworfen, aber mit der Spannkraft einer von innen heraus durchaus gesunden Natur hat er die Schmerzen und Widrigkeiten überwunden und in seinem Dichten sich frei gemacht von dieser Erde Druck, sich selbst des Trostes Lieder zugesungen. So steht heute, an dem Tage, da er das dritte Vierteljahrhundert vollendet, J. G. Fischer vor uns als das Ideal eines zu ruhiger Klarheit durchgedrungenen Menschengeistes, vor dem der Gang des Erdenlebens liegt wie der Kreislauf eines Tages.

Mögen aus der letzten Sammlung seiner Gedichte noch die folgenden Verse hier Platz finden, welche diesem Gedanken einen so ergreifend schönen Ausdruck verleihen:


 Ein Tag.
 Frühmorgens.

Die dunkle Nachtgestalt entweicht,
Wie wird’s am Himmel hell und leicht!
Die Sonne tritt an meine Wand,
Noch deck’ ich’s zu mit einer Hand.

Noch ist’s ein Punkt – nun werden’s viel,
Du schönes, wunderschönes Spiel!
Bald ist von Glanz die Kammer voll,
Wie deine Seele werden soll,

Wenn erst ein Hauch im Herzen quillt
Und dann in Fülle überschwillt,
Bis alle Welt umher verschönt
Von Einem Lobgesange tönt.

[740]

  Am hohen Mittag.
Er breitet seine vollsten Schwingen,
So hat die Sonne es gewollt,
Ihn freut, wie seine Adler dringen
Durch des erwärmten Aethers Gold.

Man fühlt des Lebens Quellen fließen
So nahe und so himmelweit,
Man hört die Stunden leise gießen
Die Tropfen in das Meer der Zeit:

Es fluthet wie für Ewigkeiten
Dahin, was der erfüllte Tag
Bis an der Ufer fernste Weiten
Verströmen und umfassen mag.

Des Weges aber zieht ein Wandrer,
Die Stirn mit Wunderlicht umsäumt,
Der, schon in dieser Welt ein andrer,
Von einer neuen Erde träumt.

  Gute Nacht.
Die letzten Sonnenstreifen schweben
An meiner Hütte gleitend ab,
So sinkt ein Tag, so sinkt ein Leben
und alles, was die Sonne gab.

O wärt ihr theuren festzuhalten,
Doch eure Neige schon zerfloß,
Gewohnte süße Lichtgestalten,
Wie sich das liebste Auge schloß.

Nun schwandet ihr, es ist geschehen,
Und wie der letzte Dämmer schied,
So wirst du selber niedergehen,
Du meine Seele, du mein Lied.