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Zu den Erinnerungen des heiligen Krieges

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Titel: Zu den Erinnerungen des heiligen Krieges
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aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 259–260
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[259] Zu den Erinnerungen des heiligen Krieges bringen wir heute nachfolgende Stelle aus einem am 20. October 1870 geschriebenen Briefe, welchen der Verfasser, Lorenz, zugleich mit der sodann vom Maler Sundblad trefflich ausgeführten Skizze uns seiner Zeit zugeschickt hat. Es heißt dort:

„Sie ahnen wohl kaum, an welcher heiligen Stätte ich in spätester Abendstunde diese Zeilen schreibe! Auf den Stufen eines Altars, im Angesicht einer Kanzel, beim Schimmer düster brennender Altarkerzen, kurz, mitten in einer Kirche, deren Wölbung tagüber vom profanen Treiben der deutschen Soldateska widerhallt, und deren weite Räume, statt vom mystischen Weihrauch der Messe, vom Cigarrenrauch und Pfeifenqualm feindlicher Einquartierung erfüllt sind. Ich zweifle nicht, daß manchen Ihrer Leser bei dieser Schilderung ein gelindes Entsetzen erfaßt, wenn er nicht schon beim Anschauen meiner Skizze genug gehabt hat, die ich heute Nachmittag treu nach dem Leben aufgenommen habe, und die mein lieber Freund Sundblad gewiß recht hübsch und sauber für Sie ausführen wird.

Nachdem wir zehn Tage lang im Dorfe Villepinte in der Reserve gestanden sind – so langweilig, daß man seine Zeit nur zwischen Exerciren und Scatspielen zu vertheilen vermochte – stehen wir heute im Dorfe Sevran wieder auf Vorposten, unmittelbar vor Paris, dessen ausgehungerte Einwohner zu Hunderten herauskommen, Kartoffeln auszugraben und dabei auf beste Weise durch unsere Linien zu brechen. Sie wieder nach Paris zurückzutreiben ist für’s Erste unser Zweck.

Dabei sind wir aber auch in unserer Kirche ganz gut aufgehoben, und wenn die Herbstsonne nicht allzu früh ihren Dienst versagt, so werden wir uns auch in den Chorstühlen noch ganz erträglich warm halten können. Ob wir die Kirche mit Militär belegen sollten oder nicht, darüber blieb uns keine Zeit zum Besinnen, da wir bei unserer Ankunft das ganze Dorf von oben bis unten und vom Keller bis zum Dach schon voll Soldaten fanden. Dableiben aber mußten wir, und so übertrat denn unser unheiliger, staubbedeckter Fuß die Schwelle des heiligen Hauses, dessen Inneres bald mehr einer, freilich nur sehr provisorisch eingerichteten Caserne glich, denn einem Tempel des Friedens. Uebrigens waren Pfarrer und Meßner schon lange geflohen; der unmittelbare Anblick unseres heidnischen Gräuels blieb ihnen also erspart.

[260] Es war wirklich zum Verwundern, wie rasch sich Jeder zurecht und das Plätzchen herausfand, das ihm am behaglichsten dünkte. Auf und am Hauptaltar wurde sofort Brod, Kaffee, Erbswurst für unsere Corporalschaft ausgepackt und durch den Führer von den Stufen herab mit Stentorstimme an die hungernden Mannen vertheilt. Gegenüber hatten auf Bündeln Stroh unter einem an der Säule hochragenden Crucifix sofort unsere eifrigsten Scatspieler Platz genommen, und um den Taufstein drängte sich Einer um den Andern, Hals und Kopf den nicht ganz zu umgehenden Geboten der Reinlichkeit zu unterziehen, und weit im Umkreis die Steinplatten mit dem unsauberen Naß beplätschernd. Oben auf der Kanzel aber hatte der Lustigste von Allen Platz genommen, der in Leipzig wohlbekannte Studiosus M. aus R. Er war fast zuletzt gekommen, da Gänge und Stühle schon alle besetzt waren. Sein Blick fiel auf die Kanzel.

„Halt,“ rief er lachend, „nun kann ich meiner Mutter doch noch einen alten Wunsch erfüllen. Sie wollte ihren Sohn immer auf der Kanzel sehen. Ich widersetzte mich, ich schwur, nie eine Kanzel zu betreten, ich wollte Medicin studiren. So geschah es auch. Aber heut’ will ich meinen Schwur brechen, heut’ will ich die Kanzel betreten; schade nur, daß es mein altes Mütterchen nicht sehen kann.“

Sprach’s und eilte, unter dem Jubel der Cameraden, die Wendeltreppe hinauf; wie er aber oben mit Helm und Bajonnet erschien, ertönte plötzlich ein voller stolzer Klang durch die Kirche – ein Anderer hatte den Weg zur Orgel gefunden, ein Blasebalgtreter hatte sich auch gleich herangemacht, und nun brausten die mächtigen Töne herunter in das Schiff der Kirche, und alle die kräftigen Stimmen fielen in die wohlbekannte Melodie mit ein und aus wohl über hundert Kehlen scholl es: „Fest steht und treu die Wacht am Rhein.“ Studiosus M. aber, dem offenbar nicht entging, daß er zur Zeit nicht die wünschenswerthe Aufmerksamkeit für die von ihm beabsichtigte Predigt finden werde, verlegte sich auf eine praktischere Beschäftigung, und klopfte sich, die Cigarre zwischen den rothbebarteten Lippen, die staubigen Hosen aus, selbstverständlich nicht am Leibe.

Durch das Fenster aber fiel der volle Strahl der Nachmittagssonne und beleuchtete die in ihren Gegensätzen wahrhaft abenteuerliche Scene so wirkungsvoll, daß ich, wie gesagt, Stift und Skizzenbuch aus der Tasche zog, die Hauptumrisse des Bildes in aller Eile festzuhalten.

Inzwischen ist es Abend geworden und die Nacht ist hereingebrochen, die Gesänge der Leute sind verstummt, Einer um den Andern hat sich ermüdet in das Dunkel der Gänge und Chorstühle zurückgezogen, mir selbst sind die Augen so schwer, daß ich kaum diesen Brief an Sie vollenden kann. Dort in der Ecke nur, nahe am Altare, hat die alte unverbesserliche Scatgesellschaft ihren Platz noch immer nicht geräumt. Die schweren silbernen Kirchenleuchter spenden das nöthige Licht zu dem unheiligen Spiel, Karte um Karte fliegt aus der Hand der Spieler, mancher unchristliche Ausruf preßt sich durch die Lippen des Verlierenden, als Tisch aber dient, nur von den Knieen der einzelnen Umsitzenden getragen, ein großes Oelbild, auf dem eine Menge Namen verzeichnet stehen und das als Ueberschrift die Worte trägt: ‚Association des enfants de Marie.‘“