Zuchthaus-Industrie

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Textdaten
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Titel: Zuchthaus-Industrie
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aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 574-575
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[574] Zuchthaus-Industrie. Auf einem Schranke des Kammergerichts zu Berlin steht noch jetzt ein kleines hölzernes Werkzeug, in welchem der zufällig auf das Geräth fallende Blick eine Presse nach Art der Kartenpressen erkennt. Unbeachtet steht sie da, hoch mit Staub bedeckt, und dennoch legt dieses unscheinbare Ding Zeugniß dafür ab, bis zu welcher unglaublichen Höhe der menschliche Erfindungsgeist die Industrie treiben kann. Denn diese Presse hatte zur Fabrikation falscher Kassenanweisungen gedient, welche – im Zuchthause zu Brandenburg von den dortigen Züchtlingen angefertigt worden waren. – Die Sache klingt so unglaublich, daß wir uns veranlaßt finden, zum Beweise für den oben aufgestellten Satz von dem menschlichen Erfindungsgeiste alle die näheren Umstände anzuführen, welche die Untersuchung über diese höchst merkwürdige Falschmünzerei ergab. –

In dem Zuchthause zu Brandenburg saß ein Individuum seine Strafe für die Verfertigung falscher Kassenanweisungen ab. Dieser kunstfertige Mensch lag in dem großen Schlafsaal mit etwa 60 Genossen beisammen. Ganz natürlich kam bei der allgemeinen Unterhaltung, die trotz aller Verbote und strenger Aufsicht sehr häufig während der Nacht stattfand, die Rede auf die Veranlassung seiner Bestrafung, und ohne dieselbe zu bemänteln, rühmte er sich vielmehr einer so großen Geschicklichkeit, daß er sagte, er getraute sich, aus freier Hand die Kassenanweisungen mit der täuschendsten Aehnlichkeit nachzumachen, wenn er nur das nöthige Material hätte, zumal da es ihm glücklich gelungen wäre, das Hauptrequisit zu der ganzen Fabrikation – ein Fläschchen mit der Tinktur zur Nachahmung des Wasserzeichens – mit sich herein zu bringen. Durch diese Mittheilung wurde schnell der Gedanke erweckt, unter allgemeiner Mitwirkung sämmtlicher Schlafgenossen und auf allgemeine Rechnung – also nach den Gesetzen des Communismus – falsche Kassenanweisungen zu machen. Die Vortrefflichkeit des Gedankens leuchtete sogleich Allen ein, eben so aber auch die Schwierigkeit der Ausführung, denn es fehlte dazu nicht weniger als Alles, und wie sollte man sich die Platten zur Gravirung, die Grabstichel, das Holz zu der Presse, ganz besonders aber das erforderliche Papier verschaffen. Doch für dies Alles wurde bald Rath geschafft. – Indem Jeder aus dem Boden seines zinnernen Trinkbechers ein unbemerkbares Wenig abschabte, gewann man das Blei zu der Platte. – Durch Reibung von Holz wurde Feuer angezündet, das man mit Stroh aus den Strohsäcken unterhielt und bei welchem man das Blei in Platten goß. Diese wurden an den Maschinen glatt geschliffen. Windeisen, die man vor den geflochtenen Drahtgittern abbrach und ebenfalls an den Maschinen schliff, gaben die Grabstichel her. Aus dem Bretterboden der Bettstellen wurde die oben erwähnte Presse gefertigt, wobei Glasscherben die Stelle des Messers und Hobels versahen.

Während alle diese Vorbereitungen vor sich gingen, was der nöthigen Vorsicht wegen natürlich nur mit bedeutendem Zeitverlust möglich war, trachteten sämmtliche Theilnehmer mit dem emsigsten Fleiße danach, sich Papierstückchen zu verschaffen, groß genug zu dem berüchtigten Zwecke, und es gelang auch in der That, davon auf den verschiedenartigsten und sinnreichsten Wegen eine solche Quantität herbeizuschaffen, daß der Druck sogleich begonnen werden konnte, als sämmtliche Maschinen-Geräthschaften dazu fertig waren. Die erste Probe fiel sehr günstig aus, und nach einigen kleinen Verbesserungen ließ das Fabrikat nichts zu wünschen übrig.

Geld hatte die Gesellschaft des großen Schlafsaales nun mehr als sie gebrauchen konnte, denn die Verausgabung [575] mußte natürlich mit der größten Vorsicht geschehen; aber wie war sie überhaupt zu bewirken, wo konnte man die erforderlichen Mittelspersonen finden, einen ganzen Thaler zu wechseln, da den Züchtlingen nicht einmal der Besitz eines Groschens erlaubt war? Aber auch diese fanden sich in einfältigen oder bestechlichen Personen, mit denen die Züchtlinge in Berührung kamen, und so verschafften sich diese nicht nur manche verbotene Genüsse, sondern es sammelte sich auch allmälig ein kleiner Schatz an baarem Gelde und falschen Kassenanweisungen, aus denen, nach allgemeinem Abkommen, eine Unterstützungskasse für die Abgebenden, sowie ein allgemeiner Reservefond gebildet werden sollte. So war das Geschäft im blühendsten Gange, als es plötzlich durch ein ganz unerwartetes Ereigniß gestört wurde. – Unter den Züchtlingen in dem großen Schlafsaale befand sich auch ein junger Bursche von 16 bis 17 Jahren, der wegen Pferdediebstahles saß. Seine gute Aufführung und seine unverkennbare Reue bewirkten seine Begnadigung, ohne daß er sich bis dahin die geringste Hoffnung darauf gemacht hatte, und in der Dankbarkeit seines Herzens gab er die Fabrikation an, worauf man außer den sämmtlichen Gerätschaften nicht weniger als 500 einthälerige Kassenanweisungen nebst einer ganz anständigen Summe baaren Geldes fand.