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Zum Thema Politik

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Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: Zum Thema Politik
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Entstehungsdatum: 1935, 1936, 1937
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Kurzbeschreibung: Tagebuchauszüge zum Thema Politik
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Einführung

[Bearbeiten]

Der Artikel Zum Thema Politik zeigt die von Stefan Isensee im Rahmen seines Werkes „Zum Thema Politik“ zusammengestellten Tagebuchauszüge. Textauslassungen wurden mit [...] gekennzeichnet, eingefügte Erläuterungen von Stefan Isensee in eckigen Klammern kursiv [Erläuterung].

Tagebuchauszüge

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[101]
Mittwoch, den 27. März 1935.     

[101]      Der englische Außenminister Simon, der mit dem englischen Lordsiegelbewahrer Eden zwei Tage hier in Berlin war, um mit unserer Regierung zu konferieren, ist abgereist. Die Regierung gibt über die Konferenz ein Kommuniqué heraus, in dem zu lesen ist, daß die Unterhaltungen in „offenster u. freundschaftlichster“ Form stattgefunden hätten. – Das ist bei solchen Konferenzen bekanntlich immer so. – Ferner wird gesagt, daß die Unterhaltung zu einer „vollständigen Klarstellung der beiderseitigen Auffassungen geführt“ habe. – Nun, – wenn man „offen u. freundschaftlich“ verhandelt, dann ist eine solche Klarstellung ja die notwendige Folge. – Ferner wurde festgestellt, „daß beide Regierungen mit ihrer Politik das Ziel verfolgen, den Frieden Europas durch Förderung der internationalen Zusammenarbeit zu sichern u. zu festigen“. – – Auch dieses haben die Politiker beider Völker bei allen möglichen Gelegenheiten stets mit Begeisterung behauptet, – es ist also nichts Neues. – Falls also nichts Anderes noch in der Konferenz erreicht worden sein sollte, dann ist ihr Ergebnis äußerst mager. –

     Dagegen bringt die Märk. Volks-Zeitung gleichzeitig einen Leitartikel: „Wie die anderen weiterrüsten“. Es handelt sich diesmal um die Rüstung von Belgien u. Tschechoslowakei. – Es wird daran erinnert, daß der Gouverneur von Belgisch-Luxemburg im September 1934 gesagt haben soll: „Man soll auf der anderen Seite des Rheins (also in Deutschland) wissen, daß wir entschlossen sind, jeden Fußbreit unseres Landes zu verteidigen“. – Ein solcher Ausspruch hat doch nur Sinn, wenn man fürchtet, angegriffen zu werden. Belgien muß also diese Furcht haben, obwohl Hitler immer wieder seine Friedensliebe versichert. –

     Ferner heißt es in dem Leitartikel, daß Belgien „besonders im letzten Jahre“ – also 1934, – stark aufgerüstet habe. – Also wiederum, seitdem unsere Regierung ihren Friedenswillen öffentlich beteuert hat. – Merkwürdige Wirkung! – Im Jahre 1933 machte der Heeresetat in Belgien 10% des Gesamtetats aus, im Jahre 1934 aber 17%.

     Die Friedensreden Hitlers haben in der Tschechoslowakei aber noch viel größere Furcht hervorgerufen. Dort stieg der Heeresetat von 23% auf 34%. – In der Tschechoslowakei liegen die berühmten Skoda-Werke, die zu den größten europäischen Kriegsmittel=Lieferanten gehören. Deren Anteil am Welthandel mit Kriegsmaterial betrug 1933 insgesamt 14 Millionen. Er stieg 1934 auf 37 Millionen Die Ausfuhr von Kriegsgerät aus der Tschechoslowakei hat sich im Jahre 1934 verdreifacht gegenüber 1933.

     Die Märk. Volkszeitung bemerkt dazu: „Wir glauben wohl, grade den für die Tschechoslowakei angeführten Tatsachen nichts hinzufügen zu müssen, um die unwürdige Lage der deutschen Nation, in der sie sich bisher befand, zu kennzeichnen. Es ist geradezu ein Hohn auf Wahrheit u. Gerechtigkeit wenn man in diesen Tagen Deutschland einseitigen Bruch der Abrüstungsbestimmungen vorwirft.“

     Es ist ja denkbar, daß dieses mein Tagebuch im Jahre 3935 von einem asiatischen Professor der Altertumskunde bei Ausgrabungen unter dem Schutt Europas gefunden werden wird. Es wird ihn dann interessieren, einen autentischen Bericht über die Vorgänge im Europa des Jahres 1935 zu erhalten. Dieser Bericht lautet folgendermaßen:

     In den Jahren 1914 – 1918 tobte in Europa ein großer Krieg. In diesem Kriege wurde Deutschland besiegt u. die Feinde nahmen ihm alle Waffen ab, sodaß Deutschland vollständig wehrlos war. Eines Tages erstand dem deutschen Volke aber ein großer Held, u. dieser Held war ein Held des Friedens, denn er versicherte allen anderen europäischen Staaten nur immer, daß er die anderen Staaten nicht angreifen wolle. Je öfter die anderen Staaten diese Friedensbotschaften hörten, um so größere Furcht bekamen sie vor diesem Helden u. dem deutschen Volke u. sie fingen fieberhaft an, sich zum Kriege zu rüsten. Trotzdem fuhr der deutsche Held fort, seine Friedensliebe zu versichern, – denn, sagte er, – wir können ja garkeinen Krieg führen, weil wir garkeine Waffen u. keine Soldaten haben. Aber je mehr er das sagte, um so größere Furcht bekamen [102] die anderen. – Da sagte der deutsche Held eines Tages zu den anderen: „Nun hört mal her, – ich habe zwar bisher immer gesagt, daß ich in Frieden mit euch leben will u. ich habe immer gesagt, daß wir garkeine Waffen u. garkeine Soldaten haben, um Krieg mit euch zu führen; aber das war nicht wahr. Zwar will ich im Frieden weiter mit euch leben, aber Waffen u. Soldaten habe ich mir längst heimlich angeschafft. Aber von jetzt ab will ich mit dieser Heimlichkeit aufhören, – von jetzt ab sollt ihr sehen, wieviel Soldaten ich habe, denn ich bin ein ehrlicher Mann. – Da sagten die andern: Da seht ihr es ja, wir haben es ja immer gesagt, daß er heimlich Waffen u. Soldaten hat – er will uns überfallen, – u. alle bekamen noch viel größere Furcht u. sie fingen nun an, sich noch mehr zum Kriege zu rüsten. – Der deutsche Held beteuerte nun aufs Neue seine übergroße Friedensliebe, nur daß er jetzt noch viel mehr wie bisher Soldaten zum Kriege ausrüstete.

     Lieber Herr Professor der Archäologie aus Asien, der Sie dieses im Jahre 3935 lesen. – Sie werden zu dem Schluß kommen müssen, daß die Europäer des Jahres 1935 allesamt aus Idioten u. Irrsinnigen bestanden haben müssen u. werden nicht verstehen, wie man je von europäischer Kultur hat reden können. – Und vor allem vom Christentum. – Sie werden nun begreifen, daß der liebe Gott es endlich satt bekommen hat, sich noch weiter um diese Europäer zu bekümmern, die buchstäblich nur aus infamen Lügnern, Erpressern, Räubern, Dieben, Mördern u. Meineidigen bestanden haben. Deshalb hat Er eines Tages Schwefel u. Asche regnen lassen. – Ich bitte Sie deshalb, dieses mein Tagebuch das Sie aufgefunden haben, dem Heiligen Vater zu schenken, der vielleicht in Peking jetzt wohnen mag. Möge der Heilige Vater daraus ersehen, wie schlechte Christen wir Europäer gewesen sind u. möge er die ganze Christenheit im Jahre 3935 für uns arme Sünder beten lassen. – Gott aber sei uns gnädig! –

     Dr. Fritz Klein gibt heute in der „Deutschen Zukunft“ einen sehr interessanten Überblick über die politische Lage. Er erinnert daran, was der französische Kriegsminister General Maurin kürzlich gesagt hat, nämlich: Deutschland sei ein Löwe, vor dessen Gebrüll die armen übrigen Tiere der Wüste zittern.

     Daß Europa mit einer Wüste verglichen wird, ist treffend, aber in diesem Sinne nicht beabsichtigt. Dagegen scheint es ganz gleichgültig, ob Deutschland wirklich ein solcher Löwe ist, oder ein weiches Friedens=Lämmlein, wie unsere Regierung behauptet. Selbst wenn wir ein solches Lämmlein wären, – u. man kann das nach der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht wirklich nicht mehr behaupten; – – aber selbst wenn wir es wären, so ist doch ausschlaggebend, daß alle europäischen Staaten, u. zwar ohne jede Ausnahme, – uns für einen brüllenden Löwen ansehen. Und da man nicht annehmen kann, daß sämtliche europäischen Völker u. ihre Staatsmänner gleichmäßig gehirnkrank sind, so muß doch ihre Ansicht irgendwie begründet sein, um so mehr, da sie trotz vieler Friedensreden von dieser Ansicht nicht abzubringen sind. – Mag dem sein, wie es will, – es bleibt die Tatsache bestehen, daß Deutschland vor dem Weltkriege nirgends in der Welt Sympathien genoß, – heute aber wird es so glühend gehaßt, daß dieser Haß unmöglich durch kalte Umschläge beseitigt werden kann. Dieser Haß muß zum Kriege führen.

     Tatsächlich hat Italien bereits seinen Jahrgang 1911 zu den Waffen gerufen u. es wird den Jahrgang 1913, der im April entlassen werden sollte, nicht entlassen. Früher hätte man das eine Mobilmachung genannt. – Kurz bevor der englische Außenminister Simon mit Eden nach Berlin kam, war Herr Eden in Paris gewesen, wo ebenfalls eine Konferenz zwischen den französischen Ministern, dem italienischen Außenminister Suvich u. Eden stattgefunden hatte. Herr Eden kam direkt von dort her. – In Paris ist die „vollständige Solidarität“ der drei Regierungen Frankreich, England u. Italien festgestellt worden, während in Berlin die Konferenz zur „vollständigen Klarstellung der beiderseitigen Auffassungen geführt hat“. – Auf gut Deutsch heißt das doch wohl, daß es also zwei verschiedene „Auffassungen“ gibt, – u. wenn Hoffnung bestünde, daß ein Ausgleich zwischen diesen beiden verschiedenen [103] Auffassungen möglich wäre, dann hätte man dies doch sicherlich freudestrahlend im amtlichen Kommuniqué festgestellt. Da man es nicht tat, sondern nur erwähnt, daß „beide Regierungen das Ziel verfolgen, den Frieden Europas zu sichern, so muß man zwingend schließen, daß diese berliner deutsch=englische Besprechung als Resultat ergeben hat, daß die deutsche Auffassung von der Sicherung des Friedens in Europa eine völlig andere ist, wie die der Engländer, – u. damit auch der Franzosen u. Italiener, die ja eben gerade ihre „vollständige Solidarität“ festgestellt haben. –

     Fritz Klein meint, daß mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Deutschland der wichtigste Grund beseitigt worden sei, der Deutschland bisher verhinderte, sich an den gemeinsamen Beratungen der Mächte zu beteiligen. Ja, – für Deutschland stimmt das wohl. Ob aber die anderen Mächte ihrerseits bereit sein werden, mit dem „brüllenden Löwen“ zu verhandeln, ist doch sehr die Frage. – Fritz Klein sagt weiter, daß die englischen Minister doch sicherlich die Überzeugung aus Berlin mitgenommen hätten, daß von Deutschland keine „Gefährdung des Friedens“ ausgehe. Man kann sich über solche Naivität nur wundern. Oder ist das Ironie? Wenn alle anderen europäischen Staaten vor der allgemeinen Wehrpflicht in Deutschland eine Gefährdung des Friedens gesehen haben, – dann sollen sie es nun plötzlich nicht mehr sehen? – Das dürfte dann ja wieder ein neues Rätsel für den asiatischen Professor des Jahres 3935 sein. Der wird dann feststellen, daß von 1918 bis 1935 sämtliche europäischen Staaten vor einem völlig abgerüsteten und wehrlosen Deutschland gezittert haben wie Espenlaub; aber im Jahre 1935 kam dann die wunderbare Befreiung von dieser Furcht deshalb, weil Deutschland sich in diesem Jahr bis an die Zähne bewaffnete. – Der Irrsinn kann wirklich nicht größer sein!

[201]
Donnerstag, den 30. Januar 1936.     

[201]      Auf meinem Kalender steht: 1933, Adolf Hitler wird Reichskanzler. – Der Tag heute wird draußen offenbar groß gefeiert. Drei Jahre lang werden wir nun von den Nationalsozialisten regiert, jetzt beginnt das vierte u. letzte Jahr, das sich Hitler damals ausbedungen hatte u. nach dessen Ablauf er Rechenschaft ablegen wollte.

     Es ist zweifellos, daß der Nationalsozialismus viel erreicht hat, nur ein Dummkopf könnte es leugnen. Deutschland nimmt in Europa wieder eine Stellung ein, man rechnet mit Deutschland, das ist wahr. Aber wie war es denn vorher? War vorher Deutschland ohne Stellung in Europa? war Deutschland etwa ein luftleerer Raum?

     Sicher nicht. Bloß war seine Stellung ganz anders. Deutschland war damals ein besiegtes u. niedergerungenes Land ohne Armee, ohne Soldaten, ohne Kanonen. Es war ein Land, welches nach diesem Kriege u. nach dieser Inflation mit einer beispiellosen Energie sich emporarbeitete. Die Wirtschaft u. das Unternehmertum hatte seine Kräfte ungeheuer angespannt, Wissenschaft u. Kunst ebenfalls, u. so besaß Deutschland eine Stellung in Europa, da um so weniger die Achtung versagt wurde, als man vor diesem wehrlosen Lande keine Furcht zu haben brauchte. – Diese Entwicklung war noch längst nicht abgeschlossen. Selbstverständlich hatten sich bei dem angespannten Aufstreben der Wirtschaft auch Wirtschaftsformen ergeben, die nicht immer schön waren, sie waren zum Teil noch das Erbe aus der Kriegs- u. Nachkriegszeit, in der ja jede Moral untergraben worden war. Auch ist es richtig, daß die Juden sich diese Situation zu Nutze gemacht hatten u. bis in die höchsten Ämter eingedrungen waren. Auch in der Wirtschaft waren sie mächtig. Indessen hatte gerade die letzte Zeit vor dem Umsturz sich bemüht, diese Auswüchse zu beseitigen, – das Deutschland Brünings, mit Hindenburg an der Spitze begann, das Vertrauen des Auslandes auch auf politischem Gebiete zu gewinnen u. man konnte mit vollster Hoffnung in die Zukunft sehen. Da aber wurde Brüning, kurz vor Erreichung dieses Zieles, gestürzt. Der General Schleicher u. der lavierende Papen versuchten, die Erfolge Brünings zu halten u. möglichst doch noch zu verwirklichen; aber Papen, der sicher ein unklares Spiel trieb, dem er garnicht gewachsen war, spielte – ohne es zu wollen, – den Nationalsozialisten die Macht in die Hände. – Es wird wohl erst einer späteren Generation bekannt werden, welches Spiel hinter den Kulissen damals gespielt wurde, um den alten Hindenburg zu übertölpeln. – Herr von Papen wird dabei eine beachtliche Rolle gespielt haben. Der Lohn ist ihm dann später ja auch von den Nationalsozialisten ausgezahlt worden u. er kann sich freuen, heute eine unbekannte Statistenrolle in Wien spielen zu dürfen.

     Heute nach drei Jahren ist die Stellung Deutschlands eine andere. – heute hat man wieder Furcht vor Deutschland, u. das ist der bedeutendste Erfolg des Nationalsozialismus, auf den er stolz ist. Die Furcht, die die anderen haben, ist ihm ein Beweis der Macht, – u. darauf ist er stolz. Nur ist nicht zu erkennen, welcher Vorteil uns aus dieser Macht erwächst. Auch vorher ist es niemandem eingefallen, uns etwa anzugreifen, – das wäre nach dem Lokarnovertrage u. vor allem nach der vielfachen Eifersucht der anderen Mächte garnicht möglich gewesen. Zu [202] einer einfachen Verteidigung unserer Grenzen hätte überdies unser kleines Heer völlig ausgereicht. Man sagt sich also mit Recht im Auslande, daß diese Macht Deutschlands doch irgend einen positiven Zweck haben muß u. man kann sich diesen Zweck nicht anders deuten, als daß damit im Weltkriege verlorenes Gebiet zurückgewonnen werden soll. Das aber bedeutet natürlich Krieg – u. vor nichts hat man so große Angst, wie davor. Deshalb kann Hitler noch so viel seine Friedensliebe überall versichern, – kein Mensch glaubt an die friedlichen Absichten dessen, der mit der Waffe droht.

     Was hat nun dieser Machtbesitz bisher bewirkt? Erstens hat alle Welt Angst u. rüstet sich. Aber Danzig, der Korridor u. Oberschlesien sind vorläufig noch unerreichbare Güter ebenso wie Eupen u. Malmedy. Der Versuch, Österreich zu schlucken, ist gescheitert, hat aber die nächstliegenden Absichten des Nationalsozialismus ins klare Licht gestellt. Man weiß nun Bescheid, – u. wenn Hitler kürzlich einer Jouralistin, einer ausländischen, – mit der Miene eines Biedermannes erklärt hat, daß die Anschlußfrage in Deutschland nicht interessiere, so erkennt das Ausland darin nur Hinterhältigkeit, u. mit Recht, – denn das kann ihm kein Mensch glauben. Furcht u. Misstrauen nach außen, das ist zunächst einmal der Erfolg dieser ersten drei Jahre. Man weiß, daß unsere Friedensliebe nur so lange dauern wird, bis ein Krieg Erfolg verspricht, – einmal wird u. muß er kommen. Und bis dahin wird man alles tun, um ihn zu verhindern, d.h. man wird gegen Deutschland sein. – Dieser Krieg aber wird kommen, weil er ganz einfach in der Ideologie des Nationalsozialismus begründet ist. Es fragt sich nur, wann dieser Krieg ausbrechen wird. Jeder Mensch in Europa weiß das, u. so ist das Leben jedes Menschen in Europa beherrscht von der Furcht u. von der Unsicherheit vor diesem drohenden Ereignis. Ein jeder lebt in dem Bewußtsein, daß Deutschland der Friedensbrecher sein wird, u. deshalb ist Deutschland gehaßt. – Furcht u. Haß, – das ist die Stellung, die Deutschland in Europa hat u. die es dem Nationalsozialismus zu danken hat. Vielleicht wird eine spätere Generation anders darüber denken. Vielleicht wird Deutschland aus diesem Kriege siegreich hervorgehen u. mit Waffengewalt all die geheimen nationalsozialistischen, außenpolitischen Träume verwirklichen, – dann wird es der Tyrann ganz Europas werden. Der Haß wird ins Ungemessene steigen, es wird eine furchtbare Rache geben, – das Ende Europas. – Oder Deutschland verliert den Krieg. – Wer mag wissen, was Gott in Seiner unerforschlichen Vorsehung beschlossen hat. –

     Welche Erfolge hat nun der Nationalsozialismus innenpolitisch? Man nennt da Vieles. Da ist zunächst die Reichseinheit, die Voraussetzung des Machtwillens ist u. die man nur von hier aus werten kann, – denn von wirklicher Einheit ist ja garkeine Rede. Und dann die neue Armee, die wiederum aus der Reichseinheit folgt. Die Rückgewinnung der Saar wäre so wie so auch ohne Nationalsozialismus erfolgt. Und dann die Wirtschaft, die man durch Gewaltmaßnahmen angekurbelt hat. Der Rückschlag, der daraus folgen muß, muß erst einmal abgewartet werden, noch hat er nicht eingesetzt, aber er muß ja kommen. Bis dahin sind die Deutschen untereinander mißtrauisch. Alle grüßen laut: „Heil Hitler“, – aber heimlich ballen sie die Faust in der Tasche. Selbst die Mitglieder der Partei untereinander sind voller Mißtrauen, so wie [203] Goebbels, Göring, Rust, Schacht u. wie sie alle heißen, sich nicht gegenseitig trauen u. teilweise in ganz offener u. unverhüllter Feindschaft leben. Goebbels u. Göring grüßen sich nicht, Rust wird über die Achsel angesehen. Reden von Schacht werden verheimlicht u. die Veröffentlichung verboten. So wie diese Führer es vormachen, so geht es hinab bis zum letzten SA=Mann. Jeder hat sein Spezialgebiet, auf dem er sich austobt, bis zum Herrn Staatsrat Streicher, der mit seinem „Stürmer“ das Ansehen deutscher Geistigkeit u. Kultur im Auslande so untergräbt, daß diese Zeitung nicht mehr ins Ausland gesandt werden darf. Ich hörte, daß der öffentliche Handel dieser Zeitung in ganz Schlesien verboten ist, weil man sich vor den Polen u. den Tschechoslowaken deshalb geniert. – Dazu tritt dann noch Herr Alfred Rosenberg, der die deutsche Kultur u. Geistigkeit zu bestimmen hat u. mit seinen ehrgeizigen Helfershelfern den Kampf gegen den Katholizismus eröffnet hat. Die Verseuchung u. Verhetzung dauert nun drei Jahre lang u. wird mit steigender Planmäßigkeit betrieben. Bisher haben die Katholiken auf Geheiß ihrer Bischöfe Gewehr bei Fuß gestanden u. offenbar hat man ihnen dies als Furcht u. Schwäche ausgelegt. In Wahrheit aber ist in diesen drei Jahren der zunehmenden Hetze der Katholizismus innerlich erstarkt u. gewachsen. Wenn mich mein Gefühl nicht ganz verlassen hat, so dürfte diese Zeit des Duldens u. Abwartens nun vorüber sein, die kurze, sachlich-knappe Verlautbarung der ungewöhnlichen, außerplanmäßigen Bischofskonferenz letzthin deutet darauf hin.

     In der evangelischen Bevölkerung treiben die Dinge ebenfalls in dieser Richtung. Auch hier ist in den Kreisen der sog. Bekenntnisfront eine Klärung, Reinigung u. Erstarkung zu erkennen, während die anderen, die schon vorher der Religion gleichgültig gegenüberstanden, sich nun deutlich von jenen getrennt haben.

     Man kann also ruhig, feststellen, daß diese sog. „Reichseinheit“ eine reine Zwangssache ist, erzwungen durch Macht. Innerhalb der Partei herrscht Mißtrauen u. Zank, die frühere evangel. Kirche hat sich auf das kleine Häuflein der Bekenntnisfront zurückgezogen u. wird befehdet von den ausgeschiedenen Neuheiden, – u. die Katholiken sind mehr oder weniger offen in der Rolle von Staatsfeinden. Das ist die Einheit des Deutschen Volkes! – oder der Erfolg des Nationalsozialismus nach den ersten drei Jahren. Im Hintergrunde irgendwo unsichtbar lauern die Kommunisten. –

     Und was wird nun dieses vierte Jahr bringen, nach dessen Ablauf Adolf Hitler dem Deutschen Volke Rechenschaft zu geben vesprochen hat? Wird er dieses Versprechen noch einhalten können?

     Er ist einmal am Kehlkopf operiert worden. Man hat offiziell darüber berichtet. Nun ist die Operation wiederholt worden, – u. diesmal hat man nicht berichtet, sondern man hat es zu verheimlichen versucht. Wer etwas verheimlicht, muß die Wahrheit fürchten. Es ist mindestens der Erfolg dieser Verheimlichung, wenn heute alle Welt von der tuberkulösen Kehlkopferkrankung des Führers spricht, – wenn man davon spricht, daß sein Leben nur noch nach Monaten begrenzt ist, – u. wenn man bereits die unmöglichsten Kombinationen über seine Nachfolge anstellt. – Die Unmöglichkeit dieser Kombinationen zeigt nur zu deutlich, daß [204] jeder Mensch ratlos vor dieser Möglichkeit steht. – Möge der Herrgott uns behüten! – – [...]

[301]
Montag, den 4. Januar 1937.     

[...] [302]      Nun gibt es auch Fettkarten. Das Volk freut sich immer mehr über die Erfolge seiner Regierung. – [303]      Inzwischen geht der Bürgerkrieg in Spanien fröhlich weiter. Wir lesen in den Zeitungen, daß Rußland Zehntausende von Freiwilligen, Flugzeugen, Tanks u. andern Waffen nach Spanien sendet, auch Frankreich liefert Waffen. Wir sind entrüstet darüber. Aber man erfährt, daß hier u. da die Eltern von Militärfliegern die amtliche Nachricht erhalten, daß ihre Söhne auf einem „Deutschlandfluge“ seien u. Adressen nicht angegeben werden könnten, die Eltern mögen Briefe da u. da hinsenden. – Wo mögen diese Flieger u. ihre Flugzeuge sein? Ist Deutschland so groß, daß man nicht weiß, wo sie sind?

     Und man hört, daß Handelsschiffe in Abwesenheit der Mannschaft mit Gütern beladen werden u. mit unbekanntem Ziel in See gehen. Der Kapitän bekommt einen Brief mit, den er erst an einer bestimmten Stelle auf See öffnen darf u. in dem angegeben ist, wohin er zu fahren hat. – Der Export Deutschlands scheint demnach erfreulich zu steigen, – aber da wir zugleich Fettkarten einführen, scheint es nicht so, als ob wir mit diesem „Export“ Devisen hereinbekommen. – Merkwürdig!

     Im Jahre 1933 wollte Herr Hitler nach vier Jahren Rechenschaft ablegen vor dem Volke über die Erfolge seiner Regierung. Diese Rechenschaft besteht vermutlich in dem jetzt von Herrn Göring verkündeten „Vierjahresplan“, – der unter genau demselben Schlagwort geführt wird, wie s. Zt. der Weltkrieg nach der verlorenen Marneschlacht, nämlich: „Durchalten!" –

     Offenbar damit das Volk abgelenkt wird von solchen Gedanken, beginnt der „Stürmer“ eine neue, fröhliche Hetze gegen die Kirche, sowohl gegen die Protestantische wie die Katholische. Juden sind nun nicht mehr genug da, gegen die der Stürmer hetzen kann, – jetzt kommt die Kirche dran. Ob man wohl vorbauen will? Vielleicht will man es jetzt schon so einrichten, daß die Kirchen eines Tages an allem Schuld sind, wenn die Sache schief geht! [...]

[304]
Mittwoch, den 13. Januar 1937.     

[304]      Es erhält sich hartnäckig das Gerücht, daß Hitler sein Amt als Reichskanzler auf Herm. Göring übertragen wolle. Man muß abwarten, was daran Wahres ist. – Wenn schon derartiges geplant ist, dann mag Göring immer noch der Geeignetste sein, da er wenigstens irgendwie noch an einer christlichen Gesinnung festzuhalten scheint, mindestens nach außen. Er hat sich ja kirchlich trauen lassen. Schlimmer ist es mit dem sog. Stellvertreter des Führers (Es handelt sich nicht um den Stellvertreter d. Führers Rud. Hess, sondern um den Stabschef der SA Lutze), dem Reichsminister Rudolf Hess, der in Dahlem wohnt u. katholisch ist. Als er einen Sohn bekam, schrieb der Pfarrer von Dahlem an ihn u. mahnte ihn, das Kind taufen zu lassen. Darauf bekam der Pfarrer einen Brief auf amtlichem Papier, der von Beleidigungen des kathol. Priestertums strotzte. Es war ein Brief, wie ihn sonst nur Proleten schreiben können. Die Sache ist peinlich bekannt geworden dadurch, daß plötzlich eine holländische Zeitung diesen ganzen Briefwechsel veröffentlichte. Darauf erschien die Kriminalpolizei beim Pfarrer, um eine Haussuchung vorzunehmen. Der Pfarrer konnte beweisen, daß von seiner Seite aus nichts geschehen war, um diese Veröffentlichung zu veranlassen. Es bleibt kaum etwas anderes übrig, als anzunehmen, daß diese Veröffentlichung durch jemanden aus der nächsten Nähe des Reichsministers selbst erfolgt ist. Das wirft ein grelles Licht! – [...]