Zum dreihundertjährigen von Freudenstadt

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Autor: Alfred Freihofer
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Titel: Zum dreihundertjährigen von Freudenstadt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 652–655
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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[652]

Zum dreihundertjährigen Jubiläum von Freudenstadt.

Von Alfred Freihofer.

Das alte Murgthalthor.

Die schwäbischen Städte und Städtchen reichen fast alle, wie dies ihr Aussehen bis zum heutigen Tag verrät, ins hohe Mittelalter hinauf; ihre Geschichte verliert sich meist in graue Vorzeit, so daß keine Kunde übriggeblieben ist, wann und von wem sie gegründet wurden; viele sind ursprünglich römische Ansiedlnngen gewesen. Zwei Städte aber besitzt das heutige Königreich Württemberg, die erst in neuerer Zeit durch ven Herrscherwillen des Landesfürsten sozusagen „künstlich“ aus dem Nichts erschaffen worden sind. Die bekanntere von beiden ist Ludwigsburg, das Württembergische Potsdam, eine Schöpfung des Herzogs Eberhard Ludwig aus dem Anfang des vorigen Jahrhunderts. Mehr als ein Jahrhundert älter ist Freudenstadt, von Herzog Friedrich gegründet, einem der interessantesten Fürsten aus dem an kraftvollen Gestalten so reichen Hause Württemberg. In der politischen Geschichte des Landes spielt er eine minder sympathische Rolle, denn er suchte den Württembergern ihre alten Verfassungsrechte zu entreißen und ein selbstherrliches Regiment aufzurichten; aber er bethätigte diesen seinen Eigenwillen auch durch einen kühnen Unternehmungsgeist: seine Pläne, den kleinen und kleinlichen Verhältnissen des Landes durch Handel, Industrie, Bergbau u. s. w. aufzuhelfen, zeigen große Gesichtspunkte und eine ganz modern anmutende Vorurteilslosigkeit. Dabei war er aber doch ganz ein Kind seiner barocken Zeit, dem Abenteuerlichen zugeneigt und so insbesondere auch der Goldmacherei. Er bevorzugte seine Alchimisten bis zum Galgen, denn er hängte sie, wenn sie ihre Versprechungen nicht lösen konnten, nicht wie die kleinen Diebe, sondern errichtete ihnen prächtige Käfige auf hohen Eisengerüsten und ließ sie, mit goldflitternden Gewändern angethan, darin baumeln. Eben die Goldmacherei führte ihn, da er ein kluger Mann war, aber auch dazu, dem ernsthaften Bergbau seinen Eifer zuzuwenden, und die Wiederbelebung der uralten Eisenwerke des Christophsthals im Schwarzwald gab den direkten Anlaß zur Gründung der „Freudenstadt“.

Die landläufige Geschichte erzählt, Herzog Friedrich habe die Stadt gegründet, um den vertriebenen protestantischen Salzburgern eine Heimstätte zu bereiten. Das ist nur beschränktermaßen richtig, denn der Fürst, der einige Jahre zuvor gegen den schärfsten Widerspruch seines Hofpredigers Osiander die Juden ins Land gelassen hatte, um den Handel zu beleben, hat auch [653] den Salzburgern gegenüber nicht aus Glaubenseifer gehandelt, sondern sie waren ihm willkommen, weil sie tüchtige Bergleute waren. Es giebt eine angebliche Chronik des Magisters Georg Stöffler, der 1632 bis 1668 Stadtpfarrer in Freudenstadt war, in welcher die Vertreibung und die Irrfahrten der Salzburger bis zur Gründung ihrer neuen Heimat grausig und rührend beschrieben sind. Leider hat sich neuerdings herausgestellt, daß diese Chronik eine Erfindung aus dem 19. Jahrhundert ist. Als Erzähler wird in derselben der blinde Orgelmacher Konrad Schott redend eingeführt, der hiernach ein vertriebener Salzburger Knabe gewesen wäre, der all die Greuel der Vertreibung mitgemacht, Vater und Mutter dabei auf grausame Weise verloren und selbst auf der beschwerlichen Flucht das Augenlicht eingebüßt hätte. Allein es ist nachgewiesen, daß dieser Konrad Schott ein Schwabe und in Stuttgart zuhause war.

Freudenstadt, vom Schöneck aus gesehen.
Nach einer Photographie von Joh. Zimmermann in Freudenstadt.

Uebrigens giebt die Chronik selbst an, daß das Häuflein der Salzburger, als es bei der neuzugründenden Stadt anlangte, auf 89 Köpfe zusammengeschmolzen war, und andrerseits ergeben die alten Kirchenbücher Freudenstadts, daß der größere Teil seiner Ureinwohner aus den umliegenden Gegenden des württembergischen und badischen Schwarzwalds stammte. So viel aber ist richtig: jenes Häuflein Salzburger hat zusammen mit den vorhandenen Leuten des obenerwähnten Christophsthals den Grundstock der bergbautreibenden Bevölkerung der neuen Stadt abgegeben, die zehn Jahre nach ihrer Gründung schon 2000 Einwohner zählte.

Als Gründungsjahr gilt allgemein das Jahr 1599; in diesem Jahre hat man jedenfalls begonnen, den Wald auf der Anhöhe über Christophsthal auszuroden, auf welche nach der Wahl des Herzogs die Stadt zu stehen kam. Die erste sichere Urkunde datiert vom 3. November 1601; es ist ein „Ausschreiben des Herzogs Friedrich, um Unterthanen in die Freudenstadt einzunehmen“, und es heißt darin folgendermaßen:

Der Marktplatz mit dem Rathaus.

„Wir, Friedrich von Gottes Gnaden, Herzog zu Württemberg etc., geben allen und jeden, wes Stands und Würden sie seien, hienach zu erkennen, nachdem Wir bei Unsern Bergwerken in St. Christophsthal (welche durch den gnädigen Segen Gottes nicht allein in fruchtbarlichen Anfang allbereits kamen, sondern auch täglich zu mehrerem ersprießlichen Nutzen und Eintrag sich erzeigen) um besserer Bequemlichkeit willen von neuem eine Stadt, die Freudenstadt genannt, zu bauen angefangen, darin auch eine ziemliche Anzahl von aus- und inländischen Personen zu Bürgern auf- und eingenommen haben, daß Wir demnach solches zu kontinuieren und nicht Unsere zuvor verpflichteten Angehörigen allein, sondern andere Fremde oder Ausgesessene, welche redlichen und ehrlichen Herkommens und Thuns sind, in genannter Freudenstadt bürgerlich einkommen und jedem eine Hofstatt zur Erbauung eines Hauses sammt nöthigem Bauholz, auch etliche Morgen Felder zu Baugütern umsonst und ohne Bezahlung widerfahren zu lassen gemeint seien, welches Wir auf geschehen Ansuchen zu männiglichs Nachrichtung und Wissenschaft hiemit vermelden wollen.

Gegeben zu Dornstetten unter Unserer Handschrift und vorgedrucktem Fürstlichen Sekret-Insiegel, Dienstags den 3. November 1601 Friedrich.“     

Nach dieser bisher wenig bekannten Urkunde ist die Ueberlieferung abzuweisen, daß die Stadt zuerst „Friedrichsstadt“, [654] dann wegen ihres raschen Aufblühens „Friedrichs Freudenstadt“ und erst später „Freudenstadt“ genannt worden sei. Den Plan der neuen Stadt hat Herzog Friedrich selbst erdacht und durch seinen berühmten Baumeister Heinrich Schickhardt ausarbeiten lassen. Der Herzog wählte eine völlig quadratische Anlage und Schickhardt führte sie aus, obwohl er nicht damit einverstanden war. Um einen riesigen freien Platz von 141/2 Morgen = 4,6 ha, der noch heute der „Marktplatz“ der Stadt ist, wurden in Parallelen, dem Mühleziehbrett ähnlich, die Straßen rechtwinklig herumgelegt. Die Häuser der inneren-vier Fronten erhielten Arkaden, unter denen noch heute die Freudenstädter Kurgäste bei schlechtem Wetter trockenen Fußes lustwandeln; in jede Ecke des inneren Vierecks kam ein größerer Bau in Form eines Winkelhakens: Kirche, Rathaus, Kaufhaus und Spital, von denen die Kirche und das Kaufhaus bis heute erhalten sind. Die Ecken der äußeren Parallelstraßen erhielten vier Thore, Meisterwerke Schickhardts, die man leider in den sechziger Jahren dieses Jahrhunderts weggerissen hat. Inmitten des großen Platzes sollte ein herzogliches Schloß zu stehen kommen, das aber nie zur Ausführung kam; der Platz war als Exerzierplatz geplant. Herzog Friedrich gedachte nämlich, die Stadt zu einer Festung zu machen, und sein Enkel, Herzog Eberhard III, versuchte 1661, „zu mehrerem Schutz, Rettung und Defension des Landes“, diesen Plan mit beträchtlichen Kosten auszuführen, bis im Jahr 1674 auf einen sachverständigen Bericht des Oberstleutnants Kieser, welcher den Platz zu einer Festung „ganz untauglich“ erklärte, die Bauten wieder eingestellt wurden. (Uebrigens tauchten auch später wieder Befestigungspläne auf, denn Freudenstadt liegt am Fuß des Kniebis, des in der Kriegsgeschichte der letzten Jahrhunderte vielgenannten Schwarzwaldpasses, den die Franzosen so manches Mal als Einfallsthor benutzten. Noch 1821 sollte Freudenstadt deutsche Bundesfestung werden, und 1871 handelte es sich eine Zeit lang darum, eine Garnison hinzulegen, was aber beides nicht zur Ausführung kam.)

Der Marktplatz mit der Kirche.     
 Inneres der Stadtkirche mit Altar und Kanzel.

Die Hauptsehenswürdigkeit der Altstadt ist heute die Kirche, ein bauliches Kuriosum, das einzig dasteht. Wie erwähnt, hat die Kirche, wie die anderen Eckbauten des Hauptplatzes, die Form eines Winkelhakens; zwei Schiffe stoßen rechtwinklig aufeinander, zwei gleich hohe Ecktürme schließen den Winkel ab Diese für eine Kirche nie dagewesene Grundanlage, die sich aus dem Stadtplan ergab, reizte den Baumeister, etwas zu ersinnen, was den Beginn einer eigenen protestantischen Kirchenbaukunst bilden sollte. Bisher hatte es sich die neue Konfession in den von der alten Mutterkirche überkommenen Heiligtümern heimisch gemacht; Schickhardt wollte der neuen Form des Gottesdienstes nun auch neue, ihm angepaßte Bauformen schaffen. Der protestantische Hauptgottesdienst besteht aus Predigt und Gesang der Gemeinde; Kanzel und Orgel sollten also in den Mittelpunkt rücken. So stellte er die Kanzel in die Ecke des Winkels, von wo sie beide Schiffe beherrscht, die Orgel ihr gegenüber. In die Schiffe teilen sich die Geschlechter, so daß die männlichen und weiblichen Kirchenbesucher wohl beide den Pfarrer, aber nicht einander sehen können. Auf die Orgel wurde der Hauptschmuck verwendet; das sie umgebende bilderreiche Schnitzwerk gab eine ganze Geschichte des Alten und Neuen Testaments. Dem Mangel des protestantischen Kults an Emblemen und Symbolen begegnete der Erbauer damit, daß er die netzgewölbte Decke mit den Wappen des württembergischen und der ihm verwandten Fürstenhäuser, mit den Insignien des Hosenbandordens (auf dessen Verleihung der Herzog besonders stolz war) und mit einer Menge Wappen von Städten und Klöstern verzierte. Im übrigen aber genierte man sich auch nicht, in diesen Mischbau von Gotik und Renaissance für Altar, Taufstein, Evangelienpult und Krucifixus altchristliche Kunstschätze herbeizuschaffen, die der Ueberlieferung nach aus dem nahen Kloster Alpirsbach (vgl. „Gartenlaube“ 1898, S. 628), der höchst merkwürdige frühromanische Taufstein aber wahrscheinlicher aus dem ebenfalls benachbarten, noch älteren Kloster Hirsau stammen. Die ganze Farbenpracht der Kirche, die jahrhundertelang übertüncht war, ist neuerdings durch eine gelungene Restauration wieder aufgefrischt worden.

Die Bauformen der Freudenstädter Kirche sind aber in der Folge nicht wiederholt worden, der eigene protestantische Stil ist nicht entstanden. Auch die quadratische Anlage der Stadt hat keine Nachahmung gefunden, denn es zeigten sich bei der Bauart der Häuser ohne Hofräume und dem Umstand, daß in den Parallelstraßen Vorder- und Hinterfronten gegeneinander gekehrt sind, schwere Nachteile, gegen welche die Altstadt noch heute ankämpft. Auch mit dem Riesenmarktplatz, in welchen manch andere schwäbische Kleinstadt hineingestellt werden könnte, hat man bis heute nichts Rechtes anzufangen gewußt. Im Jahre 1826 überließ der [655] württembergische Staat den ganzen Platz um 3600 fl. an die Stadt, aber bei den damaligen ärmlichen Verhältnissen wußte diese nichts anderes zu thun, als ihn parzellenweise wieder an die einzelnen Bürger zu verpachten, so daß derselbe jetzt größtenteils mit regellos angelegten Nutzgärten bedeckt ist. Auch hat man zu Ende des vorigen Jahrhunderts auf die unpassendste Weise ein Staatsgebäude, die Oberamtei, quer hineingesetzt.

Die Schicksale der Stadt haben in der Folgezeit wenig zu dem freudigen Namen gestimmt, den der Gründer ihr gegeben hat. So schlimm wie irgend eine der schwäbischen Städte ist Freudenstadt im Lauf der Kriegszeiten des 17. und 18. Jahrhunderts nacheinander von Schweden, Kroaten und Franzosen mitgenommen worden. Besonders greulich haben die verschiedenen Kriegsvölker des Dreißigjährigen Kriegs gehaust, so daß die schön aufblühende Stadt auf 200 Einwohner zurücksank. Der obenerwähnte Stadtpfarrer Stöffler – und das ist historisch – weigerte sich 1639, den französischen und weimarischen Plünderern das Behältnis der Kirchengefäße zu entdecken; sie wollten ihn aufhängen, aber ein Kapuziner bat ihn los. Seitdem wurde bis in unser Jahrhundert jeder durchreisende Bettelmönch freigehalten.

Doch verweilen wir nicht länger bei diesen trüben Bildern der Vergangenheit, sondern werfen wir nun auch noch einen Blick auf das heutige Freudenstadt, das für Einheimische und Fremde wieder eine wirkliche Stadt der Freuden geworden ist. Auch das heutige Freudenstadt darf sich eines Kuriosums rühmen, um das seine Bürger viel beneidet werden: nicht nur daß die Stadt von ihnen keine Steuern erhebt; sie zahlt ihnen sogar aus dem Ertrag ihres großen Waldbesitzes (7000 Morgen, 1833 vom Staat gegen Ablösung der alten Holzgerechtigkeiten abgetreten) alljährlich noch eine Gabe in Natura oder Geld heraus.

Der Herzog Friedrichsturm.

Freudenstadt ist aber heute vor allem eine Stadt der Fremden, einer der besuchtesten Luftkurorte. Von Stuttgart, Karlsruhe, Straßburg bequem mit der Bahn zu erreichen, sieht es von Jahr zu Jahr mehr Sommerfrischler und neuerdings auch Winterfrischler bei sich. Neue Stadtteile, Vorstädte, Villenviertel, eine große Anzahl Gasthöfe, Pensionen etc. sind in den letzten zwei Jahrzehnten erstanden. Schon hat man auch angefangen, den „Marktplatz“ für den Kurort modern umzugestalten, und wenn den Freudenstädtern die Neigung der Sommerfrischler treu bleibt, woran bei der ausgezeichneten Wald- und Höhenluft nicht zu zweifeln ist, so können sie mit Hilfe erfinderischer und geschmackvoller Leute mit der Zeit etwas daraus machen, was vielleicht noch eine Weltberühmtheit heißen wird.

Manches wäre über die Umgebung Freudenstadts zu sagen. Als Höhenluftkurort (740 m über dem Meer) nimmt es wegen des fast unermeßlichen Waldgebirges, in dem es gelegen ist, eine der ersten Stellen in Süddeutschland ein. Berühmt sind die in seiner Nähe gelegenen Bäder Rippoldsau, Griesbach, Petersthal etc., ein herrlicher Ausflug ist die Kniebistour, sowie der Besuch des mehrerwähnten Klosters Alpirsbach, des echten Schwarzwalddorfes Baiersbronn, von Klosterreichenbach, den Sankenbachwasserfällen etc., worüber der reich illustrierte Spezialführer für den „Höhenluftkurort Freudenstadt“ vom Stadtschultheiß Hartranft die zuverlässigste Auskunft giebt.

Zu ihrem Jubiläumsfeste hatte die Stadt große Vorbereitungen getroffen: am Montag den 25. September Festgottesdienst in der neu restaurierten Kirche, nachmittags Einweihung des „Herzog Friedrichsturms“, abends ein Bankett mit lebenden Bildern; am 26. September, als dem Haupttag, zu welchem auch König Wilhelm II erschienen war, ein historischer Festzug mit 1100 Teilnehmern, 30 Wagen und nicht weniger als 220 Reitern und Reiterinnen, abends „italienische Nacht“ auf dem Marktplatze. Der letzte Tag, der 27., hat ein Frühkonzert, ein Kinderfest und einen Festball auf dem Programm.