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Zur Weinlese im Rheinland

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Titel: Zur Weinlese im Rheinland
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aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 677, 680
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[677]

In der Weinlese am Rhein.
Nach seinem Oelgemälde auf Holz gezeichnet von J. F. Engel.

[680] Zur Weinlese im Rheinland. (Mit Abbildung S. 677.) Das goldene Maß der Traube ist ein Schalk: schon mancher fröhliche Mann hat davon eine gelinde Schwindeligkeit auf ebenem Wege verspürt. Derselbe hätte nicht mit der Winzerin gehen dürfen, welche die feinsten Zugaben zum rothen Labsal von steiler Höhe zu Thal bringt. Wir befinden uns vor unserem Bildchen im Ahrthal, der romantischen Quelle des berühmten Ahrbleichert; denn so wurde dieser Wein nach seiner blaßrothen Farbe genannt, wie sie ehedem durch das Keltern vor der Gährung erzeugt wurde. Jetzt ist er durch die Kelterung nach der Gährung dunkler geworden, läßt sich aber seinen alten Namen noch gefallen. Das ganze Thal giebt in guten Jahren etwa zwanzigtausend Ohm Ahrbleichert; die große Masse Weines desselben Namens, welche mehr getrunken, als gebaut wird, soll zum Theil in den schönen Wäldern wachsen, wo die Heidelbeeren gedeihen.

Wer den Rhein in Remagen verließ, sucht eiligst bis Ahrweiler zu gelangen, wo die wilde Herrlichkeit des Ahrthals erst beginnt. Die felszackenreichen Berge treten an beiden Gestaden des Ahrflüßchens immer enger zusammen und bieten dem Maler manchen Stoff. Noch freundlicher besorgen dies die Wirthsmädel. Aber auch Sage und Geschichte lassen ihn nicht leer ausgehen von der Landskron bis Walporzheim und von Altenahr bis zur Hohen Acht der Eifel, welche die Mutter der Ahr ist.

In diesem Thal hebt man von selbst die Blicke in die Höhe, und bei dieser Gelegenheit fällt Einem nicht nur manches der riesigen Firmenschilde der Weinbergsbesitzer an den Felswänden, sondern hie und da auch ein Fleckchen Weinberg in’s Auge, das wie an den Schieferfels angeklebt erscheint. Man staunt, wie ein Menschenkind dahinauf kommen soll, um dort den Weinstock zu pflegen, und fragt sich, wie dasselbe von da droben die Frucht herunter bringen will. Unser Bild giebt die Antwort. Solche hohe kleine „Wingerten“ werden oft mit großer Mühe erhalten. Man baut Mauern und Strebepfeiler auf, um dem wenigen Erdreich festen Halt zu geben, und läßt sich keine Mühe verdrießen, das hohe Gut zu pflegen, dafür lohnt es aber auch, wenn der Herbst gnädig ist, denn die hier gewonnenen Trauben gehören zu den besten und werden vorzugsweise zur Veredelung der Weine von den tieferen guten Lagen verwendet, falls sie nicht als Tafeltrauben ihr näheres Ziel erreichen. Bewundernswerth ist die Fertigkeit, welche die Winzerinnen in dem Tragen ihrer Körbe entfalten; der steilste Pfad bringt sie nicht aus der Balance; ja, oft tragen sie mehrere derlei Körbe über einander auf dem Kopfkissen und bringen sie mit ihrem elastischen und vorsichtigen Schritt wohlbehalten an’s Ziel.

Welcher Bursche wohl dieses Jahr unser Winzermädchen ersteigert hat? Denn im Ahrthal werden in den Dörfern von den Burschen unter dem Vorsitz eines Schöffen alle Mädchen an je die Meistbietenden verauctionirt. Dies geschieht am Vorabend des 1. Mai; jeder Bursche errichtet dem von ihm ersteigerten Mädchen einen Maibaum und ist bis zur neuen Versteigerung ihr Tänzer und Gesellschafter. Und wenn’s „der Rechte“ ist, der unsere Winzermaid angesteigert hat im Mailehen, dann wissen wir wenigstens sicherlich, daß sie auf ihrem gefährlichen Pfad rechts die Traube für den festhält, den sie links im Herzen trägt.