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Zwei Diener

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Textdaten
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Autor: Karl Chop
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Titel: Zwei Diener
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 21–26, S. 345–348, 361–365, 377–380, 393–396, 409–414, 425–431
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[345]
Zwei Diener.[1]
Eine Hofgeschichte aus der Patriarchalzeit.
1.


Das Morgengewitter, das sich über der souveränen Reichsgrafschaft Schwalbenstein in wenigen dumpfen Schlägen und mit einem sanften, aber ausgiebigen Regen entladen hatte, war vorübergegangen, ohne die von aller Welt gewünschte erquickliche Abkühlung zu bringen. Im Gegentheile, es war danach erst eine rechte drückende Schwüle eingetreten. Zwischen der gräflichen Residenz und dem nahen Waldgebirge hing trotz des matten Sonnenscheins, der namentlich das hochragende alte Schloß in gelbrothe Farbentöne tauchte, ein heißer, nebeliger Dunstschleier. Er war wohl die Ursache, daß die gerundeten Kuppen der blau-grünen Berge da drüben sich in welligen Schwingungen zu bewegen und selbst die geraden Linien der Dächer und Schornsteine in der Stadt vor innerer Gluth zu zittern schienen.

Diese dunstig brütende Hitze drang in die bestverwahrten Räume und lastete auf Menschen und Thieren mit gleicher Wucht. Der alte schläfrige Schloßportier, der sonst zu allen Jahreszeiten über den grimmigen Zug in der Thorwölbung klagte, seufzte heute nur deshalb, weil jeder Windhauch erstorben schien. Und doch ging es ihm noch besser als den armen Schreiberlein der gräflichen Kammer in ihren hoch oben unter dem glühenden Schieferdache des Schlosses gelegenen Kanzleizimmern. In der geräumigen Hofküche vollends, auf deren breiten Herden die lodernden gelbrothen Flammen zur rauchigen Decke emporzüngelten, herrschte heute eine so wahrhaft höllische Gluth, daß der beleibte Küchenmeister darin schier zerfloß. Diesmal hatte er keinen zärtlichen Blick für alle die drallen Dienstmädchen aus der Stadt, die, dem patriarchalen Herkommen gemäß, die Häringe für ihre Herrschaften unentgeltlich aus der gräflichen Hofküche holten. In blinder Verzweiflung stach er mit der Riesengabel in die Tonne hinein und reichte dann der garstigen Magd des Kanzlisten drei gewaltige Fische, während dem schmucken Dienstmädchen des Herrn Justizamtmanns zu ihrer äußersten Entrüstung nur ein einziger Häring und gewiß der windigste und magerste im ganzen Fasse zu Theil wurde.

Selbst die bärtigen Grenadiere der gräflichen Garde, so sehr sie sonst gewöhnt waren, sich die müßige Zeit zu jeder Tagesstunde durch süßen Schlummer zu vertreiben, vermochten heute auf ihren Pritschen weder gründlich zu schlafen, noch sich recht munter zu erhalten, und der Wachtposten unter den Fenstern des Grafen Max Theodor hatte sogar ganz ordonnanzwidrig die hohe Bärenmütze abgelegt und sich in eine Ecke des Schilderhauses in bedenklich bequemer Stellung zurückgelehnt. Warum auch nicht? Der Hauptmann von Felsewitz kam jetzt sicher nicht, um die Wachen zu revidiren. Er ruhte noch wie die übrigen Cavaliere des kleinen Hofes von den Mühen des heutigen Morgenrittes aus, nach welchem die Herren todmüde und gründlich durchweicht nach Hause zurückgekehrt waren. Am besten wußte sich noch Tyras, der stärkste Hund der ganzen Grafschaft und des regierenden Herrn besonderer Liebling, zu helfen. Er hatte sich dicht unter der moosigen Fontaine des Schloßhofes das schattigste Plätzchen ausgesucht, dasselbe durch Aufgraben des Rasens noch etwas kühler gemacht und schnarchte nun so tief, daß man die Athemzüge des gewaltigen Thieres weithin deutlich vernahm.

Nur wenige belebte Wesen machten Ausnahmen von der allgemeinen Regel der Ermattung und des Schlafs, und zu ihnen gehörte vor Allen der arme Wilddieb, den die gräflichen Forstwärter am vorhergehenden Tage beim Ausweiden eines Wildes betroffen und gefangen hatten. Der Unglückliche wurde soeben von dem Herrn Kammerpräsidenten selbst über seine unerhörten Frevelthaten vernommen, da in der souveränen Grafschaft alle Attentate gegen Hirsche, Rehe, Wildschweine und sonstige jagdbare Thiere als schwerste Verbrechen nach dem Hochverrathe galten und deshalb ihre Aburtheilung dem ordentlichen Richter entzogen und der gräflichen Kammer überwiesen war. Wehe, dreimal Wehe jedoch dem Unglücklichen, bei dem der Kammerpräsident von Straff selbst aus besonderen Gründen das Amt eines Inquisitors zu übernehmen für gut befand!

Auch jetzt sorgte der Gestrenge gewissenhaft dafür, daß den argen Verbrecher nicht etwa eine schläfrige Stimmung überkam. Dicht neben dem Wilderer und wohlbedächtig an seiner linken Seite stand der breitschulterige Büttel und ertheilte ihm, sobald er nur die mindeste Neigung zu Umschweifen oder gar zum Leugnen verrieth, auf einen leisen Wink des Präsidenten mittelst eines fingerstarken Haselstockes so schmerzhaft fühlbare Mahnungen zur Wahrheit und Wachsamkeit, daß man sein Jammergeschrei bis zum Markte hinab hören mußte.

Ebenso munter war Frau Nachtigall in den buschigen Umgebungen des Schlosses. Bald hüben, bald drüben, bald von [346] oben, bald von unten ertönte der ängstliche Lockton der kleinen befiederten Mutter. Wie schwer hält es doch, solch eine zahlreiche, unbesonnene, kaum dem Neste entwichene Nachkommenschaft vor den tausend drohenden Gefahren zu warnen und all’ das ungeschickt umherflatternde Gesindlein in dem dichteren Gebüsche des Wildgartens in bessere Sicherheit zu bringen!

„Was hat nur die Nachtigall?“ sagte der Jagdjunker Kurt von Holderbusch zu der jungen Dame, die neben ihm auf dem grasbewachsenen und feuchten Fußpfade dahinschritt. „Ist etwa eine Katze oder ein Iltis in der Nähe?“

„Es wird doch kein Lauscher sein, Kurt?“ entgegnete das Mädchen in ängstlich besorgtem Tone. „Ich wäre des Todes, wenn meine Tante erführe, daß ich ohne ihr Wissen mit Ihnen zusammengetroffen bin. Sie hat strenge Ansichten.“

„Wer sollte jetzt und an diesem stillen Orte lauschen und vor Allem, wer sollte uns überraschen, Fräulein Hartmann?“ entgegnete Kurt mit einem munteren und ermuthigenden Lächeln. „Sie wissen ja, daß hoch über uns eine ganz specielle Vorsehung in Gestalt unseres treuen Christian Blümchen wacht. Uebrigens darf auch Ihrer Tante unser Verhältniß nicht allzulange mehr verhohlen bleiben. Ich bin so wenig ein Freund der Heimlichkeit wie Sie und ersehne herzlich den Tag, wo alle Welt wissen darf, wie wir zu einander stehen.“

„Wird dieser Tag jemals kommen?“

„Zweifelst Du – – zweifeln Sie daran noch, liebe Anna? Es giebt keinen Widerstand für einen festen Willen. Ihr Vater namentlich ist ein viel zu aufgeklärter Mann, als daß eitle Hirngespinnste ihn hindern sollten, unser Glück allen etwaigen Ränken zum Trotze zu begründen. Er wird uns auch treu zur Seite stehen, wenn er nur selbst an meinen Willen und meine Kraft ein wenig glaubt.“

„Sie wissen, daß er dies thut und daß er Sie ganz besonders hochschätzt, Kurt.“

„Was aber könnten wir zu fürchten haben, wenn ein Mann wie der Domänenrath Hartmann auf unserer Seite steht?“

„Sie vergessen Ihre Mutter, Kurt.“

Der junge Mann schüttelte leise lächelnd seinen hübschen Lockenkopf.

„Meinen Vater erwähnen Sie gar nicht,“ bemerkte er dann mit seinem muntersten Lächeln. „Ei, ei, wenn er das erführe!“

„Ich habe nun einmal keine Furcht vor dem Herrn Oberlandjägermeister,“ entgegnete das Mädchen gleichfalls mit dem leisen Anfluge eines Lächelns. „Ihr Herr Vater hat an so viele wunderbare Dinge zu denken, daß ihm für solche Kleinigkeiten wahrlich keine Zeit bleibt.“

„Sie haben ganz Recht, der Widerstand droht in unserem Hause nur von meiner Mutter,“ bestätigte der Junker. „Sie hat allerdings ihr gut gemessenes Theil von jenem Adelsstolze erhalten, der in unseren Tagen leicht eine komische Färbung erhält, aber ich bin glücklicher Weise ihr einziger Sohn, und sie liebt mich sehr. Auch sie wird, ja, sie muß nachgeben, wenn sie mich so fest entschlossen sieht, mein Glück nicht ihren Vorurtheilen zu opfern. Sie kennt mich und meinen ernsthaften Willen.“

„Aber Sie haben mir selbst gesagt, daß wir an Ihrem Hofe auch noch andere feindliche Strömungen zu besiegen haben,“ wandte das Mädchen ein. „Herr Präsident von Straff zum Beispiel wird mir die Ablehnung seiner Werbung niemals verzeihen, und er ist hier allmächtig.“

„Ja, leider, aber es giebt eine Macht, welche die Bäume nicht in den Himmel wachsen läßt.“

„Um Gotteswillen, Kurt! wenn man Sie hörte!“

„So käme vielleicht etwas früher der Tag, wo ich dem glänzenden Elende eines gräflichen Jagdjunkers entränne. Oder glauben Sie nicht, liebe Anna, daß ich Kraft und Muth genug in mir fühle, um auch ohne meinen Gehalt von dreihundert blanken Thalern Sie und mich über den Wassern zu erhalten?“

Das Mädchen antwortete auf die Frage nur durch einen vertrauensvollen Blick in die feurig blitzenden Augen des Junkers.

„Sie sprachen früher auch von einer ungünstigen Stimmung, die in den höchsten Regionen gegen meinen Vater herrschte,“ sagte sie dann. „Womit kann mein Vater diese Ungunst verdient haben? Der Graf und seine Schwester, die Comtesse Charlotte, sollen so herzensgut sein und mein Vater ist, wie Sie wissen, eine so gerade, brave Natur, daß ich eine solche Abneigung im tiefsten Grunde verwandter Seelen durchaus nicht begreife.“

„Niemand geht genau den Weg durch’s Leben, den er sich vorzeichnet,“ entgegnete der Junker. „Am wenigsten vermögen dies unsere Fürsten. Sie messen ihre Kräfte zu wenig an Gleichgestellten, um sie zu kennen, und werden deshalb geschoben, wo sie zu schieben glauben. Unser Graf ist wirklich ein gutherziger Mensch, aber leider um fünfzig Jahre zu spät geboren. Er möchte sein Land nicht wie ein wahrer Fürst, sondern etwa wie ein großer Gutsbesitzer, der nebenbei ein wenig den Vater seiner Knechte und Tagelöhner spielt, regieren und verwalten und läßt sich doch selbst wie ein Kind am Gängelbande seiner blinden Leidenschaften vom Präsidenten lenken und leiten, insbesondere gegen Ihren Vater, dessen Fluren und Forsten recht unbequem zwischen den gräflichen Jagdrevieren liegen. Auch die Comtesse hat etwas von diesen patriarchalen Neigungen. ‚Immer gerade aus‘, ist ihr eigenes Motto, und deshalb bildet sich ihr erlauchter Stolz ein, unserem Hofe jede Intrigue fern halten zu können. Aber ich langweile Sie. Nicht wahr?“

„Durchaus nicht,“ versicherte die junge Dame. „Mir ist nur in diesen engen Laubgängen so seltsam beklommen zu Muthe. Hören Sie, wie ängstlich die Nachtigall von Neuem lockt? Ich fühle, es ist etwas Feindliches in der Nähe.“

„Ruhig, meine Theure! So lange wir nicht den Ruf des Kukuks hören – –“

„Aber mein Gott, er hat schon zweimal gerufen und, hören Sie? da kommt er wieder.“

„Dann allerdings wittert unser treuer Christian einen Feind. Zum Glücke sind wir unserer alten Walltreppe gerade gegenüber und mein Schlüssel steckt noch daran. Geschwind hinter den Holunderstrauch. Dort finden wir unsern alten Weg zur Pforte wieder.“

Hat der Leser jemals den Meister Reineke beobachtet, wenn er in der Abenddämmerung auf der Spur eines weidwunden Rehs oder eines jungen Hasen das Vorholz durchstreift? Die feine Nase an den Boden gesenkt, trabt der Schlaue bedächtig und vorsichtig daher und hebt nur manchmal den spitzen Kopf, um aus seinen schrägen Augen links und rechts rasche Seitenblicke in das Gebüsch nach einem niedrigen Vogelneste oder nach irgend einer Gelegenheitsbeute zu werfen.

Dem Bilde dieses schleichenden Räubers glich Johann Schnabel, der Diener des gräflichen Kammerpräsidenten, soweit wie nur irgend ein Mensch einem Thiere ähnlich sehen kann. Auch er kam mit leisen, kaum hörbaren Schritten auf dem schmalen und gewundenen Pfade daher, welchen das junge Paar vor wenigen Augenblicken verlassen hatte; auch sein in den unteren Theilen vorgezogenes und zugespitztes Gesicht war dem Boden zugekehrt, und auch seine schrägen, aber klugen Augen schauten vorsichtig bald rechts, bald links in das Gesträuch hinein.

Johann schien indessen mit den Erfolgen seines heutigen Spürganges nicht besonders zufrieden zu sein. Sein Schritt wurde immer langsamer und bedächtiger, jemehr er sich dem Ende des Gebüsches näherte, und als er endlich dort anlangte, blieb er kopfschüttelnd stehen.

„Da bin ich nun am Ende,“ murmelte er zwischen den spitzen Zähnen hervor. „Die Spuren kehren hier genau so um wie am anderen Ende des Gebüsches. Was also habe ich bis jetzt erlangt, als nasse Füße, die mir Zahnschmerzen oder einen Rheumatismus versprechen? Sonst weiß ich nur, daß sie allerliebste kleine Füßchen hat und daß an seinen Reiterstiefeln der linke Sporn etwas verbogen ist. Sie sind auch erst nach dem Regen hier gewesen – das beweisen diese Spuren deutlich. So weit also paßt Alles zu den Mittheilungen meiner braven Muhme. Aber wohin zum Kukuk sind sie von hier aus gegangen? Die alte Walltreppe ist seit vielen Jahren geschlossen und dem, der den letzten Schlüssel dazu gehabt hat, thut wohl längst kein Zahn mehr weh. Also wohin? Die Flügel der Liebe sollen über Berg und Thal tragen, aber ich habe dennoch niemals gehört, daß Verliebte über Mauern und Gräben geflattert wären.“

Johann liebte die offenen Wege nicht. Er verließ also, nachdem er noch einen letzten bedauernden Blick auf die geheimnißvoll in sich selbst zurückkehrenden Spuren geworfen hatte, den Pfad, auf dem er herangekommen war, um dicht an den feuchten [347] Grundquadern des Schlosses entlang und mitten unter dem wüsten Gestrüpp der hier üppig wuchernden Disteln, Gelbwurzeln und Brennnesseln möglichst ungesehen nach dem Schloßportale hin zu schleichen. „Nun sage mir Einer, daß alle Verliebten unvorsichtig und thöricht seien!“ fuhr er in seinem leisen Selbstgespräche fort. „Kann ich denn nur behaupten, daß wirklich der Junker und sein Liebchen hier ein Rendezvous gehabt haben? Kleine Füße hat manches hübsche Zöfchen, und jeder Reitknecht trägt solche bespornte Stiefeln. Ich muß hier also schon lügen. Freilich wiegt eine Lüge nicht weniger als eine Wahrheit, wenn sie nur ebenso geglaubt wird. Aber mein Herr ist mißtrauisch und klug und, wenn er mich ertappt, auch noch brutal. Ich muß wahrlich nachher auf jede Gefahr hin zum alten Christian hinaufsteigen, um mich über den schiefgetretenen Sporn näher zu informiren. Vielleicht wirft er mich nicht die Treppe hinunter, wenn ich ganz besonders höflich bin. Liebe besänftigt die Bestien und Höflichkeit die Grobiane. Also –“ Johann ließ den Satz unvollendet und prallte erschrocken einige Schritte zurück, denn er hatte in der Nähe die ihm nur zu wohl bekannte tiefe und vollklingende Baßstimme des Grafen selbst vernommen.

„Nun lebe wohl, Lottchen,“ sagte der regierende Herr zu seiner Schwester, die ihn nach alter Gewohnheit aus ihren Zimmern bis unter das Portal begleitet hatte. „Hab’ Dank für Deine Begleitung!“

„Du schickst mich schon zurück, Max?“ fragte die Comtesse mit dem Tone eines leisen Vorwurfes in ihrer weichen Stimme. „Ist Dir so wenig an meiner Gesellschaft gelegen?“

„An Deiner Gesundheit liegt mir das Meiste auf dieser Welt,“ entgegnete der Graf. „Der Weg ist feucht und Ihr Frauenzimmerchen tragt bekanntlich eine so verteufelte Sorte von Schuhzeug, daß Einem angst und bange wird, wenn Ihr Euch nur um eine Fußbreite vom Parquet entfernt. Dort allein gehört Ihr hin.“

„So rauchst Du wenigstens heute Nachmittag Dein Pfeifchen in meinem Garten?“

„Nein, Lottchen, das wird leider nicht gehen. Ich habe schon einen Ritt nach dem Hirschsprunge angeordnet.“

„Noch einmal ausreiten? Ist denn Deine Kraft niemals zu ermüden?“ fragte die Comtesse mit einem komischen Seufzer.

„Nun freilich, allzuleicht ist das nicht möglich,“ entgegnete der Graf, indem er mit wohlgefälligem Lächeln an seinem kräftigen Körper über den graugrünen Jagdrock bis zu den hirschledernen Beinkleidern hinab sah.

„Schade, ich hätte noch mancherlei auf dem Herzen, was ich Dir sagen möchte.“

„Wird hoffentlich nicht so eilig sein Lottchen. Nicht wahr? Kann mir auch ohngefähr denken, was Dir wieder auf dem Herzen liegt. Du findest es zum Beispiel unbegreiflich, daß jetzt unsere Gelder so knapp sind, möchtest wieder einmal diese und jene Einschränkung empfehlen, etwa Abschaffung meiner Garde und dergleichen. Nicht wahr? Dir steckt noch immer ein einfacher Hofstaat, etwa wie der des Ulysses von Ithaka, mit dem mich mein Hofmeister einst gründlich gelangweilt hat, im Kopfe. Du meinst, wir könnten wohl auch wie jener hochselige Herr mit den höchsten Chargen eines Kuh-, Ziegen- und – mit Erlaubniß zu sagen! – Schweinehirten auskommen und Du selbst etwa mit einer Schaffnerin Eurykleia oder wie das würdige Frauenzimmer sonst hieß. Nicht wahr?“

„Du spottest.“

„Nein, ich amüsire mich nur bei dem Gedanken, welche Gesichter Deine steifleinene Frau Oberlandjägermeisterin von Holderbusch, geborene Freiin von Moosgrund, oder Dein noch hochmüthigeres Fräulein Hulda von Straff bei dem Vorschlage einer solchen Rangerniedrigung machen würden. Dem Volke kommt es ja nur auf den leeren Rauch der Titel an. Aber man muß die Treppen nicht von unten nach oben kehren, sondern von oben nach unten. Man darf nicht mit den armen Kerlen von Gardisten die Ersparung anfangen, sondern umgekehrt, Lottchen, ja, umgekehrt.“

„Das seltsame Vergnügen Deiner Garde gönnte ich Dir wahrlich von Herzen, wenn man nur nicht an den Nachbarhöfen darüber lachte, daß wir einen Oberst, einen Major und zwei Hauptleute für zwei so schwache Compagnien haben.“

„Laß’ sie lachen, Lottchen! Mag darum wahrlich den alten, ehrlichen Knasterbärten ihr kümmerliches Brod nicht kürzen.“

„Das war es auch nicht, wovon ich rede wollte,“ erklärte die Comtesse zögernd, „wiewohl ich die ewige Geldklemme bei dem Reichthume unserer Quellen wahrlich nicht begreife. Aber Du theiltest mir einige auf unseren Junker von Holderbusch bezügliche Thatsachen mit, welche Du vom Kammerpräsidenten erfahren hast und die mir Bedenken erregen. Ich möchte Dich überhaupt vor den Mittheilungen des Präsidenten warnen und –“

„Aha, aha,“ unterbrach sie der Graf etwas rasch und ungeduldig. „Weiß schon, daß Du den alten, rauhen Burschen nicht leiden magst, und weiß auch leider warum. Ich sage Dir aber, Charlotte, in dieser harten Schale liegt ein vortrefflicher Kern. Der Kammerpräsident ist treu wie Gold und dabei ganz uneigennützig. Er lebt trotz seiner hohen Stellung schlicht wie ein Bürger und Meister der Stadt und ist vor Allem ganz unbestechlich. Der Mann, das merke Dir wohl, steht felsenfest in meiner Gunst, und seine Stellung ist durch keine Intrigue zu erschüttern.“

„Was denkst Du?“ entgegnete die Comtesse, durch die letzten Worte des Bruders sichtlich ein wenig gereizt. „Kannst Du glauben, daß ich Intrigue spinnen werde?“

„Nicht böse sein, Lottchen!“ bat nun der Graf. „War nicht so schlimm gemeint. Weiß wohl, daß Du Dich selbst für eine Todfeindin aller Intriguen hältst.“

„Hältst?“

„Oder, daß Du es wirklich bist, obwohl Du im Grunde – auch ein Frauenzimmer bist. Lebe wohl, Lottchen!“

Der Graf pfiff seinem Tyras und ging dann im Geleite des treuen Thieres mit festen, sporenklingenden Schritten aus dem Portale des Schlosses in das Freie hinaus. So gewann der schlaue Lauscher draußen, dem kaum ein Wort von der Unterhaltung der gräflichen Geschwister entgangen war, genügende Zeit, sich vorsichtig vom Eingange zurückzuziehen und hinter einen nahen Pfeiler zu schlüpfen. Ein solcher Rückzug aber war dem Grafen gegenüber in solchen Fällen dringend räthlich. Der hohe Herr trug nicht vergeblich das massive Rohr in der Hand, sondern wußte auch, wenn er erzürnt wurde, davon höchst-eigenhändig kräftigen Gebrauch zu machen.

Erst als Max Theodor hinter den nahen Gebüschen verschwunden und der letzte Schall seines markigen Trittes verhallt war, wagte sich der schlaue Johann wieder in’s Freie.

„Das wäre schon etwas mehr,“ dachte er. „Jetzt läßt sich wenigstens hoffen, daß hier etwas vorgeht und daß man durch vorsichtiges Warten und Aufpassen auch etwas erfährt. Hat mein Herr den Junker angeschwärzt, so wird die Comtesse den jungen Herrn darüber hören wollen; denn sie traut dem Präsidenten nicht, hat auch allen Grund dazu. Vielleicht erfährt man so wenigstens, ob der Junker sich den linken Sporn schief getreten hat; denn dafür läßt mein alter Knauser schon einen Thaler springen. Also warten wir ein wenig! Die Luft ist ja rein, und dieses Murmelthier von Portier hat zum Glück seinen Winterschlaf schon im Sommer angetreten.“

Die Erwartung Johann’s sollte nicht getäuscht und seine Geduld auf keine allzu harte Probe gestellt werden. Er hatte die Tiefe des Portals kaum zwei Mal mit den leisesten Schritten durchmessen, als auch schon aus den Zimmern der Comtesse der silberne Klang einer Schelle zu ihm herüber drang.

Die Kammerfrau Weiß eilte auf dieses Zeichen in das Zimmer ihrer Gebieterin.

„Erlauchte Comtesse befehlen?“

„Ist Wilke zur Hand?“

„Zu dienen, Erlaucht! Wilke ist im Vorzimmer. Soll ich ihn rufen?“

„Ja. Ich kann dem Alten einen Weg nicht ersparen, der ihm bei seinem Alter und bei dieser Hitze gewiß recht sauer wird. Er soll zum Jagdjunker von Holderbusch hinaufsteigen und ihn bitten, rasch einmal zu mir zu kommen. Der Junker soll nicht erst große Toilette machen, sondern Wilke soll ihn hierher führen, wie er ihn eben findet.“

„Das klingt ja fast wie ‚lebend oder todt‘, Erlaucht,“ scherzte die behäbige Kammerfrau, während sie hinauseilte, um den Befehl zu vollziehen.

„Ich habe wichtige Dinge mit dem Junker zu reden,“ fuhr die Comtesse in ernstem Tone fort, sobald Frau Weiß zurückgekehrt [348] war. „Unser Herr Kammerpräsident braut einmal wieder nach seiner Art ein Ungewitter fertig, das sich über dem Kopfe des jungen Mannes entladen soll. Er hat meinem Bruder recht üble Dinge in den Kopf gesetzt. Der Junker soll ein Freund von Neuerungen im Jagd- und Forstwesen sein, wohl gar noch freiheitliche Ideen hegen, die er auf der Akademie eingesogen hat. Er soll auch zum Schaden unserer Kammer in näheren Beziehungen zum Domänenrath Hartmann stehen, den mein Bruder jetzt seltsamer Weise für einen Feind und Gegner hält.“

„Aha, ich merke, wohin diese Schliche des Herrn Präsidenten führen,“ warf die kleine, kugelrunde Kammerfrau mit listigem Augenblinzeln ein.

„Was merken Sie?“

„Ich meine nur, daß er sich einen Nebenbuhler vom Halse schaffen will.“

„Sie glauben doch nicht, daß der Junker nach der Stelle des Präsidenten trachtet?“ fragte die Comtesse mit einem Blicke, der zugleich Verwunderung und Besorgniß ausdrückte.

„Ei bewahre! Fällt dem Junker, mit unterthänigstem Verlaub zu reden, nicht im Traume ein. Nein, er kreuzt auf andere Weise die stillen Wege unseres wackeren Herrn von Straff.“

„Wie versteh’ ich das, Frau Weiß?“

„Ei nun, es ist ja ein offenes Geheimniß, daß sich unser Herr Präsident bei der schönen und reichen Tochter des Herrn Domänenraths einen Korb geholt hat, während unser hübscher Junker der begünstigte Liebhaber ist.“

„Also dort wäre Kurt von Holderbusch schon gebunden?“ sagte die Comtesse. „Ich glaubte wirklich eine Zeitlang, daß er in nähere Beziehungen zur Tochter des Präsidenten treten könne. Bei unseren letzten Soiréen habe ich das hübsche Paar mehrmals recht lebhaft plaudern sehen.“

„Das hat meine scharfsinnige Comtesse nicht im Ernste gedacht,“ entgegnete Frau Weiß. „Freilich kann Fräulein Hulda recht geistreich sprechen, wenn es ihr darauf ankommt, und sie ist auch durchaus nicht häßlich, aber zu unserem offenherzigen und munteren Junker paßt die steife, vorurtheilsvolle Dame doch wie Wasser zum Feuer.“

„Und Sie meinen auch, dieser alte Sünder von Präsident denke daran sich nochmals zu verheirathen?“ fuhr die hohe Dame fort. „Wissen Sie das sicher, Frau Weiß?“

„Meine Nachrichten sind stets zuverlässig, Erlaucht,“ entgegnete die Kammerfrau fast ein wenig durch den Zweifel gekränkt. „Ich weiß zur Genüge, daß meine erlauchte Comtesse lügenhafte Klatschereien nicht liebt. Der alte Christian Blümchen von Oberlandjägermeisters selbst hat mir die Nachrichten mitgetheilt.“

„Das ist allerdings ein zuverlässiger Gewährsmann,“ bemerkte die Comtesse gedankenvoll.

„Ja, und heute hat der Herr Präsident, bevor er zu unserem gnädigsten Herrn gegangen ist, droben bei der Frau Oberlandjägermeisterin eine Visite gemacht. Da hat er gewiß bei der stolzen Frau, die selbst ihre Schnupftücher stets so trägt, daß man das freiherrlich von Moosgrund’sche Familienwappen nothwendig sehen muß, nach besten Kräften gehetzt und geschürt.“

Comtesse Charlotte ging einige Mal schweigend mit raschen Schritten im Zimmer auf und ab, und ihr sonst so gütiges und anmuthiges Gesicht nahm dabei einen immer ernsteren, entschlosseneren Ausdruck an.

„Diese Ränke müssen durchkreuzt werden – ich bin entschlossen,“ sagte sie endlich mit ungewohnter Schärfe. „Der böse Mensch soll nicht noch ein Lebensglück vernichten, wie er einst das meine zertrümmert hat.“

Frau Weiß rieb sich still vergnügt die rundlichen, weißen Hände.

„Gott sei Dank, das giebt endlich eine kleine Intrigue,“ lispelte sie kaum hörbar. „Man stirbt ja sonst auf diesem höchst ehrbaren Schlosse vor Langeweile.“

Aber die feinen Ohren der Comtesse hatten die Worte dennoch aufgefangen. Sie trat plötzlich fast drohend an die kleine Kammerfrau heran.

„Keine Intriguen! Das bitte ich mir nochmals aus, Frau Weiß,“ sagte sie sehr entschieden. „Mein Weg ist stets der gerade, und so Gott will, halte ich auch ferner unseren Hof wie bisher von Kabalen frei.“

In den klugen Augen der Kammerfrau leuchtete es eigenthümlich auf. Es war fast, als wolle sie entgegnen, daß dieses ehrliche Streben ihrer hohen Herrin bisher nichts weniger als vom Glücke begünstigt gewesen sei. Aber sie bezwang glücklicher Weise ihr leicht bewegliches Zünglein.

„Ich fürchte nur, auf geradem Wege richten wir diesmal nichts gegen den sehr verschmitzten Präsidenten aus,“ bemerkte sie resignirt. „Er steht allzufest in der Gunst unseres gnädigsten Herrn und scheut kein Mittel, um seine Zwecke zu erreichen.“

Die Comtesse schwieg, in Erinnerung an die heutige Aeußerung ihres Bruders gedankenvoll, und fast mit dem Ausdrucke einer leichten Entmuthigung.

„Bedenken Erlaucht gnädigst auch, wie dieser Herr von Straff uns selbst betrogen hat!“ fuhr Frau Weiß, welche diese allzustarke Wirkung ihrer Worte nur ungern bemerkte, entschlossen fort. „Es sind seitdem zwanzig Jahre in’s Land gegangen, aber mir ist es noch, als wäre es heute geschehen. Wie er uns und diesen Herrn Hartmann, den hübschesten und bravsten jungen Mann in der Christenheit, wenn er auch nicht ebenbürtig und nicht einmal Cavalier war, erst durch mancherlei kleine Dienste und Winke sicher machte, daß wir wahrlich glaubten, er begünstige das Verhältniß, und wie er uns dann so schändlich an den allergnädigsten Herrn Papa verrieth. Wäre er nicht gewesen, so geböte jetzt unsere geliebte Comtesse auf den reichen Gütern des Domänenraths und dieses Schicksal wäre wahrlich nicht zu verachten. Ich werde diese Verrätherei dem Präsidenten niemals vergessen, mag das allzumilde Herz Euer Erlaucht darüber urtheilen wie es will.“

Die Comtesse stampfte zornig mit dem kleinen Fuße.

„Sie haben Recht; es war eine schändliche Verrätherei,“ rief sie dann. „Aber so Gott will, soll dieser Herr von Straff wenigstens jetzt kein neues Unheil säen. Ich will der Tochter des Mannes, der mir einst nahe, ja recht nahe gestanden hat, eine treue Freundin und Helferin sein, wenn das Paar meine Hülfe nicht verschmäht.“

„Verschmähen? Ei, du mein lieber Himmel!“ rief die Kammerfrau. „Mit beiden Händen wird das arme, junge Volk nach der gnädigen Hand fassen.“

„Meinen Sie? Aber bevor ich eingreife, möchte ich das Mädchen, Hartmann’s Tochter, wohl einmal sehen und sprechen. Können Sie das geschickt zu Wege bringen?“

„Nichts leichter, als das, Erlaucht. Sie ja heute in der Stadt bei der Tante, wie ich von Oberlandjägermeisters Christian weiß. Da nun unser gnädigster Herr heute nicht in den Garten kommt, so – –“

„Ja, ja, so geht es,“ rief die Comtesse mit aufleuchtenden Augen. „Ich werde mit dem Junker darüber reden und hoffe mein Ziel zu erreichen. Doch nur auf geradem Wege und ohne Intrigue, Frau Weiß.“

„Herr Jagdjunker von Holderbusch!“ meldete der alte Diener.

„Er ist willkommen.“

Frau Weiß huschte in das Nebenzimmer, ehe der Junker eintrat.

„Keine Intriguen?“ murmelte sie lächelnd. „Als ob nicht schon jetzt eine der besten Intriguen meines Lebens begonnen hätte.“

[361]
2.

Der Graf Max Theodor war ein gutherziger und in seiner Art fürstlich freigebiger Herr. Er wußte recht wohl, daß die reichen Vorräthe aus seiner Küche und aus seinen Kellern in Hunderten von Adern nach dem casernenhaft bevölkerten alten Schloßflügel hinauf- und in die einzelnen Wohnhäuser seiner kleinen Stadt hinabflossen, und versuchte doch niemals, diesen Abgang zu regeln oder zu hemmen. Der Herr Graf freute sich vielmehr darüber, daß sein Schloß das schlagende Herz des kleinen Gemeinwesens war und verordnete höchst eigenhändig manchem Kranken und manch’ armer Familie recht heilsame und dazu wohlschmeckende Recepte aus seiner Hofküche und Kellerei.

Aber der hohe Herr konnte auch recht lebhaft hassen. Sein Herz wurde hart und despotisch, wo es sich um Gegenstände ganz besonderer Abneigung handelte. Er hatte zunächst, wie schon angedeutet, kein Erbarmen für Wildfrevler jeder Art, und Comtesse Charlotte mußte allen ihren Einfluß aufbieten, damit ein armes Bäuerlein, das etwa einen Hasen in der Schlinge gefangen hatte, mit einem Jahr Zuchthaus durchschlüpfte. Zweitens duldete Max Theodor nirgends Schnurrbärte und ließ sie, wo sie dennoch widerrechtlich keimen wollten, trotz aller Proteste durch seinen Hofbarbier kraft fürstlicher Machtvollkommenheit sogar zwangsweise abrasiren. Drittens aber haßte der Graf den Luxus. Seine eigenen Zimmer waren bequem, aber bürgerlich einfach eingerichtet, kräftig und schlicht war auch sein Tisch bestellt, und Niemand durfte sich unterstehen, ihm etwa im Fracke, den er für eine ganz besondere Ausgeburt des Luxus hielt, seine Aufwartung machen zu wollen. Ja, Max Theodor überzeugte sich oft selbst, ob nicht etwa der verhaßte Feind auf geheimen Wegen in die Wohnungen seiner Beamten und Diener eingeschlüpft wäre.

Auch das weite Vorzimmer des Oberlandjägermeisters von Holderbusch im zweiten Stocke des Schlosses war darum nicht einmal tapezirt, sondern nur gelb getüncht, und die wenigen dort aufgestellten Möbel entsprachen in ihrer fast übertriebenen Einfachheit dem ganzen Charakter des Zimmers.

Mitten in diesem etwas wüsten Raume aber sehen wir heute einen Menschen, der noch schlichter und solider aussah, als seine Umgebungen, und das war der biederbe Christian Blümchen, der Kammerdiener, Reitknecht, Kutscher, Hausknecht, Schneider und Koch, kurzum, das Factotum des Oberlandjägermeisters. Der etwas fadenscheinige Livreerock des untersetzten, breitschultrigen Burschen hing jetzt an einem Haken der einen auf den Vorsaal mündenden Thür, und das besagte Factotum zeigte sich deshalb nur mit einer blauwollenen gestrickten Jacke, aus welcher oben der mahagonibraune Stiernacken handbreit hervorragte, mit einer etwas zu kurzen Drillichhose und mit schweren Holzpantoffeln bekleidet. Auf diesem Untergestelle aber ruhte ein Kopf, der jedermann eine Art von Respect einflößte. Denn die klaren blauen Augen blitzten aus dem verwitterten Gesichte so klar und zugleich so unerschrocken in die Welt hinein, die massiven Kinnbacken mit den blendend weißen Zähnen waren meist so fest geschlossen, daß man sofort erkennen mußte, dieser Bursche wisse gar nicht, was Furcht sei, und scheue sich vor dem Teufel selbst nicht, ja, er werde auch vor dem erlauchten Landesherrn oder vor seiner hochmüthigen Frau Oberlandjägermeisterin nicht um die Breite eines Schrittes aus elender Menschenfurcht zurückweichen. Blümchen’s Stellung im Holderbusch’schen Hause war durch seine dreißigjährige Dienstzeit und den heiklen Umstand, daß seine Herrschaft ihm seit Jahren den fälligen Lohn schuldete, eine sehr freie geworden, die denn auch der alte Bursche in der ungenirtesten Weise ausbeutete.

Christian hielt soeben Heerschau über drei Paar hohe Reiterstiefeln. Mit napoleonisch verschränkten Armen stand er vor der Front seiner schwarzen Schaar, und Blicke tiefernsten Ingrimms zuckten dabei aus seinen furchtlosen Augen hernieder.

„Nein, sie gefallen mir noch immer nicht, durchaus nicht,“ sprach er nach einigen Augenblicken tiefinnigster Betrachtung. „Der Kukuk bringe aber einmal rasch sechs hohe Stiefeln zum richtigen Glanze, wenn sie so naß sind wie die Schwämme und wenn man noch nebenbei alle Augenblicke einmal zum Fenster hinaus gucken muß, damit der junge Herr und sein Schätzchen nicht von Jemand überrascht werden. Es freut mich nur, daß ich dem Johann heute sein Spiel verdorben habe. Ich möchte überhaupt ’mal sehen“, fuhr er sinnend fort, „was aus dieser Liebesgeschichte würde, wenn der alte Christian Blümchen nicht da wäre und sorgte. Was da, Mißheirath! Unsinn, Larifari! das Mädel ist brav und hat Batzen, und wir können Batzen brauchen – das ist die Hauptsache. Das Pumpen will ja fast nicht mehr gehen. Und warum will unsere Gnädige nicht? Es wäre zum Kranklachen, wenn es nicht zum Todtärgern wäre. Weil unser Junker noch einmal die Schulden seines Onkels, des Generals, zu den Schulden der Eltern erben soll. Sie sagte neulich, der General hätte noch ein Majorat – Unsinn, Weibergeschwätz! Ein [362] General ist kein Major, das weiß man ungefähr. Ich muß nur der Gnädigen meine Meinung über den Punkt einmal deutsch sagen.“

Der ehrliche Christian merkte im Eifer seiner Rede nicht, daß sich die Außenthür des Vorsaals leise ein wenig öffnete und durch den Spalt das spitze Gesicht seines Collegen Johann vorsichtig in das Zimmer hereinspähte.

„Ja, ja, das gemeine Volk da unten meint Wunder, wie gescheidt unsere vornehmen Herrschaften sind,“ fuhr Christian fort. „Ja, prosit Gescheidtheit! Würde der Max Theodor für heute Nachmittag noch einen Ritt nach dem Hirschsprunge befohlen haben, wenn er gescheidter Weise an die nassen Stiefeln gedacht hätte? Ich wollte, der Graf müßte dafür alle Reitstiefeln am ganzen Hofe ganz blitzblank wichsen. Ja, das wollt’ ich.“

„Da haben Sie ganz Recht, Herr Blümchen.“

Christian fuhr auf diese unerwartete Anrede sichtlich erschrocken herum und stand nun Johann gegenüber, wie die Bulldogge dem Fuchse.

„Was will man hier? Was schleicht man hier herum?“ schnauzte er den überhöflichen Collegen ingrimmig an.

„Mein Gott, warum schon wieder so hitzig, Herr Blümchen?“ bat Johann geschmeidig. „Ich komme ja in der unschuldigsten Absicht von der Welt.“

„Seine Unschuld kennt man. Was will Er?“

„Nun, nun, nur ein wenig plaudern, liebster Freund.“

„Wüßte nicht, wann ich Sein Freund gewesen wäre. Was beguckt man die Stiefeln so? he?“

„Ein hübsches, feines Paar Stiefeln da. Ich meine die in der Mitte mit dem einen schief getretenen Sporne,“ fuhr Johann unerschrocken fort, „die können nur dem gnädigen Junker gehören. Nicht wahr, Herr Blümchen?“

Christian aber traute dem allzu geschmeidigen Cameraden niemals, selbst wenn es sich nur um ein Paar Stiefeln handelte.

„Das sind meine Stiefeln,“ sagte er darum.

„Was? Ih – re Stiefeln, wirklich die Stiefeln des Herrn Blümchen?“ wiederholte Johann verwundert. „Allen Respect vor Ihnen, aber man sollte gar nicht meinen, daß Ihre Füße da hinein passen könnten.“

„Mit den Holzpantoffeln freilich nicht,“ entgegnete Christian kurz und spöttisch.

„Hm, Ihr Wort in Ehren, Herr Blümchen,“ fuhr Johann fort. „Aber gerade heute habe ich den zierlichen Fuß des gnädigen Junkers zu bewundern Gelegenheit gehabt, und so meinte ich, die Stiefeln könnten etwa ihm passen. Ihrem Junker ist übrigens heute eine ganz ungewöhnliche Ehre widerfahren.“

„Gewiß nicht mehr, als er verdient.“

„Gewiß nicht. Aber denken Sie nur, eine halbe Stunde und zehn Minuten ist er bei unserer erlauchten Comtesse gewesen.“

„Aha, aha,“ knurrte Christian. „Und da möchte nun ein gewisser Jemand gerne wissen –“

„Was die Herrschaften verhandelt haben mögen. Allerdings wünschte ich das. Natürlich – nur ganz unschuldige Neugier.“

„Ja, ganz natürlich. So dachte nun der Herr Johann vielleicht, er könne von mir etwas erfahren?“

„Allerdings, mein bester Herr Blümchen. Vor Ihnen hat der gnädige Junker kein Geheimniß, wie alle Welt weiß.“

„Hat der Herr Johann auch gedacht, daß Er mich beim Stiefelputzen treffen und daß ich auch Ihn bei der Gelegenheit so ein bissel wichsen könnte, nur damit er weiß, wie das Angeschwärztwerden thut? Marsch, marsch, sag’ ich. Hinaus mit Ihm, Er Horcher, Er Schleicher, Er Spion!“

Christian trat dem schweigsamen Johann bei diesen Worten so grimmig drohend mit der Wichsbürste entgegen, daß jener sich zu einem eiligen Rückzuge entschloß und schleunigst durch die offen gebliebene Thür entwich.

„Leben Sie recht schön adieu, verehrtester Herr College!“ rief ihm Christian nach. „Den Schleicher wären wir los. Ja, kommen Sie nur wieder einmal zum Christian, um zu plaudern, mein allerliebster Herr Johann! Mich ärgert’s jetzt nur, daß ich immer noch zu höflich gegen ihn gewesen bin.“

Der Alte hörte in seinem Grimme nicht, daß sich während seines Selbstgesprächs die eine auf den Vorsaal führende Thür öffnete und aus ihr der Junker Kurt dicht hinter ihn trat. Er fuhr deshalb erschrocken herum, als sich Kurt’s Hand plötzlich auf seine Schulter legte.

„Nun, was sind das schon wieder für Narrheiten?“ wollte Christian rufen, als er noch zu rechter Zeit in die offenen Züge seines Lieblings blickte. Rasch wich jetzt aller Grimm aus seinem finsteren Gesichte, und statt dessen begann es sich wie heller, warmer Sonnenschein über die verwitterten Züge zu breiten.

„Ach, Sie sind es, Kurtchen,“ sagte er mit dem weichsten Tone seiner ehernen Stimme. „Und ich glaubte schon, es wäre – – –“

„Hast Du Dein Wort gehalten, Du alter, närrischer, grimmiger Christian?“ unterbrach ihn der Jagdjunker. „Hast Du hübsch aufgepaßt?“

Der Alte nickte verständnißvoll.

„Ich habe sie – Sie wissen ja schon, wen ich meine – vor einer Viertelstunde aus dem Hause der Tante nach dem Garten gehen sehen. Lassen Sie das Schätzchen ja nicht lange warten! Frauenzimmer haben keine Geduld, Kurtchen. Natürlich, denn sie haben nicht so viel Verstand wie Unsereiner.“

„Natürlich,“ stimmte der Jagdjunker lachend zu.

„Wie Sie nur so lachen mögen, Junker!“ schalt der Alte. „Mir macht Ihre Lage meiner Seel’ mehr Sorge, als Ihnen selbst. Was soll werden, wenn sich die Hindernisse nun einmal nicht beseitigen lassen?“

„Sie müssen aber beseitigt werden,“ erklärte der Junker fest.

„Sie haben gut reden. Wir haben die gnädige Mama, den Präsidenten, seinen sauberen Johann und auch wohl den Grafen gegen uns. Dagegen sind wir unser Zwei.“

„Du vergißt die Comtesse, die mir ihre Hülfe zugesagt hat.“

„Lernen Sie nur erst vornehme Herrschaften kennen!“ erklärte Christian. „Die Erlaucht wird sich um Ihretwillen die feinen Händchen nicht verbrennen. Was dann?“

„Glaubst Du, es würde mir allzuschwer werden, mich in einen einfach bürgerlichen Kurt Holderbusch zu verwandeln und mein Brod durch meine Arbeit zu verdienen? Wenn der Adel mein Glück hindert, so werfe ich ihn eben weg.“

„Sie wollten den Hofdienst aufgeben und bürgerlich werden? Denken Sie auch an Ihre Mutter?“

„Sie thut mir leid, aber ich kann ihr, wenn sie nicht nachgiebt, den Verdruß nicht ersparen. Vorurtheilen opfere ich mein Glück nicht. Leb’ wohl, Christian!“

„Na, viel Glück auf den Weg, Kurtchen! Seien Sie nur bei der Comtesse hübsch vorsichtig, denn mit hohen Herrschaften, auch wenn sie noch so gnädig sind, ist nicht gut Kirschenessen. Den Frauensleuten traue ich vollends nicht – man weiß nie recht, wie man mit ihnen daran ist. Und halt, noch Eins! Gehen Sie nicht auf der Haupttreppe hinunter! Der Johann vom Präsidenten war eben hier, um zu spioniren, und ich traue dem Schleicher nicht einmal so weit, wie ich ihn sehe. Verstanden?“

„Werde mich bestens danach richten. Ich weiß wohl, daß Du nicht blos treu und muthig bist, sondern daß Dir der Himmel auch ein gut Theil Schlauheit zugemessen hat. Leb’ wohl!“

Mit einem dankbaren Händedrucke verabschiedete sich der Junker von dem Alten, der ihn einst auf seinen Armen und Knieen gewiegt und geschaukelt hatte und der nun mit dem Ausdrucke einer fast mütterlichen Zärtlichkeit seinem Lieblinge nachblickte.

Aber nur zu bald sollte der Alte aus seiner friedlichen Stimmung herausgerissen werden.

„Chrrristian, he, Chrrristian!“ rief aus der Stube des Oberlandjägermeisters eine schnarrende Bierbaßstimme.

„Aha, der Herr Oberlandjägermeister,“ brummte Blümchen, that aber sonst gar nicht, als ob ihn der Ruf irgendwie anginge, sondern widmete sich wieder mit zornigem Eifer seinen Stiefeln.

„Muß nurrr selbst sehen, wo derrr Kerrl steckt,“ schnarrte es von Neuem im Nebenzimmer. Dann kam ein schlurrender Schritt näher und näher, und endlich öffnete sich die Thür.

„Himmel mohrrren krrreuz – –“ fluchte der gräfliche Oberlandjägermeister, dessen beleibte Figur fast die ganze Thüröffnung ausfüllte. „Meinerrr Seel, da steht derrr Kerrrl und antwortet nicht einmal. Ist Errr taub geworden, Chrrristian, oder was ist es?“

[363] „Habe heute zu thun, Herr Oberlandjägermeister.“

„So? Meint Errr etwa, ich hätte nichts zu thun, als nach Ihm zu schrreien?“

„Viel mehr wird’s auch nicht sein.“

„Was? Ich arrbeite mich fast zu Tode. Habe heute schon ein zwei Hände hohes Actenstück ganz allein zusammengeschrieben. Was sagt Errr nun?“

„Daß der Herr Oberlandjägermeister nicht flunkern sollen, wenn wir Beide allein sind,“ entgegnete der alte Diener unerschrocken.

„Kerrl, was wagt Errr – –“

„Na, na, nur ruhig! Wir Beide kennen uns doch nun gut genug,“ sagte Christian in seiner halb lachenden, halb grimmigen Weise. „Dem anderen Volke können Sie auch meinetwegen vorlügen, so viel Sie immer wollen! Der Christian hilft Ihnen ja doch immer wieder heraus, wenn Sie sich ’mal in die Patsche hineingelogen haben und nicht vorwärts und rückwärts können. Aber unter uns? Nein, da geht das partout nicht. Denn, sehen Sie, ich glaube Ihnen nun einmal kein Wort, und Sie können nicht allein mit dem Lügen fertig werden.“

„Allerrrliebst! Errr wird ja alle Tage höflicher. Aber wo sind meine Stiefeln? Sind sie immer noch nicht blank?“

„Ihre Stiefeln? Ich bin noch nicht einmal mit meinen fertig. Unser Graf muß wahrhaftig heute einen Strich – –“

Weiter kam Christian mit seiner verwegenen Rede nicht, denn sein Herr hielt ihm erschrocken den Mund zu.

„Ach was, ich fürchte mich nicht,“ rief Christian, sobald er die Hand des Oberlandjägermeisters mit sanfter Gewalt hinweggeschoben hatte. „Ich bin nicht, wie andere Männer, die immer wunder welche Heldenthaten zusammenlügen, und wo es dann gilt, sich wie ein Krauthase verkriechen.“

„Wen meint Errr mit dem Krrrauthasen?“ schnarrte der Oberlandjägermeister grimmig.

„Nun, wen sonst als Sie?“ entgegnete Christian. „Haben Sie sich etwa heute nicht versteckt, als der Präsident kam?“

„Hm, hm, ja allerrrdings,“ gab Blümchen’s Herr zu. „Das ist ein anderrr Ding. Werrr liebt auch solche Scenen? Konnte mir wohl denken, warum dieserr Herr von Strrraff kam. Fatale Geschichte mit dem Kurrrt, höchst fatal.“

„Warum fatal?“ fragte Christian „Wenn der Herr Oberlandjägermeister ein Mann wären – – –“

„Wa –, was bin ich denn sonst?“

„Das weiß ich nicht. Aber ich wenigstens ließe mir nicht in meine Familiensachen hineinsprechen. Mit Verlaub, eher würfe ich den Präsidenten sammt seinem Johann die Treppe hinunter, daß alle Beide Arme und Beine brächen.“

Wieder machte der Oberlandjägermeister einen Versuch, den tollkühnen Mund zu verschließen, aber diesmal wehrte der alte Diener seine Hand rechtzeitig ab und fuhr fort:

„Wär’s denn auch ein so großes Unglück, wenn unser Kurtchen die Mamsell Hartmann freite? Ich denke, ein bissel Geld können wir Alle brauchen. Was soll’s zum Exempel werden, wenn die Stiefeln da aus den Nähten gehn? Meister Patz rührt für uns meiner Seel’ ohne Geld keine Pfrieme mehr an.“

„Derr Kerrrl ist wohl toll?“ schnarrte Herr von Holderbusch sichtlich erschrocken.

„Nein Meister Patz ist nicht toll,“ fuhr Christian Blümchen trocken fort. „Eher sind gewisse Leute ein bissel toll, wenn sie um bloßer Einbildungen willen das Glück zur Thür hinauswerfen. Fassen Sie ’mal Courage, Herr Oberlandjägermeister! Machen Sie der gnädigen Frau den Standpunkt klar!“

„Errr hat im Grrrunde Rrrecht. Wahrhaftig Errr hat Rrrecht,“ erklärte der dicke Herr feierlich, indem er mit entschlossenen Schritten und geballten Fäusten im weiten Vorsaale pantoffelschlarfend auf und ab schritt. „Meine Frrrau nimmt sich wirklich manchmal zu viel heraus, das ist wahrrr. Ich werde ihr bei der allernächsten Gelegenheit meine Meinung sagen. Ja, das werd’ ich auf Ehrrre.“

„Holderbusch, bist Du im Vorsaale?“ rief in diesem Augenblicke eine schneidig scharfe Stimme aus dem anderen Nebenzimmer.

„Da können Sie ja Ihre Worte sogleich an – an – die Frau bringen,“ sagte Christian mit einem seltsamen Lächeln. „Spazieren Sie nur da hinein, Herr Oberlandjägermeister!“

„Nicht fürrr eine Million!“ erklärte der dicke Herr erschrocken. „Chrrristian, was thu’ ich? Das giebt gewiß eine schlimme Scene. O, du mein Himmel!“

„Na, so will ich zu der Gnädigen geh’n. Ich fürchte mich nicht. Da halten Sie unterdessen meine Pfeife im Brande.“

Ehe noch der Oberlandjägermeister zum vollen Bewußtsein des an seiner Würde geübten überkühnen Attentats kommen konnte, hielt er bereits die kurze Stummelpfeife seines Dieners in der Hand; Letzterer aber war im Nebenzimmer verschwunden.

„Was will Er? Ich habe nicht geschellt,“ herrschte dem alten Diener die schneidige Stimme der gnädigen Frau sofort bei seinem Eintritte in deren Zimmer entgegen.

„Weiß wohl, gnädige Frau. Der gnädige Herr sind – sind aber zufällig nicht – nicht da, und so kam ich.“

„Das sehe ich. Im Uebrigen kann mir auch Sein Erscheinen recht sein; denn Er ist im Grunde ein ganz verständiger Mensch.“

„Ja, das bin ich allerdings,“ erklärte Christian mit dem Ausdrucke ruhigen Selbstbewußtseins, während doch zugleich ein seltsames Aufleuchten in seinen Augen anzudeuten schien, daß ihn die überflüssige Anerkennung unleugbarer Thatsachen tief-innerlich belustige. „Was befehlen gnädige Frau?“

„Ich habe mit Ihm verschiedene ernste Dinge zu besprechen.“ –

„Gut, aber machen Sie es hübsch kurz, gnädige Frau! Ich habe für lange Constellationen heute keine Zeit.“

Die Frau Oberlandjägermeisterin biß sich in verhaltenem Zorne auf die Lippe. „Kurz, zur Sache!“ sagte sie dann, ihre innere Entrüstung niederkämpfend. „Da Er in guten Häusern servirt hat, so weiß Er gewiß auch, wie viel dort auf Reinheit des Blutes ankommt. Sehe Er einmal, Christian, mein Schwager, der kurfürstliche General von Holderbusch, Excellenz, ist Majoratsherr. Und nun habe ich zu meinem Schrecken durch den Präsidenten erfahren, daß mein Sohn ein Verhältniß mit einem bürgerlichen Mädchen angeknüpft hat. Hierdurch aber würde der Fortbestand des Majorats bei unserer Familie gefährdet, und deshalb darf und soll er sich nicht unter seinem Stande verheirathen.“

„Aber gnädige Frau, ich will mich ja gar nicht verheirathen. Denke gar nicht daran, sag’ ich Ihnen.“

Die Oberlandjägermeisterin erhob sich rasch von ihrem Sitze und trat mit zornig blitzenden Augen an ihren Diener heran.

„Wenn ich nicht wüßte, ein wie treuer Diener Er immer gewesen ist, so würde ich Ihn jetzt in einer Weise mores lehren, die Ihm nicht gefiele,“ sagte sie dann. „Denkt Er etwa, ich glaube bei Ihm an diese wunderbare Naivetät, so irrt Er sich. Ich habe mindestens soviel Verstand, wie Er, und ich sage Ihm also, daß Er recht wohl weiß, ich rede vom Junker und nicht von Ihm.“

„Ah so, ah so, vom Junker,“ erwiderte Christian, der diesmal doch ein wenig verblüfft darüber schien, daß die Gnädige sein keckes Spiel so rasch durchschaut hatte. „Gnädige Frau meinen also, daß unser Junker die Demoiselle Hartmann nicht heirathen soll? Ein böses Ding das, gnädige Frau.“

„Warum? Glaubt Er etwa, Kurt werde seinen Eltern nicht gehorchen?“

„Was unser Kurt thun wird, das kann ich nicht sagen, gnädige Frau. Wenn man verliebt ist, dann hat man so seine eigenen Schrullen, wie gnädige Frau wohl auch wissen. Es wäre jedenfalls am besten, man schaffte die Doppelflinte, die beiden Pistolen und die Pürschbüchse aus der Stube unseres Junkers fort.“

„Christian, was redet Er da?“ rief Frau von Holderbusch erbleichend. „Er denkt doch nicht –“

„Ich denke nur, besser ist besser, gnädige Frau.“

„O mon dieu, mon dieu!“ jammerte die Gnädige, indem sie mit gerungenen Händen im Zimmer auf- und abschritt. „Mein Kurt, mein einziges Kind! Warum muß über uns solches Unheil kommen?“

„Ruhig, gnädige Frau! Unser Kurt ist ja noch nicht todt. Am Ende ist es doch auch besser, der Junker bekommt eine hübsche junge Frau, die Batzen hat, als die Schulden des Herrn Generals.“

„Er redet, wie Er’s versteht,“ entgegnete Frau von Holderbusch mit einem Anklange an den alten scharfen Ton. „In [364] unserm Hause ist niemals eine Mißheirath vorgekommen, nein, niemals. In unseren Adern fließt kein Tropfen bürgerlichen Blutes, und wir haben uns namentlich niemals zu Geldheirathen erniedrigt. Wenn ich auch als Mutter schwach sein wollte, so könnte und dürfte ich dennoch nicht nachgeben. Ich habe dem Präsidenten heute mein adeliges Ehrenwort verpfändet, daß mein Sohn niemals ein bürgerliches Mädchen heirathen soll.“

„Ist das Ihr einziges Bedenken, gnädige Frau? Und solch ein Pappenstiel macht Ihnen Kopfschmerzen? Der Graf braucht ja die Jungfer nur zu adeln, so ist uns geholfen.“

„Das, ja das ließe sich allerdings hören,“ räumte Frau von Holderbusch ein.

„Und was das Geld der Jungfer betrifft, so brauchen sich gnädige Frau auch keine besonderen Sorgen zu machen,“ fuhr Christian mit einem seltsamen Lächeln fort. „Der Junker hat mir schon gesagt, daß er sein Schätzchen nicht um des Geldes willen heirathen will, daß er auf das Vermögen verzichtet und –“

„Wenn mein Sohn das gesagt hat, so ist er wahrhaftig ein Narr,“ erklärte die Gnädige sehr entschieden.

„Die Narrheit läßt sich halten,“ entgegnete Christian rasch. „Von jungem verliebtem Volke darf man es gar nicht anders erwarten. Das wäre mir ein schöner Bursche, der schon vor der Verlobung rechnen wollte, wie viel einmal seine Braut bekommt. Aber es giebt gewisse ältere Leute, die sonst ganz gescheidt sind und dann doch um curioser Ideen willen –“

„Schuster, bleib bei Deinen Leisten!“ unterbrach ihn die Oberlandjägermeisterin. „Was versteht Er von höheren leitenden Ideen! Kurz gesagt, wenn der Graf das Mädchen wirklich adeln wollte, so hätte ich im Grunde nichts Ernstliches gegen sie einzuwenden. Es ist meines Sohnes Sache, Seine Erlaucht den Grafen zu jenem Schritte zu bewegen, und das wird schwer genug halten. Denn Seine Erlaucht lieben den Domänenrath nicht, und unser Herr Präsident setzt natürlich Himmel und Hölle in Bewegung, um diese Erhebung in den Adelstand zu hintertreiben. Ich selbst halte mich neutral, wie es einer Frau von meinem Stande gebührt.“

„Sie werden so lange neutral bleiben, bis Sie es bereuen, gnädige Frau. Aber meinetwegen! Jeder nach seinem Geschmack, sagt der Franzose.“

„Wo es sich um adelige Ehre handelt, bereue ich nichts. Inzwischen erwarte ich von Ihm, daß Er mir über alle Vorkommnisse getreulich berichtet. Ueber alle ohne Ausnahme, versteht Er wohl? Unser Kurt hat zu Ihm Vertrauen und verbirgt Ihm nichts. Es ist also Seine Pflicht, mich über alle Mittheilungen des Junkers im Klaren zu erhalten. Will Er mir das versprechen?“

Das mahagonifarbige Gesicht Christian’s war während dieser Worte seiner Gnädigen noch um einige Farbentöne dunkler geworden, und seine breite Brust wogte dabei gewaltig auf und ab, als arbeite sie einem gewaltsamen Ausbruche entgegen.

„Nun, hat Er mich verstanden? Oder würdigt Er mich keiner Antwort?“

Die Frau Oberlandjägermeisterin betonte die letzten Worte so besonders scharf, daß Christian diesmal nicht schweigen konnte.

„Ich bin kein Narr und kein Verräther, gnädige Frau,“ sagte er dann. „Unsereins weiß auch, was Pflicht ist, und von einem Verräther frißt kein Rabe. Halten zu Gnaden, Frau Oberlandjägermeisterin!“

Damit machte der Alle rasch rechtsum Kehrt und ging mit wuchtigen, selbstbewußten Schritten aus dem Zimmer.

„Der Präsident hat Recht – der Mensch muß sobald, wie möglich, aus dem Hause,“ zischte Frau von Holderbusch zornig, sobald sich die Thür hinter Christian geschlossen hatte. „Seine lange Dienstzeit bei uns hat ihn übermüthig gemacht, sodaß er seine untergeordnete Stellung völlig vergißt. Er muß fort.“

Christian aber ging draußen von Neuem an seine schwere Arbeit.


3.

Im Arbeitszimmer des Kammerpräsidenten von Straff herrschte dieselbe Einfachheit, wie in der Wohnung des Oberlandjägermeisters. Die Möbel waren sämmtlich alt und unscheinbar und der mit fadenscheinigem, grünem Tuche bezogene Arbeitstisch, an welchem jetzt der gefürchtete Günstling des Grafen saß, hatte sicher mehr als ein halbes Jahrhundert erlebt. Der starkknochig und eckig gebaute, bejahrte, aber noch kräftige Herr, in dessen rothbraunes Haar sich bisher nur einzelne Silberfäden eingeschlichen hatten, blätterte in einem Actenstücke herum, in dem einer der massiv gebauten Finger eine besonders interessante Stelle anzudeuten schien. Herr von Straff war dabei in sein Studium so tief versunken, daß er nicht einmal von der Anwesenheit seiner Tochter zu wissen schien, obwohl die junge Dame schon wiederholt in wachsender Ungeduld durch leise, dann aber immer merkbarere Zeichen die Aufmerksamkeit ihres Vaters auf sich zu lenken gesucht hatte.

„Nun, Papa, wie weit bist Du mit Deiner wichtigen Arbeit?“ fragte sie endlich. „Ist die Lectüre so außerordentlich interessant, daß Du für mich weder Auge noch Ohr hast?“

Der Kammerpräsident erhob bei dieser Anrede seinen Blick von den Acten und sah seine Tochter noch etwas zerstreut an.

„Wie weit ich bin?“ wiederholte er dann. „Interessirst Du Dich wirklich einmal für Das, was mir am Herzen liegt? Ich sage Dir, diese Acten, auf welche Du mit gewohnter Geringschätzung herabblickst, sind für mich ein Gegenstand von höchster Wichtigkeit. Der schlaue Wilddieb, von dem sie handeln, ist höchst wahrscheinlich derselbe, der jahrelang ungestraft in den gräflichen Forsten so arg gehaust hat. Er leugnet zwar noch, die sämmtlichen früheren Vergehen begangen zu haben, obwohl er beim Ausweiden eines Rehes betroffen worden ist und obwohl ich es an ernsten Ermahnungen zur Wahrheit nicht habe fehlen lassen.“

„Der Himmel behüte Jedermann vor Deinen ernsten Ermahnungen!“ warf Hulda bitter lachend ein. „Ich habe das Jammergeschrei des armen Menschen über den ganzen Markt herüber bis auf mein Zimmer hören müssen.“

„Und Dein stets so mildes und gefühlvolles Herz hat sich natürlich davon sehr gerührt gefühlt,“ bemerke der Präsident mit kaltem Spotte. „Für solche Schwächen hat Dein eiserner Vater nun freilich kein Verständniß. Ich sage Dir, der Bursche muß in jedem Falle gestehen. Ich brauche seine Bekenntnisse für ganz besondere Pläne und werde sie also zu erlangen wissen. Dem Himmel sei es gedankt, daß uns für solche Zwecke in unseren Wäldern die geeigneten Mittel von selbst und reichlich in die Hand wachsen.“

Der alte Herr machte mit der Hand eine so unzweideutige Bewegung, daß seine Tochter sich leise schaudernd abwenden mußte.

„Welchen besonders hohen Zweck kannst Du hier verfolgen?“ fragte sie dann. „Ist nicht unser Zuchthaus schon voll genug von Wilddieben? Was also kann Dir noch an dem Elende eines Verurtheilten liegen?“

„Du sprichst wie ein Kind,“ entgegnete Herr von Straff. „Wir beherrschen unsere Fürsten wahrlich nicht durch ihre Tugenden, sondern vor Allem durch ihre Schwächen. Glaubst Du, ich bliebe auf die Dauer der eigentliche Herr im Lande, wenn unser Max Theodor etwa stets nur gutherzig und freigebig wäre? Zum Diener eines sentimentalen Herrn bin ich nicht geschaffen. Aber Gott sei Dank, der Graf liebt mit blinder Leidenschaft die Jagd und haßt wie den Tod die Wilderer. An diesem Gängelbande leite ich ihn, wie ich eben will. Aber, da wir einmal von meinen Zwecken reden – hast auch Du sie gefördert, wie ich Dir rieth? Hast Du Dich, als der Graf gestern Abend mit Dir redete, über das unziemliche Benehmen dieses Junkers von Holderbusch beschwert?“

Ueber das Gesicht des Mädchens legte sich ein tiefer Schatten. „Nein,“ sagte sie fest, „das habe ich nicht gethan und werde es auch nicht thun.“

Der Präsident erhob sich von seinem Sessel und starrte seine Tochter mit einem zornglühenden Blicke an.

„Was? Du weigerst mir den Gehorsam?“ rief er. „Willst auch Du erfahren, daß diese Hand trotz meines Alters noch stark genug ist, um diese Grafschaft und daneben auch mein Haus zu regieren? Warum also hast Du meine Weisung nicht befolgt?“

„Einfach deshalb nicht, weil mir der Junker allzu gleichgültig ist,“ entgegnete Hulda unerschrocken.

„Du hast, wie es scheint, einen recht besonderen und auserlesenen Geschmack,“ bemerkte der Präsident mit spöttischem Lächeln. „Anderen Damen von gutem Adel mißfällt der Junker durchaus

[365] nicht. Er ist hübsch, hat etwas gelernt, weiß sich zu benehmen und ist im Grunde auch nicht bösartig.“

„Aber er hat nicht den Ehrgeiz, den ich von einem Manne unseres Standes verlange,“ entgegnete Hulda stolz. „Er strebt nicht nach höherem Einflusse bei Hofe und denkt sogar vom Adel gering.“

„Natürlich, ganz natürlich,“ lachte der Präsident. „Das geschieht, weil er eben ein bürgerliches Schätzchen hat.“

„Also bis dahin erniedrigt sich der Junker? Und wen beglückt er durch seine noble Neigung?“

„Wie? Solltest Du allein am Hofe noch nicht wissen, in welchem Verhältnisse Kurt von Holderbusch zur Anna Hartmann, der Tochter des Domänenraths in Brandenfels, steht?“ „Du weißt, daß ich mich um sentimentale Affairen, die insolchen Schichten der Gesellschaft spielen, grundsätzlich nicht kümmere. Dagegen muß ich jetzt einen sehr ernsten Vorwurf gegen Dich selbst richten. Du hast um diese schimpfliche Neigung des Junkers gewußt und hast mir dennoch rathen können, daß ich die Berührung mit ihm suche?“

„Es paßte eben für meine Zwecke, daß wenigstens der Graf an ein Verhältniß zwischen Dir und dem Junker glaube,“ entgegnete der Präsident kalt.

„Vortrefflich! Welch zärtlichen Vater ich habe!“ rief Hulda von Straff mit schneidiger Schärfe. „Wie ängstlich besorgt er um die Ehre seiner einzigen Tochter ist! Und diesen Schimpf sollte ich auch noch zum Gegenstande von Beschwerden beim Grafen machen? Gott sei gelobt, daß er mich wenigstens vor diesem Aeußersten bewahrte!“

„Du bist und bleibst ewig eine Närrin, welche der Hochmuth völlig blind macht,“ erklärte der Alte. „Wer den Zweck will, muß auch die Mittel nicht scheuen und nicht viel nach ihren moralischen Qualitäten fragen. Nur rücksichtslose Geister kommen in dieser Welt zum Ziel.“

„Sind diese Zwecke auch der Art, daß Deine Tochter sie erfahren darf?“ fragte Hulda mit einem seltsam forschenden Blicke.

„Warum nicht?“ entgegnete der Präsident nach kurzem Bedenken. „Die lebhafte Zuneigung des Grafen zu seiner Schwester ist von je das gefährlichste Hinderniß meiner Pläne gewesen, und gar manchen davon hat mir die Comtesse zu meinem argen Verdrusse vereitelt. Wenn es mir gelänge, dieses Band zu zerschneiden, wie ich einst die noch zärtlicheren Fesseln zwischen der Comtesse und dem jetzigen Domänenrath Hartmann zertrennte, so wäre meine Stellung unerschütterlich. Nun liebt der Graf den Domänenrath nicht, weil es mir bei der Hainröder Erbtheilung durch einen glücklichen Griff gelang, das Gut und die Waldungen Hartmann’s als churfürstliche Enclave zu bewahren, das heißt wie einen recht stachligen Dorn mitten in die gräflichen Jagdreviere hinein zu pflanzen. Die Comtesse aber wird natürlich aus alter Liebe, die nie rostet, das Verhältniß zwischen dem Junker und Hartmann’s Tochter begünstigen. Sollte also auf solchem Boden, wenn wir ihn noch ein wenig cultiviren, der segensreiche Keim einer goldenen Zwietracht zwischen den gräflichen Geschwistern nicht gedeihen können?“

[377] „Wer nichts wagt, gewinnt nichts,“ fuhr der Präsident in seiner Rede fort, „und ich mische die Karten diesmal so vorsichtig, daß ich nothwendig gewinnen muß. Der alten Närrin – ich meine die Oberlandjägermeisterin von Holderbusch – habe ich schon das Ehrenwort abgelockt, daß sie ihrem Sohne die heiß ersehnte Einwilligung nie ertheilt. Damit habe ich auch unseren Holderbusch senior in der Hand, denn er ist eben eine Null in seinem Hause. Handelt nun der Junker gegen den Willen der Mutter und des Vaters und scheint es auch nur, als habe er Dir dabei die Treue gebrochen, so wird unser biederer Graf ihm dies niemals verzeihn. Wenn dann die Comtesse dennoch auf ihrem Kopfe beharrt, so haben wir eben das Zerwürfniß, dessen ich bedarf. Willst Du also folgen, Hulda, und willst Du mein gutes Kind sein?“

„Ich? Nimmermehr!“ erklärte die junge Dame entschieden. „Im Gegentheile, ich warne Dich dringend vor dem Betreten dieses wenig sauberen Pfades.“

„So geh, geh, Du Närrin! Ich bedarf im Grunde weder Deines Raths, noch Deiner Hülfe. Geh!“

Schweigend und in sich selbst versunken, verließ Hulda das Arbeitszimmer ihres Vaters.

Was war das? Hatte ihr der Präsident wirklich seine letzten Zwecke völlig enthüllt? Sie zweifelte. Was trieb den alten Herrn, nachdem er lange Jahre hindurch nichts gegen die verhaßte Comtesse zu thun gewagt hatte, jetzt so plötzlich zu diesem verwegenen Unternehmen? Dahinter waren sicher noch andere ihr unbekannte Gründe verborgen. Galt es einer besonderen Rache? Aber gegen wen und weshalb?

Diese Gedanken beschäftigten Hulda so lebhaft, daß sie den Vorsaal durchschritt, ohne den dort scheinbar mit dem Reinigen eines Kleidungsstückes beschäftigten Johann zu bemerken; dann verschwand sie in ihrem Zimmer.

Kaum hatte sich indessen die Thür hinter dem Fräulein geschlossen, so gab der Diener des Präsidenten seine Scheinarbeit auf, um hinter ihr her eine spöttisch höfliche Verbeugung zu machen.

„Es ist doch zu manchen Dingen gut, wenn man nicht von stiftsfähigem Adel ist,“ murmelte er dabei. „Hieße ich nicht Johann Schnabel, sondern etwa Hans von Schnabelheim, so hätte mich meine Unvorsichtigkeit theuer zu stehn kommen können. Wer hieß mich auch bis zum letzten Augenblicke an der Thür horchen! Unser liebes, bescheidenes Huldchen hat aber Gott sei Dank, für Unsereinen keine Augen. Wir sind ihr eine Art lebender Maschinen, und sie bedauert nur, glaube ich, daß wir den adligen Menschenkindern dennoch ein ganz klein wenig ähnlich sehen. Was sie wohl sagte, wenn ich ihr ein Licht über die zärtlichen Herzensneigungen des würdigen Papa aufsteckte? Sie würde sich über die bürgerliche Stiefmama gewiß ganz außerordentlich freuen.“

Johann klopfte leise und bescheiden an die Thür, die in das Zimmer des Präsidenten führte, und öffnete sie auch nach dessen lautem „Herein“ nur soweit, als erforderlich war, um sich mit der Schmiegsamkeit einer Schlange durch den schmalen Spalt hindurch drängen zu können.

„Ah, ist Er schon wieder da?“ fragte der Präsident, der bis dahin, die Hände auf dem Rücken zusammengelegt, im Zimmer auf und abgeschritten war und nun in stolzester Haltung dicht vor dem demüthig zusammengebogenen Diener stehen blieb. „Mit Seinen Ermittelungen wird es also verzweifelt windig aussehen. He?“

„Der Herr Präsident mag selbst urtheilen,“ entgegnete Johann mit dem Ausdrucke bescheidener Selbstzufriedenheit. „Zunächst weiß ich, daß der Junker von Holderbusch mit Demoiselle Hartmann heute ein Rendezvous gehabt hat.“

„Das konnte ich mir allenfalls selbst denken, da sie in der Stadt ist. Weiter!“

„Ich ging darauf nach dem neuen Schloßflügel, wo die Zimmer der Comtesse liegen.“

„Warum that Er das?“ fragte der Präsident.

„Weil ich ein Stück von einer Unterredung mit angehört hatte, die zwischen unserem erlauchten Grafen und Herrn und –“

„Lasse Er hier die weitläufigen Titulaturen bei Seite!“ unterbrach ihn der Präsident. „Er hat den Grafen und die Comtesse behorcht. Wovon sprachen sie?“

„Die Comtesse fand die ewige Geldklemme wunderbar und unbegreiflich.“

„Natürlich, das ist ihr Lieblingsthema und damit hofft sie mich aus dem Sattel zu heben. Weiter!“

„Dann warnte sie den Grafen vor den Mittheilungen, welche der Herr Präsident höchsten Orts über den Junker von Holderbusch gemacht haben müssen. So dachte ich mir denn, daß die Comtesse selbst in ihrer Weise den Junker in das Verhör nehmen werde, um die Wahrheit zu erfahren, und blieb deshalb in der Nähe.“

[378] Der Präsident hob den Kopf. „Hoffte Er auch von dieser Unterredung etwas zu erlauschen?“

„Ich bitte tausendmal um Vergebung, gnädigster Herr, aber das Horchen geht dort nicht wohl an, weil die Kammerfrau Weiß und das neue Zöfchen der Erlaucht Unsereinen nicht so nahe heranlassen.“

„Er müßte mit dem Zöfchen ein wenig zu charmiren suchen.“

„Das habe ich auch versucht, untertänigst aufzuwarten, aber sie traut mir nicht.“

„Das kann ich der Kleinen nicht verdenken,“ lachte der Präsident in seiner rauhen Weise. „Ich thue es wahrhaftig auch nicht. Was hat Er also erfahren?“

„Daß der Jagdjunker eine halbe Stunde und zehn Minuten bei der erlauchten Comtesse gewesen ist.“

„Das ist im Grunde verzweifelt wenig,“ erklärte der Präsident geringschätzig. „Wenn Er noch weitere Lappalien dieses Schlages zu berichten hat, so fasse Er sich wenigstens kürzer!“

„Unterthänigst zu Befehl. Ich möchte darauf schwören, daß Mamsell Hartmann heute Nachmittag zur Comtesse in den Garten befohlen ist.“

Der Präsident trat einen Schritt vor. „Wie? Was? So weit wäre man drüben schon? Johann, wenn Er diesmal faselt und lügt!“

„Urtheilen auch hier der gnädigste Herr selbst! Unser Graf und Herr kommt heute wegen des Rittes nicht in den Garten. Der Boden muß dort unter den Bäumen noch feucht sein, und trotzdem ist das Kaffeegeschirr für drei Personen dort hinübergetragen worden. Da nun der Junker sofort nach der Audienz die Jungfer Hartmann aufgesucht hat, so –“

„Er hat Recht, ganz unzweifelhaft.“

„Ich habe auch hinter der Portierloge selbst mit angehört, wie Frau Weiß den alten schläfrigen Burschen zum Vertrauten dieses Geheimnisses machte. Nebenbei gesagt, sie sprachen dabei höchst despectirlich von meinem Herrn Präsidenten und der gräflichen Kammer.“

„Soll im Conto wohl vermerkt werden. Hat Er noch mehr zu berichten?“

„Ich bin zu Ende, gnädigster Herr.“

„Dann kann Er gehen. Da Er Seine Sache übrigens nicht ganz ungeschickt angefangen hat, so mag Er sich zur Belohnung oben auf der Bodenkammer einen von meinen alten Röcken aussuchen. Nun, was steht Er noch da?“

„Bitte unterthänigst um Verzeihung, aber wenn es dem Herrn Präsidenten gleich gälte, so wäre mir eine kleine Summe baaren Geldes weit lieber.“

„Er nimmt, was ich Ihm für Seine unbedeutenden Dienste biete, oder Er bekommt gar nichts. Marsch!“

Der Präsident schritt nach dem demüthigen Abgange seines Dieners noch einige Male schweigend im Zimmer auf und ab. Dann nahm er rasch entschlossen die über den jüngsten Wilddiebstahl eingegangenen Acten unter den Arm und verließ damit seine Wohnung, um nach dem Schlosse hinauf zu wandern.

Herr von Straff hatte schwerlich die leiseste Ahnung davon, welchen schlimmen Streich ihm inzwischen Johann, aus dessen dunklen Marderaugen heißer Rachedurst über getäuschte Hoffnungen sprühte, sofort nach seiner Entfernung aus dem Hause spielen würde. Er sah nicht, wie sein Diener in das Arbeitszimmer schlich und dort lange und aufmerksam den Papierkorb durchsuchte, bis er zuletzt auf dem tiefsten Grunde desselben ein halb durchrissenes, rosenfarbenes Papier fand. Er ahnte auch nicht, daß sein schlauer Diener diesen mit den Worten „Höchstverehrte Demoiselle Hartmann“ beginnenden Entwurf eines sehr zärtlichen Schreibens mit hämischem Lächeln überlas und dann das Papier wie zufällig in die auf einem Nebentische für das Fräulein bereit liegende Zeitungsmappe des Präsidenten gleiten ließ. Von alle dem ahnte der Herr Präsident nichts, sonst hätte er sich schwerlich mit dem Hauptmann von Felsewitz von den Gardegrenadieren, der ihn an der Hauptwache ehrfurchtsvoll begrüßte, in ein so leutseliges Gespräch eingelassen und dann mit selbstzufriedenem Lächeln seinen Weg nach den Gemächern des Grafen fortgesetzt.

Max Theodor hatte es sich an diesem heißen Nachmittage möglichst bequem gemacht. Sein graugrüner Jagdrock hing über der Lehne des mit einfachem Kattun überzogenen Sophas, und der Graf spazierte nun in Hemdärmeln und aus der langen Lieblingspfeife rauchend behaglich durch das Zimmer. Er änderte auch diese etwas leichte Toilette durchaus nicht, als ihm der Präsident gemeldet wurde, sondern ließ ihn eintreten.

„Nun, mein lieber Straff, was bringen Sie?“ redete der Graf den Präsidenten an. „Hoffentlich nichts Uebles.“

„Durchaus nicht, Erlaucht. Ich möchte nur unterthänigst um die Erlaubniß bitten, an dem heutigen Ritte nach dem Hirschsprunge nicht Theil nehmen zu dürfen.“

„Das thut mir leid, Herr Präsident,“ entgegnete der Graf gütig. „Sie wissen, daß ich Sie immer gern um mich sehe. Ich kenne und ehre Ihren Diensteifer, aber lassen sich denn heute Ihre Geschäfte durchaus nicht aufschieben?“

„Es handelt sich um den gefangenen frechen Wilddieb, Erlaucht,“ entgegnete der Präsident. „Ich bin der Meinung, daß man das Eisen schmieden muß, so lange es noch heiß ist.“

„Lieber Präsident, ich kenne Sie. Sie werden dem Burschen schon so warm gemacht haben, daß die Hitze am Ende noch bis morgen vorhält.“

„Halten zu Gnaden, Erlaucht, wenn ich hier anderer Meinung bin. Ueber Nacht könnte er sich leicht anders besinnen und die weiteren Geständnisse, die ihm schon auf der Zunge schwebten, besser zu bewahren suchen.“

„Nicht wahr, der Fall ist interessant, Herr von Straff?“

„Höchst interessant. Wenn Erlaucht einen Blick in diese Acten –“

„Brrr, Acten!“ wehrte der Graf ab. „Berichten Sie lieber mündlich!“

„Nun wohl, die tausendfältige List, mit welcher sich der Verbrecher bisher unseren Nachstellungen entzogen hat, könnte man fast bewundernswerth nennen.“

„Sie machen mich neugierig. Wann ungefähr glauben Sie das Verhör beenden zu können?“

„Spätestens bis sechs Uhr Abends.“

„So! Wissen Sie, am Ende – ja, am Ende gebe ich lieber den heutigen Ausflug auf, damit Sie mir sofort über den Fall berichten können. Ja, das wird das Beste sein. Wollen Sie also die Güte haben, den Ritt bei den Herren Cavalieren absagen zu lassen?“

„Zu Befehl, Erlaucht. Dieser Gegenbefehl wird ohnehin Manchem von den Herren recht erwünscht kommen, zum Beispiel unserm dicken Holderbusch.“

„O ja, wenn er nicht etwa schon eine neue kolossale Lüge ausgedacht hat, um uns damit zu tractiren. Ich glaube, er trägt die schwersten Unbequemlichkeiten leicht, wenn er nur eine seiner Münchhausiaden an den Mann bringen kann. Doch für uns ist die Leidenschaft des Dicken nicht maßgebend. Ihr Fall interessirt mich mehr. Sagen Sie einmal, wie wollen wir diesen Wilderer bestrafen?“

„Zehn Jahre Zuchthaus sind das Mindeste. Erlaucht.“

„Bah, drei Jahre genügen am Ende auch. Es ist eine lange Zeit, und das Leben im Zuchthause ist doch immer ein Stück Hölle.“

Der Präsident schwieg, wagte aber durch ein leises Kopfschütteln auszudrücken, daß er mit dieser Milde nicht einverstanden sei.

„Drei Jahre sind Ihnen nicht genug, wie ich sehe,“ fuhr der Graf fort. „Vielleicht mache ich Ihnen noch eine kleine Concession, denn ich gebe viel auf Ihr gerechtes Urtheil. Aber – aber, lieber Präsident, mir kommen jetzt doch öfter Zweifel, ob wir im Jagdwesen nicht überhaupt allzu streng sind.

„Ich glaube aus den Worten Eurer Erlaucht die allzu milde Stimme der erlauchten Comtesse herauszuhören.“

„Ja, ja, so ist es auch. Meine Schwester muß von unseren eigenen geheimen Ausflügen nach den Revieren des Domänenraths Kunde erhalten haben; denn sie hielt mir dieselben neulich vor. ‚Wie würde es Dir dünken,‘ sagte sie ‚wenn man Dich selbst bei einer solchen Wilderei erwischte? Wie maßlos unglücklich wärst Du, wenn man Dich nur einen Tag der Freiheit berauben dürfte! Jener Wilddieb aber verging sich aus Noth, und Du allein um einer frevlen Lust am Unerlaubten willen.‘“

Der Präsident schlug, wie in maßlosem Erstaunen, die Hände zusammen.

[379] „Was muß ich hören, Erlaucht!“ rief er dann. „Wie ist es möglich, eine Parallele zwischen meinem erlauchten Herrn und einem frechen Wilderer aus den niedrigsten Ständen zu ziehen? Gerade darin, daß jener Verbrecher aus gemeiner Habgier handelt, liegt ein so handgreiflicher und höchst wesentlicher Unterschied, daß ich nicht begreife, wie unsere erlauchte Comtesse denselben übersehen konnte. Erlaucht denken doch wahrlich nicht an Gewinn, wenn wir einmal einen unserer lustigen Streiche ausführen. Das geschieht, um etwas Würze in das stille Leben zu bringen, und vielleicht noch ein wenig, um diesem überreichen Hamster in Brandenfels ein Schnippchen zu schlagen. Wahrlich, Hartmann verdient diese milde Züchtigung schon für die Dreistigkeit, mit welcher er einst seine Hand nach unserer erlauchten Comtesse –“

„Still, um des Himmels willen!“ mahnte der Graf. „Wenn meine Schwester von solchen Motiven wüßte, so ginge es mir und Ihnen übel. Auch denke ich in Wahrheit um so weniger an eine kleinliche Rache, als ich selbst in dieser schlimmen Affaire, wenn auch als Kind, auf der Seite meiner Schwester gestanden habe. Warum überhaupt diese glücklich überwundenen und verjährten Dinge wieder auffrischen? Von etwas Anderem also, wenn’s beliebt!“

Der Präsident verbeugte sich ehrerbietig. „Gestatte mir Erlaucht, jetzt wieder an meine Arbeit zu gehen!“ bat er dann. „Ich werde immerhin etwas eilen müssen, um zur bestimmten Zeit unterthänigst berichten zu können.“

„So gehen Sie mit Gott! Was mich betrifft, so werde ich, um den Nachmittag hinzubringen, meinen Kaffee bei der Comtesse nehmen. Wie wird Lottchen überrascht sein, wenn ich plötzlich im Garten bei ihr erscheine!“

Der Präsident mußte sich abwenden, um seine Freude über diesen Entschluß des Grafen zu verbergen. Gerade diese Ueberraschung der Comtesse und ihrer heutigen Gäste hatte er durch seine Mittheilungen bezweckt. Der Graf wurde leicht gereizt und jähzornig, sobald er sich irgendwie hintergangen glaubte. Wenn er nun heute nichts von den ergangenen Einladungen wußte und wenn er dann den Junker von Holderbusch und dessen Geliebte unerwartet im Garten der Comtesse fand, so faßte der in diesem Punkte höchst empfindliche Herr die Sachlage wahrscheinlich in ungünstigem Sinne auf.

Aber der alte Herr war listig und vorsichtig und sicherte sich, wo er irgend konnte, eine gute Rückzugslinie. Deshalb entschied er sich nach einer kurzen Ueberlegung dafür, dem Grafen zum Scheine von dem Besuche bei der Comtesse abzureden.

„Ich wüßte noch einen anderen Vorschlag, Erlaucht, den ich ganz unterthänigst den höchsten Erwägungen unterbreiten möchte,“ sagte er deshalb. „Die Gewächshäuser für die Ananaszucht sind jetzt wegen der Menge der schönen Früchte wirklich sehenswerth. Wie wäre es, wenn Erlaucht dieselben heute besichtigten?“

Der Graf lachte hell auf.

„Ein vortrefflicher Vorschlag!“ rief er. „Sind Sie denn des Kukuks, Präsident, mich an einem heiße Tage, wie heute, noch in diese Bratöfen stecken zu wollen?“

„Erlaucht haben Recht,“ gestand der Präsident ein. „Wie habe ich nur daran denken können! So möchte ich also einen Gang durch den Marstall oder – –“

„Was birgt sich hinter allen diesen Vorschlägen?“ unterbrach ihn der Graf mit zusammengezogenen Augenbrauen. „Warum soll ich nicht dahin gehen, wohin mich mein Verlangen zieht? Haben Sie einen besonderen Grund, Straff, dann reden Sie offen! Ich verstehe mich nicht auf diplomatische Kniffe und Winkelzüge, wie Sie wissen.“

„Hier handelt es sich durchaus nicht um solche Künste, Erlaucht. Ich glaube nur die Erfahrung gemacht zu haben, daß Ueberraschungen nicht unter allen Umständen erwünscht sein können.“

„Bah, das mag bei anderen Leuten wohl zutreffen. Charlotte und ich aber haben einander Nichts zu verbergen, Herr Präsident. Gerade Ihre Abmahnungen reizen mich, einmal zu sehen, wie dort eine Ueberraschung wirken mag. Ich gehe in den Garten zur Comtesse.“



4.

Der älteste Theil des Schwalbensteiner Schlosses war ehedem mit Wall und Graben und außerdem mit einer äußeren durch Thürme flankirten Mauer umgeben gewesen. Als aber im vorigen Jahrhundert der jetzt vom Grafen und seiner Schwester bewohnte neue Schloßflügel im magersten Rococostyle erbaut und hinter dem alten Schlosse ein weiter Garten in französischem Zopfgeschmacke hergestellt wurde, hatten die mittelalterlichen Befestigungen vor diesen Neubauten und Anlagen fallen müssen. Nur auf der Südseite des Schloßberges, wo er steil wie eine Wand zur Stadt hinabfällt, war ein Stück des Walles und Grabens um der herrliche Aussicht willen erhalten geblieben, und hier hatte sich später die Schwester des Grafen das kleine Gartenparadies geschaffen, in welchem sie ihre Nachmittage zu verbringen pflegte. Auf den gewaltigen Grundmauern eines im Uebrigen abgetragenen Thurmes war auch der Pavillon Charlottens errichtet, das einzige Asyl des sonst in diesem nüchternen Schlosse so streng verpönten Luxus.

In der Nähe dieses großen und geschmackvollen Gartenhauses stand eine Gruppe prächtiger Ulmen und Kastanien, durch deren dichte Laubmassen selbst am heißesten Sommertage kein Sonnenstrahl bis zum Boden herabdrang, und hier hatte die Comteß heute fürsorglich den Tisch aufstellen lassen, an welchem sie mit ihren beiden jungen Gästen den Kaffee zu nehmen gedachte.

Während aber Frau Weiß sich bald mit der Anordnung des kostbaren Geschirrs und des Zubehörs beschäftigte und dann wieder in die kleine am Pavillon angebaute Küche hinüber huschte, um mit ihren rundlichen, aber geschickten Händen den aromatischen Trunk bestmöglich zu bereiten, hatte Charlotte mit den jungen Leuten sich vorläufig im Pavillon niedergelassen.

„Ich habe Ihnen meine Dienste als Helferin in der Noth angeboten,“ sagte sie, sobald der Junker und Anna in ihrer Nähe Platz genommen hatten, „aber ich habe noch nicht gefragt, ob Ihnen auch an diesem Beistande gelegen ist. Wollen Sie mich zur Alliirten haben oder nicht?“

„Ich sage Eurer Erlaucht unseren wärmsten Dank,“ erwiderte der Junker, indem er sich verbeugte. „Mit solcher Hülfe müssen wir siegen.“

„Ich danke Ihnen für dieses Vertrauen, Herr von Holderbusch. Aber bevor ich helfen kann, muß ich die ganze Sachlage genau kennen. Ihr Vater, mein Fräulein, wie ich ihn kenne, ist der Verbindung schwerlich entgegen.“

„Gewiß nicht. Er schätzt den Herrn Jagdjunker sehr,“ entgegnete die junge Dame.

„Gut, das vereinfacht die Angelegenheit wesentlich. Wir haben also im Grunde nur den Widerstand zu besiegen, welchen etwa die Eltern unseres Herrn Jagdjunkers uns bereiten könnten.“

„Der Hauptsache nach, ja. Wenn aber Erlaucht nur diesen Widerstand in das Auge fassen wollen, so dürfte unsere Rechnung schließlich zu einem falschen Facit führen,“ warf der Junker freimüthig ein. „Ich wenigstens fürchte noch mehr den Haß des Herrn Präsidenten.“

„Des Präsidenten?“ wiederholte die Comtesse. „Von seiner Abneigung bin ich unterrichtet und ihre Ursache verstehe ich vollkommen, besonders nachdem ich Fräulein Hartmann selbst kennen gelernt habe. Aber was um des Himmels willen kann Herr von Straff bei dieser Familienangelegenheit zu thun und zu sagen haben? Um gleich Ihnen freimüthig zu sein, will ich bekennen, daß ich unserm Herrn Oberlandjägermeister allerdings nicht den Muth zutraue, der zu einem ernsten Widerstande gegen das Drängen und die Einflüsterungen des Präsidenten erforderlich wäre. Ihre Frau Mutter aber scheint mir dazu völlig genügende Willenskraft zu besitzen, sobald sie nur selbst will. Irre ich mich hierin, oder nicht?“

Der Junker blickte, da er nicht sofort eine passende Antwort finden konnte, in leichter Verlegenheit zu Boden.

„Sie können und müssen auch in diesem Punkte völlig offen gegen mich sein,“ fuhr die Comtesse fort. „Ich verlange die volle Wahrheit, selbst wenn sie irgendwie mit meinem Bruder im Zusammenhange stünde.“

„Erlaucht haben genau den Punkt getroffen, um den sich mein Bedenken drehte,“ gestand Kurt.

[380] „Sie glauben also, daß der Präsident Ihnen beim Grafen schaden wolle und könne? Wohlan, ich will diesen schlimmen Einfluß und diese üble Möglichkeit wahrlich nicht leugnen, verstehe aber trotzdem nicht, wie Beides Ihren Plänen hinderlich sein kann. Gesetzt auch den Fall, Herr von Straff vermöchte Ihr Avancement, trotz aller meiner Bemühungen zu Ihren Gunsten, zu verhindern, so bedürften Sie doch wahrlich eben dieses Avancements nicht.“

„Erlaucht denken also an denselben Ausweg, der auch mir vor Augen schwebt,“ erklärte der Junker. „Dann allerdings bin ich fest entschlossen, im Nothfalle meinen Dienst aufzugeben und –“

„Halt, irren wir uns nicht, Herr von Holderbusch! Daran gerade dachte ich am wenigsten,“ fiel Comtesse Charlotte rasch ein. „Glauben Sie, unser Land vermöchte einen tüchtigen Beamten und unser kleiner Hof einen jungen Cavalier von Ihren Verdiensten so leicht zu entbehren? Nein, offen gesagt, ich dachte vielmehr, daß Sie nach Ihrer Heirath der geringen äußeren Mittel nicht bedürfen würden, welche Ihnen ein Avancement in unserm Dienste gewähren könnte.“

Das Gesicht des jungen Mannes überzog sich plötzlich mit einem brennenden Roth.

„Erlaucht meinen hoffentlich nicht, daß ich heirathen und mich von meiner Frau ernähren lassen soll?“ sagte er dann nach einer kurzen Pause, während welcher er mühsam seine Erregung zu bekämpfen gesucht hatte. „Nein, nein, Erlaucht, das ertrüge mein Stolz niemals; an dieser beschämenden Lage ginge ich sicher zu Grunde.“

„O Kurt, wie können Sie so böse Dinge sagen!“ bat Anna Hartmann, indem sie den Geliebten mit einem Blicke ansah, der alle ihre zärtliche Liebe, aber auch schon die Nähe von bitteren Thränen verkündete.

Die Comtesse aber legte ihre feine weiße Hand beruhigend und besänftigend auf den Arm des geängstigten Mädchens.

„Ruhig, meine Liebe!“ sagte sie dann mit dem gütigsten Tone ihrer weichen Stimme. „Thränen beeinträchtigen den klaren Blick nicht blos äußerlich. Unser Junker hat ja im Grunde völlig Recht, und Sie dürfen ihm den echten Stolz, der jedem braven Manne geziemt, nicht verargen. Will Herr von Holderbusch sein ganzes Glück durch eigene Kraft verdienen, so können wir Beide ihn daran nicht hindern. Doch eine andere Frage ist mir wohl immerhin erlaubt. Sie sprachen, wenn ich nicht irre, Ihr Vertrauen auf meine Hülfe aus. Diesen Beistand könnte ich Ihnen nur leisten, indem ich meinen geringen Einfluß bei meinem Bruder gegen den des Präsidenten in die Wagschale würfe. Aber von welcher Art denken Sie sich unter diesen Umständen die Einwirkung des Herrn von Straff?“

„Ich befinde mich dieser Frage gegenüber in arger Verlegenheit,“ erklärte der Junker nach einer neuen Pause. „Erlaucht haben wohl schon gehört, welcher staatsgefährlicher Gesinnungen man mich beschuldigt, und werden also sicher glauben, daß ich nicht das mindeste Gewicht auf die Art von Adel lege, welchen nach der Meinung der Welt die bekannten drei Buchstaben verleihen sollen. Werden mich also Eure Erlaucht nicht mißverstehen, wenn ich gleichwohl jemals den Wunsch aussprechen sollte, daß auch noch diese Aeußerlichkeit zu dem innern Adel meiner Anna hinzukommen möge?“

„Sicher würde ich Sie auch dann nicht mißverstehen,“ erklärte die Comtesse mit einem gutmüthigen Lächeln. „Sie trügen damit nur den kleinen Schwächen Ihrer Mutter Rechnung.“

Der Junker verneigte sich zustimmend.

„Ich gestehe gleichwohl, daß gerade dieser Gedanke in dem Hirne unseres alten Christian entstanden ist,“ fügte er dann zu seiner weitern Entschuldigung hinzu. „Ich selbst habe die Idee erst nach längerm Bedenken und Zögern und nur für den äußersten Nothfall, um meine Mutter nicht durch Aufgebung des Adels kränken zu müssen, adoptirt.“

„Mich aber hat man deshalb gar nicht gefragt,“ warf Anna ein wenig schmollend ein. „Muß ich mich etwa wider meinen Willen adeln lassen? Oder glauben Sie, daß die Grundsätze meines Vaters auf so schwachen Füßen stehen, daß man ihn bei einer so wichtigen Frage nicht zu Rathe zu ziehen braucht?“

„Ah, unsere Kleine kann auch zürnen?“ warf die Comtesse lächelnd ein. „Sie werden uns doch nicht wegen dieser fast komischen Formfrage Schwierigkeiten bereiten? Wissen Sie etwa ein anderes Mittel, meine Liebe, durch welches der Widerstand der Frau Oberlandjägermeisterin gebrochen werden könnte?“

„Ich habe wenigstens darüber nachgedacht, Erlaucht. Mein Vater hat längst die Absicht gehegt, die Majoratsherrschaft des Generals von Holderbusch zu erwerben, und er hat deshalb viel mit dem jetzigen Inhaber, der auch dem Abschlusse nicht abgeneigt ist, über den Ankauf verhandelt.“

„Der Ausweg ist nicht übel,“ räumte die Comtesse ein. „Es bedürfte also nur noch der Einwilligung des Herrn Oberlandjägermeisters, als einzigen Agnaten, und der Zustimmung meines Bruders, als Landesherrn. Mit dem Wegfalle des Majorats aber fiele auch die Ihnen so schreckliche Nothwendigkeit, sich adeln zu lassen, hinweg. Warum also ist dieser gute Plan nicht ausgeführt worden?“

„Weil der Herr Präsident von Straff meinem Vater kurz und bündig erklärt hat, daß höchsten Ortes die Aufhebung des Majorats nie genehmigt werde.“

„Oho, so entschieden? Ich denke, dieses Hinderniß wird nicht unbesieglich sein.“

„Entschuldigen Erlaucht gnädigst, aber damit allein ist die Sache nicht abgethan,“ fuhr Anna fort. „Mein Vater möchte vorher unser Schloßgut in Brandenfels verkaufen. Am liebsten sähe er dasselbe in den Händen Ihres erlauchten Herrn Bruders, aber –“

„Halt! Hier irren Sie sicher, mein Kind,“ erklärte Comtesse Charlotte rasch. „Sie müssen Ihren Vater in diesem Punkte mißverstanden haben.“

„Ich glaube kaum, Erlaucht. Mein Vater hat noch vor Kurzem der gräflichen Kammer die günstigsten Bedingungen für den Ankauf gestellt, aber der Präsident hat sie in so schroffer Weise zurückgewiesen, daß es schwer fällt neue Anknüpfungspunkte zu finden. Man hat uns den Entwurf des Vertrages sogar zerrissen zurück geschickt.“

„Ei, sieh da, sieh da!“ rief die Comtesse im Tone ungewöhnlicher Erregung. „Was man nicht erfahren muß! Und uns berichtet dieser Herr Präsident das directe Gegentheil. Er sagt, die Bedingungen Ihres Vaters seien ganz unannehmbar gewesen.“

„Urtheilen Erlaucht selbst! Mein Vater forderte für das Gut nur dreihunderttausend Thaler.“

„Wie? für das Gut Brandenfels nebst allen Forsten?“

„Für Alles. Er stellte nur eine Bedingung von ganz untergeordneter Bedeutung.“

„Welche?“

„Daß ein alter Feldbirnbaum in unserem Parke niemals geschlagen werden dürfe. Der Birnbaum steht –“

„Hoch oben in Ihrem Garten, dicht an der Grenze,“ ergänzte die Comtesse rasch. „Es ist eine Rasenbank und ein steinerner Tisch darunter.“

„Wie? Erlaucht kennen diesen unscheinbaren Baum?“ rief Anna verwundert.

„O ich weiß noch mehr, mein Kind,“ fuhr die Comtesse erregt fort. „Ich weiß, warum Ihr Vater die Erhaltung dieses Baumes zur Bedingung des Verkaufs macht und weshalb der Präsident die Zusage verweigert. Doch kann ich Ihnen den Grund jetzt nicht angeben, so erstaunt Sie mich auch anblicken. Bitten Sie Ihren Vater selbst um die Erklärung und sagen Sie ihm, daß ich diesen Baum der Erinnerung unter meinen besonderen Schutz nehme! Ja, ich werde –“

[393] Die Comtesse unterbrach ihre Rede plötzlich, weil sich inzwischen die Thür des kleinen Vorsaals ein wenig öffnete und durch den Spalt Frau Weiß in das Zimmer blickte.

„Nun, Frau Weiß, was giebt es? Ich wünsche nicht gestört zu werden.“

„Ich möchte nur unterthänigst melden, daß Fräulein von Straff im Garten ist,“ berichtete die Kammerfrau. „Die Dame scheint mir sehr aufgeregt zu sein. Zweimal schon ging sie nach diesem Pavillon, als wollte sie hier eintreten, und beide Male kehrte sie doch wieder um. Jedenfalls werden ich das Fräulein abweisen, wenn sie noch zum dritten Male kommt.“

„Fräulein Hulda kommt nur heute wahrlich recht ungelegen,“ sagte die Comtesse, die während des Berichtes aufgestanden war und sich dem Vorsaale genähern hatte. „Aber wenn das Fräulein so aufgeregt ist, so möchte ich die Aermste doch nicht gern zurückweisen, ohne sie gehört zu haben. Wer kann wissen, was sie betroffen hat, und ob sie nicht unser bedarf.“

„So soll ich also –“

„Ich will das Fräulein hier im Vorsaale empfangen,“ entschied die hohe Dame nach kurzem Ueberlegen. „Einem oder dem Anderen meiner lieben Gäste könnte ein Zusammentreffen mit Fräulein von Straff vielleicht unerwünscht sein.“

Das kluge Auge der Comtesse ruhte bei diesen auffällig langsam gesprochenen Worten mit einem besonders forschenden Ausdrucke auf dem Gesichte des Junkers. Kurt bemerkte dies wohl, vermochte aber die Bedeutung des Blickes nicht zu ermessen.

„Unsere Wünsche können für Euer Erlaucht nicht maßgebend sein,“ entgegnete er. „Wir werden das Zimmer verlassen, um nicht zu stören.“

Bei diesen Worten erhob sich Kurt und schritt mit seiner Dame nach dem vorderen Eingange des Pavillons.

„Nein, bleiben Sie,“ bat die Comtesse, deren Bedenken bei dieser Unbefangenheit des Paares ebenso rasch verschwand, wie es gekommen war. „Frau Weiß, ersuchen Sie das Fräulein näher zu treten!“

Einen Augenblick später betrat Hulda von Straff den kleinen Vorraum des Pavillons.

„Ich bitte unterthänigst um Verzeihung, wenn mein Kommen Euer Erlaucht irgend wie unbequem sein sollte,“ sagte sie nach einer streng vorschriftsmäßigen Verbeugung. „Nur eine Angelegenheit, die für mich von besonderer Wichtigkeit ist, konnte mich zu diesem kühnen Schritte bewegen.“

„Beruhigen Sie sich, mein liebes Fräulein!“ entgegnete die hohe Dame mit gewohnter Leutseligkeit. „Theilen Sie mir Ihr Anliegen mit! Kann ich irgendwie helfen, so geschieht es von Herzen gern.“

„Ich kam hierher, weil man mir gesagt hatte, ich würde den Jagdjunker von Holderbusch und Demoiselle Hartmann hier treffen; denn diese vor Allem betrifft mein Anliegen.“

Die Comtesse war über diese Mittheilung von Neuem betroffen. Wer konnte der Dame verrathen haben, daß das junge Paar hier im Garten sei, und was beabsichtigte sie selbst? Eine heftige Scene zwischen Hulda und dem Junker mußte um jeden Preis vermieden werden.

„Woher wissen Sie, daß die jungen Leute hier sind?“

„Durch unsern Diener Johann. Ich bitte Euer Erlaucht dringend, auf Niemand sonst Verdacht werfen zu wollen.“

„Das ist mir lieb. Darf ich noch erfahren, welche Absichten Sie bei dieser Begegnung mit dem Junker haben können?“

„Herrn von Holderbusch suche ich nicht, sondern nur seine – seine Braut,“ erklärte Hulda, indem sie ein zerknittertes, rosafarbenes Papier zum Vorschein brachte. „Ich möchte die Demoiselle nur fragen, ob sie jemals von meinem Vater einen Brief dieses Inhalts erhaltet hat.“

Die Comtesse überlas das zärtliche Schreiben des Präsidenten flüchtig und gab es dann dem Fräulein von Straff zurück.

„Ich kann Ihnen an der Stelle der junge Dame versichern, daß allerdings ein Schreiben dieses Inhalts an Fräulein Anna Hartmann gelangt, aber von ihr ablehnend beantwortet worden ist,“ sagte sie dann. „Genügt diese Erklärung für Ihre Wünsche?“

„Nicht völlig, Erlaucht,“ entgegnete Hulda, welche sichtlich mit ihrer Aufregung rang. „Ich möchte wenigstens, daß Euer Erlaucht der Demoiselle mittheilen, sie möge sich ihr junges Glück niemals durch Ränke und Verleumdungen verkümmern lassen.“

„Wie soll ich das verstehen, Fräulein von Straff?“

„Erlaucht werden über meine Worte kaum in Zweifel sein können. Man hat zu meinem Verdrusse meinen Namen geflissentlich mit dem des Junkers in Verbindung gebracht und hierdurch dem Herrn von Holderbusch zu schaden gesucht. Das aber will ich nicht, und deshalb erkläre ich offen, daß mir der Junker jederzeit ebenso gleichgültig gewesen ist, wie ich ihm.“

„Ich danke Ihnen für diese Mittheilung von ganzem Herzen; denn sie beseitigt meine letzten Bedenken.“

[394] „Noch Eines,“ fuhr Hulda fort. „Ich suchte meinen Vater, um von ihm selbst Aufklärung über dieses Schreiben zu verlangen. Auf dem Wege hierher habe ich unseren erlauchten Herrn gesehen. Erlaucht schien nach diesem Garten gehen zu wollen.“

„Wie? Mein Bruder?“

„Ja, Erlaucht werden in wenigen Augenblicken hier sein. Die Besichtigung des jungen Pferdes in der Reitbahn kann nur kurze Zeit dauern.“

„Nehmen Sie auch hierfür meinen besten Dank, doch gestatten Sie zugleich, daß ich mich schleunigst zurückziehe, um – ja, um die Vorbereitungen zum Empfange meines Bruders zu treffen.“

Die junge Dame verließ nach einer tiefen Verbeugung das kleine Vorzimmer, die Comtesse aber kehrte mit hastigen Schritten in das Innere des Pavillons zurück.

„Sie dürfen zu meinem Bedauern hier nicht bleiben,“ sagte sie zum Junker und seiner Dame gewendet. „Wie ich höre, kommt mein Bruder. Wenn er Sie hier trifft, so ist unser ganzer Plan gefährdet.“

„Aber wohin sollen wir fliehen, Erlaucht? Ich sehe keinen Ausweg.“

„Geschwind in meine Küche!“ drängte Frau Weiß. „Wenn dann unser Herr hier im Zimmer ist, führe ich Sie hinten hinaus, und Sie gehen auf der Walltreppe aus dem Garten. Sobald die Herrschaften in Sicherheit sind, lasse ich ein Blechgeschirr in der Küche fallen. Erlaucht wissen dann, daß die Flucht gelungen ist. Nur geschwind!“

Es bedurfte keiner weiteren Mahnung zur Eile, denn schon ließ sich ein fester Schritt draußen auf dem knirschenden Kieswege vernehmen, und kaum hatte sich die Küchenthür hinter dem jungen Paare geschlossen, als auch schon der Graf, von seinem getreuen Tyras gefolgt, den Pavillon betrat.

„Guten Tag, Lottchen!“ sagte er, indem er der Schwester die gebräunte Hand entgegenstreckte. „Darf ich mich auch heute zum Kaffee bei Dir einladen, oder wird Deine Frau Weiß über diese Ueberrumpelung allzusehr zanken?“

„Welche Frage! Du bist mir, wie immer, willkommen, Max,“ entgegnete die Comtesse, die sich rasch gefaßt hatte. „Aber bitte, rufe Deinen Hund von der Küchenthür zurück, daß er mir nichts von meinen kleinen Herrlichkeiten umwirft und verdirbt.“

„Hierher, Tyras, und leg’ Dich! Was hast Du an der Thür zu schnuppern? Nimm’s nicht übel, Charlotte, daß ich den Hund mitbringe! Du weißt –“

„Daß Du nicht ohne Deinen Tyras leben kannst. O ja, das weiß ich.“

„Weißt Du auch, worüber ich mich gerade jetzt wundere?“ fuhr der Graf nach einem raschen Blicke durch das Fenster fort. „Ueber Deine Prophetengabe, Lottchen. Ich sehe dort das Kaffeegeschirr für mehrere Personen. Wie hast Du ahnen können, daß ich kommen würde? Oder erwartest Du andere Gäste?“

„Ich erwarte jetzt Niemand mehr. Ich dachte nur, Du könntest Deine heutige Ablehnung bereuen, und so ließ ich den Kaffee auch für Dich bereiten.“

„Aber ich sehe da drei Tassen, Lottchen.“

„Fräulein von Straff wird Dir begegnet sein. Sie litt an Migräne und kann mir deshalb nicht Gesellschaft leisten.“

„Vortrefflich! Ich liebe dieses hochmüthige, ewig eiskalte und steife Fräulein ebenso wenig, wie etwa unsere hochnäsige Frau Oberlandjägermeisterin. Ich bin dem Fräulein allerdings begegnet. Sie schien mir in einer Laune zu sein, die weitaus nicht so rosenfarben war, wie das Papier in ihrer Hand.“

„Hast Du das auch bemerkt? Gerade dieses Papier ist der Grund ihres Mißmuthes,“ erklärte die Comtesse, während der Graf die silberbeschlagene Meerschaumpfeife aus dem bekannten Winkel nahm und ruhig zu stopfen begann. „Denke Dir nur, ihr Vater hat trotz seines vorgerückten Alters um ein junges bürgerliches Mädchen angehalten und sich dabei verdientermaßen einen Korb geholt.“

„Wär’s möglich!“ rief der Graf lachend. „Und wen gedachte er mit seiner gewaltigen Hand zu beglücken?“

„Die Tochter des Domänenraths Hartmann.“

„Ei, seht mir den alten schlauen Burschen! Er hätte, wenn ihm der Plan geglückt wäre, ein wahrhaft fürstliches Vermögen erheirathet.“

Der Graf war während dieser Worte mit dem Stopfen der Pfeife fertig geworden und schritt nun nach der Hinterthür des Pavillons, um sich nach seiner Gewohnheit eine Kohle vom Heerde geben zu lassen. Da hielt ihn mitten auf dem Wege die Stimme der Schwester fest.

„Lieber Max!“

„Nun, Lottchen?“ fragte er zurück.

„Wirst Du mir heute ausnahmsweise den Gefallen thun, nicht im Pavillon zu rauchen? Ich habe mich ein wenig erkältet und könnte heute den Dampf nicht wohl im Zimmer ertragen. Rauche später im Freien! Willst Du?“

„Natürlich will ich, denn Du bist hier die souveräne Herrin,“ sagte der Graf, indem er die Pfeife nicht ohne stille Verwunderung über die niemals früher beobachtete Empfindsamkeit der Schwester bei Seite stellte. Frau Weiß aber, welche die Flüchtlinge bereits in Sicherheit gebracht hatte und der kein Wort von der Unterhaltung der gräflichen Geschwister entgangen war, rieb sich in ihrer kleinen Küche seelenvergnügt die Hände.

„Wie natürlich meine Erlaucht lügt!“ murmelte sie lachend. „Wenn man’s nicht besser wüßte, so könnte man wirklich an diese asthmatischen Beschwerden glauben. Und trotzdem will sie durchaus keine Anlage zur Intrigue haben. Soll ich jetzt schon das Zeichen geben und die spannende Scene da drin abkürzen? Nein, warten wir noch einige Augenblicke!“

Der Graf hatte inzwischen aus der Brusttasche des Jagdrockes drei zusammengefaltete Papiere hervorgezogen.

„Willst Du jetzt die neuesten Berichte der Thorwachen hören, oder später?“ fragte er dann, indem er das erste entfaltete. „Zum Wasserthore herein sind heute nur zwei Equipagen in die Stadt gefahren. In der einen ist Anna Hartmann aus Brandenfels gekommen, um ihrer Tante einen Besuch zu machen, in der zweiten der Weinreisende Seeligmüller. Vom Oberthore –“

„Welchen Muth diese Reisenden haben!“ warf die Comtesse ein. „Bei dem Zustande aller Wege in unserer Grafschaft riskiren sie doch stets ihre gesunden Glieder.“

„Hm hm,“ hüstelte der Graf. „Wieder einmal das alte Lied. Wir haben kein Geld zu Wegbauten.“

„Wir müßten es aber haben und wir hätten es sicher, wenn nur unsere Güter ein wenig besser verwaltet würden.“

„Bist sonst ein ganz verständiges Frauenzimmer,“ entgegnete der Graf, „aber diese Dinge verstehst Du nicht. Deine Abneigung gegen den Präsidenten verblendet Dich so sehr, daß Du seine guten Eigenschaften nicht bemerkst. Ich aber mag die Menschen nicht leiden, die alle vier Wochen ihre Hunde und ihre Diener wechseln.“

„Ich liebe den Herrn von Straff nicht, das ist wahr,“ gestand Charlotte. „Aber meine nur zu wohlbegründete Abneigung würde mich dennoch nicht bewegen, ihm entgegenzutreten, wenn ich ihn wirklich für Deinen treuen Diener hielte.“

„Das ist er. Er ist mir fast so treu wie diese Dogge,“ entgegnete der Graf, indem er den Kopf seines Hundes klopfte und streichelte.

„Und ich halte ihn für Deinen und des Landes bösen Genius,“ entgegnete die Comtesse. „Er würde sicher noch viel mehr schaden, wenn Du selbst nicht bei allen Deinen Schwächen so brav und so herzensgut wärst.“

„Du bist heute schlechter Laune, Charlotte,“ sagte der Graf ein wenig verstimmt. „Es ist also wohl am besten, wenn ich gehe, obwohl ich zu Deiner Unterhaltung mir noch die neuesten ganz ungeheuerlichen Jagdabenteuer unseres Oberlandjägermeisters notirt hatte.“

Noch vor wenigen Augenblicken wäre der angekündigte Entschluß des Grafen seiner Schwester, die vor innerer Seelenangst wegen etwaiger Entdeckung ihrer Flüchtlinge fast verging und sich deshalb wirklich in überreizter Stimmung befand, sehr erwünscht gewesen. Aber gerade jetzt gab Frau Weiß das verabredete Zeichen und damit ihrer Gebieterin die Ruhe zurück. Charlotte faßte deshalb den Arm ihres Bruders und zog ihn, nachdem sie auch seine Meerschaumpfeife an sich genommen hatte, mit sanfter Gewalt hinaus in den Schatten der Ulmen und Kastanien an den dort hergerichteten Kaffeetisch.

„Bitte, lieber Max, laß mich auch einmal von ernsteren Dingen reden!“ bat sie dann, sobald die Tasse des Grafen gefüllt [395] und die Pfeife in Brand gesetzt war. „Sieh, ich möchte so gern unsere Grafschaft unter Deiner Regierung zu einem kleinen Musterstaate machen.“

„Auf diesen Ruhm aber muß ich leider verzichten,“ entgegnete Max Theodor halb besänftigt, halb noch zürnend. „Wie lange werden diese Duodezländchen noch existiren? Unsere großen Nachbarn werden uns verschlucken, wie unsere Vorfahren die kleinen selbstständigen Dorf- und Schloßmagnaten verzehrt haben. Wir führen unser Scheinleben nur so lange, wie es der Gnade unserer Nachbarn beliebt.“

„Aber wir sollten dann wenigstens ein gutes Andenken unseres Strebens hinterlassen. Wir stehen dem Volke so viel näher, als diese Großen. Warum sollten wir es nicht patriarchalisch beglücken können?“

„Thue ich dies nicht? Bin ich denn etwa ein Tyrann, Lottchen?“

„Nein, Du bist gut, treu und freigebig gegen Deine wirklichen und vermeintlichen Freunde. Aber fördern wir Kunst und Wissenschaft, wie auch kleine Höfe sollen? Geschieht bei uns nur das Nöthigste für Schule oder Industrie? Wir leben einsam wie auf einer halbverschollenen Insel, weil uns selbst gute Landstraßen fehlen. Und obwohl wir mit dem Nöthigsten geizen, fehlt uns zu allem Nöthigen das Geld.“

„Ja, weiß der Kukuk, wie das zugeht!“ sagte der Graf nachdenklich.

„Oeffne die Augen, und Du wirst den Grund erkennen. Es kommt davon, weil unsere Domänen an die Günstlinge Deines Präsidenten zu Schleuderpreisen verpachtet werden, weil Deine unzähligen Rehe und Wildschweine selbst unsere reichsten Forsten zu Grunde richten. Ueber die maßlose Strenge gegen kleine Wildfrevel will ich jetzt nicht reden – das gehört nicht zum Thema. Aber glaubst Du, daß unsere Bauern Deinen Namen segnen, wenn sie am Morgen die junge Saat zerstampft, durchwühlt oder abgefressen finden? Glaubst Du so das Land zu bereichern?“

„Sie können Entschädigung fordern.“

„Und sich für diese Frechheit durch die bekannten drei Grenadiere Deines Präsidenten auf die Hauptwache abführen oder, was schlimmer ist, in endlose Processe verwickeln lassen.“

„Aber was um des Himmelswillen soll ich thun, Lottchen?“ sagte der Graf, der, durch das Gespräch sichtlich aufgeregt, den beschatteten Platz unter den Ulmen mit großen sporenklingenden Schritten durchmaß.

„Sieh die Dinge doch nicht immer durch die Brille Deines Präsidenten!“ entgegnete die Comtesse, indem sie vorsichtig ihrem Hauptzwecke näher rückte. „Herr von Straff sagt Dir zum Beispiel, daß das Hartmann’sche Schloßgut in Brandenfels, für Dich wie schon für unsern Vater die Quelle ewigen Verdrusses, nicht käuflich sei. Nicht wahr?“

„Das sagt er allerdings. Weißt Du das Gegentheil, Lottchen, und von wem? Wechselst Du etwa noch immer mit dem Domänenrathe duftige Billets?“

„Laß’ mir zunächst dieses kleine Geheimniß, Max!“ bat Charlotte. „Reite in diesen Tagen selbst nach Brandenfels hinüber, rede mit dem Domänenrathe und Du wirst sehen und hören.“

„Nun, wollen sehen.“

„Nein, versprich mir’s gewiß!“

„Meinetwegen. Bist Du nun mit mir zufrieden, Lottchen? Füge ich mich Deinem Pantoffel willig genug?“

Die Comtesse lächelte: „Kannst Du an Herrschergelüste glauben, wenn ich Dich mahne, selbstständig zu handeln? Noch Eines. Würdest Du, um das Gut zu erwerben, Deine Genehmigung zur Aufhebung des Majorats von Holderbusch geben?“

„Natürlich mit Freuden. Aber was hat das Majorat mit meinen Wünschen zu thun?“

„Auch das bleibt vor der Hand mein Geheimniß. Würdest Du endlich einem hübschen und braven Bürgermädchen ein Adelsdiplom verleihen?“

„Ich stelle eine ganze Eselshaut für dieses Pergament zur Verfügung,“ erklärte Max Theodor lachend. „Doch nun laß’ mich ziehen, Lottchen! Ich habe den Präsidenten zu einer wichtigen Conferenz bestellt.“

„So verdanke ich wohl auch dem Herrn von Straff die freudige Ueberraschung dieses Nachmittags?“ fragte die Comtesse scheinbar leichthin, aber mit einem forschenden Blicke. „Sag’ mir’s, Max! Ich mag dem Präsidenten keinen Dank schuldig bleiben.“

„Du bist ihm dafür nichts schuldig. Ich selbst kam auf diese gute Idee. Leb’ wohl, Lottchen, und habe Dank!“

Der Graf schritt, vom treuen Tyras gefolgt, aus dem Garten, die Comtesse aber eilte zu ihrer Kammerfrau.

„Diesmal hat sich der Pfeil gegen den Schützen gewandt, Frau Weiß,“ sprach sie mit einem sieghaften Lächeln. „Johann wußte um die Anwesenheit der jungen Leute und darum auch sein Herr. Der Präsident hat dann meinen Bruder zu ungewohnter Stunde nur deshalb aufgesucht, um mir diese Verlegenheit zu bereiten. Aber ich habe den Spieß herumgedreht. Hüten Sie sich, mein Herr von Straff! Ihre Macht ist zu Ende, sobald der Graf selbst sehen lernt.“

„Vortrefflich. Aber nennt meine liebe, erlauchte Comtesse dieses Spiel noch immer nicht Intrigue?“ fragte die kleine behäbige Frau etwas vorwitzig.

„Nein, Frau Weiß; denn meine Zwecke scheuen den Tag nicht.“




5.

„Setze Dich zu mir auf diese Bank, Anna! Ich habe Dich nach meinem Lieblingsplatze geführt, damit Du besser verstehst, warum der Comtesse und mir dieser Baum heilig ist. Sieh, hier lernten wir uns kennen. Der damalige Graf, der Vater des regierenden Herrn und der Comtesse, hegte eine besondere Vorliebe für sein kleines Schloß in Brandenfels und residirte hier sogar häufiger, als drüben in Schwalbenstein, obwohl die Nähe meines Schloßgutes ihm jeder Zeit ein Dorn im Auge war. Unsere Fürsten, mögen sie Kaiser oder Grafen heißen, hassen nun einmal Alles, was sie an das Ende ihrer Macht erinnert, und hier liegt diese Grenze wirklich allzu nah am gräflichen Schlosse selbst. Keine zehn Schritte von hier steht der Stein, welcher die Hoheitsgrenze zwischen der Grafschaft und dem Kurfürstenthume bezeichnet.“

Der Domänenrath Hartmann, der diese Worte an seine Tochter richtete, wies dabei mitten in das dichte Gebüsch hinein, welches die höchste Terrasse seines Gartens halbringförmig umgab.

„Der Tag, an welchem ich die ersten Worte mit Charlotten wechselte, liegt vor meiner Seele, als wären seitdem nur zwanzig Stunden statt zwanzig langer Jahre verflossen,“ fuhr Hartmann fort. „Hier auf dieser Bank und vor diesem Steintisch saß ich und ließ halb träumend meine Blicke über Berg und Thal weit in das Land hinein wandern. Da rauschte es hinter mir in den Büschen, und als ich mich verwundert umwandte, erblickte ich die Comtesse. Sie war zuerst sichtlich verlegen und erschrocken, denn der dicke Stamm des Baumes hatte mich bis dahin ihren Blicken verborgen. Aber sie faßte sich rasch, entschuldigte ihr Eindringen mit dem Wunsche, die herrliche Aussicht von hier einmal in aller Stille zu genießen, und ließ sich dann mit mir in Geplauder ein, das bald recht munter und unbefangen wurde. Wir waren ja Beide damals jung – wir fanden rasch Gefallen aneinander. War’s ein Wunder, daß uns anfangs ein scheinbarer Zufall und dann die offen zugestandene Absicht an dieser still verborgenen Stelle häufig, zuletzt täglich zusammenführte, daß wir uns liebten, ehe wir es uns selbst zu gestehen wagten?“

„Das Gegentheil wäre ein Wunder gewesen,“ erwiderte Anna, indem sie ihrem Vater mit einem innigen Blicke in das noch immer schöne und jetzt tiefernste Gesicht sah. „Wer sollte Dich nicht lieben, wenn er Dich kennt? Wer könnte mit der Comtesse zusammentreffen, ohne sie zu verehren?“

„So verschwiegen wir waren, unser Verhältniß konnte dennoch nicht für immer und aller Welt verborgen bleiben,“ fuhr Hartmann fort. „Die täglichen Spaziergänge der Comtesse in einer bestimmten Gegend des Schloßparkes waren zuletzt einem und dem anderen grübelnden Kopfe unter der gräflichen Dienerschaft aufgefallen; man hatte ihnen nachgespürt und ihren Zweck entdeckt. Da der Präsident von Straff schon damals, wie jetzt, die allseitige Spionage als beste Stütze seines Einflusses betrachtete und begünstigte, so wußte auch er bald um unser Geheimniß.“

„So hat dieser böse Mensch auch in Dein Leben feindlich [396] eingegriffen, und Du hassest ihn wie alle Welt?“ fragte Anna, indem sie ihren Vater mit gespannten Blicken ansah.

„Du sollst Alles erfahren und selbst entscheiden, ob ich diesen Herrn von Straff mit Recht mißachte, denn für den Haß steht er mir zu tief,“ erklärte der Domänenrath ruhig. „Sieh, ich habe mir immer ein ehrliches und gerechtes Urtheil zu wahren gesucht. Wäre er uns sofort feindlich, aber offen entgegengetreten, so würde ich dies mit seiner Pflicht, mit der Pflicht des ersten Dieners des Grafen zu entschuldigen wissen, selbst wenn er mir zugleich sehr wehe gethan hätte. Aber das eben that er nicht. Er wußte sich zuerst allmählich durch allerlei kleine Winke und Dienste in das arglose Vertrauen Charlottens einzuschmeicheln, bis er den Zeitpunkt gekommen glaubte, um auch an mich heranzutreten. Dann traf er mich eines Tages wie zufällig in einem Forste. Unser Gespräch, das sich erst um allerlei fernliegende Dinge gedreht hatte, kam, ich wußte selbst nicht wie, endlich auf mich und meine Beziehungen zu Charlotten. Dabei ließ der Präsident deutlich genug durchblicken, daß es von meiner Willfährigkeit abhänge, mein Glück zu begründen. Es bedürfe dazu nichts weiter, als daß ich mein Schloßgut an den Grafen verkaufe.“

„Bist Du auf diesen Vorschlag damals nicht eingegangen?“ fragte Anna. „Oder wollte Dir der Präsident damit nur einen Fallstrick legen?“

„Das wollte er – und einen ganz infamen. Denn der eigentliche Kern seines mit cynischer Offenheit gemachten Vorschlages lief darauf hinaus, daß ich den Preis des Gutes weit über dessen Werth hinaus stellen solle. Der Graf bezahle in seiner Leidenschaft jede Summe für dieses Schloßgut und gebe wohl schließlich auch die Hand seiner Tochter in den Kauf, nur um seinen erlauchten Willen durchzusehen. Der Mehrbetrag aber sollte natürlich dem biederen Herrn Präsidenten zufließen. Sieh, Anna, hätte damals nicht Charlottens Bild vor meiner Seele geschwebt, wer weiß, was ich in meinem heißen Zorne dem Frechen angethan hätte. Aber der Gedanke an die Comtesse bändigte meinen Grimm, so daß ich dem Versucher in kalter Ruhe antworten konnte. Ich sagte ihm, daß mir die Hand Charlottens jedes ehrenhaften Preises werth sei, und daß ich deshalb dem Grafen dieses Gut sogar weit unter dem Werthe, aber immer nur unter Angabe des wahren Preises verkaufen wolle. Der Präsident sah mir darauf eine Weile starr in die Augen, als wolle er die Tiefe meines Herzens ergründen. Dann erklärte er, die Angelegenheit mit dem Grafen besprechen zu wollen, verneigte sich und ging.“

Der Domänenrath erhob sich und schritt einige Male schweigend auf der Terrasse auf und ab.

„Laß mich rascher zu Ende kommen!“ sagte er dann. „Diese Mittheilung regt mich noch jetzt mehr auf, als ich im Voraus dachte. – Genug, wenige Tage nach jener Besprechung überraschte uns hier der alte Graf. Von zwei oder drei Jägern begleitet, trat er aus dem Gebüsche und sein blutrothes Gesicht, in dem die Augen grimmig rollten, weissagte uns Schlimmes. Er faßte auch sofort Charlottens Hand und schleuderte sie hinter sich, so daß sie zu Boden fiel. Ja, als der jetzige Graf, damals ein Knabe, der die geliebte Schwester an jenem Tage wie öfters vorher begleitet hatte, seine kindlichen Arme weinend um die Kniee des brutalen Vaters schlang, da stieß er auch ihn mit roher Gewalt von sich und hob die schwere Peitsche, um, ja, um die Comtesse zu schlagen.“

„Mein Gott! – mein Gott!“ rief Anna aus.

„Du fühlst, das war zu viel, mein Kind. Mit raschem Griffe erfaßte ich den Arm des Wüthenden und preßte ihn mit so eiserner Gewalt, daß er die Peitsche fallen lassen mußte. Dem Grafen trat der Schaum auf die zornbebenden Lippen. ,Hund, Hund! Vergreifst Du Dich an uns?‘ stöhnte er. ,Was steht Ihr hier? Nieder mit ihm und lohnt dem Frechen, wie es ihm gebührt!‘ Jetzt sah ich die Jäger, von denen jeder mit einer Hetzpeitsche bewaffnet war, an mich herantreten. Sie nahten vorsichtig und zögernd, denn auch mein Blick mochte ihnen nichts besonders Gutes verkünden. Ich aber sprang rasch zurück und sah mich nach einer Waffe um. Glücklicher Weise hatte ich einige Tage früher, um Charlotte zu erfreuen, eine junge Linde gepflanzt. Den spitzen Pfahl, an den sie gebunden war, riß ich jetzt aus der Erde und schwang ihn zum Aeußersten entschlossen über dem Haupte.“

Anna klammerte sich, während ihr Vater einen Augenblick schwieg, angsterfüllt an seinen Arm und starrte so entsetzt nach dem nahen Gebüsche, als könnte eben jetzt der alte Graf mit seinen Jägern auf die Terrasse treten.

„Gott sei Dank, ich mußte die Waffe nicht brauchen,“ fuhr der Domänenrath etwas ruhiger fort. „Meine Feinde sahen, daß es sich hier um Leben und Tod handelte, und wichen, nachdem mir der Graf noch einmal zähneknirschend die geballte Faust entgegengestreckt hatte, in das Gebüsch zurück.“

„Und die Comtesse?“

„Charlotte und ihr Bruder gingen mit dem Grafen.“

„Ich meine, ob die Comtesse –“

„Mir treu blieb?“ ergänzte der Domänenrath die Frage seiner Tochter. „Im Herzen wohl, aber äußerlich war das Band, das uns vereinigt hatte, für immer zerschnitten. Das arme Mädchen vermochte ohne Stütze den Drohungen eines brutalen Vaters und den Nadelstichen, die ihr die stolze Mutter täglich versetzte, nicht auf die Dauer zu widerstehen. Du kannst noch jetzt auf dem Abschiedsbriefe, den sie mir einige Wochen nach jenem schrecklichen Vorgange insgeheim schrieb, die Spuren ihrer bitteren Thränen erkennen. Begreifst Du nun, warum ich darauf bestehen mußte, daß nie eine Axt diesen alten Baum berühren dürfe? Verstehst Du, warum mir die Wünsche Deiner Comtesse heilig sind?“

„Ja, ich verstehe es, und nun weiß ich auch, warum Du trotz der Meinung, die Du über den Adel hegst, dem Vorschlage der Comtesse nicht entgegentrittst.“

„Ich habe außer dem von Dir geahnten noch einen anderen Grund. Glaubst Du, ich würde mich sperren, wenn man als Gegendienst irgend einer wichtigen Leistung verlangte, ich solle mich etwa Hartmannsau oder so ähnlich nennen? Ob zwei oder drei Laute mehr vor oder hinter dem Namen stehen, das ist mir völlig gleichgültig. Diese Art von Ehre halte ich mit Falstaff nur für Wind. Durch eine Weigerung das Glück eines Kindes zu verspielen, wäre in solchem Falle fast noch thörichter, als wenn Adelstolz das Motiv wäre. Freilich würde ich es vorziehen, wenn sich unser Ziel auf anderem Wege, etwa durch eine Besprechung mit dem Grafen erreichen ließe.“

„Sollte dies selbst mit Hülfe der Comtesse nicht möglich sein?“

„Ich zweifle. Frühere Versuche dieser Art hat der Präsident stets zu vereiteln gewußt. Aber horch, was ist das? Hörst Du nichts?“

„Ich höre Hunde bellen und Pferde wiehern. Und da sehe ich auch die Reiter, dort drüben auf der Wiese am Waldteiche. Siehst Du’s nicht. Vater?“

„Das ist der Graf. Was mag den Herrn jetzt nach Brandenfels führen?“

„Komm’, komm’, Vater! Laß’ uns nach dem Gute hinunter gehen!“

„Was hast Du? Du bist ängstlich.“

„Um meiner Rehe willen. Der Weg führt am Zaune vorüber. Wenn die großen Hunde durch den Zaun brächen, meine Lieblinge zerfleischten! Ich würde nicht wieder froh.“

„Die Hunde werden angekoppelt, sobald der Zug in das freie Feld kommt,“ tröstete der Domänenrath. „Aber wenn es Dich beruhigt, so laß’ uns gehen, mein Kind!“

Während Hartmann mit seiner Tochter auf den wohlgepflegten Schlangenwegen nach dem Wirthschaftsgarten des Gutes hinabstieg, nahte der gräfliche Zug bereits dem Rande des Waldes.

„Laß’ die Hunde ankoppeln, Holderbusch!“ befahl der Graf, der bei guter Laune selbst seine höchsten Hofchargen mit dem vertraulichen Du anzureden pflegte. „Den Tyras namentlich! Er ist eine brave, aber zu Zeiten verzweifelt wilde Bestie.“

„Rrrasch die Hunde ankoppeln, Blümchen,“ schrie der Oberlandjägermeister, rückwärts nach dem Trosse gewendet, unter dem auch der treue Christian ritt.

[409] „Komm einmal hier neben mich, Oberlandjägermeister!“ fuhr der Graf fort. „Will Dir etwas im Vertrauen sagen. Nicht wahr, wenn man mit dem Landesherrn reitet, so zieht man eigentlich seine besten Kleider an?“

„Errrlaucht befehlen?“ stotterte der Oberlandjägermeister verlegen, da er den nahe liegenden Sinn der Rede gleichwohl nicht zu verstehen schien.

„Befehle jetzt gar nichts, meine aber, daß Du heute wohl Deine bessere Uniform hättest anziehen können.“

„Aberrr halten zu Gnaden, Errrlaucht, das ist meine allerrrbeste Uniform, und wenn sie jetzt nicht mehrrr gut ist, so ist nurr das letzte Gewitterrr daran schuld, Errrlaucht.“

„Bah, mach’ mir nichts weis, Holderbusch! Echtes Gold leidet vom Regen nicht.“

„Aberrr vom Blitze, Errrlaucht. Verrrgangenen Donnerrrstag errrwischt mich das Gewitterrr rrrichtig im Forrrste. Errrlaucht, das warrr ein Rrregen, als ob die Fische und Frrrösche darrrin nach den Wolken hinauf schwimmen sollten, und Hagelkörrrner gab’s, wahrrrhaftig fast wie die Kegelkugeln, Errrlaucht, und ein Sturrrm blies, daß er die Felsblöcke wie die Kegel überreinanderrr herrrumkollerrte.“

„Und dieser schauderhafte Orkan hat Dich nicht fortgeweht, Holderbusch?“ fragte der Graf mit erzwungenem Ernste.

„Ja, wie das zugegangen ist, weiß ich selbst nicht. Wenn ich den Chrrristian rufen dürfte, Errrlaucht. Vielleicht besinnt errr sich besserr.“

„Nein, laß’ den Christian in Ruh, sag ich, und erzähle mir weiter von dem schrecklichen Wetter und namentlich von dem bewußten Blitze!“

Ein Blitz, Errrlaucht? Zehn warrren es mindestens immerrr auf einmal; natürrrlich fuhren sie stets nach dem guten Golde an meinerrr Uniform. Ich fühlte, wie sie um meinen Hals herrumliefen, wie eine Schlange, und so zog ich denn selbstverständlich sogleich den Rock aus. Ich dachte, besserrr das Gold verrrlorrren, als das Leben. Habe ich nicht Rrrecht, Errrlaucht?“

„Natürlich, lieber Holderbusch,“ bestätigte der Graf. „Es wäre ja jammerschade, wenn ein solches Original, wie Du bist, zu Grunde ginge, wenn auch die wunderbare Weise solchen Untergangs Deiner ganz würdig wäre.“

„Errrlaucht sind allzugnädig.“

„Gnädiger noch, als Du denkst, denn – diesen Weg mache ich nur um Deines Sohnes willen.“

„Um meines Kurt willen, Errrlaucht?“

„Ja wohl. Er hat, wie ich höre, ein zartes Verhältniß mit der Tochter des Domänenrath Hartmann. So will ich denn das Meine thun, um ihn zum glücklichen Ehemanne zu machen.“

„Welche Gnade, Errrlaucht, aberrr, aberrr –“

Der Oberlandjägerineister kraute sich, ohne den Satz zu vollenden, verlegen hinter dem Ohre.

„Nun, was erregt noch Dein Bedenken, Holderbusch?“ fragte der Graf, dem die Verlegenheit des Oberlandjägermeisters nicht entgehen konnte. „Ist es noch nicht genug, wenn ich so für den Kurt sorge?“

„Ach Errrlaucht, was mich betrifft, so bin ich ja natürlich sehrrr zufrieden damit, aberrr, aberrr, meine Frau, ja, ja, meine Frau –“

„Wer ist denn eigentlich von Euch Beiden der Mann? Mir scheint fast, als ob Frau Hildegard Adelgunde von Holderbusch, geborene Freiin von Moosgrund, Dich trotz Deiner sonstigen Heldenthaten gewaltig unter dem Pantoffel hätte.“

„Meine Frrrau? Mich?“ rief Holderbusch, indem er sich in die Brust warf. „Das denken Errrlaucht nicht im Ernste, denn das wärrre auf Ehrrre sehrr krrränkend fürr mich.“

„Laß’ gut sein, Holderbusch!“ sagte der Graf einlenkend, da er in seiner Gutmüthigkeit fürchtete, dem Oberlandjägermeister wirklich weh gethan zu haben. „Ich selbst will ein vernünftiges Wort mit Deiner Gestrengen reden, und sie wird ja dann wohl nachgeben, besonders wenn etwa noch nebenbei ein hübsches Sümmchen abfiele, das man brauchen kann, um den Stand würdig zu repräsentiren. Soll mir auch nicht auf ein Stück hochadliges Pergament und ein schön gemaltes Wappenschild für die bürgerliche Schwiegertochter ankommen. Verstanden?“

Weder der Graf noch sein Oberlandjägermeister hatten bemerkt, daß während ihres wichtigen Gesprächs der Präsident von Straff, der anfangs neben ihnen geritten war, allmählich immer mehr zurückblieb, bis er sich endlich an der Seite seines Dieners befand.

„Johann,“ sagte er dann leise, „hier bereiten sich wichtige Dinge vor. Ich habe mit diesen meinen Ohren gehört, daß der Graf nicht nach dem hiesigen Schlosse reitet, sondern wahrscheinlich zum Domänenrath.“

„So?“ warf Johann ein. „Dann hat sicherlich die Comtesse unseren gnädigsten Herrn für ihre Pläne gewonnen.“

„Das muß unter allen Umständen vereitelt werden, Johann, und sollte es das Aeußerste kosten.“

[410] „Hm, wird aber schwer halten, Herr Präsident. Wer soll den gnädigsten Herrn jetzt noch von dem Plane abbringen?“

„Nun freilich, der Graf giebt ihn nicht auf – das ist sicher. Ich dachte deshalb an ein probates Mittel. Wenn nun die beiden Hitzköpfe aneinander geriethen? Was meint Er, Johann? Der Weg macht dort am Garten eine scharfe Biegung. Wie nun, wenn Ihr vom Trosse, um die Ecke abzuschneiden, quer durch dieses prächtige Weizenfeld des Domänenrathes rittet, um uns einzuholen? Wenn Hartmann darüber nicht wüthend wird, so wird er’s nie.“

„Hm, hm, schön, ganz schön, Herr Kammerpräsident. Aber am Ende werden die Herren dennoch darin einig, daß wir allein die Schuldigen sind, und dann wehe uns! Mir fällt, mit Verlaub zu melden, etwas Besseres ein. Sehen Sie einmal dort über den Zaun hinüber! Was ist das Braune, Herr Kammerpräsident?“

„Zwei Rehe. Aber was denkt Er?“

„Ich denke, daß sie der besagten Jungfer Hartmann gehören, und daß es für den Tyras eine königliche Freude wäre, die beiden netten Thierchen zu jagen und wenn möglich ein bischen zu zerfleischen.“

Die grauen Augen des Präsidenten leuchteten hell auf.

„Vortrefflich, ganz vortrefflich, Johann! Wir müssen also sehen, daß der Tyras loskommt. Wie machen wir das am besten?“

„Ganz einfach, Herr Kammerpräsident,“ lachte Johann in seiner höhnischen Weise. „Der Oberlandjägermeister muß wieder einmal lügen und dann wie gewöhnlich den Christian zum Beistand rufen. Ich halte inzwischen die Hunde, und wenn dann der Tyras nicht gut angekoppelt ist und loskommt, so ist dies natürlich nur die Schuld des braven Christian Blümchen.“

„Vortrefflich!“ wiederholte der Präsident. „Wenn dem Hunde ein Leid geschieht, so vergißt es der Graf niemals. Johann, dafür werde ich Ihm dankbar sein.“

„Hm, ich habe jetzt Röcke genug, gehorsamst zu bemerken.“

„Verstehe. Er soll ganz zufrieden sein.“

Der Präsident gab nach diesem leise und abseits geführten Gespräche seinem Pferde die Sporen und sprengte wieder an die Spitze des Zuges.

„Wo waren Sie so lange, Herr Präsident?“ fragte der Graf.

„Ich revidirte den Troß ein wenig,“ entgegnete der Präsident. „Sind Erlaucht nicht damit einverstanden? Und bin ich um meines Eifers willen vielleicht um ein neues wunderbares Abenteuer unseres Freundes Holderbusch gekommen?“ fragte der Präsident, der seinen Zweck im Auge behielt, weiter.

„Der Herr Oberlandjägermeister hat uns heute etwas von einem kaum glaublichen Sturme erzählt,“ bemerkte der Major der gräflichen Garde lächelnd. „Es war ein Sturm, der Felsen übereinander würfelte, und der doch unseren Holderbusch nicht fortwehte.“

„Wie, Holderbusch? Das glaube ich nimmermehr,“ erklärte der Präsident.

„Das glauben Sie nicht? – Chrrristian!“

„Blümchen bleibt bei den Hunden,“ befahl der Graf.

Der Präsident aber neigte sich dem Ohre seines Herrn zu und flüsterte ihm leise die Bitte zu, um des Spaßes willen den Christian von seinem Dienste für einen Augenblick zu entbinden. Johann werde inzwischen die Hunde bewahren können.

„Gut, es mag sein!“ entschied der Graf, bei dem ein Wort des Präsidenten viel wog. „Laß’ den Christian kommen!“

Wenige Augenblicke später sprengte Blümchen bereits heran, nachdem er vorher noch rasch dem glatten Johann die äußerste Sorgfalt bezüglich des Hundes dringend empfohlen hatte.

„Nun, wie also ging es mit dem Wunder zu?“ fragte der Graf, sobald Christian über den Streitgegenstand unterrichtet war. „Hat Dein Herr gescherzt oder nicht?“

„Nein, es war wirklich so,“ erklärte Christian, der seinen Herrn nie im Stiche ließ. „Wir wären beide verloren gewesen, wenn der Herr Oberlandjägermeister uns nicht geholfen hätte. Er riß den Hirschfänger aus der Scheide, stieß ihn bis an das Heft in die Erde und dann klammerten wir uns beide am Gefäße fest. Das half. Aber der Wind drehte uns doch wie eine Wetterfahne um den Griff herum.“

„Bravo, Christian!“ sagte der Graf lachend. „So glaube ich das Ding schon eher.“

„Na, da hörrren es Errrlaucht selbst,“ fügte der Oberlandjägermeister triumphirend hinzu und wollte in seinen Renommagen fortfahren, da –

„Aber, was ist das?“ rief plötzlich Christian. „Hölle und Teufel! Hat der Lump den Tyras losgelassen! Na, ich dachte es mir gleich. Tyras! Tyras! Willst du her!“

„Tyras! Tyras!“ riefen auch der Graf und sein Gefolge.

Aber der riesige Hund hatte jetzt kein Ohr für die Stimme des Herrn. Am Zaune des Gartens in gewaltigen Sätzen entlang jagend, verfolgte er im blinden Jagdeifer die verlockende Spur der Rehe, auf die ihn Johann absichtlich aufmerksam gemacht hatte. Offenbar suchte er nach einer Lücke im Zaune, um zu seiner Beute zu gelangen, und endlich schien er sie gefunden zu haben. An den Boden niedergeschmiegt, wand er sich durch eine für menschliche Augen kaum entdeckbare Oeffnung des Zaunes. Gleich darauf ertönte im Garten zugleich ein heiseres Gebell und der Schreckensruf einer weiblichen Stimme.

„Vater! Hülfe – Hülfe! der Hund!“

Es war Anna, die ihre Lieblinge schon glücklich bis dicht an ihren Stall gescheucht hatte und nun im letzten Augenblicke das beutegierige Thier hinter sich hörte und in großen Sätzen auf sich zueilen sah.

Mit einem Sprunge war der Domänenrath, der sich bereits von seiner Tochter getrennt hatte, um nach dem Hofe zu gehen, wieder an ihrer Seite. Zugleich erfaßte er, rasch entschlossen, ein Grabscheit, das, an die Wand des Stalles gelehnt, in der Nähe stand. Schon war indessen Tyras bis an den Domänenrath herangekommen. Sein Athem keuchte vor Aufregung, und seine feurig blitzenden Augen maßen den Gegner, der sich ihm drohend entgegen zu stellen wagte.

„Zurück!“ rief der muthige Mann mit Donnerstimme.

Aber auch das Herz des gewaltigen Hundes blieb für Furcht unzugänglich, selbst als Hartmann schon seine Waffe über das Haupt emporschwang. Knurrend und die Zähne fletschend, machte sich Tyras zum Sprunge bereit, um den Gegner an der Brust zu packen. Aber der Domänenrath behielt jede seiner Bewegungen scharf im Auge. Jetzt schnellte der Hund mit der ganzen elastischen Kraft seiner schlanken und kräftigen Glieder vorwärts und doch nicht rasch genug, um den Feind zu überrumpeln. Das Grabscheit blitzte einen Augenblick in der Luft und sauste dann auf das Haupt des edlen Thieres hernieder, das mit einem wilden Klagelaute jählings zusammenbrach.

In diesem Augenblicke erschien der Graf, der in stürmischer Eile durch den Hof geritten war, im Garten. Ein Blick genügte, um ihn seinen schweren Verlust erkennen zu lassen. Da lag der Treue auf dem Rasen, den sein Blut färbte, und kein Glied des gewaltigen Leibes zuckte noch. Die braunen, klugen Augen hatten keinen Blick treuer Anhänglichkeit mehr für den geliebten Herrn.

„Verzeihung, Herr Graf! Es geschah bei Gott nur in der Nothwehr,“ stammelte Hartmann, der sich bei dem aus jeder Miene des Grafen redenden jähen Schmerze plötzlich wie ein schwerer Verbrecher vorkam. „Können Erlaucht mir jemals vergeben?“

Der Graf aber hatte kein Wort der Erwiderung. Seine Hand glitt über die hohe Stirn langsam nach den Augen herab, als gälte es dort Etwas zu verwischen. Dann wandte er sein Roß und schritt schweigend Schritt für Schritt zu seinem Gefolge zurück.




6.

Etwa eine Woche nach den letzterzählten Vorgängen saß Christian Blümchen im Reiseanzug der Kammerfrau Weiß gegenüber in deren kleiner, aber recht behaglich eingerichteter Stube. Zwischen den beiden, mit großblättrigen Geranien und blühenden Balsaminen dicht besetzten Fenstern und unter dem schwarzumrahmten Spiegel stand ein kleiner, halbrunder Tisch, auf diesem aber eine hohe und weitbauchige Kaffeekanne nebst zwei um so schmächtigeren Tassen. Frau Weiß hatte den labenden Abschiedstrunk mit gramerfülltem Herzen zurecht gebraut, aber er war trotz der Trauer aromatischer als jemals gerathen.

„Zum Davonlaufen ist es,“ sagte die behäbige kleine Frau, indem sie ihrem Gaste die vierte und dann sich selbst die siebente Tasse voll goß.

„Nein, Frau Weiß, d’rein schlagen möchte man,“ entgegnete [411] Christian. „Und dazu kommt es auch noch in Betreff eines gewissen windigen Jemand. Wenn ich ihn nur einmal unter vier Augen fasse, so wahr ich Christian Blümchen heiße –“

„Der Oberlandjägermeister hat Sie also wirklich entlassen?“

„Was? Mein Herr? Dummes Zeug! Die gnädige Frau macht bei uns Alles, und sie hat mich auch fortgeschickt. Der arme, gnädige Herr, sehen Sie, der thut mir in der Seele leid. Das Lügen kann er nun einmal nicht lassen, und wer soll ihm nun helfen, wenn der Christian nicht mehr da ist? Es ist meiner Seel’ zum Erbarmen.“

„Ich verstehe nur nicht, wo Oberlandjägermeisters das Geld hergenommen haben, um Sie abzulohnen.“

„Das geht auch im Grunde uns Beide nichts an, Frau Weiß. Genug, die Gnädige hat mir meinen ganzen Lohn für die letzten fünfzehn Jahre bei Heller und Pfennig auf einem Brette hingezählt.“ Der Alte schlug an die vollen Taschen, daß es hell darin klirrte.

„Wunderbar, höchst wunderbar!“ bemerkte Frau Weiß kopfschüttelnd. „Was gedenken Sie jetzt zu thun, Herr Blümchen?“

„Ich geh’ nach Brandenfels. Da bin ich geboren, und dort kaufe ich mir nun für mein Geld ein Häuschen. Der Domänenrath Hartmann hat mir auch schon die schönsten Anerbietungen gemacht, wenn ich in seine Dienste treten will, und das thu’ ich noch heute.“

„Dann darf man Ihnen also gratuliren. Wir freilich kommen dabei am schlechtesten weg; denn wir verlieren hier eine treue Seele, auf die wir Alle große Stücke gehalten haben. Wir haben uns immer gut vertragen. Nicht wahr, Herr Blümchen?“

„Na ob! Sehen Sie, Frau Weiß, wahrhaftig, wenn Sie nur ein klein Bissel jünger wären, dann heirathete ich Sie noch jetzt auf der Stelle.“

„Ei, was Sie da sagen!“ lachte die Kammerfrau munter und ohne die mindeste Empfindlichkeit über Christian’s Naivetät zu verrathen. „Also ich bin Ihnen schon zu alt? Sie sind aber doch wohl mindestens zwanzig bis dreißig Jährchen älter als ich?“

„Das ist bei uns Mannsleuten ganz ein ander Ding,“ entgegnete Christian mit würdevoller Entschiedenheit. „Sehen Sie, ich habe mir die Sache ganz genau überlegt, Frau Weiß, aber es geht eben nicht, nein, es geht durchaus nicht.“

„Dann werden Sie freilich diese gute Idee aufgeben müssen,“ erklärte die Kammerfrau mit einem schelmischen Lächeln, das ihr recht gut stand. „Aber wir sind von unserem Gespräche abgekommen. Wie war das Unglück nur möglich? O, mein Himmel, was hat uns dieser unerwartete Vorgang für üble Folgen gebracht! Alles war so gut eingefädelt; es war die beste kleine Intrigue im Gange, die ich jemals in diesem langweiligen Schlosse erlebt habe. Und nun? Der Faden, den wir schon in der Hand hatten, ist zerrissen. Der Graf kann den Hund nicht vergessen und zürnt mehr als je auf den Domänenrath, ja, was das Schlimmste ist, er grollt auch meiner Comtesse, weil sie ihm den Rath gegeben hat, nach Brandenfels zu reiten. Sagen Sie mir, liebster, bester Herr Blümchen, wie war es möglich, daß der unselige Tyras sich losriß?“

Der Alte schüttelte den kurzgeschorenen Graukopf mit einem überlegenen Lächeln.

„Losgerissen? Na, Sie glauben doch das dumme Zeug nicht?“ fragte er dann.

Frau Weiß sah ihren Gast mit großen Augen an.

„Ob ich es glaube?“ wiederholte sie dann. „Aber, du lieber Himmel, was soll ich denn sonst glauben?“

Der Alte zeigte mit seinem massiven Zeigefinger nach der tiefbraunen Stirn.

„Na, aber Frau Weiß!“ rief er dann. „Können Sie sich denn gar nicht denken, daß der Hund sich gar nicht losreißen konnte?“

Frau Weiß blickte noch erstaunter drein.

„Sie machen Einen durch Ihre Redensarten ganz confus,“ rief sie. „Tyras ist doch nun einmal losgekommen –“

„Ja, losgekommen, das ist ein ander Ding. Aber er hat die Leine nicht zerrissen, sondern –“ Der Alte unterbrach sich selbst, um aus seiner Tasche das Ende eines derben Strickes hervorzuziehen, das er der Kammerfrau vorhielt. „Sieht die Leine wie abgenutzt aus, Frau Weiß? he?“

„Nein, sie scheint mir in ganz gutem Stande zu sein.“

„Sehen Sie sonst nichts?“

„Ich gestehe, daß ich weiter nichts Bemerkenswerthes finde.“

„Natürlich. Sie haben eben keinen Hundeverstand, wie Unsereiner. Solch eine Leine zerreißen zwei Hunde, wie der Tyras, nicht.“

„Aber – „Er ist doch losgekommen, meinen Sie. Na, ich setze den Fall, ich nehme mein scharfes Taschenmesser heraus und feile und schabe damit tüchtig an der Leine herum, etwa so, auf und ab, so zerreißt sie natürlich an derselben Stelle, wenn dann der Hund einen plötzlichen Ruck thut.“

„Wäre es möglich? So hätte Johann den Tyras absichtlich losgelassen?“

„Natürlich, Frau Weiß. Er hat es geschickt genug angefangen, der Sappermenter, aber ich sah es doch sogleich. Bis hierher hat der Schurke geschabt.“

„Und Sie theilten diese Entdeckung Niemand mit?“

„Wem denn? Der Graf war ja so zornig, wie ein Puthahn, wenn gepfiffen wird. Ich hätte meine tüchtige Tracht Schläge weggehabt, ehe ich mich nur mit ihm auseinandersetzen konnte, und ging ihm deshalb aus dem Wege. Oder etwa meinem Herrn, der an nichts weiter denkt als an seine Lügengeschichten? Oder dem Präsidenten? Da wäre ich vollends an den Rechten gekommen; denn der gerade hat mit dem Johann diese ganze Suppe eingebrockt.“

Die Kammerfrau schlug die kleinen rundlichen Hände zusammen. „Nein, das muß ich meiner Comtesse erzählen. Aber warum haben Sie nicht wenigstens an den Domänenrath geschrieben?“

Der Alte lachte hell auf. „Das möchte etwas Schönes geworden sein. Meinen Sie, ich hätte seit dreißig Jahren eine Feder angefaßt? Aber jetzt gehe ich hinüber, und dann soll der Domänenrath Alles wissen, wenn er’s nicht schon an dem anderen Ende des Stricks erkannt hat. Schönen Dank für die Bewirthung, Frau Weiß, und behüte Sie der liebe Gott derweil!“

Der Alte erhob sich, nahm Mütze und Rock und schritt nach der Thür.

„Nun, so gehen Sie mit Gott und viel Glück auf den Weg!“ sagte Frau Weiß in herzlichem Tone. „Apropos, ließe sich denn nicht eine Besprechung zwischen meiner Erlaucht und dem Domänenrath ermöglichen?“

„Warum nicht, wenn die Comtesse nach Brandenfels käme?“

„Das schickt sich nicht für sie. Hartmann muß hierher kommen.“

„Daß er ein Narr wäre! Er soll sich wohl einstecken lassen? Haben Sie denn noch gar nicht gehört, daß der Domänenrath seit dem Unglückstage Tag und Nacht durch Spione des Präsidenten bewacht wird? Sobald er über die Grenze kommt, nehmen sie ihn fest.“

„Gerechter Himmel! Auch das noch! Was nur meine Comtesse zu allen diesen bösen Nachrichten sagen wird.“

Da der Kammerfrau die wichtigen Neuigkeiten wie glühende Kohlen auf der Seele brannten, so hielt sie ihren Gast jetzt nicht länger auf, sondern entließ ihn rasch mit einem freundschaftlichen Händedruck, um dann sofort zur Comtesse zu eilen. Christian aber ging mit festen selbstbewußten Schritten über den Schloßplatz und dann den Burgweg hinab, um von dort seine Wanderung nach Brandenfels anzutreten. Er bog rasch entschlossen um den Garten des Präsidenten herum in den geraden und schattenlosen Feldweg nach Brandenfels ein und hatte bereits eine kurze Strecke desselben zurückgelegt, als er plötzlich nahe vor sich aus dem Graben ein bäuerlich gekleidetes Menschenkind auftauchen sah, das dort in aller Gemüthlichkeit geruht hatte und nun den letzten Streifen Speck auf einem handhohen Stücke Schwarzbrod in den Mund schob.

Die so unerwartet erschienene Figur des Bauern muthete den Alten alsbald heimathlich an. Ja, solche hellblaue Röcke mit kurzen Taillen und blanken Knöpfen, mit Bauschärmeln und langen baumelnden Schößen, solche runde breitkrämpige Hüte und hohe braune Gamaschen trug man nur in Brandenfels. Beim Näherkommen erkannte denn Christian auch in dem langsam und bedächtig daherschreitenden Wanderer einen alten Bekannten.

„Ei schönen guten Tag, Hannehendrich!“ grüßte er den Bauer freundlich.

[412] „Schönen Dank, Herr Blümchen!“ erwiderte der Begrüßte höflich, indem er den Hut bis zur Erde herabriß.

„Na, woher kommt Ihr schon so früh?“ knüpfte der Alte weiter an.

„Iche? Wu ich här kumme? Nu, vun Brannfäls kumm ich.“

„Und wohin wollt Ihr, Hannehendrich?“

„Iche? Wu ich hen well? Nu, nach Schwalbenstein well ich.“

„I sieh da, nach Schwalbenstein also,“ rief Christian verwundert aus, als hätte er von dieser so naheliegenden Absicht des Hannehendrich bisher nicht die entfernteste Ahnung gehabt. „Und mit Verlaub, was führt Euch nach Schwalbenstein?“

„Wos ich do well, mein’n Se? Bi den Harrn Bedienten des Kammerpräsidenten well ich. Gucken Se, Härr Blümchen, Unsereins hat immer nur müß’ge Wäge und Stäge vun allen Dingen. Da ha’ ich neilich bi den Walde von Brannfäls en olles Mässer gefunden, das gehert dem nämlichen Härrn Bedienten, un nu muß ich dieserwägen den weiten Wäg vor nischt mache.“

„Ein Messer? Im Walde von Brandenfels?“ fragte Christian, der bei dieser Erklärung hoch aufhorchte. „Aber Hannehendrich, wißt Ihr denn auch gewiß, daß es dem Johann gehört?“

„Ob ich’s weiß? Nu, natürlich weiß ich’s. Ich un mi Schwoger Kaspar, mi honn’s ja sälbst gesinn, wie he’s verlur. ’s war neulich, wie unser Härr Graf nach Brannfäls kam. Ich wullte mit mi Schwoger in den Wald gih’ –“

„Um ein Bissel Holz zu mausen?“ ergänzte Christian lachend. „Nicht wahr?“

„Nee, nee, jo nich, bei Leib un Läben nich!“ wehrte der Alte eifrig ab. „Sagen Se so was nich, Härr Blümchen! Ich ging minner Seele mant zum Pläsire dorthen. Uf einmal kamb der Härr Graf. Heren Se, ich denke mich rihrt der Schlog vor Schräcken. Unn so kroch ich mit mi Schwoger hinger’n grußen Durnbusch. Do ho’ ich’s sälbst gesinn, wie der Härr Bediente mit dem Mässer an den Hunne sine Stricke rüm arbeit’te, weil wos nich in Ordnung wor, heren Se. Un nf einmol thot der Hund en Ruck, un do riß der Strick, un do log das Mässer in’n Wäge.“

„Zeigt mir’s doch einmal, Hannehendrich!“

Der Alte zog das Verlangte aus der Tasche und reichte es unserm Christian hin. Dann fuhr er fort:

„Der Härr Bediente ist deshalb schunt zweimal in Brannfäls gewäst, ich wor aber immer nich derheime; unn do hat he mich fer heite hiehär beställt. Gucken Se, do is he inn Gartenhause vun den Präsidenten. Nun winkt he schunt met den Tuche. Gäben Se mich das Mässer nu wedder, Herr Blümchen!“

„Das Messer? Nicht für eine Million!“ erklärte Christian sehr entschieden. „Laßt mir’s nur immerhin, Hannehendrich! Ich selbst will es dahin besorgen, wo es hingehört.“

Dann wendete sich der Alte nach dem Gartenhause zurück, und indem er mit der einen Hand das Messer, mit der andern die hervorgezogene Hundeleine hoch emporhielt, rief er mit Stentorstimme hinüber:

„Spazieren Sie doch näher, Herr Johann Schnabel! Hier steht ein prächtiger Baum zum Aufhängen, und da ist auch ein Strick dazu. Wenn Sie ihn auch ein Bissel durchgefeilt haben, einen Windbeutel trägt er immer noch. Unbesorgt, ich schneide Sie nicht etwa mit Ihrem Messer ab.“

Dann machte der Alte rasch kehrt und schritt, ohne sich um die Verblüfftheit Hannehendrich’s und das Winken und Händeringen des unglücklichen Johann im Mindesten zu kümmern, rüstig auf dem Wege nach Brandenfels weiter.

So sah er auch nicht, wie hinter Johann am Fenster des Gartenhauses die breitschulterige Figur des Präsidenten auftauchte und wie sich dann dessen schwere Hand auf die Schulter des tödtlich erschrockenen Dieners legte.

„Was bedeutet die Komödie dort?“ fragte Herr von Straff mit dem ehernsten Tone seiner harten Stimme. „Was sollte der Strick?“

„Der Strick? Welcher Strick, gnädiger Herr?“ stotterte Johann, dem augenblicklich selbst nicht die ärmste Nothlüge einfallen wollte.

„Ich will Ihm auf die Sprünge helfen. War das etwa ein Stück Hundeleine?“

„Gnädiger Herr –“

„Ich habe neulich wohl gesehen, daß Tyras ein Stück seiner Leine nachschleifte. Ich sah daraus schon, daß Er seine Sache ungeschickt angefangen, daß er, statt die Koppel zu lösen, den Strick auf irgend eine Weise zerrissen oder zerschnitten hat.“

„Es war mir allerdings nicht möglich, in der Eile den Verschluß zum Oeffnen zu bringen,“ erklärte Johann endlich. „Christian hatte den Tyras auf eine ganz eigenthümliche Weise gefesselt.“

„Wenn man ein Tölpel ist, so drängt man sich nicht zu solchen Dingen,“ fuhr der Präsident unbarmherzig fort. „Seinen albernen Rath habe ich ohnehin schon tausendmal verwünscht?“

„Aber es gab doch augenblicklich keinen andern Ausweg, gnädiger Herr,“ wendete Johann ein. „Wie sonst hätten wir die Zusammenkunft des erlauchten Herrn mit dem Domänenrath verhindern sollen?“

„Bah, statt dessen hätten sich wohl nachträglich Mittel gefunden, um das Unvermeidliche auf listige Weise wenigstens unschädlich zu machen. Es war ein allzu roher Gewaltstreich, der mir nur Schaden gebracht hat. Denn nun sitzt der Graf seit diesen acht Tagen zu Hause, mag ohne den vermaledeiten Hund nicht mehr ausreiten und beschäftigt sich dafür mit tausend anderen Dingen. Aus Langeweile hat er schon die Rechnungen unserer Kammer einsehen und die Acten über die Hainröder Erbschaft durchstudiren wollen. Doch das Alles kommt jetzt nicht einmal in Frage. Ich will nur wissen, ob Er auch zu allem Ueberflusse noch so entsetzlich albern und ungeschickt gewesen ist, den Rest der Leine in die Hände unserer Feinde fallen zu lassen. He? Wie steht es in dem Punkte?“

Die Augen des Dieners hatten ängstlich die unheimlichen Bewegungen verfolgt, welche der Präsident während dieser letzten Worte mit seinem starken Rohrstocke ausführte. Erst als der alte Herr sich wieder, scheinbar etwas beruhigt, auf das Rohr stützte, fand Johann den Muth zu einer Antwort.

„Ich bitte unterthänigst um Verzeihung, aber ich dachte –“

„Was dachte Er?“

„Daß das Fehlen der Leine Verdacht erregen könne. Ich hatte das Ding so geschickt angefangen, daß –“

„Die verdammte Leine bleibt stets ein Corpus delicti, an dem sich wohl dies oder jenes Verdachtsmoment wird entdecken lassen, zumal der Graf bis jetzt nicht völlig an das Zerreißen glauben mag.“

„Ich konnte mich aber doch unmöglich dem Christian widersetzen, als er die Leine von mir forderte? Er ist weit stärker als ich und hätte mich zwischen seinen groben Fäusten zermalmt.“

„Bah, ein guter Diener fürchtet sich auch vor solchen Dingen nicht, und ich wäre Ihm wohl zu rechter Zeit zu Hülfe gekommen. Ich an Seiner Stelle hätte den Strick lieber verschluckt als ihn ausgeliefert. Er ist ein alberner und feiger Mensch, den ich nächstens ohne Lohn zum Teufel jagen werde.“

„Das werden Sie wohl vorher noch überlegen, gnädiger Herr,“ entgegnete Johann, nun auch gereizt.

Die Augen des Präsidenten öffneten sich weit. Auf den Rohrstock gestützt, starrte er den frechen Burschen an, als ob derselbe zu seinem Staunen plötzlich kalmückisch oder chinesisch gesprochen hätte.

„Was sagt Er da? Ich verstehe Ihn nicht.“

Johann wurde durch die scheinbare Ruhe des Präsidenten diesmal völlig getäuscht und fuhr deshalb, um die Wirkung zu verstärken, in gleichem Tone fort.

„Ich meine, daß sich der gnädige Herr manches besonderen Dienstes erinnern wird, für den mir der Dank noch aussteht.“

„In der That. dessen entsinne ich mich jetzt,“ rief der Präsident, vor kochender Wuth kirschbraun im Gesicht. „Aber ich will Ihm diesen Dank gleich abstatten.“

Und ehe Johann sich dessen versah, hatte ihn die breite Hand des Herrn am Kragen gefaßt und zu Boden gedrückt, und nun sausten die Schläge des gefürchteten Rohrs hageldicht auf seinen Rücken nieder.

„Da hat Er meinen Dank!“ stöhnte der Präsident endlich athemlos, indem er den Gezüchtigten mit einem letzten Stoße gegen die Wand des Gartenhauses schleuderte. „Wenn Er noch mehr verlangt, so melde Er sich bei mir!“

„Hund! Hund! Das sollst Du büßen,“ zischte Johann, [413] während noch die Schritte des Gefürchteten auf der Treppe hallten. „Glaubst Du, ich sei wehrlos? Meinst Du, ich sei vergeblich so lange in Deinem Hause gewesen? Narr, armer hochmüthiger Narr! Gut, daß Du selbst mich an die Hainröder Erbschaft erinnerst. Ja, der Graf, er soll Alles –“ Die Wuth erstickte seine Stimme.

Der Präsident schritt inzwischen auf dem breiten Mittelwege seines Gartens dem Wohnhause zu, und die armen am Wege stehenden Blumen erfuhren dabei zu ihrem Schaden, wie heftig es noch immer in der Brust dieses gewaltigen Mannes wallte und kochte.Der Präsident hatte indessen noch nicht den mittleren Querweg des Gartens erreicht, als sich die auf der Hofseite belegene Gatterthür öffnete und durch dieselbe ein hochgewachsener Mann in der Kleidung der gräflichen Forstbeamten eintrat. Beim Anblicke seines höchsten Vorgesetzten zog der Förster demüthig die Mütze und trat dann in höflich gebeugter Haltung näher.

„Was bringen Sie, Förster?“ rief ihm der Präsident entgegen.

„Der Herr Präsident entsinnen sich wohl des Befehls, den Domänenrath Hartmann sorglich zu überwachen?“ sagte der Förster. „Diesem hohen Befehle unterthänigst zu Folge –“

„Zur Sache! zur Sache!“ unterbrach ihn der Präsident ungeduldig. „Was haben Sie ermittelt?“

„Daß der besagte Domänenrath morgen früh sechs Uhr sein Gut verlassen und den Flecken Brandenfels betreten wird.“

„Sind Sie nur herübergekommen, um mir dies zu melden?“ fragte der Präsident in ungnädigem Tone. „Sie haben für diesen Fall meine Weisungen bereits in Händen und wissen, daß Hartmann durch alle Mannschaften der gräflichen Polizei, welche zur Stelle sind einschließlich der Forstleute, sofort verhaftet und hierher geliefert werden soll.“

Weiß wohl, Herr Präsident,“ entgegnete der Förster bedenklich. „Es ist nur – – ich meine – –. Der Domänenrath kommt nach Brandenfels, um in unserer Kirche zu communiciren.“

„Nun was thut das zur Sache?“ fragte der Präsident verwundert.

Ich meine, der Herr Präsident kennen die Brandenfelser,“ fuhr der Forstbeamte in gleich bedenklichem Tone fort. „Sie sind von grober, ungehorsamer Art und ich fürchte deshalb fast, daß unsere polizeiliche Macht nicht ausreichen wird, wenn es dem Volke darum zu thun ist, den Domänenrath zu befreien. Hartmann ist sehr beliebt, und die Gelegenheit, bei der wir ihn verhaften sollen, könnte die Gemüther besonders leicht reizen.“

Der Präsident schwieg mit gesenktem Haupte eine kurze Zeit.

„Ich werde dafür sorgen,“ fuhr er dann fort, „daß den Brandenfelsern diese ungehorsamen Gedanken gründlich ausgetrieben werden. Kehren Sie ruhig nach Hause zurück, sammeln Sie dort morgen früh Ihre Leute und erwarten Sie das Weitere! Adieu!“

Der Förster verneigte sich tief und verließ dann den Garten.

„Soll ich ihn morgen schon verhaften lassen, oder noch eine günstigere Gelegenheit abwarten?“ fragte sich der Präsident in halblautem Selbstgespäch, sobald die Gatterthür knarrend zugefallen war. „Bedenklich bleibt das Ding immerhin. Vor den Brandenfelsern freilich fürchte ich mich nicht im Geringsten. Im Gegentheil, ein kleiner Aufstand käme mir recht erwünscht. Aber der Graf? Wie wird er die Verhaftung beurtheilen, wenn sie bei einer solchen Veranlassung erfolgt? Erreiche ich am Ende etwas [414] Anderes, als ich durch den Gewaltact erreichen möchte. – Was willst Du? Was führt Dich jetzt hierher?“

Die letzten Fragen richtete der Präsident an seine Tochter, welche unerwartet aus dem Seitenwege an ihn herangetreten war.

„Ich habe in der Laube gesessen und Dein Gespräch mit dem Förster gehört,“ erklärte Hulda in einem Tone, der noch um einige Grade eisiger klang als gewöhnlich.

„Das heißt, Du hast gehorcht.“

Das Fräulein antwortete auf diesen Vorwurf durch einen Blick, der Alles, nur nicht kindliche Ehrerbietung ausdrückte.

„Ich wollte im Gegentheil, ich wäre heute etwas schwerhöriger,“ sagte sie dann mit einer leisen Neigung des schönen Hauptes nach dem Gartenhause hinüber. „Aber Du behandelst heute alle Fragen so ungewöhnlich öffentlich –“

„Was soll das Geschwätz? Was willst Du?“

„Dich nochmals warnen. Du betrittst eine gefährliche Bahn.“

„Ich habe schon einmal Deinen gütigen Rath höflich dankend ablehnen müssen,“ erwiderte Herr von Straff mit kaltem Hohne. „Auch ich bin ein Arzt meiner Ehre und liebe kräftige Mittel. Der Graf, die Comtesse, der ganze Hof glauben nun einmal, daß Dir der Junker zu Gunsten dieser Mamsell Hartmann das Wort gebrochen hat. Bist Du ein solcher Eisball, um die Nothwendigkeit einer genügenden Rache nicht zu empfinden, so will ich an Deiner Stelle –“

Die junge Dame unterbrach ihren Vater.

„Halt ein!“ rief sie. „Du wirst mir erlauben, an dieses Possenspiel nicht mehr zu glauben. Du verschwendest nunmehr vergeblich Deine Worte.“

„Was soll das heißen?“

Hulda zog aus ihrer Tasche den bewußten rosenrothen Briefbogen. „Kennst Du diesen Brief?“ fragte sie dann. „Willst Du noch bestreiten, daß alle diese Ränke aus einem ganz anderen Grunde angesponnen werden, als Du angiebst? Willst Du leugnen, daß Du nicht um meinetwillen, sondern aus Eifersucht Rache brütest?“

Der Präsident schwieg nur einen Augenblick betroffen.

„Woher hast Du diesen Brief?“ rief er dann. „Durchwühlt man auch meine Papiere? Her das Papier, sag’ ich!“

Hulda reichte den Brief gelassen ihrem Vater hin, der ihn sofort zerriß.

„Wozu die Leidenschaft?“ bemerkte das Fräulein. „Daß wenigstens ich ruhig bin, siehst Du wohl klar daraus, daß ich dieses Schriftstück, das ich übrigens ganz zufällig unter Deinen Zeitungen fand, seit einer Woche in der Tasche trage, ohne es Dir gegenüber zu benutzen. Nun hat es seinen Zweck erfüllt und –“

„Welchen Zweck?“

„Mich über Deine rücksichtsvolle väterliche Zärtlichkeit vollends aufzuklären.“

„Wenn ich Dir nun aber sage, daß dieses Papier nur einen Scherz, gewissermaßen nur eine Stylprobe enthalte, daß nie ein Brief dieses Inhalts an diese Adresse abgegangen sei?“

„Das wirst Du nicht sagen wollen, denn ich weiß auch ganz zufällig, aber völlig sicher von der Comtesse selbst das Gegentheil, und ihr glaube ich in diesem Punkte mehr als Dir.“

Der Präsident stampfte ingrimmig mit dem Fuße und wandte sich dann schweigend dem Ausgange des Gartens zu.

„Noch ein Wort,“ rief ihm Hulda nach. „Ich möchte Dir sagen, daß ich fest entschlossen bin, keine weiteren Beeinträchtigungen meiner Ehre zu dulden. Es soll Niemand glauben, daß diese abscheulichen Ränke gesponnen werden, weil ich das Glück der Mamsell Hartmann eifersüchtig beneide. Ich bin fest entschlossen, Vater. Täusche Dich nicht!“

„Was heißt das?“

„Wenn Du mir nicht hier auf der Stelle versprichst, jede feindselige Maßnahme gegen den Domänenrath und seine Tochter sofort einzustellen, so schwöre ich Dir bei meiner Ehre, daß ich noch in dieser Stunde die Comtesse und dann den Grafen selbst über die ganze Sachlage aufklären werde.“

In den Augen des Präsidenten leuchtete ein gefährliches Feuer auf, aber er bezwang gewaltsam seinen Grimm.

„Hier ist wohl nicht der Platz, diese wichtige Frage zu behandeln,“ sagte er dann scheinbar ruhig. „Wir haben vielleicht auch feinhörige Nachbarn, die ich nicht zu Zeugen unseres Gesprächs machen möchte. Ist es Dir also gefällig, so besprechen wir das Weitere oben im Zimmer.“

Hulda verneigte sich zustimmend und verließ mit ihrem Vater den Garten. Schweigend gingen beide durch den Hausflur und die Treppe hinauf. Dort öffnete der Präsident die Thür eines kleinen Hinterzimmers und lud seine Tochter durch eine Bewegung ein, näher zu treten.

„Warum hier?“ fragte die junge Dame kurz.

„Weil ich diesen Platz für den sichersten halte,“ entgegnete der Alte bestimmt.

Hätte das Fräulein ihren Vater bei diesen Worten angesehen, so würde der tückische Blick seiner grau-grünen Augen sie vielleicht gewarnt haben. Aber sie dachte an keine Gefahr und merkte daher erst, als die Thür hinter ihr zugeschlagen und verschlossen wurde, daß sie eine Gefangene sei.

„Nun gehe zur Comtesse und zum Grafen!“ rief ihr der Alte höhnisch zu. „Merkst Du nun, daß man meine Pläne nicht ungestraft durchkreuzt? Nur fein ruhig, meine Tochter! Ich werde sorgen, daß Du Deiner Haft entlassen wirst, sobald Du mir nicht mehr schaden kannst. Adieu!“

Der Präsident zog den Schlüssel des Zimmers ab und stieg dann die Treppe wieder hinab, um in seinem Zimmer Toilette zu machen und das Haus zu verlassen.

[425] Den Präsidenten führte sein Weg quer über den Markt an der Hauptwache der Grenadiergarde vorüber und dann zum Schlosse hinauf. Aber er ging nicht nach dem von den gräflichen Herrschaften bewohnten neuen Schloßflügel, sondern erstieg zunächst die steinerne Wendeltreppe, welche zur Wohnung des Garde-Obersten hinaufführte, und trat dann unangemeldet in dessen Wohnstube.

Der greise Inhaber dieses Zimmers schien durch den Besuch des Präsidenten sehr überrascht zu sein.

„Morgen früh Punkt sechs Uhr muß eine der Gardecompagnien in Brandenfels sein,“ bestimmte dieser. „Wollen Sie danach gütigst Ihre Maßnahmen treffen, Herr Oberst!“

„Eine Compagnie? Nach Brandenfels? Aber du mein lieber Himmel, wie soll ich das machen?“ rief der Alte händeringend. „Die Leute sind jetzt auf dem Felde und mit diesen oder jenen Arbeiten beschäftigt. O mein Himmel, o mein Himmel! Darf man nicht wenigstens erfahren, zu welchem besonderen Zwecke –“

„Morgen werden Sie auch dies wissen. Einstweilen schreibe ich hier eine Ordre für den commandirenden Hauptmann. Sie unterzeichnen dieselbe, ohne sie zu lesen, und ich versiegle sie dann. Herr von Felsewitz übernimmt das Commando, und da der Hauptmann etwas confus ist, so begleitet ihn Feldwebel Lindenzweig von der ersten Compagnie. Sobald Sie mich mit dem Grafen vorüberfahren sehen, werden Sie dem Hauptmann die versiegelte Ordre zustellen. Adieu, Herr Oberst!“

Der Präsident schritt rasch durch den langen Corridor, welcher von der Wohnung des Obersten nach dem neuen Schloßflügel hinüberführte, und ließ sich dort durch den Kammerdiener beim Grafen melden, der ihn auch sofort empfing.

„Sie kommen gerade zur rechten Zeit, wenn Sie mir etwas mitzutheilen haben,“ sagte der Graf, indem er sich aus dem bequemen Lehnstuhle erhob. „Wollte soeben zu meiner Schwester hinübergehen. Ich kann nun einmal mit Niemand lange böse sein und mit Charlotten am wenigsten.“

„Erlaucht würde dort durch Höchstihren Besuch eine große Freude hervorrufen,“ sagte der Präsident kluger Weise zustimmend. „Auch unsere erlauchte Comtesse hat es sicher schon bitter bereut, sich in eine Intrigue gemengt und so schließlich den erlauchten Bruder erzürnt zu haben.“

„Meine Schwester intriguirt, wie Sie wissen, nie,“ verwahrte sich der Graf halb lächelnd und halb ernst. „Die Schuld daran, daß ich meinen treuen Tyras verlor, trifft am Ende nur mich. Warum mußte ich den Hund mit nach Brandenfels nehmen, wenn es einen Besuch zu machen galt!“

„Nein, Erlaucht, ich kann dies nicht zugeben. Der Domänenrath weiß, wie alle Welt, wie sehr Erlaucht den Hund liebten, und er hätte deshalb nicht so brutal wie ein Wilder d’reinschlagen sollen. Doch ich will das Herz Euer Erlaucht jetzt nicht durch solche Erinnerungen von Neuem betrüben. Im Gegentheile, ich komme, um einen Vorschlag zur Zerstreuung zu machen. Der Förster von Brandenfels war heute bei mir –“

„Ich habe ihn über den Markt gehen sehen,“ fiel der Graf ein.

„Nun wohl, durch ihn weiß ich, daß jetzt mehrere capitale Rehböcke von uns nach den Forsten des Domänenraths hinüber wechseln, wo doch der Rehstand ohnehin gut genug ist. Wie wäre es, Erlaucht, wenn wir in dieser Nacht wieder einmal –“

„Sie sind ein schlimmer Versucher,“ erklärte der Graf, in dessen Augen bereits das Jagdfieber aufleuchtete. „Sind wir auch vor unangenehmen Ueberraschungen völlig sicher?“

„Seien Erlaucht unbesorgt! Der Domänenrath kommt uns diesmal nicht in den Weg,“ beruhigte Herr von Straff. „Wenn also Erlaucht zustimmen, so fahren wir sofort in meinem Wagen nach dem Hirschsprunge hinüber und von dort, sobald es dunkel ist, nach dem Eulenschrei im Hartmann’schen Forste.“

„Aber der Oberlandjägermeister muß auch bei der Partie sein, sonst ist der Spaß nur halb gelungen,“ erklärte der Graf. „Besorgen Sie also das Weitere! Auf Wiedersehen, Herr Präsident!“

Eine kleine Viertelstunde nach diesen Vorgängen schirrte Johann bereits die beiden Braunen an den leichten Jagdwagen des Präsidenten.

„Auge um Auge und Zahn um Zahn,“ murmelte er dabei zwischen den festgeschlossenen Zähnen hervor. „Dafür, daß meine Notizen über die Hainröder Erbschaft dem Grafen insgeheim zugehen, ist bestens gesorgt. Was wohl der Max Theodor für ein Gesicht macht, wenn er unversehens mein sauberes Memorandum in der Tasche findet? Das unverschämt offene Billet unseres liebenswürdigen Fräuleins soll auch zur rechten Zeit in die Hände der Comtesse kommen, dafür bürge ich und meine brave Muhme. Ich werde es dem Herrn Präsidenten schon eintränken. Welch’ ein Wonnegefühl, der geheime Herr seiner Gesellschaft zu sein!“


[426]

7.

„Eine ganz verflixte Geschichte, das, Feldwebel.“

„Zu Befehl, Herr Hauptmann, ganz ausnehmend verflixt.“

„Weiß, meiner Seele nicht, was dem hochgräflichen Gardecommando einfällt. Haben Sie in Ihrem ganzen Leben schon gehört, daß hochgräfliche Grenadiergarde mitten in der Nacht hätte ausrücken müssen? Hat sie jemals stundenlang im Walde gelegen? Haben Sie so ’was Tolles schon gehört, Feldwebel?“

„Das Warum werden wir erfahren, wenn ich, der Ordre gemäß, Schlag sechs Uhr den versiegelten Befehl öffne.“

„Wie viel Uhr haben wir, Feldwebel?“

„Fünf Uhr vierzig Minuten. Aber was giebt es da?“

„Wo? Was, Feldwebel?“

„Dort oben. Sehen Sie nicht die Dame, die dort zu Pferde den Waldweg zu uns herabkommt? Neben ihr reitet ein Herr und dahinter ein Diener.“

„Meiner Seel’, so ist es. Der Herr ist Kurt von Holderbusch und der Diener ist der alte Brauer vom Schlosse.“

„Ganz recht, Herr Hauptmann. Und die Dame – O herrjemine! Es ist unsere erlauchte Comtesse höchstselbst.“

„Was wär’s? Bataillon antreten! Stillgestanden! Bataillon richt’ Euch! Augen links! Achtung! Präsentirt –“

„Erst Gewehr auf, Herr Hauptmann,“ zischelte der Feldwebel seinem Vorgesetzten zu.

„Alle Teufel, ja, das hatte ich vergessen. Also Gewehr auf! Achtung! Präsentirt das –“

Aber schon war die Comtesse mit dem Jagdjunker von Holderbusch und ihrem Diener so nahe herangekommen, daß sie durch ein rasches Zeichen die ihr zugedachte Ehre ablehnen und hiermit zugleich einen schweren Stein von der bedrängten Seele des Hauptmanns abwälzen konnte. Denn es schien dem Armen sehr zweifelhaft, ob der einfältige Tambour wirklich so leise schlagen würde, wie um der Ordre willen zu wünschen war.

„Guten Tag, Herr Hauptmann von Felsewitz!“ sagte die Comtesse mit einer leichten Neigung des Hauptes. „Schwerer Dienst heute, nicht wahr?“

Der Hauptmann bejahte mit einem leisen Seufzer.

„Nun, ich komme, um diese Last von Ihren Schultern zu nehmen. Marschiren Sie jetzt mit Ihrer Compagnie getrost wieder heimwärts!“

„Wär’s möglich, Erlaucht? Das wäre allerdings Manchem von den Leuten recht erwünscht. Und Erlaucht bemühen sich allergnädigst höchstselbst, uns diese Contre-Ordre zu überbringen! Darf ich unterthänigst um die Ordre bitten, Erlaucht?“

„Um was? Eine schriftliche Ordre habe ich nicht bei mir,“ entgegnete Comtesse Charlotte ein wenig verlegen. „Aber ich kann Ihnen versichern, daß mein Bruder, der Graf, sicher mit meinen Anordnungen einverstanden sein wird.“

„Auch zufrieden sein wird? Also keine geschriebene Ordre? Und unser erlauchter Herr wissen am Ende noch nicht darum?“

„Nein, allerdings nicht. Als mir die Nachricht von dem Ausrücken einer Gardecompagnie zuging, suchte ich meinen Bruder sofort auf, um auch ihn zu benachrichtigen. Denn er weiß sicher nichts von diesem Zuge. Leider war der Graf nicht zu finden, da er schon gestern mit dem Präsidenten und dem Oberlandjägermeister ausgefahren und noch nicht zurückgekehrt ist. So ritt ich denn selbst, um Sie zur sofortigen Umkehr zu bewegen.“

„Ganz verflixte Situation das, mit unterthänigstem Permiß,“ murmelte der Hauptmann, während er sich unter der gewaltigen Bärenmütze verlegen kraute. „Ja, höchst verflixte Situation. Habe natürlich auf Ehre vor Erlaucht die allergrößte, pflichtschuldigste Ehrerbietung. Aber ohne schriftliche Contre-Ordre kann ich meiner Seel’ nicht zurückmarschiren, Erlaucht. Und wahrhaftig, gerade jetzt schlägt’s sechs Uhr da unten im Flecken. Also die versiegelte Ordre heraus! Was steht da? Feldwebel Lindenzweig, lesen Sie einmal!“

Der Feldwebel las: „Punkt sechs Uhr bricht die erste Compagnie der gräflichen Garde von ihrem Haltepunkte auf, umstellt vorsichtig die Kirche in Brandenfels und arretirt den Domänenrath Hartmann, sobald er die Kirche verläßt; Arrestant ist alsdann anhero abzuliefern. Verhaftung in der Kirche selbst ist zu vermeiden; etwaige Emeuten des Plebs sind mit Waffengewalt zu unterdrücken. Gräfliches Garde-Commando.“

„Bon, sehr schön!“ Nun wissen wir’s,“ sagte der Hauptmann mit Gewicht. „Wußte ja schon, daß das eine verteufelte Geschichte wurde. Die Bauern in Brandenfels sind bärenmäßig grob, wie weltbekannt. Der Christian Blümchen war ja auch aus dem Neste. Hilft aber Alles nichts. Also: Bataillon in Sektionen –“

„Halt, noch ein Wort,“ bat die Comtesse. „Wenn ich selbst Ihnen nun eine schriftliche Ordre gäbe, umzukehren? Würde Ihnen das genügen?“

Wiederum und noch verlegener kraute sich der Hauptmann unter der Bärenmütze.

„Feldwebel, was machen wir?“ zischelte er seinem Factotum zu. „Ganz verflixte Situation! Ich komme in die Tinte, mag ich es machen, wie ich will.“

„Der Herr Hauptmann können jetzt nur der Ordre pariren,“ entgegnete der Feldwebel ebenso leise.

„Haben wieder Recht. Erlaucht, es geht nicht, es geht leider bei allen tausend Teufeln nicht. Erlaucht excusiren also gnädigst. Bataillon –“

Comtesse Charlotte berührte ihr munteres Pferdchen mit der Reitpeitsche und flog dann, von dem Jagdjunker und ihrem Diener begleitet, in raschem Trabe, der bald in Galopp überging, am Waldrande hinauf. Der Hauptmann aber brachte nunmehr sein mehrfach unterbrochenes Commando wirklich zu Stande und rückte dann mit seiner Compagnie in raschem Schritte quer über die Wiese und gerade auf die bezeichnete Kirche los. Der Uebergang über den Steg wurde von den Truppen glücklich bewerkstelligt, und auch der weitere Marsch bis in die stillen Straßen des Marktfleckens bot zum Heile weder taktische noch strategische Schwierigkeiten; denn von irgend wie verwickelten Bewegungen wußte man bei hochgräflicher Garde so viel wie nichts.

„Da liegt nun die Kirche, Feldwebel,“ sagte der Hauptmann, sobald sich das Militär im Angesichte des unansehnlichen Gotteshauses befand. „Aber nun sagen Sie mir um des Himmels willen, wie fangen wir das Umstellen an?“

„Wir stellen an jeden Ausgang eine Section.“

„Schön. Das thun wir.“

Während der Hauptmann seine Befehle ertheilte, um das beschlossene Manöver zum Vollzuge zu bringen, sprengte von der andern Seite die Comtesse im schnellsten Laufe ihres Pferdes durch die Pfarrgasse bis zur Kirche heran, glitt dann mit Kurt’s Hülfe gewandt aus dem Sattel herab und warf ihrem getreuen Brauer die Zügel zu. Nun trat sie mit dem Junker von Holderbusch rasch unter das Portal und von da in die Kirche.

Die heilige Handlung war soeben beendet, und Hartmann nebst seiner Tochter begegnete daher den Eintretenden im Hauptgange der Kirche, zwischen den Sitzreihen.

„Sehe ich recht? Charlotte – das heißt – Erlaucht?“ rief der Domänenrath erstaunt.

„Zum Wundern ist jetzt nicht die Zeit,“ entgegnete die Comtesse eilig. „Geschwind hinaus, nach Ihrem Gute zurück! Fort, fort! Ich komme nur Ihretwillen in aller Hast. Man will Sie verhaften.“

„Wie? Also hätte der Brief, den meine Tochter erhielt, dennoch Recht gehabt?“

„Welcher Brief?“

„Ein expresser Bote brachte ihn von Schwalbenstein herüber,“ erzählte Anna hastig im Weiterschreiten. „Fräulein Hulda von Straff schrieb mir von Feindseligkeiten gegen mich und die Meinen, die sie nicht theile und nicht billige, und von Plänen, welche gegen die Freiheit meines Vaters geschmiedet würden –“

„Und Sie folgten der Warnung nicht?“ fragte die Comtesse vorwurfsvoll, indem sie sich an den Domänenrath wandte.

„Bah, Erlaucht, ich bin zu alt, um noch das Gruseln zu lernen.“

„Sie bleiben immer derselbe. So eilen Sie denn mir zu Gefallen, ehe die Garde anlangt! Mein Pferd ist vor der Thür. Hinauf und fort! Ich –“

Die Comtesse ließ vor Schrecken ihre Rede unvollendet, denn in diesem Augenblicke rasselten draußen die Gewehrkolben auf die Steinplatten des Hauptportals nieder. „Zu spät! Da sind sie schon. Was thun wir nun?“

[427] Der Domänenrath lächelte, statt die mindeste Furcht zu zeigen.

„Je nun, wir fügen uns in das Unvermeidliche,“ sagte er dann gelassen. „Man wird mich nicht Zeitlebens einsperren wollen.“

„Sie nehmen die Sache ruhiger, als ich dachte,“ sagte die Comtesse, fast ein wenig durch die Gelassenheit Hartmann’s verletzt. „Freilich wird Ihre Haft weder zu lange dauern noch zu hart sein, wenn mein Wort noch irgend etwas gilt. Aber bedenken Sie nicht, daß ich selbst vielleicht besondere Pläne verfolgen könnte, bei welchen mir Ihre Verhaftung einen gewaltigen Strich durch die Rechnung ziehen würde?“

„Dann freilich muß und werde ich frei sein um jeden Preis,“ entgegnete Hartmann entschlossen. „Darf ich etwas Näheres über diese Pläne erfahren?“

„Wenn Sie mir versprechen, daß meinem Bruder und einigen Herren vom Hofe, die Sie, wenn uns das Glück günstig ist, in Ihre Hand bekommen könnten, durchaus nichts Uebles widerfahren wird.“

„Muß ich das erst versprechen, Charl – Erlaucht?“ fragte der Domänenrath vorwurfsvoll.

„Nein, nein, ich bitte um Verzeihung! Darum kurz. Ich erfuhr schon gestern, daß irgend Etwas gegen Sie im Werke sei, aber nichts Sicheres – ich wußte nichts Sicheres. Als ich deshalb meinen Bruder aufsuchte, war er schon ausgefahren. Erst im letzten Augenblicke leider kam mir der Gedanke, daß wir die Herren in Ihrem Forste finden würden. Frau Weiß hat nachgeforscht und diese Meinung bestätigt gefunden. Nur um mich im Dunkeln zu lassen, hat Straff die Herren in seinem Wagen entführt. Wenn wir also die vornehmen Wilderer erwischen, so könnte das Lösegeld, das Sie, natürlich nur mit Vorsicht, fordern werden, uns aus allen Nöthen befreien. Eben deshalb bin ich die halbe Nacht hindurch geritten und habe auch für alle Fälle den Junker mitgebracht.“

„Prächtig!“ rief der Domänenrath mit blitzenden Augen. „Wie viel Mann stehen draußen?“

„Höchstens zwanzig, Herr Domänenrath,“ antwortete ein Brandenfelser, der dem Portale näher stand.

„So brechen wir hindurch! Wer steht zu mir, Ihr Leute?“

„Ich, ich, ich auch,“ rief es von allen Seiten.

„Keine Gewaltthaten meine Herren, wenn ich bitten darf!“ mahnte die Comtesse. „Mein Bruder liebt seine Garde und dürfte ihre Beschimpfung nicht wohl aufnehmen.“

Die Comtesse schritt den Anderen voran bis unter das Portal und wandte sich dann an den Gardehauptmann. „Hören Sie mich, Herr von Felsewitz!“ sagte sie mit möglichster Entschiedenheit. „Unterlassen Sie auf meine Verantwortung die Verhaftung!“

„Erlaucht, das geht meiner Seele nicht. Kenne den Grund meiner Ordre nicht, muß sie aber wirklich erfüllen.“

„So hören Sie mich, Herr Hauptmann!“ begann der Domänenrath, der inzwischen gleichfalls unter das Portal getreten war.

„Nein, Sie höre ich jetzt gar nicht!“ rief dagegen der Hauptmann, durch all das Eindrängen halb und halb außer sich gebracht. „Sie verhafte ich. Das ist er. Nehmt ihn fest, Ihr Leute!“

Die Gardisten drangen auf dieses Commando des Hauptmanns gegen Hartmann vor, der aber von seiner Tochter und der Comtesse schleunigst nach dem Inneren der Kirche zurückgezogen wurde. Einige entschlossene Männer aus dem Orte schlugen zugleich das schwere Thor hinter ihm zu und schoben dann noch die rostigen Eisenriegel von innen vor.

„Was machen wir nun Feld–. Ja so, der ist an der andern Seite. Eine ganz heillos verflixte Geschichte! Da drinnen soll ich ihn nicht verhaften, und heraus kommt er nun gewiß nicht, wenn er klug ist. Da können wir hier stehen bis übermorgen.“

Des weiteren Nachdenkens wurde der unglückliche Hauptmann durch ein ganz unerwartetes Ereigniß überhoben. Die Nachricht, daß eine Compagnie der gräflichen Garde eingerückt sei, hatte sich wie ein Lauffeuer durch den ganzen Marktflecken verbreitet und bald eine beträchtliche Menschenzahl unter den Linden des sonst so stillen Kirchplatzes versammelt. Von einzelnen Ortsbürgern, welche die Kirche ungehindert hatten verlassen dürfen, war dann unter der Menge auch der wahre Grund dieser Maßnahmen bekannt geworden und hatte unter derselben eine um so größere Aufregung hervorgerufen, als sich Hartmann der allgemeinen Liebe und Achtung erfreute.

„Des sullten mer nich liede, Kinger,“ hörte man einen der langröckigen Burschen dem anderen zuflüstern. „Wos? Verorretirt, wenn he vun der heiligen Communion kimmt? Die Kerls sull jo Dieser und Jener –“

„Host Rächt, Casper. Dos lieden mer nich. Nei!“

Schon blitzten zornige Augen; schon hoben sich sehr massive Arme und Hände und schienen die Schilderung, welche der unglückliche Hauptmann seinem Feldwebel von den Bewohnern des Ortes entworfen hatte, durch die That als sehr treffend darthun zu wollen.

Da trat noch zur rechten Zeit eine bekannte, untersetzte Gestalt unter die Menge.

„Macht keine Dummheiten, Jungen!“ rief er den rauflustigen Burschen zu. „Rebelljon gegen die hochgräfliche Garde ist immer ein garstiges, kitzliges Ding.“

„Wos? dos sagt Die? Sied Die dänn nich jetzt bi den Domänrothe in Diensten?“

„Nun freilich.“

„Un Die wullt Uren Härrn von den Kerls do fortschleppe losse? Pfui, schämt Uch was, Christion!“

Der Alte zwinkerte listig mit den Augen.

„Nur keine Rebelljon, sage ich,“ entgegnete er dann. „Seht, ich setze aber den Fall, es entstünde so ganz zufällig – versteht Ihr? – vor der Kirche ein kleines Gedränge. Glaubt Ihr, daß die alten, steifen Burschen da mit ihren Bärenmützen den Domänenrath aufhalten könnten?“

„Minner Six, Kinger, do hat der Christion Rächt. Dos giebt en Hauptspooß, Jungens. Kummt här! Aber stille, ’mont gonz stille! Jo, ich ho’s immer gesat, der Christion is ein Schlaukopp, wie’s kenn witer gät. Vurwärts!“

Bald hatte sich dicht hinter der schwachen Section, welche das Kirchthor besetzt hielt, ein Trupp jener verwegenen Burschen eingenistet, der zuerst blos neugierig zwischen den Schultern der Gardisten hinweg in das Innere des Portals zu blicken suchte. Die Sache erschien so unverfänglich und die jungen Leute traten so ruhig und bescheiden auf, daß der arglose Hauptmann gar nicht versuchen mochte, dieselben fern zu halten. Denn das sah doch nimmermehr aus wie eine Emeute, die mit Waffengewalt zu unterdrücken wäre.

Plötzlich jedoch und wie auf Commando änderte sich die Scene. Von einer starken Macht nach vorn gedrängt, schoben die den Gardisten zunächst stehenden Bursche den kleinen Trupp der Bewaffneten so unerwartet rasch zur Seite, daß die alten, ungelenken Bärenmützen gar nicht daran denken konnten, von ihren Kolben oder Bajonneten Gebrauch zu machen, um so weniger, als die nächsten jungen Leute selbst sich schimpfend und schreiend über die ungebührliche Drängelei dort hinten beschwerten.

„Halt! Bataillon halt!“

Der Hauptmann rief es umsonst mit aller Kraft seiner Lunge. In dichtem Knäuel drängte die Menge in das Portal. Was darauf geschah, entwickelte sich so rasch, daß selbst eine stärkere Macht den Vorgang nicht hätte verhindern können. Der Hauptmann, hülflos in eine Ecke hineingepreßt, bemerkte nur noch, wie hier und dort zerstreut eine der riesigen Bärenmützen wirbelnd in dem Getümmel herumgetrieben wurde, wie die Gardisten sich halb fluchend, halb lachend, aber ohnmächtig gegen die Uebermacht sträubten. Dann sah er, wie sich in seiner Nähe die Kirchthür öffnete und wie ein Hut, unter dem er den Domänenrath vermuthete und dessen Träger von den Versammelten vorwärts gezogen und gedrängt wurde, in stürmischer Eile durch die Menge nach dem freien Ausgange sich bewegte.

„Halt, halt! Gewehr zur Attaque rechts!“ hörte man den Hauptmann noch einmal befehlen. Aber schon war auch diese äußerste Maßnahme eine verspätete. Hartmann saß bereits auf dem Pferde der Comtesse und jagte in Carrière seinem sichern Schloßgute zu; der Hauptmann aber durfte mit besserm Rechte als jemals seinem rasch herbeigeeilten Factotum zurufen: „Feldwebel, in des Kukuks Namen, was machen wir nun?“


[428]

8.

Durch eine dichte Schonung der zum Hartmann’schen Schloßgute gehörigen Waldungen drängten sich etwa eine Stunde nach den eben erwähnten Vorgängen drei Männer, von denen zwei einen erlegten stattlichen Rehbock trugen.

„Nur vorwärts, vorwärts, meine Herren!“ mahnte der Dritte, der inzwischen vorangegangen war und mit sichtlicher Ungeduld das Herankommen seiner Begleiter erwartete. „Schon ist es sieben Uhr. Wir müssen den Bock so rasch wie möglich in Ihren Wagen schaffen, wenn wir nicht am Ende noch abgefaßt sein wollen.“

„Nurrr einen Augenblick Geduld, Errrlaucht, ich –“

„Zum Donner–, laß’ hier die Titulaturen unterwegs!“ unterbrach der Graf zornig die Entschuldigung des dicken Oberlandjägermeisters. „Du weißt, daß ich auf solchen Gängen nicht gekannt sein will. Wenn es Dir übrigens zu schwer wird, den Rehbock zu tragen, so will ich selbst wieder an Deine Stelle treten. Der alte gehörnte Bursche da hat allzu lange auf sich warten lassen. Die Sonne steht schon gewaltig hoch. Fort, fort, Ihr Herren!“

Der Präsident las aus den Mienen des regierenden Herrn dessen wachsende Besorgniß vor dem Ausgange des Unternehmens, und hielt es deshalb für gerathen, seine Maßnahmen, die sich auf die Dauer nun einmal nicht verhehlen ließen, schon jetzt zu enthüllen. In der gegenwärtigen Bedrängniß war der Graf wahrscheinlich am meisten geneigt, auch eine kleine Gewaltthat, wenn sie ihm nur irgend zu Gute kam, ungerügt durchschlüpfen zu lassen.

„Unsern Gegner habe ich für heute völlig unschädlich gemacht,“ bemerkte er deshalb mit schlauem Augenblinzeln. „Auch seine Diener werden jetzt an andere Dinge als an Forstschutz zu denken haben.“

„Wie haben Sie das bewerkstelligt, Sie Pfifficus?“ fragte Max Theodor dagegen mit dem Ausdrucke lächelnden Staunens.

„Ich erfuhr, daß Hartmann heute Morgen in gewohnter Keckheit sein Asyl verlassen würde, und traf daher meine Maßnahmen so, daß er sich sicher jetzt in den Händen der getreuen Garde befindet.“

„Der Garde? Sie haben ihn also wirklich verhaften lassen?“ fragte der Graf mit etwas krauser Stirn. „Offen gestanden, das gefällt mir nicht besonders, Herr Präsident. Abgesehen von Ungelegenheiten, die uns unser Vetter, der Kurfürst, deshalb bereiten kann, hätte ich Hartmann für die Zwecke unseres Schalkstreichs lieber überlistet, als roh vergewaltigt gesehen.“

„Aber der Hund? Der arme treue Tyras, den der rücksichtslose Mensch so grausam tödtete?“

„Das freilich war nicht recht und hat mir wehe genug gethan,“ erklärte der Graf.

„Erlaucht urtheilen immer viel zu mild über die Schuldigen. Nur die ausgesuchteste Bosheit und Feindschaft konnte so handeln.“

„Hm, hm, ich weiß doch nicht, was ich selbst thäte, wenn mich ein solcher Hund, wie der Tyras war, anfiele. Und durch die Schuld Ihres Johann ist er am Ende von der Leine losgekommen. Dem Christian Blümchen selbst wäre das nicht begegnet. Das behaupte ich noch heute. Habe es deshalb auch gar nicht gern gehört, daß Du den Christian entlassen hast, Holderbusch. Es war ein treuer Mensch und ein Original dazu.“

„Aberrr Errr– ja, so – das hat doch meine Frrrau gethan, und Herrr von Strrraff sagt auch –“

Ein grimmiger Blick des Präsidenten ließ den Dicken jählings verstummen.

„So muß ich also doppelt bedauern, den hohen Wünschen nicht genügt zu haben,“ erklärte der Präsident mit der Miene gekränkter Unschuld.

„Nein, nein, ich will Sie nicht ernstlich schelten,“ lenkte dagegen der Graf gutmüthig ein. „Sie meinen es immer mit mir gut, haben aber manchmal einen allzuharten Griff. Ich bin mit Ihnen ganz zufrieden und lasse mich nicht verhetzen. Habe deshalb auch in dieses Papier hier, das man uns in die Tasche gesteckt hat, um mir den Appetit zu verderben, just zum Trotze, mein Frühstück eingewickelt. Da haben Sie den Fetzen! Was sagen Sie dazu?“

„O, das ist schändlich!“ rief der Präsident nach einem Blicke auf das Schreiben, das ihm der Graf behändigt hatte. „Mich so tückisch zu verleumden!“

„Aergern Sie sich nicht!“ beruhigte ihn der Graf. „Ich glaube nimmer, daß Sie unser Haus bei der Brandenfelser Affaire benachtheiligt haben, am wenigsten aber glaube ich einem namenlosen Angeber. Doch nun ist genug gerastet. Vorwärts! Ich löse Dich ab, Dicker. Sonst rührt Dich noch der Schlag.“

Der Graf faßte den erlegten Rehbock, um ihn gemeinsam mit dem Präsidenten weiter zu tragen. Plötzlich aber horchte er hoch auf.

„Was war das? Klang es nicht wie Hundegebell?“

„Meinerrr Six! Ich habe es auch gehörrrt. Zum Kukuk, es wird doch kein Forrrstläufer mit dem Hühnerrrhunde hierrr herrrumstrrreichen.“

Von Neuem und schon recht nahe erklang das Gebell. Der Hund näherte sich ganz offenbar.

„Das ist kein Hühnerhund,“ bemerkte der Graf. „Der Ton ist zu tief und zu voll. Horchen Sie! Klingt es nicht genau, als ob mein alter Tyras anschlüge?“

Die Begleiter des Grafen fanden keine Zeit die Frage zu beantworten. Schon hörte man deutlich, wie das starke Thier gewaltsam durch die dichten Büsche drang, schon erscholl auch aus der Nähe ein gellender Pfiff, um ihn zurückzurufen.

„Verdammt! Diesmal werden wir wahrhaftig abgefaßt,“ rief der gräfliche Wilderer, indem er zornig mit dem hohen Jagdstiefel das Waldmoos stampfte. „Was thun wir?“

„Wir sind drei gegen einen,“ wagte ihm der Präsident zuzuflüstern, indem er zugleich sein Gewehr schußfertig emporhob.

„Unsinn! Nieder das Gewehr!“ befahl dagegen der Graf streng und mit blitzenden Augen. „Soll unsere Thorheit zum Verbrechen werden? Kein Menschenblut um solcher Possen willen! Hallo, da bricht das Thier durch.“

Wirklich stürmte in dem Augenblicke, da der Graf die letzten Worte sprach, ein übergroßer Hund durch das Birkengebüsch und geraden Wegs auf den Grafen los.

„Herr, mein Gott, ist es möglich? Der Tyras!“ Mehr konnte der hohe Herr nicht sprechen, denn schon sprang der getreue Hund, vor Freude schier außer sich, an ihm empor.

„Mein Alter! Mein Getreuer! Du lebst, und man hat mir das verschwiegen? So hat Dich also das Grabscheit doch nicht tödtlich getroffen?“ rief der Graf, während er sich der allzu stürmischen Liebkosungen nur mit Mühe erwehrte. „Wer hatte gedacht, daß mir der heutige Tag noch eine solche freudige Ueberraschung bringen würde!“

„Werden mich Erlaucht dagegen zu den unangenehmen Ueberraschungen zählen?“

Der Graf und seine Begleiter blickten erstaunt nach dem Manne um, der diese Worte gesprochen hatte und nun aus dem Gebüsche auf die Lichtung vortrat.

„Sie – Sie, Herr Domänenrath?“ stammelte der Graf sichtlich verlegen. „Was – was – werden Sie sagen, wenn – wenn –“

„Ich bin von ganzem Herzen erfreut, daß Erlaucht endlich einmal meine wiederholte Einladung zur Jagd angenommen haben, und noch mehr darüber, daß sie so glücklich ausgefallen ist.“

„Allerdings, Herr Domänenrath. Mir scheint, ich habe da einen recht kapitalen Bock geschossen,“ erklärte der Graf durch die Auffassung Hartmann’s sichtlich beruhigt. „Aber wie um des Himmels willen haben Sie uns in dieser einsamen Gegend im dichten Gebüsche auffinden können?“

„Tyras – er hat sich, wie Sie sehen, unter meiner Pflege schnell erholt – war, sobald er nur erst die Spur bekommen hatte, ein vortrefflicher Führer. Aber die Herren werden sicher ermüdet und hungrig sein. Ich habe mir daher erlaubt, ganz in der Nähe an der Königseiche, wo auch der Wagen des Herrn von Straff steht, ein kleines Frühstück auftragen zu lassen. Darf ich Euer Erlaucht und den Herrn Oberlandjägermeister ersuchen, daran gütigst Theil zu nehmen?“

„Von Herzen gern. Aber soll unser Präsident allein leer ausgehen?“

Hartmann warf dem Herrn von Straff einen keineswegs besonders einladenden Blick zu.

„Der Herr Präsident ist mein Freund nicht, und ich bezweifle deshalb, daß er meine Einladung annehmen würde,“ sagte er dann langsam und bedächtig.

„Da haben Sie nun Ihre Strafe, Herr Präsident!“ scherzte [429] der Graf. „Sie haben den Doinänenrath bei Wasser und Brod einschließen wollen und nun schließt er Sie dafür von Wein und Braten aus. Ein anderer Grund für die Spannung zwischen beiden Herren ist mir wenigstens nicht bekannt, Sie müßten es denn ganz unverzeihlich finden, daß ich mir durch Vermittelung des Präsidenten meinen Korb bezüglich des Gutskaufs geholt habe. Die Hand auf’s Herz, Hartmann, finden Sie meinen Wunsch gar so exorbitant?“

„Ich habe von jeher nichts natürlicher gefunden als diesen Wunsch, Erlaucht,“ entgegnete der Domänenrath ernst wie vorher. „Ich wäre auch jederzeit zu diesem Abkommen bereit gewesen, wenn man nur meine billigen Bedingungen erfüllt hätte. Aber für den halben Werth freilich kann ich Brandenfels nicht verkaufen, namentlich, wenn man mich zugleich mit einem der unzähligen Processe bedroht, wie sie die gräfliche Kammer zu führen liebt. Drohungen wirken bei uns nicht, Erlaucht. Und nicht einmal für einen mir lieben, auch Euer Erlaucht bekannten Feldbirnbaum in meinem Garten habe ich das Versprechen der Schonung erlangen können.“

Der Graf blieb vor dem Präsidenten stehen, und sah ihn scharf an.

„Was muß ich da hören, Herr Präsident?“ sagte er nach einer geraumen Weile, während deren das Auge des Präsidenten den Boden gesucht hatte. „Was meint der Domänenrath? Haben Sie wirklich meinem Willen schnurstracks entgegen gehandelt? Processirt die Kammer gar mit meinen eigenen Unterthanen?“

„Sie führt nicht einen, sondern Hunderte von kostspieligen und ungerechten Processen,“ versicherte der Domänenrath freimüthig. „Es sind darunter Processe, die entschieden dem Ansehen des gräflichen Hauses schaden müssen.“

„Ei ei, Herr Präsident, diesen Umstand werde ich näher untersuchen. Ich will keinen Rechtskrieg mit meinen Unterthanen. Verstanden? Nun freilich glaube ich auch zu wissen, warum in meiner Kammercasse stets Ebbe ist.“

[430] „Wir sind bei dem Wagen angelangt, und hier ist das Frühstück aufgetragen,“ warf der Domänenrath ein, um den Grafen auf frohere Gedanken zu bringen.

„Und hier ist auch sonst noch Jemand, der von der Partie sein möchte,“ sagte die Comtesse Charlotte, indem sie hinter dem Wagen des Präsidenten vortrat. „Erlaucht, werden ja wohl diesmal auch die eigenmächtige Ankunft der unterthänigsten Schwester in Gnaden verzeihn, zumal Ew. Liebden höchstmögender Herr Tyras so glücklich mit dem Leben davon gekommen ist.“

„Ei was? Ei wie?“ rief der Graf freudig erstaunt. „Du hier, Lottchen? Das ist ja ganz vortrefflich. Denn wärst Du jetzt nicht gekommen, so hätte ich wahrlich bei Dir noch heute um Gnade gebeten. Aber was in der Welt hat Dich auf diesen glücklichen Gedanken gebracht?“

„Nun, es könnte mich schon einmal gelüstet haben zu sehen, wie ein souveräner Reichsgraf als Wildfrevler gefangen wird,“ sagte die Comtesse mit ihrem munteren Lachen. „Solche Staatsactionen sieht man wahrlich nicht alle Tage. Dann aber war meine Anwesenheit auch nöthig, um unseren Wirth zu befreien, der – denk Dir nur, Max – verhaftet werden sollte, obwohl er aus der Kirche und vom heiligen Abendmahle kam. Sollte das wirklich Dein Wille gewesen sein?“

Der Graf erwiderte kein Wort, aber er sah den Präsidenten mit einem Blicke an, der schon eine nicht zu verkennende Drohung enthielt.

„Setzen wir uns hier auf das weiche Moos, um dem Dejeuner unseres Wirths die gebührende Ehre anzuthun!“ sagte er dann. „Sie, mein lieber Hartmann, zu meiner Rechten, Du Lottchen –“

„Noch einen Augenblick Geduld!“ bat die Comtesse. „Ich bin mit meinen Ueberraschungen noch immer nicht am Ende, lieber Max. Nur hervor dort hinter Ihrem Versatzstücke, Fräulein Hartmann und Herr Forstjunker von Holderbusch! Ihr Stichwort ist gefallen, und Sie müssen auf die Bühne.“

„Ah, noch ein Brautpaar, Lottchen! Immer besser – darf man schon gratuliren?“

„Noch nicht.“

„Aber das Ziel ist doch nicht unerreichbar, will ich hoffen. Welch ein hübsches Paar! Du wirst nicht steinherzig sein, lieber Holderbusch, wenn ich Dich bitte.“

„Au contrrrairrre. Welche Ehrrre, Errrlaucht! Wenn – ja, wenn nurrr meine Frrrau –“

„Hast Du schon vergessen, was ich Dir einmal über die Abfindung der von Holderbusch’schen Agnaten sagte: Unser Freund Hartmann wird hier so wenig knausern, wie bei diesem Dejeuner. Im Uebrigen soll es mir nicht darauf ankommen, Deiner gestrengen Frau Gemahlin selbst meine gehorsamste Aufwartung zu machen und um höchstihre Einwilligung geziemend zu bitten. Zu einer Erhöhung des Gehalts werden ja wohl die Mittel vorhanden sein, wenn wir die Processe künftig vermeiden und den jungen Mann seinen Verdiensten und Fähigkeiten nach besser verwenden. Nicht wahr, Herr Präsident?“

Diesmal schwieg der Präsident, aber ein aufmerksamer Beobachter hätte wohl hören können, wie seine massiven Zähne an einander knirschten.

Der Graf erhob sich, das gefüllte Glas in der Rechten, aber die Comtesse legte ihre feine Hand auf seinen Arm.

„Keinen Toast!“ bat sie, „bevor ein anderer, weniger glücklicher Wilderer –“

„Meinetwegen mögen sie Alle zusammen laufen, wohin sie ihre spitzbübischen Beine tragen. Aber nun darf ich doch meinen Spruch sagen, Lottchen?“

„Champagner, Christian!“ befahl der Domänenrath.

„Ei sieh, noch eine Ueberraschung,“ rief der Graf, als der alte Christian herbeieilte, um vor Allem das Glas des hohen Herrn zu füllen. „Na, um des frohen Tages willen mag auch Dir noch Dein arger Fehler verziehen sein. Ein ander Mal aber koppele die Hunde besser!“

„Das brauchen mir Erlaucht unterthänigst nicht zu befehlen,“ entgegnete der Alte in seiner geraden Weise. „Meine Pflicht thue ich schon ohnehin.“

„Seht nur, wie stolz! Aber um Deinetwillen hätte ich doch fast meinen Tyras hier verloren.“

„Wenn Erlaucht unterthänigst erlauben, so ist das eine ganz infame Lüge.“

Sämmtliche Anwesende sahen den überkühnen Christian erschrocken an, und auch der Graf wußte einen Augenblick nicht, ob er zürnen oder lachen sollte, entschloß sich aber dann doch weislich zu Letzterem.

„Du bist ein ganz verzweifelt gerader Bursche,“ sagte er endlich. „Sag’, ist es, wahr, was die Leute behaupten, daß Du der gröbste Kerl in meiner Grafschaft bist?“

Christian wiegte erst eine ganze Weile nachdenklich den grauen Kopf.

„Nein, Erlaucht,“ gestand er endlich bescheiden. „Der Herr Präsident hier ist in dem Punkte mehr.“

Der Graf brach über diese unerwünschte Antwort Christian’s in ein munteres Gelächter aus, in das auch die übrigen Anwesenden mit einziger Ausnahme des Herrn von Straff, und Christian’s selbst einstimmten.

„Was ist da zu lachen?“ fragte der unerschrockene Alte endlich verwundert. „Ich kann beweisen, daß ich nicht daran schuld bin, daß der Tyras loskam. Das haben hier der Präsident und sein sauberer Johann auf dem Gewissen.“

„Kerl, wenn Du noch eine solche Lüge vorbringst, so zermalme ich Dich!“ rief der Präsident wüthend, indem er Miene machte, sich auf den Kühnen zu stürzen.

Der Graf aber erhob sich, um den Zornigen mit Ernst zurückzuweisen.

„Sie vergessen wohl ein Wenig, daß ich hier bin?“ begann er. „Ich möchte gebeten haben –“

Aber Christian unterbrach auch seinen Landesherrn, wenn es ihm gutdünkte.

„Ich bitte gnädigst um Verzeihung,“ sagte er, „aber ich werde mit dem Herrn Präsidenten schon allein fertig und brauche keine Hülfe. Also, Herr Präsident: Numero Eins habe ich nie gelogen, wenn es der Herr Oberlandjägermeister nicht befahlen. Numero Zwei, haben Sie es mit Ihrem Johann abgekartet, daß er die Leine unseres Tyras zerschnitt.“

„Christian, ich warne Dich ernstlich, sprich nicht mehr, als Du verantworten kannst,“ mahnte der Graf.

Aber der Alte ließ sich dadurch nicht einschüchtern.

„Das ist der Strick,“ sagte er bedeutungsvoll. „Wer nur ein bischen Hundeverstand hat, der muß sehn, daß die Leine nicht von Tyras zerrissen, sondern mit dem Messer zerrieben ist.“

„Auch ich muß dies glauben,“ erklärte der Domänenrath. „Ich habe das Stück, welches am Halsbande hängen geblieben war, sorglich betrachtet und kam so zu der Meinung Christian’s.“

„Wahrhaftig, so scheint es auch mir,“ gestand nun auch der Graf, nachdem er die Leine eine Zeitlang betrachtet hatte.

„Nein, so ist es,“ beharrte Blümchen. „Denn da habe ich auch das Messer, das an der bewußten Stelle, wo der Tyras loskam, gefunden ist. Dieses Messer aber gehört, wie alle Welt weiß, dem sauberen Herrn Johann, der dort auf dem Bocke sitzt. Fragen Sie ihn nur, Erlaucht! Er wird’s nicht leugnen können.“

Durch die Seele des gewandten Dieners, dem diese letzten Worte galten, zog während dieser Scene eine ganze Reihe von Gedanken. Seinen scharfen Sinnen war kein Wort und kein Blick entschlüpft, und er hatte deshalb mit Schadenfreude bemerkt, daß der Stern seines Herrn entschieden im Sinken und Erbleichen begriffen sei. Was konnte außerdem das frechste Leugnen jetzt noch nützen? Johann entschloß sich also rasch, die reine Wahrheit zu reden.

„Ich kann’s nicht leugnen. Erlaucht,“ räumte er ein, sobald der Graf mit den Beweisstücken in der Hand sich ihm näherte. „Das ist mein Messer, und damit habe ich auch die Leine zum Zerreißen gebracht.“

„Warum?“

„Der Herr Präsident wünschte, daß der Hund die Rehe anfallen möchte, und so –“

„Bei Gott, Du und Dein Herr, Ihr Beide seid keinen Schuß Pulver werth,“ murrte der Graf, indem er dem Bedienten verächtlich den Rücken zuwandte, um zu den übrigen Anwesenden zurückzukehren.

„Danke unterthänigst,“ murmelte Johann; „hätte wahrlich keine Lust, meinen Werth nach diesem fatalen Pulvermaße bestimmen zu lassen. Aber auch nach der Begegnung mit meinem Herrn Präsidenten gelüstet mich nicht besonders. Die beste Kleidung habe ich an. Mag also der Herr Expotentat [431] allein nach Hause kutschiren und sich einen anderen Prügelknaben suchen!“

Bei diesen Worten stieg Johann leise und vorsichtig vom Bocke, um dann wie ein Fuchs im nahen Dickicht geräuschlos zu verschwinden.

„Mein Herr Präsident,“ fuhr der Graf inzwischen fort, „Sie können sich hier unmöglich behaglich fühlen und werden sich zudem auf unsere Abrechnung vorbereiten müssen. Sie sind entlassen.“

„Soll das heißen, für immer, Erlaucht?“ fragte Herr von Straff, dessen Augen ein unheimliches Feuer sprühten.

„Das habe ich bis jetzt nicht sagen wollen. Da Sie mich aber herausfordern, mein Herr Präsident, so mag es sein. Der Herr Domänenrath und unser Holderbusch werden mir, wenn ich darum bitte, Rath und Hülfe sicher nicht versagen. Adieu!“

„Ich, Errrlaucht?“ fragte der Oberlandjägermeister mit dem Ausdrucke maßlosen Staunens.

„Nein, Dicker, Dich will ich mit solchen schlimmen Dingen nicht plagen,“ entgegnete der Graf lachend. „Du sähst in den Rechnungen jede Eins mindestens für eine Zehn an. Ich hoffe vielmehr auf Deinen Sohn. Doch jetzt und hier haben wir bessere Dinge zu thun. Sagt’ mal, habt Ihr Euch wirklich von ganzem Herzen lieb, Ihr junges Volk?“

„Ja, ja, Erlaucht,“ antworteten beide Liebesleute ohne Zögern, indem sie Hand in Hand vor den Grafen traten.

„So gebe ich als Euer Landesvater Euch als ehrsames Brautpaar zusammen. Wie, meine Herrschaften? Es zweifelt doch hier Niemand an der Legalität meiner Handlung, will ich hoffen? Wenn ich als souveräner Graf des Reichs die Macht habe, selbst Ehen zu scheiden, so muß ich doch wahrlich auch ein Brautpaar binden dürfen. He, Holderbusch! Du machst mir keine saure Miene mehr! Ich will Dir in Zukunft auch Deine tollsten Lügen mit gläubiger Miene anhören, wenn Du mir nur diesmal zu Willen bist.“

„Saurrre Mienen? Wie? Werrr sagt das? Bin ja von ganzem Herrrzen einverstanden, Errrlaucht.“

„Auf ein adeliges Wappenschild soll es mir auch nicht ankommen, wenn Deine Gemahlin durchaus darauf besteht. Ja, die kleine Braut soll dann so adelig sein, wie ich sie machen kann, weit edler, als dieser hochadelige Johannisberger, und Ahnen soll sie haben, so viel wie wir zusammen heute noch Gläser trinken. Ist das wohl Deiner Frau genug, Holderbusch? Das neue Brautpaar lebe hoch!“

„Nun, Lottchen, bist Du zufrieden?“ fragte der Graf leise, indem er sich während des Gläserklirrens zum Ohre der Schwester herniederbog. Deine schlaue Kunst allein hat den Mächtigen gestürzt und Alles Uebrige nach Deinem Wunsche herbeigeführt. Sind wir nun wieder ganz einig?“

„Meine schlaue Kunst?“ wiederholte die Comtesse ebenso leise, aber mit einem glücklichen Lächeln und einem warmen Händedrucke. „Hältst Du es für so schwer, auf Deine Herzensgüte zu rechnen? Ach, Max, ich habe heute gerade klarer als je empfunden, wie schwer die Macht der Herren und der Diener gegen einander abzuwägen ist. Nur das eine Verdienst nehme ich stolz in Anspruch, daß ich zum guten Ziele auf geradem Wege kam.“
Karl Chop.
  1. Leser, die mit den Thüringischen Hofgeschichten der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts vertraut sind, werden mit Leichtigkeit das Fürstenschloß herausfinden, welches den Schauplatz unserer Erzählung abgiebt. Wir können selbstverständlich nicht verrathen, welcher fürstliche Herr sich hinter dem Reichsgrafen Max Theodor verbirgt.
    D. Red.