Zweite Sammlung (1786)

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Textdaten
Autor: Johann Gottfried Herder
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Titel: Zweite Sammlung (1786)
Untertitel:
aus: Zerstreute Blätter (Zweite Sammlung) S. 1-15
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1786
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
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Erscheinungsort: Gotha
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[(I)]
Zerstreute Blätter
von
J. G. Herder.


––––––
Zweite Sammlung.
––––––
Gotha 1786,
bey Carl Wilhelm Ettinger.

[(III)] Hier haben Sie, m. Fr. die ersten gedruckten Bogen eines zweiten Theils der zerstreuten Blätter. Nehmen Sie ihn so gütig auf, wie Sie den ersten Theil aufnahmen und seyn im Namen des Publikums sein Erster Richter.

Die Blumen aus der griechischen Anthologie haben nach der Einleitung vor dem ersten Theil der Blätter keine weitere Vorrede nöthig. Theano und ich theilten diese kleinen Geschenke der griechischen Hora; und im Drucke fand sichs, daß wir beinah zu reichlich getheilt hatten. Ein Buch voll Sinngedichte ist wie ein Gastmahl von Näschereien, wo jede einzelne [IV] Süßigkeit durch die Menge ihrer Nachbarinnen leidet. Ich habe also auch bei diesen vier Büchern sorgfältig gewählt und eine ziemliche Anzahl ausgelassen, die ihre sammlende Hand schon finden werden. Auch Sie, m. Fr. bitte ich, auf diesen Blumenbeeten mit sparendem Blick zu verweilen; lesen Sie auf Einmal nur Weniges und wenn Ihnen hie und da ein Stück vorzüglich gefällt, nur dies Eine: denn jedes kleinste Stück ist ein Ganzes.

Ich wünschte, daß hiezu und überhaupt zum Begrif von der ganzen Gattung die Abhandlung über das griechische Epigramm dienen möchte, die darauf folget. Daß ich von Leßing ausgegangen bin, gehört zur Geschichte dieses Aufsatzes: denn als 1771. der erste Theil [V] von Leßings vermischten Schriften erschien, bekam ich eine äußere Veranlassung, dem Inhalt seiner Anmerkungen weiter nachzugehen und wenn mir meine Arbeit gelungen ist, werden Sie in ihr die Theorie des Epigramms Theils genauer bestimmt, Theils mehr erweitert finden. Es wäre gut, wenn wir andere Gedichtarten eben so untersuchten: denn die Bestimmung derselben blos aus dem Namen, oder nach einem engen Kreise von Beispielen hat unsre sogenannte Theorie der schönen Wissenschaften mit manchen willkührlichen Begriffen und einer guten Anzahl geltender Halbwahrheiten angefüllet, die keine bessre Folge haben können, als den arbeitenden oder den betrachtenden Geist bald einzuschränken, bald zu verführen. Nächstens theile ich Ihnen eine [VI] kleine Hyle mit, bei der ich nicht läugnen will, es auf eine ähnliche Absicht angelegt zu haben.


2.

Hier ist das kleine Wäldchen griechischer Gedichte, das ich neulich anmeldete. In ihm sind Fabeln, Idyllen, lyrische Stücke, Fragmente von Lehrgedichten, Hymnen u. f. Was ich damit im Sinn habe, wird die Folge zeigen; genießen Sie sie jetzt als eine Namenlose Sammlung, in der Ihnen hie und da ein Stück, wenigstens der Uebersetzung nach, neu seyn wird. Was für Sie nicht ist, lassen Sie einem Nachbar – – [VII] Aber es kommt zugleich eine Göttin mit, der ich gern einen Platz unter Ihren Lieblings- und Hausgöttern erbäte. *)[1] Ihr Name klingt furchtbar; aber nur durch Mißverstand ist er furchtbar geworden und eben um diesen Mißverstand zu heben und die ernste Göttin in ihrer wohlthätigen, schönen Gestalt zu zeigen, ist die kleine Abhandlung geschrieben. Wenn Ihnen ein paar Seiten und einige Anmerkungen zu gelehrt vorkommen: so überfliegen Sie dieselbe und eilen zum Ende; aber die Göttin selbst, als ein moralisches Sinnbild betrachtet, bitte ich nicht zu überfliegen. Räumen Sie ihr eine Stelle im Lararium Ihres Herzens ein und grüßen Sie sie jeden Abend.

[VIII] Ungemein freuete es mich, als ich im Leben des großen Linné fand, daß er die Nemesis auch geehrt und zu seiner Erbauung gar eine Geschichte derselben, (historiam Nemeseos divinae) geschrieben habe. Er nahm ihren Namen nur nach dem gemeinen Begrif; nach dem Feineren, den ich entwickle, werden Sie dieselbe nicht nur fürchten und ehren, sondern auch lieben lernen und wenn Linné an seine Thür geschrieben hatte: Innocui vivite, Numen adest! – so wollen wir das Tagebuch unsrer kleinsten Handlungen das Motto setzen: ne quid nimis! Nemesis adest. - Es thut mir leid, daß ich meine Abhandlung nicht mit einem Bilde dieser Göttin gezieret habe. Leben Sie wohl und erwarten nächstens eine noch ernstere Gestalt, [IX] der diese nur zur Vorläuferin dienen sollte.


3.

Die ernste Gestalt, mit der ich heut erscheine, ist der Tod; aber es ist weder der dürre Knochenmann, noch allein jener Jüngling mit der gesenkten Fackel. Ein ganzes Reich schattiger Wesen und dunkler Träume wird von Ihnen aufsteigen und sich zuletzt in eine Dämmerung verlieren, in welcher uns auch der erste und schwächste Stral der Aurora eines andern Lebens wohlthut. Lassen Sie sich die Geschichte dieser Todesbriefe erzählen.

[X] Wenn über Einen Punct des Alterthums uns Denkmahle zur Belehrung übrig geblieben sind, so ists über die Materie des Todes. Tempel und Bildsäulen wurden als Werkzeuge der Abgötterei zerstöret; aber Grabmähler und Sarkophagen blieben. Theils blieben jene über der Erde, weil ein Rest der Menschlichkeit oder der erdichtete Name eines Heiligen sie schützte; Theils hatte diese die all-aufnehmende Mutter Erde dem zerstörenden Blick der Barbaren verborgen. Wenn also über irgend einen streitigen Punct der alten Kunstgeschichte Gewißheit erwartet werden kann, so ists über diesen.

Und diese Gewißheit beut sich uns sehr angenehm dar. Wer ist, der nicht bei den Grabmählern der Etrusker und [XI] Römer (denn von den Griechen ist uns so gut als nichts übrig) mit der ruhigen, stillen Aufmerksamkeit verweile, die selbst einen Vorgeschmack des betäubenden letzten Schlummers mit sich führet? Mir wenigstens waren diese Monumente des allgemeinen Schicksals in ihrer schönen Einfalt, in ihrer friedlichen Größe schon in jungen Jahren sehr angenehm und ich blätterte gern in den Sammlungen, die sie beschrieben. – –

Als Leßings Abhandlung erschien: wie die Alten den Tod gebildet, freuete sie mich, nicht nur durch das, was sie gab, sondern auch, was sie in mir weckte. In ihr war meiner, der ich damals fast noch ein Jüngling war, über Arbeiten, die ich bald selbst nicht mehr für die Meinigen [XII] erkannte, auf eine so edle Weise gedacht, daß mir diese Schrift für Leßings Charakter eben die Hochachtung gab, die ich für die Gaben seines Geistes längst gehabt hatte. Nicht lange darauf lernte ich ihn persönlich kennen; unser Gespräch fiel aber nicht auf Materien dieses Inhalts und da ich in einem Provinzialblatt den ersten Entwurf dessen bekannt machte, was jetzt in diesen Briefen ausführlicher vorkommt, war Leßing in Italien. Als er zurückkam, war mir die Kleinigkeit nicht mehr im Gedächtniß; ich weiß also auch nicht, ob er jenen unreifen ersten Entwurf gelesen habe.

"Warum ich aber jetzt, nach seinem Tode, diesen Aufsatz berichtigt und vermehrt, herausgebe?" Dies geschieht [XIII] aus einer sehr reinen, patriotischen Absicht. Leßing hat seine Manier und wenn bei irgend Einer seiner Untersuchungen diese Manier kenntlich wird, ists bei der kurzen, genialischen Abhandlung vom Tode. Sein Scharfsinn durchschneidet: er durchschneidet meistentheils glücklich; es kann aber nicht fehlen, daß nicht zu beiden Seiten manches unbemerkt bleibe, worauf sein gerade durchdringender Blick nicht fiel. Soll dieses nun von andern nicht bemerkt werden? soll und muß jeder den Weg gehen, den Er ging, ohne einen Blick zur Rechten oder zur Linken? Keines Menschen Denkart war dies weniger, als Leßings. Er haßte das Nachtreten auf seinen Fersen, wie er selbst Niemanden nachtrat und die unglücklichen Versuche, die man gar in [XIV] seiner Manier machte, waren ihm in der Seele zuwider. Je einen eignern Gesichtspunkt sein Gegner nahm, desto lieber war ihm dieser: denn nur durch das vielseitige Betrachten Eines und desselben Gegenstandes wird die Wahrheit gefördert. Ich werde mich also nicht hindern lassen, über mehrere seiner Arbeiten meine zerstreuten Anmerkungen zu sammlen, wie ichs über diese gethan habe; ich wüßte kein besseres Opfer, das ich dem edlen Schatten bringen könnte.

Und so gönnen Sie, m. Fr., auch hier zum Schlusse des Buchs, dem kleinen Denkmahl ein Stelle, das ich in der ersten schmerzlichen Empfindung seines Verlustes Ihm damals im deutschen Merkur setzte. Es hat den Beifall vieler [XV] gehabt, die Leßings Werth kannten; ausser der Schreibart habe ich also an ihm nichts ändern mögen. Die wenigen Anmerkungen, die eine unangenehme Nothwendigkeit mir abgezwungen hat, werden, wie ich weiß, wahre und wie ich hoffe, friedliche Anmerkungen bleiben.

Zwar hätte ich noch von Leßings Gespräch über den Spinozismus einige Worte hinzusetzen mögen. Aber was sollen über eine Materie der Art einige Worte? Sie verdient wohl, daß wir ihr eine eigne Erwägung gönnen und auch diese wird ihre Zeit finden.


  1. *) Nemesis, ein lehrendes Sinnbild.