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Auch eine Industrie-Ausstellung

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Textdaten
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Autor: G. H–h.
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Titel: Auch eine Industrie-Ausstellung
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 300–302
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Die Victoria-Ausstellung in Berlin
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Auch eine Industrie-Ausstellung.


„Sind Sie schon im Bazar bei’m Kronprinzen gewesen?“ – Das war die stehende Frage, die in der vorletzten Woche vor Ostern alle gesellschaftlichen Kreise Berlins durchlief. Die Antwort war verschieden. Unter Leuten von Rang war damit sogleich ein Gespräch über hunderterlei famose Einzelheiten und Beobachtungen eröffnet; im Bürgerstande aber hörte man wohl die Gegenfragen: „Ja, kann denn da wirklich jeder für fünf Groschen so ungenirt hingehen? ohne besondere Einladung? so wie man geht und steht, ohne Frack und weiße Binde? und der Kronprinz und die Kronprinzessin sind da und verkaufen selbst?“

In der That, so oft auch gekrönte und fürstliche Häupter bei festlichen Gelegenheiten zu ihrem Volke hinabgestiegen, das war doch neu und überraschend, daß der Thronerbe eines europäischen Großstaates die Bewohner seiner Residenz ohne Unterschied zu sich einlud, in sein eigenes Haus, in so freundlicher Weise und so edler Absicht. Schon das war den Berlinern neu, daß auf der Rampe, die zu dem Palaste Friedrich Wilhelm’s des Dritten führt, neben wappengeschmückten Carossen auch die schlichte Droschke vorfahren durfte; aber das Leben und Treiben im Innern war noch viel merkwürdiger.

In der Vorhalle wachen an zwei Tischen Invaliden über die Casse, bei der man seinen Tribut, fünf Groschen oder mehr, wie man will, erlegt. Auf breiter Marmortreppe steigen wir zu den Sälen empor welche in langer Flucht zu der Gedenkhalle des verstorbenen Königs führen. Durch Blumenduft und rauschende Gewänder kommt man endlich zum Büffet und darf sich, gegen Erlegung eines blanken Thalers, zur Stärkung einen Maraschino oder Chartreuse von der Gräfin von H. einschenken lassen. Nun ist der Zauber gelöst. Noch wenige Schritte, und man steht mitten in einer bunten Kunst- und Industrieausstellung, bei der es sich freilich fragt, was interessanter ist, die ausgestellten Dinge oder die verkaufenden Personen. Schöne und reiche Fürstinnen, Gräfinnen, Hofdamen, Generalinnen, Ministerinnen und Damen aus den Kreisen der Geheimen Commerzienräthe, die man sonst nur im Theater oder auf der Promenade von Weitem bewundert, bemühen sich hier, Geschäfte mit uns zu machen.

Immer mehr füllen sich die fürstlichen Räume mit Schau- und Kauflustigen; selbst einen Weg suchend, versperren wir Andern die Passage. „Bitte, lassen Sie uns ‘mal hier durch,“ sagt da ein Herr im einfachen militärischen Interimsrock hinter uns und klopft uns freundlich auf die Schulter – es ist der Kronprinz, der seine „Frau“, wie er die Kronprinzessin in bürgerlich-schlichter Weise am liebsten nennt, nach ihrem Verkaufsstande geleitet. Denn sie hat es sich vorbehalten, den Müttern ihre Bedürfnisse an Kindergarderobe zu liefern; die Gedenkhalle, eine geräumige Rotunde, ist mit Kleidchen, Mützchen, Schuhchen, Strümpfchen, Puppen etc. ganz angefüllt, für welche die hohe Verkäuferin reißenden Absatz erzielt. Hier beginnt denn auch der König seine reichen Einkäufe. Man denkt vielleicht, wenn man den ehrwürdigen, stattlichen Herrn so mitten in einer dichten und „gemischten“ Gesellschaft sieht, wie er nach allen Seiten hin freundlich grüßt und sich unterhält, an die kühle Zurückhaltung, mit der ein Anderer wenige Tage vorher eine andere Industrieausstellung eröffnet hat – aber da ist schon wieder der Kronprinz, diesmal allein und mit einem Sacke bewaffnet, auf dem die geflügelten Worte zu lesen: „Ein kühner Griff zehn Silbergroschen“. Wer danach aussieht, als könnte er den Griff vor seinem Geldbeutel verantworten, der wird herangezogen – doch „erst das Geld her!“ Der Gegenstand, den man auf gut Glück erwischt, hat vielleicht nur durch das witzige Motto Werth, das ihm der Prinz angeheftet hat; aber man bewahrt ihn doch wohl auf und erzählt vielleicht noch in späten Tagen: „Das hat mir Friedrich Wilhelm der Fünfte für zehn Groschen verkauft.“

Wozu das Alles? Für einen sehr, sehr schönen Zweck; die Mildthätigkeit tritt eben unter allerlei Gestalt auf. Dieser Bazar nun ist recht eigentlich von der Kronprinzessin von Preußen erfunden worden, wie auch das Institut, welches ihren Namen trägt, die Victoria-National-Invaliden-Stiftung, zuerst von ihr angeregt wurde. „Nur den vereinten Kräften des ganzen Volkes kann die nationale Sache gelingen. Möge Keiner es an sich fehlen lassen, möge jeder Einzelne dazu beitragen, daß auch jene Tapferen, die ihre beste Kraft dahingaben für die Ehre und den Ruhm des Vaterlandes, daß auch die ihrer Stützen und Ernährer beraubten Familien mit uns Allen über die Leiden und Opfer des Krieges hinweg auf die Thaten unseres Heeres mit Stolz und Genugthuung blicken können!“ So schloß der Aufruf des Kronprinzen aus Brünn vom 3. August 1866, und mit richtigem Tacte berief er in das Comité zur Verwirklichung des Planes einflußreiche Männer aller politischen Parteien.

Bis jetzt sind der Stiftung von Privaten und Vereinen, aus dem In- und Auslande nahe an eine halbe Million Thaler zugeflossen. Es ist diese Summe in Anbetracht der großen Opfer, welche das vorige Jahr sonst gekostet hat, immerhin beträchtlich, wenn sie auch noch lange nicht ausreicht, den durch den Krieg Verunglückten über die Fürsorge des Staates hinaus den letzten Kummer zu nehmen. Wenn sich die Hoffnung verwirklicht, durch eine in Aussicht stehende größere Schenkung das Capital auf eine Million zu bringen, so würde die Stiftung, einschließlich der laufenden Beiträge, jährlich über etwa siebenzig- bis achtzigtausend Thaler verfügen und damit manche Thräne trocknen können. Nicht mit in Anschlag kommen hierbei die Mittel und die Thätigkeit der zahlreichen Zweigvereine, von denen jeder seinen besonderen Wirkungskreis behält.

Wie glücklich die Idee der Kronprinzessin war, einen Bazar zum Besten der Stiftung zu veranstalten, beweist der Erfolg: es sind nahe an vierzigtausend Thaler eingenommen worden. Die Theilnahme war allerdings eine überaus große. Reiche Gaben

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Die Victoria-Ausstellung in Berlin.
Nach der Natur aufgenommen von O. Wisnieski.

waren von sämmtlichen Mitgliedern und Verwandten der preußischen Königsfamilie eingegangen, zum Theil Gegenstände von hohem Werthe, so u. A. von der Königin Victoria von England kostbare englische Shawls, vom Kaiser von Rußland prachtvolle Mosaikvasen, von der Großherzogin von Baden eine Schwarzwälder Uhr in reichgeschnitztem Holzgehäuse, und den Wohlhabendern der Residenz Berlin war es eine Ehrensache, wenigstens etwas beizusteuern; Die Fülle von Geschenken aller Art, die man in den Ausstellungsräumen [302] aufgestapelt sah, war ebenso ein Beweis für den Wohlthätigkeitssinn der Geber, als für die Beliebtheit der Kronprinzessin, die nicht nur zwei von ihr selbst gemalte Bilder (vom Könige angekauft) und eine Masse von kleineren Dingen gespendet, sondern auch die Einrichtung des Ganzen mit vielem Geschick überwacht hatte. Im Bürgerstande fiel es namentlich sehr angenehm auf, daß unter den Damen des Bazarcomités neben den Trägerinnen altadliger Namen sich gleich viele bürgerliche befanden.

An heiteren und interessanten Episoden waren die Tage vom 8. bis 13. April überaus reich. Die Form, unter der hie und da gegeben wurde, hörten wir von Jemand als „raffinirte Liebenswürdigkeit“ bezeichnen; jedenfalls erinnerte es an Tausend und Eine Nacht, wenn der türkische Gesandte im Bazar ein Veilchenbouquet für tausend Thaler kaufte und sich dann von der Kronprinzessin die Erlaubniß erbat, ihr dasselbe als ein Zeichen der Verehrung seines Herrn und Sultans zu überreichen. Weniger orientalisch, aber nicht minder sinnig, zahlte ein Bankier der Gräfin O. für einen Liqueur fünfzig Thaler.

Die Aufzählung auch nur der bedeutendsten unter den Tausenden von Geschenken würde uns zu weit führen. Nur eines, das leider ziemlich unbeachtet blieb, aber den Autographen der königlichen Familie würdig zur Seite stand, wollen wir hervorheben: ein Album, in dem dreiundzwanzig unserer beliebtesten lebenden Schriftsteller auf Putlitz’s Anregung sich verewigt hatten. Kein Wunder, daß es die Kronprinzessin alsbald für sich erwarb – es sind einzelne Perlen darin, die bleibenden Werth haben werden.

In directem Bezug auf den Zweck des Bazars steht Dingelstedts launiger Vers:

„In uns’rer Zeit des Kampfs und der Zerklüftung
Ist der Soldat und der Poet zu neiden:
Als Ziel der Laufbahn winkt ja ihnen beiden
Die Invaliden- und die Schillerstiftung.“

Den patriotisch-begeisterten Worten Tempeltey’s:

„– – Und eine Zukunft seh’ ich,
Schaut meines Geistes Auge durch die Schleier,
Die noch das Ungesehene verhüllen,
So groß, so herrlich, daß mein Herz aufjubelt
In Dank zu Gott, daß ich ein Deutscher ward“ –

gegenüber klingt Grillparzer’s, des edlen Deutsch-Oesterreichers, Stimme wie eine wehmüthige Klage:

„Als Deutscher ward ich geboren,
– Bin ich noch einer?
Nur was ich Deutsches geschrieben,
Das nimmt mir Keiner.“

Und wie sinnig ist endlich, was Paul Heyse geschrieben hat:

„Ein scheues Wild die Gedanken sind.
Jagst du danach, flieh’n sie geschwind;
Sieh’st du sie hellen Auges an,
Zutraulich wagen sie sich heran.
Ein stiller Wandrer kann sie zähmen,
Das Futter ihm aus der Hand zu nehmen.“

G. H–h.