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Das Riesenfernrohr der Berliner Ausstellung

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Textdaten
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Titel: Das Riesenfernrohr der Berliner Ausstellung
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 788 a
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[788 a] Das Riesenfernrohr der Berliner Ausstellung. In der Geschichte der Wissenschaften wird das Jahr 1609 unvergeßlich bleiben, in dem Galilei zum erstenmal ein schwaches Fernrohr gegen den gestirnten Himmel richtete und das menschliche Wissen durch ungeahnte Thatsachen bereicherte. Durch die Entdeckung neuer Sterne, der Gebirge auf dem Monde und vor allem der Jupitermonde lieferte er den sichtbaren, augenfälligen Beweis für die Richtigkeit der neuen Weltanschauung, zu der schon Kopernikus den Grund gelegt hatte. Seit jener Zeit sind die Forscher unermüdlich thätig gewesen, die Geheimnisse der Sternenwelt zu enträtseln, die Himmelskörper unserem Auge näherzurücken, und mit unerschöpflicher Neugierde lauschte auch die große Masse der Laien den neuen Nachrichten aus der Sternenwelt. Die Technik unterstützte die Astronomen, indem sie die Fernrohre verbesserte. Die Fortschritte waren zwar langsam, aber stetig; von Jahrhundert zu Jahrhundert, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt wurden die Instrumente vollkommener und lieferten immer bessere und schärfere Bilder von den fernen Körpern im Weltenraume. Nach zwei Richtungen hin wurde das Fernrohr verbessert. Galilei beobachtete mit einem Refraktor, das heißt mit einem Fernrohr, das aus vergrößernden Glaslinsen besteht. Da bei dem früheren Stand der Technik die Gläser keine scharfen und farbenfreien Bilder zu liefern vermochten, fertigte man Fernrohre, in welchen neben Linsen Hohlspiegel zur Anwendung kamen. Reflektoren wurden diese Instrumente genannt, und mit einem solchen Reflektor hat der berühmte Herschel seine großen Entdeckungen in den Himmelsräumen gemacht. Infolge der Fortschritte der Technik wurde es aber bald möglich, bessere Glaslinsen herzustellen, und die alten Refraktoren zeigten sich den Spiegelfernrohren überlegen. Dieser Art sind heutzutage die größten und besten Fernrohre der Sternwarten. Deutschland, das zur Vervollkommnung dieser Instrumente durch Herschels und Fraunhofers Arbeiten soviel beigetragen hat, blieb auf diesem Gebiete eine Zeitlang hinter den anderen Kulturvölkern zurück. Das größte Fernrohr, das bis vor kurzem in Deutschland sich befand, war das der Sternwarte in Straßburg. Der Durchmesser seines Objektivs, das heißt der dem Himmel zugewendeten Glaslinse, beträgt 48,5 cm. Dem gegenüber verfügt z. B. Wien über ein Fernrohr mit 68,5 cm Oeffnungsweite, Pulkowa und Nizza über Instrumente mit Linsen von 76 cm Durchmesser, und obenan stand Amerika, wo z. B. das Lick-Observatorium ein Fernrohr mit 91,5 cm Oeffnung besitzt.

Das Riesenfernrohr im Treptower Park.

Der von deutschen Astronomen gehegte Wunsch, den anderen Kulturvölkern gleichzukommen oder sie auf diesem Gebiete womöglich zu übertreffen, ist endlich gelegentlich der letzten Berliner Gewerbeausstellung nach vielen Mühen und Kämpfen in Erfüllung gegangen. Nach den Angaben und Berechnungen des Astronomen F. S. Archenhold wurde ein Riesenfernrohr erbaut, für das ein Objektiv von 110 cm Durchmesser in Aussicht genommen worden ist. Vorläufig wurde es mit einem Objektiv von 70 cm Durchmesser ausgerüstet. Das Rohr selbst ist 21 m lang und wiegt gegen 80 Zentner. Zur Aufstellung und Bewegung dieses Riesenfernrohrs ist ein sinnreicher Maschinenapparat nötig, den unsere Abbildung wiedergiebt. Derselbe ist insofern eigenartig, als Archenhold dabei auf den bei astronomischen Fernrohren üblichen drehbaren Kuppelbau verzichtete und dadurch die Herstellungskosten des Observatoriums wesentlich billiger gestaltete. Das Riesenfernrohr ist in dem Archenholdschen Observatorium mit einem Cylindermantel versehen, und bei diesem System stellen sich die Gesamtkosten auf etwa ¼ Million Mark, während sonst ein großes, mit drehbarem Kuppelbau versehenes Fernrohr einen Aufwand von 1¼ bis 1½ Millionen Mark erforderte. Erst vor kurzem konnte die Sternwarte im Treptower Park in Thätigkeit treten. Die ersten Beobachtungen, die man probeweise mit dem Fernrohr angestellt hatte, fielen durchaus befriedigend aus. Die Bilder der Mondlandschaft zeichneten sich durch eine wunderbare Deutlichkeit und Klarheit aus, und auch das Uhrwerk, das den Riesenapparat dem Gang der Himmelskörper anpaßt, funktionierte tadellos. Mit Spannung können wir somit den weiteren Beobachtungen entgegensehen. Sicher wird dieses Riesenfernrohr die erhofften Dienste leisten und viel zur weiteren Entschleierung der Geheimnisse der Sternenwelt beitragen.