Das erste Debut der Sontag
[431] Das erste Debut der Sontag. Bei seinem duftenden Morgenkaffee und einem wohlschmeckenden Pfeifchen saß der Oberregisseur des Prager Theaters, Holbein, aber beide sonst so beliebten Genüsse wollten dem armen Manne heute nicht munden, und auf seiner Stirn ruhten dunkle Wolken. Die Stellung eines Oberregisseurs ist auch wahrlich keine so anmuthige, um immer rosiger Laune zu sein. „Eine Sängerin! ein Königreich für eine Sängerin!“ rief der arme gequälte Mann, der versprochen, eine solche an Stelle der erkrankten Primadonna zu schaffen, und nicht wußte, wie er sein Wort halten sollte. Der hochberühmte Tenorist Gerstäcker – der Vater des bekannten und beliebten Touristen und Schriftstellers und langjährigen treuen Mitarbeiters der „Gartenlaube“ – war zu einem Gastspiele eingetroffen, dessen Ausführung durch die plötzliche Erkrankung der ersten Sängerin fast zu scheitern drohte, mindestens sehr gehemmt wurde. Der Ruf, welcher dem Künstler vorausging, war ein so vortheilhafter, daß trotz der glühenden Hilfe des Hochsommers und bei der Zusammenstellung eines jener wenig erquicklichen Quodlibets aus verschiedenen Opern, das Theater bei Gerstäcker’s Auftreten ganz gefüllt war. Und als man erst die reizende Stimme gehört und das feine Spiel bewundert hatte, verlangte das Publicum die Aufführung einer ganzen Oper. Hierzu nun sollte von dem Oberregisseur Rath geschafft werden, was Wunder, daß ihm sein Mokka nicht schmeckte und seine Stirn umwölkt war?
Auf ein Klopfen an die Thür trat sein Freund, der Kapellmeister und vortreffliche Operndirigent Triebensee, ein, und das Erste, was diesem entgegentönte, war der fast verzweiflungsvolle Ruf: „Gut, daß Ihr kommt, helft mir, steht mir bei, Ein Königreich für eine Sängerin und sei es nur für eine Rolle!“
„Gebt erst das Königreich, dann schaffe ich die Sängerin!“ entgegnete der Angeredete freundlich lächelnd. „Und für welche Partie?“
„Der Gerstäcker hat sich bereit erklärt, den Johann von Paris zu singen. Es soll eine seiner vorzüglichsten Leistungen sein; die Aufführung muß ermöglicht werden, es ist auch ziemlich Alles vorhanden, es fehlt nur die Prinzessin von Navarra.“
„Nur Donna Clara, die Prinzessin von Navarra, ist nicht vorhanden? ich möchte sagen, somit fehlte so ziemlich Alles,“ scherzte Triebensee, als er aber des Andern jammervolle Miene sah, fuhr er zwar immer noch heiter, doch tröstend fort: „Kopf oben, Holbein! Ich besorge die fehlende Kleinigkeit, ich schaffe eine durchlauchtigste Prinzessin, ich habe eine unter meinen Schülerinnen.“
„Wer, wer ist diese Perle?“
„Das Jetterl, der Sontag ihr hübsches Töchterlein. Es ist ein Blitzmädel, voll Klugheit und Talent, voll Verständniß und Begeisterung für die Kunst. Sie studirt just bei mir die Partie der Prinzessin von Navarra, In fünf Tagen – zu lange? Mann, Ihr seid anspruchsvoll! nun denn, in drei Tagen könnt Ihr die Oper geben, wenn Gerstäcker nämlich mit der Kleinen singen will; denn jung ist sie, sehr jung noch.“
„Und Ihr meint, es wird mit ihr gehen, sie wird uns keine Schande machen?“
„Die? Schande machen? Gewiß nicht.“
„Dann ist es entschieden. Euer Wort genügt. Gott sei gelobt, daß die Sorge vom Herzen ist!“ und der beglückte Regisseur sprang freudig empor, während der Kapellmeister schnell Abschied nahm und zu seiner Schülerin eilte.
Schon auf dem Hausflure drang ihm Henriettens silberheller, glockenreiner Gesang entgegen und der alte Lehrer fühlte sich angenehm berührt, seine Lieblingsschülerin schon in der Morgenfrühe und da sie keine Ahnung von seinem Kommen hatte, so fleißig studirend zu finden. Leise öffnete er die Thür des Zimmers und ungesehen von dem reizenden Mädchen, das am Clavier saß, stand er eifrig lauschend, vergnügt schmunzelnd, wenn sie eine Passage immer von Neuem sang, bis sie ganz tadellos gelang; aber als sie plötzlich eine sehr schwierige Coloratur mit einer fast an Kühnheit grenzenden Fertigkeit und Sicherheit vollendet, klopfte er zustimmend in die Hände und rief fröhlich:
„Bist ein Prachtmädel, Jetterl, und von heute an in drei Tagen trittst Du auf als Prinzessin im Johann von Paris!“
Das junge Mädchen, das schnell aufgesprungen und vor Freude über das Lob und den Beifall erglühend dem Lehrer entgegengeeilt war, fuhr bei der gewichtigen, überraschenden Kunde schreckensbleich zurück, keines Wortes mächtig, aber ihr ausdrucksvolles Gesicht und vornehmlich ihre schönen, blauen Augen redeten eine beredte Sprache.
„Mein liebes Kind, faß doch Muth,“ sagte Triebensee tröstend herantretend, als das Mädchen noch immer bleich und bebend dastand, „glaubst Du, ich hätt’ gesagt, Du könntest die Prinzessin singen wenn’s nicht ginge? Und willst Du Deinem alten Freunde und Lehrer nicht Ehre machen, soll er nicht stolz auf Dich sein?“
Ein freudiges Beben durchzitterte jetzt die reizende Gestalt des jungen Mädchens. Auf den so plötzlich erblaßten Wangen blühten die Rosen wieder empor, die Rosen der ersten frischesten Jugendzeit, welche noch dicht an die Kindheit grenzt, die Augen strahlten von Muth und Begeisterung, ja. das ganze Antlitz leuchtete wie von der Weihe der Kunst verklärt, und mit fester Stimme sagte Henriette:
„Ihr habt es gesagt, Meister, daß ich’s könne; Euer Wort soll nicht zu Schanden werden! In drei Tagen bin ich bereit als Prinzessin von Navarra aufzutreten.“
„So geb' Gott seinen Segen!“ –
„Wissen Sie schon, morgen singt der Gerstäcker den Johann von Paris?“ rief ein Vorübergehender dem andern zu, „ich eile die Billets zu holen, es soll ein stürmisches Drängen an der Casse sein.“
„Aber die erste Sängerin ist ja krank, wer giebt denn die Prinzessin?“
„Die kleine Sontag – die Tochter der Schauspielerin.“
„Die? Es ist ja aber noch nicht lange her, daß sie die Kinderrollen machte – war immer ein liebes herziges Ding! – doch muß sie noch gar sehr jung sein.“
Solche und ähnliche Bemerkungen hörte man am Tage vor der Aufführung, sie flogen auch hin und wider, als der Raum des Theaters schon die dicht gedrängte Menge aufgenommen, die trotz der glühenden Hitze begierig auf den Kunstgenuß wartete, den berühmten Gast als Johann von Paris zu sehen. Endlich erschien der Ersehnte und sang und spielte, daß es eine Lust war und das Publicum in begeisterter Weise seinen Dank, seine Anerkennung kund gab. Hier und dort wurde zwischen Bekannten wohl einmal die Bemerkung ausgetauscht: „Die arme kleine Henriette – das arme Mädel, es kann kein glückliches erstes Debut werden neben solch einem Künstler!“ Jetzt wurde die Ankunft der Prinzessin verkündet. Aller Augen richteten sich nach der Thür, in deren Rahmen plötzlich eine der holdseligsten Erscheinungen sich zeigte, welche wohl je über die Bühne geschwebt. In dem kurzen Zeitraume von vielleicht zwei Jahren, in denen man Henriette Sontag nicht mehr auf den Bretern gesehen, war aus der lieblichen Knospe eine zaubervolle Blüthe geworden, eine Fülle von Anmuth und Liebreiz mit jungfräulicher Hoheit vereint umfloß sie, daß unwillkürlich alle Herzen diesem Engelsbilde entgegenflogen. Und als Johann, hingerissen von der Erscheinung der edlen Donna, singt:
„Welcher Reiz in frischer Blüthe,
Welche Sanftmuth im Blick,
Jeder Zug bezeichnet Güte,
Strahlet Frohsinn zurück –“
da richteten sich die Augen der versammelten Menge auf sie, die als die Verkörperung dieser Worte dastand, und ein leises Beifallsmurmeln machte sich mehr und mehr bemerklich.
Schüchtern und echt weiblich, doch weder linkisch noch ängstlich, trat die Prinzessin vor und ihrem rosigen Munde entperlten die ersten Töne, von einem Wohlklange, einer süßen Innigkeit, welche die Macht besaßen, Todesstille in dem erst so aufgeregten Hause zu verbreiten. In Henriettens großen blauen Augen, die ein Spiegel ihrer reinen Seele waren, flammte ein helleres Leuchten auf, als das erste, ganz leise Bravo ertönte, es hatte für sie mehr Werth, als ein lauter Beifallssturm, denn es kam von ihrem Lehrer, dem alten Kapellmeister, der entzückt sowohl über die Reinheit der Intonation, als über den edlen Anstand seiner Schülerin, seine Freude nicht mehr zu unterdrücken vermochte; er hatte wahrlich nicht geahnt, daß dieser leise Beifallsruf das Signal sein würde zu einem Ausbruch stürmischer Anerkennung, wie er einem so jungen Talente wohl kaum jemals zu Theil geworden sein mag. Diese ungewöhnliche Kundgebung des Beifalls schien das junge Mädchen nicht nur zu überraschen, sondern zu verwirren, einen Moment bebte ihre Stimme, doch bald hatte sie die innere Bewegung bekämpft und nun, ermuthigt durch die Anerkennung, erklangen die Töne noch voller, klarer und frischer, bis ein wunderbar schöner Triller von einer [422] Rundung und ungewöhnlicher Dauer – so daß dem Kapellmeister fast der Athem stockte – die herrliche Arie: „Wie begeisternd wirkt das Reisen“ beendete. Von diesem Moment an war der Sieg entschieden, mit dieser einen Arie hatte sich die junge Kunstnovize in die Reihe der Künstlerinnen emporgeschwungen und der gefeierte Gast mußte die Triumphe des Abends mit der kleinen Anfängerin theilen.
Hinter den Coulissen empfingen Henriette am Schlusse des ersten Actes die beglückte Mutter und der tiefbewegte Lehrer.
„Ich wußt’ ja, daß mein wackeres Mädel mich nicht würde zu Schanden werden lassen, daß Dein Lehrer aber so stolz auf Dich sein könnte, hätt’ ich kaum gedacht. Der Daus! war das ein Triller, der wollt’ ja gar kein Ende nebmen, ich hätt’ mich schier bangen können, wenn ich vor unbändiger Freud’ dazu gekommen wär. Solch ein Backfischle noch und kann so singen, daß man die Mütz’ vor ihm ziehen muß. Hör’, Jetterl, Du wirst viel Ruhm und Ehre ernten, und wenn sie Dir einst die Lorbeerkränze auf die Stirn drücken und ich vielleicht längst in meinem Grabe ruh’, dann denk’ zuweilen noch an Deinen alten Lehrer!“
Das tiefgerührte Mädchen konnte nur stumm die Hand des Hochverehrten an ihre Lippen führen. Beide mußten auch wieder auf die Bühne. Im zweiten Acte machte das so beliebte Troubadourlied Furore; Johann von Paris war genöthigt, seine Strophe noch einmal zu singen, aber bei der Prinzessin genügte das nicht. Da capo und wieder da capo, zum dritten Male also mußte Henriette die ihrige wiederholen; das Publicum wurde von einem immer wärmeren Enthusiasmus ergriffen, und doch war es kein gemachter Beifall, keine erkünstelte Begeisterung, sondern das reine Ausströmen innerster Befriedigung, dem sich in Hinsicht auf Henriette Sontag noch ein freudiges Staunen beigesellte, daß ein so junges Mädchen schon so Herrliches zu leisten vermochte. Unter dem größten Jubel und dankbarer Anerkennung für einen selten hohen Kunstgenuß, denn nie erinnerte man sich Gerstäcker vorzüglicher gesehen zu haben, fiel der Vorhang, und den Gast ehrend, wie sich’s gebührte, erklang zuerst nur sein Name. Der Vorhang rollte auf, zögernd erschien der Gerufene, ihm selbst schien Etwas zu fehlen; nach kurzer Verbeugung zog er sich zurück, um nun auf den noch dringenderen Ruf nach ihm und der Sontag wieder zu erscheinen. Wie im Triumph führte der Gast das junge, jetzt sehr schüchterne Mädchen heraus und ein endloser Jubel begrüßte Beide, der erst auf ein Zeichen Gerstäcker’s, daß er sprechen wolle, sich legte.
Ganz dicht bis zum Rande der Bühne tretend, sagte Gerstäcker auf seine Begleiterin deutend: „Obwohl es sich heute auf die beste Weise selbst empfohlen, so möchte ich dieses junge Mädchen auch für die Folge Ihrem Wohlwollen empfehlen, meine hochgeehrte Versammlung. Mit prophetischem Auge in die Zukunft blickend, sage ich Ihnen, diese Kunstnovize wird einst als die erste Sängerin Deutschlands gefeiert werden und Ruhmeskränze werden sich um den Namen Henriette Sontag winden.“
So endete das erste und eigentlich ganz unvorbereitete Debut der jugendlichen Sängerin. Daß jene Weissagung sich erfüllt, weiß Jeder, der nur etwas in der Kunstgeschichte bekannt ist. Wohl keine Sängerin hat größere und verdientere Triumphe gefeiert, wohl keiner Frau Name hat heller geleuchtet unter dem dreifachen Strahlenkranze: die erste Sängerin, die treueste, vorzüglichste Gattin, die beste Mutter zu sein.
Jetzt ruht sie aus von dem reichen, wechselvollen Leben in kühler Gruft, in jenem stillen Kloster, aber der Name Henriette Sontag lebt in Unsterblichkeit fort.