Der Väter Ehre sei der Städte Schmuck
„Was spricht lauter zum Volke, eine Person oder eine That?“ Die Antwort auf diese scheinbar wunderliche Frage giebt das Volk selbst vor jedem Bilderladen. Bilder, welche eine That darstellen, versammeln stets eine große Schaar Theilnehmender vor sich, und erst wenn aus einer solchen That eine Person ganz besonders hoch hervorragt, wird auch das Bildniß derselben die Verehrer anziehen. Vor jedem Bilderladen können wir lernen, was am lautesten zum Volke spricht, – und dennoch läßt man die Kunst so selten in dieser Sprache öffentlich reden!
Oder hat die Erfahrung noch nicht deutlich genug gelehrt, wie viele unserer ehernen Bildsäulen für die große Masse des Volks vergeblich auf ihren Postamenten stehen? Sie sind stumm für das Volk, das ihre Bedeutung nicht kennt. Laßt ihre Thaten, ihr Wirken in ebenso öffentlichen Bildern von ihnen zeugen, und [660] auch das Erz wird Leben gewinnen für viele tausend Augen, für die es bis heute todt war.
„Laß uns Thaten sehen!“ So ruft heute das Volk der bildenden Kunst zu. Die Thaten der Fürsten, deren Nachkommen auf Thronen sitzen, sind unvergessen: mit ihnen sind die Schlösser geschmückt, ganze Galerien ausgestattet und die dienstwilligen Pinsel und Griffel beeiferten sich, sie in zahllosen Gemälden und Kupferstichwerken
der Welt zur Schau zu stellen. Wo aber bleibt das geschichtliche Leben so vieler Städte, wo bleiben die Thaten des Volkes und seiner Männer, die im großen Lauf der Geschichte so leicht vergessen werden? Hier öffnet sich ein Feld der Thätigkeit für die Kunst, das fast noch unangebaut ist und für welches endlich die Fresco-Malerei mit der Architektur einen neuen Bund schließen muß.
Zweierlei Thaten sind es, die der städtischen oder örtlichen Verherrlichung harren: solche, die der deutschen Geschichte angehören und einem Orte geschichtliche Bedeutung verliehen haben, und solche, welche das Andenken von Angehörigen des Ortes und seine eigene ehrenvolle Vergangenheit zu feiern geeignet sind. Jene Thaten verzeichnet die Geschichte, diese die örtliche Chronik und oft nur die mündliche Erzählung. Wir wollen ein nicht zu fern liegendes Beispiel aufstellen. Nach den Befreiungskriegen hing man in den Kirchen Tafeln mit den Namen der im Kampfe für das Vaterland Gefallenen auf. Das war gewiß löblich. Aber sind nicht von einzelnen dieser Helden Thaten geschehen, die ihre Verherrlichung durch die Kunst nicht weniger verdienten, als die großen Schlachten, auf welchen nur Fürsten und Feldherren im Vordergrunde prangen? Wie viele der herrlichsten Volksthaten erzählt sich das Volk, wie wenige davon gehen in die Bücher der Geschichte über, wie bald sind sie vergessen, – und wie viel Gesinnung und Ehrgefühl veredelnde Kraft geht mit ihnen verloren! – Wiederum ist ein Krieg vorüber und viele Namen sind in die Tafeln einzugraben, die man in den Kirchen aufstellen wird. Werden die vielen schönen oder heroischen Thaten der Einzelnen wiederum nur in den kurzlebigen Tageblättern und im Munde der Zeitgenossen der Vergessenheit entgegengetragen werden? Giebt es keine Rathhaus-, keine Schul- oder Kirchenmauern und -Wände, an welchen die bildende Kunst sie jeder Zeit allem Volke vor Augen stellen könnte? Die öffentlichen Gebäude jeder Stadt, jedes Ortes sollten vor Allem dazu bestimmt sein, nicht schmucklos oder mit bedeutungslosem Zierrath nur ihren geschäftlichen Zwecken zu dienen, sondern durch die Kunst von des Vaterlandes und der [661] eigenen Geschichte und Ehre zum Volke zu reden. – Wir freuen uns, eine Stadt in Deutschland nennen zu können, welche den Bund der Frescomalerei und Architektur in dieser Weise schließen ließ und nun ein städtisches Hauptgebäude als ein Muster solchen geschichtlichen Ehrenschmucks in seiner Vollendung zeigt. Es ist dies die sogenannte
Stadtcanzlei in Constanz. Ein Erzeugniß des florentinischen Renaissancestyls aus der spätern Periode, ist sie in dieser Art vielleicht eine der besten und schönsten Bauten in Süddeutschland, die jetzt, nachdem die Stadt sie durchaus wieder herstellen und vor zwei Jahren nach Art des bekannten Fuggerhauses in Augsburg durch die Künstler Wagner und Fröschle bemalen ließ, ein besonderes Interesse in Anspruch nehmen darf. Diese Malereien sind theils allegorischer Art, Industrie, Kunst und Handel des alten Constanz in Figuren und Gruppen veranschaulichend, theils Portraits um die Stadt verdienter Männer und Frauen, darunter u. A. das Bildniß des unvergeßlichen Freiherrn Heinrich von Wessenberg, theils endlich geschichtliche Darstellungen, welche letzteren vor allen andern die Beachtung auf sich lenken und eine nähere Schilderung verdienen.
Es sind vier Frescobilder, die, auf einzelnen Mauerfeldern
über den Fensterbogen des Erdgeschosses angebracht, bedeutsame Momente nicht nur der Constanzer, sondern der deutschen Geschichte überhaupt und zugleich die Blüthezeit des deutschen Bürgerthums vergegenwärtigen.
Die erste dieser Fresken, links vom Beschauer, versetzt uns in die Tage des ersten Hohenstaufenkaisers, Friedrich’s des Rothbarts. Sie zeigt uns den sogenannten Lombardischen Friedensschluß, in welchem auf dem Reichstage zu Constanz Kaiser Friedrich der Erste 1183 seine jahrelangen Fehden mit den verbündeten lombardischen Städten beendigte. Fünf Römerzüge hatte er unternommen, den Freiheitssinn der lombardischen Städte zu brechen, die eine Gleichstellung der Bürger mit dem Adel, überhaupt eine strengere republikanische Verfassung zu behaupten suchten, – es war ihm nicht gelungen, und in dem erwähnten Friedensschlusse mußte er die Selbstständigkeit feierlich anerkennen, die jene anstrebten, mußte ihnen die Ordnung ihrer Angelegenheiten selbst überlassen, auf alle Hoheitsrechte verzichten, welche auf die Städte selbst übergingen, und ihnen Alles zurückgeben, was ihnen während der langen Kämpfe entrissen worden war. Der Lombardische oder Constanzer Friede machte also die lombardischen Städte auch rechtlich zu wirklichen Republiken, während die Gewalt des Kaisers, unter dessen nomineller Oberhoheit sie zwar blieben, factisch zum bloßen Schatten wurde. Es ist mithin ein Sieg des Bürgerthums, den dieses erste Gemälde verherrlicht; gewiß zum Schmuck eines städtischen Rathhauses läßt sich ein geeigneteres Motiv nicht wählen! Auf dem Bilde sehen wir den Kaiser und das Haupt der lombardischen Abgeordneten in der Mitte, den geschlossenen Friedensvertrag mit Handschlag besiegelnd. Rechts vom Beschauer stehen die Deutschen, links die Italiener mit scharf ausgedrücktem Gepräge. Im Vordergrund unterzeichnen die Vornehmsten beider Parteien die Friedensurkunde, während im Hintergrunde Kriegsvolk und neugierige Zuschauer sich drängen und schmucke Jungfrauen die Reiterfahne der deutschen Krieger bekränzen.
Das zweite Bild führt uns mitten in die Kämpfe zwischen [662] Welfen und Ghibellinen, zwischen Papst und Kaiser hinein. Der Welfe Otto der Vierte war vom Papste Innocenz dem Dritten in den Kirchenbann gethan und von einer Fürstenversammlung zu Nürnberg 1211 entsetzt, dafür der junge König von Neapel, Friedrich, zum König der Deutschen erwählt worden. Unter vielen Gefahren – denn die Mailänder, welche die von Friedrich dem Rothbart an ihnen verübten Grausamkeiten noch nicht vergessen hatten, wollten ihn fangen – kam er über die Alpen nach Chur. Hier fand er an dem Bischof und auf dessen Empfehlung an dem Fürstabt von St. Gallen warme Freunde und erschien so, von ihnen mit Geld und Mannschaft unterstützt, vor den Thoren der Stadt Constanz.
Während er aber hier der Gestattung des Einlasses entgegensah, stand Kaiser Otto mit einer ansehnlichen Macht in dem nur drei Stunden entfernten Ueberlingen. Ein Theil seiner Hausdienerschaft war sogar schon in Constanz angekommen. Der Augenblick war ein sehr wichtiger und verhängnißvoller, denn er entschied das Schicksal des Welfischen und des Hohenstaufischen Hauses. Der Beredsamkeit des Abts von St. Gallen gelang es, den Bischof und die Bürgerschaft von Constanz zur Aufnahme Friedrich’s des Zweiten zu bestimmen und ihm die Thore zu öffnen. Drei Stunden später fand Otto dieselben verschlossen: sein Schicksal wurde durch diese Spanne Zeit erfüllt.
Das letzte Bild rechts gehört der Ehre von Constanz allein an. Mit ungemeiner Treue hatte die Stadt zur Reformation gehalten und sich dem Schmalkaldischen Bunde gegen Kaiser Carl den Fünften angeschlossen. Der Krieg endete bekanntlich unglücklich und in Folge dessen ward die Stadt Constanz, trotz ihrer an den Kaiser nach Augsburg abgeordneten Gesandten, die Verzeihung erbitten sollten, in die Acht erklärt und der Achtbrief am Rathhaus zu Augsburg angeheftet. Die wilden kaiserlichen Horden überfielen die Stadt, mußten indeß, von den tapfern Bürgern zurückgeschlagen, unverrichteter Sache wieder abziehen. Darüber ergrimmte Carl der Fünfte, und während die Constanzer Gesandten noch in seiner Nähe weilten, Morgens am 6. August 1548, zog ein ansehnlicher Haufen spanischer Truppen, wie es heißt gegen dreitausend Mann, gegen das Oberthor der jenseits des Rheins gelegenen Vorstadt Petershausen. Die Uebermacht drängte die hier aufgestellten Bürger zurück, und diese kamen mit den Feinden fast gleichzeitig auf der Rheinbrücke an. In verrätherischem Einverständniß mit denselben war aber die Fallbrücke vernagelt worden und konnte deshalb nicht aufgezogen werden. Jetzt entspann sich ein furchtbarer Kampf. Wie Männer, welche für ihre Ueberzeugung zu sterben wissen, kämpften die Bürger muthig gegen die Ueberzahl der Feinde, und selbst die Verwundeten suchten noch einen oder mehrere derselben zu erwischen, um sich mit ihnen über die Fallbrücke hinabzustürzen und nicht ungerächt zu sterben.
Nach fünfstündigem, todesmuthigem Ringen wurden die Spanier zurückgedrängt und wütheten in der Erbitterung über den fehlgeschlagenen Angriff wie Cannibalen durch Feuer und Mordthaten an schuldlosen Frauen und Kindern in der erwähnten Vorstadt. Der Sieg war theuer erkauft und sollte leider keine Früchte tragen. Die Stadt, welche Alles für ihre Selbstständigkeit und ihren religiösen Glauben aufgeopfert hatte, ergab sich durch einen Mehrheitsbeschluß ihrer Bürger am 18. August 1548 dem Hause Oesterreich und verlor dadurch Beides. Die unparteiische Geschichte hat schon lang über sie und Carl den Fünften entschieden. Und dieses „Gericht“ fortzusetzen und im Volke das Gefühl des großen Unrechts der Gewalt gegen das Recht immer von Neuem zu beleben, dazu kann nichts geeigneter sein, als dieses Bild, das Jedem vor Augen treten muß, welcher an der Stadtcanzlei vorübergeht.
Das noch übrig bleibende dritte Bild hat gerade für diesen Augenblick eine hohe Bedeutung. Darum haben wir uns seine Betrachtung bis zum Schluß verspart und nur darum dürfen wir es wagen, die Schilderung der Thatsache in größerer Ausführlichkeit hier folgen zu lassen. Die vom Kaiser Sigismund ausgeschriebene Kirchenversammlung hatte im Jahre 1414 eine ungemeine große Anzahl von Fremden jeden Ranges, vom römischen König bis zum Ritter, vom Papst bis zum Mönch, nach Constanz geführt, die hier eine nie gesehene Pracht in das Auge blendenden Festzügen und kirchlichen Processionen entfalteten. Unter diesen Festlichkeiten nahmen die Belehnungen einen hervorragenden Platz ein. Keine aber wurde mit größerer Pracht vollzogen, als jene des Burggrafen Friedrich von Nürnberg, Grafen von Hohenzollern, mit der Mark Brandenburg.'
Friedrich, oberster Hauptmann und Verweser der Mark, hatte dem immer Geld brauchenden Kaiser Sigismund nach und nach gegen vierhunderttausend ungarische Goldgulden vorgestreckt, wofür ihn dieser mit der Kurwürde belehnte, da er die Schuld auf andere Weise nicht zu bezahlen vermochte, und am 19. April 1417 mit dieser Würde in der Bischofsstadt feierlich bekleidete. – Vor dem Hause zum hohen Hafen am obern Markt, wo der Lombardische Friedensvertrag geschlossen wurde, stand auf langer und breiter, mit goldenen Tüchern bedeckter Estrade der Sessel des Kaisers. Als der Burggraf mit den Seinigen und seinen zwei Bannern mit dem Wappen der Markgrafschaft Brandenburg und der Burggrafen von Nürnberg an der Emporbühne angekommen war, hielt er an. Jetzt trat der römische König aus einem Bogen des Hauses zum hohen Hafen und setzte sich in den Sessel. Ihm folgten zwei Cardinäle und drei Bischöfe nebst dem obersten Canzler. Die ersteren nahmen ihm zur Seite rechts und links Platz; der Canzler mit einem besiegelten Pergamentbrief, an welchem zwei Insiegel hingen, in der Hand stand hinter den Cardinälen.
Als der König mit der goldenen Krone auf dem Kopf im Sessel saß, schritt der Burggraf Friedrich inmitten seiner zwei Bannerträger auf die Bühne. Auf der obersten Sprosse knieten sie alle Drei vor dem König nieder. Da befahl Sigismund dem Canzler den Brief vorzulesen, welcher die Pflichten gegen das römische Reich enthielt. Nach Verlesung desselben fragte der König den Burggrafen, ob er schwören wolle. Als er es bejahte, nahm der König das Banner mit dem brandenburgischen Wappen aus der Hand des Ritters in die seinige und gab es dem Burggrafen in die Hand. Ebenso nahm er den Reichsapfel mit dem Kreuz und das Scepter aus des Pfalzgrafen Hand, der hinter den Cardinälen zur Linken sich aufgestellt hatte, und übergab sie Friedrich, so wie das Banner mit dem Nürnbergischen Wappen. Hierauf zog der Herzog Rudolph von Sachsen, welcher nach altem Brauche ein bloßes Schwert mit der Spitze gegen des Kaisers Haupt gesenkt hielt, das Schwert in die Höhe und der Kaiser stand auf. Da fingen alle Pfeifer und Posauner an zu pfeifen und zu posaunen, daß Niemand sein eigen Wort mehr hören konnte.
Wer die Folgen dieser Belehnung bis zum heutigen Tage vor Augen hat, wird das Bild nicht ohne Bewegung vor dem wunderbaren Lauf des Schicksals betrachten.
Unsere Freunde werden aber mit uns in dem Wunsche einstimmen, daß dem deutschen Volke recht viele solcher Bilder den Blick in seine Vergangenheit erschließen möchten! Nichts ist geeigneter, die Phantasie der Kindheit mit edlen Gestalten, das Herz der Jugend mit Begeisterung für vaterländische Ehre zu erfüllen und in den Männern den Rest des Philisterthums zu ersticken, das sich vor jedem großen Gedanken und Opfer zum Heil des Ganzen entsetzt. Und wenn erst die Thaten zum Herzen des Volks reden, dann werden auch die ehernen Bildsäulen in seinem Auge die Bedeutung gewinnen, die sie bisher nur für die glücklicheren Kreise der durch Bildung Bevorzugten hatten.