Der Watte-Respirator
[20] Der Watte-Respirator. Es ist in neuerer Zeit mit ziemlicher Sicherheit festgestellt worden, daß viele, ja vielleicht alle epidemischen Krankheiten durch das Einathmen von zeitweilig in der Luft schwebenden vegetabilischen oder animalischen Organismen veranlaßt werden. Die Natur dieser mikroskopisch kleinen Körper ist bis jetzt noch ein Geheimniß. Aehnliches liegt bei Lungenerkrankungen, Blei- und Arsenikvergiftungen vor, da bekanntlich auch diese krankhaften Zustände oft durch das Einathmen des mineralischen Staubes und anderer von pflanzlichen oder animalischen Stoffen herrührender mikroskopischer Beimengungen entstehen.
Die Frage, wie auf die leichteste, einfachste und sicherste Weise diesem großen Uebelstande abgeholfen werden könne, ist nun ein wahres Ei des Columbus. Annähernd gelöst wird sie aber durch den von Dr. Wolf in Frankenstein (Schlesien) in der „Allgemeinen medicinischen Zeitung“ in Vorschlag gebrachten Watte- oder Baumwolle-Respirator. Da dieser in Sar’s medicinischem Almanach vom Jahre 1878 im Auszuge gebrachte Aufsatz seiner Wichtigkeit wegen in den weitesten Kreisen bekannt zu werden verdient und dieser Zweck durch keine Zeitschrift besser erfüllt werden kann, als durch die „Gartenlaube“, so erlaubt sich der Unterzeichnete, den kleinen Aufsatz hier zu reproduciren.
Der „Watte-Respirator“ des Dr. Wolf bewährt sich zur Abhaltung von schädlichen Beimengungen der Atmosphäre, insbesondere für Fabrikarbeiter, außerordentlich. Er bewirkt vollständige Reinhaltung der Nase, des Mundes, des Schlundes und der benachbarten Schleimhäute. Der Speichel, welcher in Fabriken durch den fortwährend in der Luft befindlichen Mineral- und ähnlichen Staub, ohne Anlegen eines Luftfiltrums, schon in der ersten Viertelstunde der Arbeitszeit gefärbt, zähe und verunreinigt erscheint, bleibt bei Anwendung des Watte-Respirators rein und normal, wogegen eine dichte Ablagerung der Staubtheilchen sich auf der mit einem Gazestückchen bedeckten Außenfläche der Watte zeigt, welche letztere sehr leicht durch ein anderes Stück ersetzt werden kann, sobald sie nicht mehr durchlässig ist. Der Wolf’sche Watte-Respirator muß daher als eine sehr wohlthätige Erfindung bezeichnet werden, welche bei staubigen Arbeiten allgemein angewendet werden sollte, um den Arbeiter vor vielen Unbehaglichkeiten und Krankheiten zu schützen. Die Einfachheit der Behandlung des Instrumentes ist geeignet, die Einführung desselben sehr zu erleichtern, umsomehr als der Preis desselben vom Erfinder sehr niedrig (80 Pf.) gestellt worden ist.
Uebrigens kann sich Jeder selbst sehr leicht ein solches Instrument verfertigen. Man nimmt ein Stückchen dünner Pappe, etwa nach beistehender Zeichnung ausgeschnitten, und biegt es nach Form des Unterkiefers. Die Größe dieses so gebogenen Pappendeckels sei eine solche, daß der Mund und der untere Theil der Nase bequem hineinpaßt. An die convexe Fläche wird ein Stück nach oben gewölbartig eingenähten oder eingeklebten und an den Bändern eingesäumten oder blos mit Gummi geklebten Flor- oder Gazestoffes angeklebt, und dieses Florstück auf der Concavseite ganz mit Watte oder Baumwolle nicht zu dick aufgefüllt. Das so construirte Instrument wird mittelst zweier Bändchen, welche man zuvor zu beiden Seiten des ausgeschnittenen Pappendeckels, wie die Figur zeigt, angebracht hat, an den Ohrmuscheln befestigt.
Und nun beherzige man die Mahnung: „sich nicht zu geniren“, das Instrument anzulegen, so lange man sich an Orten aufhält, wo die Luft, wie dies in Fabriken und Hüttenwerken nur zu häufig der Fall ist, durch schädliche mineralische Stoffe verunreinigt ist, oder, was nicht minder wichtig ist, sobald man in ein Zimmer geht, in dem Menschen mit ansteckenden Krankheiten liegen, oder wenn gefährliche Epidemien herrschen. Auf die Verwendung dieses Instrumentes in letzterer Beziehung möchte der Unterzeichnete ganz besonders aufmerksam machen, da dies im angeführten Aufsatze leider nicht geschehen ist.
Zu bemerken ist noch, daß das Athmen durch einen solchen Watte-Respirator nicht im geringsten beeinträchtigt oder erschwert wird. Der allgemeinen Anwendung dieses wahrhaft heilsamen Vorbeugungsmittels steht nur ein freilich sehr großes Hinderniß entgegen, und dieses ist die leidige Gêne (es giebt leider für diesen Ausdruck kein völlig bezeichnendes deutsches Wort) des larvenartigen Aussehens wegen, welches der Watte-Respirator allerdings hat. Doch wo es sich ernstlich um die Sicherstellung von Gesundheit und Leben handelt, sollte man sich füglicher Weise nicht geniren. In Fabriken aber, besonders in Hüttenwerken, sollte das Tragen eines solchen Respirators ein streng zu beobachtendes Gebot von Seiten der Gesundheitspolizei und des Fabrikherrn sein.
Als schlagender Beweis, daß die Baumwolle im Stande ist, auch den kleinsten in der Luft schwebenden mikroskopischen Organismen mittelst eines derartigen Watte-Respirators den Zutritt zu den Athmungswerkzeugen unmöglich zu machen, dienen die sehr interessanten Experimente, die man gemacht hat, um darzuthun, daß ohne den Zutritt der mit solchen Organismen erfüllten atmosphärischen Luft, in dem destillirten, abgekochten Wasser keine Infusorienbildung stattfindet.