Der Pumpernikel

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Th. Geßner
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Pumpernikel
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 482
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
siehe auch den Artikel „Das Wort Pumpernickel“ in der Gartenlaube 1878, Heft 27
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[482] Der Pumpernikel. „Jede Gegend, jeder Fleck, hat sein national Gebäck“ und läßt es sich munden. Keinerlei nationales Backwerk ist aber in weiteren Kreisen so bekannt und wird in seiner engeren Heimath so gern gegessen wie der westfälische Pumpernikel. Und in der That schmeckt auch kaum etwas leckerer, als ein Schnittchen wenige Tage alten Pumpernikels, zusammengelegt mit einer Schwesterschnitte Weißbrod und bestrichen mit feiner oldenburger oder westfälischer Butter, und wie nahrhaft der ohne Weißbrod genossene Pumpernikel ist, das zeigen die kräftigen Gestalten der Landbevölkerung der rothen Erde. Allerdings gute Magen und Zähne gehören dazu, größere Mengen des edlen Schwarzbrodes zu verdauen, das, in kleineren und größeren Formen gebacken, oft von einer harten schwarzen Kruste umgeben ist und nicht selten in so stattlicher Gestalt dem Backofen entsteigt, daß es auf dem Schiebkarren weiter befördert werden muß. Aber, gottlob! derartige Zähne und Magen giebt es noch in dem ehemaligen achten Landfriedenkreise, dem westfälischen, der die Herzogthümer Cleve, Jülich, Berg, die Grafschaft Mark, Oldenburg, Ostfriesland, freie Reichsstädte und die sechs Bisthümer Lüttich, Münster, Minden, Osnabrück, Paderborn, Verden umfaßte. Dagegen war der Name Pumpernikel für die Zähne derer, die ihn zu enträtseln suchten, bisher eine recht harte Nuß. Ueberall hört man, so oft die Rede auf das seltsam klingende Wort kommt, das Geschichtchen von dem Franzosenpferde und dem Bon pour Nikel. Der niedliche Scherz soll über die mangelnde Erklärung forthelfen. Und doch ist diese Erklärung nicht schwer. Man mache sich nur klar, aus welcher Sprache das Wort wahrscheinlich stamme und wie es zu zerlegen! Freilich tritt da zunächst die Versuchung an uns heran, das viersilbige Wort in zwei zweisilbige, Pumper und Nikel, zu spalten und Nikel als ein gutes, altes, deutsches Wort zu begrüßen. Aber dann sitzen wir eben fest und haben die Geschichte wenig beachtet.

Gebacken und gebraten ist von je in Deutschland, aber die eigentliche Bäckerei und Kochkunst hielt doch erst mit dem Gewürzhandel und dem Klosterleben zugleich ihren Einzug aus Italien in unsere Heimath, und dem Kloster-, Studenten- und Schulleben des Mittelalters und der Reformationszeit entspringen eine Menge von Ausdrücken, die Küche und Backladen angehören und die jetzt, im Gegensatz zu den neueren französischen, italienischen und englischen Benennungen der Conditoreien und Gasthöfe, uns unwillkürlich anheimelnd als echt deutsche erklingen. Nun, unsere Ururgroßväter haben sie allerdings schon gebraucht, wahrscheinlich auch deren Urgroßväter, als sie zur Schule gingen. Trotzdem sind sie vielfach nicht altdeutschen Ursprunges, sondern meist lateinische, hier und da griechische und altitalienische Worte, die im Laufe der Zeit ihre fremdländische Endung verloren, kleine Aenderungen erlitten, bisweilen auch, besonders durch vermeintliche Uebertragung aus dem Plattdeutschen in das Hochdeutsche, eine neckische Umgestaltung erfuhren.

Vor Allem waren die Schulen jener Zeiten mit ihrer Forderung an die Schüler, Latein zu reden, für jeden Ausdruck des gewöhnlichsten Lebens ein lateinisches oder griechisches Wort zu gebrauchen, mit ihrer lebhaften Freude, welche Lehrer und Schüler empfanden, so oft sie eine derartige neue Benennung entdeckt, die Stätten, welche zahlreiche Namen für allerhand kleineres Backwerk, wie es noch jetzt den Schulkindern zum Frühstück dient oder bei Festlichkeiten als Naschwerk gilt, in das deutsche Volksleben streuten. Da tritt uns zunächst die bereits Plinius, Seneca und Cato bekannte Semmel, simila, entgegen und enthüllt sich als das aus feinem, vollkommen gleichartigem Mehle gefertigte Gebäck, welches vornehmere Römer als Tischbrod benutzten. Schneeweiß nennt Samonicus das Semmelmehl; schneeweiß liebt man es noch heute.

Da kommt uns das verkürzte placenta, Kuchen, im Eierplaz, Apfelplaz und Pläzchen entgegen, libum, der süße Kuchen, in dem Lebkuchen und der Holibe, das heißt der Honiglibe, striblita, von Petronius und Martial erwähnt, in der Stribe und dem Sträublein, mulsa, nämlich placenta, als Maulschelle, die groben Klosterbrödchen panis coenobiticus, als Könobe und Knobe, torta als Torte, brachiale, seinen Durchgang durch das italienische braccialetto nehmend, als Bretzel, das griechische pemma, Kuchen, in der Butterpemme, pastillus und andere nahe verwandte Worte in Pastille, Pastete, Stuten, Stollen, Stulle. Uns interessirt aber heute ganz besonders ein kleines Gebäck, dessen Name gleichfalls der eben betrachteten Gruppe angehört und zugleich lebhaft an die zweite Hälfte des Wortes Pumpernikel erinnert.

In einem Theile der Provinz Sachsen, dem ehemaligen Bisthum Halberstadt, vielleicht auch an andern Orten, kaufen Knaben noch jetzt als beliebte Frühstücksspeise um wenige Pfennige ein Paar Nekeln, zwei leicht verdauliche, paarweis an einander gebackene Küchelchen. Die Nekel hieß aber in früherer Zeit ernekel, beziehungsweise ernikel, und als sie zuerst von den Schülern des jetzt tausendjährigen Stephaneums zu Halberstadt in den Bäckerläden gefordert wurde, erniculum und giebt sich somit auch dem Namen nach als das, was sie in der That ist, als Verkleinerung von erneum, Kuchen, als Küchelchen zu erkennen. Das Fortfallen der ersten Silbe im Laufe der Jahrhunderte erscheint aber im vorliegenden Falle um so natürlicher, als das später fortwährend vorgesetzte Wort Paar mit seinem Schluß-r geradezu zum Ausstoße des folgenden er aufforderte. Vollständig erhalten hat sich dagegen das ernikel in unserm Pumpernikel, und wir brauchen daher nur noch die erste Silbe zu fragen: was für ein Küchelchen das Ganze sei.

Mit dieser Anfangssilbe beginnt aber noch ein zweites Wort: Pumphose, jenes faltenreiche Kleidungsstück, welches ehemals überall von Edlen und Reichen getragen wurde, wo es galt, Glanz, Pracht und Pomp zu entwickeln, nicht selten übertriebenen, geckenhaften Pomp. Verstanden es doch kunstreiche Schneider, mehr als hundert Ellen Zeuges in den Falten eines einzigen Paares derartiger Beinkleider unterzubringen. Wird doch von einem Ritter erzählt, daß er bei festlicher Gelegenheit in einer Pumphose umherstolzirte, deren eines Bein aus gelbem Zeugstoffe gefertigt war, während das andere in rother Farbe prangte. Daß man statt

Pumphose vor fünfzig Jahren überwiegend Pomphose sprach und schrieb, weiß Jeder, und daß dieses Pomp das lateinische pompa, Pracht, Gepränge, ist, leuchtet nicht nur gleichsam von selbst ein, sondern läßt sich auch geschichtlich scharf nachweisen. Dieselbe Bedeutung ist gewiß auch der ersten Silbe unseres Wortes zuzuschreiben, zumal dieselbe an nicht wenig Orten so ausgesprochen wird, daß man nicht recht weiß, ist der Vocal in ihr ein u oder o, und ich erachte daher den Ausdruck Pumpernikel entstanden aus einer Nachbildung des ciceronianischen pompa nuptiarum aus pompa erniculorum, und übersetze ihn: das Prachtküchelchen, das Staatsküchelchen, das Schaugericht unter allem Backwerke.
Th. Geßner.