Der Untergang des Hamburgischen eisernen Schraubendampfschiffes „Austria“

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Titel: Der Untergang des Hamburgischen eisernen Schraubendampfschiffes „Austria“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 44–45, S. 631–636, 644–648
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Der Untergang des Hamburgischen eisernen Schraubendampfschiffes „Austria“
am 13. September 1858.

Ein directe Verbindung der deutschen Küsten mit dem großen amerikanischen Continent wurde nirgends sehnlicher gewünscht, als in den beiden Schwesterstädten Bremen und Hamburg. Der Ausführung eines solchen Unternehmens stellten sich aber, sollte es den Namen eines deutschen tragen, gar viele Hindernisse entgegen. Diese ließen sich nur nach und nach beseitigen, und erst als man die Schraube zur Fortbewegung großer Fahrzeuge anzuwenden begann, und dieser Versuch sich als ein glänzender Sieg der Fortschritte der Mechanik erwies, konnten unternehmende Männer, auch im deutschen Vaterlande daran denken, diese neue Entdeckung für die deutsche Schifffahrt erfolgreich nutzbar zu machen. Die Hamburg-Amerikanische Packet-Schifffahrt Gesellschaft, die sich schon längere Zeit im Besitz großer schnellsegelnder Segelschiffe befand, welche sie regelmäßig nach der neuen Welt in Fahrt setzte, und namentlich auch zur Beförderung von Auswanderern tüchtigen Capitainen anvertraute, faßte zu guter Stunde den Gedanken, nunmehr auch Dampfschiffe zu erwerben, welche unter deutscher Flagge den Ocean beführen, und als Eigenthum deutscher Rheder den Gegenfüßlern verkündigten, daß die Thatkraft im alten Europa noch nicht erlahmt sei. Es war wohl Niemand in Hamburg, der nicht Theil genommen hätte an der Freude, die täglich Tausende an den Hafen lockte, als das erste eiserne Schraubendampfschiff, die „Borussia“, unfern der Landungsbrücke von St. Pauli angelegt hatte. Diesem ersten Oceandampfer folgte alsbald die gleich große und auch in derselben Weise erbaute „Hammonia.“ Etwa nach Monatsfrist begannen die regelmäßigen Fahrten dieser Schiffe, deren Ziel die menschenwimmelnde Stadt auf der Manhattan-Insel, das schimmernde, Hunderttausende von Auswanderern anlockende New-York war. Wessen Brust hätte sich nicht höher gehoben, wenn er die schwarzen Kolosse unter dem Donnergruß der Kanonen, die Flagge Hamburgs von schwarzem Rauch umweht, den breiten Strom majestätisch, scheinbar still, und doch in beflügelter Schnelligkeit hinabgleiten sah! Diese Freude, der sich ein verzeihlicher Stolz beimischte, war eine gerechtfertigte. Hatte es doch der Unternehmungsgeist der Hamburger Bürger dahin gebracht, zum ersten Male die deutsche (Hamburgische) Flagge auf eigenen großen Dampfschiffen aufzuhissen und damit das atlantische Meer zu befahren!

Das immerhin gewagte Unternehmen, das ein Capital von Millionen erforderte, fand die allgemeinste Theilnahme in Europa, wie in Nordamerika. Die ausgezeichnet gebauten Schiffe erwiesen sich als ganz vorzügliche Segler, welche die Entfernung zwischen beiden Welttheilen gewöhnlich in 16 oder 17, oft aber in 14, ja in kaum 13 Tagen zurücklegten. Was Wunder, daß alsbald der Ruf der neuen Dampfschifffahrtslinie sich durch die ganze Welt verbreitete, und Passagiere aus aller Herren Länder sich auf diesen trefflich bemannten, von bewährten Capitainen commandirten, überdies auch mit der ausgesuchtesten Eleganz eingerichteten Dampfschiffen Plätze zur Ueberfahrt nach New-York bestellten! Es war ja mehr eine Lustfahrt, als eine Reise. Passagiere zumal, welche Mittel genug besaßen, um in erster oder zweiter Cajüte zu fahren, vermißten selbst auf der öden Wasserwüste zwischen beiden Hemisphären weder die Gewohnheiten ihrer Heimath, noch die Genüsse, [632] welche die Civilisation des neunzehnten Jahrhunderts ihren etwas verwöhnten Kindern zu bieten pflegt. Am Bord der „Borussia“ und „Hammonia“ gab es eine ausgesuchte Küche, musterhafte Bedienung, die zuvorkommendste Behandlung Seitens der Officiere und Mannschaft. Trat unfreundliches Wetter ein, so bot der salonartige Raum der ersten Cajüte den schönsten Platz für gemeinschaftliche Conversation. Man konnte sich auch durch Musik erheitern, denn es gab ein wohlgestimmtes Pianoforte an Bord, und wer Lust hatte, seinen eigenen Gedanken nachzuhängen, der fand Gelegenheit dazu, wenn er sie sonst begehrte. Eine ausgewählte Bibliothek bot die erwünschte Speise für Geist und Herz.

So kam es, daß nur selten eins dieser Schiffe mit einer geringen Anzahl Passagiere seine Reise antrat. Meistentheils waren alle Plätze vollständig besetzt, namentlich im Zwischendeck; denn es konnte nicht fehlen, daß die vortreffliche Einrichtung der Schiffe, die zahlreiche Mannschaft und die Vorkehrungen, welche zur Gesundheit getroffen worden waren, endlich die Schnelligkeit ihrer Fortbewegung bei jedem Wetter auch die Aufmerksamkeit der massenhaft zuströmenden Auswanderer fesseln mußte. Die neuen Schraubendampfer wurden somit die gesuchtesten Fahrzeuge für alle Auswanderer, welche die Kosten der Ueberfahrt bestreiten konnten.

Das Unternehmen rentirte. Man mußte auf Erweiterung desselben Bedacht nehmen, und so schritt denn die Gesellschaft zur Erbauung zweier neuer, gleich großer und wo möglich noch zweckmäßiger construirter Schraubendampfschiffe. Man taufte diese neuen Fahrzeuge „Saxonia“ und „Austria.“ Jene führte unter dem Bugspriet die Saxonia, mit dem sächsischen Wappenschild zur Seite, diese den doppelköpfigen deutschen Reichsadler. Alle vier Schiffe waren in Greenock auf den Werften von Caird u. Comp. gebaut, und die beiden letzteren hatten 2500 englische Tons Gehalt, führten Maschinen von nominell 400 Pferdekraft, nach dem Indicator 1500, und konnten 500 Personen bequem an Bord nehmen.

Die „Austria“, welche unsers Wissens von Hamburg aus zuletzt in regelmäßige Fahrt nach New-York gesetzt wurde, hatte über Deck eine Länge von 355 Fuß, am Kiel 330 Fuß, die Breite des Decks betrug 43, die Höhe 36, die Höhe des Zwischendecks endlich 81/2 Fuß. Zu letzterem führten vom obersten Deck drei Eingänge, der hinterste unfern des großen Mastes und zwar zwischen diesem und dem Schornsteine. Zu größerer Sicherheit bei etwaigen Unglücksfällen, um diese weniger gefährlich zu machen, war das Schiff in zehn wasserdichte Räume eingetheilt. Es war außerdem mit den nöthigen Pumpen versehen, von denen eine mittelst Dampf in Bewegung gesetzt werden konnte, und über Deck, an Back- und Steuerbordseite hängend, führte es acht große Boote. Drei derselben, welche von Eisen waren, konnten 60 erwachsene Personen ein jedes bequem fassen, zwei hölzerne und ein anderes eisernes Rettungboot faßten jedes 50 Personen, und zwei kleinere Jollen boten Raum für 30 bis 40 Mann. Die Mannschaft des Schiffes, incl. des Küchen- und Aufwärterpersonals, bestand aus hundert Köpfen. Dem Capitain standen zunächst vier Officiere (erster, zweiter, dritter und vierter Steuermann) zur Seite. Für Besorgung und Ueberwachung der Maschine sorgten vier Ingenieure. Zur Bedienung des Schiffes vereinigten ihre Kräfte zwei Bootsmänner, vier Quarterleute, zehn Voll- und vierzehn Leichtmatrosen, zu denen noch zwölf Schiffsjungen kamen. Zur Behandlung etwaiger Kranker und Verwundeter war ein Schiffsarzt und ein Schiffschirurgus angestellt. Außerdem gab es noch einen Proviantmeister nebst Gehülfen, zwei Zimmerleute, einen Segelmacher, zwei Assistenten für die Maschinisten, einen Kesselschmied und einen Material-Verwalter an Bord. Beim Heizen waren 20 Feuerleute, die sich ablösten, beschäftigt, 15 Personen fungirten als Stewards und 9 walteten und schalteten in der Küche. Die Verproviantirung der „Austria“ ließ wohl kaum etwas zu wünschen übrig; denn es gab in dem gewaltigen Schiffsrumpfe besondere Räume für Proviant, eine eigene Rauchfleischkammer, eine Eiskammer und ein Weinlager, die sämmtlich im Vordertheil des Schiffes, also in möglichst weiter Entfernung von den Dampfkesseln angebracht waren. Zu beiden Seiten der Dampfkessel lagerten die Steinkohlen. Ein Destillirapparat lieferte täglich 50 Oxhoft Trinkwasser. Nach menschlicher Berechnung war demnach nichts vergessen, was zur Sicherung von Mannschaft und Passagieren dienen konnte, wenn etwa schweres Unwetter die Fahrt verlängerte, das Schiff verschlagen würde und vielleicht halb oder ganz mastlos längere Zeit auf dem Ocean umhertreiben mußte. Auch die Möglichkeit einer Feuersgefahr hatte man in’s Auge gefaßt, und deshalb eine beträchtliche Anzahl Eimer (etwa vier Dutzend) angeschafft, die auf Deck mit Ketten befestigt waren, damit eine Sturzsee sie nicht über Bord spüle. Taue, Ketten, Anker, Reserveschraube, Alles war vorhanden.

Großbritannien war durch den indischen Aufstand eben in erschreckender Weise aus seiner sichern Ruhe aufgescheucht worden, als die „Austria“ vom Stapel lief. Die ostindische Compagnie brauchte sichere, seehaltige und schnellsegelnde Fahrzeuge, um möglichst rasch Truppen von den britischen Inseln nach Ostindien werfen zu können. Sie sah sich nach solchen um, und trat mit den Eigenthümern des genannten Schraubendampfschiffes in Unterhandlung. Bald darauf ward die „Austria“ von der ostindischen Compagnie gechartert, der Hamburgische Capitain Heydtmann übernahm das Commando, und das Schiff ging, mit Hülfstruppen für Indien besetzt, in See. Es leuchtete aber kein Glücksstern über dem prachtvollen Fahrzeuge, von furchtbaren Stürmen erfaßt, wodurch es starke Havarie erlitt, mußte es zweimal umkehren, was nur unter augenscheinlicher Gefahr geschehen konnte, wurde aber durch die geschickte Führung des Capitains, der in seemännischen Kreisen als ein unerschrockener, seinem Fache vollkommen gewachsener Mann bekannt war, glücklich wieder zurückgebracht. Dieses zweimalige Mißgeschick der „Austria“ machte, scheint es, die ostindische Compagnie bedenklich, der Contract ward rückgängig gemacht und Seitens der Compagnie an die Eigenthümer des Schiffes eine Abstandssumme bezahlt, die jedoch von den nothwendig gewordenen Reparaturen vollständig verschlungen wurde.

Nun erst schloß sich das Schiff unter Führung desselben Capitains seinen Schwestern als Post- und Packetschiff an, und begann seine regelmäßigen Fahrten. Diese verliefen immer rasch und glücklich. Die „Austria“ bewährte sich als ein ausgezeichnetes seehaltiges Fahrzeug und ward eben so von Passagieren gesucht, wie die übrigen drei ihr an Größe und Eleganz gleichen Schraubendampfer.

Am 1. September dieses Jahres trat das Schiff bei günstigem Wetter abermals seine Reise von Cuxhaven nach New-York an. Bei Stade nahm es die letzten Passagiere an Bord, die ihm ein kleinerer, der Gesellschaft zugehöriger Schleppdampfer von Hamburg zuführte. Diese Schraubendampfschiffe können nämlich ihres sehr bedeutenden Tiefganges wegen den Hamburger Hafen nicht mit voller Ladung erreichen oder verlassen, da weiter elbabwärts große Sande sehr tief gehenden Schiffen hinderlich sind. Aus diesem Grunde ankern die Ocean-Dampfer sowohl bei ihrer Ankunft von New-York, wie bei ihrem Abgange dahin vor Stade.

Die „Austria“ hatte volle Ladung, eine sehr starke Brief- und Packetpost und von Hamburg aus im Ganzen 420 Passagiere an Bord. Letztere vertheilten sich folgenderweise. Es kamen auf die erste Cajüte 49 Erwachsene, 16 Kinder und 3 Säuglinge, auf die zweite Cajüte 103 Erwachsene, 5 Kinder und 3 Säuglinge, auf das Zwischendeck endlich 211 Erwachsene, 27 Kinder und 3 Säuglinge. Die Zahl sämmtlicher Kinder betrug demnach mit den Säuglingen 57. Wie viele Frauen und Mädchen sich unter den Passagieren befanden, ist uns nicht genau bekannt, sie war aber sehr beträchtlich. Am 3. September erreichte das Schiff Southampton, wo es noch einige zwanzig Passagiere, auch unter diesen Frauen und Kinder, einnahm, und darauf am 4. September die Reise fortsetzte.

Es war Abends 5 Uhr, die Luft etwas neblig, und mithin nicht gut zu segeln. Der Vorsicht wegen ging der Capitain zwischen der Insel Wight und dem Festlande vor Anker, verblieb daselbst während der Nacht und ließ am 5. September früh 4 Uhr die Anker wieder lichten. Ein unglückliches Ungefähr, vielleicht auch eine Unvorsichtigkeit, ließ beim Aufwinden den Anker auslaufen, das Gangspill wirbelte in reißender Schnelligkeit rund herum, schleuderte die daran Arbeitenden nach allen Seiten hin und stürzte einen derselben über Bord, der auch um’s Leben kam. Zwei Andere sollen bei diesem Unfalle schwer verwundet worden sein.

Schiffer sind abergläubisch. Wenn ein Schiff gleich beim Verlassen des Hafens von einem Unfalle heimgesucht wird, gibt ein solcher gewöhnlich allerhand zu glossiren. Es mag dies Thorheit sein, allein die Thatsache steht fest. Ob Jemand von der Bemannung der „Austria“ diesem Seemannsglauben ergeben war, wir wissen es nicht, mehr als bloßes Gerücht scheint es aber zu sein, daß der Capitain des Dampfschiffes nicht gern die Führung des Schiffes behalten haben soll. Es wird wenigstens mit großer Bestimmtheit erzählt, derselbe habe schon seit geraumer Zeit ein anderes Schiff zu übernehmen gewünscht und geäußert, seine am 1. Sept. auf der „Austria“ angetretene Reise sei die letzte im Dienste der

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Der Postdampfer „Austria“ vor dem Brande.

[634] Gesellschaft gewesen. Die Reise der „Austria“ verlies indeß ganz regelrecht, nur nicht so schnell, wie wohl manche frühere, denn das Schiff hatte fortwährend mit starken westlichen Winden zu kämpfen. Erst am 12. Septbr. war das Wetter günstiger und der Lauf der „Austria“ ein ungleich schnellerer. Am 13. September betrug die Schnelligkeit des Schiffes 11 Knoten die Stunde.

Es war Nachmittags 2 Uhr. Von den Passagieren lustwandelten, das schöne Wetter zu genießen, Viele auf Deck, andere hielten sich lesend in den Cajüten auf oder befanden sich im Rauchzimmer. Um diese Zeit pflegt sich der Capitain wohl in seine besondere Cajüte zurückzuziehen, wenn seine Gegenwart auf Deck nicht gerade durch besondere Umstände geboten ist. Zwei der Officiere haben dann die Wache und Aussicht an Bord (an genanntem Tage der zweite und dritte) und sehen zum Rechten. Große Schiffe, in derem Innern viele Menschen sich aufhalten, bedürfen auch dann sorgfältigster Auslüftung, wenn keine Krankheit unter den Passagieren herrscht. Schon damit die Gesundheit Aller erhalten bleibe, ist Lüftung oder, wo diese nicht genügend beschafft werden kann, Räucherung mit stark riechenden Stoffen unerläßlich. Zur Einführung frischer Luft in das Zwischendeck hat man zwar auf allen Schiffen Ventilatoren, aber auch durch diese strömt nicht immer eine hinreichende Menge von Luft zu. Die „Austria“ besaß zwei große Ventilationsröhre, links und rechts vom Schornsteine, dennoch mußte zur Verbesserung der Luft im Zwischendeck auf ihr, wie eben auf jedem andern Schiffe mit gleich vielen Passagieren, geräuchert werden. Der Capitain, menschenfreundlich und zuvorkommend gegen Jedermann, scheint überhaupt für Reinlichkeit am Bord die aufmerksamste Sorge getragen zu haben. Das Schiff ward nach Aussage eines Passagieres, welcher die Katastrophe seiner Vernichtung überlebt, täglich gescheuert und dann mit Essig geräuchert. Jeden Vormittag stieg der Capitain hinunter in’s Zwischendeck, um nachzusehen, ob auch Alles in Ordnung sei, und sich nach dem Befinden der Passagiere etc. zu erkundigen. „Er war die Leutseligkeit selbst und bezeigte“ – berichtet Johann Palicrusca aus Cattaro– „jedem Leidenden eine herzliche Theilnahme.“

An diesem unglücklichen dreizehnten September – könnte man nicht fast an das Ominöse zu glauben sich veranlaßt fühlen, das dieser Zahl von Alters her anhaftet? – war Befehl gegeben, das Zwischendeck mit Theer zu räuchern. Auch dies ist gebräuchlich, hat also nichts Auffälliges. Damit nun die Räucherung ungestört und mit erforderlicher Vorsicht in Angriff genommen werden kann, müssen alle Passagiere während derselben das Zwischendeck verlassen. Der größere Theil begibt sich auf das Deck, eine Anzahl hält sich wohl auch auf den Treppen und Gängen auf. Ordnungsmäßig soll die Räucherung unter Aufsicht wenigstens eines Officiers geschehen. Wir hören von sachverständigen Seeleuten, daß auch der Arzt oder der Chirurg dabei gegenwärtig ist und außerdem einige Matrosen. Daß an diesem Unglückstage die Räucherung nicht mit der dabei erforderlichen nöthigen Vorsicht geschehen sein muß, ist wohl kaum zu bezweifeln, oder alle Stimmen, die sich bis jetzt darüber vernehmen ließen, müßten Unwahres berichten. Ein Bootsmann mit einigen Matrosen – so lautet die Aussage Geretteter – stieg hinab in das Zwischendeck. Sie führten einen Eimer Theer und eine glühend gemachte Eisenstauge – Andere sagen, das Ende einer Kette – mit sich, um dies erhitzte Stück Eisen in den Theer zu tauchen und diesen so darauf verdampfen zu lassen. Jedenfalls war das Eisen zu heiß, der Theer entzündete sich und höchst wahrscheinlich bei dem Bemühen der zuspringenden Matrosen, den brennenden Eimer zu löschen, stürzte dieser um, die auflodernde Flüssigkeit ergoß sich nach allen Seiten hin und entzündete im Nu alles zunächst Brennbare. Ein paar Secunden noch und schon wirbelten schwarze Rauchsäulen, von hohen dunkelrotheu Lohen durchglüht, rund um den Schornstein und schlugen aus dem dritten Eingänge zum Zwischendeck auf’s obere Deck heraus. Dieser Eingang befand sich dicht an dem Verschlage, welcher das Zwischendeck von dem Maschinenraume trennt, wohin sich allem Vermuthen nach das Feuer sogleich Bahn brach. Von Rauch und Flammen umzingelt, verloren hier muthmaßlich Heizer und Maschinisten unmittelbar nach Ausbruch des Feuers ihr Leben. Nur der erste Befehl, die Maschine auf halbe Kraft zu setzen, wurde vernommen und vollzogen, jedem späteren konnte nicht mehr Folge geleistet werden, da er an die Ohren Erstickter schlug. So arbeitete denn die herrenlos gewordene Maschine wie ein schadenfroher Dämon weiter und jagte das unglückliche Schiff mit seinen dem Verderben geweihten Passagieren unter dem Sausen des Dampfes und dem Geheul prasselnder Flammen gerade dem Winde entgegen.

Auf Deck verursachte der entstehende Brand sogleich, die allgemeinste Verwirrung. Diese nahm in bedenklichster Weise zu, als man gewahrte, daß auch die befehlende Autorität, von dem Ungeheuern des Unglücks überwältigt, von Anfang an die Möglichkeit jeder Rettung zu bezweifeln schien. Alle Aussagen von Augenzeugen stimmen darin überein, daß mit dem Ausschlagen der Flamme aus dem Mitteldeck jede Leitung des Schiffes und sonach auch alle Ordnung aufhörte. Es läßt sich dies nur erklären aus dem reißenden Umsichgreifen der Flammen, die thatsächlich schon nach wenigen Minuten den ganzen mittleren Theil des Schiffes ergriffen und dieses selbst in zwei Hälften theilten. Die auf dem Quarterdeck Versammelten oder dahin sich Flüchtenden sahen nicht, was auf dem Vorderteil des Schiffes geschah, den hier Weilenden verhüllten die nachtschwarzen Rauchwolken mit ihren lohenden Feuerzungen den Jammer und das Entsetzen der Unglücklichen auf dem Hintercastell. Beim Ausblick dieser grauenhaften Bedrängniß war es wohl möglich, daß dem Capitain, der baarhäuptig aus seiner Cabine auf Deck stürzte, im Gefühl der ihn überwältigenden Ohnmacht die Worte entschlüpften: „Wir sind Alle verloren!

Es wollen diesen Verzweiflungsruf des Mannes, dem ja zunächst die Sorge oblag, die Passagiere zu retten, so Viele vernommen haben, daß wir ihn für wirklich gesprochen halten müssen. Nun stürzten sich, von den Flammen gehetzt, die jetzt schon Viele versengten, Andere erstickten, die Passagiere in ganzen Schwärmen auf die Rettungsboote, deren die „Austria“, wie schon erwähnt, acht führte, und zwar vier auf jeder Seite. Nur die Hälfte derselben war erreichbar, von den übrigen hielt die wehende Feuersäule Jeden fern. Die ungestüme Eile, die sich Aller bemächtigte und eine Beschwichtigung der entsetzten Menge völlig unmöglich machte, erschwerte den Officieren, denen auch der Capitain sich zugesellte, das Klarmachen der Boote. Keins derselben konnte ordnungsmäßig in die See hinabgelassen werden. Man schnitt die Taue durch und in die noch schwebenden Boote warfen sich die Passagiere massenhaft. Sie stürzten hinab in die Wogen, schlugen um und die Mehrzahl der darin Befindlichen ward ein Opfer der Wellen. Die Boote selbst aber mit Ausschluß eines einzigen, wie es scheint, geriethen in das Kielwasser des schnell fortsegelnden Schiffes, wurden von den Flügeln der Schraube erfaßt und zerschmettert. Zur Vergrößerung des ohnehin schon namenlosen Unglücks verlor gleich in den ersten Minuten nach dem Ausbruche des Feuers der Capitain das Leben. Ueber die Art, wie er zu Tode kam, gehen die Aussagen der Augenzeugen mehrfach auseinander. Einige lassen ihn beim Losmachen eines der Boote, von dem er die verzweifelte Menge abhalten wollte, ausgleiten und über Bord fallen; Andere meinen, er sei von dem nach Rettung schreienden Menschenknäuel über Bord gedrängt worden; Einer sogar, Charles Rosen aus Richmond, ein fünfzehnjähriger Jüngling, will ihn freiwillig über Bord haben springen sehen. [1]

[635] So war denn das brennende Schiff mit den Hunderten, die es trug, sich selbst überlassen, ein Spielball zweier Elemente, die beide seinen Passagieren gleiches Verderben bringen mußten. Keine menschliche Hand griff mehr in die Speichen des Steuerrades; der Mann, der es regierte, hatte es verlassen oder war von dem erstickenden Rauche, dem sein Antlitz ja zugekehrt bleiben mußte, vertrieben worden. In dichten Haufen zusammengedrängt standen Frauen und Kinder weinend, jammernd, händeringend, nach den vermißten Männern, Brüdern oder Kindern schreiend, am Stern. Ueber ihre Häupter fort sauste der Rauch, fuhren die heulenden Flammen, und erfaßt von der verzehrenden Lohe, stürzten sich immer mehr in die Tiefe, um den leichteren Tod im Wasser dem langsameren des Verbrennens vorzuziehen. Männer warfen ihre Frauen, Mütter ihre Kinder über Bord, und folgten ihnen dann selbst. Schwestern umschlangen sich, um im Kusse zu sterben. Mit auflodernden Kleidern, ganz von Flammen umhüllt, stürzten viele Frauen in’s Meer, trieben hier noch eine Weile und versanken dann spurlos in die Tiefe.

Es liegen bereits eine Menge Berichte über den Verlauf der entsetzlichen Katastrophe vor, welche Details mittheilen, bei deren Lesen das Herz jedes fühlenden Menschen erbeben muß. Wenn im Kriege die eisernen Würfel rollen, dann ist der Soldat wie der Bürger auf das Schrecklichste gefaßt; wenn aber mitten im gefahrlosen Frieden, bei stillem Wetter und hellem Sonnenlicht plötzlich gleichsam der Orkus sich unter unseren Füßen öffnet und auf allen Seiten jede Möglichkeit, dem qualvollsten Tode zu entrinnen, abgeschlossen ist: dann lähmt starres Entsetzen selbst die Muthvollsten und Entschlossensten.

So fürcherlicher Art war das Schicksal, welches die harmlosen Passagiere der „Austria“ schnell, wie der Blitz, ereilte. Es war Keiner auf einen Unfall, viel weniger auf eine große Katastrophe gefaßt, und je plötzlicher das Unglück in seiner grenzenlosen Furchtbarkeit hereinbrach, desto erschütternder und vernichtender mußte es niederstürzen auf die Passagiere. Wir stellen, um vor den Augen der Leser dieser Blätter ein möglichst anschauliches Bild von dem Untergange des brennenden Schiffes und von den Leiden der Unglücklichen, die es trug, zu entrollen, im Auszuge die wichtigsten Aussagen jener wenigen Glücklichen hier zusammen, die dem Verderben entrannen. Alle Angaben über die Entstehung des Brandes stimmen überein, weil aber jeder Einzelne sehr bald nur auf seine eigene Kraft, sich zu retten, angewiesen war, so erlebten Viele unter dem gemeinsamen Jammer Hunderter doch Verschiedenes.

Die ersten ausführlicheren Berichte über die Katastrophe der „Austria“ kamen durch amerikanische Zeitungen nach Europa. Sie rühren von jenen zwölf Passagieren her, welche das Schiff „Lotus“ von der Barke „Maurice“ aufnahm und auf amerikanischem Boden landete. Mit vieler Klarheit erzählt namentlich Alfred Bezin aus Philadelphia, welcher seine Mutter und zwei Schwestern dabei verlor, den Beginn des Brandes und die Bestürzung, welche sich alsbald aller Passagiere bemächtigte, da durch ein Zusammentreffen vieler unglücklicher Zufälle jegliche Disciplin auf dem Schiffe nur zu bald aufhörte.

„Ich befand mich am Nachmittage des 13. September in der ersten Cajüte“ – sagt dieser Gewährsmann – als ich gegen zwei Uhr ein ungewöhnliches Lärmen auf Deck hörte, bald darauf den Ruf „Feuer!“ „das Schiff brennt!“ vernahm und sofort hinaufstürzte. Es war ein schreckliches Schauspiel, das ich erblickte: dicke Rauchwolken und ab und zu hoch auflodernde Flammen hüllten den Schornstein vollständig ein und machten alle Aussicht auf das Vorderdeck unmöglich. Die Flammen schienen rings um den Schornstein selbst und aus der Hauptluke emporzulodern. Ich hatte indeß keine Zeit, lange Untersuchungen darüber anzustellen, denn die Scene, die ich ringsum erblickte, und die Aufregung ließen keine ruhige Ueberlegung zu. Das Schiff fuhr gegen Wind, und da wir zur Zeit eine ziemliche Brise hatten (Andere, unter diesen auch der zweite Steuermann, behaupten, es sei fast gar kein Wind gewesen) und das Schiff weiter fuhr, so schlugen die Flammen mit erschreckender Geschwindigkeit nach dem Hintertheil des Schiffes zu. Als ich auf Deck kam, stürzte eine große Zahl von Passagieren der zweiten Cajüte dem Salon zu, wobei sie von den Flammen verfolgt und fast geradezu versengt wurden, sowie sie aus der zweiten Cajüte heraufkamen. Viele von ihnen sind meiner Meinung nach, trotz aller angestrengtesten Versuche, heraufzukommen, durch Flammen und Rauch in der zweiten Cajüte eingeschlossen geblieben. Die Flammen schlugen bald über das ganze Schiff herüber, obwohl Löschungsversuche gemacht wurden. Ich konnte zur Zeit keinen der Schiffsofficiere in der Nähe erblicken, doch hörte ich, daß der Capitain offenbar halb wahnsinnig eben mit dem Rufe: „Wir sind Alle verloren!“ heraufgestürzt und sofort über Bord gesprungen sei. (Vgl. damit die Aussage der Leute von der Mannschaft.)

Kurz zuvor war ein Boot hinabgelassen worden; auf dieses schwamm der Capitain zu und erreichte dasselbe. In diesem Augenblicke sprang auch der zweite Officier vom Quarterdeck aus über Bord, konnte das Boot jedoch nicht erreichen und ist wahrscheinlich in den Wirbel, welchen das Umdrehen der Schraube verursacht, hineingezogen und von dieser zerquetscht worden. So lange das Schiff mit der Breitseite gegen den Wind lag, wurden einige schwache Versuche gemacht, das Feuer zu löschen, oder wenigstens dessen größere Ausbreitung zu verhindern. Einige ergriffen ihre Taschenmesser, und versuchten Taue abzuhacken, um sie an Eimern zu befestigen, mit denen man Wasser heraufziehen wollte. Allein alle diese Versuche erwiesen sich fruchtlos; die Taschenmesser brachen ab, und die meisten Eimer gingen verloren, sobald sie das Wasser berührten. Das Feuer ergriff jetzt auch die Takelage, zerstörte die Taue und zwang uns, alle weiteren Löschungsversuche aufzugeben. Auch auf anderen Theilen des Schiffes wurden schwache Löschungsversuche gemacht, aber das Feuer nahm fortwährend zu, und als das Schiff nun vollends wieder gegen den Wind abdrehte, schlugen die Flammen mit rasender Schnelligkeit immer weiter gegen das Quarterdeck, so daß wir selbst auf dem äußersten Hintertheil des Schiffes es kaum mehr vor Hitze aushalten konnten. Die Scenen, die nun folgten, waren furchtbar. Viele sprangen, ohne sich irgend um etwas zu kümmern, in den Ocean. Die Damen fielen in Krämpfen auf dem Deck nieder. Mehrere Boote, die man hinunterließ, wurden vom Kielwasser nach der Schraube zu gezogen und von dieser zerschmettert. Der größere Theil der Passagiere lief auf Deck umher, um irgendwo Gegenstände zu entdecke, die wohl treiben möchten. Wer

Feuer hindurchlaufen, welches den vordern Theil des Schiffes bereits vom Schiffshintertheile trennte. Als er sich seinen Weg durch die Flammen bahnte, erhielt er bedeutende Verletzungen. Später sah ihn der erste Officier auf dem Backbord des Hintertheiles stehen. Wie es schien, war er durch die erlittenen Brandverletzungen betäubt. Einige Passagiere behaupten, sie hätten gesehen, wie er über Bord sprang.


„Das einzige Boot, das das Wasser erreichte, ohne zerschellt zu werden, war eins der großen eisernen Rettungsboote. Es war zuerst, als es niedergelassen wurde, vollständig mit Menschen angefüllt; aber das Gewicht war so groß, daß viele von ihnen herausfielen, als das Boot das Wasser erreichte. Dreißig Menschen hielten sich in dem Boote, aber da das Boot voll Wasser geschlagen war, so kenterte es mehrere Male, wobei sieben Personen ertranken. Es blieben im Boote der erste Officier, sechs von der Mannschaft, ein Steward und funfzehn Passagiere. Um drei Uhr kam unser Boot von dem Dampfer los und wir blieben sofort zurück, da das Schiff vorwärts ging und wir nicht im Stande waren, das Boot zu handhaben, so daß wir bald vom Schiffe getrennt wurden. Wir gaben uns große Mühe, das Wasser aus dem Boote auszuschöpfen, kamen damit aber nicht eher zu Stande, als bis wir ein Floß aus den zum Boote gehörenden Rudern und Masten angefertigt und die Passagiere darauf gebracht hatten. Hierauf schöpften wir das Boot aus und nahmen dann die Passagiere wieder ein. Etwa eine Stunde, nachdem wir den Dampfer verlassen hatten, bekamen wir die französische Barke „Maurice“ in Sicht, ruderten auf dieselbe zu, erreichten sie um 8 Uhr und fanden bereits den dritten Officier und einige Passagiere am Bord.


„Der zweite Officier wurde schwimmend von der „Maurice“ gegen 8½ Uhr auf[genom]men. Er war etwa um 2½ Uhr durch das Andrängen der Passagiere der „Austria“ über Bord gestoßen worden, als diese sich in sein Boot hineinstürzten und dasselbe zertrümmerten. Er hielt sich fast 6 Stunden lang durch Schwimmen über Wasser, ohne daß er irgend etwas gehabt hätte, an das er sich hätte festhalten können.


„Der dritte Officier verließ den Dampfer um 5 Uhr. Er war auf Deck der „Austria“ geblieben, bis er sah, daß kein einziges Boot mehr vorhanden war, und wurde durch das Feuer über Bord getrieben. Er hielt sich an einem Taue außerhalb des Schiffes fest, bis um 5 Uhr die eisernen Platten des Schiffes roth wurden, worauf er in’s Wasser sprang. Er schwamm einige Zeit herum, fand dann einige Stücke Holz umhertreiben und hielt sich hieran über Wasser, bis er um 6½ Uhr, mit bedeutenden Brandwunden bedeckt, von dem französischen Boote aufgefischt wurde.


„Als wir die „Austria“ verließen, waren drei Segel in Sicht, von denen einzig die französische Barke „Maurice“ herankam, um Hülfe zu leisten. Die „Maurice“ nahm 66 Personen an Bord, von denen 12 an Bord der nach Halifax bestimmten „Lotus“ übergeschifft wurden. Die Uebrigen wurden am 19. Septbr. auf Fayal an’s Land gesetzt, von wo aus die Passagiere sich an Bord des englischen Kriegsdampfers „Valorous“ nach New-York einschifften. Wir wurden von dem Londoner Dampfer „Ireland“ an Bord genommen, der uns auf unserer Rückreise nach Hamburg gestern in Gravesend an’s Land setzte.“ [636] etwas Derartiges gefunden hatte, warf es entweder denjenigen zu, die schon über Bord gesprungen waren. oder sprang selbst damit über Bord. Ueberall herrschte die größte Verwirrung. Die Frauen jammerten, die Kinder liefen schreiend nach dem Stern den Schiffes, und zwischen durch vernahm man die Todesschreie Ertrinkender! Und immer weiter noch drang das Feuer vor. Kaum konnte man es noch am Bord aushalten, ohne geradezu gebraten zu werden. Um diese Zeit stürzte eine junge Dame mit dem Ausrufe auf mich zu: „Was soll aus uns werden? Was sollen wir anfangen?“ Ich entgegnete, daß wir höchst wahrscheinlich Alle umkommen würden. Darauf fiel sie sofort in Lachkrämpfe und schien vollständig ihr Bewußtsein verloren zu haben. Ich wurde von ihrer Seite gedrängt und weiß nicht, was aus ihr geworden ist. Fast alle Welt sprang jetzt über Bord, da die Hitze vollständig unerträglich geworden war, viele paarweise, Andere zu Dreien und Vieren, Einige Hand in Hand. Ich selbst, obwohl ich mich weit über den Stern des Schiffes hinauslehnte, ward beinahe geröstet; ich fühlte, daß alsbald auch die Reihe an mich kommen würde, nahm mir aber vor. so lange wie irgend möglich auszuhalten, und suchte mir zwei Taue zu verschaffen, an denen ich mich wenigstens etwas hinunterlassen könnte, um dann so weit wie möglich außerhalb des Bereiches der Schraube zu springen.

„Um diese Zeit war es, wo der Ungar mit seiner ganzen Familie über Bord sprang. Dies ist die gräßlichste Scene von allen, die ich erlebte. Eine junge Dame sprang nicht eher über Bord, bis ihre sämmtlichen Kleider Feuer gefangen hatten und die Flammen über ihr zusammenschlugen. Jetzt ließ auch ich mich an meinem Tau hinunter und sprang dann so weit wie möglich vom Schiffe ab in’s Wasser. Als ich wieder auftauchte, schwamm ich auf eine Rettungsboye zu, die ich in einiger Entfernung von mir erblickte, und glücklicher Weise gelang es mir, dieselbe nach einiger Zeit zu erreichen.

„Die „Austria“ dampfte noch immer brennend, mehr einer ungeheuern Feuermasse, als einem Schiffe gleichend, in der früheren Richtung fort, und noch immer sah ich die Passagiere einen nach dem andern in’s Meer springen. In einiger Entfernung von mir bemerkte ich kleine dunkle Flecke auf dem Wasser, Boottrümmer, Rettungsboyen, schwimmende Menschen. Nachdem ich etwa zwei bis drei Stunden, an meiner Rettungsboye angeklammert, herumgetrieben war, sah ich ein Schiff in einer Zickzacklinie mir näher kommen. Eine Stunde später wurde ich von diesem Schiffe aufgefischt, nachdem ich volle vier Stunden im Wasser gewesen war.“

Ein Passagier der zweiten Cajüte, Philipp Berry aus Hackensack (New-Jersey), welchen das Feuer in der Cajüte überraschte, entging dem Tode nur dadurch, daß es ihm gelang, durch das Skylight am hintern Theil der Cajüte zu entkommen. Nach den Aussagen desselben fand er bei Ankunft auf Deck drei oder vier Officiere beschäftigt, ein Boot in’s Wasser zu lassen, was aber nicht gut gelingen wollte, da eins der Taue, an denen es hing, nicht leicht nachgab. In dieses Boot wollte, berichtet Berry, auch der Capitain steigen, trat aber fehl und fiel in’s Wasser, wo er alsbald versank. Ferner bemerkt dieser dem Tode Entronnene, das Schiff habe damals etwa 8 bis 9 Knoten gemacht, und die Maschine anzuhalten, sei unmöglich gewesen, weil alle Ingenieure, wie erwähnt, vermuthlich sehr bald nach Ausbruch des Feuers erstickten. Die Schilderung der Scenen auf Deck, die Berry ansah, waren herzzerreißend. Unter andern kam eine Frau auf ihn zu und bat ihn um Gotteswillen, er möge ihr doch den Hals abschneiden; sie lief wie wahnsinnig auf dem Deck umher und ging seinen Blicken bald verloren.

[644]
Der Untergang des Hamburgischen eisernen Schraubendampfschiffes „Austria“
am 13. September 1858.
Zweiter Artikel.

Der Zwischendeckspassagier Fritz Thompsen aus Cappeln (Schleswig) sah, wie der Bootsmann mit einem Theereimer und der vierte Steuermann mit einem glühenden Eisen herabkamen, um die befohlene Räucherung vorzunehmen. Thompsen hatte noch nicht die letzte Stufe unten an der Treppe erreicht, als Feuerruf erscholl und, indem er sich umkehrte, ihm schon dicker, erstickender Theerqualm entgegenkam. Die Bestürzung der Passagiere, das an Wahnsinn grenzende Entsetzen des Capitains schildert er wie Andere. Auch hörte er mit eigenen Ohren den Verzweiflungsruf des Capitains: „Wir sind Alle verloren!" Thompsen suchte das Vorderdeck als die noch sicherste Zuflucht auf dem von Flammen umloderten Schiffe zu erreichen, und ihm verdanken wir die Schilderung von Scenen, die sich hier, wo Hunderte zusammengedrängt waren, in gleich schrecklicher Weise, wie auf dem Hintertheile der „Austria", zutrugen. „Ich stand in der Mitte dieses Menschenknäuels" — erzählt derselbe — „und wir konnten kaum so viel Platz gewinnen, um die Taue, welche den ersten Mast hielten, zu kappen, damit dieser nicht auf uns falle. Wir verharrten etwa zwei Stunden lang, die Flammen breiteten sich immer weiter aus, und setzten unsere Kleider in Brand. Wir vermochten nichts dagegen zu thun; später banden wir Kleider zusammen, tauchten sie in’s Wasser und suchten so dem Vordringen der Flammen zu steuern. — Nach zwei Stunden waren bereits zwei Drittheile der Menschen vom Vordertheil über Bord gedrängt; die Flammen rückten so weit vor, daß man sich nicht mehr auf Deck aufhalten konnte. Ich ließ mich an einem Tau, das ich zu diesem Zweck an einen Ring an der Außenseite des Schiffes festband, herab. An dem untern Ende dieses Taues hatte ich eine Schlinge gemacht, in die ich meinen Fuß setzte, und mit den Händen hielt ich das Tau fest. Kaum aber war ich über’m Wasser angelangt, so kamen 4 bis 5 Menschen auf einmal das Tau herabgerutscht. Sie klammerten sich an meine Kleider fest, wurden aber durch frische Nachkömmlinge verdrängt und abgestreift. So ging es beiläufig drei Stunden lang. Während dieser Zeit fielen beständig Menschen, zum Theil halb verbrannt, auf mich herab, und versanken nach kurzem Kampfe in meiner Nähe. Kohlen und brennende Balken überschütteten mich, und da meine Kräfte schwanden, ließ ich endlich das Tau fahren und schwamm nach der Richtung, in der ich das Segelschiff früher vom Deck aus gesehen hatte."

Dieser Schilderung schließt sich die Erzählung von der Rettung des Augenzeugen durch die französische Bark „Maurice" an, die wir hier weglassen können, da sie sich von der Aussage anderer Passagiere der „Austria" durch die Boote dieses Schiffes in nichts unterscheidet.

Wir wenden uns jetzt den Darstellungen noch zweier andern Geretteten zu, die der erschütternden Details wegen, welche sie enthalten, von Interesse sind. Unter den Passagieren des Zwischendecks befand sich auch ein Italiener aus Cattaro, Namens Johann Palicrusca. Dieser Mann besaß mehrere trefflich abgerichtete Singvögel, mit denen sich gern Jedermann beschäftigte. Die Officiere der „Austria" schenkten vielleicht gerade dieser befiederten Sänger wegen dem Zwischendecks-Passagier, der durch seine abgerichteten Vögel zur Unterhaltung am Bord nicht wenig beitrug, etwas mehr Aufmerksamkeit, als gewöhnlich. Darum sprachen sie Palicrusca am 13. September an, indem sie ihn aufforderten, er möge seine Vögel herauftragen, damit der Theergeruch ihnen nicht schade. Palicrusca kam dieser Aufforderung sofort nach, und stieg mit seinen Vögeln auf’s Deck. Hier war die größere Anzahl Passagiere versammelt, um das schöne, fast ganz stille Wetter zu genießen. Es war der erste schöne Tag seit der Abreise aus Hamburg, und Jeder war froh, endlich einmal in ungestörter Ruhe Luft schöpfen zu können. Zehn Minuten später brachen die Flammen aus, der Capitain stürzte baarhäuptig, weiß wie Schnee, den unheilvollen Verzweiflungsruf ausstoßend, unter die erschreckten Passagiere, und verschwand nach kurzem Verweilen für immer. Nach fünf Minuten trennten die in der Mitte des Schiffs auflodernden Flammen Vorder- und Hintertheil desselben dergestalt, daß kein Verkehr zwischen beiden Theilen mehr stattfinden konnte.

Palicrusca erzählt nun Folgendes: „Ich hatte noch Zeit, eine Planke zu ergreifen und mich zum Bugspriet zu drängen, wo ich sie zur Vorsicht fest band. Dann half ich den Balken vom Besahnmast zum Bugspriet kappen, der uns beim Fallen Alle erdrückt hätte. Jetzt platzte das Pulvermagazin, jedoch ohne großen Lärm. Nachher setzte ich mich auf eine der Ketten am Bugspriet und sah hier Scenen, die zu haarsträubend sind, als daß ich sie beschreiben könnte. Das entsetzlichste Schauspiel für mich war ein junges Geschwisterpaar, ich glaube, sie waren Israeliten und wollten nach Californien. Um der fast Unerträglichen Hitze zu entrinnen, ließ der Jüngling seine Schwester mit beiden Füßen auf ein dünnes Seil treten, und ließ sie so weit hinab, daß sie nahezu das Wasser berührte und so, vor dem Feuer geschützt, die Ankunft eines rettenden Bootes abwarten konnte. Dann schlang er sich ein ähnliches Seil um den Leib und sprang ihr nach. Unglücklicherweise aber hatte er dieses zu wenig angezogen, im Fallen rutschte es und zog sich über seinen linken Arm und sein Gesicht, das ganz zerfleischt wurde. Wohl länger als eine halbe Stunde hörte ich das Mädchen um Hülfe für ihren unglücklichen Bruder schreien. Wer hätte da retten können? Mit Händen und Füßen arbeitete er, um emporzukommen, aber nach und nach erschlaffte er und hing endlich ruhig – ein Leichnam. Als ich endlich ein Boot von der Bark „Maurice" rudern sah, sprang auch ich in’s Meer und wurde nach langem Umherschwimmen an Bord desselben aufgenommen. Das Mädchen hing noch, als ich das Schiff verließ. Ueber ihrem todten Bruder hatten noch drei andere Personen sich an den Tauen angeklammert. Ihr Schicksal ist mir unbekannt. – Auch sah ich noch einen Böhmen, der seinen Sohn, so groß und stark wie er selbst, umhalste und, ihn küssend, in die Tiefe sprang. Ihnen folgte die Mutter in der Umarmung ihrer beiden Töchter. – Eine englische Dame, die erst in Southampton an Bord gekommen war, warf, als die Flammen näher und näher drängten, ihre zwei älteren Kinder in’s Wasser; mit dem dritten, einem Säugling, folgte sie selbst.“

Th. Glaubensklee, Professor aus New-York, stimmt in seinen Angaben, soweit dieselben die Entstehung des Feuers betreffen, ebenso in Bezug auf das Erscheinen des Capitains, dessen Aeußerung und baldigen Tod, mit andern Augenzeugen vollkommen überein. Dieser Herr, der wahrscheinlich seine schließliche Rettung nur dem Umstande zu verdanken hatte, daß er das Hintertheil des [645] Dampfers nicht erreichen konnte, und sich deshalb nach dem Vordertheil desselben begab, bemerkt unter Anderem, daß er den ersten Ingenieur von Morgenstern in den Raum hinabsteigen sah, um die Maschine zum Stehen zu bringen. Er sah ihn nicht wieder, und die Maschine arbeitete fort. Daraus zieht er den Schluß, daß der Genannte zugleich mit allen andern bei der Maschine Beschäftigten seinen Tod alsbald im Raume gefunden haben dürfte. Von den Feuerleuten wurden Einzelne anfangs wohl nur verschüttet, denn einige Passagiere, die sich durch Schwimmen retteten, erzählten später, daß sie in den untersten Luken, unmittelbar über dem Wasserspiegel, verzerrte menschliche Gesichter sahen. Wahrscheinlich suchten diese Unglücklichen, über deren Köpfen die Flammen rasten, einen Ausgang zu erzwingen, ohne doch ihren Zweck erreichen zu können. Herr Glaubensklee wurde von einem Matrosen aufgefordert, ihm beim Abschneiden des Klüversegels zu helfen, um dies mit Wasser zu tränken und dadurch das Fortschreiten der Flammen wo möglich aufzuhalten. Leider verstanden die Umstehenden ihre Absicht nicht, sie warfen das Segel über Bord, und hatten nicht einmal ein Tau daran befestigt. Nach diesem mißlungenen Versuche, dem Feuer zu begegnen, suchte Glaubensklee mit demselben Matrosen nach Material, um ein Floß zu bauen, allein sie fanden gar nichts, da das Vordertheil der „Austria" ganz von Eisen war. Als die Flammen etwa drei Viertelstunden gewüthet hatten, stürzte zuerst der Fockmast über Bord, dem alsbald der Mittelmast folgte. Der Besahnmast stand etwas länger. Die ersten beiden Mäste fielen über die Steuerbordseite in die See. Als der Mittelmast fiel, glaubten Viele, der Kessel sei explodirt, weil eine große Menge Dampf in der Nähe des Schornsteins aufstieg. Das Schiff wendete sich von Südwest nach Nord und die Maschine stand still. Durch diese Wendung des führerlosen Schiffes verschlimmerte sich die Lage der auf dem Vordercastell Befindlichen in schrecklicher Weise. Die Flammen loderten jetzt über das ganze Schiff fort, und wer nicht lebendig verbrennen wollte, mußte sich auf das Bugspriet und die daran hängenden Ketten flüchten, die alsbald mit Menschen völlig übersäet waren. Die weniger Glücklichen stürzten sich aus freiem Antriebe in den Ocean oder wurden von Andern, die den Flammen zu enteilen suchten, über Bord gedrängt. An einer dieser Ketten hielt sich auch Herr Glaubensklee, indem er sich festklammerte an der Gallion der „Austria", dem zweiköpfigen Adler. Hier fand er als Leidensgefährten auf derselben Kette Herrn Palicrusca, den Schiffsarzt, einen Matrosen und einen Aufwärter, Namens Henry, die sich gegenseitig die von den Flammen ergriffenen Kleider löschten. Diese fünf Männer waren hier mehrere Stunden lang Zeugen der schrecklichsten Todeskämpfe, ohne doch helfen zu können? Der Vorsicht halber, und um besser schwimmen zu können, wenn er genöthigt sein würde, in's Meer zu springen, warf Glaubensklee Rock und Stiefeln ab, und verkürzte seine Beinkleider bis zum Knie. Näher, aber nur langsam, kam die französische Bark, das einzige Segel, das von drei in Sicht befindlichen dem brennenden Schiffe zusteuerte. Allein ehe dasselbe die „Austria" noch erreichte, mußten Hunderte den Todessprung in die Wogen thun, wollten sie an Bord des nun ganz von Flammen bedeckten Schiffes nicht verbrennen. Das Geschrei der Verzweifelnden und Ertrinkenden, das Gestöhn der Erstickenden war herzzerreißend und über alle Beschreibung entsetzlich. In's Meer stürzende Frauen trieben gewöhnlich, von ihren Kleidern über Wasser gehalten, eine Zeit lang umher, ehe sie jammernd für immer in die Tiefe sanken.

Volle drei Stunden hatten diejenigen, welche, durch ihre körperlichen Kräfte und die Erreichung eines den verheerenden Flammen weniger ausgesetzten Platzes begünstigt, den Tod ihrer Mitleidenden überlebten, unter den entsetzlichsten Qualen ausgeharrt. Da endlich nahte sich Rettung, leider nicht für alle noch Lebende, sondern nur für Wenige. Das erwähnte französische Schiff, die Bark „Maurice", Capitain Renaud, von Newfoundland kommend, schickte seine beiden Boote dem brennenden Dampfer zu Hülfe. Vier Mal legten beide Fahrzeuge den Weg von der Bark nach der „Austria" und von dieser zu jener wieder zurück. Auf dieser viermaligen Fahrt aber konnten die zu Hülfe Eilenden doch nur 45 Passagiere, die meistentheils an den Ketten des Bugspriets hingen, retten. Einzelne wurden, auf Wracktrümmern schwimmend, im leichenbedeckten Meere aufgefischt. Dies Rettungswerk dauerte bis zu völligem Einbruche der Nacht, wo man es, der Finsterniß wegen und weil die See unruhig ward, einstellen mußte. Zwischen acht und neun Uhr erreichte auch das einzige eiserne Boot der „Austria", das von den acht vorhandenen nicht verloren gegangen war, unter Führung des ersten Officiers des verunglückten Schiffes die französische Bark. Zwanzig darin Befindliche fanden an Bord der Bark die freundlichste Aufnahme, die an ihren Wunden Leidenden oder von langem Herumtreiben auf dem Meere Halbbewußtlosen Seitens des Capitains und der Mannschaft die menschenfreundlichste Pflege. Man versah sie mit Kleidern, reichte ihnen stärkende Nahrung, und der Capitain verband eigenhändig die vielen Brandwunden, mit denen Einzelne fast ganz bedeckt waren.

Nur 67 Personen von 542, welche die „Austria" barg, fanden sich auf der Bark „Maurice" am Spätabend des fürchterlichen Tages wieder zusammen. Zehn von diesen gehörten der Mannschaft des unglücklichen Schiffes an, darunter die drei ersten Officiere. Die „Austria" brannte die ganze Nacht fort im Angesicht der Bark und die rollenden Wogen des atlantischen Oceans spiegelten das fürchterliche Schauspiel wieder. Am Morgen des 14. September wollte der brave Capitain Renaud das durch die Nacht unterbrochene Rettungsgeschäft fortsetzen, es befand sich aber bereits eine norwegische Bark in unmittelbarer Nähe des glühenden Wracks, deren Boote dasselbe umkreisten. Durch das Fernrohr war nirgends an dem Rumpfe des verbrannten Schiffes ein lebendes Wesen mehr zu sehen. In einem Boote der norwegischen Bark bemerkte der Capitain des französischen Schiffes einige Personen und nahm an, daß es noch glücklich Gerettete sein möchten. Die Entfernung beider Segelschiffe von einander war zu groß, als daß sich die Führer derselben hätten sprechen können. Später aus Quebec nach Europa und Hamburg gekommene Nachrichten haben die erfreuliche Botschaft gebracht, daß jene Bark „Catharina" hieß und noch so glücklich war, 16 Passagiere des unglücklichen Schiffes und 6 von der Mannschaft zu bergen. In welchem Zustande jene Unglücklichen sich befanden, die eine ewig lange Nacht, an Ketten und Tauen der glühenden „Austria" hängend, verbrachten und diese fürchterliche Nacht überlebten, darüber sind uns bereits durch amerikanische Blätter einige Berichte zugekommen. Wir lassen diese, sowie einige Briefe Geretteter, soweit dieselben der Oeffentlichkeit übergeben worden sind, hier folgen.

Am 14. September Morgens zwei Uhr trieb das in Flammen gehüllte Wrack der „Austria" nach den Angaben des Capitains Tunnemark, welcher die norwegische Bark befehligte, auf 44° 40´ N. B. und 41° 39' westlicher Länge (von Greenwich). Die Aussagen der etwa früh zwischen vier und fünf Uhr Geretteten geben an, daß die Dampfpumpe, welche mit der Maschine in Verbindung steht, nicht so in Ordnung gewesen sei, daß sie sofort hätte in Thätigkeit gesetzt werden können. Wir müssen jedoch hierbei bemerken, daß auf diese Aussagen kein großes Gewicht zu legen ist, indem in jenen Augenblicken entsetzlichster Aufregung und grenzenloser Bestürzung selbst den intelligentesten Passagieren schwerlich so viel Zeit übrig blieb, um ein vollkommen zutreffendes Urtheil fällen zu können über die Maßregeln, welche man ergriff, um das Feuer zu bewältigen. Viel wahrscheinlicher ist die bereits erwähnte Angabe der geretteten Passagiere, die auch mit anderen Aussagen übereinstimmt, daß die Pumpen versagten, weil das Feuer sie gleich im Anfange unbrauchbar machte. Die Rettungsboote — heißt es in den Aussagen der zu Quebec gelandeten Passagiere weiter — hingen in der Mitte des Schiffes, weshalb es unmöglich war, zu allen derselben zu gelangen. Eins derselben wurde, überfüllt mit Menschen, herabgelassen, schlug jedoch um, weil eine Menge Leute, die schon über Bord gesprungen waren, sich an dasselbe anzuklammern suchten. Das Herablassen eines anderen Bootes nahm, vermuthlich wegen des ungestümen Andrängens der geängstigten Passagiere, so viel Zeit in Anspruch, daß die darin befindlichen Menschen herausspringen mußten, um den Flammen zu entgehen. Eine große Menge Passagiere suchten sich zu retten, indem sie sich an die vom Vorderdeck herabhängenden Taue und Ketten anklammerten, allein allmählich wurden sie von den immer weiter um sich greifenden Flammen gezwungen, loszulassen und in den Ocean zu springen. Von denen, die auf dem Bugspriet, dem letzten Zufluchtsorte vor den Flammen, oft drei bis vier Personen über einander lagen, hielt es zuletzt nur ein einziger Mann aus, der auf dem äußersten Ende desselben saß. Achtzehn Personen hingen bis Morgens 4 Uhr an der Kette des Bugspriets. Nur dadurch, daß ein kühner Matrose von dieser Kette auf das bereits brennende Bugspriet kletterte und Geistesgegenwart genug besaß, seine Leidensgefährten zu ermahnen, ihre Kleider auszuziehen, diese in’s Meer zu tauchen [646] und sie ihm zu reichen, gelang es, die Flammen zu löschen und so das Bugspriet mit seinen Ketten so lange zu einem verhältnißmäßig sicheren Zufluchtsorte zu machen, bis die Boote der „Catharina" bei grauendem Tage herankamen und die armen Leidenden erlösten.

Eine ausführliche Schilderung eines dieser später Geretteten, Namens Andreas Lindstein, enthält der „Newyork-Herald". „Am 13. September," erzählt dieser, „gegen 2 Uhr Nachmittags, als das Feuer auf der „Austria" ausbrach, stand ich ungefähr auf der Mitte des Schiffes auf Deck und sah, wie die Flammen drei bis vier Fuß hoch aus der auswärts gelegenen Luke herausschlugen. Ich eilte nach vorne zu und gewahrte auch dort schon die Flammen aus den Vorderluken emporlodern. Um diese Zeit sah ich den Capitain auf Deck kommen. Ich sah, wie er seinen Rock auszog und nach der Seite des Schiffes zustürzte, als wenn er über Bord springen wollte. (Diese Aussage stimmt mit denen anderer Augenzeugen nicht überein.) Herr Sweenska (?), ein Schwede, ergriff ihn beim Arme, zog ihn von der Takelage weg und fragte ihn, was er denn eigentlich zu thun beabsichtige. Aus der Antwort des Capitains ging hervor, daß er gar nicht wußte, was er eigentlich that. Der Capitain lief dann nach hinten, so daß ich ihn aus dem Gesicht verlor, da ich mich auf dem Vorderdecke unter einer großen Menge von Passagieren befand. Das Feuer machte reißende Fortschritte, so daß es uns in erschreckender Weise bedrohte. Die Passagiere waren so dicht aneinander gedrängt, daß sie sich gegenseitig über Bord stießen. Es gelang mir, bis zum Tauwerk vorzudringen, ein Tau zu ergreifen und dieses an einen Bolzen zu befestigen. Dann schlug ich eine Schlinge in das Tau, ließ mich hinunter und saß nun etwa zwei Fuß vom Wasser entfernt in meiner Schlinge. Diesen Zufluchtsort erreichte ich etwa zehn Minuten nach Ausbruch des Feuers. Drei Viertelstunden später ungefähr stürzten der Vorder- und Hauptmast auf der Steuerbordseite des Schiffes über Bord, wobei ich nahezu von der Raa erschlagen worden wäre. Als ich um mich blickte, um zu entdecken, ob sich nicht etwas Herumschwimmendes fände, woran ich mich halten könnte, sah ich das untere Ende des Hauptmastes etwa zwei Fuß hoch aus dem Wasser her- vorragen. Augenscheinlich hatte sich das Tauwerk an der Spitze desselben in der Schraube verwickelt. Ich ließ mich in's Wasser und schwamm auf den Mast zu, dessen Ende ich glücklich erreichte. So vermochte ich mich denn über Wasser zu halten. Um diese Zeit gewahrte ich drei Personen außerhalb des Schiffes an Tauen hängen; einem derselben, dem Koch, warf ich ein Tau zu, zog ihn zu mir heran und hielt ihn an meiner Seite. In diesem Zustande verblieben wir die ganze Nacht, während welcher wir eine Menge Leichen um uns herumschwimmen sahen. Bis Dunkelwerden drehte sich die Schraube fortwährend langsam herum, so oft sich der Dampfer am Stern hob. Um nicht zu verbrennen, mußte ich meinen Rock ausziehen, ihn naß machen und um meine Seite schlagen. Einmal verbrannte ich mir die Schulter, da ich diesen Theil meines Körpers nicht gehörig schützen konnte. An diesen Brandwunden leide ich noch jetzt."

Lindstein erzählt nun weiter, wie er um diese Zeit die französische Bark langsam habe herankommen sehen. Sie legte gegen 5 Uhr etwa eine Meile von der „Austria" bei und sendete zwei Boote nach derselben ab, die sich indeß dem brennenden Schiffe nur bis auf Hörweite näherten. Sie hielten sich auf der Luvseite, so daß Lindstein sie nur sehen konnte, wenn der Dampfer sich herumschwang. Beim Eintritt der Nacht erhielt er die Gewißheit, daß diese zu Hülfe Herbeigeeilten ihn nicht gesehen hatten und er also auch nicht von ihnen gerettet werden würde. Sie kehrten in der Finsterniß zurück zu ihrem Schiffe, an dessen einem Mäste etwa gegen zehn Uhr Nachts eine Laterne aufgezogen wurde. Am nächsten Morgen früh schon gewahrte der Unglückliche das norwegische Schiff „Catharina" dicht bei dem Wrack. Ein Boot derselben nahm ihn und seinen Leidensgefährten gegen 4 Uhr Morgens auf. Außerdem barg die „Catharina" noch jene 18 Personen, welche sich die ganze fürchterliche Nacht hindurch an den Ketten des Bugspriets gehalten hatten. Unter diesen befand sich auch ein Mädchen von nur 14 Jahren mit ihrem Bruder. Der Gerettete war der Vorletzte, welcher von den Booten der „Catharina" gefunden und an Bord des Schiffes gebracht wurde.

Unter den Zwischendecks-Passagieren der „Austria" befanden sich eine beträchtliche Anzahl Schleswiger, besonders waren viele in Cappeln an der Schlei Heimische als Auswanderer nach Californien am Bord. Von diesen hatten Mehrere das Glück, sich zu retten. Einige derselben haben bereits an ihre Verwandten oder Bekannten in Cappeln und Umgegend von Fayal aus, wo die Bark „Maurice" die Schiffbrüchigen landete, geschrieben, und wie Alles, was von irgend einem Augenzeugen über das erschütternde Ereigniß gemeldet wird, die Presse jetzt sofort veröffentlicht, sind auch die Briefe dieser schlichten Leute in der „Eckernförder Zeitung" abgedruckt worden. Das aus früheren Berichten noch nicht Bekannte in diesen Mittheilungen fügen wir zur Vervollständigung derselben hier bei. G. Vollersen schreibt unter Anderem:

„Der 13. September war der schreckliche, ewig unvergeßliche Tag. Es war, als sollten wir den Untergang der Welt sehen. In einer Zeit von fünf Minuten stand das Schiff hinten, in der Mitte und vorn in hellen Flammen. Es war keine Zeit, etwas zur Rettung zu thun. Keins von den acht großen Booten konnte heruntergelassen werden. Ach, was für ein Jammern, Händeringen und Beten! Ich faßte Fritz (Betke), lief mit ihm nach vorn, bat ihn, bei mir zu bleiben und Fassung zu behalten. Das Trauerspiel begann. Ich lief hin und kletterte auf den Vordermast, da dieser aber zu stürzen drohte, ließ ich mich an den Tauen herunter auf's Bugspriet. Ich sah nach Fritz und bezeichnete ihm durch Winke einen bergenden Ort. Das Feuer erreichte die Pulverkammer und alle Passagiere, die auf dem Hinterdeck waren, flogen in die Luft… Das ganze Schiffsdeck brannte. Wer nicht verbrannt oder ertrunken war, saß auf dem Bugspriet oder trieb auf Trümmern im Wasser umher. Da kam eine französische Bark. Ich hatte immer ein scharfes Auge auf Fritz und der liebe Gott auf uns Beide. Ich bezeichnete ihm einen vor dem Feuer gesicherten Platz. Ein Boot vom französischen Schiff kam näher. Dies erste und ein zweites gingen schon beladen an ihr Schiff. Das dritte kam. Ich hörte die Stimmen zweier Damen der Unsrigen, stürzte entkleidet hinab, und da ich nicht ermattet war, erreichte ich mit Gottes Hülfe das Boot. Aber Fritz! — Ich wollte etwas thun, aber durfte nicht. Doch mit dem letzten Boote kam auch er. Nie habe ich mich mehr gefreut, als diesen Augenblick."

Fritz Betke, der Freund und Gefährte Vollersen's, berichtet in seinem Briefe Folgendes: „In Zeit von einer halben Stunde waren schon die Stricke an den Masten abgebrannt. Gustav (Vollersen) hatte zuerst seine Zuflucht auf der Spitze des Fockmastes genommen. Er sah jedoch bald ein, daß er sich da nicht halten konnte. Ganz herunter k konnte er auch nicht mehr. Es blieb ihm also nichts übrig, als sich oben vom Bramsteg an dem Tau nach der Spitze des Auslegers herunterzulassen, von wo er dann den ganzen Gräuel mit ansehen mußte. Keine Rettungsmittel waren vorhanden. Sämmtliche Wassereimer waren zuerst in Brand gerathen und kein Mittel war da, das Feuer zu löschen. Ihr könnt denken, welch' ein Gejammer auf dem Schiffe war! Ein Jeder sah seinen Tod vor Augen und hatte nur die schreckliche Wahl zu verbrennen oder zu ertrinken. Gustav konnte sich dort, wo er war, am längsten halten. In der Entfernung von drei deutschen Meilen war ein Rettungsschiff zu sehen, aber in der Zeit, daß dieses herankam, war das ganze Schiff in vollen Flammen. Viele ließen sich an Stricken hinunter, diese brannten ab und sie fanden ihren Tod in den Fluthen. Ich hielt mich noch immer auf dem Vordertheile des Schiffes. Zuletzt wurde es so heiß, daß ich es nicht mehr aushalten konnte. Da stieg ich über die Köpfe derjenigen fort, die vor mir standen, und kletterte unter dem Bugspriet auf eine starke eiserne Kette. Hier konnte mir das Feuer so leicht nichts anhaben. Wie ich hier wohl beinahe eine Stunde gesessen hatte, waren beinahe sämmtliche Leute auf dem Verdeck verbrannt oder ertrunken. Unter solchem Jammer waren ziemlich drei und eine halbe Stunde vergangen. Da kam das rettende Schiff uns nahe. Es sandte zwei Boote aus, welche zuerst die auffischten, die im Wasser noch am Leben waren. Gustav schwamm dem vierten der ausgeschickten Boote nach. Er war der Letzte, der dort aufgenommen wurde. Ich saß noch auf meiner Kette. Es fing an dunkel zu werden. Man konnte nicht sehen, ob noch ein Boot käme, jedoch kam noch einmal eine Hülfe. Es wurde uns zugerufen, wer schwimmen könnte, sollte heranschwimmen, denn sie könnten nicht näher heranfahren. Da faßte ich Muth, zog meine sämmtlichen Kleider aus, schwamm nach dem Boote und erreichte es glücklich. Mit mir wurde noch ein Steuermann gerettet. Die noch an Ketten und Tauen hingen und nicht schwimmen konnten, mußten dort bleiben. Es waren wohl noch einige zwanzig Personen, Männer, Frauen und Kinder."

Wir wenden uns jetzt zu dem Berichte, welchen der brave, [647] Capitain Renaud, Befehlshaber der französischen Bark „Maurice“ an seine in Nantes wohnenden Rheder über den Brand der „Austria“ erstattete. Du. „Journal de Nantes“ theilte dies Schreiben zuerst mit. Aus ihm ging es über in verschiedene französische Blätter. Dasselbe ist aus Horta aus Fayal vom 19. Septbr. datirt. Es heißt darin:

Am 13. September befand ich mich auf 45° 6’ n. Br. und 44° 1’ w. L. Um 2 Uhr Nachmittags sahen wir ein Dampfschiff vor uns. Um 2 1/2 Uhr gewahrten wir nur noch Flammen. Ich steuerte darauf los und wir waren nur noch etwa eine Meile von dem brennenden Schiffe entfernt, als wir die ersten Unglücklichen retteten, welche sich an fast ganz verbrannte Masttrümmer klammerten. Wir retteten deren mehrere, immer auf den Dampfer zuhaltend, der von vorn bis hinten nur ein Feuerheerd war. Als ich es ohne Gefahr für mein eigenes Schiff und dessen Equipage thun konnte, schickte ich meine beiden Boote den Unglücklichen zu Hülf, welche uns unter herzzerreißendem Geschrei die Arme entgegenstreckten.“ Capitain Renaud läßt nach dieser Einleitung seine beiden Steuerleute, welche die Rettungsboote commandirten, selbst sprechen, und von diesen erhalten wir denn eine Beschreibung des entsetzlichen Anblickes, welchen die „Austria“ zu jener Zeit darbot, der an Furchtbarkeit kaum mit irgend welchem andern schrecklichen Ereignisse zu vergleichen ist. „Von vorn bis hinten" – – erzählen die beiden Officiere der „Maurice“, die Herren Rivert und Bertaund – stand das Schiff in Flammen. und die unglücklichen hatten keine Zufluchtsstätte. Auf dem Bugspriet waren wenigstens dreihundert Personen; längs der Schiffswände hingen wenigstens hundertfünfzig bis zweihundert an Tauen, die man an den Oberbalken des Schisses befestigt hatte, Manchmal klammerten sich zwanzig bis dreißig an dasselbe Tau. Das im Innern des Schiffes rasende Feuer verbrannte diese Taue, und alle die Unglücklichen verschwanden rettungslos in den Wogen: erst als Leichname tauchten sie wieder auf. Auf solche Weise sahen wir 250 bis 300 Menschen umkommen.“

Hierauf nimmt Capitain Renaud den Faden der Erzählung selbst wieder auf, indem er über die bewerkstelligte Rettung berichtet. Nach viermaligem Hin- und Herfahren mit den Booten gelang es den beiden Steuerleuten, 45 unglückliche an Bord der „Maurice“ zu bringen, wo ihnen sofort der nöthige Beistand geleistet wurde. Um 9 Uhr Abends erreichte dann auch ein stark mit Wasser angefülltes Boot der „Austria“ die Bark. Es hatte 20 Personen an Bord. Das letzte Boot des französischen Schiffes hatte nur noch zwei Personen retten können. Als es zur Bark zurückkehrte, war es bereits schon völlig Nacht. Herr Bertaud, der es befehligte, sagte aus, daß die noch am brennenden Schiff befindlichen Unglücklichen im Hinblick auf die schreckliche Nacht, die vor Ihnen lag, sich größtenteils in’s Meer stürzten und nur als Leichen wieder auftauchten. Das Schauspiel war über alle Beschreibungen entsetzlich; die Ruder seines Bootes tauchten nie ins Wasser, ohne Leichen bei Seite schieben zu müssen. „Um meine Leute nicht unnütz auszusetzen und da auch die See anfing, hoch zu gehen,“ sagt Capitain Renaud, „hielt ich mich in der Nähe des Schiffes, um am andern Morgen zu sehen, ob nicht noch mehr Opfer zu retten seien. Frühzeitig aber war ein norwegisches Schiff mir zuvorgekommen, und als ich den Rumpf des Dampfers durch mein Fernrohr betrachtete, konnte ich nirgends mehr einen Menschen entdecken.“

Dieser Erzählung fügt Capitain Renauld mit Unwillen die Bemerkung bei, daß, während er Alles that, um Unglückliche zu retten, drei andere Schiffe, deren Rumpf er erkennen konnte, und die mithin auch ihn sehen mußten, unbekümmert um das entsetzliche Unglück, vorübersegelten. Seinen Officieren wie der gesammten Mannschaft seines Schiffes ertheilt der Capitain das beste Zeugniß. Man sorgte auf alle erdenkliche Weise für die Unglücklichen, von denen Manche schwere Brandwunden erhalten hatten. „Sechs litten besonders heftig“ – fügt er hinzu – „und einer derselben war ganz mit Brandwunden bedeckt, so daß es zu verwundern ist, wie sich derselbe so lange schwimmend erhalten konnte.“ Am 19. September erreichte der „Maurice“ Fayal und landete hier diejenigen Geretteten, die am Bord seines Schiffes geblieben waren. – Hiermit sind die Quellen, die uns bis jetzt über den Verlauf dieses grauenvollen Ereignisses zu Gebote stehen, erschöpft. Das Ereignis selbst ist aber ein so ganz außerordentliches. Das wir unsere Schilderung desselben hier noch nicht schließen können. Bei der allgemeinen Theilnahme, die es auf beiden Erdhälften erweckte, so wie die erste Kunde davon durch den Telegraphen nach allen Richtungen hin verbreitet wurde, konnte es nicht fehlen, daß das Geschehene in der Presse die verschiedensten Beurtheilungen finden mußte. Man hatte ein solches Unglück nicht für möglich gehalten, und eben darum nahmen sehr viele an, es müsse das Unglück selbst die Schuld unverantwortlicher Nachlässigkeit und eines Aufhörens aller Disciplin an Bord des Schiffes unmittelbar nach dem Ausbruche des Feuers sein. Die amerikanische Presse insbesondere fällt sehr harte Urtheile und verdammt namentlich die Handlungsweise des unglücklichen Capitains. Leider kann dieser beklagenswerte Mann sich nicht mehr vertheidigen. Er muß es dulden, daß man ihn schmäht, ihm Unfähigkeit, ja sogar Feigheit vorwirft. Wir sollten aber vorsichtiger sein in unserem Urtheile, denn obwohl eine Menge Aussagen Ueberlebender Bemerkungen fallen lassen, die fast wie eine Anklage klingen, dürfen wir diesen doch nicht blindlings vertrauen. Neben den Berichten der Passagiere werden die Aussagen der geretteten Officiere doch auch zu beherzigen seien. Schon die Erklärung derselben in der „Times“ deutet an, daß das entfeselte Element menschlicher Anstrengung von Anfang an spottete. Professor Glaubensklee, ein Zeuge, dessen Wort schwer in’s Gewicht fallen dürfte bei Beurtheilung des Brandes der „Austria“, hat in New-York erklärt, daß Capitain wie Officiere und Mannschaft des unglücklichen Schiffes ihre Pflicht vollständig gethan hatten, nur das reißend schnelle Umsichgreifen der Flamme machte jeden Rettungsversuch unnütz, und verhinderte die Bergung der Passagiere. Wir wissen, daß innerhalb weniger Minuten das ganze Zwischendeck in Flammen stand. daß zehn Minuten genügten, die Flammen durch alle drei Decks hindurch zu verbreiten, das Schiff in zwei Hälften zu theilen. und drei der Rettungsboote in Brand zu setzen. Die Furcht vor dem Tode und das Unerwartete des Unglücks jagte die entsetzten Passagiere nach den Booten. Die Angst raubte der Mehrzahl alle Besinnung, und obwohl die Officiere ihre Befehle ertheilten, die Mannschaft diese vollzog, wo sie überhaupt gehört wurden, konnten doch einige wenige Männer dem Andrange Hunderter nicht begegnen. Daß bei diesem Sturm auf die Boote, den nächsten und anscheinend sichersten Rettungsmitteln, diese beim Herablassen oder Herabstürzen in’s Meer umschlagen, an die fortarbeitende Schraube treiben, und hier zerschellen mußten, läßt sich leicht begreifen.

Man hat die Katastrophe der „Austria“ mit dem Untergange des „Central-Amerika“, des „Arctic“ und anderer großer Schiffe verglichen und bemerkt dabei daß auf jenen eine musterhafte Ordnung geherrscht und die Befehlenden ungleich besser ihrer Pflicht eingedenk gewesen waren. Diese Vergleiche, dünkt uns, hinken gewaltig. Der Untergang jener Schiffe und die Rettung der darauf befindlichen Menschen, so weit sie bewerkstelligt werden konnte, fand unter ganz anderen Umständen statt, als der der „Austria“. Sturm und Wogen waren die Vernichter derselben, die Gefahr nahte sich nach und nach, man hatte Zeit, Vorkehrungen zu treffen. Zu überlegen, was zu thun am zweckmäßigsten sei. Die „Austria“ dagegen segelte bei schönem, fast stillem Wetter ruhig ihren Cours. Alles athmete auf, weil man die böse Zeit endlich für überstanden hielt. Kein Mensch, auch die Aengstlichsten nicht, vermuthete ein Unglück Da brannte plötzlich das Schiff von einem Ende zum andern! Weil Niemand einen Ausweg sah, wollte jeder Einzelne, dem natürlichen Triebe der Selbsterhaltung folgend, diesen auf eine oder die andere Weise erzwiengen. Ein solches gleichsam vom Himmel herabfallendes Unglück war wohl geeignet, auf Alle gleich lähmend zu wirken, und wir sind der Meinung kein Capitain der Welt würde dies fürchterliche Unglück haben bewältigen und die auf dem Schiffe weilenden Passagiere retten können.

Den Ausruf des Capitains, als der Feueralarm ihn aus seinem Privatcabinet aufschreckte, in das er sich auf einige Zeit zurückgezogen hatte: „Wir sind Alle verloren!“ macht man dem Unlücklichen Manne zum schweren Vorwurfe. Aus ihm folgert man, er habe den Kopf verloren gehabt und nicht mehr gewußt, was er beginnen solle. Wir unsererseits können, hat er diese verhängnißvollen Worte wirklich gesprochen, darin nur den willenlosen Seufzer eines tief fühlenden Menschen erkennen, den beim Anblick der wild auflodernden Flammen das Bewußtsein seiner Hülflosigkeit überkam. Freilich verlangt die Welt, ein Seemann solle jeder Gefahr unerschrocken in’s Auge schauen; die Tugend des echten Seemanns bestehe eben in einer Kaltblütigkeit, die sich durch nichts erschüttern lasse. Ein solches Verlangen mag gerechtfertigt sein, der Fall mit der „Austria“ dürfte aber auch in dieser Hinsicht eine Ausnahme machen. Capitain [648] Heydtmann galt nicht blos für einen unerschrockenen, vor den drohendsten Gefahren nicht zurückschreckenden Seemann, er war es auch. Seine seemännische Vergangenheit legt Zeugniß davon ab. Dafür spricht unter Anderm ein Schreiben William Fraser’s im „Globe.“ Dieser Mann kannte die „Austria“ und deren Capitain. Er hatte das Schiff in Plymouth besucht, als es nach jenem schon zu Anfange dieses Aufsatzes erwähnten Sturme, mit einem ganzen Regiment englischer Soldaten an Bord, Zuflucht an Englands Küsten suchen mußte. Capitain Heydtmann hatte volle 14 Stunden lang das Deck nicht verlassen; um nicht von den Sturzseen über Bord gespült zu werden, ließ er sich festbinden, ertheilte mit größter Unerschrockenheit seine Befehle und brachte das ganze Regiment, mit Verlust nur eines einzigen Soldaten, glücklich zurück nach Plymouth. Derselbe Mann berichtet, der Capitain sei damals den Ingenieuren, die das Schiff rettunglos für verloren hielten, mit der Pistole in der Hand entgegengetreten und habe gedroht, jeden niederzuschießen, der seinen Posten verlasse. Diese Ruhe und Entschlossenheit rettete das Schiff, Mannschaft und Militair. Herr Fraser mag aber nicht Unrecht haben, wenn er hinzufügt, es sei eine mehr als schwere Aufgabe, Hunderte von Passagieren, die mehrere Sprachen redeten, in einem Unglück, wie es die „Austria“ heimsuchte, ruhig zu erhalten. Wir glauben allerdings, daß diese Aufgabe kein Seemann so leicht genügend zu lösen im Stande sein dürfte.

Im Hinblick auf die ganz außerordentlichen Umstände, unter denen die „Austria“ in Brand gerieth, finden wir es daher hart und lieblos, über einen Todten schonungslos den Stab zu brechen, ehe noch vollständig zuverlässige Aussagen über den Hergang der Sache von allen Seiten vorliegen. Wenigstens wird man den Aussagen der Officiere und den von der Mannschaft Geretteten, ehe man ein Schlußurtheil fällt, doch eben so viel Gewicht beilegen müssen, als den vielfach unklaren Erzählungen der Passagiere.

Anders dagegen gestalten sich die Dinge, wenn wir der Entstehung des Feuers unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Hier haben jedenfalls sehr grobe Versehen stattgefunden oder man ist nicht mit der bei einer Theerräucherung erforderlichen Vorsicht zu Werke gegangen. Nur darf man die Schuld dieser Versehen nicht dem Capitain aufbürden wollen, der persönlich dabei gar nichts zu schaffen hatte. Diese Schuld trifft nur den Officier und diejenigen Leute von der Mannschaft, die dazu beordert waren. Leider kann man auch diese nicht befragen, noch zur Rechenschaft ziehen, denn sie büßten ihre Unvorsichtigkeit mit dem Leben. Den Hergang bei dieser unseligen Räucherung kennen wir ebenfalls noch nicht zur Genüge, denn von allen Augenzeugen, welche über den Brand der „Austria“ berichteten, hat kein Einziger etwas Anderes erzählt, als daß das Feuer beim Räuchern entstanden sei. Keiner von diesen Berichterstattern war wirklich dabei; sie alle wissen nur, daß der vierte Officier und ein Bootsmann mit einem Gefäß voll Theer und einem glühenden Eisen in’s Zwischendeck hinabstiegen. Was unten geschah, wie es kam, daß das Gefäß, nachdem es Feuer gefangen, umstürzte, was die dabei Beschäftigten thaten, um die Gluth im Entstehen noch zu ersticken: über diesem Allem schwebt ein undurchdringliches Dunkel. Erst das Emporlodern der Flammen machte die auf Deck weilenden Passagiere und die Officiere, welche die Wache hatten, aufmerksam. Mit dem Ausschlagen der hellen Lohe aber scheint auch jede Rettung unmöglich gewesen zu sein, denn die Flammen zeigten sich, wie Viele berichten, gleichzeitig in der Mitte des Schiffes und an den Luken des Vordertheils.

Einige Passagiere geben weiter in ihren Erzählungen an, es seien nirgends Vorkehrungen zum Löschen vorhanden gewesen, auch habe es an Rettungsmitteln gefehlt, deren die Passagiere sich hätten bedienen können. Wer die Einrichtung der Hamburgischen Ocean-Dampfer kennt und je einmal eins dieser schönen Schiffe sich etwas genauer betrachtet hat, der muß bei Lesung solcher Bemerkungen den Kopf schütteln. Außer den schon erwähnten acht Rettungsbooten, die für die große Zahl der Passagiere, welche die „Austria“ am Bord hatte, allerdings nicht ausreichend sein konnten, besaß das Schiff noch eine beträchtliche Anzahl sogenannter Lifeboys, sowie 40 mit Korkspänen gefüllte Matratzen. Diese waren mit Riemen und Schnallen versehen, so daß sich dieselben Jeder zum Schwimmen ohne große Schwierigkeit umschnallen konnte. Endlich fehlte es auch durchaus nicht an hinreichenden Löschapparaten; denn außer einer Patent-Downtons-Feuerspritze, die mit Zweigröhren versehen war und deren Wasser durch anzuschnallende Schläuche je nach den Umständen sowohl über das obere Deck, wie in die unteren Deckräume hingeleitet werden konnte, waren auch an der Dampfpumpe Röhren und Hähne angebracht, mittelst deren sich jedes Deck hinreichend mit Wasser übergießen ließ. Ist nun von allen diesen Vorrichtungen gar kein oder ein höchst ungenügender Gebrauch gemacht worden, so müssen wir so lange, bis das Gegentheil bewiesen ist, an der Ansicht festhalten, daß nur die mit Blitzesschnelle durch die unteren Deckräume sich ausbreitenden Flammen, die ja, wie die Aussagen aller Augenzeugen berichten, auch sogleich das obere Deck ergriffen und den Verkehr auf diesem zwischen Hinter- und Vordertheil des Schiffes aufhoben, Officiere und Mannschaft verhindert haben, sich derselben zur Unterdrückung des Feuers zu bedienen.

Die drei ersten Officiere der „Austria“ nebst einigen Personen von der Mannschaft haben die entsetzliche Katastrophe derselben überlebt. Ihre Aussagen vor Gericht bringen hoffentlich etwas mehr Licht in das Dunkel der schrecklichen Begebenheit. Die Publication dieser Aussagen erwartet nicht blos Hamburg, sondern die ganze Welt. Die Behörde darf und wird also, davon sind wir fest überzeugt, nicht länger, als eben nöthig, mit der Veröffentlichung zaudern. Sie ist diese Ehre der Hamburgischen Flagge und dem Rufe der deutschen Seeleute schuldig, deren Tüchtigkeit bisher noch von keiner Nation der Welt angezweifelt worden ist.

(Namensverzeichniß der Mannschaft und Passagiere s. Seite 650 u. ff.)





  1. So eben geht uns eine Nummer der Times zu welche ein vom 14. Octbr. datirtes Schreiben der geretteten drei Officiere der „Austria“ nebst sechs von der Mannschaft an die Redaction genannten Blattes enthält. Darin sagen dieselben aus, der Capitain sei unmittelbar nach dem Rufe „Feuer“ auf der Brücke erschienen und habe Befehl gegeben. die Pumpen in Bewegung zu setzen. Diesem Befehle wurde ordnungsmäßig Folge geleistet, leider aber blieb er deshalb erfolglos, weil das Blei an den Pumpen durch das Feuer bereits geschmolzen war. Sie gaben kein Wasser und die Gluth ließ auch ein Arbeiten am Heerde des Feuers nicht lange zu. Eben so war es unmöglich, zu der Maschine zu gelangen, um diese zu sistiren. Innerhalb der ersten Viertelstunden brannten alle drei Decks vollständig. Da gab der Capitain Befehl die Boote herabzulassen.
    „Die Boote“, heißt es in diesem Schreiben, „waren vollkommen in Ordnung und so aufgehängt, daß sie in sehr kurzer Zeit herabgelassen werden konnten. Wir hatten eine regelmäßige Bootsordnung am Bord eingeführt, so daß jedem Einzelnen der Mannschaft sein bestimmtes Boot angewiesen war, das er in Nothfällen unter Befehl eines Officiers oder Bootsmannes zu bedienen hatte. Die Leute wurden durch die im höchsten Grade aufgeregten Passagiere, die bereits zu den Booten gestürzt waren, daran verhindert, zu den Booten zu gelangen. Wir versuchten, die Leute durch alle uns zu Geboote stehenden Mittel zurückzutreiben, jedoch vergeblich. Die vier Boote an der Steuerbordseite geriethen bald in Brand, da diese Seite den Flammen am meisten ausgesetzt war. Auf der Backbordseite wurden vier Boote herabgelassen, allein drei derselben wurden, ehe sie das Wasser erreichten, von den Passagieren, die sie überfüllten, zertrümmert, und nur eins der Boote konnte regelrecht flott gemacht werden. Nachdem der Capitain den Befehl ertheilt hatte, die Boote in’s Wasser zu lassen, haben wir ihn die Brücke herunterspringen, wahrscheinlich in der Absicht, die Passagiere in Ordnung zu halten. Als er auf’s Hinterdeck eilte, mußte er durch’s [635] Feuer hindurchlaufen, welches den vordern Theil des Schiffes bereits vom Schiffshintertheile trennte. Als er sich seinen Weg durch die Flammen bahnte, erhielt er bedeutende Verletzungen. Später sah ihn der erste Officier auf dem Backbord des Hintertheiles stehen. Wie es schien, war er durch die erlittenen Brandverletzungen betäubt. Einige Passagiere behaupten, sie hätten gesehen, wie er über Bord sprang.
    „Das einzige Boot, das das Wasser erreichte, ohne zerschellt zu werden, war eins der großen eisernen Rettungsboote. Es war zuerst, als es niedergelassen wurde, vollständig mit Menschen angefüllt; aber das Gewicht war so groß, daß viele von ihnen herausfielen, als das Boot das Wasser erreichte. Dreißig Menschen hielten sich in dem Boote, aber da das Boot voll Wasser geschlagen war, so kenterte es mehrere Male, wobei sieben Personen ertranken. Es blieben im Boote der erste Officier, sechs von der Mannschaft, ein Steward und funfzehn Passagiere. Um drei Uhr kam unser Boot von dem Dampfer los und wir blieben sofort zurück, da das Schiff vorwärts ging und wir nicht im Stande waren, das Boot zu handhaben, so daß wir bald vom Schiffe getrennt wurden. Wir gaben uns große Mühe, das Wasser aus dem Boote auszuschöpfen, kamen damit aber nicht eher zu Stande, als bis wir ein Floß aus den zum Boote gehörenden Rudern und Masten angefertigt und die Passagiere darauf gebracht hatten. Hierauf schöpften wir das Boot aus und nahmen dann die Passagiere wieder ein. Etwa eine Stunde, nachdem wir den Dampfer verlassen hatten, bekamen wir die französische Barke „Maurice“ in Sicht, ruderten auf dieselbe zu, erreichten sie um 8 Uhr und fanden bereits den dritten Officier und einige Passagiere am Bord.
    „Der zweite Officier wurde schwimmend von der „Maurice“ gegen 8½ Uhr auf[genom]men. Er war etwa um 2½ Uhr durch das Andrängen der Passagiere der „Austria“ über Bord gestoßen worden, als diese sich in sein Boot hineinstürzten und dasselbe zertrümmerten. Er hielt sich fast 6 Stunden lang durch Schwimmen über Wasser, ohne daß er irgend etwas gehabt hätte, an das er sich hätte festhalten können.
    „Der dritte Officier verließ den Dampfer um 5 Uhr. Er war auf Deck der „Austria“ geblieben, bis er sah, daß kein einziges Boot mehr vorhanden war, und wurde durch das Feuer über Bord getrieben. Er hielt sich an einem Taue außerhalb des Schiffes fest, bis um 5 Uhr die eisernen Platten des Schiffes roth wurden, worauf er in’s Wasser sprang. Er schwamm einige Zeit herum, fand dann einige Stücke Holz umhertreiben und hielt sich hieran über Wasser, bis er um 6½ Uhr, mit bedeutenden Brandwunden bedeckt, von dem französischen Boote aufgefischt wurde.
    „Als wir die „Austria“ verließen, waren drei Segel in Sicht, von denen einzig die französische Barke „Maurice“ herankam, um Hülfe zu leisten. Die „Maurice“ nahm 66 Personen an Bord, von denen 12 an Bord der nach Halifax bestimmten „Lotus“ übergeschifft wurden. Die Uebrigen wurden am 19. Septbr. auf Fayal an’s Land gesetzt, von wo aus die Passagiere sich an Bord des englischen Kriegsdampfers „Valorous“ nach New-York einschifften. Wir wurden von dem Londoner Dampfer „Ireland“ an Bord genommen, der uns auf unserer Rückreise nach Hamburg gestern in Gravesend an’s Land setzte.“