Die Obstkammer Berlins
Magdeburg! Eine Viertelstunde Aufenthalt! Nach Verlauf derselben dampft der Zug weiter berlinwärts. Von Magdeburg an, sagen wir uns, hört die Natur und ihre Poesie auf; aus der Region der Zuckerrübe kommen wir in die des Sandes und der Kiefern, wo still die Kartoffel blüht und das Tauchen des Wasserhuhns die einzige Bewegung in der Natur ist, in jene Gegend, die schon seit allen Zeiten als des heiligen römischen Reiches Streusandbüchse verschrieen und verhöhnt war, in die Mark Brandenburg. Selbst der Bahnzug will der ihm drohenden Langeweile sobald wie möglich entfliehen; die Locomotive
[441] beginnt durch die weite Ebene wie toll dahin zu rasen, und wir drücken uns in eine Ecke des Coupés und beginnen recht sanft zu schlafen – etwa zwei Stunden lang, dann werden wir durch einen kräftigen Ruck des Waggons aufgerüttelt; halb schlaftrunken noch, werfen wir einen Blick rechts durch das Fenster des Waggons, und ein Ausruf des Erstaunens, der Ueberraschung, ja des Entzückens entfährt unsern Lippen. Vor unsern Augen breitet sich eine weite seeartige Wasserfläche aus – wir sind am Ende des Juni – der Himmel ist sonnenblau, aber das Azurblau desselben ist blaß gegen die tiefe Ultramarinfarbe des immensen Wasserspiegels, dessen glatte, nur hier und da von einem Luftzug gekräuselte Fluth die hoch im Aether stehende Sonne an verschiedenen Stellen mit ihrem flüssigen Golde färbt. Das Gold und das Blau fließen ineinander und gehen in der Ferne in einen Silberton über, in welchem Wasser, Horizont und Luft verschwimmen. Sanfte Hügelwellungen steigen rings aus der Fluth empor und grenzen dieselbe in zwei weiten Halbkreisen wie eine Bucht von dem übrigen Spiegel ab, der sich vorwärts auf Stunden weit ausbreitet. Diese Erhöhungen sind mit dichtem Grün bedeckt; es ist nicht die düstere Farbe der Kiefern, auch nicht das Grün des Buchen- oder Eichenwaldes: es sind Obstbaumpflanzungen, die sich ununterbrochen über das ganze Hügelterrain fortziehen; auch nicht ein einziges kahles Fleckchen ist zu erblicken. Mitten aus der blauen Bucht hebt sich eine Insel in einer sanften Erhöhung empor; mit derselben entsteigen der glatten Fluth menschliche Wohnungen; hart am Ufer liegen in malerischer Gruppirung Fischerhütten, erkennbar an den davorliegenden Kähnen und den aufgespannten Netzen; weiter nach der Höhe hin tauchen aus den niedrigen rothen Ziegeldächern stattliche Giebelhäuser aus rothen Ziegelsteinen empor; und auf der Spitze des mitten aus der runden Buchtung auftauchenden Eilandes erhebt sich, die Menschenwohnungen weit überragend, eine gothische Kirche, die ihre spitzen Thürme und Thürmchen mit dem reichen steinernen Laubwerke und dem von den Sonnenstrahlen vergoldeten Kreuze wie eine stille Hymne in den goldenen Aether emporhebt. Sind wir noch in einem Traume befangen, haben die Bilder der Gegenden, in denen wir noch vor zwei, drei Tagen geweilt haben, sich so mächtig an unserer Phantasie erwiesen, daß sie plötzlich in frischer Lebendigkeit hier vor uns aufsteigen?
Unser Blick ist nicht mehr schlaftrunken; das wie eine Fata Morgana vor uns aufsteigende herrliche Landschaftsbild hat ihn plötzlich erhellt, und unmittelbar rechts und links von unserem Waggon schauen wir in die üppigste Vegetation. Aus dem tiefgrünen Laube blinkt die große braune Kirsche; fast der ganze Boden ist mit Erdbeerpflanzen bedeckt; an den Mauern und Bretterwänden sehen wir Aprikosen-, Pfirsich- und Weinspaliere. Zwischen den Obstbäumen ziehen sich noch dichte Himbeer- und Johannisbeerhecken durch; Alles wuchert und grünt, blüht und reift, und wo der Himmel nur irgend einen Sonnenstrahl hindurch läßt, da hat die Menschenhand einen Baum gepflanzt, daß die Himmelsleuchte durch Licht und Wärme sich zu Früchten gestalte und den Menschen zu einem köstlichen Genusse werde. Es ist eine Entfaltung der Natur, wie man sie nur im Süden kennt; es ist ein Landschaftsbild, das man an jedem andern vom Himmel gefallenen Fleck Erde vermuthete, nur nicht hier in der Mark.
Aber sind wir auch in der Mark?
Gewiß. In einer Viertelstunde sind wir in Potsdam, in drei Viertelstunden in Berlin.
Und wie heißt die Insel, die dort im See liegt?
Es ist kein See – es ist die Havel, und der Ort heißt Werder und bedeutet einen von Wasser umflossenen Ort. Der Name ist also deutsch; jedenfalls ist aber anzunehmen, daß, wie so viele Orte in der Nähe des Inselstädtchens, auch dieser einen slavischen Namen getragen habe. Die Kirche hat in der Mark mit den slavischen Elementen aufgeräumt; ihr war die schwierige Arbeit beschieden; ihr gehören die großen Erfolge der Germanisirung dieser Gegenden, und sie mag auch den slavischen Namen der Halbinsel in den deutschen umgewandelt haben. Bereits im Anfange des vierzehnten Jahrhunderts war Werder im Besitze des benachbarten Klosters Lehnin und blieb es bis zur Reformation. Da nahm Joachim der Zweite von Brandenburg, wie so viele andere deutsche Fürsten, den geistlichen Herren die große Mühe, so viel Land und Leute regieren und verwalten zu müssen, bereitwilligst ab und setzte sich in Besitz der Klostergüter, die aus vierundzwanzig Dörfern und so und so viel Vorwerken bestanden. Nun wurde Werder kurfürstliches Domanialgut, aber es blieb immerhin ein ziemlich unbedeutender Flecken bis in das achtzehnte Jahrhundert hinein, wo für den aus achtzehn Bürgern (Hüfern) und achtundzwanzig Kossäthen (Halbbürgern) bestehenden Ort eine Zeit des Aufblühens anfing.
Bald nach dem Antritt seiner Regierung begann Friedrich Wilhelm der Erste, der Vater Friedrich’s des Großen, jene bauliche Neugestaltung der Residenz Potsdam, die später sein großer Sohn bis zum Ende seiner Regierung vollendete. Er machte den Anfang mit dem sogenannten holländischen Viertel, mit Häusern, wie sie damals an den Grachten der holländischen Städte zu sehen waren, von rothen Ziegelsteinen mit weißen Steineinfassungen um Thüren und Fenster. Durch den großen Bedarf an Baumaterial entstanden auf der Werder’schen Feldmark die ersten Ziegelbrennereien und legten so den ersten Grundstein zu einer Industrie, die sich bis heutigen Tages bei der in Berlin herrschenden Bauwuth zu einer erstaunlichen Höhe emporgeschwungen und die schon damals in verhältnißmäßig kurzer Zeit dem kleinen Orte zu einer Zunahme an Einwohnern und zu einem gewissen Wohlstande verholfen hatte. Aber der Lehmboden war es nicht allein, aus dem eine so wichtige Existenzquelle für das Städtchen geschaffen wurde; Werder bekam auch noch eine Garnison und zwar einen der merkwürdigsten Truppentheile, die wohl je in einer Armee existirt haben. Friedrich Wilhelm der Erste hatte das Leib- oder Königsregiment errichtet, jene Riesengarde, welche die Bewunderung Europas erregte und für die in der ganzen Welt die längsten Menschenkinder geworben oder eingefangen wurden. Was für ein weibliches Herz die Brillanten sind, das waren für ihn seine langen Blauröcke.
Er war ein frommer Mann; aber wahrscheinlich konnte er sich auch den lieben Gott nicht anders vorstellen, als in der Uniform seines Riesenregimentes und von wenigstens sechs Fuß Länge. Im Regimente waren Franzosen, Italiener, Spanier, Portugiesen, Ungarn, Croaten, Polen, Böhmen, Engländer, Russen, Türken, Schweden, ja selbst Aethiopier. Die Grenadiere waren nicht in großen Casernen vereinigt, sondern in Bürgerhäusern untergebracht; diese Häuser ließ der König den Bürgern mit der Verpflichtung bauen, so und so viel Mann dafür aufzunehmen, für sie zu kochen, zu scheuern, überhaupt alle Handreichungen des häuslichen Lebens zu verrichten. Kein Soldat durfte Handarbeit verrichten, und Alles, was er brauchte, mußte ihm von der Wirthin geholt werden.
Nach Werder verlegte Friedrich Wilhelm der Erste hundertfünfzig Mann des Regimentes, namentlich junge Leute. Hier hatte er für sie ebenfalls Wohnungen wie in Potsdam bauen lassen; hier konnten sie nicht desertiren. Das war bei einer Truppe, die nur durch den sclavischen Gehorsam und durch die Furcht vor der allerdings grausamen Strafe zusammengehalten wurde, beständig zu gewärtigen. Die sächsische Grenze lag in der Nähe, und hatte dieselbe Einer erreicht, so war er frei von allen Fesseln, mit denen ihn hier eine eiserne Disciplin gefangen hielt. Potsdam war ein militärisches Kloster und Werder seine Filiale. Wer hier eintrat, für den war die Hoffnung zu Ende, für den gab es keine andere Aussicht mehr, als etwa die auf ein Grab des Garnisonkirchhofes. Hier regierte nur das Reglement, der Stock, die Disciplin. Exerciren und Wachtdienst thun, damit ward das ganze Leben hingebracht, und den übrigen leeren Raum füllte eine ungeheure Monotonie. Dabei befanden sich materiell die Leute noch in einer günstigen Lage. Sie wohnten gut; sie waren vortrefflich verpflegt; manche, namentlich Leute von Stande, bekamen bis zu zwanzig Thalern monatliche Zulage; sie waren nicht mit übermäßigem Dienste geplagt; sie trugen eine prächtige Uniform – aber alle diese Vortheile, was waren sie für elende Nothbehelfe für den Athem der Freiheit, nach dem selbst die stupideste Menschenseele ringt, wenn er ihr fehlt, für jenen Drang der Selbstbestimmung, der sich sagt: „Ich bin ich mit allen Kräften meines Lebens, mit allem Willen meiner Seele; ich bin ich und kein Anderer, und wenn ich mich einem äußeren Gesetze unterwerfe, so thue ich es mit vollem Bewußtsein meiner Freiheit, meiner Einsicht und des Pflichtgefühls, das die Unterwerfung des Einzelnen unter das Ganze fordert.“ Erst eine spätere Zeit allerdings [442] verlieh dem Individuum diese stolze und würdige Sprache; sie war unter Friedrich Wilhelm dem Ersten nicht an der Zeit; sie war es auch noch nicht unter seinem großen Sohne; was militärische Disciplin anbelangt, so hielt dieser die Zügel noch straffer, als es sein Vater gethan hatte. Er hatte aus dem Stamme des Lieblingsregiments seines Vaters und aus dem Regimente, dessen Chef er als Kronprinz war, ein Garde-Grenadierbataillon gebildet. Das Bataillon, etwa achthundert Mann stark, war eine von aller Berührung mit der übrigen Garnison in sich abgeschlossene Truppe; es waren ihm für seinen Bezirk gewisse Straßen der Stadt angewiesen, und diese durfte kein Grenadier ohne Paß verlassen. In das Freie gelangte er nur dann, wenn er zum Exerciren marschirte. Diese Soldaten waren die Prätorianer der preußischen Armee, und wenn sie nicht in Reihe und Glied standen, so war ihnen jede Freiheit, ausgenommen die, ihren Bataillonsbezirk zu verlassen, ja selbst jede Unart erlaubt. Um sich die tödtliche Langeweile zu vertreiben, schlugen sie auf der Straße Ball, führten sie dramatische Vorstellungen auf, tanzten, predigten, musicirten, stellten sie Maskeraden an.
Sie durften nicht verheirathet sein, aber wenn einem Grenadier auf der Straße ein Mädchen begegnete und sie ihm gefiel, so brauchte sich der Betreffende nur bei dem Commandeur seiner Compagnie zu melden und sich einen Zettel geben zu lassen des Inhalts: „Der Grenadier N. N. hat die Erlaubniß, die X. X. als Geliebte zu sich zu nehmen.“ Dann mußte – sehr bezeichnend für die damalige brüske Militärwirthschaft – das Waisenhaus seinen weiblichen Zögling, der Wirth sein Dienstmädchen hingeben, so lange es dem Grenadier gefiel, sie bei sich zu behalten; nachher lieferte er sie wieder zurück. Die Kinder, die einer solchen an’s Mormonenhafte erinnernden Verbindung entsprossen, wurden in das Waisenhaus geschickt. Nicht selten aber kam es auch vor, daß derartige Verhältnisse durch das ganze Leben dauerten.
War einer dieser Grenadiere wegen Alters oder wegen Gebrechlichkeit dienstunbrauchbar geworden, dann wurde er nach Werder versetzt. Die Havelinsel war das Invalidenhaus dieses Garde-Grenadierbataillons; hier bezogen die Ausrangirten die Wohnungen, die schon Friedrich Wilhelm der Erste für seine Riesen hatte erbauen lassen Der Gemeine bekam monatlich vier Thaler Tractament und für jede Bataille, die er mitgemacht hatte, einen Thaler Zulage, und auch Montur, aber nicht die reiche des activen Soldaten. Vom Dienste war er nicht ganz befreit. Es waren dreihundert Invaliden hier versammelt, und an schönen sonnigen Tagen saßen sie vor den Häusern des Städtchens in Gruppen beisammen und erzählten sich wohl von der Affaire bei Collin, wo das Bataillon von der sächsischen Cavallerie fast niedergehauen, und doch nicht gewichen war; von der Schlacht bei Mollwitz, wo es zwölfmal mit Pelotons in eben der Ordnung wie auf dem Exercirplatze gefeuert hatte, und wie der König das Gedächtniß dieses Tages immer dadurch feierte, daß er die Mannschaft ausrücken und weiter nichts machen ließ, als zweimal mit Peloton chargiren, und wie er dabei zu sagen pflegte: „So machten es Eure Vorfahren bei Mollwitz.“ Dann mag auch wohl in diesen Tagen des Abschieds vom Leben im Herzen die Sehnsucht nach Heimath und Freiheit wieder aufgewacht sein, bis dann ab und zu über den stillen Wasserspiegel Pelotonfeuer wie bei Mollwitz ertönten, zum Zeichen, daß Einer der Tapferen in sechs Fuß Erde die Heimath und die Freiheit gefunden habe, die kein Friedrich der Große ihm vorenthalten konnte.
Nun sieht man keinen Veteranen mehr, gebeugt von des Lebens Last, mühsam auf den Straßen dahinhumpeln. Nur noch der Garnisonkirchhof erinnert an den Militärdespotismus des achtzehnten Jahrhunderts. Man kann nicht leugnen, daß dieses Invalidencorps für den Ort und seine Einwohner eine bedeutende Einnahmequelle war, aber eine jener trügerischen, die in einer vorübergehenden Institution und deren Zeitperiode, und nicht in natürlichen Verhältnissen wurzeln, und wodurch die Einwohner jedenfalls abgehalten wurden, die Kraft und den Reichthum, der in ihrem namentlich für die Zucht edler Obstsorten sich eignenden Boden beruht, zu erkennen und auszunutzen.
Das ganze Terrain um Werder ist Obstpflanzung. Acker- und Wiesenland ist nur wenig vorhanden. Wenn ein Einwohner auch nur einen kleinen Hof besitzt, so kann man gewiß sein, daß er denselben zur Hälfte zur Obstzucht benutzt. Der Boden, wenn auch vorzugsweise nur aus Sand bestehend, ist für diese Cultur vorzüglich geeignet, namentlich aber möchte die durch den großen Reichthum an Wasser erzeugte Feuchtigkeit der Luft das Geheimniß enthüllen, daß hier in geschützten Lagen die edelsten Fruchtarten gedeihen, und zwar in einer Form, einem Wohlgeschmacke, wie solche sonst nur den Früchten des Südens eigen sind. Früher baute der Werderaner ausschließlich Wein, aber diesen Zweig des Obstbaues beginnt er in neuester Zeit fast ganz ausgehen zu lassen; die ungarischen Trauben, die gegenwärtig in Masse nach Berlin geführt werden, machen ihm zuviel Concurrenz, und da der Ertrag in Anbetracht der Mühe und Kosten zu unsicher ist, so giebt er sich vorzüglich mit der Kirschen- und Erdbeercultur ab. Er bringt auch Aprikosen, Pfirsiche, Birnen, Aepfel, Pflaumen hervor – von letzteren aber nur die Edelpflaume; die gewöhnliche blaue Pflaume gedeiht um Werder nicht –, Kirschen und Erdbeeren sind dagegen fast ausschließlich seine Domäne. Diese liefert Werder in ausgezeichneter Qualität. Aber wie mühen sich die Leute im Schweiße ihre Angesichts auch ab, um diese herrlichen, saftigen Früchte zu erzeugen! Schon im Februar, sobald der Schnee geschmolzen, beginnt in den Obstgärten die Arbeit, die Bäume mit Dünger zu umlegen, sie von Moos zu reinigen, den Boden zu schurfen und zu lockern, und namentlich den gefährlichsten Feind des Obstbaumes, die Wickelraupe, zu entfernen, und das geht so den ganzen Frühling und Sommer fort, kaum daß in dieser Jahreszeit der Sonntag den Leuten einige Ruhestunden bringt. Es ist ein unablässiges Ringen mit der Natur, um dem Boden seine kostbarsten Gaben abzugewinnen. Die Blüthezeit der Kirschen und Erdbeeren ist eine Existenzfrage für den ganzen Ort. Sind die vierzehn Tage dieser Blüthekrisis glücklich vorüber, dann herrscht Jubel und Freude unter den Einwohnern, dann ist die Ernte auch gesichert, dann kommt aus Berlin der Segen des Mansfelder Bergbaues in reicher Fülle, dann braucht man für den Winter nicht weiter zu sorgen, dann werden nach sauren Sommerwochen frohe Winterfeste gefeiert und Musik und Tanz hören in dem Städtchen den ganzen Winter gar nicht mehr auf.
Dort in der Ferne zeigt sich ein schwarzer Punkt; derselbe kommt näher und näher, wächst und nimmt vor unsern Augen die Gestalt eines Dampfschiffes an, durch dessen Schornstein dicke Rauchwolken in den reinen Aether emporsteigen. So wie der Dampfer in Sicht der Kirche ist, dröhnt über das Wasser ein Böllerschuß. Das ist das Zeichen, daß der Obstdampfer, der durch gemeinsame Mittel der Einwohner angeschafft worden ist, von Berlin zurück ist und daß man sich in den Bergen und Obstgärten sputen möge. Es ist jetzt drei Uhr, um sechs Uhr Abends muß die neue Obstfracht eingeladen sein. Um diese Stunde geht der Dampfer wieder nach Berlin zurück. Nun wird es rings in den Geländen, in den Gärten auf den Wegen und Straßen, die auf die Landungsbrücke führen, lebendig von Karren und Wagen, die mit Hunden, Kühen, Pferden und Menschen bespannt sind, und die alle nach der Brücke sich bewegen; nun thürmen sich dort die Tienen, die kleinen hölzernen Gefäße, in welche das Obst verpackt ist, von Viertelstunde zu Viertelstunde auf; nun sind Hunderte von Händen beschäftigt, dieselben, deren Zahl im Anfang Juli oft bis auf zehntausend steigt, in die beiden durch Dampfkraft gezogenen Schleppkähne einzuladen. Um sechs Uhr ist Alles fertig, jede einzelne Tiene im Bureau gebucht; die Männer, die Waare auf dem Schiffe haben, kehren zu ihrer Arbeit in den Obstgärten zurück, die Weiber dagegen folgen ihren Tienen nach Berlin. Mit einem Kofferchen mit Lebensmitteln und mit einem Kopfkissen unter dem Arme quartieren sie sich bei gutem Wetter auf dem Verdeck des Dampfschiffes ein; sobald aber die Sterne aufziehen oder Regen eintritt, suchen sie die Cajüte auf, wo sie übernachten. Gegen Morgen vier, fünf Uhr läuft das Dampfschiff in den Humboldtshafen von Berlin ein; die Schleppkähne werden abgehakt und nach der Friedrichsbrücke weitergeschoben. Dort ist die Börse für den Obsthandel; dort empfangen die Berliner Höker die neue Waare, und wenn wir, in Berlin angekommen, am nächsten Tag ein gutes Diner machen und man uns zum Dessert Kirschen und Erdbeeren servirt, dann können wir sicher sein, daß es Früchte aus der märkischen Isola Bella sind.