Die Wartburg

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Autor: Ludwig Storch
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Titel: Die Wartburg
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aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 619–623
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Kurzbeschreibung:
Ein Beglückwünschungsblatt zu ihrer achten Säcularfeier
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Die Wartburg.
Ein Beglückwünschungsblatt zu ihrer achten Säcularfeier.
Von Ludwig Storch.
I.


Es mag in unseren Tagen schwerlich ein deutsches Herz von Bildung und Gefühl für Schönheit in Natur und Kunst, sowie von Liebe für große vaterländische Erinnerungen und specifisch deutsches Wesen geben, das sich der eigenthümlichen Geistesanregung und Gemüthserhebung zu entziehen vermöchte, welche, vielfach einem Zauber verglichen, schon vom Worte „Wartburg“ ausgehen.

Was ist der Grund dieser außerordentlichen Gemüths-, dieser ganz besonderen Wartburgstimmung, wie man dieselbe mit Recht genannt hat? Man wird sie sicherlich nicht den landschaftlichen Reizen der Bergveste und ihrer Umgebung allein zuschreiben, denn in dieser Hinsicht stehen in Thüringen noch andere wohl erhaltene und bewohnte Bergschlösser, wie z. B. die Schwarzburg und auch die Veste Koburg, ihr nicht nach; und sollten vorzüglich geschichtliche Erinnerungen mit dem Arabeskenschmuck der Sagen solche hohe Seelenstimmung in uns wach rufen, so dürfte für die Süddeutschen die Burg Nürnberg, für die Norddeutschen die Marienburg in Preußen leicht der Wartburg in dieser Beziehung den Rang streitig machen. Was endlich die specifischen Wartburgsagen betrifft, z. B. die von der heiligen Elisabeth, so tragen dieselben durchgehends einen so kindlich naiven Charakter oder sind so mit unmöglichen Wundern und Zeichen überladen, daß sie schlechterdings nicht ein maßgebendes Moment für die „Wartburgstimmung“ geben können. Viele werden dieses nun in dem Asyle Luther’s und seiner reformatorischen Thätigkeit auf Wartburg suchen, aber darauf läßt sich erwidern, daß Luther sich während des großen Augsburger Reichstags auch auf der Veste Koburg aufhielt und hier den weltberühmten Kampfgesang der Protestanten, sein Lied dichtete: „Eine feste Burg ist unser Gott etc.“, und trotzdem hat diese Burg noch lange keine so große welthistorische Bedeutung und ruft in ihrem Beschauer keine so hochpoetische Stimmung hervor wie die Wartburg.

Der Grund der hervorgehobenen auffallenden Erscheinung ist, daß die Wartburg bewußt oder unbewußt von allen Deutschen heutigen Tages als das einzige Nationalheiligthum unseres Volkes betrachtet und verehrt wird, als eine Lichtburg des deutschen Geistes, als geheiligte Cultstätte der deutschen Geistesfreiheit, als Kampf- und Siegesfestplatz der nie ermattenden Geistesarbeit des deutschen Genius. Was den Deutschen zum Deutschen prägt, was ihn zum Forscher und Vorkämpfer der Civilisation macht, das klare Wissen und der Muth dasselbe öffentlich zu bekennen, dieses charakteristische Abzeichen des Deutschthums finden wir in der Wartburg nicht nur symbolisch angedeutet, sondern auch verständlich ausgesprochen, sowohl in ihrer Geschichte, als auch in ihren von der patriotischen Liebe und Begeisterung eines hochsinnigen Fürsten erneuten Localitäten. Ja, in der Geschichte des Ringens und Kämpfens des deutschen Geistes gegen den bewältigenden und erstarrenden Orientalismus, wie es in den Hauptmomenten der Wartburgchronik so gewaltig und überzeugend bis auf unsere Tage hervortritt, in den Lichtspuren, welche dieser Kampf auf der Wartburg zurückgelassen hat, um sie zum deutschen Nationalheiligthum zu stempeln, ist der Grund der allgemeinen Begeisterung, Liebe und Verehrung des deutschen Volkes für seine Wartburg zu suchen.

Die Wartburg war keineswegs zur deutschen Geistesburg oder zum deutschen Nationalheiligthume erbaut, wie etwa die Akropolis in Athen zum Nationalheiligthum der Hellenen, oder der Tempel auf Morija zum Nationalheiligthum der Juden; die Wartburg ist das im Laufe der Zeit erst geworden; sie ist aus dem Geiste des deutschen Volks erst allmählich als Nationalheiligthum herausgewachsen, ja die Idee desselben hat sich erst seit 1817 langsam, aber schön herausgebildet und steht nun nach fünfzig drangvollen Jahren in ihrer vollen schönen Blüthe fest und unantastbar da, so daß wir heuer ihr herrliches Doppelfest feiern, das achthundertjährige Jubiläum ihrer Erbauung und das fünfzigjährige ihrer geistigen Wiedergeburt als Geistes- und Lichtburg Deutschlands, als Schmiedeesse und Werkstatt „des Wortes“, das „sie sollen lassen stahn und keinen Dank dazu haben“.

Von diesem hohen Standpunkte aus, den wir seit dem glücklichen Wendepunkte der deutschen Geschichte in den Befreiungskriegen gewonnen haben, dürfen wir die Geschichte der Wartburg und ihre Bedeutung für die Zukunft mit anderen Augen betrachten, als unseren Vorfahren vergönnt war. Und da drängt sich uns denn gleich die Bemerkung auf, wie thöricht und befangen es doch ist, immer wieder den deutschen Idealismus als unpraktischen Lebensverderber zu schelten, während er sich doch zuletzt stets als siegreicher Lebensveredler bewährt. Die Wartburg ist im Laufe von achthundert Jahren aus der Burg eines Grafen, dessen Vater, von bösen Schicksalen aus seinem Heimathlande Lothringen vertrieben, ein Stück rauhen Berglandes im nordwestlichen Thüringerwalde erworben und sich dort eine Burg Schauenburg bei Friedrichrode erbaut hatte, zur Lichtträgerin des deutschen Geistes geworden, die für die Zukunft unseres Volkes noch von großer Bedeutung zu werden verspricht. Das ist naturwüchsiger Idealismus. Keine Fürstenhand hat sie dazu gemacht, wie etwa die verunglückte Walhalla bei Regensburg, das Kind des gemachten und darum nicht lebensfähigen Idealismus, und nun erst, als sie im Geiste des Volks als Tempel des Deutschthums fertig ausgebaut war, hat ein Fürst voll hoher Pietät und Begeisterung für die Idee der Wartburg ihr auch wieder den würdigen königlichen Schmuck verliehen und dem geistigen (idealen) Ausbau den angemessenen künstlerischen hinzugefügt.

Wir finden, daß sie in ihrem neuen alterthümlichen Fürstengewande in einen auffallenden charakteristischen Gegensatz zu einer anderen thüringischen Burg getreten ist, die ihr im Geiste des Volks an poetischer Bedeutsamkeit schier gleichgestellt wird, dem

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[622] Kyffhäuser. Gleicht dieser mit seinem einsamen, alten, vom Zahn der Zeit stark angenagten Thurme einer alten verwitterten und zerschlagenen Kaiserstatue, deren Greisenkopf, mit der zerbrochenen Mauerkrone geziert, in die untergegangene Herrlichkeit des deutschen Reichs zurückschaut, so erscheint dagegen die Wartburg wie die Statue eines Götterjünglings in reichstem Schmuck alterthümlicher Gewandung, eichenlaubbekränzt, mit dem Schwerte seiner Mutter Germania geziert, die schwarzrothgoldene Fahne schwingend, mit gehobenem Fuße vorwärts schreitend und mit klarem Selbstbewußtsein in die hohe Herrlichkeit einer großen Zukunft schauend, die da kommen wird und muß, weil sie eine historische Nothwendigkeit ist. Kein Kaiser sitzt schlafend und träumend im Berge der Wartburg und fragt alle hundert Jahre nach den Raben, die den Thurm umkreisen; auf den Zinnen ihres neuen Thurmes, des Bergfrieds, sitzt der jugendliche Genius des deutschen Volks und richtet das spähende Auge nach Osten, nach der aufgehenden Sonne einer neuen Zeit, die nichts mehr zu schaffen haben wird mit der abgestorbenen Kaiserromantik, und horcht mit scharfem Ohre auf den Lerchen- und Nachtigallenschlag des Weltfrühlings, der in ihrem Haine seine wehenden Fahnen aufgestellt hat.

Die Gartenlaube kann natürlich keine Geschichte von Thüringen, keine Geschichte der Wartburg und ihrer fürstlichen Insassen, keine Erzählung ihrer zahlreichen Sagen und keine ausführliche Beschreibung ihrer restaurirten und noch zu restaurirenden Localitäten bringen. Wir müssen uns um so eher mit bloßen Andeutungen, mit Hervorhebung der Glanzpunkte begnügen, als die Wartburg bereits eine ziemlich umfangreiche Literatur hat und der treffliche „Führer auf der Wartburg“ von v. Ritgen Dem, welcher sich über die berühmte Bergveste unterrichten will, keinerlei angenehme Belehrung schuldig bleibt.

Den ersten Glanzpunkt der Wartburg in Geschichte und Sage bildet die Zeit des Landgrafen Hermann des Ersten und seines Sohnes Ludwig des Heiligen und dessen Gemahlin, der heiligen Elisabeth (1190–1240). Hier liegen alle Zauber mittelalterlicher Fürstenpracht, Hospitalität, poetischer Verherrlichung, Ritterlichkeit, Frauenwürde, Milde, christlicher Barmherzigkeit und aufopfernder Selbstverleugnung unmittelbar neben einander, um uns ein so köstliches Bild zu zeigen, wie in so engem Rahmen die Geschichte kaum ein zweites bieten dürfte.

Daß der Hof des Landgrafen Hermann auf Wartburg einer der glänzendsten, üppigsten und liederreichsten jener Zeit war, berichten übereinstimmend die Chroniken und die Lieder der vorzüglichsten Minnesinger, welche gastfreundliche Aufnahme auf der berühmten Fürstenburg fanden und vom Landgrafen und dessen Gemahlin hoch in Ehren gehalten wurden. Am meisten beweist es das höchst merkwürdige episch-lyrische Gedicht „der Singerkrieg auf Wartburg“ aus jener Zeit, dessen Verfasser nicht bekannt ist, sich aber nach der Angabe des Liedes unter den Singern auf Wartburg befand. Dieses Gedicht giebt an und ihm nach erzählen die Chronisten, daß im Jahre 1206 bis 1207 sechs der ausgezeichnetsten Minnesinger Deutschlands an Hermann’s Hofe verweilten und einen Wettgesang abhielten, wie sie damals in Gebrauch waren. Diese Singer waren Walter von der Vogelweide, Reimar (Reinhard) von Zweter, Wolfram von Eschenbach, Heinrich von Ofterdingen, Heinrich der Schreiber (Kanzler des Landgrafen) und Biterolf. Am ersten Kampftage erhebt sich Ofterdingen und preist den Herzog von Oesterreich als den tugendhaftesten aller Fürsten. Dagegen erhebt sich Walter von der Vogelweide und stellt den König von Frankreich entgegen; darauf die übrigen den Landgrafen von Thüringen. Der Kampf wird so bitter und ernst, daß die Singer ausmachen, der Unterliegende solle dem Scharfrichter Stempfel ausgeliefert werden. Nun wehrt sich Ofterdingen ritterlich, flüchtet aber zuletzt, um sein Leben vor der Uebermacht der übrigen Fünf zu retten, in den Schutz der Landgräfin Sophie. Wenn die Chronisten erzählen, Ofterdingen sei zuletzt durch Spiel mit falschen Würfeln seinen Gegnern unterlegen, so beruht diese Angabe auf falschem Verständniß einer Stelle des Gedichts, in welcher Ofterdingen sich beklagt: man spiele hier mit falschen Würfeln gegen ihn, bildlicher Ausdruck für: man verfahre nicht ehrlich und redlich mit ihm. Durch Vermittelung des Fürstenpaars wird nun ausgemacht und festgestellt, daß Ofterdingen den berühmten Meister Klingsor, der am ungarischen Königshof lebt, herbei holen und sich binnen Jahresfrist stellen soll, damit Klingsor den Streit entscheide. Damit endet der erste Theil des Gedichts. Der zweite ist nun durch Inhalt, Versmaß und mythische Beimischung so verschieden vom ersteren, daß er wahrscheinlich Bruchstück eines andern Gedichtes von einem andern Verfasser ist. Klingsor und Ofterdingen gelangen durch eine nächtliche Zauberfahrt im Schlafe in einer Nacht von Ungarn nach Eisenach und erscheinen bei Hofe. Von einer Entscheidung des alten Streites ist nicht mehr die Rede; es beginnt vielmehr zwischen Klingsor und Wolfram von Eschenbach ein zweiter Singerkampf philosophisch-theosophischer Natur, in welchem der große Zauberer von seinem Diener, einem höllischen Geiste Nasian, unterstützt wird. Nichtsdestoweniger bleibt der Kampf unentschieden und Alle vereinigen sich zuletzt in Güte. Unverkennbar ist Klingsor der Prototyp des spätern Faust.

Dieser zweite Theil des Gedichts ist selbstverständlich der bei Weitem wichtigere und hat für uns hohes Interesse. Denn an und in der Wartburg ist uns eben Alles symbolisch. Wie sie selbst uns das Symbol der Lichtburg des deutschen d. h. des menschheitlichen, Geistes ist, so ist ihr Sängerkrieg uns das Symbol des Kampfes zwischen Realismus und Idealismus, Autorität und Forschung, zwingender Satzung und sittlicher Freiheit, Glauben und Wissen. Nur so kommen wir zum Verständniß des Ganzen, wenn wir auch nicht im Stande sind, das auf einzelnen Theilen dieses merkwürdigen Gedichtes liegende Dunkel aufzuklären. Der kirchengläubige Wolfram von Eschenbach steht dem hohen Meister der Wissenschaft Klingsor und dessen Freunde, dem als besten Sänger gepriesenen Ofterdingen, gegenüber. Ein fast gleichzeitiger Chronist führt den Meister aus Ungarn also auf: „ein behender Philosoph und ein wohl gelehrter Mann in weltlichen Künsten, sonderlich wohl erfahren in Astronomie und schwarzer Kunst.“ Und Ofterdingen, in welchem man den Dichter unseres herrlichen Nationalepos, des Nibelungenliedes, vermuthet, gilt uns als Vertreter der deutschen Dichtkunst an sich. Wolfram von Eschenbach tritt aber als Vertheidiger der heiligen Messe und des ganzen christlich-kirchlichen Mythus auf. Auf der einen Seite stehen also die Vertreter der Wissenschaft und Kunst (Poesie), auf der andern die der Satzung. Der Streit bleibt unentschieden und wird vertagt. Die Sänger vertragen sich, so gut es gehen will. Aber der Wartburgkrieg ist außerhalb der Wartburg fortgesetzt worden in Deutschland und überall, wo Geist und Gemüth, wenn sie zur Reife gediehen, gegen die apodiktischen Aussprüche der Kirchengewalt Front zu machen sich gedrungen fühlten. Der Streit hat sich in größeren Dimensionen fortgepflanzt und wird noch heute mit der alten Erbitterung geführt.

Nächst diesem Sängerkriege ist es vorzüglich noch eine Gestalt, an welche sich die Romantik der Wartburg knüpft – die Gestalt der heiligen Elisabeth, der Gemahlin des Landgrafen Ludwig. Die innige Liebe und die unerschütterliche Treue, welche die beiden jungen Gatten verbanden, die Frömmigkeit der Fürstin, ihre stillen Tugenden der Mildthätigkeit; wie sie für die Armen spann und sie kleidete; wie sie die Hungernden speiste, als Mißwachs im Lande Tausende zu Bettlern gemacht hatte; wie sie sich die härtesten Entbehrungen auferlegte, ja sich geißelte, um, nach der Auffassung der damaligen Zeit, Gott wohlgefällig zu sein; wie sie nach dem auf der Fahrt zum gelobten Lande in Italien erfolgten frühen Tode ihres Gemahls von ihrem Schwager, dem unedlen, eigensüchtigen Heinrich Raspe, von der Wartburg vertrieben wurde und mitten im Winter schutzlos im Lande umherzog; wie sie endlich in Marburg in Hessen ein Asyl fand und hier fromm starb, so wie sie gelebt hatte, um schon wenige Jahre nach ihrem Heimgange heilig gesprochen zu werden – das Alles ist dem deutschen Volke in vielen Geschichten, in gereimten und ungereimten, erzählt worden und hat jetzt bei der Wiederherstellung der Burg auch durch Künstlerhand mannigfache Verherrlichung gefunden.

Mit Elisabeth verblaßt die eigentliche Poesie der Wartburg; erst Friedrich der Gebissene oder der Freudige übergießt das alte Landgrafenschloß noch einmal, wenn auch nicht mit dichterischem Hauche, so doch mit dem Glanze ritterlicher Thatkraft.

Als der fünfundzwanzigjährige Markgraf Albrecht in der von seinem Vater Heinrich dem Erlauchten gemachten Ländertheilung Thüringen überkam und die Wartburg als Landgraf bezog (1265), war er bereits seit neun Jahren mit einer Tochter des Kaisers Friedrich des Zweiten vermählt und Vater von vier Kindern, unter welchen die Söhne Friedrich und Diezmann (Dietrich) [623] zu nennen sind. In unkeuscher Liebe zu einer Hofdame seiner Gemahlin, Kunigunde von Eisenberg, entbrannt, beschloß er in Gemeinschaft mit dieser, welche ihm einen Sohn Apitz geboren, die Landgräfin Margaretha durch einen Eselstreiber, der das frische Wasser auf die Wartburg zu holen hatte, um’s Leben bringen zu lassen. Doch der gedungene Mörder entdeckte der unglücklichen jungen Fürstin den Plan und floh mit ihr aus der Burg. Ehe sie in einem Korbe an der westlichen Mauer Nachts hinabgelassen wurde, biß sie beim verzweiflungsvoll zärtlichen Abschied von ihren Kindern den ältesten Sohn Friedrich in die Wange, wovon er nachher den Beinamen erhielt. Schon nach zwei Monaten beschloß die edle Kaiserstochter ihr kummervolles Leben als Nonne des Katharinenklosters zu Frankfurt am Main (1270), und der verbrecherische Landgraf heirathete seine Buhle und suchte deren Sohn Apitz das Erbe seiner Söhne erster Ehe zuzuwenden, welche bei ihrem Oheim Dietrich dem Weisen, Markgrafen von Meißen, erzogen wurden. Im Streit zwischen ihnen und dem unartigen Vater gerieth der junge Prinz Friedrich in schwere Gefangenschaft auf der Wartburg (1281), aus welcher er erst nach Jahr und Tag durch List entkam. Kaum war nun nach dem frühen Tode der Landgräfin Kunigunde ein Vergleich zwischen dem Vater und den Söhnen zu Stande gekommen, in welchem Friedrich die Pfalzgrafschaft Sachsen, Diezmann das Pleißner Land, das mütterliche Erbe, erhalten sollte, als durch das Bestreben des Landgrafen, seinem Sohne Apitz verschiedene Güter und Schlösser als Eigenthum zu übergeben, der Streit von Neuem ausbrach, in welchem die Söhne glücklicher waren, als früher. Denn Albrecht gerieth in die Gefangenschaft seines Sohnes Friedrich (1289), aus welcher ihn nur die Zustimmung zu der Bedingung, ferner nichts ohne den Willen seiner Söhne zu unternehmen, befreien konnte.

Nun verheirathete er sich mit Elisabeth, der Wittwe Otto’s von Arnshaug, geborenen Reußin von Plauen, in deren gleichnamige Tochter sich Friedrich später verliebte und sie von Arnshaug entführte, um sich mit ihr zu vermählen (1299). Der Tod des Markgrafen Dietrich des Weisen, Albrecht’s Bruders (1283), und der seines einzigen Sohnes Friedrich des Stammlers (1291) erledigte das Meißnerland, welches Friedrich und Diezmann in Besitz nahmen. Aber ihr Vater machte Ansprüche darauf, und so entstand ein neuer Streit, welchen Albrecht dadurch zu beseitigen hoffte, daß er Thüringen und wahrscheinlich auch Meißen an den deutschen König Adolph von Nassau zu verkaufen suchte, der verheerend in Thüringen einfiel und, von Friedrich und Diezmann mit wechselndem Glücke bekämpft, nach zwei Jahren ohne sichern Erfolg das Land wieder verlassen mußte (1297), so daß im folgenden Jahre, wo Adolf Krone und Leben verlor, Thüringen bis auf einige Städte (darunter Eisenach) wieder in der Gewalt der beiden Landgrafensöhne war.

Friedrich’s Stief- und Schwiegermutter brachte eine neue Aussöhnung zwischen dem Vater und den Söhnen zu Stande und Friedrich verweilte mit seiner jungen Gemahlin längere Zeit auf der Wartburg.

Der alte Groll zwischen dem landgräflichen Hause und der Stadt Eisenach, die immer noch am Enkel der heiligen Elisabeth hing, kam 1306 wieder zum offenen Ausbruch. Die Bürger, in der Hoffnung, reichsunmittelbar zu werden, wandten sich an den neuen König Albrecht mit der Bitte um Hülfe gegen die Landgrafensöhne, und der König, der seines Vorgängers Adolph Rechte auf Thüringen auf sich übergegangen erklärte, sprach über Friedrich und Diezmann, die seiner Einladung zu einem Reichstag in Fulda nicht nachgekommen waren, die Acht aus, zog gegen sie zu Felde und warf Kriegsvolk nach Eisenach. Landgraf Albrecht auf Wartburg stand auf Seite des Königs Albrecht und wider seine Söhne. Da führte Friedrich einen glücklichen kühnen Handstreich auf die Wartburg aus. Aus dem Versteck einer tiefen Felsenschlucht, die von dieser Begebenheit den Namen der Landgrafenschlucht erhalten hat, nahte er sich mit seinen Reisigen in der Nacht heimlich der Wartburg, erstieg sie, mit seiner Stief- und Schwiegermutter im Einverständniß, auf der Südseite und nahm seinen Vater ohne Widerstand der Besatzung abermals gefangen, der dann, von seiner Gemahlin bestimmt, am andern Tage die Wartburg räumte und seinen Wohnsitz in Erfurt nahm, wo er nach acht Jahren (1314) in ziemlich ärmlichen Umständen starb. Die Bürger sammt der königlichen Besatzung von Eisenach, über diesen unerwarteten Schlag auf’s Höchste erbittert, beschlossen, Alles aufzubieten, um den tapfern Fürsten aus der Bergveste zu vertreiben. Aber obgleich der König die vorzüglichern thüringischen Städte aufbot und die Belagerung der Burg sehr ernstlich betrieb, so vermochte er sie doch nicht einzunehmen.

In dieser Zeit des Drangsals genas Friedrich’s Gemahlin eines Töchterleins, und der fromme Vater beschloß, da kein Kleriker auf Wartburg war, das Kind auf Schloß Tenneberg vom Abt von Reinhardsbrunn taufen zu lassen. Mit zehn Helmen, die Amme mit dem Kinde in der Mitte, ritt er in der Nacht von Wartburg über den Goulanger durch den Sengelsbach, wo die Feinde seiner ansichtig wurden und ihn verfolgten. Während des scharfen Rittes schreit das Kind nach Nahrung und läßt sich nicht beschwichtigen. Da hält der Fürst sein Roß an mit dem Ausrufe: „Halt, Kumpane, das Kind muß trinken und sollte es das Thüringer Land kosten!“ Die drohende Stellung des reisigen Häufleins hielt den nahenden Feind zurück und das gesättigte Mägdlein wurde glücklich zur Taufe nach Tenneberg gebracht. Dies ist gewiß einer der schönsten Züge in einem bewegten Heldenleben.

Es gelang Friedrich, Hülfe an Mannschaft und Lebensmitteln aufzutreiben, und die Besatzung der Burg also ver- und gestärkt machte nun siegreiche Ausfälle, und als am 31. Mai 1307 der König bei Lucka von den Prinzen vollständig geschlagen wurde, bekam die Besatzung der Wartburg Luft. Friedrich’s Länderbesitz vergrößerte sich gleich darauf durch das Erbe seines Bruders Diezmann, welcher in der Christnacht vor dem Altar der Thomaskirche in Leipzig knieend ermordet worden war, worauf die thüringischen Großen, bis auf wenige Städte und Herren, dem Markgrafen Friedrich als ihrem rechtmäßigen Fürsten und Landgrafen huldigten. Diesem Beispiel folgte auch Eisenach, als König Albrecht am 1. Mai 1308 von seinem Neffen Johann von Oesterreich ermordet worden war. Landgraf Friedrich sagte den Eisenachern volle Verzeihung zu, und der neue König Heinrich der Siebente entsagte allen Ansprüchen auf Thüringen und belehnte den Landgrafen Friedrich mit der Landgrafschaft Thüringen und der Markgrafschaft Meißen. Und er war ein weiser, tapferer und gerechter Landesfürst, noch oft in kriegerische Händel verstrickt, aus welchen er jedoch stets mit Ehren hervorging. Im Jahre 1317 äscherte ein Blitzstrahl einige Hauptgebäude der Wartburg ein, die der Landgraf, wenn auch nicht so prächtig wie erst, wieder herstellen ließ.

Gegen sein Lebensende verfiel dieser ausgezeichnete Fürst in Tiefsinn und schweres Gebreste, veranlaßt durch ein geistliches Schauspiel, welches die Mönche des Predigerklosters (Dominikaner) mit ihren Schülern in der sogenannten Rolle, einem öffentlichen Gebäude in Eisenach, am Abende vor dem Sonntag Misericordias (großem Ablaßfeste) 1322 aufführten. Es war das Spiel von den zehn Jungfrauen nach dem Evangelium des zehnten Trinitatis-Sonntags, Matthäus 25, 1–13., in welchem die fünf Thörichten trotz der Fürbitte der heiligen Jungfrau Maria von Teufeln in den Höllenrachen geschleudert werden. Der Landgraf wurde über diesen Schluß zornig, von Zweifel erfüllt, erlitt einen Schlagfluß und brachte zwei und ein halbes Jahr auf dem Krankenlager in Trübsinn zu, bis er am 16. November 1324 seinen Leiden erlag. – Im Jahre 1440 fielen die Thüringer Länder an die beiden Söhne des ersten Kurfürsten aus dem Hause Wettin, Friedrich des Streitbaren, an Kurfürst Friedrich den Sanftmüthigen und Herzog Wilhelm den Dritten, den Tapfern. Der Letztere wurde Herr von Thüringen und residirte in Weimar.

Die Wartburg stand verlassen und ihr fürstlicher Glanz erlosch. Sie trug von nun an den Wittwenschleier.

Mit Luther’s Aufenthalt auf der Wartburg beginnt dieselbe ihre zweite Glanzperiode. Diese sowohl, wie ihre spätere Geschichte, ihre prachtvolle Wiedergeburt durch den Großherzog Karl Alexander von Weimar und ihre nationale Bedeutung auch für die Zukunft wird ein zweiter Artikel darlegen.