Die Weissagespiele der Zwölfnächte
Die Weissagespiele der Zwölfnächte.
Soweit Germanen wohnen, soweit reicht auch die Heiligkeit der „Zwölfnächte“ um die Zeit der Wintersonnenwende. Als der Augenblick, in welchem die Sonne ihre niedersteigende Bahn verläßt und umkehrt, um einen neuen Jahresreigen zu führen, gilt im Volksglauben allgemein die Nacht vom 24. zum 25. Dezember, die Christnacht oder der Heilige Abend, an dem die jüdisch-christliche Überlieferung den Rabbi Jesus geboren werden läßt. Ursprünglich schlossen sich die „Zwölf Hilligen Tage“ offenbar so an diese Nacht an, daß sechs vorausgingen und sechs folgten. Dieser Stand der Dinge hat sich bis heute nur in engen Grenzen noch rein erhalten und meist Verschiebungen erlitten, die wohl in der Hauptsache auf die Entführung des Gregorianischen Kalenders an der Stelle des Julianischen zurückgehen, wenn dieselbe auch noch nicht alles ausreichend erklärt. In dem größten Theile Deutschlands versteht man unter den „Zwölf Nächten“ die Zeit vom Heiligen Abend bis zum Dreikönigstage, in Bayern die Zeit vom Thomastage bis zu Neujahr, und in Franken sowie in Mecklenburg die Spanne vom 2. bis zum 13. Januar. In Bayern ist das Ursprügliche also am reinsten erhalten. In Franken und Mecklenburg kommt man mit einer einfachen Verschiebung um elf Tage aus. Die gemeindeutsche Rechnung hingegen muß unerklärt bleiben.
Die Zwölfnächte sind die eigentliche Zeit des Waltens übernatürlicher Mächte, die Zeit, in welcher der Mensch eine Frage frei hat an das Schicksal und wohl auf Antwort hoffen darf, wenn er nur richtig zu fragen versteht. Der Sturmwind der Weihnacht, das Knospen der Bäume, das Reden der Thiere im Stalle, das Gerathen der Weihnachtsstollen und [827] die Stellung der Christbaumzweige, das alles giebt dem Menschen nach dem Volksglauben Winke über die Geschehnisse der Zukunft und insonderheit über sein und der Seinen Schicksal.
Die alten Germanen warfen, um der Götter Willen und die Zukunft zu erforschen, Buchenstäbchen auf ein weißes Tuch, deuteten die Runen, welche diese Stäbchen bildeten, auf bestimmte Worte, und die Priester vereinigten die Worte zu Sätzen, zu Orakelsprüchen. Was einst blutiger Ernst war und über Leben und Tod, über Krieg und Frieden, über das Schicksal ganzer Völker und Stämme entschied, das ward im Laufe der Jahrhunderte zum harmlosen Spiel und meistens, eingeschränkt auf die Vorbedeutung von Ereignissen, die sich in jedem Menschenleben wiederholen, vor allem aber auf die wichtigste Lebensfrage, über die dem einzelnen selbst die Entscheidung zusteht, auf die Ehe. Eine ganze Reihe solcher Losspiele leben noch heute im Volke und werden niemals mit solchem Eifer und solchem Ernst getrieben wie in den Zwölfnächten.
Ebenfalls durch das ganze Germanenthum geht der Glaube an weisende Thiere, der Glaube, daß bestimmte Instinkthandlungen, insbesondere eines Hausthiers, die Bedeutung von Fingerzeigen haben, welche das Schicksal giebt. Wollen die Mädchen zu Pfullingen in Schwaben wissen, welche von ihnen zuerst Braut werden wird, so haschen sie einen Gänserich und binden ihm sorgfältig die Augen zu. Sie bilden um ihn einen Kreis und reichen sich die Hände. Ein loses Liedlein singend, marschiren sie um das taumelnde Thier, und diejenige, welche zuerst von ihm gepackt wird, bekommt zuerst einen Mann. Bei Lorch am Rheine schläfert man am Donnerstag vor Weihnachten eine junge schwarze Henne ein und legt sie auf den Fußboden. In bunter Reihe setzt sich dann die erwachsene Jugend im Kreise darum und wartet auf ihr Erwachen. Sobald sie auffährt, eilt sie auch aus dem Kreise, und das Paar, zwischen dem sie durchläuft, heirathet noch im selbigen Jahre.
In der Bukowina backen die Mädchen um Weihnachten kleine Kuchen, bestreichen sie reichlich mit Fett, versehen jeden mit einem besonderen Abzeichen und legen sie säuberlich der Reihe nach auf ein niedriges Brett. Alsdann wird der Haushund feierlich zum Schmause geladen. Er erscheint auf der Schwelle und wird bald die leckere Speise gewahr. Nun weiß er kraft der heiligen Zeit, in der er sich befindet, ganz genau, welches Mädchen zuerst heirathen wird. Ein Blick auf die lockende Kuchenreihe lehrt ihn sogleich, welcher Kuchen der Glücklichen gehört, und im Vollgefühle seiner Würde als Orakelkundiger erbarmt er sich zuerst über diesen. Doch soll es auch dann und wann vorkommen, daß er, seiner hohen Aufgabe vergessend, sich zugleich über sämmtliche Kuchen macht, ja ganz lose Hunde werfen sogar das Kuchenbrett um. In diesem Falle haben natürlich alle betheiligten Mädchen am gleichen Tage Hochzeit.
Eine andere Gruppe von Losspielen läßt sich zusammenfassen unter dem gemeinsamen Zug der schwimmenden Kerzchen. Auch dieses Spiel kennt die Bukowina. Da ist in der Weihnachtszeit des Abends immer ein reges Laufen von Haus zu Haus. Haben sich zwei, drei oder auch mehr Mädchen zusammengefunden, dann geht’s rasch nach einer stillen Kammer, wo sie sich einschließen und, von niemand belauscht, eine geräumige Schüssel mit reinem Quellwasser auf den Tisch stellen. Jedes Mädchen macht sich nun ein Wachslichtchen auf einer kleinen Wachsscheibe fest. Alle Kerzchen werden aufs Wasser gesetzt, so daß keins den Rand der Schüssel berührt, und zugleich angezündet. Wessen Kerzchen zuerst umschlägt, deren Herzchen ist zuerst verfallen, und ihr Werber wird in Bälde erscheinen.
In Sachsen steht die große Wasserschüssel am Neujahrsabend auf dem Familientische. Sind nur Mädchen zugegen, so verläuft das Spiel folgendermaßen. In leeren Nußschalen werden kleine Stückchen eines dünnen Wachsstockes festgeklebt. Hat das Mädchen nun einen Liebhaber, so denkt sie sich unter einem Kähnchen diesen, unter dem andern sich selbst und unter einem dritten den „Pastor“. Dann setzt sie alle drei Lichterschiffchen brennend aufs Wasser. Kommt sie mit ihrem Schatz zusammen, so wird sie bald seine Braut; kommt auch der „Pastor“ noch dazu, so ist auch bald Hochzeit. Im anderen Falle hat sie böse Aussichten. Hat ein Mädchen mehrere Liebhaber oder mehrere, die sie sich wünscht, so läßt sie für einen jeden eine Nußschale schwimmen und eine weitere für sich. Derjenige, dessen Schale sich mit der ihren vereinigt, wird ihr Schatz. Auch hier spielt der Pastor seine Rolle. – Sind Burschen und Mädchen beim Spiele betheiligt, so bekommt jedes ein Leuchtkähnchen, ein weiteres wird für den Pastor ausgeworfen, und diejenigen, deren Lebensschifflein sich vereinigen, werden ein Paar.
Das beliebteste Weihnachtsspiel Tirols ist „Erde, Brot und Lumpen“. Es wird mit sehr großem Ernste gespielt, und man glaubt noch vielfach an seine Unfehlbarkeit. Auf dem Tische werden drei Töpfe aufgestellt und zwar umgekehrt. Unter dem einen liegt etwas Erde, unter dem andern ein Stück Brot und unter dem dritten befinden sich einige Lumpen. Wer den ersten wählt, kommt in demselben Jahre noch unter die Erde, wer den zweiten vorzieht, zu Brot, und der Besitzer des dritten an den Bettelstab.
Weitaus die reichhaltigsten Aufschlüsse über die eigene Zukunft liefert das fast in ganz Deutschland gleichmäßig verbreitete Bleigießen. Auch hier ist ein großes Wasserbecken erforderlich. In einem Eisenlöffel wird über dem Lichte oder auch in der Ofenröhre etwas Blei geschmolzen und dasselbe dann durch einen Erbschlüssel in das Wasser gegossen. Aus den Formen, die es hier annimmt, schließt man auf das Gewerbe des künftigen Ehemannes oder auf sein eigenes Los. Sieht man Seile, Hobel, Leisten oder Scheren, so bedeutet es einen Seiler, Schreiner, Schuster oder Schneider. Rüben und Möhren bedeuten einen Landmann, Schiffe einen Seemann, und kommen Spitzhacke, Kratze und Fäustel zutage, so flüstert man: „Am Ende bekommen wir gar einen Wegearbeiter.“ Hier und da schlägt man auch Eier ins Waser und schließt aus den Gestalten, die der Inhalt annimmt, auf die Zukunft. Aber nicht nur auf die Verehelichung gehen die Winke, die man so erhält. Viele kleine Rüben bedeuten auch Geld, ein Wagen eine Reise, ein Sarg Tod etc.
Eine weitere Gruppe bilden die Wurfspiele. Sie zerfallen in solche, bei denen mit Schuhen, und in solche, bei denen mit Apfelschalen geworfen wird. Mit dem Rücken nach der Thür gewandt, tritt das Mädchen, welches seine Zukunft erforschen will, mitten ins Zimmer. Die anderen schließen um sie einen Dreiviertelskreis, so daß nur der Raum der Thür frei bleibt. Nun wirft das Mädchen den einen ihrer Schuhe über ihren Kopf nach rückwärts. Ist seine Spitze nach der Thür gerichtet, so verläßt sie noch dieses Jahr das elterliche Haus, weist aber der Absatz dorthin, so bleibt sie noch daheim. Liegt der Schuh auf der Sohle, so geht alles glücklich vonstatten, liegt derselbe aber umgekehrt, dann giebt es mancherlei Anstoß.
Im Harz und auch anderwärts wird in der Weihnachtszeit von einem Borsdorfer Apfel die Schale so vorsichtig abgetrennt, daß sie ganz erhalten bleibt. Alsdann wirft man dieselbe über den Kopf. Der Buchstabe, den sie beim Niederfallen auf den Erdboden bildet, ist der Anfangsbuchstabe des Namens des künftigen Gatten. In Böhmen schreiben die Mädchen auch das ganze ABC an die Thür, treten mit verbundenen Augen davor und tippen mit dem Finger unter die Buchstaben. Derjenige, welchen sie treffen, hat die gleiche Bedeutung wie der Apfelschalenbuchstabe.
Ist die Antwort auf die Frage, ob im neuen Jahre Hochzeit sein wird, glücklich bejahend ausgefallen, hat ferner das Bleigießen den Stand des künftigen Gatten bestimmt, so bleibt immer noch allerlei Wissenswerthes übrig; so, ob der Brautigam schön oder häßlich, krumm oder gerade, arm oder reich sein wird. Auch das zu erkunden hat man Mittel gefunden. Geht das Mädchen nachts zwischen Zwölf und Eins in den Holzstall, zieht aufs Gerathewohl abgewandten Gesichts, schweigend und [828] unbeschrieen ein Scheit aus dem Holzstoß und dasselbe ist schlank und gerad gebaut, so ist auch ihr Gatte von solcher Leibesgestalt. Ist es kurz und dick, so wird derselbe weder ein Riese noch allzu schmächtig sein, und ist es ästig, so dürfte ihm gar ein kleiner Rückgratsfehler anhaften. Auch noch auf andere Weise ist das sicher zu stellen. Rafft man zu derselben Stunde einen Arm voll Scheite zusammen und enthält derselbe eine gerade Anzahl, so giebt’s einen gut gewachsenen Mann, andernfalls einen krummen. Dasselbe gilt für das Auszählen eines Kornhäuschens.
Aber auch derjenige, der längst ein Weib heimgeführt hat, kann allerlei Fragen an die Zukunft thun. Um zu wissen, ob eins aus der Familie im kommenden Jahre sterben wird, braucht man nur mittels eines Erbfingerhutes soviel kleine Salzhäufchen auf den Tisch zu machen, als die Familie Glieder zählt, und jedem derselben eins zuzuteilen. Fällt dann während der Christmetten eins ein, so muß sein Besitzer sterben.
Um das Wetter des folgenden Jahres zu erkunden, giebt es kein so untrügliches Mittel wie das folgende. Am Christabend höhlt man zwölf Zwiebeln aus und füllt sie mit Salz. Man stellt sie auf dem Tische auf und giebt jeder den Namen eines Monats. Ist das Salz einer Zwiebel am folgenden Morgen zerlaufen, so ist der betreffende Monat feucht, wo nicht, trocken. Das Wetter soll freilich in diesem Falle sehr von der Wahl der Zwiebeln abhängen! Aber auch Sonnenschein und Regen bestimmen die Fruchtbarkeit des Jahres und den Ausfall der Ernte noch nicht allein. Daher hat man sich nach einem brauchbaren Verfahren umgesehen, auch dies einigermaßen im voraus festzustellen, und ist übereingekommen, ein Glas Wein ausschlaggebend sein zu lassen. Füllt man nämlich am Heiligen Abend ein Glas Wein bis zum Rande und stellt es beim Zubettgehen auf den Tisch und es läuft in der Nacht über, ohne daß jemand daran stößt, so wird die Ernte überreich. Schon mancher kluge Landwirth hat eine Ernte erzielt, die seine Scheunen kaum zu fassen vermochten, indem er kühlen Wein nahm und beim Zubettgehen noch einmal recht gründlich einheizte. Man muß die Sache nur anzugreifen verstehen!