Die neue Synagoge in Leipzig
Am 7. d. M. wurde in Leipzig der Grundstein zu einer Synagoge der israelitischen Gemeinde gelegt.
Es ist dies ein Ereigniß von höherer Bedeutung, als wäre zu einem Tempel eines andern Glaubensbekenntnisses oder zu einem Palaste der Grundstein gelegt worden. Am genannten Tage – so sehen wir es an – wurde der Grundstein zu dem hehren Tempel der confessionellen Gleichberechtigung gelegt. Der erste liegt in Dresden, und über ihm wölbt sich bereits seit Jahren der fertige Bau, die von Semper, dem genialen Baumeister, erbaute erste jüdische Synagoge in Sachsen. Die zweite erbaut nun in der zweiten Stadt des Landes ein würdiger Schüler jenes Meisters.
Es ist eine überall zu machende Erfahrung, daß das Urtheil über die Juden da am ungünstigsten lautet, wo man am Wenigsten mit ihnen in Berührung kommt; wie diejenigen am meisten Gespenster fürchten, welche oft davon erzählen hörten, ohne in Lagen gekommen zu sein, wo die Erzähler sie gesehen zu haben behaupteten. Trifft nun auch die Umkehrung dieser Erfahrung in Leipzig nur mit der Einschränkung zu, daß die geringe Anzahl seiner jüdischen Bewohner fast durchweg der wohlhabenden und gebildeten Klasse angehören, welche nicht die Pariaäußerlichkeit des armen „Schacher“-Juden an sich tragen, – bedarf es also in Leipzig nicht erst eines äußeren Mittels, um die jüdische Gemeinde zu heben, so finden wir dennoch in der Erbauung der Synagoge auch das Gute, daß sie jener in den Augen ihrer christlichen Mitbürger ein Achtung gebietender Stützpunkt sein wird.
Nirgends mußte so sehr wie gerade in Leipzig, wo zur Zeit der Messen Tausende von Juden aus allen Weltgegenden zusammenströmen, der Mangel einer Synagoge den Bekennern des Judenthums die drückende Mahnung an ihre bürgerliche Nichtgleichstellung fort und fort zum Bewußtsein bringen. In die Zeit der Leipziger Messen fallen die bedeutendsten jüdischen Festtage, welche in mehr als 20 einzelnen, in allen Straßen der Stadt vertheilten Zimmern begangen werden mußten. Die rastlosen Bemühungen, welche Dr. Ad. Jellinek, der hochbegabte Prediger der Gemeinde, aufbot, um die Erbauung einer Synagoge durchzusetzen, haben daher auch für die sächsische Gesetzgebung die dankenswerthe [477] Folge, daß dieselbe laut und vor aller Welt bekennen wird, daß in Sachsen keine judenfeindliche Gesetzgebung besteht, woran derselben Unkundige zweifeln mußten. Freilich ist die Gleichstellung des jüdischen Cultus noch nicht gleichbedeutend mit bürgerlicher Gleichstellung, an welcher noch Manches zu wünschen übrig bleibt; obgleich bei der Wiederaufhebung der 1849 publizirten Grundrechte im Jahre 1854 gerade der die Juden betreffende Paragraph fast allein in Kraft geblieben ist. Immerhin aber mögen die Juden mit besonderem Vertrauen auf den neuen Inhaber des sächsischen Thrones blicken, der bei Gelegenheit der Kammerverhandlungen über die Freigebung des israelitischen Cultus die „wahrhaft
königlichen“ Worte sprach – wie sie Dr. Jellinek in seiner Rede bei der Grundsteinlegung bezeichnete – daß es ihm leid thue, in einem Lande zu leben, wo Unterthanen um Gleichstellung der Juden erst bitten müßten. – Die treffliche Weiherede hob diese, ihren Urheber hoch ehrenden, Worte zu wiederholten Malen mit dankbarer Betonung hervor. Sie werden in ganz Sachsen mit ahnungsvoller Freude vernommen worden sein und bewahrt werden. Sie bildeten recht eigentlich den Geist, welcher die Feier der Grundsteinlegung durchwehete.
Da Dr. Jellinek der Reform des israelitischen Cultus mit Beharrlichkeit wenn auch mit vorsichtiger Mäßigung ergeben ist, so wird dereinst die leipziger Synagoge, eben weil sie zu den Messen alle Schattirungen des Judenthums aus allen Theilen Europas in ihren Mauern vereinigt sehen wird, der Mittelpunkt sein, von welchem aus nach allen Seiten sich die Strahlen der Reform ausbreiten.
In Folgendem geben wir nach den eigenen Mittheilungen des Baumeisters eine kurze Schilderung des werdenden Baues.
Bei Entwerfung des Planes zu einem Gebäude von nur mäßigen Dimensionen, umgeben von der imposanten Gruppe, welche die Centralhalle mit den umliegenden neuen Wohnhäusern bildet, konnte es nicht darauf angelegt sein, im Aeußeren durch Großartigkeit zu wirken. Der Uebelstand, daß die Grundform des acquirirten Bauplatzes eine höchst unregelmäßige, verschobene ist, drängte vielmehr den Architekten zur Bescheidenheit hin, noch mehr jedoch zu dem ernsten Bestreben, den vielen Anforderungen, die man mit Recht an ein kirchliches Bauwerk stellen darf, möglichst zu genügen, und alledem zum Trotz doch noch ein in sich harmonisch abgeschlossenes Kunstwerk zu liefern.
Bei der Lösung der sehr schwierigen Aufgabe, hat der Urheber des Bauplanes, Herr Architekt Otto Simonson aus Dresden, eine Meisterschaft bewiesen, welche mehr noch als aus unserer kleinen Abbildung der äußeren Ansicht, einst aus dem Gebäude [478] selbst hervorleuchten wird, wenn dieses beendet sein und mit seiner Umgebung – der Centralhalle und dem eben beendeten nach mexikanischem Geschmack aufgeführten Knauth’schen Hause – einen imposanten und eigenthümlich schmuckvollen Punkt des häuserreichen Leipzig bilden wird. Diese Aufgabe zu erfüllen, schien die Durchführung des maurischen Styls mit seinen eigenthümlichen Hufeisenbögen am Geeignetsten.
Die Hauptanordnung ist dem Prinzipe nach der Basilika entlehnt; wir finden hier das Hauptschiff, die Nebenschiffe wieder. Dem Mittelschiffe (in Anordnung, Maßen und Verhältnissen mit dem Tempel Salomonis übereinstimmend), dessen Längenachse dem Ritus gemäß von West nach Ost sich erstreckt, schließen sich die Seitenschiffe von der Form eines durch die örtlichen Verhältnisse sich ergebenden Paralleltrapezes zu beiden Seiten symmetrisch an.
Das Hauptportal liegt an der hintersten Ecke des Gebäudes etwas von der Straße zurück, im Hintergrunde eines von Gittern eingeschlossenen Vorhofes.
Steigen wir die wenigen Stufen hinan, um einen Blick in das Innere zu thun, so kommen wir zuerst in eine geräumige durch Oberlichtfenster erleuchtete Halle, zu deren Rechten sich ein Zimmer für den Prediger befindet, von welchem aus derselbe, wenn zur Winterszeit der Gottesdienst in dem heizbaren, von der an die Halle sich anschließenden Vorhalle aus gangbaren Betsaale abgehalten wird, direkt auf die Kanzel gelangen kann. An dem Ende der Vorhalle liegt eine Treppe von Sandstein, die nach den westlichen Emporen der das Stockwerk über dem Betsaale einnehmenden Castellanwohnung führt.
Wir stehen am Eingange, dem Blicke stellt sich dar das geräumige, hohe Mittelschiff, über welches das, durch zahlreiche dicht unter dem Plafond angebrachte Fenstergruppen herabfallende Licht eine magische Wirkung ausgießt. Diese Ansicht ist auf dem Bilde dargestellt.
Der oblonge Raum, der Tempel, ist mit Betstühlen erfüllt, der erhöhete Raum am östlichen Ende, das Heilige, gehört dem Ceremoniell beim Gottesdienste an; von hier aus führen breite Treppen zu dem noch höher gelegenen, durch Vorhänge abgetrennten Allerheiligsten (Thoraschrank), die Gesetzrollen enthaltend. Hier gruppirt sich die Predigtkanzel und der Rednerstuhl für die Trauungen und Confirmationen, das Pult für den Vorbeter, die Sitze für den Prediger und den fungirenden Vorsteher, die herabhängende ewige Lampe und der neunarmige Leuchter.
Aeußerlich stellt sich das Allerheiligste, wie bei der christlichen Kirche die Chornische, durch einen Rundbau (an der Straßenecke) dar, welchem, kuppelförmig überdacht und mit einem Oberlichtfenster versehen, eine große die Vorhangdrapirung bekrönende reichbemalte Rosette (im Grunde eines Bildes) ein mattes Licht leiht.
Drei Bogenöffnungen, je an den beiden Langseiten des Mittelschiffs, vereinigen dasselbe mit den Seitenschiffen, in denen sich zwei übereinanderstehende, auf eisernen Säulen ruhende Emporen befinden. Die Treppen, auf welchen man zu ihnen gelangt, liegen in den thurmartig erhöhten, mit Zinnen bekrönten Gebäudeecken. Die obere, dem Allerheiligsten gegenüberliegende westliche Empore nimmt den Sängerchor, und für den Fall, daß späterhin sich die Gemeinde noch darüber einigen sollte, die Orgel auf.
Das Gebäude wird 1600 Sitzplätze enthalten, demnach gegen 2000 Personen fassen, von welcher Zahl sich die kleinere Hälfte auf die Emporen vertheilen würde, von wo aus auf allen Plätzen, vermöge ihrer tribünenförmigen Anlage, das Ceremoniell wie der Prediger wahrgenommen werden können.
Und so möge denn der schöne Bau rüstig vorwärts schreiten und, ohne Störung und Unfälle beendet, ein neues Band um confessionell geschiedene Mitbürger sein; wie er immer ein ehrendes Denkmal sein wird für den Beistand, den bei seiner Gründung und Aufrichtung die Behörden und Bewohner Leipzigs ihren israelitischen Mitbürgern mit brüderlicher Bereitwilligkeit reichten.