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Ein glücklicher Künstler

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: M. R.
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Titel: Ein glücklicher Künstler
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: biographische Skizze des Künstlers Paul Meyerheim
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Ein glücklicher Künstler.

Wer gerne durch die Berliner Ateliers schlendert, geht gewiß nicht an dem hübschen Hause Nummer zwei in der Mathäi-Kirchstraße vorbei. Beim Eintreten in das Studio findet er vor der Staffelei einen jungen Mann, schlank und doch kräftig gewachsen, mit frischem, ansprechendem Gesicht, das durch den braunen Vollbart noch vortheilhafter hervorgehoben wird. Sein Aussehn zeugt von körperlicher und geistiger Gesundheit, die leider nur selten in der Künstlerwelt angetroffen wird; sein ganzes Wesen, womit er uns so offen und freundlich entgegentritt, athmet eine wohlthuende Heiterkeit und Natürlichkeit. Da ist nichts Gemachtes, nichts Gespreiztes, keine Spur von Affectation, von Selbstüberhebung, keine nervöse Reizbarkeit, keine Launenhaftigkeit, weder Weltschmerz, noch Zerrissenheit. Ebenso einfach, schlicht und natürlich ist seine Unterhaltung, die meist durch einen köstlichen Humor gewürzt wird. Zu dieser Persönlichkeit stimmt vollkommen die übrige Umgebung. An den Wänden des Ateliers hängen einige Bilder, Studienköpfe und Farbenskizzen meist von eigener Hand; an den Fenstern stehen einige Blumentöpfe, dazwischen Vogelbauer mit ihren schmetternden und trillernden Bewohnern. Die breite Seite nimmt ein großer Schrank ein, der zur Aufbewahrung von Gypsabgüssen verschiedener Thiere dient. Die sonstige Einrichtung ist höchst bescheiden und weit entfernt von jedem Luxus oder künstlerischer Coquetterie; ein alter Tisch mit wackelnden Beinen, einige wurmstichige Stühle im Rococogeschmack mit verschossenen Ueberzügen. Die einzige Merkwürdigkeit bieten einige seltsame Kasten und Schränke, die der witzige Maler mit interessanten Caricaturen verziert hat, prächtige Parodieen der Kunstgeschichte in hieroglyphischem Styl. Hier erblickt man einen alten ägyptischen Professor und Mitglied der königlich pharaonischen Akademie, umgeben von seinen Schülern, die unter seiner Anleitung zeichnen lernen; dort wird gleichfalls ein ägyptischer Hofphotograph mitten in seiner Arbeit von einem Krokodil in höchst unangenehmer Weise überrascht. Man kann diese geistreich komischen Bilder, in denen sich die Heiterkeit des Künstlers offenbart, nicht ohne Lachen sehen.

Dieser selbst ist der bekannte Paul Meyerheim, das jüngste Mitglied einer berühmten Künstlerfamilie, dem die Natur ein seltenes Talent verliehen, und welchen das Glück mit seinen reichsten Gaben beschenkt hat. Trotzdem er erst siebenundzwanzig Jahre zählt, besitzt er bereits einen bedeutenden Ruf, wird ihm von allen Seiten die größte Anerkennung gezollt. Er ist Inhaber verschiedener großer und kleiner Preis-Medaillen und mit Bestellung auf Jahre im Voraus überhäuft. Seine Bilder finden nicht nur Bewunderer, sondern auch Käufer zu den höchsten Preisen. Die strengsten Kritiker sprechen mit Verehrung, selbst mit Begeisterung von seinen Leistungen, die nicht nur den Laien, sondern auch den Kenner befriedigen.

Nicht nur in Berlin und in dem übrigen Deutschland, auch in Belgien und Frankreich haben seine Gemälde Sensation erregt. Sie wurden bei der letzten großen Weltausstellung in Paris unter Tausenden bemerkt und der Maler selbst von den Koryphäen der französischen Kunst, von einem Meissonier als ebenbürtiger College freudig begrüßt. Frühzeitig schon entwickelte sich das Talent Paul Meyerheim’s und in einer rein künstlerischen Umgebung aufwachsend zeigte der begabte Knabe von Jugend auf mehr Lust zum Malen, als zum Lernen. Als echtes Berliner Kind schwänzte er gern die Schule und trieb sich lieber auf der Straße und im Freien umher, als daß er bei den Büchern saß. Die Natur war seine Lehrerin; am meisten zog ihn die Thierwelt an, die er mit scharfen Augen beobachtete. Bald war er ein Stammgast des zoologischen Gartens, zu dem ihm der bekannte Naturforscher Lichtenstein den freien Zutritt gestattete. Wie die meisten Berliner Jungen war er ein leidenschaftlicher Vogelzüchter; er schwärmte für Tauben, Finken und Canarienvögel, für die er seinen letzten Groschen verschwendete.

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Savoyardenkinder.
Originalzeichnung von Paul Meyerheim.

[816] Nur mit Widerstreben gab der Vater endlich seinem Drängen nach und ertheilte ihm die Erlaubniß, die verhaßten Bücher mit der geliebten Palette zu vertauschen. Paul erhielt erst Zeichenunterricht, besuchte dann die Akademie und studirte fleißig Thieranatomie, malte jedoch lieber nach der Natur als nach den üblichen Vorzeichnungen und Modellen. In seinen Mußestunden pflegte er die edle Musika; er spielte Cello in einem Quartett, das aus seinem Bruder Franz, dem Kunstkritiker Eggers und seinem künftigen Schwager Lehfeldt bestand. Als er achtzehn Jahr alt war, malte er sein erstes Bild. „Hund und Affe“ für die Berliner Kunstausstellung, wodurch er bereits Aufmerksamkeit erregte. Das dafür erhaltene Honorar verwandte er zu einer Reise nach dem Harz. Später machte er eine Küstenfahrt auf der preußischen Kriegscorvette „Die Gazelle“ in der Gesellschaft des Capitains Bothwell von Danzig nach Norwegen. Hierauf besuchte er die Ausstellung in London, von wo er nach Portsmuth, Plymouth, Cherbourg, Brest über die Insel Wight nach der Bretagne ging. Im folgenden Jahre wanderte er nach Tirol, wo er im Zillerthal längere Zeit bei der bekannten Familie Rainer verweilte, endlich sah er als glücklicher Bräutigam die Schweiz und Holland.

Auf allen diesen Reisen machte er Studien in der ihm eigenen Weise; ihn reizte nicht die Großartigkeit einer Gegend, nicht die wilde Romantik des bewegten Meers, nicht die starre Erhabenheit der zum Himmel ragenden Alpenwelt, sondern das Stillleben in Wald und Flur, das alltägliche Treiben der Menschen, vor Allen aber seine geliebten Thiere. In Interlaken malte er nicht die hohe „Jungfrau“, sondern ein einfaches Kohlfeld, das ihn durch seine harmonische Färbung anzog, in der Bretagne nicht den pittoresken Meeresstrand mit seinen phantastischen Klippen, sondern alte, verfallene Bauerhäuser. In München besuchte er weniger die Pinakothek mit ihren alten Bildern und die Glyptothek mit ihren antiken Statuen, als die Thierbude mit ihrem Schlangenbändiger, der ihm das Motiv zu einem seiner gelungensten Bilder gab. In Holland brachte er die meiste Zeit in Gesellschaft einer Kunstreiterbande zu, deren Clowns seine speciellen Freunde wurden.

Paul Meyerheim wählt am liebsten seine Stoffe aus dem gewöhnlichen Leben, das er jedoch durch den ihm eigenen Zauber zu beleben und zu verklären weiß. Er ist ein Realist, aber im besten Sinne des Wortes, nichts weniger als ein bloßer Virtuose oder Photograph, der die Natur mit ängstlicher Treue skizzirt, sondern ein echter Künstler, der mit seinen klaren Augen die Welt so sieht, wie sie wirklich ist, und dabei gerade so viel Schönheitssinn und Kunstgefühl besitzt, um die Poesie, die ewige Wahrheit in der irdischen Erscheinung zu erfassen. Er ist kein sogenannter „denkender Künstler“, der philosophische Gedanken, geistreiche Allegorien, oder gar culturhistorische Bilder malt. Statt dessen greift er frisch in’s Leben und wo er’s packt, da ist es interessant. Ein Schäfer, der unter einem Baum sein Mittagsbrod verzehrt, ein alter Ziegenhändler mit seiner Heerde durch das Dorf ziehend, Holzfäller im Walde, Waisenkinder, Thierbändiger, Kunstreiter und Affen, das sind seine Stoffe. Aber gerade in dieser bescheidenen Beschränkung offenbart er einen Reichthum der Erfindung, eine psychologische Feinheit, eine Wahrheit der Zeichnung, einen Zauber der Farbe, wie sie die Natur ihren auserwählten Lieblingen verleiht.

Seine Gestalten, Menschen und Thiere leben, seine Landschaften duften und grünen, diese Wiesen laden uns zur Ruhe ein, der Wald rauscht uns entgegen, die Bäume flüstern und durch das schattige Laub der Zweige stiehlt sich das helle Sonnenlicht und vergoldet den frischen, feuchten Rasen. Ein ähnlich wohlthuendes Gefühl beschleicht den Beschauer beim Anblick des hier vorliegenden Bildes, welches Savoyardenkinder mit ihrem Murmelthier auf der Wanderung darstellt. Wie versteht es der Künstler, dem einfachen, schon so oft benutzten Stoff durch sein Talent eine Fülle neuer und anmuthiger Motive abzugewinnen! Wie fein und scharf ist in den neugierigen Bauermmädchen, in dem gierigen Knaben, der so hastig trinkt, während seine Schwester das verdurstende Thier labt, das Leben abgelauscht und wie macht sich auch hier, wie in allen Bildern Meyerheim’s, ein liebenswürdiger Humor bemerkbar, der jedoch in den andern Arbeiten des jungen Meisters weit drastischer hervortritt, am stärksten in seiner „Menagerie“, die mit Recht für eine Perle der modernen Genre-Malerei gehalten wird und die seinen Namen zuerst berühmt gemacht hat.

Gegenwärtig zählt Paul Meyerheim zu den hervorragendsten Künstlern Berlins und Deutschlands. In einem Alter, wo andere Talente kaum ihre Laufbahn beginnen, steht er bereits dem Ziele nah, obgleich er keineswegs noch den Höhenpunkt seiner genialen Leistungen erreicht hat. Seine Bescheidenheit und harmlose Liebenswürdigkeit zeichnet ihn auch im Privatleben aus. Trotzdem es sich die beste Gesellschaft zur Ehre rechnet, den Künstler bei sich zu sehn, und ihn mit Aufmerksamkeiten überhäuft, fühlt er sich am wohlsten im eigenen gastfreundlichen Hause oder im Kreise einiger Freunde, zu denen vor Allen die berühmten Historienmaler Adolf Menzel, Gustav Richter, der geistreiche Zeichner des Kladderadatsch, Wilhelm Scholz, und noch andere bedeutende Künstler, Schriftsteller und Gelehrte zählen. Am Abend nach gethaner Arbeit versammeln sich die Freunde und sitzen beim Glase Bier in der wohlbekannten Restauration von Schubert, wo neben dem Ernst auch der Scherz, der ausgelassene Humor und selbst der höhere Blödsinn eine freundliche Stätte und ein dankbares Publicum findet. Hier wetteiferte nicht selten Paul Meyerheim mit dem leider zu früh verstorbenen Eduard Hildebrand um die Palme jenes Witzes, den der Berliner als „Kalauer“ zu bezeichnen pflegt, und hier wie überall ist der Künstler ein Liebling der Menschen, wie er der Liebling der Götter ist, die ihm zu allen Gaben des Glückes, Talent und Gesundheit, auch noch eine holde Gattin und eine behagliche, sorgenfreie Existenz geschenkt.

M. R.