Ein hochherziger Mann aus dem Volke
Von Ludwig Storch.[1]
Goethe sagt in einem Briefe an Zelter (vom 30. Oktober 1824): „So eben verläßt mich J. A. Stumpff, Harpmaker to His Majesty, aus London, gebürtig aus der Ruhl, als Knabe nach England versetzt, jetzt als tüchtiger Mechanikus daselbst wirkend, eine stämmige Gestalt von bedeutender Größe, an der Du Dich erfreuen würdest; zugleich vom herzlichsten Patriotismus für unsere Sprache und Schrift, durch Schiller und mich zu allem Guten geweckt, höchlich entzückt, unsere Literatur nach und nach gelaunt und geschätzt zu sehen.
Es war eine merkwürdige Erscheinung.“
Von wem ein Goethe auf diese Weise zu einem Zelter spricht, der muß ohnstreitig ein edler und in die Augen springend ausgezeichneter Mensch gewesen sein. Und in der That, Goethes Ausspruch trifft auch hier wie so oft den Nagel auf den Kopf, der aus der Ruhl gebürtige Harfenmacher Sr. Majestät des Königs von Großbritannien war eine in mehrfacher Hinsicht merkwürdige Erscheinung.
Es ist nicht ohne Bedeutung, daß Goethe an Johann Andreas Stumpff die „stämmige Gestalt von bedeutender Größe“ rühmt, an welcher er sich erfreut hat, und von der er voraussetzen muß, daß auch Zelter sich an ihr erfreuen würde; denn wie Goethe und Zelter war auch Stumpff eine jener hohen, markigen, kraftgesättigten, edlen Gestalten, wie die Alten ihren Zeus modellirten, von welchen man gleich beim ersten Blick weiß, das sind auch geistig bedeutende Menschen. Wahrhaft große geistige und seelische Eigenschaften verlangen immer einen großen, festen, strotzenden, lebenausströmenden Körper von edlem Ebenmaße. Geist und Körper sind ja nicht so verschiedene Dinge, wie die von der Theologie abhängige Naturlehre vergangener Zeiten behauptete. Ich wollte, Goethe hätte auch von dem ungemein schönen und starken Ausdrucke des wohlgeformten Kopfes unseres Harfenmachers aus der Ruhl, vorzüglich aber von seinem seelenvollen, dunkelblauen, liebelachenden Auge gesprochen. Der Ausdruck dieser edeln Gesichtszüge war so überwältigend, daß gleich Jedermann wußte, daß der Träger derselben ein warmes Herz voll reiner Menschenliebe, Wohlwollen, Opferfähigkeit, voll hingebender Bewunderung für alles Gute hatte, mit einem Worte, daß Stumpff ein Mann von wahrer Tugend sei. Nie sah ich an einem Manne ein freundlicheres, liebenderes Auge; man war gefangen vom süßen Zauber desselben, und eh’ noch der Mann gesprochen, war man vom Liebesstrahl dieses herrlichen Seelenspiegels besiegt. Und wenn er nun sprach mit der weichen, sonoren, herzigen Stimme, dann vermochte ihm Niemand zu widerstehen; er eroberte [438] im Nu alle Herzen. Selbst das des fünfundsiebzigjährigen Goethe war nach kurzer Unterredung mit Stumpff warm geworden. Ja, dieser Rühler war wirklich eine „merkwürdige Erscheinung.“
Goethe hätte der Welt mehr von diesem trefflichen deutschen Manne in London sagen sollen; er hätte es gekonnt, denn er wußte viel von ihm, wenn auch nicht 1824, als jener Brief geschrieben wurde, aber doch später. Der großherzoglich weimarische Minister kam nämlich mit dem zwanzig Jahre jüngern, königlich großbritannischen Harfenmacher in ein Freundschaftsverhältniß, so weit dies bei der gesellschaftlichen Stellung und Charakterindividualitat beider Männer möglich war.
Obgleich Stumpff mir nicht so nah gestanden hat, wie dem deutschen Dichterfürsten, so halte ich es doch für eine Pietätspflicht, dem deutschen Volke zu sagen, was ich von meinem hochsinnigen Landsmanne weiß.
Johann Andreas Stumpff wurde am 27. Januar 1769 zu Ruhla gothaischen Antheils im nordwestlichen Thüringerwalde geboren. Er legte später hohen Werth darauf, mit Mozart, für den er, wie wir sehen werden, mit reinster Begeisterung glühte, einen Geburtstag zu haben. Seine Eltern waren sehr schlichte fromme Leute, die ihren Kindern eine solide, gottesfürchtige Erziehung gaben. Der älteste von drei Brüdern, erlernte er, gleich ihnen, bei seinem Vater die einfache Kunst desselben, er wurde Claviermacher. Aus dem Stumpff’schen Hause in der Köhlergasse gingen jene wohltönenden Instrumente hervor, so schlicht, so ungekünstelt, so bescheiden, wie ihre Verfertiger, welche von Schullehrern und Musikverständigen auf dem Lande in Thüringen noch heute geschätzt werden. Sie verhielten sich zu den heutigen Piani’s wie die Lerche zur Nachtigall.
Der geistige Gesichtskreis im Hause des Claviermachers war ungemein beschränkt; außer Bibel, Gesangbuch und Katechismus gab es da keine Bücher. Der Drang des jungen Andreas nach höherer Lebenseinsicht wurde mit ihm größer, die gewaltige Sehnsucht nach einem ihm nicht klaren Lebensglück zersprengte ihm, wie er mir als reifer Mann erzählte, fast die Brust. Er lief auf die Bergkuppen seiner Heimath und ließ das trunkene Auge in die reiche Ferne schweifen, bis sie von den duftigen Schleiern des Abends verhüllt wurde; dann warf er sich zu Boden und weinte sich fast todt vor Sehnsucht. Als er mir die süßen Qualen dieser Sehnsucht schilderte, schloß ich ihn gerührt an meine Brust; ich kannte sie ja aus eigener Erfahrung; ich hatte sie auf denselben Bergen empfunden. Stumpff suchte Nahrung für seinen Geist; er las, was er von Büchern auftreiben konnte; er studirte Musik. Damals war Mozarts strahlender Stern in seinem Zenith. Stumpff konnte nur wenig von des großen Meisters Tonschöpfungen kennen lernen, aber dieses Wenige reichte hin, um seine Seele zu entflammen. Von den Dichtern fand er nur Klopstock’s Messias in seinem Kreise, der damals in den mittlern frommen Schichten der Gesellschaft wie ein Evangelium verehrt wurde. Goethe sah er persönlich im nahen reizenden Wilhelmsthal, dem Lustschlosse des weimarischen Hofes, und der talentvolle Knabe ahnete nicht, daß er mit dem vornehmen schönen Manne an der Seite des Herzogs in so innige Beziehung kommen sollte.
Eine unglückliche Liebe zu einer der reizendsten Töchter seines Geburtsthales gab seinem Drange ein bestimmtes Ziel. Fort mußte er in die Welt! Fort aus dem Thale, aus dem Vaterhause, wo er sich die Brust gepreßt fühlte, in die wogende, schwellende Brandung des Lebens! Als zwanzigjähriger, geschickter Künstler trat er bei einem Instrumentenmacher in Gotha in Arbeit; aber noch in demselben Jahre trieb es ihn nach der Weltstadt Hamburg. Dort hatte er seiner mir gegebenen Versicherung nach nur einen Wunsch: Klopstock zu sehen. Es glückte ihm endlich, und er spürte, von höchster Ehrfurcht durchschauert, große Lust, vor dem Dichter des Messias auf der Straße niederzufallen und ihn anzubeten. Ueber seine spätere Jugend will ich den edlen Mann selbst reden lassen. Die Stelle ist seinem letzten Briefe an Goethe (d. d. London, 16. Februar 1832, wahrscheinlich auch einer der letzten, welche der greise Dichter empfing) entnommen, der ihn gebeten hatte, ihm über seine Auswanderung aus Deutschland etwas mitzutheilen.
„Schon früh im Leben ward ich von einem unüberwindlichen Drange gequält, einen andern und bessern Wirkungskreis aufzusuchen, welchen mir meine kindische Phantasie so reizend vormalte. Ich verließ, noch sehr jung, das elterliche Haus und Alle, die mir theuer und denen ich es war, unter dem Vorwande einer kurzen Abwesenheit, um mich in die Welt zu stürzen, und ging nach Hamburg. Aber das rein materielle Leben dort konnte mir nicht genügen, der Aufenthalt in der großen Handelsstadt ward mir mit jedem Tage unerfreulicher. Das immerwährende Gerassel von Wagen und Karren mit ungeheuern Ballen und Fässern, die nach dem Hafen gingen oder von dort kamen, erschütterte das Pflaster und mein Gehirn; das Geschrei der Höker, das Gebrüll des Schlachtviehs erfüllte die Luft und meine Seele; das stündliche Glockengeläute von den Kirchthürmen marterte meine Ohren und meine Phantasie. Doch hatte ich auch einen Hochgenuß für das Herz, nämlich das Glück, den gottbeseelten Dichter Klopstock zu schauen, dessen Gesänge mein junges Herz oft über alles Irdische erhoben. Klopstock wohnte in der Königsstraße, und ich hatte seine Wohnung oft schon umschlichen, ohne seiner ansichtig werden zu können. Endlich erblickte ich ihn, wie er eben aus seiner Thüre schritt. Ich ging ihm mit bebenden Herzen durch manche Gasse und Gäßchen nach, bis ihn eine geöffnete Thür meinen Augen auf immer entriß. Doch könnte ich nach so vielen Jahren ein Bild seiner Person entwerfen.
Kaum hatte sich der Winter beurlaubt, als ich mich den Sturmwinden wieder anvertraute und auf einem Kauffahrteischiffe, Namens Ceres, die tobende Salzfluth durchschnitt. Nach acht Tagen begrüßten wir den Themsefluß und unser Schiff wurde von englischen Lootsen bis an die Häuser von London gezickzackt. Es war am Ostersonntagmorgen 1790.
Und nun in dieser Riesenstadt angekommen, ohne ein Wort Englisch zu verstehen und ohne eine Seele zu kennen, mit nur wenigen Goldstücken in der Tasche, habe ich gleichwohl seitdem hier als „exotic“ alle meine Kräfte anstrengend existirt. Doch hat die göttliche Vorsicht mich nie verlassen, und der Geist des alten Kirchenliedes: „Wer nur den lieben Gott läßt walten etc.“ hat mir durch mein ganzes Leben in jeglicher Lage Trost und Hoffnung gegeben. Ich lebe in London als musik-mechanischer Künstler ohne Capital auf respectable Art; aber um solches zu vermögen, muß man die Kräfte des Geistes und Körpers anspannen.“
So war denn der junge thüringische Bergsohn mit seiner mächtigen Sehnsucht dem engen Familienkreis, dem engen Heimaththal, dem engen Vaterland entronnen und in der ungeheuern Weltstadt im Lande der Freiheit, wie man sich damals England vorstellte, angekommen. Der Sprung war riesig, ein wahrer Salto mortale. Aber der fromme Jüngling ist kein Liebhaber der modernen Freiheit. Politik ist seine Sache nicht. Er erlebt in London die erste französische Revolution: er bekümmert sich nicht um sie. Er ist ein tüchtiger fleißiger Arbeiter, der sich in seiner Kunst rasch vervollkommnet und in der Werkstatt bald zum ersten Gehülfen avancirt. Eben so schnell erlernt er die Landessprache, und sein schlichtes, biedres, treuherziges Wesen erwirbt ihm wahre Freunde. Seine Mußestunden verwendet er auf das Studium deutscher Musik und deutscher Poesie. Dieses reine edle Jünglingsherz voll Glauben und Tugend fand in den Schöpfungen des deutschen Genius seinen höchsten Genuß. In der Hauptstadt Englands erglühte seine keusche Seele in immer helleren und höheren Flammen für die größten Dichter und Tondichter seines Vaterlandes. Man mußte ihn als Mann von diesen Hochgenüssen seiner einsamen Jugend im modernen Babel mit leuchtenden thränengefüllten Augen sprechen hören, um zu begreifen, welch’ ein heiliger Talisman gegen die Lockungen bunter Lust deutsche Kunst ist. Sie hat die Seele dieses ausgezeichneten Mannes rein und keusch erhalten, bis in sein hohes Alter; sie ist ihm die einzige treue Freundin geblieben, die liebevolle Begleiterin auf seinem sonst einsamen Lebenspfade, die Trösterin in seinen sonst trüben Stunden, die Beseligerin seines so empfänglichen und leicht erregbaren Gemüths. Denn Stumpff war nie verheirathet[WS 1], und auch das gehört zu den Eigenthümlichkeiten dieses großsinnigen Gefühlsschwärmers, daß er dem Gegenstande seiner ersten und einzigen Liebe, der schönen Rühlerin, die er nicht besitzen durfte, treu blieb. Als er mit mir über sein Cölibat sprach, das ich mit Schonung bei ihm getadelt hatte, sagte er mit Thränen im Auge:
Nie sah ich köstlichere Thränen in einem schöneren Männerauge: sie waren die Perlengeburten jenes tiefen Weh’s, das alle poetischen Gemüther über die Erde tragen müssen, Regentropfen der Wolke, welche so reizende Schatten auf die grüne Landschaft zaubert.
Stumpff’s Fleiß, Geschicklichkeit und Ehrenhaftigkeit mußte es gelingen, die Mittel zum eigenen Etablissement zu finden; er wurde [439] in der Weltstadt allmählich ein bekannter, beliebter, gesuchter, berühmter Künstler und in der Verfertigung kostbarer Pedalharfen kam ihm keiner gleich. So erhielt er vom Hofe das Prädicat „Harpmaker to His Majesty.“ Wie zu erachten, erwarb er nun viel Geld, aber er ist nicht reich geworden. Ein Mann wie Stumpff, dessen Herz so warm für die Menschheit schlug, immer bereit zu helfen, Noth zu lindern, Gutes und Schönes zu unterstützen, ein solcher Cassirer Gottes kann keine Schätze sammeln.
Nichts konnte einem so liebevollen, nach Wohlthätigkeit strebenden, nach Erkenntniß ringenden Herzen mehr entgegen kommen, als die Tendenzen des Freimaurerordens. Stumpff ward mit ganzer Seele Freimaurer; er ging gleichsam in der Ordensthätigkeit auf. Es mag wohl wenig Maurer geben, die in Liebe und Kraft, in der That und Wahrheit so „arbeiten“, wie Stumpff; denn nur wenig Menschen werden von solch’ einer Begeisterungsgluth für das Gute, Wahre und Schöne getrieben. Seine maurerische Wirksamkeit richtete sich vorzüglich auf die hilfsbedürftigen Deutschen in London und unter diesen ganz besonders auf die Kranken. Wie ein trost- und hülfespendender Engel ist der schöne, mildfreundliche Mann an tausend Schmerzenslager seiner Landsleute getreten; unzählige deutsche Herzen, die drüben in der kalten fremden Welt verlassen gewesen wären, haben ihn gesegnet und Thränen der Dankbarkeit aus seine Hand geweint.
Aber diese schöne Thätigkeit, der wir die vollste Anerkennung entgegen bringen, verliert sich doch für unser im Thau der Rührung schwimmendes Auge zu sehr in’s Allgemeine, darum nimmt unser Herz noch ein erhöhtes und specielles Interesse an Stumpff’s gemüthlicher Verbindung mit einigen Kunstheroen unseres Volkes, in welcher er sich in seiner ganzen Liebenswürdigkeit zeigt. Sobald Stumpff in gute Umstände gekommen war, zog ihn das von ewiger Sehnsucht bewegte Herz nach Deutschland, das er noch so wenig kannte, aber der Despotismus des corsischen Soldaten, der mit Kanonen und Bayonnetten den Oberbefehl in Deutschland errungen halte, verwehrte einem Unterthan der Krone Englands das Reisen in den Ländern, die er sich unter die Füße geworfen, und erst nachdem der übermüthige Mann gestürzt war, konnte unser Thüringer daran denken, sein Geburtsland wieder zu sehen. Im Frühjahr 1814 reiste er nach Deutschland. Damals sah ich als elfjähriger Knabe den bedeutenden Mann zum ersten Male. Meine Mutter hatte mir viel von ihm erzählt; sie war nur einige Tage älter als er und mit ihm confirmirt worden. Ihre lebhafte Phantasie schilderte mit brennenden Farben die Einsamkeit und Bescheidenheit des talentvollen schönen jungen Mannes, der sich so gewählt gekleidet und so nobel benommen, und die patriarchische Einfachheit und treuherzige Unbeholfenheit seiner Eltern. Meine Phantasie hatte ihn in Folge dieser Mittheilungen reich ausgestattet, aber doch überraschte mich die edle Form und der geistreiche liebevolle Ausdruck seiner Gesichtszüge. Ich hatte noch keinen männlichen Kopf gesehen, der mir so imponirt hätte. Die Vermählung männlicher Gemüthsmilde mit Charakterstärke und Geisteskraft gaben diesen herrlichen Zügen einen Ausdruck, den keine Beschreibung wiederzugeben vermag. Seine äußere Erscheinung hatte viel Englisch-Aristokratisches, ruhig und gemessen Nobles. Er besuchte alle Nachbarn und hatte für Jeden herzgewinnende freundliche Worte. Er wurde sehr gefeiert, und wenn er durch die Straße ging, traten die Leute vor die Hausthür, um ihn zu begrüßen.
Von Ruhla ging Stumpff nach Weimar. Ein englischer Herzog, vielleicht einer der Brüder des Königs Georg’s IV. (Stumpff hat ihn mir nicht genannt), Meister vom Stuhl der Freimaurerloge, welcher Stumpff angehörte, hatte ihn dem Herzoge Karl August empfohlen. Diese Empfehlung mußte warm gewesen sein; denn Stumpff wurde bei Hofe sehr honorirt. An der herzoglichen Tafel sah er Goethe wieder. Am besten lass’ ich ihn über dieses Begegnen selbst reden.
„Goethe’s Anblick rührte mir das Herz gewaltig. Als jugendlich schönen Mann hatte ich ihn dreißig Jahre früher gesehen; jetzt stand er unfern von mir als edler ehrwürdiger Greis. Damals wußte ich nichts von ihm, als daß er ein vornehmer Hofherr war, jetzt kannte ich alle seine Werke und verehrte ihn als den deutschen Dichterfürsten. Der Herzog stellte mich ihm vor, und ich erbat mir die Erlaubniß von ihm, ihm in seiner Behausung meine Huldigung darbringen zu dürfen. Dort nahm er mich kalt und förmlich auf, was mich verlegen machte. Doch schien er im Laufe der Unterhaltung einiges Wohlgefallen an meinen Aeußerungen zu finden. Ich mußte ihm viel von London erzählen. Sehr schmerzlich bedauerte ich, Schillern nicht mehr unter den Lebenden zu finden.“ –
Sein treu gesinntes Herz drängte ihn, auch dem Herzoge August von Gotha als Fürsten seines Geburtslandes die Aufwartung zu machen. Aber die brillante outrirte Natur dieses Fürsten hatte keine Empfänglichkeit für Stumpff’s deutsch-englisch gemessenes Wesen und ruhige, von sittlicher Größe getragene Würde. Stumpff’s Liebe war beim gemüthlichen weimarischen Hofe, und die Tage, die er zu verschiedenen Zeiten dort verlebte, nannte er die glücklichsten seines Lebens.
Zehn Jahre später war er abermals in Weimar. Dies ist der Besuch, welchen Goethe im Briefe an Zelter so kurz abthut. Die beiden Männer kamen während Stumpff’s Aufenthalt in Weimar einander näher. Der Grund war wohl, weil Stumpff nicht nurr Mode wurde in den höheren Cirkeln der berühmten kleinen Residenz, sondern auch weil er dem „hohen Dichtergreise“ sehr werthvolle Geschenke mitbrachte.[2] Gewiß weiß ich, daß Goethe von Stumpff einen sehr kostbaren Dollond zum Geschenk erhalten hat. Er gab ihm dafür einige seiner Bücher, darunter Werther’s Leiden in einer Ausgabe mit des Dichters Portrait und den von ihm darunter geschriebenenen Worten: „Seinem werthen Landsmann Herrn J. A. Stumpff zum freundschaftlichen Andenken, Goethe, 1. November 1824.“ Dann ein Bändchen Festgedichte mit der eigenhändigen Inschrift: „Seinem werthen patriotisch gesinnten Landsmanne Herrn J. A. Stumpff zum freundschaftlichen Andenken.
Noch ist es Tag, da rühre sich der Mann.
Die Nacht tritt ein, wo Niemand wirken kann.
Endlich unterzeichnete Goethe sechs auf einzelne Blätter gedruckte Gedichte jedes mit seinem Namen für Freunde Stumpff’s in London.
Eh’ unser wackerer Harfenmacher auf dieser Reise das ihm so lieb gewordene Ilm-Athen betrat, führte ihn sein „patriotisch gesinntes“ Herz zu zwei andern ihm heiligen Stätten. Die vier Sterne seiner höchsten Liebe waren Goethe, Schiller, Mozart und Beethoven. Da er zwei davon nicht mehr unter den Lebenden fand, so wollte er wenigstens an der Stätte, wo der Dichter gestorben, und an der, wo der Tonschöpfer geboren worden war, dem tiefen Gefühl seiner Seele ein Genüge thun. Er wallfahrtete zuerst nach Mozart’s Geburtshaus in Salzburg, er suchte dort dessen geliebte Schwester und Kunstgenossin und dessen Wittwe auf, um ihnen die Huldigung zu erweisen, die dem lebenden Genius des unsterblichen Meisters darzubringen ihm nicht mehr vergönnt war. So karg Stumpff’s Mittheilungen über diese Reise, so wie über sein ganzes Leben und Wirken an mich auch gewesen sind, so fand ich doch unter seinen mir übergebenen Papieren werthvolle Documente, welche einiges freundliche Licht gewähren. Die zunächst folgenden beziehen sich auf seinen Aufenthalt in Salzburg. Der erste Brief ist von der Frau, welche einst Mozart’s Gattin gewesen war, das zweite Blatt von Mozart’s Schwester, welche einst als Kind mit dem achtjährigen Virtuosen von ihrem Vater auf Kunstreisen geführt, mit ihm die gebildete Welt aus dem Clavier entzückte.
Sehr verehrter Herr und Freund!
Je mehr Freude Ihre Achtung vor Mozart’s Namen und Ihre Theilnahme an seinen Angehörigen mir gewährten, desto mehr habe ich die Kürze unseres Zusammenseins zu bedauern. Noch mehr aber schmerzt es mich, daß ich Ihnen meine Gefühle nicht bethätigt habe, ungeachtet ich es wenigstens einigermaßen gekonnt hätte. Es stand bei mir, Ihnen das Haus, worin Mozart geboren ward, und eine von Mozart’s Vater über alle Freunde in London geführte Liste und sogar die von London und Chelsea während ihres dortigen Aufenthaltes an einen hiesigen Freund gesandten dreizehn Briefe vom 13. Septbr. 1764 an datirt (sie hatten bei Mr. Xandal in Fivefields Row ein Haus auf ein paar Monate gemiethet) zu zeigen, und ich versäumte es; gewiß die Wirkung unserer gänzlichen Aufmerksamkeit auf Ihr anziehendes Gespräch.
Bei der Ueberlegung, ob ich denn nun auf gar keine Art Ihnen ein Andenken anbieten könnte, ist es mir wieder in den Sinn gekommen, [440] daß sie bei der Annahme der Karte meiner Schwägerin besonders fragten: ob die Schrift auch von ihrer Hand sei? Diese Erinnerung freute mich nicht wenig, weil sie mir das Mittel, Ihnen etwas Angenehmes zu erweisen, an die Hand gab, welches Sie denn auch auf dem beiliegenden Blatte finden. Wiewohl lesen und schreiben der Schwägerin sehr schwer fällt, so war sie doch gleich willig, die Wahrheit niederzuschreiben.
Damit ich nun sicher weiß, daß ich mich nicht vergebens gefreut habe, mich auf diese Art in Ihrem Gedächtniß zu erhalten, so bitte ich Sie, mir mit erster Post zu melden, daß Ihnen gegenwärtiger Brief zugekommen ist. Verpflichten würden Sie mich, wenn Sie Ihre Reiseroute in Ihre Geburtsheimath mit möglichst bestimmter Angabe der Zeit, die Sie daselbst und hin und her unterwegs zubringen werden, hinzufügen wollten. Es ist so gut wie gewiß, daß wir uns in einem oder zwei Monaten in die Nähe von Gotha begeben werden. – Sein Sie versichert, daß wir uns aufrichtig freuen werden, auf längere Zeit als das erste Mal mit Ihnen zusammenzukommen. Die Schwägerin, mein Mann und ich empfehlen uns dem Wohlwollen Ihres edlen Reisegefährten Graf K. und versichern Sie einer steten Freundschaft.
- Beilage:
Ich war sehr erfreut, den biedern Herrn Stumpff kennen zu lernen. Mein mit meinem Bruder und unserem Vater in London vom 22. April 1764 bis Juli 1765 gemachter Aufenthalt ist mir im werthen und dankbaren Andenken.
Salzburg, 21. Septbr. 1824.
Wittwe, 73 Jahr alt.
[455]
- An Frau von Nissen in Salzburg.
- Madame!
Vor allem andern muß ich erst um Verzeihung bitten, daß ich Ihren Brief nicht eher beantwortet habe, und besonders, weil Sie mich ersuchten, solches mit umgehender Post zu thun, ist es um so weniger zu entschuldigen.
Ich könnte wohl manches angeben, das mich weniger schuldig erscheinen ließe, doch die Hauptsache war ein sehr empfindlicher Verlust, den ich durch den Bankerott der Bänker Marsh Fauntleroy[WS 2] u. Comp.- ↑ Die Denkwürdigkeiten Ludwig Storch’s, die wir bei Gelegenheit des daraus mitgetheilten Auszugs seiner Biographie (Nr. 15. 1856) besprachen, haben durch eine nicht kleine Anzahl einzelner Aufsätze und Besprechungen von interessanten Persönlichkeiten, mit welchen der Dichter in irgend welcher Beziehung gestanden hat, einen ganz eigenthümlichen Reiz. Der Verfasser hat diese kleinen Bilder, die er dem großen Bilde beigegeben, „Medaillons“ genannt. Wir werden einige davon mittheilen, da an den Druck des ganzen Werks vor der Hand nicht zu denken ist. D. Redact.
- ↑ Das war der Grund wohl nicht; er lag vielmehr in Goethe’s Charakter. Kirms schrieb einmal an Ifland: „Sie vermissen vielleicht eine Herzlichkeit an ihm (Goethe); das kann sein. Von dieser Seite zeigt er sich nicht oft und alsdann nur, wenn er einen Menschen lange geprüft und bewährt gefunden hat.“ D.
Und nun danke ich Ihnen für Ihren vertrauensvollen Brief, worin Sie mich sowohl Ihrer Freundschaft als auch der Ihrer Frau Schwägerin, Mozart’s geliebter Schwester, und der des Herrn von Nissen versichern und solches sogar eigenhändig bekräftigen.
Sie können kaum glauben, wie sehr mich das erlebte Unglück verstimmt hat; es hat meinen Reiseplan geändert und nöthigt mich, ohne Verzug nach London zurückzukehren, ohne, wie ich hoffte, meine Freunde in Gotha wieder zu begrüßen. Nie werde ich vergessen können, was mir in dem so lieben Salzburg zu Theil geworden. Ich habe den Boden betreten, auf welchem der große Tondichter gewandelt; ich habe das Haus und die Kammer besucht, in welcher der Liebling der Musen zuerst das Licht der Welt erblickte. Nochmals danke ich Ihnen für alle Freundschaft, die Sie mir bei meiner Anwesenheit erwiesen, und nehme mir noch die Freiheit, eine schon damals geäußerte Bitte zu wiederholen, nämlich die kurze mit unsterblichen Werken bezeichnete Bahn Mozart’s mit Liebe zu beleuchten, wozu Sie einen Schatz von Briefen und andern Materialien in Händen haben. Ich und viele Tausende sehnen sich mit Ungeduld nach einer Biographie des Meteors Mozart. [1]
Mögen folgende Verse, die ich, von Mozart’s unsterblichem Genius begeistert, gedichtet und unter einen Kupferstich des großen Meisters geschrieben (er hängt in goldenem Rahmen in meinem Zimmer und ist mir ein Heiligthum), mögen diese Verse Sie, verehrte Frau, und Herrn von Nissen mahnen, bald mit Liebe an das Werk zu gehen; und wenn Sie meiner gereimten Herzensergießung die Ehre eines Plätzchens vergönnen wollten, so würde dies mir als Beweis dienen, daß mein Ersuchen nicht fruchtlos geblieben. Dem Unternehmen Heil und Segen wünschend, habe ich die Ehre etc.
Diese Reise führte unsern deutschen Gefühlsschwärmer auch in die bescheidene Wohnung Ludwig van Beethovens in Mödling bei Wien, und hier beugte er sich abermals, seine heiligen Empfindungen in Huldigungen ausströmend, vor der Größe des deutschen Genius. Wie theuer ihm der einsame große Tonschöpfer wurde, dessen Ohr sich dem Reiche der Töne verschlossen hatte, beweist, wie angelegentlich er sich bei der nächsten Umgebung des Meisters erkundigte, womit diesem wohl eine rechte Herzensfreude zu machen sei. Da erfuhr er denn: Beethoven habe längst den Wunsch gehegt, dessen Erfüllung aber bei der Seltenheit und Kostspieligkeit des Gegenstandes kaum je zu erwarten sein dürfte, Händels sämmtliche Werke zu besitzen. Kaum war Stumpff in seine Werkstatt zurückgekehrt, als er keine Mühe und keine Kosten scheuete, die berühmte Arnold’sche Prachtausgabe von Händel’s vollständigen Werken, deren Platten längst vernichtet waren, aufzutreiben. Es dauerte lange, eh’ es ihm gelang. Aber im Jahre 1826 sandte er diese Prachtausgabe in vierzig Foliobänden in kostbarem Einband an seinen Freund, den Pianofortefabrikanten H. Streicher Sohn in Wien mit der Bitte, „sie dem größten lebenden Tondichter, Herrn [456] Ludwig van Beethoven, als ein Zeichen tiefster Hochachtung und innigster Verehrung zu überreichen. Die Uebergabe geschah mit Feierlichkeit und warf auf die trüben Tage des gewaltigen Tondichters – er lag schon krank auf dem Schmerzenslager – den verklärenden Lichtstrahl der Freude. Dieses wahrhaft „königliche Geschenk“, wie Beethoven in seinem Dankbriefe es nennt, machte in Wien Aufsehen, so daß die Zeitungen davon sprachen. Einer Notiz in Stumpff’s Papieren, die mir bei der Ausarbeitung dieser Skizze zur Hand waren, zu Folge hat ihm dieses seltene Notenwerk mit Einband und Transport bis Wien, 62 Pfund Sterling gekostet. In Betracht, daß Stumpff nicht reich war, daß er erst kurze Zeit vorher durch den Fall seines Banquiers 500 Pfund verloren hatte, für ihn ein harter Schlag, wie er offen bekennt, daß seine unbegrenzte Wohlthätigkeit immer offene Hand hielt: setzt dieses dem deutschen Genius dargebrachte Huldigungsgeschenk in das größte Erstaunen. Welcher Fürst, welcher reiche Privatmann in Deutschland würde wohl dem armen kranken Beethoven ein Geschenk für vierhundert Thaler gemacht haben? Stumpff arbeitete und entbehrte, um dem Koryphäen der deutschen Kunst frohe Stunden zu bereiten. Mit seiner fleißigen Hand hat er erworben, was er mit der zartesten Aufmerksamkeit und der rührendsten Bescheidenheit auf den Altar des Vaterlandes als Opferspende niederlegte. Es war eine reine Gabe. Aber Stumpff ließ es dabei nicht bewenden; er that noch mehr für Beethoven, wie wir bald hören werden.
Wir dürfen nicht vom Jahre 1826 scheiden, ohne der trostreichen Liebesthat zu gedenken, womit Stumpff einem andern bedeutenden deutschen Tondichter die letzten Lebenslage schmückte. Eine mir darüber gemachte Mittheilung lautet:
„Ich hatte des genialen Karl Maria von Weber Bekanntschaft in Dresden gemacht, wo ich ihn 1824 aufgesucht, um ihm meine Ehrfurcht zu bezeigen. Als nun um diese Zeit der Schöpfer des „Freischütz“ von den Direktoren des Coventgardentheaters in London den Auftrag erhalten hatte, eine Oper zu componiren, wozu ihm das englische Textbuch eingesandt wurde, kam er im Februar 1826 mit seiner fast fertigen Oper „Oberon“ nach London, und suchte mich auf. Ja, er nahm seine Wohnung in Great Portlandstreet, dem Hause, welches ich bewohnte, gerade gegenüber, um, wie er sich gütig ausdrückte, mich desto öfter zu sehen und sich mit mir zu unterhalten. Er zeigte mir eine Freundschaft, die mich tief rührte, und mich nur noch mehr anspornte, ihm in aller Weise zu dienen und zu helfen, und in der That sind wir in diesen vier Monaten bis zu seinem Tode viel zusammen gewesen, und ich lernte Webern als Menschen eben so hoch verehren, wie ich ihn bereits als Künstler schätzte. Auf seine Anfrage, wie mir sein Freischütz gefallen, versprach ich schriftliche Antwort.
Wie nun meine tiefsten und schönsten Gefühle, wenn ich sie in Gedankenform von mir geben will, fast immer zu Gedichten werden, mögen diese nun so unbeholfen sein, wie sie wollen, so strömte ich auch jetzt die von Weber’s herrlicher romantischer Tondichtung empfangene Inspiration in gebundener Rede aus.“
Wiederum mit der zartesten Aufmerksamkeit legt Stumpff dem Gedichte und dem freundlichen aufmunternden Briefe ein werthvolles Geschenk bei, was sehr zur rechten Zeit kam, da sich Weber damals in Geldverlegenheit befand. Er verstand es, gebend zu erheben, wie wenig Menschen. Unter Stumpff’s Papieren fand ich Weber’s Antwort.
„Welch großes Vergnügen haben Sie mir gemacht, mein werther Herr und Freund, durch Ihre geist- und gemüthvollen Verse und Ihr freundliches Geschenk! Empfangen Sie meinen besten und herzlichsten Dank dafür!
Gewiß ist es der schönste Lohn des Künstlers, sich von rein empfindenden Menschen erkannt und verstanden zu wissen. Mögen Ihre guten Wünsche in Erfüllung gehen, und ich bald wieder die Meinigen umarmen! Gedenken Sie auch in der Ferne freundlichst Ihres herzlichst dankbaren und Ihnen ergebenen Freundes
London, 11. Mai 1826.
„Ach, nur vierundzwanzig Tage später,“ fährt Stumpff fort, „wurde Weber früh todt in seinem Bette gefunden. Die Trauerbotschaft wurde mir schnell hinterbracht, und ich eilte sogleich über die Straße in den Raum, wo ein deutscher Genius erloschen war. Mit Wehmuth betrachtete ich lange die edlen, gelassenen Züge, die immer noch die Spuren des Geistes trugen, der doch nicht mehr in ihnen wohnte. Im Namen Deutschlands sagte ich dem Geschiedenen ein „Fahrwohl!““
Stumpff’s Pietät gegen die schöpferischen Genien seines deutschen Vaterlandes sollte im folgenden Jahre einen noch weit schmerzlichern Verlust erleiden. Zu Anfang desselben erhielt er von Beethoven folgenden Brief:
„Sehr werther Freund!
Welches große Vergnügen mir die Uebersendung der Werke von Händel, die Sie mir zum Geschenk machten – für mich ein königliches Geschenk! – verursacht hat, dieses vermag meine Feder nicht zu beschreiben. Man hat es sogar in die Zeitungen gebracht, welches ich Ihnen hier mittheile. Leider liege ich schon seit dem 3. December an der Wassersucht darnieder. Sie können denken, in welche Lage mich dieses bringt. Ich lebe gewöhnlich nur von dem Ertrage meiner Geisteswerke, und muß für mich und meinen Karl[2] Alles davon beschaffen.
Leider seit drittehalb Monaten war ich nicht im Stande, eine Note zu schreiben. Mein Gehalt beträgt nur so viel, daß ich davon den halbjährigen Zins bestreiten kann. Dann bleiben einige hundert Gulden Wiener Währung übrig.[3] Bedenken Sie noch, daß sich das Ende meiner Krankheit noch gar nicht bestimmen läßt, und wann es endlich möglich sein wird, gleich wieder mit vollen Segeln auf dem Pegasus durch die Lüfte zu segeln! Arzt und Chirurgus, Alles muß bezahlt werden!!
Ich erinnere mich recht wohl, daß die philharmonische Gesellschaft in London vor mehreren Jahren ein Concert zu meinem Besten geben wollte. Es wäre für mich ein Glück, wenn sie diesen Vorsatz von Neuem fassen wollte; ich würde vielleicht aus aller meiner bevorstehenden Noth doch noch gerettet werden können. Ich schreibe daher an Herrn Smart[4], und können Sie, werther Freund, etwas zu diesem Zwecke beitragen, so bitte ich Sie nur, sich mit Herrn Smart zu vereinigen. Auch an Moscheles[5] wird deshalb geschrieben, und in Vereinigung aller meiner Freunde glaube ich doch, daß sich in dieser Sache etwas für mich wird thun lassen.
Rücksichtlich der Händel’schen Werke für Se. kaiserl. Hoheit Erzherzog Rudolf kann ich bis jetzt noch nichts Bestimmtes sagen, ich werde aber in wenig Tagen an ihn schreiben, und ihn darauf aufmerksam machen.
Indem ich Ihnen nochmals danke für das herrliche Geschenk, bitte ich zugleich mir zu befehlen; wo ich Ihnen hier in etwas dienen kann, thue ich’s von Herzen gern. Meine Ihnen hier geschilderte Lage lege ich Ihnen nochmals an ihr menschenfreundliches Herz, und indem ich alles Schöne und Gute wünsche, empfehle ich mich Ihnen bestens.
Wien. den 8. Februar 1827.
Sehr verehrter Herr und Freund!
Wie sehr mich die Nachricht durchbebt und mit Schmerz durchdrungen, daß Sie an einer langwierigen Krankheit leiden, die Sie mir nun selbst mittheilen, kann ich mit Worten nicht ausdrücken. Schon seit der ersten Nachricht davon, die ich durch meinen Freund Streicher erhielt, vergingen wenige Tage, wo ich nicht mit dem größten Antheil an meinen kranken Freund in Wien gedacht. Oft stehe ich im Geiste in der Stube an des leidenden Freundes Krankenbette und frage ängstlich den Arzt, wie es mit dessen Besserung stehe, und möchte ihm so gern die Versicherung abnöthigen, daß die Krankheit nicht gefährlich sei und daß der Kranke bald wieder hergestellt sein werde.
Ja, mein innigst verehrter Freund, könnten herzliche und heiße Wünsche eines Freundes Ihre Genesung bewirken, es würden die Herzen ihrer Freunde und Verehrer bald einer neuen Symphonie sich [457] zu erfreuen haben, und heißer Dank würde von so vielen Zungen für die Genesung ihres so hochverehrten Tondichters gen Himmel steigen zu dem, der allein helfen kann und der seine Geschöpfe väterlich durch unerforschte Wege dem von ihm gesteckten Ziele entgegenführt.
Daß Ihnen die zugesandten Werke von Händel große Freude gemacht haben, ist Lohn genug für mich, weil es ja meine einzige Absicht war, eine solche zu bewirken.
Ihren Wünschen zufolge habe ich ohne den geringsten Zeitverlust die Herren Smart und Moscheles für die gute Sache gewonnen, als auch die Directoren der philharmonischen Gesellschaft davon benachrichtigt. Auf meine dringende Vorstellung wurde ohne Verzug darüber berathschlagt, und die Folge war (weil die Veranstaltung eines Concertes zu viel Zeit erfordere), daß für’s Erste eine Summe von hundert Pfund Sterling an Sie remittirt werden solle, und Moscheles erbot sich, solches durch das Rothschild’sche Haus hier an das Haus des Barons Ekeles in Wien zu spediren, durch welches Sie nach Bedürfniß Gebrauch machen können. Das ganze Geschäft ward von mir und Moscheles mit aller Emsigkeit besorgt.
Endlich danke ich Ihnen recht herzlich für ihr gütiges Anerbieten, mir in Wien nützlich sein zu wollen, und indem ich Sie an Ihr mündliches Versprechen, mich mit einigen von ihrer lieben Hand geschriebenen Noten zu beglücken, erinnere, habe ich die Ehre zu verharren mit dem herzlichsten Wunsche für ihre baldige Genesung
treu ergebenster Freund und Diener
J. A. Stumpff.
Frau Wilhelmine Schröder-Devrient (jetzt Frau von Bock), die große Schülerin des großen Meisters, die als Fidelio seinen herrlichsten Gedanken mit einer der seinigen gleich kühnen Genialität und ergreifender Begeisterung verkörpert und der ich nach einer solchen Vorstellung Beethoven’s rührenden Brief und Stumpff’s herrliche Antwort darauf vorlas, versicherte mich, die Hülfe sei zu spät gekommen; Beethoven habe bereits mit dem Tode gerungen, als ihm der Baron Ekeles das Geld habe einhändigen wollen. Er starb am 26. März.
Stumpff fuhr auch nach dem Tode des hochverehrten Freundes fort, das Andenken desselben zu verherrlichen. Als er 1824 von ihm schied, schenkte Beethoven ihm sein lithographirtes Portrait. „Ah!“ rief Stumpff, „dieses Bild ist Ihrer unwürdig. Ich werde in London ein besseres machen lassen.“ Er hielt Wort, er ließ von einem der berühmtesten Lithographen Londons auf seine Kosten ein großes ausgezeichnet schönes Portrait des „Meisters der Töne“ anfertigen, welches 1835 erschien.
Das Jahr 1829 ist in Stumpff’s Leben bezüglich seiner Pietät für deutsche Größe wieder merkwürdig. In den ersten Monaten desselben erhielt er einen sehr freundschaftlichen Brief von der Frau Etatsräthin von Nissen in Salzburg, worin sie ihm eröffnete, daß Mozart’s geliebte achtundsiebenzigjährige Schwester Maria Anna, Frau von Sonnenburg, in gedrückten Verhältnissen lebe und ihn bat, etwas für die arme Greisin zu thun. Den Brief der Frau v. Nissen hat mir Stumpff nicht mitgetheilt. „Er ist zu schmerzlich für mich gewesen,“ schreibt er mir, „und darf auf keinen Fall veröffentlicht werden.“ Wie zart ist die Discretion des edlen Mannes! Dagegen erhielt ich eine Abschrift des Briefes, welchen er mit einem Wechsel von 63 Pfund Sterling an Frau von Sonnenburg schickte, nebst dem Antwort- und Dankschreiben der Frau von Nissen.
An Frau von Sonnenburg, Mozart’s einzige Schwester.
Theuere Freundin!
Gott gebe, daß dieser Brief nebst Inlage Sie gesund antreffe und Ihnen erfreulich sein möge! Der Ueberbringer desselben ist Herr N., ein Tonkünstler, besonders stark auf der Orgel, und ein großer Verehrer der unsterblichen Schöpfungen des Lieblings der Musen, Wolfgang Amadeus Mozart’s. Er ist auf einer Kunstreise begriffen und wünscht die persönliche Bekanntschaft der lebenden Musikkünstler zu machen. Wenn Sie, Madame, ihn einer geneigten Aufnahme würdigen wollten, so würden Sie mich sehr verbinden.
Der kurze Aufenthalt in dem mir so lieben Salzburg wird mir stets im Gedächtniß bleiben. Oft rufe ich mir die so flüchtig enteilten Stunden in die Seele zurück, wo ich durch Ihre Güte das Haus und die Kammer betrat, wo der große Tonpoet geboren ward, und mir dadurch ein von Jugend an gehegter Wunsch verwirklicht wurde. Nicht ohne Rührung denke ich an den Empfang, mit dem Sie mich beehrten. Wie oft stelle ich mir Sie, Madame, im Geiste in der Gestalt eines durch Leiden geprüften Wesens vor, das nun bereit ist, vor seinem Schöpfer und liebenden Vater zu erscheinen und den schönen Lohn der Treue aus seiner Hand zu empfangen. Doch wohin gerathe ich? Der Zweck dieses Briefes ist ja nur, Sie zu ersuchen, den Betrag des eingeschlossenen Wechsels von 63 Pfund Sterling von mir und einigen meiner Freunde anzunehmen als ein Zeichen der besonderen Hochachtung, die wir für Sie und den unsterblichen Mozart hegen. Sollte diese kleine Gabe vermögend sein, Ihnen einige Stunden zu versüßen, so würde es für mich besonders erfreulich und ein hoher Genuß für mein Herz sein.
Würden Sie mich mit einer geneigten Antwort beehren, so würde es mich und meine Freunde sehr erfreuen. Indessen habe ich die Ehre etc.
Mein hochgeschätzter Freund!
Heute, am 31. October, am Namenstage meines unvergeßlichen Mozart, wurde meine geliebte Schwägerin begraben. Es war mir äußerst rührend, von ihr noch zwei Tage vor ihrem Tode den Auftrag zu bekommen, welchen sie mir mit so vielem Dankgefühle gab und der darin bestand, mich zu beeilen, Ihnen, mein theurer Freund, ihr Dahinscheiden alsbald zu melden, und Ihnen vielmals für die großmüthige Gabe, welche Ihr Freund, Herr N., überbrachte, ihren innigsten Dank abzustatten. Ach, sagte sie, wenn ich’s nur selbst thun könnte! Sag’ auch unserm edlen Freunde Stumpff, daß seine Großmuth mir die Demüthigung erspart hat, Schulden zu machen, und daß ich nun, ohne Schulden zu hinterlassen, ruhig sterben kann. Auch lasse ich meinen edlen Stumpff bitten, allen denjenigen, die er dazu bewegt hat, beizutragen, in meinem Namen aufs herzlichste zu danken.
Dies waren ihre Worte, die ich mit gerührtem Herzen und Thränen im Auge niederschreibe. Und ich bitte, diese Trauernachricht Ihrem Freunde N. mitzutheilen. Ich werde Ihnen bald von meinen eigenen Angelegenheiten schreiben etc.
Diese Angelegenheiten der Frau Etatsräthin mögen eben auch nicht die erfreulichsten gewesen sein. Ihre ferneren Briefe hat mir deshalb Stumpff’s Zartsinn als nicht für die Veröffentlichung geeignet vorenthalten und wahrscheinlich ganz vernichtet. Genug, einer Andeutung zufolge waren sie neue indirekte Anweisungen an seine nie ermüdende Großmuth. Wie er, dessen Casse wohl, dessen Liebe aber nie versiechen konnte, sie honorirt hat, weiß ich freilich auch nicht anzugeben.
Während Stumpff’s Liebesgabe die letzten Freudenstrahlen auf das erbleichende Gesicht der würdigen Matrone zauberte, die einst als Kind an des berühmten Bruders, des Wunderknaben Wolfgang Amadeus, Seite am Clavier in Wien, Paris und London bewundert worden war, stand er selbst, der anspruchslose gottfreudige Geber, mit andern Huldigungsgeschenken, wie er sie darzubringen pflegte, wieder an der Schwelle des ihm so theuren Goethehauses in Weimar. Jetzt wird er endlich vom alten Dichterfürsten als Freund empfangen und behandelt. Jetzt steht Goethe nicht mehr mit jener Steifheit, die den Ritter Lang so aufbrachte, vor „seinem werthen Landsmann“; jetzt sitzen die beiden Herren auf dem Sopha, und Goethe nennt den glücklichen Stumpff mit Nachdruck „Freund“; jetzt bittet der alte Dichter den lieben Gemüthsmenschen, ihn, so lange er in Weimar verweilen werde, jeden Abend zu besuchen, mit der Versicherung, daß dies ihm sehr angenehm sein werde.
Unserm Stumpff konnte nichts erwünschter sein; er war eine Woche lang alle Abende bei Goethe.
[468]
Ich entnehme einem Briefe Stumpff’s an mich eine Stelle, die sich auf diese Abendbesuche bei Goethe bezieht.
„Am ersten Abend mußte ich dem großen Manne viel von London erzählen, besonders von Malern, Bildhauern und anderen Künstlern, und ihm die Namen der vorzüglichsten vorbuchstabiren, welche er sich notirte. Endlich, nachdem ich von den Theatern und Volksbelustigungen gesprochen, fragte er mich plötzlich: „Und womit beschäftigen Sie sich denn in ihren Erholungsstunden in London?“
Diese Frage machte mich etwas verlegen, doch gab mir der Geist schnell eine Antwort ein, die ein langes Nachsinnen nicht besser zu geben vermocht hätte, nämlich: „Dann reite ich mein Steckenpferd, Excellenz.“
„Und darf man wohl wissen, welches das Ihrige ist?“ fragte Goethe weiter und, wie es schien, über meine Antwort verwundert.
„Ei, so muß ich es wohl gestehen, ich pfusche Ihnen in die Kunst und bin ein zwar plumper und unbeholfener Reimschmied, der aber doch für sein Leben gern einen Vers macht, und es nicht lassen kann, jedoch Niemandem mit seinen Schreibereien zur Last fällt.“
„Haben Sie vielleicht etwas von Ihren Poesien mit hier?“ fragte der Dichtergreis ungemein freundlich.
„So ist’s, Excellenz.“ – Ich hatte nämlich ein Gedicht auf der Reise in mein Portefeuille geschrieben. Auf Goethe’s freundliches und ermuthigendes Zureden versprach ich denn, das Gedicht zum nächsten Abend mitzubringen. Kaum war ich am folgenden Tage bei ihm eingetreten, als er mich auch schon fragte: ob ich mein Gedicht mitgebracht habe? Nicht ohne Befangenheit zog ich mein Buch hervor und bat um Erlaubniß vorher bemerken zu dürfen, daß man in keinem Lande mehr als in England darauf bedacht sei, mit Maschinen zu arbeiten. Mittels derselben könnten Leute, die sich solche anschafften und im Gange erhielten, große Reichthümer erwerben, und so seien denn auch Tausende bedacht, auf solche Art ihr Glück zu machen; man habe deshalb fast nichts als Maschinen vor Augen. Dies sei denn auch der Grund, aus welchem ich mir vor kurzem die Dampfmaschine zum Gegenstande dieses Gedichtes „der Kampf der Elemente“ betitelt, erwählt habe.
„Die Dampfmaschine als Gedicht!“ rief Goethe höchlichst verwundert. „Nun, das ist sehr originell. Aber ich bitte Sie: lesen Sie mir das Gedicht vor; ich bin jetzt um so neugieriger darauf.“
Ich willfahrte ihm ohne Ziererei. Er hatte sich erhoben und stand neben mir ganz aufrecht und mit voller Aufmerksamkeit zuhörend. Mir wuchs der Muth; ich las ohne Furcht und hob die kräftigsten Stellen hervor. Goethe schlug mich während des Lesens auf den Arm und sagte dazu außerordentlich gütig: „Gut gut! das ist brav!“ Und als ich fertig war: „Wahrlich, Sie haben Ihre Aufgabe überraschend schön gelöst! Haben Sie die Güte mir das Blatt zu überlassen.“ Nachdem ich es ihm überreicht, fuhr er mit einem bezaubernden Liebreiz in Stimme und Zügen fort: „Also Sie haben noch mehr solcher Verse geschrieben?“
„O ja. Excellenz, aber die übrigen sind so eigenthümlich hölzern, daß ich sie nicht gut jemandem zeigen konnte, hätte ich auch die Furcht überwinden wollen, man möchte darüber spötteln.“
„Nein, mein Freund! Kein Vernünftiger spöttelt über so etwas. Aber, wie meinen Sie das, hölzern? Sie betonen das Wort schelmisch lächelnd.“
„Ei, ich wette, Ew. Excellenz lachen selbst, wenn ich Ihnen die Bedeutung des gebrauchten Eigenschaftswortes gebe, die in der That und Wahrheit die natürlichste und wirklichste und durchaus keine bildliche ist. Meine Verse sind nur in Holz zu finden. Mein Herz sprühte schon in meiner Jugend Begeisterungsflammen für die großen Dichter meines deutschen Vaterlandes; aber nie kam mir der Gedanke in den Sinn, selbst einen Vers zu machen. Das hielt ich für ganz unmöglich und nur wenige Menschen von der Natur mit der Gabe zum Dichten begnadigt. Ein zufälliges Ereigniß, das mich gemüthlich sehr anregte, rang mir im Jahre 1807 das erste Gedicht ab; ich konnte gar nicht widerstehen; es kam gleichsam gegen meinen Willen. Ich war damals schon achtunddreißig Jahre alt, also gerade kein unreifer Poet. Von jener Zeit nun hat der unverstandene Drang meiner Seele, der mich in der Jugend fast wahnsinnig machte, einen Ausweg gefunden. Ich war nicht Meister der deutschen Sprache – wo und wie hätte ich mir auch diese Meisterschaft erringen sollen? – aber alle meine stürmischen Gefühle erzeugten Verse, alle Gluth, die in meiner Seele aufflammte, wurde zum Gedicht. Zwar sagten diese Erzeugnisse nie vollständig, je zuweilen kaum annäherungsweise, was in mir stürmte und drängte, aber sie nahmen mir doch die Last theilweise vom Herzen. Da mich der Sturm fast immer in meiner Werkstatt überfiel, wo ich mich die meiste Zeit des Tages aufhielt, so konnte ich sie nicht zu Papier bringen, denn das hatte ich nicht zur Hand; ich brachte sie also zu – Holz, das mich in Menge umgab, d. h. ich schrieb sie schnell mit Bleistift auf kleine Stückchen Brett, Abfälle der Resonanzböden, Fourniere u. s. w. Diese mit meinen Geistesproducten beschwerten Hölzchen – sie wurden eben nicht schwerer davon – warf ich in einer Ecke übereinander, ohne sie je wieder anzusehen oder einem anderen Menschen zu zeigen, und so ist’s denn seit vollen zwanzig Jahren ein hübsches Häufchen geworden, das eines schönen Tages in lichten Flammen aufgehen wird.“
Goethe lachte wirklich recht herzlich, indem er mit wahrhaft bezaubernder Freundlichkeit sprach: „Nun, was die Art und Weise Ihrer poetischen Production betrifft, so sind Sie wahrlich der originellste Dichter, der mir vorgekommen. Befreien Sie nun aber diese armen gefangenen Vögel aus ihren hölzernen Käfigen und schicken sie sie mir in Papier gepackt zu. Es liegt ein unbebautes Feld in Ihrer Brust, und es ist Pflicht, es zu cultiviren.“
Welch eine hinreißende, herzgewinnende Anmuth und Milde entfaltete diesen Abend der hochverehrte Dichtergreis, so daß er mir wie ein verklärtes höheres Wesen vorkam! Ich wünschte nichts mehr, als ein genialer Maler zu sein, um seine Gestalt, wie sie sich mir an jenem Abende zeigte, und wie sie vielleicht nur wenig Menschen gesehen haben mögen, zu fesseln. Er sprach lange über den Unterschied der Naturpoesie und der gelehrten Poesie, und gab mir herrliche Aufschlüsse über die Eigenthümlichkeiten des schottischen Naturdichters Robert Burns. Wahrlich, es floß ihm vom Munde, wie ein begeistertes Evangelium! Seine Aeußerungen thaten auch das Unzweifelhafteste kund, daß er mich lieb gewonnen hatte, und diese Ueberzeugung hob meine Seele, wie Adlerfittiche.
Am folgenden Abend begrüßte er mich wie einen Freund, den man mit liebevoller Sehnsucht erwartet hat, und sagte zu mir:
„Da ich Sie, mein werther Landsmann, in den Cirkel meiner Freunde aufgenommen habe, so werde ich Ihnen morgen einen Maler über den Hals schicken, der Ihr Conterfei für mich anfertigen wird. Haben Sie die Güte, ihm zu sitzen; ich werde Ihr Bild dann meinem Stammbuch einverleiben, welches aus den Portraits meiner Freunde zusammengesetzt ist.“
Und so geschah’s. Die mit dem großen Manne im vertrauten Umgange verlebten Stunden haben mich unaussprechlich glücklich gemacht, und ich schied endlich mit einer seligen Wehmuth von ihm. Meine Ahnung täuschte mich nicht: ich sah ihn nicht wieder. Zu Hause angelangt, holte ich meinen poetischen Breterschatz hervor, um ihn auf Papier überzutragen. Aber Zeit und Staub hatten die Schrift auf den meisten Bretchen unleserlich gemacht. Was ich retten konnte, wurde mir lieb: es waren ja die Kinder meines Herzens, und Goethe interessirte sich für sie. Ich schickte sie ihm zu, und er überraschte mich mit dem Abdruck einiger davon in seinem Journale „Chaos.“ – So weit Stumpff über die Geschichte seiner Gedichte. –
An einem schönen Maitage des Jahres 1835 stand ich Morgens an meinem Schreibtische. Ich wohnte damals in Gotha. Das junge Laub der Linden, welche den Vorplatz einer mir gegenüber liegenden Kirche zierten, leuchtete erfrischend und anregend durch die offnen Fenster in mein Zimmer. Man klopft an die Thür. [469] Auf meine Einladung tritt ein hoher, stattlicher Mann herein und redet mich an:
„Ein weit gereister Fremder kann sich bei seiner Durchreise durch diese Stadt das Vergnügen nicht versagen, Ihre Bekanntschaft zu machen.“
Und wenn ich den Mann auch nicht schon auf den ersten Blick wieder erkannt hätte, der weiche süße Ton seiner Stimme würde mir gesagt haben, wer er sei; denn so hatte ich nur einen Menschen sprechen hören, und aus diesen Lauten vernahm ich die eigenthümlichen Anklänge an das ruhlaer Idiom, die auch von meiner Aussprache unzertrennlich sind.
„Herr Andreas Stumpff aus London, seien Sie mir herzlich will kommen!“ entgegnete ich, mit Wärme ihm die Hand entgegen bietend.
„Wie? Sie kennen mich?“ rief er erstaunt. „Wie ist das möglich? Haben Sie eine Ader von Vörwerts-Häns?“
„Sie müssen doch von sich selbst wissen, verehrter Herr, daß der Dichter ein Seher ist,“ entgegnete ich lachend, „Und weht um die Berge unseres Geburtsortes nicht etwas Prophetengeist? Trauen Sie mir nun nicht auch ein wenig poetisch-divinatorische Clairvoyance zu, vorzüglich wenn das Object selbst ein Poet ist?“
„Ich könnte versucht sein, Ihre Aeußerung für Ernst zu halten; denn es ist mir unerklärlich, wie Sie mich kennen können.“
„Ich will die Sehermaske abwerfen. Sie sind mir von meiner Kindheit an eine sehr theuere Person gewesen, nur als Sie vor zwanzig Jahren in Ruhla zum ersten Mal zum Besuch waren, betrachtete ich Sie oft mit der stummen aber heiligen Verehrung einer reinen und begeisterten Kinderseele. Wie ich damals Ihr Bild in mich aufgenommen, ist es nie wieder von mir gewichen, und ich hätte Sie unter Tausenden erkannt, wenn auch die Hand der Zeit über Ihre Züge hingestrichen hat.“ Ich erzählte ihm nun von den Berichten meiner Mutter über ihn und von meiner dadurch geweckten schwärmerischen Liebe zu ihm. Er ergriff meine Hand und drückte sie mehrmals gerührt. Er sah mich mit einem fromm lächelnden, süß verklärten Kinderblicke an. Das immer noch schöne Auge wurde feucht und gewährte mir eine tiefe herrliche Perspective in die heilig geschonte, kindlich gebliebene Seele dieses poetisch gemüthlichen edlen Mannes.
„Mein lieber Freund,“ sagte er dann mild zu mir, „Sie haben mir durch Ihre Erzählung recht wohl gethan. Das lohn’ Ihnen Gott! Zugleich haben Sie mir einen Blick in Ihr Herz vergönnt. Und deshalb will ich gleich mit der rechten Farbe herausgehen. Unmöglich können sie ein Mensch sein, wie man Sie mir hier geschildert hat. Mit dem größten Interesse für sie bin ich hierher gekommen, denn ich habe Ihre Novelle: „Vörwerts-Häns“ gelesen, nein, verschlungen. Ich habe ja den Häns selbst gekannt und mit ihm verkehrt. Ich habe Sie geliebt, als ich mit dem Buche fertig war; ich habe mich auf Ihre persönliche Bekanntschaft gefreut. Ich schwärme für Deutschland, besonders für Thüringen, und am meisten für unsern Geburtsort, dessen poetische Verherrlichung in Ihrer Novelle mein Herz mir Wonnegefühl er füllte. Nun bin ich seit drei Tagen in Gotha und habe Urtheile über Sie vernommen, die mich befremdet und schier mißtrauisch über Sie gemacht haben.“
„Wenn Sie den über allen Ausdruck abgeschmackten Kleinigkeitsgeist einer kleinen moralisch kränkelnden Residenz erwägen wollen,“ erwiderte ich, „in welcher kein Mensch etwas gelten soll, der nicht Hof- oder Staatsdiener, Geschäfts- oder reicher Mann ist, in welcher das öffentliche und Privatleben matt und schläfrig im alten schmutzigen Geleise fortrumpelt und Alles Neue und Ungewöhnliche störend auf die Schlafmützenbequemlichkeit und Abderiten-Weisheit der Privilegirten und Herkömmlichen einwirkt, dann werden Sie auch begreifen, daß ein junger Mann, der sich untersteht, außer allem Geleise etwas rasch und unvorsichtig zu fahren und hier einen überklugen Dummkopf, dort einen aufgeblasenen Autoritätsmenschen, weiter einen verbissenen Egoisten u. s. w. unsanft anzustoßen, ein Gegenstand des allgemeinen Aergernisses sein muß. Das ist überall allen Schriftstellern meines Schlages so ergangen, was hätten denn ich und Gotha voraus, daß wir eine Ausnahme miteinander machen sollten? Ich erinnere Sie nur an Jean Paul’s Leben in Hof. Da geht’s mir hier noch leidlich.“ Ich schilderte nun die Einflüsse des Hofs und der öffentlichen Institute, deren Geist ich zu charakterisiren suchte, auf die Gesellschaft; ich führte ihm das ganze Elend, die tiefe traurige Verkommenheit der modernen Zustände vor. Er schien das Leben in Deutschland von dieser Seite noch gar nicht gekannt zu haben. Ich hatte die Genugthuung, daß mein aufmerksamer Zuhörer, als ich endlich schwieg, mir die Hand noch einmal drückte und in die Worte ausbrach: „Nun ist mir Alles klar. Sie sind diesen Leuten eine unbequeme Erscheinung, die sie auf ihre Weise zu beseitigen suchen. Davon sei ferner zwischen uns nicht mehr die Rede! Ich wünsche, daß Sie mir morgen Ihren Besuch schenken. Ich werde Ihnen Einiges mittheilen, was nur Wenige von mir erfahren, und ich will Ihnen damit einen Beweis geben, was ich von den albernen Schwätzereien über Sie halte.“
Er hinterließ mir den angenehmsten Eindruck. Nie noch war mir ein Mann herzengewinnender entgegengetreten. Ich fühlte, daß er einer der Verehrungswürdigsten unseres Geschlechtes sein müsse, und dieses Gefühl hat sich mir nachher als die schönste Wahrheit bestätigt. Solchen großartigen Erscheinungen gegenüber ist es nicht schwer, ein glücklicher Divinator zu sein.
Zur bestimmten Stunde des folgenden Tages trat er mir im vornehmsten Zimmer des vornehmsten Gasthauses in nobler Hauskleidung und mit der freundlichen Würde seines Wesens entgegen. Auf dem Tische vor dem Sopha, auf welchem wir Platz nahmen, lagen Manuscripte. Ein Kellner brachte Wein. Mein verehrter Landsmann schenkte die Gläser voll und sprach mit Gefühl: „Mit diesem deutschen Weine wollen wir unseren Freundschaftsbund einweihen. Seit ich Sie gestern kennen gelernt habe, ist es mein inniger Wunsch, daß Sie mein Freund sein möchten. Ich habe das öffentliche Unrecht eingesehen, das man Ihnen hier thut; vielleicht besitz’ ich ein Herz, das Ihnen einigen Ersatz dafür bieten kann. Sie haben mich geliebt, eh’ Sie mich kannten; ich hoffe, Sie sollen mich noch mehr lieben, wenn Sie mich kennen. Ich kenne und liebe Sie nun, und damit Sie auch mich kennen lernen, hab’ ich mir Ihren Besuch erbeten. Also aus unsere Freundschaft!“ Mir fiel eine Thräne in den Becher, während ich trank. Es war ein herrlicher elfer Rheinwein, recht geschaffen für deutsche Poeten.
„Wie im Weine überhaupt,“ fuhr Stumpff fort, „eine wunderbare symbolische Bedeutung für Liebe und Freundschaft und die edelsten und heiligsten Gefühle des Herzens liegt – hat ihn doch unser göttlicher Herr und Meister selbst zum Symbol seiner unergründlichen Liebe zur Menschheit und zum sichtbar geistigen Bande geweiht, das uns an ihn fesselt – so ist der edle Rheinwein insbesondere für mich Symbol und Medium der deutschen Treue, der deutschen Liebe, der deutschen Freundschaft. Und wer wie ich mit einem deutschen Herzen sein Leben in der fremde abspinnt, weiß die Tugenden des deutschen Charakters mehr zu schätzen, als die, welche daheim bleiben und sie gar oft an denen verkennen, die in ihrer Mitte leben, ja nicht selten die mit Füßen treten, die sie ihrer Tugenden wegen verehren sollten. Sind Sie in Gotha auch verletzt: üben Sie Vergebung! Sie ist auch eine Tugend und eine der schönsten. Ertränken Sie den Groll in diesem Weine. Folgen Sie dem Herrn, der da gebeut: du sollst deinem Feinde siebenzigmal siebenmal vergeben, ehe die Sonne untergeht.“
„Sie irren, lieber Stumpff, ich zürne den Leuten, die mich herunterreißen, nicht, ich bedaure sie, und habe nur ein „Vater, vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie thun!“ für sie.“
„Das ist brav? – sehr brav!“ rief der edle Mann freudig aus. „Darauf Eins trinken! Denn deutscher Wein und deutsche Tugend gehören zusammen. Der Wein soll der Verherrlicher der Tugend sein; dies halt’ ich für seine wahre Aufgabe. Darum soll man ihn nicht täglich und stündlich genießen und stets mit jener frommen Scheu, die uns erfüllt, wenn uns der Priester den geweihten Kelch an die Lippen setzt. Mein lieber, indem wir diesen köstlichen Wein genießen, wollen auch wir einen Gottesdienst begehen, den der Freundschaft, der Liebe, der Vergebung. Ich denke, er ist so heilig, wie irgend ein anderer.“
Wir tranken, küßten uns und schüttelten uns die Hände.
Hierauf griff er nach den Manuscripten.
„Ich will und muß Ihnen nun das Beste mittheilen, was je aus meiner Seele hervorgegangen ist, einige meiner Gedichte. Aber ich muß eine Einleitung dazu machen.“
Er erzählte mir nun vom Sturm und Drang seiner Jugend, der ihn nach London getrieben, von seiner Begeisterung für deutsche Dicht- und Tonkunst, von seiner Freundschaft mit Goethe, Beethoven, K. M. v. Weber. Ich erfuhr, wie er selbst zum Dichter geworden; er zeigte mir die Blätter des Chaos, in welchem Goethe seine Gedichte hatte abdrucken lassen, und erzählte die naive Geschichte [470] derselben. Er zeigte mir ferner Goethe’s Vermächtniß an ihn, ein eigenhändig vom Dichtergreise geschriebenes und mit dessen Namen unterzeichnetes Gedicht und eine Zeichnung von seiner Hand, eine Partie des weimarischen Parks vorstellend. Ein anderes Geschenk der Frau von Goethe, der Schwiegertochter, bestand aus vier vom Alten geschriebenen Versen mit ihrem Zusatze: „Sie waren einer von des Vaters geschätztesten Freunden.“
Man kann sich denken, mit welcher Theilnahme ich der Erzählung meines Freundes zuhörte, mit welcher Ehrfurcht ich diese Blätter betrachtete! Und die Bescheidenheit, mit welcher Stumpff von sich sprach, und welche mich die Hauptsachen stets errathen ließ, erhöhte gar sehr den Reiz dieser Mittheilungen. Als er mit seiner ungemein interessanten Geschichte fertig war, und ich ihm noch einmal in seligster Rührung die Hand gedrückt hatte, las er mir einige seiner Gedichte vor. Und wie las er! Mit welchem Gefühle, mit welchem Ausdruck! Wie himmelweit war dieser Vortrag verschieden von dem declamatorischen Pathos professioneller Vorleser! Aus diesen eigenthümlichen Modulationen der sonoren Stimme leuchtete und loderte die ursprüngliche und natürliche Gewalt der Poesie auf ein hochedles, durch keine Corruption blasirtes Menschenherz hervor. Ja, dieser sechsundsechzigjährige schöne Greis hatte sich ein keusches, für Gott, König und Vaterland begeistertes, für deutsche Poesie und Tonkunst, für Menschengröße und Tugend schwärmendes Jünglingsherz bewahrt. Es zuckte und zitterte jetzt im Wonnerausche unter der Berührung des Gottes, und die Stimme bebte, das Auge leuchtete von der Macht des Gefühls, das so gewaltig mit der Sprache rang, um sich kund zu geben, aber nicht im Stande war, sie zu bewältigen.
Ich bat ihn, mir seine Gedichte zu überlassen, damit ich sie drucken lassen könne.
„Ich will es mir überlegen“, entgegnete er, „und komm’ ich zum Entschluß, so schick’ ich Ihnen die Sachen.“
Aber obgleich wir im Laufe der Jahre einige Briefe wechselten, die Gedichte erhielt ich nicht. Erst zu Ende des Jahres 1845 schickte er mir das Manuscript eines größeren Gedichtes mit der Bitte, es zum Druck zu befördern. Fast siebenundsiebzig Jahre alt, hatte er sich erst entschlossen. Vergebens würde ich versuchen, der Rührung, die mich über dem Lesen des Gedichtes ergriff, Worte zu geben. Es war eine Idylle, welche das bekannte Kirmeßfest unseres Geburtsortes Ruhla besang. Die Fabel ist eine einfache, wahrscheinlich von ihm selbst erlebte Scene, ja er ist vielleicht selbst der Held des Gedichtes und die schöne Rühlerin darin seine Jugendgeliebte. O heilige Vaterlandsliebe, die du deine Wurzeln tief in das Herz des Dichters schlägst, so daß sie eins mit ihm werden, was bist du doch für ein wunderbar herrliches Wesen! Drüben im Nebel des modernen Babel wandelst du einen Greis zum begeisterten Jüngling und führst seiner Seele in lieblichen Bildern das grüne Ruhlathal in den thüringischen Bergen mit seinen fröhlichen Bewohnern vorüber. Näher und näher der einsamen Gruft am fernen Themsestrand wurde sein heiß gebliebenes Herz von immer stärkerer Sehnsucht nach dem Bergflecken, der ihn geboren, erfüllt; er ringt noch einmal mit der Sprache sich der Gefühle zu entäußern, die sein Leben lang seine Brust durchglühten, ihn aber jetzt mächtiger als je beherrschen, und er schreibt ein Gedicht voll Jugend und Heimathglanz. So schließt sich der Lebensring eines echten Dichters, wenn er auch nicht so glatte Verse gedrechselt hat, wie Herr O. von Redwitz. – Am Grabe steht er geistig wieder seiner Wiege gegenüber.
Die Herausgabe seiner Gedichte, die ich beabsichtigte, zerschlug sich, und als sie sich endlich verwirklichen sollte, überraschte mich die Nachricht von Stumpff’s Tode. Er war am 2. Novbr. 1846 zu London in Folge einer Verletzung des rechten Schienbeins, welche Knochenfraß erzeugt hatte, gestorben. Bis an sein Ende war er fleißig und wohlthätig gewesen. Ich hatte ihn auch gebeten, seine Lebensgeschichte selbst zu schreiben. Die Antwort war: „das kann ich nicht; ich bin kein Schriftsteller. Wenn Sie mich aus meinen Papieren nicht kennen lernen, würden Sie es noch weniger aus einer mit Absicht verfaßten Lebensgeschichte.“ Er hatte Recht. Aus der absichtslosen Natürlichkeit seiner Herzensergießungen trat mir das Bild seiner stillen Größe rein und deutlich hervor.
Stumpff’s Correspondenz mit Mozart’s nächsten Verwandten und mit Beethoven bildet einen merkwürdigen, aber echt deutschen Pendant zu den Mozart- und Beethoven-Monumenten. Man kann nicht oft und stark genug an diesem Pfahle im Fleische des deutschen Volkes rüttelen und reißen; er muß doch endlich heraus. Ich meine diese prahlerische und lächerliche Monumentensetzerei zur Verherrlichung großer Männer, die im Leben mit Aller Wissen dem Elend des Mangels verfielen. Ist es nicht eine Schande für Deutschland, daß Beethoven und Maria Anna Mozart, die weibliche Kehrseite von ihres Bruders hohem musikalischen Genie und einst seine bewunderte Begleiterin auf ihren berühmten Kunstreisen, Bettelbriefe nach London schreiben mußten, um krank und alt nicht zu darben oder Schulden zu hinterlassen? Wußte es etwa Wien nicht, daß der große Tonschöpfer des Fidelio draußen in Mödling Noten für’s tägliche Brod schrieb und daß er nichts hatte, als ihn die Wassersucht unthätig machte? Ah, die Sache war kein Geheimniß! Wußte Deutschland nicht, daß Mozart’s einzige Schwester und Kunstgenossin im hohen Alter Noth litt ? Deutschland mußte es wissen. Wenn wüthender Applaus dem Champagnerlied des Don Juan folgte und das allgemeine Verlangen des ganzen Hauses nach Wiederholung den Beleber der Mozart’schen Zaubertöne mit abgezogenem Hut an die Lampen rief, wo er im langsameren Tempo das bekannte: „Vivat, Mozart, unsterblicher Meister!“ absang, so daß in jeder deutschen Brust das Herz höher schlug aus gerechtem Stolz und hoher Freude, daß Er das unveräußerliche ewige Eigenthum unseres Volkes ist, dachte da Niemand daran laut zu rufen: „Und seine Schwester und seine Wittwe darben?“ Aber ich fürchte sehr, nur blutwenig Leute in Deutschland wußten, daß Mozart’s einzige Schwester, die Theilnehmerin seines Genie’s und seiner frühen Triumphe, noch lebte. Wer hat Lust und Zeit sich um eine alte vergessene Frau zu bekümmern? Und Beethoven war ein finsterer schroffer Mann, von der Taubheit nur noch mehr verdüstert, der nicht vor den Hutknöpfen und Pfauenfedern des widerwärtigen deutschen Mandarinenthums katzenbuckelte, ein Kern- und Kraftmensch, eine durchaus edle und herrliche deutsche Natur war dieser Beethoven, ein Mann, der das Gefühl seines hohen Werthes in der stolzen Brust trug und sich nicht herabwürdigte, sich vor jedem betitelten oder decorirten Frack zu bücken. Deshalb mußte er Noth leiden im gemüthlichen Wien.
Aber, Gottlob! es gibt noch edle deutsche Herzen, die in echter Begeisterung schlagen für deutsche Genialität und dem Genie, ohne zu zählen und zu rechnen, die volle Hand freudig und schnell reichen. Es gibt noch Deutsche, die ihre dem großen deutschen Namen schuldige Huldigungssteuer nicht bis zum Monument desselben aufsparen, sondern sie still und reich dem bedürftigen Leben spenden. Wohl wandte sich die alte vergessene Frau in Salzburg, die Mozart’s Genie, Liebe und Namen besaß und „nicht gern Schulden hinterlassen wollte,“ und Mozart’s Ruhmesgenosse vom Krankenbette nach England um Unterstützung, aber sie wandten sich an einen Deutschen! Hör’ es, mein Vaterland: ein deutscher Arbeiter war es in London, ein Mann ohne Vermögen, aber mit einem flammenden Herzen für deutsche Größe, ein Thüringer war es, der den Bittenden mit vollen Händen und der zartesten Discretion gab, der im Namen Deutschlands der Schwester deines Mozart und deinem Beethoven die letzten Stunden versüßte, der deinem K. M. v. Weber das „Fahrwohl“! nachrief. Sei stolz auf diesen Mann und trage seinen bescheidenen Namen in die Liste deiner Edelsten ein. Und ihr, deren Schuld er abtrug, nehmt euch ein Beispiel an ihm! Laßt die Männer nicht darben, die dem deutschen Namen allein Ehre machen vor anderen Völkern der Erde!
- ↑ Stumpff’s dringende Bitte hatte die Folge, daß der königl. dänische Etatsrath G. N. v. Nissen eine Biographie Mozart’s erscheinen ließ (Leipzig 1828), die aber fast nur aus Material besteht. Daß St.’s Begeisterung für Mozart eine echte und wahre und kein Strohfeuer war, beweist, daß er schon dreizehn Jahre früher eine bedeutende Anzahl Mozart’scher Compositionen im Manuscript des Meisters mit großer Mühe und größeren Kosten zusammenkaufte. Er machte mir darüber folgende Mittheilung: „Im Jahre 1756 am 27. Januar erblickte Wolfgang Amadeus Mozart im romantischen, gebirgigen Salzburg das Licht der Welt. Dreizehn Jahre später, wiederum am 27. Januar, schwebte auch mein Lichtfunke in einem dichten Schneegestöber in das ebenfalls romantische Bergthal Ruhla m Thüringen herab. Das Auffallende dieses Zufalls ist, daß mich seit meiner frühesten Erinnerung die Schöpfungen des großen Gefühlsmalers Mozart mit den seligsten Empfindungen erfüllten und meinen Geist in Regionen erhoben, welche nur im Gehirn der begeistertsten Poeten ihren Wohnsitz haben. Bei dieser Gelegenheit erlaube ich mir, Ihnen noch zu bemerken, daß ich seit 1811 folgende von Mozart’s Compositionen, und zwar alle von seiner eigenen Hand geschrieben, käuflich an mich gebracht habe. Sie haben mich 150 Pfund Sterling gekostet. 6 Quartetten, Joseph Haydn gewidmet. – 4 Quartetten, dem König von Preußen gewidmet. – Quartetten in D minor. – Quintetten in Es minor. – Quartetten in D minor. – Quintett in C minor. – Fantasia & Sonata in C minor. – Favorit Sonata in As. – Fuga in C minor. – 5 verschiedene Compositionen in einem Hefte. Nach dieser so einzigen Sammlung, worin Mozart so viele Stellen ausgestrichen und geändert hat, wodurch uns ein Blick in seine Seele vergönnt ist, können alle vorhandenen Editionen (und die meisten sind voller Fehler) verbessert werden. Ich wünschte sehr, daß diese Heiligthümer in einem würdigern Locale, als das meinige ist, nämlich in einer kaiserlichen, königlichen oder fürstlichen Bibliothek oder Kunstkammer deponirt würden, oder sonst ein angemessenes Unterkommen bei einem von den Musen begeisterten Liebling derselben, den auch die Göttin Fortuna mit ihrem goldenen Flügel gefächelt, finden möchte.“ Ich weiß nicht, was aus dieser merkwürdigen Sammlung Mozart’scher Compositionen nach Stumpff’s Tode geworden ist.
- ↑ Der Sohn seines Bruders, den Beethoven sehr liebte und erzog.
- ↑ 100 Gulden Wiener Währung sind nicht volle 27 Thaler!!
- ↑ Englischer Komponist.
- ↑ Dieser Komponist und Pianofortespieler hielt sich damals auf einer großen Kunstreise in London auf.
Anmerkungen (Wikisource)