Eine spanische Verbrecher-Gesellschaft

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Titel: Eine spanische Verbrecher-Gesellschaft
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aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 294–295
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Eine spanische Verbrecher-Gesellschaft.

So allgemein bekannt es ist, daß in Spanien das Räuberwesen von jeher in Blüthe gestanden, so wenig verbreitet ist die Kunde von einer Jahrhunderte alten Organisation desselben im großen Stil, deren letzte Anhänger erst in unserm Jahrhundert, im dritten Jahrzehnt desselben, den Tod durch Henkershand starben. Wir meinen die Verbrechersecte, welche unter dem Namen Garduna-Brüderschaft beinahe vier Jahrhunderte lang in Spanien ihr Wesen getrieben hat und deren letzter Ordensmeister, mit zwanzig seiner Genossen in den Schluchten der Sierra Nevada verhaftet, am 25. November 1822 auf dem Marktplatze zu Sevilla gehängt wurde.

Nur in einem Lande wie Spanien konnte eine Gesellschaft bestehen, die ein so charakteristisches Gepräge, namentlich in der Vermischung von Religion und Verbrechen, trug. Vollkommen organisirt, mit Statuten versehen, deren strengste Befolgung verlangt und deren Verletzung schwer gerügt wurde, hatte sie den Zweck, zu einem festgesetzten Preise und unter tiefster Verschwiegenheit Verbrechen aller Art auszuführen. Der Mord stand am höchsten verzeichnet in diesem originellen Preiscourant, welcher unter anderm auch Entführungen von Männern und Frauen und Austheilung von Dolchstichen, je nach Erforderniß mit oder ohne tödtlichen Ausgang, umfaßte.

An der Spitze Aller stand ein Großmeister (hermano mayor, wörtlich: älterer Bruder), der zuweilen eine hervorragende Stellung im Staatsdienst einnahm; von ihm gingen die Befehle an das Personal des Bundes aus, das aus guapos, einer Art von ausgesuchten Banditen, bestand. Dieselben waren in zwei Unterclassen geschieden, guapos punteadores, das heißt Austheiler von Dolchstichen, und guapos floreadores, welch letztere zunächst sich mit der Anwartschaft auf jenen höheren Grad zu begnügen hatten, die aber dennoch schon geschickte Diebe waren und zuweilen einen Lehrcursus in den Gefängnissen von Sevilla oder Malaga durchgemacht hatten. Dann folgten die fuelles, wörtlich: Flüsterer oder Spürhunde, deren Name hinlänglich ihre Beschäftigung charakterisirt. Helfershelfer von weiblichem Geschlechte waren die coberteras (Hehlerinnen) und die serenas, junge schöne Frauenzimmer, welche die Opfer an Orte zu locken hatten, die der Durchführung des Verbrechens günstig waren.

Die Mitglieder der Garduna erhielten bei der Aufnahme einen besonderen Ordensnamen, und zwar bezeichnete derselbe in der Regel eine Eigenthümlichkeit oder hervorstechende Eigenschaft des Betreffenden, z. B. manofina (Feinhand) oder cuerpo de hierro (Eisenleib) etc. Ebenso hatte man den auszuführenden Verbrechen unverdächtig klingende Namen gegeben; so nannte man Dolchstiche: Taufen; Reise wurde der Raub auf der Heerstraße genannt, Ertränkungen hießen Bäder. War ein Verbrecher zum Bagno verurtheilt, so sagte man, er sei der königlichen Marine zugetheilt etc. Der Stützpunkt und Hauptversammlungsort dieser furchtbaren Gesellschaft war nicht die Hauptstadt Madrid, sondern Sevilla nebst Umgebung; ein daselbst gelegener alterthümlicher und halb verfallener Palast maurischen Stils wurde jahrelang zu ihren Zusammenkünften benutzt. Die Versammlungen begannen und schlossen mit Gebet, und ein Bildniß der heiligen Jungfrau, unter dem sich eine Opferbüchse befand, schmückte den Raum, wo man zusammenkam.

Als bei der oben erwähnten Gefangennahme der Letzten des Bundes auch dessen Papiere aufgefunden wurden, erhielt man Einsicht in die Statuten, aus denen hier nur noch folgende Punkte erwähnt sein mögen:

Die Novizen des Ordens, welche ein Jahr lang dienen mußten, bevor sie zu den eigentlich ausübenden oder thätigen Mitgliedern zählten, und die man chivatos (Ziegen) nannte, erhielten eine Geldentschädigung für Nahrung und Kleider; die Andern empfingen ein Drittel des Beutegeldes, während der Rest zur Hälfte in die allgemeine Casse floß, um Messen für die armen Seelen Verstorbener oder Gerichteter lesen zu lassen und um Gerichtsbeamte oder Gefangenwärter u. dergl. zu bestechen, die andere Hälfte aber dem Großmeister zufiel. Alle Brüder, hieß es in den Statuten, müssen lieber als Märtyrer sterben, als daß sie Verräther werden, und auch die weiblichen Theilnehmer des Bundes sind verpflichtet, diesem mit Leib und Seele zu dienen.

Eine besondere Sorgfalt verwandte man, um die Mitglieder zu ihren Ausführungen und Thaten gründlich geeignet zu machen und praktisch auszubilden. Sie erhielten Unterricht im Nachahmen der verschiedensten Thierstimmen; Nachts dienten besonders der [295] Ton der Grille, der Ruf des Uhus oder des Käuzchens, das Quaken der Frösche, oder das Miauen einer Katze, am Tage das Bellen eines Hundes oder andere Stimmen der das Leben und die Gewohnheiten der Menschen theilenden Thiere. Namentlich aber wurde den Novizen immer und immer wieder eingeschärft, daß das erste und Haupterforderniß bei allem Thun Schweigen sei, und der erste Artikel der Statuten lautete, daß Jeder mit gutem Auge, scharfem Ohre, flinken Füßen und „keiner Zunge“ Mitglied werden könne.

Eigenthümlich waren auch die Ceremonien, welche bei der Ausschließung eines Mitgliedes der Garduna beobachtet wurden. Dies geschah beispielsweise, wenn ein solches sich durch Mitleid oder einen andern Beweggrund veranlassen ließ, seinen Auftrag nicht oder nicht gehörig auszuführen. Eine solche Ausschließung wurde dadurch eingeleitet, daß bei einer der nächtlichen Versammlungen der Meister des Ordens oder dessen Stellvertreter, nachdem die Schuld des Betreffenden kund gethan war, das catalonische Messer, welches er gleich allen Anderen trug, oder seinen Dolch ergriff und, die Spitze auf den Boden drückend, sich kräftig auf die Klinge lehnte und sie so zerbrach. Die zerbrochenen Stücke händigte er dem Abtrünnigen ein, der ihm dagegen sein eigenes Messer zu übergeben hatte. Durch diesen Austausch war der Bravo degradirt und unwürdig geworden, ferner der Garduna-Brüderschaft anzugehören. Hierauf führte ihn der Meister vor das Madonnenbild, kniete dort mit ihm nieder und ließ ihn schwören, weder den Bund noch einen Theilnehmer desselben jemals zu verrathen – welcher Verrath übrigens mit dem Tode bestraft worden wäre. Nachdem der Ausgestoßene sich entfernt, begaben sich Alle nach der nächstgelegenen Kirche, um die heilige Jungfrau anzuflehen, daß sie ihnen bald ein neues Mitglied an Stelle des verstoßenen senden möge.

Auch ein Tagesbefehl fiel bei der im November 1822 erfolgten Auflösung der Garduna den Behörden in die Hände, aus dem wir folgende interessante Stelle hier wiedergeben:

„Ferner ist auszuführen eine Taufe (Dolchstich), mit sechs Dublonen bezahlt. Ein Canonicus bezahlt sie. Dieselbe soll morgen vor sechs Uhr Abends einem Confrater des Mandatars, der um diese Zeit die Brücke von Triana zu passiren pflegt, gegeben werden, damit der Getaufte nicht den Mitgliedern des Capitels die nothwendigen Besuche abstatten und um ihre Stimme bei der Wahl zum Dechanten werben kann. Sein Nebenbuhler hofft dadurch größere Aussicht zu erhalten. Wenn diese Taufe sich nach einigen Tagen in eine Beerdigung verwandeln könnte, so würde die Summe verdoppelt werden. Wohl verstanden, man muß mit Geschicklichkeit verfahren, damit die Wunde nicht augenblicklich tödtlich ist. Zu diesem Zwecke bedient man sich entweder eines feinen Dolches, oder einer spitzen Pfrieme, selbst eine dicke Sattlernadel genügt, um eine Wunde zu machen, die zehn bis zwölf Tage dauert und blutet. Uebrigens, wenn der Canonicus zum Dechanten gewählt wird, so kann unser Bund auf seinen Schutz rechnen, wie auch Seine Gnaden ausdrücklich versprochen.“

Es ist von Interesse, zu erfahren, daß unter diesen Bestellungen sich nahezu an 2000 befinden, welche seitens der Inquisition innerhalb eines Zeitraums von 147 Jahren bei dem Bunde gemacht wurden und ihm die Summe von 198,670 Pesetas eintrugen (ein Peseta ungefähr = 3/4 Mark). Dieselben bestanden zu ein Drittel aus Entführungen von Frauen; der Meuchelmord bildet ein zweites Drittel; Ertränkungen, Dolchstöße, falsche Zeugnisse etc. füllen den Rest. Seit dem Jahre 1667 wurden die Aufträge seltener; vom Jahre 1797 ab findet sich keine von einem Mitgliede der Inquisition gemachte Bestellung mehr vor in diesem Register.

Schließlich folge hier die Schilderung einer seitens der Garduna ausgeführten Entführung, wie sie zu Anfang dieses Jahrhunderts in einer großen Stadt Spaniens geschehen.

Die Glocke der Kathedrale hatte soeben die Mitternachtstunde verkündet, als ein kleiner Trupp der Garduna, der sich in dem Schatten der Pfeiler verborgen, sich geräuschlos von diesen loslöste, um an den verschiedenen Ecken des freien Platzes einzeln Posto zu fassen, während sich ein weibliches Mitglied der Bande in die Mitte des Platzes begab und sich bei den Orangenbäumen verbarg, welche den dort plätschernden Springbrunnen umgaben. In diesem Augenblicke hörte man leise Tritte, und eine weibliche Person näherte sich dem Springbrunnen und blieb dort stehen, indem sie wie suchend um sich blickte. Sofort trat die serena hinter dem Bosquet hervor und winkte ihr auf ihre hastigen Fragen Stillschweigen. Und plötzlich eilen, auf ein gegebenes Zeichen, von allen Seiten die Anhänger der Garduna geräuschlos herbei, fassen die zum Tode Erschrockene, der augenblicklich ein seidenes Tuch um den Mund gelegt wird, und tragen sie in einen am Eingange einer Seitenstraße haltenden Wagen, dessen Rollen Niemand vernehmen kann, da die Räder mit dickem Leder beschlagen sind und die Füße der vorgespannten Maulthiere Nachtsandalen aus Büffelleder und Werg tragen, die mit Riemen und Schnallen befestigt sind. Fort fährt der Wagen, dem die eine Hälfte der Entführer voran eilt, während die andere im stärksten Laufe folgt.

Ehe das Ende der Stadt erreicht ist, muß eine Brücke passirt werden, auf der eine Anzahl Sbirren sich postirt hat; dicht vor der Brücke gelingt es der Entführten, einen Schrei auszustoßen. Doch auch das rettet die Unglückliche nicht. Der Wagenlenker macht sofort Kehrt, um, so schnell die Maulthiere laufen können, davonzufahren, während die Begleiter sich den Sbirren entgegen werfen. Auf der nur von einigen Fackeln und Laternen erleuchteten Brücke entspinnt sich ein wüthender Kampf, und nach einigen Augenblicken sind die Sbirren bis an das Geländer zurückgedrängt. Da faßt auf einen von dem Führer der Verbrecher ausgestoßenen kurzen Ruf jeder derselben seinen Gegner mit unvorhergesehenem, raschem Untergriff um den Leib und stürzt ihn über das Brückengeländer hinab in den Guadalquivir. Eine Stunde später hält der Wagen vor den Thoren eines klosterähnlichen Gebäudes, und die Entführung ist geglückt.

Am andern Morgen meldet einer der Sbirren, der sich aus dem Flusse durch Schwimmen gerettet, das Geschehene. Aber alle Schritte, welche die Eltern zur Ermittelung des unglücklichen Kindes thun, sind vergebens. Lange Zeit danach erst wurde durch einen Zufall eine Spur entdeckt, die zur Lösung des Räthsels führte. Die Schönheit des jungen Mädchens hatte bei einem Kirchenbesuche die Blicke eines sehr wohlhabenden Wüstlings auf sie gezogen, und nachdem dieser vergebens versucht, auf anderem Wege sein Ziel zu erreichen, bediente er sich jener Verbrechersecte, und leider mit dem besten Erfolge. Eine gefälschte Einladung zu einem Rendezvous von bekannter Hand hatte das Opfer an den zur Ausführung ersehenen Platz gelockt.

Bei der Auflösung der Garduna im Jahre 1822 fiel durch Veröffentlichung ihrer Papiere und Schriften der Schleier so mancher Gewaltthat, so manchen Verbrechens; was lange Jahre hindurch unaufgeklärt und verborgen gewesen, wurde mit einem Male klar, und das Land athmete erleichtert auf, von einer so fürchterlichen Plage befreit zu sein.