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Gefunden und wieder verloren

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Autor: unbekannt
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Titel: Gefunden und wieder verloren
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 586–588
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Kriegsschicksale
Erinnerungen aus dem letzten deutschen Kriege. Nr. 9
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[586]
Erinnerungen aus dem letzten deutschen Kriege.
Nr. 9. Gefunden und wieder verloren.


Nach der Schlacht bei Langensalza hatte ich in einem der größeren Lazarethe die Pflege der Verwundeten mit übernommen. In Folge dessen war mein Name auch nach außen bekannt geworden, ja sogar in die Zeitungen gedrungen, und so geschah es, daß ich schon nach wenigen Tagen zahlreiche schriftliche Anfragen aus der Ferne nach dem Verbleib und Befinden preußischer oder hannoverscher Krieger erhielt, welche dem Kampfe mit beigewohnt und den Ihrigen noch keine Nachricht gegeben hatten.

Unter meinen Verwundeten befand sich ein junger Dragoner vom hannoverschen Regiment Cambridge, der mich durch seine große Jugend und angenehme Persönlichkeit, mehr noch durch den festen Muth und die stille Resignation, mit welcher er eine schwere Verwundung des rechten Fußes ertrug, besonders interessirte. Um Wunde und Wundfieber nicht noch brennender und gefahrvoller werden zu lassen, bettete ich ihn in die Nähe eines Fensters, vor dem ein allerliebstes Blumengärtchen lag, dessen zahlreiche, in voller Blüthe stehende Rosen – es war zur Rosenzeit – ein köstliches Arom in den dumpfen, mit faulen Dünsten angefüllten Krankensaal einströmten. Und um die trüben Gedanken über sein herbes Mißgeschick zu vertreiben, brachte ich an der Decke des Saales zwei Lederriemen mit Griffen an, mittels deren er sich momentan erheben und einen Blick in’s Freie, in das Rosengärtchen, thun konnte, für ihn auf langem Schmerzenslager ein unschätzbares Glück.

An einem Morgen der ersten Woche, als das Wundfieber etwas abgenommen hatte und sein Befinden den Umständen nach sehr befriedigend war, lächelte er mir schon von Weitem entgegen. „Ich habe in vergangener Nacht einen recht angenehmen Traum gehabt,“ erzählte er bei meinem Nähertreten, „ich befand mich zu Hause bei der Tante. Sie müssen nämlich wissen, daß mich diese halb und halb erzogen hat. Meine Eltern waren immer so sehr betrübt, sie verloren fünf erwachsene Söhne und das machte besonders den Vater zeitweise ganz irre und tiefsinnig. Ich sollte durch ländlichen Aufenthalt und Beruf der Tücke des Familienübels entrissen werden und so geschah es, daß ich auf viele Jahre Stadt und Elternhaus verließ und zur Tante auf das Land zog, welche daselbst ein Gütchen bewirthschaftete. Der Seelsorger des Ortes unterrichtete mich, und bei der Tante und dem befreundeten Gutsbesitzer erlernte ich später die Landwirthschaft. Auf diese Weise bin ich gesund und stark geworden, um,“ sprach er bitter und mit feuchtem Blicke, „aus einem brudermörderischen, ganz unnützen Kampfe als Krüppel und Verstümmelter zurückzukehren. Aber lassen wir die trüben Gedanken. Ich hatte also einen recht angenehmen Traum von der Tante und … und …“ Hier schwieg er mit einem leichten Erröthen, ich aber machte neckisch die Fortsetzung und rief: „und einen noch schönern Traum von meinem lieben Mädchen.“ Er lächelte, drohte aber scherzend mit dem Finger und sprach: „Nicht zu laut, lieber Herr, es weiß es ja noch Niemand, selbst die gute Tante nicht!“

„Aber, junger Freund,“ erwiderte ich, „Sie sind heut so wohl und gutgelaunt, wollen Sie nicht der Tante und so weiter – nun, Sie verstehen mich – ein paar Wörtchen schreiben? Die Ihrigen wissen nicht einmal, ob Sie überhaupt noch leben!“

„Kann ich denn schreiben?“ rief er schmerzlich, „ich bin ja in dieser Lage ganz hülflos, auch vibriren immer noch alle Pulse und die Feder würde meiner Hand entsinken. Wenn ich freilich dictiren dürfte und Sie für mich schreiben wollten, ja; dann wäre ich mit Freuden bereit.“

Ohne Zögern holte ich das nöthige Schreibmaterial und schrieb sein Dictat, seinen Namen aber unterzeichnete er selbst.

„Weiter nichts, auch gar nichts?“ frug ich ihn scherzend. „Auch nicht ein kleines Postscriptchen, von wegen des …“

„Sie sind ein wahrer Quälgeist,“ antwortete er erröthend. „Nun, so geben Sie das Blatt noch einmal zurück; bitte, halten Sie noch eine Minute, aber,“ rief er neckisch, „nicht lauschen!“ Und so schrieb er noch eine Zeile, faltete das Blatt und übergab es mir zur Beförderung in die Heimath.

Als ich nach Beendigung meines Rundganges im Lazareth nach Hause kam, fand ich daselbst eine Menge Briefe vor, die meisten von Angehörigen der Verwundeten. Man denke mein freudiges Aufblicken: eines der Schreiben erschien von der Tante. Nun, die erbetene Nachricht war bereits unterwegs und sie fiel besser aus, als sie hoffte: ihr Liebling lebte noch.

Wie tief aber erschreckte es mich, als am andern Morgen einer der Krankenwärter meines Lazarethes mit der Liste der in der Nacht Verstorbenen erschien und mein Cambridge-Dragoner auch mit aufgeführt stand! Leider konnte der Bote, welcher erst am gestrigen Abende als Wärter eingetreten war, über die Ursache des unerwarteten Todes keine Auskunft geben, und so mußte ich mich einstweilen mit der Liste, eigentlich mit den ausgestrichenen und bekreuzten Nummern begnügen. Meines Dragoners also gekennzeichnete Nummer im Verzeichniß stimmte mit seinem Namen, so daß ich keinen Augenblick zweifelhaft sein konnte, und es blieb mir daher nichts Anderes übrig, als die Todesnachricht schleunigst an [587] seine Angehörigen zu befördern, um ihre Anwesenheit und Betheiligung bei dem Begräbniß, welches am gleichen Tage, spätestens am andern Morgen geschehen mußte, zu ermöglichen. Ein Telegramm trug die Trauerbotschaft in ihre Heimath.

Erst spät an diesem Morgen betrat ich das Lazareth. Die Menge und Last der Geschäfte und Arbeiten in diesen Zeiten war wahrhaft erdrückend; wer aber beschreibt meinen Kummer, mein Erschrecken, als ich beim Eintritt in den Saal – den Dragoner erblickte, lebend, heiter und vergnügt, voll Freude über meinen Besuch! Wohl freute ich mich auch herzlich, – aber das leidige Telegramm, die Todesanzeige, sie befanden sich seit Stunden in den Händen seiner Familie und diese sah ich im Geiste in Thränen und tiefem Weh.

Nur einen flüchtigen Gruß winkte ich meinem jungen Freunde zu, dann eilte ich an den Schreibtisch, um durch eine andere telegraphische Benachrichtigung die frühere zu widerrufen. Ich fürchtete zwar ihre Nutzlosigkeit, wollte aber nichts versäumen, um die Folgen eines so traurigen Mißverständnisses abzuwenden. Mein Dragoner erfuhr natürlich kein Wort von der unglücklichen Sache, die durch eine Verwechslung der Nummern geschehen war. Als ich später an sein Lager trat und meine Augen bei seinem Anblick und in der Erinnerung an den Kummer seiner Angehörigen sich umflorten, wurde auch er ernst und frug: „Sie sehen nach der leeren Bettstelle des Jägers, den man heute Nacht todt hinweggetragen, Ihre Augen thränen, – war der Verstorbene vielleicht ein Verwandter von Ihnen?“ – Wie schwer drückte mich meine Verschuldung, mein allzu rasches Handeln!

Wie ich gefürchtet, so geschah es. Zunächst ging folgender Brief ein:

„Geehrter Herr! Nehmen Sie besten Dank für Ihre Mittheilung. Leider konnten die Worte, welche aus so warmem Herzen kamen, nicht in die Herzen Aller dringen. Mein guter Bruder, der bereits fünf Söhne durch den Tod verloren hat, ist auf die Nachricht vom Verluste seines letzten Kindes hin irrsinnig geworden. Mündlich mehr, da ich Ihnen morgen die Hand drücken werde.
N. N.

Am andern Morgen früh erschien die Tante selbst. Mit strömenden Thränen reichte sie mir wie eine alte, liebe Bekannte die Hand und sprach: „Mein theurer Herr, ich bin die Tante des jungen Mannes, welcher nach Ihrer Meldung am gestrigen Tage in Ihrem Lazarethe gestorben, und habe nur noch den Wunsch, den lieben unvergeßlichen Todten noch ein Mal zu sehen. Wer von uns hätte gedacht, daß er so früh schon und in dieser Weise enden werde, er, die letzte Hoffnung seiner Eltern, der einzige von sechs blühenden Söhnen! Ich darf den Jammer der Seinigen gar nicht ausdenken; kommen Sie, führen Sie mich zu ihm, daß ich den bittern Kelch austrinke.“

Wie schwer bedrückte mich meine Schuld bei den Thränen und Klagen der alten Dame, wie sehr bereute ich meine Hast; aber dennoch wieder jauchzte es auch in meinem Innern, denn ich hatte ja den schönsten Trost für sie in der Hand: die Nachricht von der Auferstehung, von dem Leben ihres Lieblings. Und diesen Balsam reichte ich ihr auf dem Wege nach dem Lazareth. Nun erst wurde mein Herz wieder ruhig.

Ich führte meine Begleiterin einstweilen nach der Laube am Hause und eilte dann in den Krankensaal, um meinen jungen Freund auf ihren Besuch vorzubereiten. Als mich der Patient so freudig erregt sah, rief er verwundert: „Lieber Herr, heut’ machen Sie ein ganz anderes Gesicht, als gestern Morgen; Sie sind so heiter und vergnügt. Haben Sie etwas Angenehmes erfahren? Sie bringen mir selbst wohl eine gute Nachricht?“

„Freilich habe ich etwas Angenehmes für Sie, wenn es auch nur ein Traum ist,“ gab ich zur Antwort. „Denken Sie nur, mir träumte, die Tante käme hierher!“ Bei diesen Worten leuchteten seine Augen hell auf und als ob er die Wahrheit ahne, griff er nach den ledernen Handhaben, zog sich in die Höhe, warf einen Blick durch das Fenster und rief jubelnd:

„Meine Tante ist hier, da – da draußen steht sie, ich sehe sie! Tante, hier bin ich, komm herein zu Deinem Karl!“ Kaum war der Ruf geschehen, als auch schon die Saalthür aufgerissen wurde und Neffe und Tante in der zärtlichsten Umarmung lagen. Wir Alle, Arzt und Krankenwärter und selbst die Verwundeten umher, sahen im tiefsten Mitgefühl das Glück der Wiedervereinigten.

Noch eine dunkle Wolke stand über meinem Haupte: es war ein zweiter Besuch, die noch bevorstehende Ankunft der Eltern meines Schützlings. Endlich, gegen Abend, trafen auch sie hier ein; mein letztes Telegramm mit der Nachricht vom Leben ihres Sohnes hatte sie noch erreicht. Die Mutter war voll brennender Sehnsucht nach dem geliebten Sohne, der Vater blieb stumm, starr und unempfänglich für den erhaltenen Widerruf. „Ein Todter kann nicht leben,“ gab er stets zur Antwort. „Alle sind todt, Fritz ist gestorben, Willi auch“ … er zählte alle seine verewigten Kinder auf und endete stets mit den Worten: „Und ich bin auch todt!“ Dieser Anblick und Jammer durchbohrte mein Herz und unwillkürlich murmelte ich, eingedenk meiner Vorschnelle: „Vergieb uns unsere Schuld!“

Ich führte beide Gatten nach dem Lazareth, zunächst nach dem Blumengärtchen, um den Verwundeten im Saale auf den Anblick seiner Eltern vorzubereiten. Zuvor aber nahm ich Rücksprache mit dem Arzte und beschrieb ihm auch den Zustand des Vaters. „Unser Dragoner,“ antwortete er, „war anfänglich bei dem Besuche der Tante sehr aufgeregt, aber sein längeres Zusammenbleiben mit ihr beruhigte ihn immer mehr. Ich fürchte nicht, daß der Besuch seiner Eltern ihm schaden wird, besonders dann nicht, wenn Tante oder Mutter über Nacht bei ihm bleiben. Dann ist es auch gar wohl möglich, den alten Herrn wieder zur Vernunft zu bringen, wenn er sich durch den Augenschein von dem Leben seines Sohnes überzeugen muß. Der alte Herr thut mir leid, fünf erwachsene Söhne verloren, der letzte schwer verwundet und noch keineswegs über alle Gefahr hinweg – es ist ein schweres Geschick!“

Dieses Mal unternahm die Tante das kritische Geschäft der Vorbereitung im Lazareth, ich selbst begab mich in das Gärtchen zu den Eltern, um sie aus Verlangen sofort zu ihrem Sohne zu führen. Nicht lange und es rief am Fenster: „Mutter, Vater, ich lebe noch, wo bleibt Ihr! Ach, kommt doch herein – herein zu mir!“ Zitternd und schwankend schritt die Mutter an meinem Arme dem Saale, dem Lager ihres Kindes zu; ich wandte mich ab, die Scene war allzu schmerzlich, und begab mich zum Vater zurück. „Alles nicht wahr, ein Todter kann nicht leben, Fritz ist gestorben, Willi auch,“ kurz, seine ganze irre Vorstellung brachte der Unglückliche draußen immer von Neuem zu Tage.

Als ich diesen herzbrechenden Zustand und sein fortwährendes Widerstreben, der Gattin zu folgen, wahrnahm, umfaßte ich ihn mit starkem Arm und zog ihn unter guten und ernsten Worten in den Krankensaal, an das Lager seines Sohnes. Ein Griff und Zug an den Handhaben, und dieser saß urplötzlich aufrecht vor dem Vater, gestützt und gehalten durch den hinzugetretenen Arzt. „Vater, theurer Vater,“ rief er schmerzlich, „besinne Dich, ich bin Dein Sohn Karl, kennst Du mich nicht mehr?“ Scheu hatte sich der Irre in dem weiten Saale umgesehen; die Menge und Schmerzensgeberden der Verwundeten schienen ihn zu ängstigen, er wich zurück und strebte von meinem Arm los zu kommen, da hörte er eine bekannte Stimme, den lauten Ruf seines Sohnes, sah dessen bleiches Antlitz, seine flehenden Hände, vernahm das leise Schluchzen von Gattin und Schwester, und – es tagte in seiner umnachteten Seele, der starre Blick schwand, die matten Augen belebten, die Arme erhoben sich, das Bewußtsein, die Erinnerung kehrten zurück. „Karl, mein Karl,“ rief er lautschluchzend, „sehe ich Dich wieder, Du bist nicht todt?“ und eilte nach dem Lager seines Kindes, aber er erreichte es nicht, ohnmächtig sank er nieder.

„Beruhigen Sie sich, junger Mann,“ sprach der Arzt zu dem angsterfüllten Sohne, „Ihr Vater wird erwachen und, wie ich hoffe, mit zurückgekehrter geistiger Klarheit!“

Es war ein kühnes Wagniß, einen Schwerverwundeten solchen Aufregungen zu unterwerfen; noch mehr, durch die beabsichtigte, plötzliche Begegnung und Vorführung des irren Vaters dessen geistige Wiederbelebung zu versuchen. Ich sowohl, wie der Arzt, standen in großer Sorge und blieben deshalb statt Mutter oder Tante bei dem Patienten während der ganzen Nacht – seine Angehörigen ließen wir zur Ruhe gehen – aber die starken Nerven, der robuste Körper des jungen Mannes siegten. Ein wohlthätiger Schlummer, unter fortwährend glücklichem Lächeln des lieben Burschen, beruhigte die Pulse und die Gefahr ging vorüber.

„Gott sei Dank!“ riefen wir Beide aus voller Seele, als wir uns bei Tagesgrauen verabschiedeten. „Freund,“ sprach leise der Arzt, „ein Mal und nicht wieder; das hieß den Himmel [588] herausgefordert und konnte des Vaters und des Sohnes Tod zugleich werden.“

Als ich meine Wohnung betrat, fand ich die drei Fremden, welche bei mir Herberge angenommen, noch vollständig wach und munter; die Sorge und Angst um die möglichen schlimmen Folgen der heutigen Begegnung mit dem Sohne ließ sie ruhelos. Meine ernste Versicherung seines Wohlbefindens führte sie endlich auf das Lager. Die armen, so schwer geprüften Dulder beruhigten sich im Laufe des Tages immer mehr, und als sie am nächsten Morgen ihr Kind verließen, geschah es mit der Hoffnung baldigen Wiedersehens in der Heimath.

„Die Wiedergenesung unseres Dragoners hatte längere Zeit einen erfreulichen Fortgang und schon glaubte ich ihn ganz außer Gefahr, als der Arzt plötzlich die Eiterung der Schußwunde für minder gut erklärte und fürchtete, schon am folgenden Tage zur Verhütung des Brandes den kranken Fuß amputiren zu müssen. Man erlasse mir die Beschreibung der Gefühle des Armen, welcher sich nun auf Lebenszeit verstümmelt sah; zwar klagte er nicht, aber die Augen standen ihm fortwährend voll Thränen. Ich selbst war tief bekümmert, denn der junge Mann hatte durch seine Anhänglichkeit und dankbare Gesinnung meine ganze Liebe erworben. Nach und nach fügte er sich in’s Unvermeidliche und dankte Gott, daß er ihm das Leben gelassen.

„Als ich von zu Hause wegzog,“ sprach er, „war ich so thöricht, zu den Meinigen zu sagen: ‚Entweder seht Ihr mich lebend, gesund und gerade wieder oder nie; als Krüppel komme ich nicht zurück, dann lieber todt!‘ Jetzt bin ich froh, wenn ich nur das Leben davon bringe, und selbst mein liebes Bräutchen wird sich an den Stelzfuß gewöhnen.“

Armer Mensch mit deinen schönen Hoffnungen! Als ich eines Morgens an sein Lager trat, fand ich ihn ungewöhnlich bleich und sichtbar verfallen. Ehe ich noch nach seinem Befinden fragen konnte, rief er unter Thränen: „Lieber, theurer Herr, ich habe mich in der verflossenen Nacht recht unwohl befunden; geben Sie Acht, es geht mit mir zu Ende, ich werde die lieben Meinigen und die Heimath nicht wieder sehen!“

Schon wollte ich ein Wort der Beruhigung sagen, ihm seine Befürchtungen ausreden, als er mir den Arm hin hielt und rief: „Fühlen Sie meinen Puls, in dieser Weise hat er nie getobt, und hatte ich nicht während der ganzen Nacht Schüttelfrost, den Vorboten des unausbleiblichen Kinnbackenkrampfes? Kann ich mich täuschen, ich, der ich diese verhängnißvollen Symptome fast an allen meinen sterbenden Cameraden hier so oft beobachtete und wahrnahm? O, Ihr lieben Eltern, und Du, herzliebe Tante, nun seid Ihr ganz verwaist! Und mein liebes Mädchen … Gott, Du prüfst mich hart, womit habe ich das verdient?“

Ich muß hier in meiner Erzählung abbrechen. Heut noch, nach mehr als Jahresfrist, thut mir das Herz weh, wenn ich des frühzeitigen Heimganges dieses hoffnungsvollen Jünglings gedenke. Noch an demselben Tage verschied er, in meinen Armen, an meiner Brust, und meine Hand war es, welche ihm das brechende Auge schloß; ich ließ ihn wie einen lieben Verwandten begraben und reichte ihm endlich die letzte Gabe: eine Hand voll Erde in das Grab.

Seinen Angehörigen theilte ich in aller Vorsicht und Schonung die Trauerkunde mit, aber sie erschienen nicht bei der Bestattung. Den Grund ihres Ausbleibens erfuhr ich bald: sie hatten einen zweiten Todten, den Vater, welcher bei Empfang der traurigen Nachricht, vom Schlage getroffen, leblos zu Boden sank. Erst am Jahrestage der Schlacht von Langensalza trafen sie hier ein, in tiefer und doppelter Trauer um Vater und Sohn. Die drei Frauen – errathet ihr die Dritte? – zerflossen in Thränen, als ich sie zum Grabe des Frühvollendeten führte, welches mit allen übrigen Erdhügeln der Gefallenen im schönsten Blumenschmuck lag.

Ich versuchte kein Wort des Trostes – was hätte ich sagen können, solch’ tiefes Weh zu lindern? – aber meine Thränen flossen ebenfalls und das that ihnen wohl.

„So fromm und gut und so gesund – der blühendste von allen Brüdern,“ klagte mit schmerzlichem Blick nach Oben die leiderfüllte Mutter, „und so frühe und schrecklich mußtest Du von hinnen; wie bitter für das Mutterherz!“

„Wie sie so sanft ruh’n, alle die Seligen, die gläubig kämpften den letzten Lebenskampf,“ also sangen die Sänger an den Gräbern, mit ihnen die Schaaren der Leidtragenden umher, und auch unsere Frauen stimmten leise und immer gläubiger und getrösteter mit ein. Als sie endlich am späten Abend den Friedhof verließen, geschah es in williger Ergebung unter die Hand Gottes, in stillem Frieden. Ihr Leid und meine Theilnahme hat uns zu Freunden für’s ganze Leben gemacht.