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Robert Blum und der arme Poet

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Autor: unbekannt
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Titel: Robert Blum und der arme Poet
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aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 398–399
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Robert Blum und Karl Haffner, Dichter von „Die Studenten von Rummelstadt“
Blätter und Blüthen
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[398] Robert Blum und der arme Poet. „Wenn sich aus meinem Parlament im Dorfe hin und wieder eine Brandrakete statt einer humoristischen Leuchtkugel erhebt, wird man mir verzeihen müssen, denn ich habe gegenwärtig keinen andern Humor, als den Humor, den einst der Henker in der Folterkammer der heiligen Inquisition belächelt haben mag. Damit sei den Königen gesagt, daß sie auf meinem Leibe nicht das Hemd des Glücklichen finden werden. Das Glück hat mich zwar in den sechs Jahren meiner Ehe jährlich regelmäßig mit einem jungen Weltbürger beschenkt, – das ist aber auch Alles, was ich dem Glück verdanke, alle andern Gaben hat mir sehr freigebig das Unglück zugemessen, das mein treuester Gefährte und Hausfreund war, seitdem mir der Bart gewachsen ist.“

Diesen Monolog murmelte ein Mann in seinen besten Jahren, der in seiner bescheidenen Dachwohnung in Wien an seinem Schreibtisch saß, in dem Manuscript eines Bühnenwerkes blätterte und die vielen Fragezeichen bitter belächelte, die ein blödsinniger Dramaturg mit dickem Rothstift hineingezeichnet hatte.

Der Mann nannte fast nichts mehr sein, als einen Goethe ohne Ohren, einen Schiller ohne Nase, einen Lessing ohne Kopf, und neben diesen Fragmenten deutscher Classiker einen artigen Stoß Papier, wenn auch keine Staatspapiere; zudem besaß er noch ein hübsches junges Weib und vier kleine Kinder, die mit Quecksilber in den Adern um den Vater herumsprangen, lustig und lebendig, wenn auch im Normal-Costüme, das ihnen die Natur nach den neun Monden ihrer Entwickelungsperiode mit auf die Welt gegeben hatte.

Man wird ohne Zweifel errathen, daß der Meister dieser vier lustigen und lebendigen Werke – ein deutscher Schriftsteller, so ein armer Lorenz Kindlein war.

Während die Kinderchen sangen und sprangen, die hübsche Mutter lachte und zankte und der grollende Vater brummte und murmelte, war unbemerkt ein Fremder eingetreten.

Dieser Gast, ein untersetzter kräftiger Mann, in der Uniform der akademischen Legion, mit vollem Bart, ernsten Gesichtszügen und Augen, in welchen sich der kühne und trotzige Geist des tollen Jahres spiegelte, der Mann mit eisernem Willen und markiger Rede war der Leipziger Bürger und deutsche Abgeordnete – Robert Blum.

„Man muß hoch steigen, um zu Euch zu gelangen, Camerad!“ rief er lachend, „Schiller hat Recht, daß er bei seiner Theilung der Erde dem Poeten den Himmel zugewiesen hat, wenn man auch ein wenig müde auf Eurer Jakobsleiter wird.“

„Willkommen, Herr Blum!“ begrüßte der überraschte Dichter achtungsvoll den wackern Patrioten, indem er ihm einen Stuhl bot und die hübsche Frau ihren Knix machte und ihre vier Kinderchen in die Küche hinausdrängte.

„Ohne Umstände, Freund,“ sprach Blum, nachdem er neben dem armen Poeten am Schreibtisch Platz genommen, „Wir brauchen ein artiges Gedichtchen zu einer Fahnenweihe – wollt Ihr uns das Ding liefern? Es sind einige Holländer dabei zu verdienen.“

„Und darum suchen Sie mich, mich in meiner bescheidenen Dachkammer auf?“

[399] „Ja Euch, gerade Euch! Macht keine Flausen! Ich habe so manches Tüchtige von Euch gelesen – Ihr habt das rechte Zeug, zum Herzen des Volkes zu sprechen, und seid ein ganzer Mann, wenn Ihr auch in einer Dachkammer wohnt. Nun, wollt Ihr?“

„Welche Frage!“

„Schlichte Worte, ehrlich, deutsch, kräftig, Camerad. Wann erhalte ich das Ding?“

„Morgen, vielleicht noch heute.“

„Abgemacht! Aber – nichts für ungut, Camerad – wenn Ihr da auch mit Zeus in seinem Himmel lebt, möchte ich Euch doch lieber auf der Erde sehen. Was treibt Ihr denn? Die Scheere der Censur kann die Flügel der Phantasie nicht mehr stutzen, – warum schreibt Ihr denn nichts mehr für die Bühne, die Euch doch manches gute Volksstück verdankt?“

Der Dichter deutete mit einem tiefen Seufzer auf das Manuscript, das vor ihm auf dem Tische lag.

„Das Parlament im Dorfe,“ las Blum. „Wahrscheinlich eine Parodie?“

„Bewahre! Eine ganz harmlose Studenten-Komödie.“

„Nun, warum laßt Ihr sie denn nicht los?“

„Die Directoren machen Schwierigkeiten. Es ist kein Königsmord, keine Minister- und Priesterhetze, kein Barricadenkampf, ja nicht einmal eine Katzenmusik in dem Stück. Man findet es nicht zeitgemäß. Zudem ist der Held in meinem Stück ein Fürst.“

„Ein Fürst?“

„Und noch dazu ein edler Fürst.“

„Ah, das ist gefehlt. Man findet zwar noch Edelmuth auf dem Throne, aber selten, sehr selten, Freund. Greift in’s Volk hinein, wenn Ihr Helden sucht – warum die Fürsten glorificiren? Was haben denn die Fürsten für Euch gethan? Verkümmern ließen sie Euch in Eurer Dachkammer wie viele tausend Andere, die in Wort und Schrift für sie gewirkt. Der deutsche Schriftsteller ist für die Herren Gesalbten ein Paria; krümmt er sich, wenden sie sich mit Ekel von ihm ab; erhebt er sich, nehmen sie ihm Freiheit und Vaterland, wenn sie ihn nicht zermalmen können.“

„Nicht alle, nicht alle.“

„Haben Sie vielleicht da einen zweiten Karl August oder einen neuen Joseph geschaffen?“

„Wenn auch keinen Joseph, doch einen ‚Schützer der Menschen‘.“

„Aller Menschen, will ich hoffen, nicht blos der Menschen, die Fürst Windischgrätz erst beim Baron anfangen läßt. Vertraut mir Euer Manuscript auf ein paar Tage an. Wenn in Euerem ‚Parlament‘ mehr gesprochen als geschnattert, und mehr gereinigt als gewaschen wird, werde ich es in Leipzig eröffnen lassen, und dann wird es seinen Weg schon weiter machen. Laßt nur mich und die Leipziger Studenten dafür sorgen.“

„Ach, zu welchem Dank werden Sie mich verpflichten!“ rief freudig der Schriftsteller, indem er sein Manuscript in einen Umschlag hüllte und es dem berühmten Volksmann reichte.

„Armer Camerad!“ sagte dieser mit warmer Theilnahme, „wenn Ihr ein Franzose wäret, würdet Ihr schwerlich gegen diesen Katzenjammer des Lebens zu kämpfen haben. Ja, ja, auch die deutsche Schriftstellerwelt hat ihre Sclavenketten, und das Schicksal ist ein Tyrann, dem die junge Freiheit noch immer nicht die Sclavenpeitsche aus der Hand winden kann. Auf Wiedersehen, Camerad! Morgen erwartet Euch der Kritiker, aber ein gerechter Kritiker. Ihr dürft schon etwas geben auf mein Urtheil. Ich habe mich auch ein wenig herumgetummelt in der Künstlerwelt, und meine Fühlhörner so ziemlich geschärft auf der Bühne.“

Der wackere Volksmann verließ den armen Poeten, beschenkte dessen Kinderchen mit blanken sächsischen Silbermünzen, sprach von den vier Kindern, die in Leipzig des Vaters harrten, und eilte in die Aula, um durch feurige Rede die akademische Legion zur Ausdauer und zum Kampfe auf Leben und Tod zu begeistern.

Wie versprochen, überbrachte ihm schon am nächsten Morgen der Schriftsteller das bestellte Gedicht und empfing ein Honorar von sechs Ducaten dafür, die für die junge Frau des armen Poeten Manna in der Wüste waren. Auch Blum war fleißig gewesen. Er hatte über Nacht das „Parlament im Dorfe“ gelesen.

„Euer Fürst ist ein Freund des Volkes,“ sprach er den Verfasser an, „und macht selbst auf die alte Fledermaus Jagd, die mit ihren gewaltigen Flügeln Jahrhunderte lang die Sonne der Wahrheit deckte. Es bleibt dabei – ich lasse Euer Stück in Leipzig in Scene setzen, Camerad!“[1]

„Ach, ich wünschte Ihnen im Interesse meines Stückes, aber mehr noch in Ihrem eigenen Interesse, bald, recht bald Lebewohl sagen zu können,“ antwortete traurig und ahnungsvoll der Dichter.

„Ach bah! Ich halte aus mit Euch bis auf den letzten Mann. Ich fürchte weder Euern Generalissimus, noch den Belagerungszustand. Das Reichsparlament ist meine Garde und mein Mandat der Schild, der mich deckt. Meine Person ist unverletzlich – also auf Wiedersehen, Camerad!“

„Auf Wiedersehen!“ seufzte der Dichter aus beklommenem Herzen.

Ein böses Fieber warf den armen Poeten auf’s Krankenlager. Er verträumte die schönen Tage, in welchen die kaiserlichen Truppen in Wien einrückten, Fürst Windischgrätz seinen Marschallstab wie eine Geißel Gottes schwang und sein Blutgericht eröffnete.

Es war am neunten November, als ein Soldat in die Wohnung unter dem Dache trat und der Gattin des kranken Schriftstellers ein Stückchen Papier überreichte, auf welches flüchtig folgende Worte hingeworfen waren: „Director Stöger hat Ihr Stück. Ich kann nichts thun für Ihr ‚Parlament‘ – muß mich für das blaue Parlament dort oben vorbereiten. Adieu, Camerad!“

„Was bedeutet das?“ flüsterte die junge Frau erbleichend.

„Weiß nicht,“ antwortete der Soldat phlegmatisch. „Herr Robert Blum ist heute früh in der Brigittenau erschossen worden.“

„Allmächtiger Gott – todt?“ hauchte die junge Frau entsetzt.

„Todt und als Mann gestorben!“

Der Soldat entfernte sich, die junge Frau betete leise vor sich hin und der arme Poet flüsterte träumend: „Ein deutsches Schwert – ein deutsches Herz – ein deutscher Mann!“

Es war Robert Blum’s Grabschrift, die der Fieberkranke flüsterte.




  1. Das Stück ist später unter dem Titel: „Die Studenten von R–stadt“ mit vielem Glück über mehrere Bühnen gegangen.
    D. R.