Diesseits und jenseits der Alpen
Die Gesellschaftszimmer des Hotel Baur au Lac in Zürich wimmelten von einer bunten Schaar Reisender beiderlei Geschlechts. Elegante Französinnen, nachlässig im Lehnstuhl liegend, conversirten lebhaft mit den anwesenden Landsleuten, blond weißlockige Töchter der grünen Insel blätterten mechanisch in den ausliegenden Albums, und wenige Deutsche, mit und ohne Bart und Haupthaar, zischelten schüchtern in den Ecken. Die Stimmung im Allgemeinen war eine trübselige für den Aufenthalt an dem Ufer des herrlichen See’s, Grund hierzu ein anhaltender dichter Regen. Weder das glänzende Diner noch die rauschende Musik konnten den Humor aus seinem Verstecke locken, und die Absicht einer Aenderung der Verhältnisse äußerte sich in den verschiedensten Mundarten durch den Ausruf: „partir,“ „parting“ – „Abreise.“ Letzterer Sprachlaut war auch der unsrige und am nächsten Morgen schwamm der Dampfer St. Gotthard mit uns durch den grauen Nebel, hinter welchem, nach den Vorspiegelungen des guten Bädeker, die lange Kette der schneebedeckten Alpen, der Hauptreiz der Landschaft liegen sollte. Die zwei Stunden in der öden Wartestube der Eisenbahn zu Rapperschwyl waren nicht geeignet uns der Behauptung „welche Lust gewährt das Reisen!“ zugänglicher zu machen. Erst die Ufer des wunderbaren Wallensee, an dem wir späterhin vorüberfuhren, setzten uns wieder in den Stand uns den Eindrücken der großartigen Natur zu überlassen. Wie ein Opal breitet sich der vier Stunden lange See zwischen den himmelanstrebenden Bergwänden aus, von denen die angeschwellten Gebirgswässer in reicherem Maße und massenhafter als gewöhnlich herabfielen, der einzige Vortheil der uns durch den Regen wurde. Mit den verschiedenen Stationen verändert sich der Charakter des mitreisenden Publicums. Allmählich wird die breite schweizer Sprechweise von dem volltönenden Italienisch unterbrochen, – die bäurischen Gesichtszüge machen intelligenten, schwarzäugigen Südländern Platz und die Sammetjacke fängt an eine Stellung zu gewinnen. Unser Ziel für jenen Tag war Chur, die Hauptstadt Graubündens. Ich kann wohl sagen, daß ich dort auf dem Balcon des Hotels stehend, dem unteren Fenster die Därme geopferter Hühner mit einer gewissen Beruhigung in die dem Rheine zurauschende Plessur entfliegen sah. Sie ließen in mir eine Ahnung des bevorstehenden Diners auftauchen. Dasselbe entsprach, was die Küche betrifft, meinen Erwartungen, nur war bezüglich der Gesellschaft ein junges englisches Ehepaar allzu nachsichtig gegen die Albernheiten des verzogenen Sprößlings, während ein schwarzhaariger Seelsorger desselben Landes die verschiedenen Nationalitäten auf Kosten der Fremden zu erforschen suchte.
Einer Reise in die Wolken glich die am nächsten frühesten Morgen fortgesetzte Fahrt durch das Rheinthal. Hinauf in die Berge ging es; über Reichenau, wo Louis Philipp im Winter 1793 seine Hauslehrerstelle antrat, – über dumpfdröhnende, von allen Seiten bedeckte Holzbrücken durch Wolken und Gestein nach Thusis. Jupiter pluvius schmollte nicht mehr! Phöbus durfte sein „flammenhufiges Gespann“ schirren. Bald strahlte die Sonne auf unsere frischen munteren Pferde; in offner Chaise, die feuchte kühle Luft einathmend, gelangten wir zwischen die starren Felswände, welche die Via mala bilden. Noch einen Blick thut man zurück. Am Eingang der Schlucht liegt, als gigantischer Hüter derselben, ein Felsblock mit den Resten einer der ältesten Burgen (Hohen-Rhätien), und hinter ihm das sonnige Thusis.
Die schaurige Großartigkeit der Via mala ist hinlänglich beschrieben und besungen, denn oft war sie der Schauplatz weithin klagender Verbrechen und Unglücksfälle.
Als unvermeidlicher Tributabtreiber karrt ein Bursche an der zweiten Rheinbrücke, die ihren Bogen über einen vierhundertachtzig Fuß tiefen Abgrund spannt, schwere große Steinblöcke auf dieselbe und schleudert sie von dort in die Tiefe. Erst nach langer Zeit hört der waghalsige Reisende das Krachen der unten angekommenen.
Wie wohlthuend wirkt auf die einsame Schlucht das Schamser Thal, das sich, mit seinen grünen Matten und weidendem Vieh, hinter derselben ausbreitet. Andeer liegt darin, vor dessen „Hotel Fravi“ wiederum der Pferdewechsel stattfand.
Schweizer Postillone in blauen Schooßjacken hatten uns bis [397] jetzt geführt, hier aber tritt zu unserem Erstaunen ein civilfashionable gekleideter junger Mann an den Wagen, grüßt uns leicht, wirft aristokratisch nachlässig sein carrirtes Plaid auf den Kutschbock, besteigt diesen, läßt sich Zügel und Peitsche reichen – und „rasch hin flogen die Rosse“. – Wir waren überrascht! – Unsere Vermuthung fiel auf einen verrückten Engländer, der dem Posthalter möglicherweise eine solche Ausschweifung abgezwängt hatte; auch war das schweigsame Wesen des neuen erfahrenen Lenkers ganz geeignet, uns in diesem Glauben zu bestärken. Erst bei dem Ferrera-Thal zeigte er sein gutes Deutsch in der Bemerkung: „dort drüben, in einer der Hütten, hat er damals als Carbonari gewohnt“ – (wir hatten nämlich von Louis Napoleon gesprochen) – und jetzt, in der Fortsetzung des Gespräches, trat auch der geistig gebildete Mann hervor.
Wir konnten uns die Sache immer weniger enträthseln!
Fort ging es durch das Rheinwaldthal, an zahllosen Rheinfällen vorbei nach Splügen.
Hier erreichte unsere Spannung ihren Höhepunkt. Mit freundlicher Eile kamen der Wirth und die Kellner herbei, nicht uns – nein, zuerst unsern Kutscher zu empfangen, dem sie – wir irrten uns wahrhaftig nicht – ein „guten Morgen, Herr Präsident“ zuriefen.
Wie in dem heftigsten Ausbruch der Krankheit oft zu gleicher Zeit das Uebel gehoben ist, so ging es uns auch hier. Der junge Mann war wirklich Präsident jener Gegend, eine Stellung, die der eines preußischen Landrathes nahe kommt. Was würde ein solcher in ähnlichem Falle thun – wie würde sich nur ein Posthalter geriren, wenn kein Postillon vorhanden und dennoch eine Extrapost zu befördern wäre?
Der Präsident, der von hier aus wieder nach Andeer zurückkehrte, nahm vorher unsere Einladung zum Diner an und zu wiederholtem Male nahmen wir den Unterschied der Graubündener gegen die übrigen Schweizer wahr. Körperlich wie geistig ist jener Menschenschlag bevorzugt und selbst die tölpelige Gaumensprache ist einer voll und angenehm klingenden Zunge gewichen.
Bis dahin hatten wir die Schneeberge vor und über uns gehabt; von Splügen aus ging es in sie hinein auf einem Wege, der, von oben gesehen, den Eindruck grauer Leinwand auf der Bleiche macht. In ganz kurzen fast parallellaufenden Windungen zieht sich die Straße hinauf in die urweltlichen Regionen der Steine und des Schnee’s. Nur zwei Baulichkeiten, die den Arbeitern als Nachtquartier dienen, unterbrachen die großartige kahle Oede. Stundenlang dauerte dieser Charakter.
Endlich erreichten wir die Spitze in einer Höhe von circa sechstausendfünfhundert Fuß, wo ein einfacher Stein die italienische Grenze bezeichnet, und lustig kingelten nun die armen gequälten Gäule hinab. Aber es war eine grausige Fahrt. Oft mit Schauder rollten wir dem schwindelnden Abgrunde zu, vor dem nur einfache Holzgeländer einen moralischen Schutz gewähren; doch mit unglaublicher Gewandtheit riß der Postillon die Pferde in dem entscheidenden Momente herum. Lange Tunnel, um vor den fallenden Lawinen zu schützen, unterbrechen diese mit großer Mühe von den Oesterreichern angelegte Passage. Nur einmal hielten wir, um den Fall des Madesimo zu betrachten, der siebenhundert Fuß tief in das Thal hinabstürzt. Auf einem gemauerten Vorsprung, welcher zu demselben führt, ist man von Wasserstaub umgeben und, wenn man das mächtige Schauspiel verläßt – von Bettelkindern, dem Segen Italiens.
Wir waren wirklich in Italien und das erste Städtchen, Campo dolcino, bald erreicht. Hier anständige Visitation und Pferdewechsel. Schmutz starrt Einem entgegen, schiefe Häuser mit zerbrochenen Fensterscheiben und herauswehenden Lappen sind die Behausung einer Bevölkerung, die sich vor den Thüren herumsielt und gegenseitig in den Haaren kraut.
Kam das Lira-Thal. Als ob jene große Umwälzung, welche einst unsern Erdball kopfüber kopfunter stürzte, erst kürzlich erfolgt wäre, so liegen hier die herabgestürzten Felsstücke durcheinander und nur die von Früchten strotzenden Maronenbäume, welche sich in riesigen barocken Formen zwischen denselben hervorarbeiten, beweisen das Gegentheil. Weiße Häuser in nicht zu berechnender Architectur, mit Treppen, von denen man nicht weiß, wo sie herkommen, noch wo sie hinführen, unterbrechen das dunkelgrüne Chaos, durch welches die Lira ungeberdig hinabzankt. Den Hintergrund dieser ganzen entzückenden Partie, die in tropischer Ueppigkeit wuchert, bilden die weißblauen Schneeberge.
Bald nehmen die Rebengehänge, welche die Straße entlang ziehen, die Stelle der Kastanien ein. Welcher Wechsel! Nur eine halbe Tagereise – nur Stunden weit, und andere Natur – andere Menschen – andere Sitten! Dort der Winterrock – hier die Hemdsärmel! Dort Thusis – hier Chiavenna.
Die Peitsche knallte und die Schellen unserer fünf Braunen machten noch vielfach mehr Lärmen, als wir durch die engen Straßen dieser Stadt fuhren, und die Bewohner flüchteten in die Thüren und bekamen als Gruß den reichlichen Inhalt der Gosse, den ihnen Pferdehufe und Räder nachsandten. Große Räume [398] in dem gewöhnlichen italienischen Palaststil nahmen uns auf. Gemalter Marmor, Zitzvorhänge und napoleonisches Meublement umgab uns in dem Hotel Conradi, welches neben jener ausgedehnten Burgruine liegt, an welche sich die Erinnerungen an den Rothbart und Heinrich den Löwen knüpfen.
In Chiavenna war großer Feiertag, denn es war der 15. August, Mariä Himmelfahrt. Die Straßen waren ziemlich still, einzelne Köpfe lugten hinter den Vorhängen des kleinen Cafés hervor und hier und da huschte eine verspätete Gläubige, tief verschleiert, nach der Hauptkirche San Lorenzo. Auch wir folgten dem Drange des Herzens, fanden dort die feiernden Chiavennesen im Kreuzgang versammelt und die Capellchen geöffnet, welche uns mit den Tausenden von Knochen, den bunt geschnitzten Schädeln und zahlreichen Gerippen, denen oft noch die irdischen Namen ihrer Nutznießer angeklebt sind, eine treffliche Mahnung an die Vergänglichkeit wurden. Dies auch im höchsten Grade begreifend bestellten wir die Pferde. Um zehn Uhr enteilten wir dem romantischen Gebirgskessel, dessen fortlaufende Wände, großartig in historischer Zeichnung wie Färbung, die Straße nach Colico bilden. Maulbeer- und Weidenplantagen haben die Maronen verdrängt. Einsam, verlassen ist der Weg. Nur einzelne verfallene Bauten, die in dem von Riva an sumpfigen Terrain liegen, lassen argwöhnen, daß es sich hier nicht immer ganz sorglos reisen lasse. Unweit Colico, in weiter Fläche auf einem Hügel, zeigen sich Trümmer der einst von den Spaniern erbauten Zwingburg Fuentes. Auch wieder ein Memento mori! – Colico ist der Landungsplatz für den nordöstlichen Theil des Comer Sees.
Durch wüste, übelriechende Bogengänge stiegen wir die Steintreppe in einem der beiden Gasthäuser hinauf und gelangten in den geräumigen Speisesaal mit Estrichfußboden, Strohmatte und dem ewigen italienischen Zugwinde. Fenster oder Thüren zu schließen, scheint oft nur eine unangenehme Angewohnheit der Fremden zu sein, die dem Eingebornen unnöthige Mühe verursacht. Zwei ungezogene Engländer nahmen mit allen vier Füßen das einzige Sopha ein und zeigten, wie jeder reisende Schuster dieser Nation sich der Herr der Welt zu sein dünkt und dies den anderen Staubgeborenen in nur allzu bekannter Weise kund zu geben vermag.
Welche unendliche Poesie umgab uns wenige Zeit darauf, als wir jenseits des herrlichen Sees unter dem schattigen Grün der Terrasse des Hotel Genazzini in Bellaggio den wunderbaren Abend genossen! Es war ein tief zur innersten Seele sprechendes Schauspiel und der Himmel hatte alle Requisiten herausgegeben, um dasselbe so glänzend als möglich in Scene zu setzen. Ueber den duftigen Bergen, an denen sich die ununterbrochene, erleuchtete Häuserreihe entlang zieht, wurde der Untergang des ersten Mondviertels trefflich executirt und Myriaden von Sternen angesteckt. Geheimnißvolle Gondeln mit heimlichen Pärchen huschten geräuschlos vorüber und nur einzelne silberne Funken verriethen die Bewegung der sonst so stillen Wasserfläche. Alles war dazu angethan, nichts zu sprechen, nichts zu denken, sondern nur in überschwenglichem Gefühl hinzustarren in das verwirklichte Traumbild. Bellaggio als Stadt ist einfach die kleine, italienische Bergstadt. Steinerne Arcaden ziehen sich den See entlang. In ihnen liegen die Cafés und Hauptgeschäfte, die den Buden eines Badeortes gleichen. Zwischen denselben führen treppenartig gepflasterte, gewundene Straßen steil hinauf in das Innere des Ortes. Noch engere Wege leiten nach den verschiedenen Richtungen. Einzelne hübsche Weibergestalten hocken vor den abschüssigen Gebäuden, die nach Willkür in Feldstein und Mörtel aufgeführt und mit Hohlziegeln gedeckt sind und die aus so vielen Bogen und Dächerchen, Winkeln, dunklen Eingängen und Weingeländen bestehen, daß man vor Begierde, Alles in seinem Skizzenbuche zu haben, zu Nichts kommt. Unmittelbar über der Stadt liegt die Villa Serbelloni, ein kleines Paradies, zu dem der Engel mit dem Schlüssel durch Erlegung der so allgemein gebräuchlichen Abgabe gewonnen wird. Der Park, welcher sich bis zur Spitze des bewaldeten Vorgebirges hinaufzieht, ist reich ausgestattet mit Riesen-Aloen, Tuja, Oleander, Cypressen, Magnolien etc. und bietet die entzückendste Aussicht. Unter uns breitete sich der Comer See mit seinem Wasserbruder, dem Lago di Lecco aus. Die Städtchen, Villen und Häuschen lagen theils im Glanze der untergehenden Sonne, theils in dem tiefen violetten Abendschatten und heraus tönten die Glöckchen des Ave Maria in melodischem Chore. Ein Gefühl unendlichen Friedens wurde von dort angeregt, wo doch überall so viel Haß, Zwietracht, Neid und Eifersucht ihr Wesen treiben. Als die Mondsichel dann hell und klar am Himmel stand und wir in das märchenhafte Dunkel hinabgestiegen und die Lichterchen angezündet waren und das sonst so durchsichtige hellgrüne Wasser als schwarze stille Masse vor uns lag, aus der nur das Plätschern der Ruder und hin und wieder heiteres Lachen und Gesang tönte – da schwammen auch wir in einer jener malerischen Gondeln über den See. Hier machte auch der Berliner Bankier, unser momentaner Genosse, seinem Herzen Luft. Er, der ewig Erheiternde – der sogenannte „Tausendsappermenter“ – er, welcher die preußische Intelligenz für den Süden verarbeitete, brach in die leidenschaftlichen Worte aus: „Die Nacht ist auch nicht von schlechten Eltern!“
Was die Villen des Lago di Como betrifft, d. h. die Gebäude selbst, so sind die berühmteren, Villa Carlotta und Villa Melzi, in dem widerwärtigen napoleonischen Stile, dem Stile der mißverstandenen Antike, gehalten. Erstere enthält an Schätzen die bewundertste Schöpfung Thorwaldsen’s, den „Alexanderzug“ und eines der reizendsten Gebilde des anmuthigeren Canova – seinen Amor und Psyche, eine Gruppe voll ästhetischer Sinnlichkeit. Die Villa Melzi dagegen liefert in dieser Richtung nicht solche Perlen, sondern sie ist ausgezeichnet durch ihren Ueberfluß an exotischen Gewächsen, die hier, wie in einem botanischen Garten, zur Geltung gebracht werden. Die ganze Erde liefert dem jetzigen geistvollen Garten-Intendanten Louis Villain, einem geborenen Erfurter, ihre Bodenerzeugnisse.
Eine Fahrt nach Mailand war beschlossen, und die herrlichen Ufer des Comersees zogen an uns als Wandelbild vorüber, bald reich bebaut, bald schroff und felsig. Hier die Villa des extravaganten Engländers auf einem ganz isolirten Vorsprunge und nur per Wasser zu besuchen, dort die Stelle des erst kürzlich versunkenen Hauses, von dessen Versinken man weiter keinen Grund anzugeben weiß, als daß eben der Grund fehlt. Dann folgen die Olivenplantagen in dem Grau-grün unserer heimischen Weiden. Eine abgetragene Alte mit mißtönend summender Spieluhr hatte bei irgend einer Station den Dampfer bestiegen und trippelte brandschatzend umher, während mir der joviale Fabrikant aus Bergamo die Geheimnisse des Comersees mittheilte. Er kannte alle Villenbesitzer und wußte alle Kneipen, erklärte aber, daß er niemals mehr überrascht worden sei, als in Varenna, wo er als Aushängeschild die Worte gefunden: „Al vino cattivo“ (Zum schlechten Wein). Der Wirth habe ihm jedoch, auf seinen erstaunten Ausruf, sehr verschmitzt die Erklärung gegeben, daß, wenn er behaupten würde, guten Wein zu haben, ihn gewiß die ganze Welt schlecht finden würde, wogegen jetzt Jeder beim Kosten ausriefe: „Der ist ja vortrefflich,“ und er auf diese Weise reichlichen Zuspruch habe.
Como machte einen lustigen bewegten Eindruck. An dem freien heiteren Hafen war Markt, und das lebhafte Volk wälzte sich herum um den Omnibus, welcher uns durch die Stadt nach der Eisenbahn zu Camerlata führte. Die weiße sonnige Chaussee dorthin ließ uns die ganze Freude südlichen Staubes genießen, in welchem, gleich Phantomen, einzelne Gestalten umherirrten, die den Koth der Pferde so eifrig sammelten und sich gegenseitig streitig machten, als ob es die glänzendsten Perlen auf Meeresgrund gewesen wären.
Mailand wird binnen Kurzem eine moderne Stadt sein, denn man steht im Begriff, die alten rumpeligen Bauten, welche einen Charakter verleihen, abzureißen und großartige Viertel entstehen zu lassen. Der Dom, dieses Meisterwerk der Architektur, den man jetzt fast nur aus der Froschperspective betrachten kann, wird dadurch allerdings frei gelegt – aber Mailand wird seine Eigenthümlichkeiten nur stückweise und versteckt aufbewahren. Hitze lag in den Straßen, als wir in die kühlen Räume des Theaters „della Scala“ stiegen, um am hellen Mittag einmal die sechs Logenreihen ohne die viertausend Zuschauer zu sehen, die darin Platz haben.
Brera, Municipium, Arena, Arco della pace, Terracotta-Fabrik – jedes war vortrefflich, groß, erhaben, aber schließlich wurde man der auf Accord arbeitende Tagelöhner. Geistig übersättigt und auch hinlänglich angestrengt durch das lucullische Mal im Hotel de la ville, fühlten wir uns so eigentlich wieder ganz Menschen vor einem der Cafés auf der Piazza della Scala. Hier genoß ich wieder ganz den Zauber südlichen Lebens. Die laue Nacht, der Sternenhimmel, der Mandolinschläger mit der Arie aus dem „Barbiere“ und der neapolitanischen „Barcarole“, dazwischen [525] der Ausrufer des „Pungolo“ („Stachel“, eine Zeitung); die lästigen, wie Fliegen zudringlichen Blumenmädchen, die Cigarrenstummelsucher und die rothblusigen Garibaldianer. Alles sitzt oder steht bunt durcheinander, während die schrille Stimme der Kellner in das Local hineinruft: una, due, tre tazze etc. – Es war ein lebendiges Bild, würdig des Abschlusses mit Mailand!
Unser Wagen wartete bereits am Morgen der Abreise, als ich noch schnell die dem Hotel gegenüberliegende Kirche San Carlo Borromeo besuchte, und ich erwähne dieselbe nicht etwa ihrer Architectur, sondern ihres Patrons wegen. Besagter Herr steht nämlich als lebensgroßes plastisches und bemaltes Brustbild auf einem Kasten, der die Spenden der Eintretenden aufnimmt, und sieht mit zwar freundlichem, doch scharfem Blick auf die Hand des Opferers. Nicht nur als unerwartet machte der so dem Leben wiedergegebene Heilige auf mich die unheimlichste Wirkung, sondern er erregte auch ein Gefühl des Widerwillens bei jeder abermaligen Betrachtung, und noch heute werde ich den Eindruck jenes Kopfes nicht los.
Mit einigen Herren, welche, mit den langen Mailänder Cigarren im Munde, turnierenden Rittern ähnlich sahen, fuhren wir zurück nach Camarlata, übernachteten noch einmal in Bellaggio und gondelten am Morgen hinüber nach Menaggio. Auf dem kleinen Marktplatze umstanden uns Pferde, Fischer, Fuhrleute und Esel, und letztere wurden unsere Reisegefährten; nur gelangten sie, auf steileren Seitenwegen, früher zur Höhe der Berge als wir. Zwischen Steinmauern hindurch und unter Kastanien, Nüssen, Wein und Feigen fuhren wir durch das enge schmutzige Städtchen, wahres Steingekrümel, aus dem sich, wie aus Gewohnheit, bettelnde Hände ausstreckten. Es ist die rein mechanische, beim Herannahen eines Fremden unwillkürliche Bewegung, da unmöglich angenommen werden kann, daß der Reisende halten soll, aussteigen und zwei Treppen hinaufkriechen, um ein paar Centesimi los zu werden. Es ist der Ausdruck naivster Unverschämtheit!
Bei Donner, Blitz und Regenguß langten wir gegen Mittag unter der Säulenhalle des Albergo del Lago in Porlezza an, mit welcher Stadt wir das Ufer des Luganer See’s erreicht hatten. Aus der Küche drang uns der eigenthümliche Fettgeruch der italienischen Frittura entgegen und dieser, im Verein mit der dicken, behäbigen Wirthin, den lachenden geplatzten Feigen, den Fischen und den uns umschnurrenden Katzen rief Erinnerungen in mir wach an jene sonnige Zeit, als ich, siebenundzwanzig Jahr alt, den Süden dieses gottgesegneten Landes durchzog. Meine Nase gebot mir übrigens, dem widerlichen Duft bald zu entfliehen; vor dem Hause winkte mir außerdem ein neues Bild, denn das lebhafte Interesse, welches ein wohlhäbiger Geistlicher dem Abschlachten der Fische für die Küche hier widmete, war ganz geeignet, das meine für ihn zu erregen.
Ein junger Garibaldianer von guter Familie, der, des Friedens wegen entlassen, hier mit einigen Gefährten dem Fischfange nachgehen wollte, gab Veranlassung zu politischen Bemerkungen, die nicht allzu sehr den Enthusiasmus bekundeten, den wir bezüglich der Prussiani in Italien zu finden glaubten. Die jungen Leute sprachen unterrichtet und begeistert, ohne in die Rodomontaden auszubrechen, die man wohl öfter zu hören bekommt, und nicht ohne eine scharfe Kritik gingen sie über die Maßregeln der eignen Regierung hinweg. Das gemeinschaftliche Frühstück hatte uns angenehm den Gewitterschauer vorüberziehen lassen, die Zeit der Abfahrt war da und wiederum ging es auf das Dampfboot, welches uns über einen der romantischsten norditalischen Seen nach seiner Mutterstadt Lugano trug.
Wir hielten vor dem stolzen Kloster Santa Maria degli Angeli, die Hausglocke tönte und die dienenden Brüder stürzten herbei. Durch einen großartigen Wirrwarr von Treppen und Gängen wurden wir in die uns bestimmten Zellen geführt, worauf man uns einlud, in das Refectorium zu folgen. So mochte es einst geheißen haben. Jetzt ist die Zeit trivialer und der Prior heißt nun einfach Herr Beha, die dienenden [526] Brüder sind Kellner und die gottgeweihte Stätte trägt, den Anforderungen der Gegenwart gemäß, den Namen „Hotel du Parc“. Nur die zum Kloster gehörige kleine Kirche hat ihren Beruf nicht gewechselt. Die Giebelwand in derselben zeigt eine wunderbare Freske von Luini, in der besonders Zeichnung und Charaktere den Eintretenden überraschen. Es ist eine kolossale, überreiche Composition der Kreuzigung Christi, mit den Jahreszahlen 1530–1534 versehen.
Dem Gasthause gegenüber, unmittelbar am See, erhebt ein „Tell“ drohend den Pfeil, ein Memento mori anderer Art. Die marmorne Statue ist von Bela, einem in jener Gegend sehr bevorzugten Künstler, welcher Eleganz mit tüchtiger Praxis vereint. Lugano selbst, denn unsere Wohnung lag am Ausgange desselben, ist durch seine die Straßen bildenden Arcaden eine höchst malerische Stadt und der hier abgehaltene Markt bot die mannigfaltigsten Bilder. Leider ist auch hier jede Originalität des Costüms untergegangen und nur die Schwarzröcke, theils in Tuch, theils in Borsten, Eins das Andere kaufend, zeichneten sich in dem Gedränge aus, das in der Mitte der Straßen wogte.
Wir verließen Lugano, um die uns gerühmte Villa Ciani zu besuchen. Sie bot allerdings eine herrliche Aussicht auf den ruhigen See, aber die Indiscretion, mit der man die heiligsten Stücke einer Damentoilette auf der Freitreppe zum Trocknen ausgebreitet hatte, führte den schwärmenden Geist in den Schmutz der Realität zurück. – „Feuer regnete vom Olymp herab“, als wir Lugano verließen und auf der weißen blendenden Straße einer ziemlich nachdrücklichen Visitation italienischer Mauthbeamten preisgegeben waren. Nur die etwas gewagte Folgerung, daß, da in dem einen Koffer keine Cigarre, auch in dem anderen keine seien, half uns schneller über den Aufenthalt hinweg. Mit Luvino erreichten wir den gefeierten Lago maggiore. Wie saß es sich schön unter dem Zelte, in der milden balsamischen Seeluft bei den Südfrüchten und dem Feuerweine! Was schoß die Luviner Jugend vor uns in der Sonne für Purzelbäume, um auch von ihrer Seite unsere Stimmung zu heben! Welch’ triumphirendes Finale dieses Actes bildete der quäkende Trompeten-Leierkasten! Und dann – wie gierig eilte Alles herbei und streckte die Hand aus und trug den Eigennutz zur Schau!
Viel Leben war auf dem Dampfschiff, mit dem wir nach kurzem Intermezzo aufbrachen, und wir sahen die grünen Berge und die weißen Städtchen mit ihren Bogengängen auftauchen und verschwinden. So kamen wir nach Intra und nach Pallanza, und da lagen die Inseln, deren Namen fast schon dem Kinde mit einem Hauch von Poesie umgeben waren, die Isola bella und Isola madre.
Isola bella, Schauplatz der Erzählung einer unserer tiefsten und abenteuerlichsten Dichter, ist ein ebenso abenteuerliches Gebilde des Grafen Vitale Borromeo. Ganz in dem barocken Stile seiner Zeit (Ende des siebzehnten Jahrhunderts) ist die kleine Zauberinsel eine Verkörperung der Gärten Armida’s; das einst dem Cupido geweihte Eiland richtete er zu einem Versteck der Schwärmerei und Liebe ein, und der von Rhododendren, Citronen- und Camelienbäumen beschattete Garten, dessen Gänge aus großen, zopfigen Blumen von bunter Mosaik bestehen, heißt noch heute giardino d’amore. Ueppigkeit der Phantasie und der Vegetation paaren sich mit der Verschrobenheit jener ausschweifenden Periode.
Das naturwüchsige Pendant hierzu und die zweite der Inseln ist Isola madre. Sie besuchten wir an dem herrlichen Morgen des 22. August, als der Simplon mit dem Schneehaupte so lustig aus dem dunkelblauen Aether über die Vorberge in den azurnen See blickte. Die Kunst ist hier wenig vertreten, dagegen versetzt uns der Duft einer uns fremden Pflanzenwelt in die ferne Zone der Tropen. Unser Hauptquartier war das Hotel zu Stresa, an dem Ufer des Sees gelegen. Vor demselben rekelten sich die Engländer, während ein amerikanischer Reverend, die Personification klerikaler Stutzerei, gleich einem Pfau umherstolzirte. Jedoch als Ausbund der Lächerlichkeit zeigte sich an der Table d’hote ein Garibaldianer in seiner rother Blouse, mit arbeitsscheuen, aristokratischen Händen und fatiguirtem Gesichtsausdruck, welcher auch jenem überseeischen Volke angehörte und den Krieg als ein einigermaßen aufregendes Vergnügen mitgemacht hatte. Aber selbst die puppenhafteste Staffage konnte den Zauber des Ortes nicht unterdrücken. Nach einigen glücklichen Tagen verließen wir Inseln und Gondeln und bestiegen wieder das große Schiff. Die Gesellschaft glich dem Kehrichthaufen nach einem Festgelage. Brauchbares genug, aber nichts Ganzes. Nur die confiscirte Physiognomie, welche mich umkreiste und mir jetzt einen italienischen, dann einen französischen und deutschen Brocken zuwarf und mir in letzter Sprache eine Fahrgelegenheit anbot – schien Beides in sich zu vereinigen. Wir unterzeichneten einen Contract, welcher auf den ominösen Namen Maddalena Meschino lautete und der Alles versprach und schließlich – wenig hielt. Man muß sich vor solchen vagabundirenden Unterhändlern gerade in Italien und der Schweiz besonders hüten, da sie sich durch ihr bestechendes Aushängeschild noch einer ganz speciellen Contravention schuldig machen; sie nennen sich „Post“, ohne dazu berechtigt zu sein.
Gegen Mittag gelangten wir nach Magadino und bald hatten wir die letzten lombardischen Grenzposten erreicht. Wir waren nun wieder auf schweizerischem Gebiet, aber immer noch winkten uns die unzähligen Schilder entgegen mit „si alloggia bene nel albergo di …“ oder „vino e birra etc. etc.“ Wahres Gerümpel kleiner Ortschaften, die für unsern großen Reisewagen kaum passirbar schienen, lagen, wie deren Bewohner, auf dem sonnigen Grase, und unter goldig-grünen Rebengehängen wälzten sich die schwarzäugigen Kinder auf Mist und starrten mit offenen Mäulern die Fremden an. Selbst der alte arbeitsame Schmied hebt den wuchtigen Hammer vorläufig nicht wieder, sondern nickt erst dem Vetturino zu und wartet, bis der Wagen wieder auf der durchglühten Chaussee ist, über der die Sonne so senkrecht steht, daß der geringe Schatten der Gegenstände kaum aus deren Basis herauskriecht. Ausgedörrt an Leib und Seele kamen wir nach Bellinzona, über welches hinweg uns die drei mächtigen Burgen, einst drohende Vesten schweizerischer Landvögte, entgegenstarrten.