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Royer Collard’s Aufnahme in die französische Akademie

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Titel: Royer Collard’s Aufnahme in die französische Akademie
Untertitel:
aus: Das Ausland, Nr. 24–25; 27–28 S. 93–94, 98–99, 106–107, 109–110.
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Scans bei Commons
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[93]

Royer Collard’s Aufnahme in die französische Akademie.


Einer der glänzendsten Punkte in der Geschichte der französischen Akademie ist die einstimmige Wahl Royer Collard’s zu einer Zeit, wo dieser Gelehrte als der entschiedenste Gegner des Villele’schen Ministeriums auftrat, und seine Aufnahme, in einem Augenblicke, wo sechs Departements sich die Ehre streitig machten, ihn ihren Repräsentanten zu nennen.

Als er in den Sitzungssaal der Akademie trat, erhob sich die ganze Versammlung von ihren Sitzen; der Saal bebte unter dem stürmischen Zuruf der Freude und des Beifalls, und dennoch lag eine Art scheuer Ehrfurcht selbst in diesem lauten Ausbruch der Begeisterung. Mit tiefer Achtung betrachtete man die edle, ernste Gestalt, sonst so still und ruhig, nun aber aufgeregt und erschüttert von der freudigen Bewegung des schönen Augenblicks. Der große Redner, so fest auf der Tribüne, schien außer Fassung gebracht; seine ersten Worte waren kaum vernehmbar; seine Hand suchte zitternd die Blätter seines Manuscripts. Erst nach einigen Minuten sammelte er sich, und schnell erkannte man nun den Mann, der gewöhnt ist, die zahlreichste Versammlung zu beherrschen. Mitten in der Rede drohte der Beifall mehr als einmal stürmisch auszubrechen, wurde aber von ihm mit bewunderungswürdiger Sicherheit stets bis zu dem Augenblicke zurückgehalten, wo er einen Gedanken vollständig entwickelt hatte und es ihm gefiel, der Aufmerksamkeit Ruhe zu gönnen. Einige Stellen seiner Rede, die uns besonders bedeutungsvoll erscheinen, legen wir unsern Lesern in treuer Uebersetzung vor.

„Meine Herren! berufen durch Ihre Wahl, in Ihrer Mitte die Stelle eines Ihrer berühmtesten Mitglieder einzunehmen, kann ich mich der innern mit Ehrfurcht verbundenen Bewegung nicht erwehren, in welche eine so auszeichnende als unerwartete Ehre mich versetzt. In der That, was führt mich in die Akademie? Die Akademie! Dieser große Name ruft den ganzen literärischen Ruhm Frankreichts dem Gedächtniß zurück. Sie, meine Herren, geben diesem Ruhme nur dadurch neues Leben, daß Sie ihn stets vergrößern; mir aber gebührt nicht der Titel eines Gelehrten, der hier unerläßlich ist, und keinem unter Ihnen gefehlt hat. Kein Geisteswerk, kein von mir mit einem Glück gepflegter Zweig der Literatur, konnte Ihre Blicke auf mich ziehen. Bis zu den letzten Zeiten verstrich mein Leben, Ihrer Beschäftigung fremd, fern von Ihrem Umgange, fruchtlos unter dem Geräusch unserer bürgerlichen Unruhen, oder verborgen in stiller Zurückgezogenheit. Einige Bemühungen, im Dunkel der Schulen das Studium der Philophie wieder zu belegen, konnten nicht bis zu Ihrer Kunde gelangen. Die Zeiten liegen weit hinter uns zurück, wo wir die Liebe zu den Wissenschaften, die emsige Bewunderung unserer großen Schriftsteller, das Studium der Sprache, die sie schufen, schon für ein lohnenswürdiges Verdienst ansehen durften; die Vorliebe für diese Beschäftigungen sind heutiges Tages glücklicherweise unter uns gemein, und genügen nicht, einer so ehrenvollen Auszeichnung, wie sie mir in diesem Augenblicke zu Theil wird, als Rechtfertigung zu dienen. Es ist sonach offenbar, meine Herren, daß eine neue Idee Sie bei einer Wahl leitete, welche sich nicht auf die bisherigen Vorgänge stützt, und deren Autorität nicht zu bestätigen scheint.

Im Schoose der Literatur, in dieser geistigen Welt, in welcher die Akademie ihren Sitz hat, blickte sie um sich her, und sah, daß, beim Durchgange durch die Revolution der Gesellschaft, die öffentliche Berathung das erste Gesetz unserer Regierung geworden war. Die Rednerbühne hatte sich in der Mitte des aufmerksamen Frankreichs erhoben; das Wort führte den Vorsitz bei den Geschäften. Diese Geschäfte, meine Herren, bestehen nicht blos im Abwägen der Interessen; sie fordern auch, sie fordern vor Allem die Feststellung und Vertheidigung der Rechte. Auf diesem erhabenen Kampfplatze, welcher der Rede eröffnet ist, sehen wir, in unserm Zeitalter, die Triumphe der Gerechtigkeit und der Freiheit, – Triumphe, welche mühsam und langsam erkämpft werden, aber fortan uns gesichert sind. Ihnen, meine Herren, ist es vorbehalten, in diesen Siegen auch das Werk der Beredsamkeit zu sehen. Während wir in unserer unsterblichen Charte die Restauration der Nationalwürde, das unverletzliche Pfand der Einigkeit und der öffentlichen Treue verehren, ist es Ihnen vorbehalten, in ihr zugleich einen Fortschritt der Vernunft, eine männliche Uebung der höchsten Geisteskräfte, folglich eine Vergrößerung des Gebietes der Literatur zu entdecken. (Beifall.) Glücklich ist der öffentliche Charakter, dessen Reden Sie auszuzeichnen und an dem Ruhme der Literatur Theil zu nehmen würdigen. Wehe ihm aber, wenn er um diesen Lohn buhlt! Denn seine Gedanken sind zu ernst und bedeutend, seine Pflichten zu heilig, als daß [94] es ihm erlaubt wäre, zwischen dem Guthandeln und dem Gutsprechen seine Sorge zu theilen. (Bewegung.) Ohne Zweifel, meine Herren, habe ich mit lebhafter Dankbarkeit die Gunst empfangen, die Sie mir zugestehen, eine Gunst, um welche sich Bossuet und Montesquieu bewarben, und auf welche ich um so stolzer bin, als ich sie zugleich über die Camille-Jordan, die de Serre, die Foy verbreite, – diese edlen Gefährten, diese ruhmvollen Freunde, welche ein frühzeitiger Tod dem Vaterlande und Ihrer Wahl entzog. (Wiederholter langer Beifall.) Aber es handelt sich hier nicht um meine Person: so unvollkommen auch meine Ansprüche sind, Sie, meine Herren, haben durch eine nachsichtsvolle Fiction in denselben die Rechte der französischen Tribüne sehen wollen; mit dieser schließen Sie indem Sie mich wählen, im Namen der Wissenschaften einen feierlichen Bund.

[98] „Man wundere sich nicht, man klage die Akademie nicht an, ihre Herrschaft über die natürlichen Grenzen auszudehnen. Die Literatur hat kein geschlossenes Gebiet, das, von andern Gebieten umgrenzt, sich nur durch eine ungerechte Invasion erweitern könnte. Was dem Menschen, was der Welt angehört, ist ihr nicht fremd, nicht verboten. Die Moral erforscht das Gute, die Philosophie das Wahre; die Literatur, auf beides sich stützend, hat das Schöne zum Gegenstand. Das Schöne aber ist überall, in uns und außer uns, in den Vollendungen unserer Natur und in den Wundern der Sinnenwelt, in der selbstständigen Kraft des einsamen Gedankens und in der Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft, in der Tugend und in den Leidenschaften, in der Freude und in den Thränen, im Leben und im Tode; und wenn die Natur gegen unsere Wünsche karg ist, so ist es uns vergönnt, mit unserer Einbildungskraft das Schöne zu vervielfältigen, es verschwenderisch auszutheilen, die Wahrheit durch Dichtung, die Geschichte durch Mythen zu übertreffen. Dies ist die Würde, dies die Universalität der Wissenschaft des Schönen, der Literatur. Geboren in unserer Fähigkeit, das Schöne zu erkennen, hat diese Wissenschaft keine Grenzen, als soweit unsere Kraft das Schöne zu erfassen und zu genießen selbst begrenzt ist. Das Schöne ist nur dem Gefühl zugänglich; es in einen Begriff, in eine Definition einzuzwängen ist unmöglich. Man gebe ihm die Namen des Erhabenen, des Pathetischen, des Edlen, des Großen – alle diese Worte können es nicht erschöpfend bezeichnen.

Es gibt wundervolle Künste, die das Schöne durch die Gestalt, durch Farben oder durch Töne ausdrücken; sie machen es zu einem Gegenstande der Sinne, oder vielmehr, sie bedienen sich der Sinne, um der Seele das Schöne zu offenbaren. Die Literatur drückt das Schöne aus durch das geistige Werkzeug der Sprache; darum ist der Styl ein Theil der Literatur; darum gibt es auch eine Wissenschaft des Styls und selbst der Worte, welche die Literatur zu repräsentiren scheint, jedoch nur ihr Gehülfe ist.

Die Literatur gedeiht nicht in jeder Zeit; sie fordert Geister, die sich lange mit der Betrachtung des Schönen beschäftigt und in dem Anblick desselben ihre Sinne so geschärft haben, daß sie es schnell durch jenen Instinkt, den man Geschmack nennt, zu unterscheiden wissen. Dort wo der Geschmack sich nicht gebildet hat, ist es möglich wunderbare Dinge zu denken und zu sagen; eine Literatur aber, die des Namens würdig wäre, wird es dort nicht geben.

Obgleich die Natur des Schönen unveränderlich ist, so ist sich die Literatur doch nicht stets gleich. Sie folgt der Religion und der weltlichen Regierung, den langsamen odeer den ungestümen Revolutionen in den Sitten, der Bewegung der Geister, ihren veränderlichen Liebhabereien und ihren verschiedenen Neigungen; und so wird sie der wechselnde Ausdruck der Gesellschaft. Unter den Dingen, die sie begünstigen, gebührt der politischen Freiheit ohne Widerrede der erste Rang. (Bewegung unter den Zuhörern.) Ist es etwa nur deswegen, weil die Rednerbühne die Literatur mit einer neuen Art von Beredsamkeit bereichert? Nein, die Macht der Freiheit reicht weiter hinaus. Mit ihr, Sie wissen es, meine Herren, mit ihr erwacht ein tiefes, schönes Gefühl, aus welchem, wie aus ihrer natürlichen Quelle, große Gedanken und zugleich große Thaten entspringen. (Beifall.) Dieses Gefühl gehört ganz der Literatur an; ich habe nicht genug gesagt, – es ist die nothwendige Bedingung derselben. Wäre die Freiheit nicht in den Geistern, so würde sie vergebens in unsere Gesetze geschrieben seyn; vergebens würde ihr Name in den Worten und Verhandlungen der Regierung wiedertönen: die Literatur, in ihrer Wurzel verdorrt, würde kränkeln, und nur ungenießbare Früchte tragen. Dort dagegen, wo die Literatur in ihrem vollen Glanze strahlt, können wir sicher seyn, die Freiheit in den Gemüthern zu finden, wäre sie auch nicht in die Gesetze geschrieben; sie lebt dort in den Geistern, welche um sie trauern oder sie herbeirufen. – Dies ist der Vorzug unserer Zeit: die Freiheit ist aus den Geistern endlich in die Gesetze übergegangen. Sie stützt sich auf die Bürgschaft des Königs, wie auf die Macht der öffentlichen Sitten. Wer könnte sie uns von Neuem rauben? (Bewegung.) Die Literatur wird ihre Gegenwart fühlen, und ihren Charakter annehmen. Sie wird edel, ernst und voll Muth seyn. Neue Aufregungen werden die Dichtkunst und Beredsamkeit beseelen; die Philosophie, die Geschichte, die Kritik werden vereint Kenntnisse verbreiten, deren die Freiheit zu ihrem Gedeihen bedarf. Erzogen vom Geiste des Jahrhunderts, wächst ein neues Geschlecht heran, ernst, besonnen und geduldig; es ist dafür gebildet, daß die Fortschritte der Gesellschaft auch neues Leben in die Wissenschaften bringen und ihr Gebiet erweitern müssen.“

Nach diesen allgemeinen, zeitgemäßen Betrachtungen, [99] sprach der Redner zum Lobe seines Vorgängers, des verstorbenen Laplace. Da des Herrn Daru Vortrag über diesen Heros der Wissenschaft für deutsche Leser anziehender seyn dürfte, so übergehen wir die correspondirenden Stellen in der Rede des Herrn Royer-Collard und beschränken uns auf den universellen Theil derselben. Diese Rede, im Tempel der Wissenschaften, vor ihrem Altar gesprochen, konnte nicht verfehlen, unter den Zuhörern, unter Allen, welche in Europa diese Rede lasen, die tröstende Ueberzeugung zu verbreiten, daß die Freiheit in den Geistern lebt, daß dadurch die Fortschritte der Gesellschaft, wie jene der Wissenschaften, gesichert sind, und daß alle Versuche des Aberglaubens und einer sittenverderbenden Heuchelei, als unmächtige Anstrengungen einer Sekte von Pygmäen gegen die Riesenkraft einer zum Bewußtseyn erwachten Zeit, nicht gefürchtet werden dürfen.

[106] (Antwort des Herrn Darû an Herrn Royer Collard.)

Sie sprachen von Ihrer Aufnahme unter uns, und vergaßen zu sagen, daß wir Sie einstimmig gewählt haben. Dieser Verein aller Stimmen bezeugt nicht allein Ihr Verdienst, er ist zugleich ein Beweis, daß unter den Pflegern der Literatur, wie verschieden auch sonst ihre Meinung sey, edle Gesinnungen allen gemeinschaftlich sind. So groß ist, ich will nicht sagen, die Erhabenheit Ihres Talents, sondern der Adel Ihres Charakters, daß wir alle einige Eitelkeit darein setzten, der Welt zu sagen, wir wären berufen, einen solchen Charakter zu würdigen. (Bewegung.)

Wir hatten in unserer Liste einen wahrhaft berühmten Namen zu ersetzen: die Erinnerung dessen, was Ihr Vorgänger war, spricht am besten die Achtung dessen aus, was Sie sind.

Unter den Belehrungen, die wir ihm verdanken, ist es nicht die geringste, daß sein Beispiel uns einen Beweis gab, von dem edlen Erfolg einer durch das Genie geleiteten Anstrengung. – Gibt es ältere Namen, als der Name, den Laplace verherrlichte: so gibt es doch keinen, der länger zu dauern sich schmeicheln dürfte.

Es ist nicht unsere Aufgabe, von dem ehemaligen Minister, von dem Senator, von dem Pair von Frankreich zu sprechen; nicht von seinen Aemtern und Würden, nur von seinem Ruhm kann hier die Rede sein.

Indem ich den großen Gegenstand auf solche Art beschränke, bin ich mir wohl bewußt, daß ich kein Recht habe, die Arbeiten des Herrn Laplace zu würdigen: für mich ist sein Genie, was jene großen Wahrheiten sind, die nicht von Jedermann ergründet werden können, und an die wir glauben, weil erhabene Geister sie gefunden und bewiesen haben.

Der große Geometer ist für alle Wissenschaften, die sich auf Berechnung begründen, was der Steuermann für das Schiff ist: er bestimmt die Richtung und zeigt den kürzesten und sichersten Weg. Dies war der unterscheidende Charakter im Geiste Ihres Vorgängers, daß er sich an Grundsätze hielt, deren Anwendung allgemein seyn konnten. Jenes erhabene Genie (Newton), dem es gegeben war, der Welt das Geheimnis der Schwerkraft zu offenbaren, hatte durch mathematische Verfahren sich selbst das Daseyn dieser unbekannten Macht bewiesen; er wollte sie aber den Menschen durch die Vergleichung der Thatsachen begreiflich machen. Solche Beweise sind den Entdeckungen, die uns in Erstaunen setzen, unentbehrlich. Sein Nachfolger (Laplace) zog die unabhängigere und allgemeinere Methode der Analysis vor. Diese Vorliebe beurkundet die Schärfe wie den Umfang seines Geistes. Man muß die Stellen seiner Schriften lesen, wo er von der Analysis, von dieser gelehrten Führerin spricht, welche sich eine universelle Sprache schafft, und zu unerwarteten Resultaten, zu Wahrheiten führt, die man für unerreichbar halten könnte. Die Analysis gelangt dahin, indem sie sich von den Objekten losreißt, diese zu vergessen scheint und allgemeine Begriffe an ihre Stelle setzt, die sie einander unterordnet, und übereinstimmenden und steten Regeln unterwirft. – „Wenn diese Gesetze,“ sagte Laplace, „die das Weltall umfassen, unseren Augen seine vergangenen und künftigen Zustände enthüllen: so läßt uns dieser erhabene Anblick das edelste Vergnügen empfinden, das der menschlichen Natur vorbehalten ist.“ Man fühlt, daß der Mann, der sich so ausdrückte, oft zu diesen erhabenen Genüssen den Zugang fand. Er hat uns vorgeleuchtet; aber indem er uns wichtige Wahrheiten offenbarte, war er schon durch das Glück, sie gefunden zu haben, belohnt; unser Beifall kann nichts mehr, als unsere Dankbarkeit bezeugen.

Und gibt es in der That einen edlern Beruf, als die Fortschritte des menschlichen Geistes zu befördern! Will man wissen, wie viel die Wissenschaften dem Herrn Laplace verdanken, so wird es genügen, sich in jene für unsere Literatur-Geschichte denkwürdige Epoche zu versetzen, als, in einer Nationalfeierlichkeit, das Institut der Regierung Bericht über die Fortschritte der menschlichen Kenntnisse erstattete. Der Mann, der das Gemälde vorlegte, hatte ein Recht, von Allem zu sprechen, was den Wissenschaften [107] und der Kunst, sie verständlich zu machen, angehört. Bei jedem Schritte der Mathematik, der Mechanik, der Astronomie, der allgemeinen Physik, findet man den Namen Laplace. (Beifall.)

Nur zu lange hatte die Analysis sich schüchtern der Beobachtung unterworfen; jetzt schreitet sie voran, sie erfindet Methoden, und lehrt alle Diejenigen, welche sich mit angewandten Wissenschaften beschäftigen, ihr zu folgen.

Sie ergreift, fesselt, bestimmt, was seiner Natur nach unergreiflich und unbestimmt schien; durch sie und durch die Arbeiten des Herrn Laplace, erhält das Wort: Wahrscheinlichkeit, einen positiven Werth, und der Zufall selbst kann mit Bestimmtheit abgeschätzt werden.

Soll die Bewegung, sollen die Verhältnisse der verschiedenen Weltkörper berechnet werden: so erklärt der Geometer die Kräfte, und zeigt die Ressorts in der Mechanik des Himmels; er gibt ihnen eine Grundlage, welche nach dem Vorschlage Delambre’s, die Gesetze des Laplace genannt werden sollten, wie man von den Gesetzen Kepler’s spricht. Die Tiefe der Analysis, die Neuheit der Theorien, die Mannigfaltigkeit der Anwendungen, die Wichtigkeit der Resultate, – sie machen aus diesem großen Werke (über die Wahrscheinlichkeiten) eine Quelle von Entdeckungen, mit denen die moderne Wissenschaft sich bereichern konnte.

Es kam darauf an, den Astronomen unermeßliche Arbeiten zu ersparen, und in den Planeten-Tafeln einige Unvollkommenheiten, (die schon in enge Grenzen eingeschränkt sind, und Dank dem Herrn Bouvard, sich täglich vermindern,) zu verbessern. Eine neue Theorie verkündet den Beobachtern, was sie finden werden. Und so groß ist die Geschicklichkeit der Beobachter, daß die Erfahrung eine vollkommene Uebereinstimmung mit der Theorie zeigt, daß die Tafeln des Jupiter die sichersten Führer der Seefahrer werden.

Ein, im Jahr 1770 beobachteter Comet täuschte die Erwartung der Astronomen, die seine nahe Wiedererscheinung vorhergesagt hatten; eine Formel des Herrn Laplace setzte Hrn. Burkardt in den Stand, die Störungen zu berechnen, die seine Wiederkehr verhindern mußten.

Die Arbeit Borda’s über die Strahlenbrechung war verloren; Laplace findet sie wieder, d. h. er erräth sie, und die Beobachungen der Herren Piot in Paris, de Lambre in Bourges, Piazzi in Palermo, bestätigen die Zuverlässigkeit der von dem Geometer gefertigten Tafeln. (Bewegung.)

Man fragte, ob der Ring des Saturns sich bewege: Laplace bewies aus seinem Studierzimmer, daß dieser große Kreis, ohne eine Rotation von wenigstens zehn Stunden sich nicht erhalten könnte, und zu derselben Zeit sah Herschel von seinem Observatorium diese große Umwälzung in zehn und einer halben Stunde vollzogen werden. (Langer Beifall.)

Man ist von Bewunderung ergriffen bei dem Anblick dieser steten Uebereinstimmung der Theorie mit der Erfahrung. Die Berechnung erräth, und die Beobachtungen erreichen die Genauigkeit der Rechnung.

Der Ruhm des Herrn Laplace beschränkt sich nicht darauf, durch seine Entdeckungen große Fortschritte der Wissenschaften veranlaßt zu haben; er hat auch den Unterricht in denselben geleitet und vervollkommnet, theils durch seine eigenen Lehrvorträge in jener Normalschule, die nach einer nur kurzen Dauer noch immer in unserm Andenken lebt, theils durch die unausgesetzte Sorge und die lebhafte Theilnahme, die er der polytechnischen Schule widmete, in welcher sich Männer bildeten, die würdig waren, ihn zu hören und seine Nachfolger zu werden.

Mit ausgezeichnetem Wohlwollen nahm er nicht nur diejenigen auf, die sich den eigentlichen Wissenschaften widmen. Jeder, dessen Studium die Fortschritte des menschlichen Geistes befördern konnte, war ihm willkommen. Der Geist des Hrn. Laplace war zu groß, als daß er nicht hätte sehen sollen, was nützlich und edel auch in der Beschäftigung mit der schönen Literatur sich findet. Während Einige sich das Ansehen geben, ihre Frivolität zu verachten, gerathen Andere darüber in Unruhe; sie werfen der Literatur vor, unabhängige Gemüther zu bilden. Man würde aber Unrecht haben, sich deßhalb Sorgen zu machen: führt sie zur Unabhängigkeit, so geschieht es nur, weil sie von Ehrgeiz und Herrschsucht entfernt.“

[109] Die Philosophie des Hrn. Laplace war zu aufgeklärt, um nicht anzuerkennen, daß es die schöne Literatur ist, welche die Völker bildet, und sie für das Studium der strengeren Wissenschaften vorbereitet. Seine Vernunft war zu mächtig, als daß sein Geschmack nicht gleich sicher und zart hätte seyn sollen.

Auch gab es wenige Schriftsteller, die mehr Sorgfalt darauf verwendet hätten, die Schärfe des Gedankens mit der Richtigkeit und Klarheit des Ausdruckes in Uebereinstimmung zu bringen. Selbst Männer, die sich ausschließend mit der schönen Literatur beschäftigten, haben selten in ihrem Gedächtnisse eine solche Fülle der schönsten Stellen alter und neuer Prosa aufbewahrt; Laplace gefiel sich darin, sie in Erinnerung zu bringen.

Es ist schmeichelhaft für die Eitelkeit der Literatur, daß stets die regelmäßigen Geister sie zu würdigen wußten. Sie finden Geschmack an Werken, die als Muster dienen können, weil Schönheiten, die das Herz ergreifen und zur Bewunderung auffordern, in ihren Grundursachen wie in ihren Wirkungen einer strengen Nachweisung fähig sind; weil die Wege, die dahin führen, der geraden Linie gleichen, von der man nicht abweicht, ohne sich vom Ziele zu entfernen, ohne sich zu verirren. Nur verkehrte Geister, die leidenschaftlich sich an Systeme hängen, halten das Bizarre für das Neue, und suchen das Gelingen anderswo, als in der Vernunft und Wahrheit. Um das Schöne zu erreichen, muß man ohne Zweifel mit Einbildungskraft und Gefühl, vor Allem aber mit einem starken Verstande begabt seyn. Darum sind die schönen Wissenschaften nicht frivol, darum können sie gerechte Huldigungen empfangen, und werthvollen Lohn ertheilen.

Die Akademie mußte in Herrn Laplace den correkten und feingebildeten Schriftsteller auszeichnen, wie den Mann von Geschmack, der den klassischen Doktrinen treu war, wie den Philosophen, der die Literatur zu ehren wußte. Seine gelungenen Arbeiten in den strengen Wissenschaften konnten kein Grund der Ausschließung seyn; die Akademie setzt vielmehr ihren Ruhm darein, Alle zu vereinen, die durch Gedanken der Welt vorleuchteten. Nur diesem Glanze entgegenzukommen, entspricht ihrem Berufe.“

Herr Darû gibt sodann einige Nachrichten von dem Privatleben des Herrn Laplace, das ebenfalls den Wissenschaften nicht fremd war. In seinem Landhause zu Arceuil fand man im Garten oft die größten Gelehrten Europa’s, die Lagrange, Monge, Berthollet, Humboldt, Montyon, deren Gesellschaft, sagt Hr. Darû, an die Haine von Athen erinnerte, wo die Väter der Philosophie sich ihre Kenntnisse und die Gegenstände ihrer Forschung mittheilten.

„Die Freundlichkeit des Empfangs,“ fährt Hr. Darû fort, „erzeugte dann eine augenblickliche Täuschung: unwillkührlich fühlte man sich geschmeichelt, sich in der Gegenwart so vielen Ruhmes zu sehen. Erinnerte aber das Nachdenken, daß man sich mitten unter der kleinen Zahl der Männer befände, die den Vorsitz bei den Fortschritten der menschlichen Erkenntniß führen, so machte die Eitelkeit einer andern Empfindung Platz: man horchte schweigend auf diese erhabenen Geister, und so groß war die Klarheit ihrer Ideen, die Einfachheit ihrer Sprache, daß selbst die Ungeweihten sie zu verstehen glaubten.“

Hierauf geht Hr. Darû auf den Nachfolger des Hrn. Laplace über. „Während Ihr Vorgänger,“ redet er Hrn. Royer Collard an, „am Himmel die Gesetze suchte, die seine Bewegung ordnen, widmeten Sie, mein Herr, sich einem andern Studium. Die Philosophie ist in der geistig-sittlichen Ordnung, was die Mathematik in der materiellen Welt ist.“ (Der Redner erinnert an die Leitung des öffentlichen Unterrichts, den die Regierung Hrn. Royer Collard eine Zeitlang anvertraut hatte, und fährt fort:) „Sie verstanden es, mein Herr, diese wichtige Stelle mit gleicher Hochherzigkeit zu verlassen, als Sie ihr vorgestanden hatten. Sie gehörten zu der kleinen Zahl der Männer, denen der Verlust einer Stelle nur eine neue Bahn des Ruhmes eröffnet.“

Endlich sagt Hr. Darû am Schluß seiner Rede: „Ein älterer Geschichtschreiber und Mitglied der Akademie der Wissenschaften bemerkte mit Staunen, daß man so lange Zeit die Wissenschaften für unverträglich mit der öffentlichen Verwaltung gehalten habe, und fragt: ob es wahr sey, daß Geister, die an hohe Spekulationen gewöhnt sind, weniger als andere geschickt wären, die Verhältnisse der Dinge in den Geschäften aufzufassen!“ – Diese Bemerkung bezog sich auf Newton. Fontenelle, so scharfsinnig er auch war, scheint den wahren Grund dieses Vorurtheils, das er bekämpfte, nicht aufgefaßt zu haben. Es ist in der That möglich, daß diejenigen, welche ihr Leben mit dem Studium [110] der strengen Wissenschaften zubringen, in der Leitung der Geschäfte irgend eine Ungeschicklichkeit, irgend einen Mangel verrathen. Sie sind nicht gewohnt, sich zu irren. Die Methode in den Abstraktionen verbürgt ihnen die Richtigkeit der Resultate. In den Geschäften aber haben die Punkte einen Umfang und die Linien ihre Breiten und Höhen. Man wirkt auf Dinge, in welche die Unordnung eindringen kann, auf Leidenschaften, die verkehrt urtheilen; der Mathematiker aber, für den es keine Unordnung, kein falsches Urtheil und keine Leidenschaften gibt, befindet sich in einer unvorgesehenen Lage, sobald ihm Ungläubige entgegentreten. Stets sicher, zu überzeugen, ist es ihm nie in den Gedanken gekommen, daß er bis zum Ueberreden sich herablassen muß.

Dies war nicht Ihr Loos, mein Herr. Durch Ihr philosophisches Studium waren Sie gewohnt, die Irrthümer der Menschen mit in Berechnung zu ziehen. Sie übten die Stärke Ihres Gemüthes, wie die Ihres Geistes, und Ihr Muth war auf Prüfungen vorbereitet. Vergebens waren die Umstände verschieden und die Zeiten schwierig: weder Ihre Vernunft, noch Ihre Festigkeit wurden dadurch erschüttert. Nicht Gefahren, nicht Gunst, Ungunst, Unbeständigkeit der politischen Systeme, Höflichkeiten nebenbuhlerischer Partheien, Beifall der Menge, – Nichts konnte die geringste Nachgiebigkeit von Ihnen erzwingen. (Beifall.)

So haben Sie sich eine Meinung gebildet, die Ihnen eigen ist. Nur der Wahrheit und Gerechtigkeit gehören Sie an, und diese Hingebung wollten Sie als vollständig und ausschließend beweisen. Niemand hat je das Recht gehabt, Sie zu einer Partei zu zählen. Jeder, dessen Sache gerecht war, konnte sicher seyn, in Ihnen einen Vertheidiger zu finden. In Folge des philosphischen Geistes, der sich an das Allgemeine hält, verbanden Sie sich lieber mit den Grundsätzen als mit den Menschen. Daraus entstand der Charakter der Stärke und des Ernstes, der Ihre Beredsamkeit auszeichnet.“

„Ich würde aber erröthen, wollte ich in Ihnen nur die Beredsamkeit bewundern, während ich Ihnen zu Ihren edlen Gesinnungen Glück wünschen soll. Die Talente haben nur insofern ein Recht auf unsere Bewunderung als sie einer würdigen Sache geweiht sind. Die Literatur ist nur ein Werkzeug, dessen Verdienst nach dem Gebrauch, den man davon macht, geschätzt werden sollt.“

„Seit einem halben Jahrhundert beklagt man sich, daß der Geschmack an der Literatur sich verliere. Diese Klagen der Mittelmäßigkeit sind ungerecht und übertrieben. Die Beschäftigung mit der Literatur trägt ihren Lohn in sich; diejenigen aber, deren Beifall man fordert, haben ein Recht zu fragen, welchen Gebrauch man von der Kunst zu schreiben und zu reden macht. Und hier ist das Publikum nicht ungerecht; es ehrt die Literatur und zeigt, daß es von derselben eine höhere Idee hat, als einige Literatoren; es sieht in ihr nicht blos eine Kunst, sondern ein Mittel zur Vervollkommnung der Erkenntniß und der bürgerlichen Gesellschaft. In einer höhern Ordnung leistet die Literatur den gleichen Dienst wie die Druckereien mit ihren materiellen Mitteln. Was mühsam zu lesen gewesen wäre, was die gemeine Einsicht sich nur schwer angeeignet, was sich auf einen kleinen Kreis der Eingeweihten beschränkt hätte, das verbreitete sie, macht es für jeden faßlich, macht es volksthümlich; durch die glückliche, schöne Form sichert sie den nützlichen Wahrheiten, den großen Gedanken ihren Erfolg, ihre Allgemeinheit.“

„Dies ist die Würde der Literatur, die eine gebildete Nation nie verläugnen wird. Sehen wir nicht, wie sie denjenigen Beifall zuruft, deren Talente sie bewundert, deren Sache sie zu der ihrigen macht? Und wer könnte besser Zeugniß dafür ablegen als Sie, mein Herr, der beim Herabsteigen von der politischen Rednerbühne so oft den Beifall erndtete, der dem geistreichen Redner, vor Allem aber dem edlen Manne gebührt!“