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William Ewart Gladstone †

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Textdaten
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Titel: William Ewart Gladstone †
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 413, 417–418
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[413]

Gladstones Grabstätte. 

In der „Staatsmännerecke“ der Westtminsterabtei zu London.
Nach einer Photographie von S. B. Bolas & Co. in London.

[417] William Ewart Gladstone †. (Mit den Abbildungen auf dieser Seite und auf S. 413.) England betrauert den Verlust eines seiner größten Staatsmänner. William Ewart Gladstone wurde am 19. Mai durch den Tod von seinem schweren Leiden erlöst; „der große alte Mann“, wie ihn seine Landsleute nannten, hatte sich bereits seit einigen Jahren von der Politik zurückgezogen, nachdem er als Parlamentarier und Mitglied der Regierung über sechzig Jahre lang seinem Vaterlande gedient hatte. Am 29. Dezember 1809 kam er in Liverpool zur Welt als vierter Sohn eines reichen Kaufherrn. Er zeigte in seiner Jugend, als er in Eton und Oxford studierte, ausgesprochene Neigung zur Wissenschaft; eifrig widmete er sich der Theologie, sowie klassischen Studien; sein Vater bestimmte ihn aber, sich dem Berufe des Staatsmannes zu widmen.

William Ewart Gladstone †.
Nach einer Aufnahme der Stereoscopic Company in London.

Unter den Konservativen fand William Gladstone zunächst seine Freunde, und von ihnen wurde er noch als ein junger Mann im Jahre 1832 zum erstenmal in das Unterhaus entsendet. Seine große Begabung, sein Rednertalent und seine umfangreichen Kenntnisse in den Staats- und Handelswissenschaften gewannen ihm bald die Anerkennung der leitenden Kreise. Aber in den ersten Jahren seiner politischen Thätigkeit waren seine Anschauungen noch nicht geklärt. Es vollzog sich in Gladstone eine tiefe Wandlung: aus dem Konservativen wurde er ein Liberaler, und nach zwanzig Jahren, 1852, war er bereits ein entschiedener Gegner des damaligen konservativen Ministeriums Derby. Bald wurde er einer der Hauptleiter der liberalen Partei, und 1868 trat er als solcher zum erstenmal an die Spitze der Regierung. In den harten Kämpfen, die er gegen die Konservativen führte, schwankte die Schale des Siegs. So mußte Gladstone im Jahre 1874 vor seinem Gegner Disraeli weichen. Eine Zeit lang zog er sich vom politischen Leben zurück und widmete sich der Wissenschaft; bald aber erschien er wieder auf dem Plane, um 1880 die Leitung der Regierung aufs neue zu übernehmen. Im Jahre 1885 erlitt er bei den Wahlen eine Niederlage und zog sich von seinem Amte zurück. Er war damals bereits 77 Jahre alt, aber seinem Geiste vermochte das Alter die Schärfe nicht zu nehmen. Er führte den Kampf fort und im ersten Halbjahr 1886 war er zum drittenmal leitender Minister. Aus dieser Stellung wurde Gladstone freilich schon im Sommer desselben Jahres durch den unglücklichen Ausgang der Wahlen gedrängt, aber mit erstaunlicher Energie und Rüstigkeit wirkte er weiter fort. Seine Reden zündeten, noch einmal unterlagen ihm seine Gegner und zum viertenmal wurde der nunmehr 83jährige Greis 1892 zur Leitung der Staatsgeschäfte berufen, aber nun war seine Kraft gebrochen; ein schweres Augenleiden, das eine Operation nötig machte, stellte sich ein und am 3. März 1894 nahm Gladstone seine Entlassung und trat dauernd von der politischen Bühne zurück.

England verdankt dem Verstorbenen eine Reihe wichtiger innerer Reformen; er förderte dessen Finanzen und Welthandel, sorgte für freiheitliche Entwicklung des Staates und suchte die Irländer zu versöhnen. Weniger glücklich war er auf dem Gebiete der äußeren Politik. Er beging hier schwere Fehler, die wiederholt seinen Sturz herbeiführten. Deutschland hat er keine Freundschaft entgegengebracht. In dem Kriege 1870/71 zeigte er trotz äußerer Neutralität Sympathien für Frankreich.

Gladstones Leichenbegängnis.
Nach einer Photographie von J. Russell’ Sons in London.

In der Geschichte wird Gladstone eine der eigenartigsten Erscheinungen [418] bilden. Er besaß eine Vielseitigkeit, eine Fülle des Wissens und geistiger Interessen, die geradezu erstaunlich sind. Dieser gewandte Staatsmann, glänzende Redner und eifrige Volkstribun war zugleich ein hervorragender Schriftsteller und Gelehrter; auf allen möglichen Gebieten des Wissens war er bewandert; er zeichnete sich aus als Altertumsforscher und Theologe, als Sprachforscher und Naturforscher, und mit größter Gewandtheit und Schärfe verstand er als Journalist die Feder zu führen. Sein erstes Werk, das schon im Jahre 1838 erschien, war „Der Staat in seinen Beziehungen zur Kirche“. Dann schrieb er über die Handelsgesetzgebung und 1858 gab er ein großes dreibändiges Werk über Homer heraus. Bis zuletzt war er in der Stille seines Landhauses in Hawarden litterarisch thätig, und in den letzten Monaten seines Lebens hatte er noch das Material zu einem Werke über die Apostolischen Väter gesammelt.

Seit 1839 war Gladstone mit Catherine Glynne glücklich verheiratet. Drei Söhne entsprossen dieser Ehe, und das greise Ehepaar hätte übers Jahr die diamantene Hochzeit feiern können. Wiederholt wurde dem verdienten Staatsmann die Pairswürde angeboten; er hat sie aber nicht angenommen, denn auf Titel legte er keinen Wert.

Die Beisetzung des Verblichenen in der Westminsterabtei zu London am Sonnabend vor Pfingsten gestaltete sich zu einer großartigen Trauerfeier. Schon am Donnerstag vorher war der große Tote von Hawarden nach London übergeführt und in Westminsterhall, dem mit dem Parlamentsgebäude verbundenen Staatspalast, aufgebahrt worden. Hier war der gesamten Bevölkerung Gelegenheit geboten, noch einmal die Züge des greisen allverehrten Mannes zu schauen. Das Leichenbegängnis vereinigte die Prinzen des königlichen Hauses, die Mitglieder des Ministeriums, die höchsten Würdenträger der Kirche, der Universitäten, des Heeres, der Flotte mit den Mitgliedern des Parlaments und der Gesandtschaften des Auslandes um den Sarg. Dem Willen des Toten entsprechend, verlief die Feier ohne jede Entfaltung äußerlichen Prunkes. Um zehn Uhr bildete sich der Zug, der den Sarg von Westminsterhall in die Westminsterabtei überführte. An der Spitze schritten die Mitglieder des Unterhauses, geführt von dem „Sprecher“ in seiner mittelalterlichen Tracht. Es folgten der Lordkanzler mit den Lords. Neben dem Sarg, über den eine weiße Atlasdecke gebreitet war, schritten der Prinz von Wales, der Herzog von York, Salisbury und andere Minister, sowie die ältesten Freunde des Verstorbenen. Die männlichen Mitglieder der Familie Gladstones, seine Beamten, Landleute aus Hawarden bildeten den Schluß. Drinnen ertönten die feierlichen Klänge von Beethovens „Aequali“, welchem der Trauermarsch Schuberts folgte. Die Kirche war dicht gefüllt. Mitten im Chor war eine Bahre aufgestellt, auf welcher der Sarg während der Einsegnung ruhte. Für die Mitglieder des Parlaments waren schwarzdrapierte Tribünen errichtet. Das Grab in der Halle war mit schwarzem Tuch ausgelegt. In den liturgischen Gottesdienst teilten sich der Dechant der Abtei und der Erzbischof von Canterbury. Nach der Bestattung, welcher die Witwe dicht neben der Gruft beiwohnte, beendete der Totenmarsch aus Handels „Saul“ die erhebende Feier.

Die Westminsterabtei am Parliamentssquare ist unter den vielen Kirchen der Themsestadt die berühmteste; sie ist das britische Pantheon. Ihre jetzige Gestalt erhielt sie im 13. Jahrhundert unter Heinrich III und Eduard I, nur die Westfassade und die beiden Türme stammen aus späterer Zeit. Namentlich von dem westlichen Haupteingange aus gesehen, gewährt die in Gestalt eines lateinischen Kreuzes erbaute Kirche den erhabenen Anblick eines Meisterwerks frühgotischer Baukunst, vor allem aber ist die herrliche Halle berühmt als das Nationalmausoleum und die Ruhmeshalle Englands. In ihr sind alle englischen Könige und Königinnen von Eduard dem Bekenner bis zur Königin Viktoria gekrönt worden; in ihren Mauern ruhen die sterblichen Ueberreste der meisten Herrscher und ihrer Familien von jenem Eduard ab bis auf Georg III. Hier haben ferner nach ihrem Hinscheiden die berühmtesten Kriegshelden Englands, seine großen Staatsmänner, Gelehrten, Dichter und Künstler ihre letzte Ruhestätte gefunden oder sind durch Denkmäler verherrlicht worden. Im sogenannten „Dichterwinkel“ des südlichen Querschiffs hat man den größten Dichtern des Landes Standbilder errichtet und in der „Staatsmännerecke“ im nördlichen Querschiff die berühmtesten Staatsmänner in gleicher Weise verherrlicht. Ein Grab in diesem Nationalheiligtum gilt nicht mit Unrecht als die letzte und höchste Ehre, welche die Nation dem Verdienste ihrer Söhne zuerkennt, und in der „Staatsmännerecke“ hat am 28. Mai auch William Ewart Gladstone einen Platz gefunden. Wir erblicken dort auf der rechten Seite u. a. die Denkmäler von William Pitt, Lord Chatham, Lord Palmerston und William Lord Mansfield; auf der linken Seite die der beiden Canning, des Viscount Stratford de Redcliffe, der Lords Beaconsfield und Castlereagh und Sir Robert Peels. Die Gruft Gladstones befindet sich vor der linken Reihe. Auf unserm, vor der Bestattung aufgenommenen Bild (S. 413) ist die Stelle durch den geöffneten Fußboden und umherliegenden Schutt kenntlich; rechts erhebt sich die Statue Peels († 1850), dann folgt das Denkmal des Admirals Sir Peter Warren († 1752), neben diesem steht die Statue von Gladstones langjährigem Rivalen aus dem konservativen Lager: Benjamin Disraeli, Earl of Beaconsfield († 1881). Auch Gladstone wird in der „Staatsmännerecke“ der Westminsterabtei ein Denkmal erhalten.