Zum hundertjährigen Geburtstag des Komponisten der Hugenotten
[628] Zum hundertjährigen Geburtstag des Komponisten der „Hugenotten“. Die Musikgeschichte hat den 5. September dieses Jahres als einen Gedenktag hervorzuheben, welcher einem der bekanntesten und glänzendsten Tondichter des Jahrhunderts gewidmet ist. Am 5. September vor nunmehr hundert Jahren wurde in Berlin Jacob Meyer Beer geboren, dessen später angenommener Name Giacomo Meverbeer fast schon für sich allein genügt, um einen großen, noch heute nicht vollkommen erschlossenen Zeitraum in der Geschichte der Oper zu bezeichnen.
Unter den denkbar günstigsten äußeren Verhältnissen aufwachsend, entwickelte der junge Jacob Meyer Beer frühzeitig eine ganz außerordentliche musikalische Begabung. Ein Wunderkind wie Mozart und Mendelssohn, war er schon in seinem zehnten Jahre ein kleiner Virtuose auf dem Klavier. Der Jüngling bewies bald in einer Reihe eigener Tonwerke eine gewandte Beherrschung von Theorie und Technik der Komposition, wenn auch der musikalische Gehalt seiner Erstlingswerke noch wenig Originelles bot. Sie zeigten mehr nur den Charakter trockener schulgemäßer Verstandesarbeiten.
Eine gründliche Umwandlung dieses Stils brachte für den jungen Komponisten ein mehrjähriger Aufenthalt in Italien mit sich, wo Rossinis unvergleichliche Melodienfülle ihre Triumphe zu feiern begonnen hatte. Mit einem Schlage wandte Giacomo Meyerbeer der strengen deutschen Art den Rücken und bemühte sich, die flüssigen melodischen Formen des gefeierten italienischen Altersgenossen sich anzueignen. Nicht ohne Erfolg, wovon eine Reihe italienischer Opern Zeugniß giebt, welche aus den Jahren 1818 bis 1824 stammen und alle Beifall und theilweise glänzende Aufnahme fanden. Allein keines dieser leichtgeschürzten Werke konnte sich auf die Dauer halten. Meyerbeer kehrte nach Deutschland zurück, und einige Jahre schien es, als ob er, müde der vorübergehenden und deshalb doch nur halben Erfolge, dem Streben nach dem Ruhm eines dramatischen Tondichters vollständig entsagt habe. Er widmete sich fast ausschließlich der Komposition von religiösen Kantaten und Psalmen, von Oden und Liedern.
Allein es war dies nur eine Durchgangszeit. In langsamer sorgfältiger Arbeit vollendete Meyerbeer 1830 ein Werk, dessen Aufführung an der „Großen Oper“ in Paris sich zu einem beispiellosen, glänzenden Triumph gestaltete. „Robert der Teufel“ war dieses Werk, das am 22. November 1831 erstmals auf die Bühne kam. Von diesem Tage ab konnte Giacomo Meyerbeer, welcher deutsche orchestrale Schulung und italienische melodiöse Gewandtheit mit französischem dekorativen Pomp zu verbinden gewußt hatte, als der Schöpfer einer neuen Gattung dramatischer Musik, der „großen französischen Oper“, betrachtet werden.
In der Zeit von 1831 bis zu seinem Tode im Jahre 1864 hat Meyerbeer im ganzen nur noch sechs Opern vollendet. Heute weniger bekannt sind von diesen „Struensee“ und der „Nordstern“; dagegen sind die „Hugenotten“ (1836), der „Prophet“ (1849), „Dinorah“ (1859) und die „Afrikanerin“ (1864) wie „Robert der Teufel“ noch jetzt auf allen großen Bühnen Europas eingebürgert, nachdem dieselben Jahrzehnte lang eine fast unbestrittene Herrschaft auf dem Gebiete der Opernmusik ausgeübt hatten.
Es ist nicht zu leugnen, daß die Kunst Meyerbeers nicht frei ist von Schwülstigkeit und unwahrem Pathos, daß er oft genug darauf ausgeht, grobe musikalisch unlautere Effekte zu erzielen und mit leerem Schaugepränge das Ohr durch das Auge zu betrügen. Je länger, je mehr Gegner hat darum diese „große französische Oper“ gefunden; der größte und erbittertste Feind erstand ihr bekanntlich in Richard Wagner, welcher ein neues deutsches Musikdrama mit nationalem Inhalt schuf.
Aber trotzdem bleibt die Thatsache bestehen, daß Meyerbeers Opernschöpfungen eine eigenartige Entwicklungsstufe der dramatischen Musik bedeuten. Zweifellos wurde durch ihn die Ausdrucksfähigkeit der letzteren vielfach und wesentlich bereichert; dies nicht zum wenigsten durch die Erweiterung der Aufgabe, die er dem Orchester zuwies – ein Fortschritt, dessen Verdienst Meyerbeer auch von denen zuerkannt wird, welche keine Verehrer seiner musikalischen Richtung sind. V.