Eine Begegnung

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Autor: Camilla von Seyssel d’Aix
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Titel: Eine Begegnung
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aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 209–211
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Begegnung mit dem Komponisten der „Hugenotten“
Erinnerung aus einem Künstlerleben, vgl.: Zum hundertjährigen Geburtstag des Komponisten der Hugenotten, 1891
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Eine Begegnung.


Erinnerung aus einem Künstlerleben von C. Cressieux.


Meyerbeer’s Hugenotten wurden gegeben. Das Opernhaus war an jenem Abende zum Erdrücken voll von Menschen. Beinahe athemlos folgte die Menge den herrlichen Klängen des erhabenen Meisterwerkes des großen, leider zu früh verstorbenen Maestro. Auch ich befand mich unter den Zuhörenden. Mächtig wirkten die wundervollen Melodien auf mich ein, und einem schönen Traumbild gleich zog jener Abend an meinem geistigen Auge vorüber, an welchem ich vor Jahren jenes mächtigen Tonwerks vollste Bedeutung zu würdigen gelernt hatte. Von jenem Abende zu erzählen sei heute meine Aufgabe.

Ich hatte das Glück, eine liebe, gute, uneigennützige Tante zu besitzen, deren Erscheinen in unserm Hause ich derart mit irgend einer freudigen Ueberraschung in Verbindung zu bringen gewohnt war, daß es auch im Jahre 1855 der Fall war, als die Tante, welche gewöhnlich auf ihrer Besitzung lebte, Mitte December uns in der Residenz besuchte. Ich hatte mich nicht getäuscht. Sie kam, um von meinem Vater die Erlaubniß zu erwirken, mich als Reisebegleiterin nach Venedig mitnehmen zu dürfen, indem die Aerzte ihr den Winteraufenthalt daselbst, ihrer etwas leidenden Gesundheit halber, verordnet hatten. Schon längst war es einer meiner stillen Lieblingswünsche gewesen, la bella Venezia in all ihrer Pracht und Schönheit kennen zu lernen. Jubelnd fiel ich daher der geliebten Tante um den Hals, und mein sechzehnjähriges Herz klopfte stürmisch auf im Vorgefühle der Freuden, welche meiner harrten.

In unserer heimathlichen Residenz hatte der Schnee bereits die Dächer gebleicht, eine starke Kälte war eingetreten, ich aber träumte in jugendlicher Schwärmerei den weichsten Zephyrlüftchen und dem süßesten Maienduft entgegen. Es ist eine alte Erfahrung, daß man mit dem Gedanken an Italien zugleich alle Kälte und Fröste von sich bannt, und dieselben als unmögliche Gäste sich denkt. Aber Träume sind Schäume, und mit Unbehagen denke ich jetzt noch an die naßkalten, fröstelnden Tage, welche ich in späteren Jahren gerade in Italien verlebt. Der Nordländer, gewöhnt an den schneidenden Frost seiner Heimath, thut Alles, um den kalten Feind von sich abzuwehren, aber wehe dem Südländer, wenn der ungewohnte eisige Hauch des Winters einmal über die sonnig warmen Gefilde streift; es trifft ihn dann, weil unvorbereitet, seine rauhe Kraft am härtesten.

Die erste Enttäuschung dieser Art ward auch mir am dritten Tage unserer Reise zu Theil, als die abgetriebenen Pferde unserer Extrapost, auf welche weder der Zuruf des Kutschers noch die Peitsche mehr einen absonderlichen Eindruck machten, langsam die eintönige vom Regen aufgeweichte Landstraße gegen Palmanuova zu hintrabten. Die Langsamkeit des Fuhrwerks, die Monotonie der Gegend, welche in einer endlosen Fläche besteht, die nur hie und da durch Reihen von Olivenbäumen unterbrochen wird, wirkten auf meine Tante ermüdend, auf mich verstimmend ein. Meine Träume von blühenden Feldern, einem ewig blauen, reinen Himmel, milden Lüften, goldenem Sonnenschein gingen in trostloser Art unter beim Anblick der grauen wassergetränkten Wolken, die sich über uns wölbten, wie bei dem feuchtkalten Wind, der über die Fläche strich und die Kronen der Olivenbäume schüttelte. Die feuchtkalte Luft verdichtete sich immer mehr und mehr, unsere Pferde stolperten immer melancholischer ihrem Ziele zu, selbst der Kutscher auf dem Bocke ward verdrießlich. Tante und ich aber hüllten uns fröstelnd in unsere Mäntel ein und waren froh, endlich Palmanuova und eines der dortigen besseren Gasthäuser, die Campana, erreicht zu haben.

Obgleich das 1593 von den Venetianern erbaute, mit schönen Festungswerken und Canälen versehene Städtchen gerade an jenem Abend auch keinen einladenden Anblick bot mit seinen wenigen, gradlinigen Gassen und seinem Schmutz in denselben, so war es wenigstens ein Schutz gegen das feuchtkalte Wetter und meine Tante beschloß, in Palmanuova zu übernachten. Da sie sehr ermüdet war, legte sie sich bald zu Bette. So saß ich nun allein in einem fremden Zimmer, an einem fremden Orte und schaute verdrießlich zum geschlossenen Fenster hinaus, auf die menschenleeren, melancholischen Straßen hinab, deren schlechtes, von Staub getränktes Pflaster begierig den fein herabrieselnden Regen in sich aufsog und zu einem Kothmeer verwandelte.

Langeweile begann sich meiner zu bemächtigen, und beinahe mit Wehmuth gedachte ich meines traulichen Daheims, der hellerleuchteten, durchwärmten Zimmer, meiner guten Bücher, des schönen Bösendorfer Flügels, auf welchem ich allabendlich zu spielen gewöhnt war. Mein Blick irrte bei diesen Rückerinnerungen trübe über das nur knisternde, wenig erwärmende Kaminfeuer, welches im großen offenen Kamin nothdürftig brannte, über die etwas unsauberen Möbels. Zum ersten Male in meinem Leben ward ich ungehalten auf die Tante, daß sie mich in solch ein langweiliges Nest geschleppt hatte. – Es giebt wohl nichts Undankbareres auf der Welt, als solch eine gutmüthige, stets bereitwillige Tante zu sein. Das geringste Ungemach wirft all ihre Liebe über Bord bei uns verwöhnten, verzärtelten Neffen und Nichten. Ich möchte Alles, nur keine solche Tante sein! –

Der Wirth brachte einige Erfrischungen herauf und fing mit mir zu reden an. Aus Langerweile antwortete ich ihm und wunderte mich über die beinahe klösterliche Stille seines Gasthofes. Da erzählte er mir denn, daß sein Albergo sonst um diese Stunde eines der besuchtesten des Städtchens, und namentlich bei den Officieren der Garnison sehr beliebt sei, doch heute wäre beim Festungscommandanten, Obersten v. S…, große [210] Unterhaltung, zu welcher Alles geladen sei. Wollte daher die Signorina, meinte der redselige Wirth, sich vielleicht hinunter bemühen, so dürfte ein ausgezeichnetes Clavier, welches zum Vergnügen der Gäste neben dem Speisesalon in einem kleinen Nebenzimmer stehe, zur Zerstreuung der Eccellenza beitragen, umsomehr, da Eccellenza dort ganz ungenirt sein würde, indem, wie gesagt, keinerlei Gäste zugegen wären.

Das war ein Ausweg in dieser trostlosen Eintönigkeit eines hereinbrechenden Winterabends, und mit Freuden nahm ich den Vorschlag des zuvorkommenden Wirthes an. Meine Tante wußte ich ja in den besten Händen, in denen ihrer langjährigen Kammerfrau. Ich befahl derselben, ihre Herrin bei deren Erwachen von meinem Entschlusse in Kenntniß zu setzen, und folgte dem Wirthe in sein sogenanntes Musikzimmer.

Es war dies ein kleines, helles Zimmer, neben dem Speisesaale gelegen, welch letzteren man passiren mußte, um dorthin zu gelangen. Ein schlecht erhaltenes, verwahrlostes Piano befand sich in demselben. Nichtsdestoweniger ward dieses Instrument in jenem Augenblicke für mich gleichsam zur erlösenden Aeolsharfe, welche mir die Langeweile bannen sollte. Ich war nichts weniger als Virtuosin und bin es auch noch zur Stunde nicht, doch ich hatte stets eine große Vorliebe für Musik und mein Vater hielt mir die besten Lehrer der Residenz, um mich in dieser Kunst auszubilden. Meine Force bestand im Auswendigspielen. Daher kam es auch, daß ich an jenem Abende die hervorragendsten Nummern der mir von je so lieb gewesenen Oper „Die Hugenotten“ spielte.

So mochte ich in der Dämmerung wohl über eine Viertelstunde gespielt haben. Der Wirth brachte Licht, ich spielte weiter. Das Clavier stand an der dem Eingange entgegengesetzten Wand, und ich hatte somit der Eingangsthür des Speisesaales den Rücken gekehrt. Ich begann soeben den Chor der Verschwörer im zweiten Acte zu spielen und bemühte mich, denselben nach besten Kräften durchzuführen. Da hörte ich plötzlich eine Stimme dicht hinter mir die Worte sprechen: „Sie spielen den Chor ganz unrichtig, mein Fräulein, Ihre Auffassung steht nicht auf der Höhe der Situation, ist nicht klar.“

Erstaunt, ja erschrocken wandte ich mich um. Im Eifer meines Spiels hatte ich Niemanden in’s Zimmer treten gehört, und war daher nicht wenig überrascht, plötzlich die Gestalt eines Mannes von ungefähr sechszig Jahren neben mir zu sehen. Etwas Schwächliches, Geknicktes lag in der Gestalt dieses Mannes, dessen Figur klein und hager war. Sein Haar war bereits vollständig ergraut, doch unter der etwas niedrigen, aber breiten Stirn blickten eine Paar große kastanienbraune Augen, von einer eigenthümlichen Form und Zeichnung, welche dem ganzen Antlitz einen bedeutenden Ausdruck verliehen, auf mich herab. Noch jetzt nach Jahren sehe ich den Ausdruck dieser Augen vor mir, forschend, geistsprühend und wieder mild und träumerisch, deren Blick in späterer Zeit so oft mit wahrhaft väterlichem Wohlwollen auf mir geruht hatte. Doch all’ diese Eindrücke empfand ich erst später, in jenem Augenblicke waren sie mir fremd. Damals hörte ich nur die tadelnden Worte aus dem Munde eines mir gänzlich Unbekannten, meine verletzte Eitelkeit erwachte, und ich fand keinen Ausdruck über die maßlose Kühnheit der mir gegebenen Rüge. Wie konnte ein Fremdling es wagen, mich, das bis jetzt nur an Schmeicheleien aller Art gewöhnte, verzärtelte Mädchen, zu tadeln? Wie konnte er sich nur einfallen lassen, Das für schlecht zu erklären, was meine gut bezahlten Hauslehrer, der zahlreiche Kreis unserer zuvorkommenden Hausfreunde für eminentes Talent ansahen!

So rief die erwachte Mädcheneitelkeit in mir und die Folge war, daß ich die Gegenwart des mir als aufdringlich scheinenden Fremden mit stiller Nichtbeachtung strafte und ruhig weiter spielte, als sei Niemand zugegen, trotzdem der Fremdling mir nicht von der Seite wich. War es nun die beengende Nähe einer mir unbekannten Person oder sonst ein Grund, welcher meine Finger unsicher über die Tasten gleiten, mein Gedächtniß erlahmen ließ: gewiß war, daß ich falsch, unrichtig spielte. Da tönten zum zweiten Male die Worte an mein Ohr:

„Die letzten Tacte faßten Sie wieder ganz unrichtig auf, es ist ein Adagio Maestoso, während Sie glaubten, im fortissimo den passenden Ausdruck gefunden zu haben, mein Fräulein.“

Der Fremde sprach diese Worte mit überlegener Ruhe, lächelndem Munde, aber gerade diese Ruhe reizte mich. Ich wußte, daß ich falsch gespielt hatte, ich war aber an Tadel in dieser Form nicht gewöhnt. Ich sah zu dem Fremden empor, mit stolzem, geringschätzendem Ausdruck, doch als ich dessen unscheinbare Gestalt so neben mir erblickte, da erwachte mädchenhafter Uebermuth in mir, und ein spöttisches Lächeln kräuselte meine Lippen, als ich in den Knopflöchern des einfachen Oberrocks des Fremden, wie zur Schau ausgestellt, mehrere Ordensbändchen schimmern sah.

„Sie scheinen wohl ein Schulmeister zu sein, da Sie so vortrefflich zu hofmeistern verstehen!“ sagte ich mit nicht zu verkennender Ironie.

„So etwas der Art, mein Fräulein,“ antwortete lächelnd der Fremde, ohne seinen Gleichmuth zu verlieren, „und mein Wunsch wäre nur, Sie zur Schülerin zu besitzen.“

„Ein Wunsch, den ich keineswegs theile,“ versetzte ich kühl.

„Das glaube ich gern, denn ich wäre ein strenger Lehrer, welcher Ihr wahres Talent nicht mit übel angewandter Lobhudelei ersticken, sondern Ihre Fehler an den Tag legen würde, um sie zu bessern.“

„Welch ein Bär!“ dachte ich halblaut, starr vor Entsetzen über solch kühne Offenheit.

„Sie haben den richtigen Ausdruck für meine Benennung getroffen, mein Fräulein, ich bin wirklich ein halber Bär,“ sagte der Fremde, heiter gelaunt über meine halblaute Bemerkung.

„Und das berechtigt Sie wohl auch, mit mir überhaupt zu reden, wie mir scheint,“ antwortete ich hochmüthig.

„Ich entdeckte in Ihrem Anschlag außergewöhnliches Talent, mein Fräulein, und das allein erweckte in mir den Wunsch, Sie anzureden,“ sagte der Fremde, und in seinem Ton lag eine leise Unzufriedenheit. „Uebrigens,“ fuhr er fort, „wollen Sie mir vielleicht die Freude machen, das letzte Adagio nochmals zu spielen, ich bin überzeugt, Sie werden jetzt den richtigen Ausdruck gefunden haben.“

„Ich bin nicht gewohnt, vor fremdem Auditorium mich zu produciren,“ entgegnete ich hochfahrend, „und will das gern Ihnen überlassen, der Sie ja wahrscheinlich an Kritik mehr gewöhnt sind, weil Sie selbst so vortrefflich diese Aufgabe zu lösen verstehen.“

Mit diesen Worten stand ich von meinem Platze auf und wies mit einer höhnischen Verbeugung auf das von mir verlassene Tabouret vor dem Clavier.

„Sie haben Recht, mein Fräulein,“ antwortete der Fremde, und eine tiefe Wehmuth lag in dem Ton seiner Stimme, „ich bin gewöhnt, dem vielköpfigen Ungeheuer der öffentlichen Meinung kampfgerüstet gegenüber zu stehen, und eben deshalb bitte ich Sie auch, jetzt Gleiches mit Gleichem zu vergelten, meine Auffassung der Hugenotten anzuhören und mir meine Fehler in derselben eben so offen und unumwunden sagen zu wollen, wie ich es mir bei Ihnen erlaubte.“

Der Fremde setzte sich hiermit an das alte, verstimmte Clavier und berührte die Tasten.

War es nun meine Eitelkeit, die mir zuflüsterte, des Fremden Eigendünkel mit eben solchem Tadel zu begegnen, die mich von der Thür zum Nebenzimmer umkehren ließ? – Gewiß war, daß ich stehen blieb, und mich im Stillen freute, die zu erwartenden Fehler des Fremden streng zu rügen, denn was konnte wohl ein so einfältiger Schullehrer in dem herrlichen Tonwerk der „Hugenotten“ leisten, dachte ich bei mir.

Doch was war Das? Was hörte ich da plötzlich? Der Fremde schlug mit vollen Tönen an. Die Accorde schwollen mehr und mehr zu symphonischen Weisen an, das verstimmte Register schien unter diesen Händen seine einstige Harmonie wieder zu erhalten!

Erstaunt sah ich auf den Fremdling, dessen Finger dem unscheinbaren Instrumente solche Töne entlocken konnten! Tieftraurig und grollend entstieg den Tasten die Klage der verrathenen Hugenotten, ängstlich, geisterhaft deren Ruf nach Hülfe. Immer kühner und gewaltiger gelangten die Phantasien zum Ausdruck. Stürmisch, leidenschaftlich und immer drängender, von seinem Glaubenseifer fortgerissen, trat die markige Erscheinung Marcel’s vor das geistige Auge, während Valentinens Liebesleid, sich in den zartesten Tönen auflösend, alle Dissonanzen versöhnte.

Unwillkürlich erlag ich dem Banne dieses phantastischen Spieles. So, ja so hatte ich mir die Schöpfung der Hugenotten [211] gedacht, von ihr in meinen Phantasien geträumt, und dieser unscheinbare Fremdling hier vor mir, den ich verspottet, den ich als gänzlich unwerth in der hehren Kunst der Töne erachtet hatte, er war es, dessen Händen diese Wundertöne entströmten, welche meine Sinne in ehrfurchtsvollem Schauer erbeben ließen, mich hinrissen zur Begeisterung, zur reinsten Erkenntniß der Allgewalt einer Schöpfung, welche dem Himmel seine Freude, der Hölle ihre Pein entnommen hatte!

Noch ein letztes ergreifendes Finale, ein markerschütternder Accord und der Fremde hatte sein Spiel beendet.

Zögernd, ängstlich, beklommen, trat ich an ihn heran, all mein Uebermuth war gebrochen. „Wer sind Sie, mein Herr, daß Sie so zu spielen verstehen?“ brachte ich nur zögernd hervor.

„Ein armer reisender Musikus, der in Venedig sein Glück versuchen will,“ antwortete der Fremde lächelnd.

„Auch wir gehen nach Venedig,“ antwortete ich freudig überrascht, „können wir Ihnen dort mit irgend einer Anempfehlung nützlich sein, dann wenden Sie sich an uns, wir haben in Venedig einflußreiche Bekannte.“

Ich nannte ihm den Namen meiner Tante, er verbeugte sich dankend.

„Sollte ich je in die Lage kommen, fremde Hülfe in Anspruch nehmen zu müssen, mein Fräulein, dann will ich Ihrer freundlichen Worte gedenken, Ihr liebenswürdiges Anerbieten mit Dank annehmen. Bis dahin aber bitte ich Sie, dem Fremdling nicht zu zürnen, der es gewagt, einen offenen Tadel über die Fehler Ihres Spiels auszusprechen.“

Der Fremde reichte mir bei diesen Worten seine Hand. Wie unbewußt ruhte die meine einen Moment in derselben. Dann verließ er hastigen Schrittes das Zimmer, nachdem er noch einen anscheinend sehr werthvollen Pelz um die Schultern geworfen. Wenige Minuten nachher hörte ich ein Posthorn schmettern.

Der Fremde war abgereist, und erst jetzt fiel mir ein, daß ich ja nicht einmal seinen Namen wußte. Der Wirth konnte mir denselben vielleicht nennen. Ich täuschte mich; auch er konnte mir nichts über den Fremden mittheilen, der erst vor einer Stunde angekommen, nur eine kleine Erfrischung zu sich genommen hatte und wieder abgereist war.

Ich weiß selbst nicht, warum ich den ganzen Abend an das wunderbare Spiel des Fremden denken mußte, warum ich beschämt mir eingestand, welch mädchenhafter Eitelkeit ich mich hingegeben, als ich wähnte, des Fremden Fehler rügen zu können. Meine Tante war etwas ungehalten über mich, als ich ihr erzählte, daß ich dem Fremden ihre Protection zugesichert, und meinte, man setze sich nur der Gefahr aus, daß solch ein reisender Musikus ein solches Anerbieten mißbrauche.

Venedig, die Stadt der Wunder, die Heimath des romantisch Schönen, geheimnißvoll Dunkeln, hatte uns aufgenommen. Venedig mit seinen düstern Palästen, von denen jeder Stein oft zum schreckensvollen Zeugen großer Thaten, schaudervoller Momente geworden ist. Venedig mit seinen stolzen Prachtbauten, seinen antiken Marmorbildern, seinem wundervollen Canale grande, seiner grünen Wellenflur, mit seinen berückenden Schönheiten der Gegenwart wie der Erinnerung, hatte uns gastlich seine Thore geöffnet. Wir hatten die Meisterwerke eines Titian und Tintoretto bewundert, waren in Erstaunen und Entzücken vor den Gemälden Veronese’s und Bassano’s, in den vergoldeten Sälen des Dogenpalastes gestanden; die berühmten Namen der Balbi, Cornari, Giustiniani, Dandolo, Morosini, Grimani, Pisani waren aus dem Schutt und Moder der Verwesung, in die herrlichen Farbentöne der größten Maler getaucht, uns entgegengetreten, und mit ihnen hatten wir einen Einblick gethan in die Geschichte der Großthaten der venetianischen Republik. Lucrezia Borgia war beim Ueberschreiten der Rialtobrücke vor uns aufgetaucht, einem Schattenbilde gleich; ragt doch noch heute der Palast Bembo unweit derselben stolz in die Lüfte, und dort war ja die Wohnung Peter Bembo’s, des Geliebten Lucrezia Borgia’s. Auch dem letzten Dogen von Venedig, der eine so traurige Berühmtheit erlangte, weihten wir eine Stunde der Erinnerung, als wir seinen Palast erblickten, und diesen Eindruck überwog nur der Besuch der Bleikammern im Justizgebäude nächst dem Dogenpalast, unter deren Dächern Tausende geschmachtet hatten, Tausende in Angst vergangen waren. Die Seufzerbrücke, über die so mancher bebende Fuß geschritten, mahnte uns an die düster schaudervolle Vergangenheit der ewig schönen Venezia.

Erst als das Ueberwältigende der ersten Eindrücke vorüber war, überließen wir uns dem geselligen Leben, und meine Tante, welche viele Familien Venedigs kannte, ward mit Einladungen überhäuft. Daher kam es auch, daß wir von einer angesehenen deutschen Familie für den Christabend zur Feier des heimischen Christbaumes eine Einladung erhielten, der wir freudig nachkamen.

Die Räume des gastfreien Hauses waren an jenem Abend von Gästen gefüllt, und Alles schaarte sich um den buntgeschmückten, duftenden Tannenbaum mit seinen zahllosen Lichtern, seinen bunten Vielfältigkeiten. Eine heitere Lebendigkeit machte sich in der Gesellschaft bemerkbar, und Gäste sowohl als Gastgeber freuten sich der erfrischenden Geselligkeit.

Da ging plötzlich ein geheimnißvolles Flüstern von Mund zu Mund durch den Saal. Ein Name ward genannt, groß, berühmt, ein strahlender Künstlername. An der Seite des Hausherrn schritt der soeben eingetretene Gast durch die Menge, und ihm galt das Flüstern, die Neugierde der Anwesenden. Auch meiner bemächtigte sich der leicht erklärliche Wunsch, den größten Tonkünstler seiner Zeit kennen zu lernen, und als ob das Schicksal meinen Wunsch erfüllen wollte, so lichtete sich der Kreis der Menge und der Hausherr trat an meine Tante und mich heran, an seiner Seite sein angesehener Gast.

„Herr Giacomo Meyerbeer bittet mich, ihn den Damen vorzustellen,“ sagte der Hausherr lächelnd.

Erröthend, zitternd, fassungslos stand ich neben der Tante, denn wer beschreibt mein Erstaunen, als ich in dem großen Maestro meinen kleinen Schullehrer von Palmanuova erkannte! Doch rasch, mit freundlichem Lächeln half mir der große Künstler über meine leicht verzeihliche Befangenheit hinüber, und von jener Zeit an ward er mir ein naher, aufrichtiger Freund.

Daß ich bei der ersten Aufführung der „Hugenotten“, zu welcher der große Meister nach Venedig gekommen war, um die Partitur selbst zu leiten, nicht fehlte, dürfen meine geehrten Leser mir glauben. Am Morgen des Christtages aber erhielt ich einen wundervollen Blumenstrauß, welchem ein Clavierauszug der „Hugenotten“ beigelegt war. Darin stand von Meyerbeer’s Hand geschrieben:

„Ein halber Bär kann man wohl sein, aber deshalb doch an dem Talente Anderer sich erfreuen.“