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ADB:Bürger, Gottfried August

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Artikel „Bürger, Gottfried August“ von Hermann Hettner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3 (1876), S. 595–600, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:B%C3%BCrger,_Gottfried_August&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 04:29 Uhr UTC)
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Bürger, Gottfried August B., wird gewöhnlich den Dichtern des sogenannten Göttinger Hainbundes zugezählt, weil er mit ihnen durch seinen Wohnort zufällig viel in Berührung kam und daher auch seine ersten größeren Dichtungen durch den von Boie herausgegebenen Göttinger Musenalmanach in die Oeffentlichkeit brachte. In seinem innersten Wesen aber ist er durchaus ein Kind der Sturm- und Drangperiode, in der leidenschaftlichen Ungezügeltheit seines Lebens sowol, wie in den Vorzügen und Mängeln seines Dichtens. – In der letzten Stunde des Jahres 1747 wurde B. zu Molmerswende in der Nähe von Halberstadt als der Sohn des Predigers Joh. Gottfried B. geboren. Sein Vater starb 1764 als Pfarrer in Westorf; seine Mutter war eine ungebildete Frau, zu der er niemals in einem Verhältniß des Gemüthes oder Geistes stand. Nach seinem ersten Unterricht in der Stadtschule zu Aschersleben und auf dem halle’schen Pädagogium hatte er im Frühling 1764 die Universität Halle bezogen; dort war er, da er zu dem ihm aufgedrungenen Studium der Theologie keine Neigung hatte, hauptsächlich mit dem berüchtigten Professor Klotz in Berührung gekommen, der zwar seine geniale Dichternatur weckte, ihn leider aber auch zu der anstößigsten Sittenverwilderung führte, der er sich auch nicht entriß, als er nach einem kurzen Aufenthalt in Aschersleben zu Ostern 1768 nach Göttingen gegangen war, um die Theologie mit der Jurisprudenz zu vertauschen. Erst die Strenge des Großvaters Jac. Phil. Bauer, Hofbesitzers zu Aschersleben, eines alten ehrenhaften Bauern, von dem er seit dem Tode seines Vaters abhängig war und der ihm im gerechten Zorn alle Mittel entzog, brachte ihn allmählich zur Besinnung. Er trieb fortan ernsthaft seine juristischen Studien und es gelang ihm, in Christian Heinrich Boie, der seit dem Herbst 1769 als Hofmeister in Göttingen lebte, einen Freund zu gewinnen, der ihm nicht nur für die Leitung seines dichterischen Talentes äußerst förderlich war, sondern ihm auch durch sein wirksames Fürwort bei dem zur Unterstützung junger Dichter allzeit bereitwilligen Vater Gleim über die dringendste Noth hinweghalf. B. hatte Gleim’s Bewunderung, die ihm bis an seinen Tod geblieben ist, zumal durch seine schon in Aschersleben entworfene „Nachtfeier der Venus“, eine Nachbildung des Pervigilium Veneris, und namentlich durch die Idylle „Das Dörfchen“ gewonnen; auch Ramler zollte ihm alsbald laute Anerkennung. Im zweiten Jahrgange des Dietrich’schen Musenalmanachs (1771) erschienen die ersten Gedichte Bürger’s und fanden sogleich die freudigste Aufnahme. Alle Irrsal schien überwunden, als B. durch Boie’s Vermittlung und auf Grund guter Zeugnisse seiner Göttinger Lehrer im Juli 1772 Amtmann des der Familie v. Uslar gehörigen Gerichtsamtes Altengleichen bei Göttingen wurde und als solcher seinen Wohnsitz zu Gelliehausen nahm. Auch der Großvater ließ sich jetzt versöhnen, besuchte ihn gleich nach seiner Anstellung und gab die für die Caution und zur Deckung der dringendsten Schulden nöthigen 800 Thaler her. Die Einnahmen des Amtes betrugen 400–500 Thaler. So wenig Freude B. auch am Actenwesen fand, so wusste er doch seinem tiefen inneren Berufe treu zu bleiben, ohne anfangs seine Geschäfte, die ihm durch die Unordnung, in welcher er alles vorfand, nicht [596] wenig erschwert wurden, zu vernachlässigen. Er behielt den regsten Verkehr mit dem benachbarten Göttingen, wo sich soeben in frisch kräftiger Werdelust die ersten Blüthen des sogenannten Göttinger Dichterbundes entfalteten; der Umgang mit Hölty, Miller, Voß, an die sich K. Fr. Cramer, die beiden Stolberg, Biester u. A. anschlossen, spornte den Schaffenstrieb. Der geniale Wurf seiner „Lenore“ (1773) brachte ihm weiten und unvergänglichen Dichterruhm; er hatte sie, angeregt durch einige Zeilen eines alten Volksliedes, nach freier Erfindung und bereits unter dem Einfluß von Herder’s Untersuchungen über das Volkslied geschaffen. Demselben Jahre gehörte auch der „Raubgraf“ und der freilich erst viel später mit manchen Veränderungen veröffentlichte „Wilde Jäger“ an. – Da zeigte sich plötzlich schreckhaft, daß B. nichts destoweniger nach wie vor an den Zügellosigkeiten seines Jugendlebens litt und daß ihm der Halt ernster sittlicher Maßbeschränkung fehlte. Am 22. November 1774 hatte er sich mit Dorette (Dorothea Marianne) Leonhart, der Tochter des benachbarten Amtmanns zu Niedeck, verheirathet und wohnte mit ihr zuerst in Niedeck, dann seit dem September 1775 in Wölmershausen. Schon am Traualtar aber hatte er, wie er selbst eingesteht, mit voller Klarheit empfunden, daß sein Herz nicht seiner Frau, sondern deren damals erst 16jähriger Schwester Auguste (der „Molly“ seiner Lieder) angehöre. Statt von der Trauung zurückzutreten oder männlich die erwachende sträfliche Neigung niederzukämpfen, faßte er sie vielmehr wie eine unentrinnbare Naturnothwendigkeit auf (vgl. das Gedicht „An die kalten Vernünftler“ vom J. 1778) und phantasirte sich, da seine Liebe unglücklicherweise Gegenliebe fand, in die unheilvolle Sophistik, daß drei Personen sich zu ihrer allseitigen Rettung gestatten dürften, was die eigensinnigen weltlichen Satzungen verbieten; so schreibt er 1790 in seinen Selbstgeständnissen an Elise Hahn, sucht aber trotz aller scheinbaren Offenheit dies Verhältniß doch zu beschönigen, indem er sagt: „Die Angetraute entschloß sich, Bürger’s Weib zu heißen und die Geliebte, es wirklich zu sein.“ In Wahrheit aber war es eine entsetzliche Doppelehe, die durch die Geburt der Kinder nur zu grell beleuchtet wird. Denn während ihm Dorette drei Töchter schenkte, von denen Antoinette, geb. 1775, schon 1777 starb, Marianne, geb. 1778, erst 1862 unvermählt zu Remse gestorben ist, und die jüngste Auguste 1784 ihre Geburt nur um einige Monate überlebte, mußte Auguste Leonhart, nachdem sie Bürger’s ungestümer Leidenschaft äußerlich allerdings längere Zeit widerstanden hatte (vgl. die „Elegie, als Molly sich losreißen wollte“) 1782 nach Obersachsen gehen, um dort einem Sohne, August Emil, das Leben zu schenken. Es gelang, das Geheimniß so ziemlich zu wahren; Emil ward zu Langendorf bei Bürger’s Schwester Friederike Müllner, der Mutter des Dichters der „Schuld“ erzogen; er ist Buchhändler geworden und 1841 zu Leipzig gestorben. Was Goethe in der ursprünglichen Fassung seiner „Stella“ und was Lenz in seinem Lustspiele „Die Freunde machen den Philosophen“, beide auch ihrerseits unter den trüben Wirren der Sturm- und Drangperiode ringend, als phantastischen Traum hingestellt hatten, gewann in B. häßliche Wirklichkeit. Neben diesen häuslichen Wirren hatte nun aber auch Bürger’s amtliche Stellung sich längst bis zum Unleidlichen getrübt. Er selbst bot den Angriffen seiner Gegner nur zu schlimme Blößen, denn er war von unüberwindlicher Säumigkeit und Unordnung, wie im Briefschreiben so in allen Geschäften. Zunehmende Kränklichkeit und Hypochondrie steigerte seinen Abscheu vor den amtlichen Pflichten; bald gab es Beschwerden wider ihn, Mahnungen und Vorladungen von allen Seiten. Darunter litt denn zugleich sein Ruf nach außen so sehr, daß alle Versuche, ihm eine andere Stellung zu verschaffen, wofür namentlich Boie und Gleim unermüdlich thätig waren, scheiterten, wie 1779 „am Rhein“, wo ihm eine Hofrathsstelle an einem kleinen Hofe angetragen ward, so in Hannover, [597] wo er 1780 des abgehenden Boie Nachfolger als Staatssecretär beim commandirenden General zu werden trachtete; in Weimar, wo er sich, nachdem in 1781 der Herzog Karl August in Merck’s Begleitung besucht hatte, bewarb (vgl. Goethe’s Brief an B. vom 20. Februar 1782); endlich auch in Berlin. B. hatte sich dorthin mit einem Bittgesuch an Friedrich den Großen gewendet und der König äußerte in der That gegen den Großkanzler Carmer, daß er den Mann, dessen Verdienste um Sprache, Dichtkunst und Litteratur in ganz Deutschland bekannt seien, in seinen Staaten angestellt zu sehen wünsche. Carmer bemühte sich daher bei dem Staatsminister v. Zedlitz für B. um eine Professur; Zedlitz antwortete aber: B. sei, wie überhaupt die heutigen mit dem Geniewesen sich auszeichnenden Schöngeister, zum Erzieher und Jugendlehrer nicht zu brauchen; da er, der Minister, besonders darauf Bedacht nehme, alle Gelegenheit aus dem Wege zu räumen, daß die Jugend keinen frühen Hang zu der alle Seelenkraft und alle zu Geschäften erforderliche Thätigkeit untergrabenen Poeterei bekomme, so könne er mit gutem Gewissen den B., so sehr er ihn auch sonst schätze, in seinem Departement nicht versorgen. – Blieb der unglückliche immer mehr verdüsterte Dichter auf solche Art an dem Felsen, auf den er sich verbannt fühlte, angeschmiedet, so gelang es ihm eben so wenig, aus seinen Geldnöthen herauszukommen, obwol ihm 1775 nach dem Tod seiner Mutter einiges Vermögen zugefallen war. Er stürzte sich noch dazu selbst in unabsehbare neue Verwicklungen, indem er, als 1777 sein Schwiegervater Leonhart plötzlich starb, sich zum Curator der Masse machen ließ, um die überlebende Familie aus ihrer Bedrängniß zu retten. Der Erfolg war nur, daß auch diese Angelegenheit durch seine unverbesserliche Geschäftsscheu ins Stocken gerieth, und ihm nach unsäglicher Plage und Verdruß das Curatorium 1783 wieder abgenommen werden mußte. 1780 hatte er, um seine Lage zu verbessern, das Uslar’sche Gut Appenrode gepachtet, wo er fortan wohnte, um mit einem Verwalter die Wirthschaft selbst zu betreiben; auch diese Speculation schlug nur zu seinem Verderben aus, so daß er froh war, von der Pachtung mit Einbuße von einigen tausend Thalern im März 1784 nur wieder loszukommen. Er hatte inzwischen aber, wozu schon längst Boie und andere Freunde riethen, im Januar 1784 seine Entlassung auf Johannis gefordert und bezog nun einstweilen ein Bauernhaus. Hier gebar ihm Dorette im April die oben erwähnte Tochter Auguste, siechte dann hin und starb nach schmerzvollen Leiden am 30. Juli 1784.

An Dichtungen waren diese unter so viel Verirrung und Verwirrung durchlebten Jahre trotzdem nicht unfruchtbar gewesen; namentlich seit B. die 1778 auf Subscription erschienene erste Ausgabe seiner Gedichte, welche er hierbei im großen und ganzen chronologisch geordnet hat, vorbereitete, war er thätig, neue wie alte Entwürfe auszuführen und zu vollenden. Von den bekannteren Balladen dichtete er die „Weiber von Weinsberg“, den „Ritter und sein Liebchen“ 1775, „Lenardo und Blondine“, „Das Lied vom braven Mann“, „Bruder Graurock“, „Frau Schnips“ und die „Entführung“ 1777; „St. Stephan“ 1778, „Des Pfarrers Tochter von Taubenheim“ 1781 (angeregt durch das Schicksal einer Kindsmörderin, welche er in diesem Jahre gerichtlich zu vertheidigen hatte). Es möge gleich hier hinzugefügt werden, daß „Kaiser und Abt“ von 1784 und das „Lied von der Treue“ von 1788 ist. Die Gedichte „Molly’s Werth“, „An die kalten Vernünftler“, „Untreue über Alles“, „An Molly“ und das ergreifende Lied: „Molly’s Abschied“ gehören der Zeit von 1778 bis 1781 an. – Entwürfe von allerlei Art blieben daneben unausgeführt. Schon 1773 plante B. eine bürgerliche Tragödie, welche seine Anschauungen über das Volksthümliche der Poesie auch auf diesem Gebiete darstellen und weit weniger durch Worte als durch Handlung wirken sollte. Weiter als dieser Plan gedieh [598] der Versuch einer deutschen „Ilias“ in Jamben, zu welcher B. die Anregung schon von Klotz empfangen, und von der er schon 1771 in der „Deutschen Bibliothek der schönen Wissenschaften“ Proben gegeben hatte. Gleim, Wieland, selbst Voß mahnten mit freudigster Theilnahme zur Fortsetzung. Klopstock, zwar mit dem Ton der Uebersetzung wohl zufrieden, erhob doch gegen die gewählte Versform Einwendungen. Vielleicht durch diese Bedenken entmuthigt, ließ B. die Arbeit liegen. bis er, von Boie gedrängt, zu Neujahr 1776 im „Deutschen Museum“ den Anfang des fünften Buches der „Ilias“ gab. Da erschien selbst von Goethe, obwol auch er lieber am Hexameter festgehalten wissen wollte, in Wieland’s „Mercur“ die Aufforderung zur Beendigung der Arbeit, worauf B. sogleich das sechste Buch für den „Mercur“ sandte und demselben im Octoberheft eine Vertheidigung des Jambus nachschickte. Schon im Novemberheft aber erschien auch die erste Probe von Stolberg’s Uebersetzung in Hexametern, um die B. nicht gewußt hatte. Auch Voß trat jetzt zur Vertheidigung des Hexameter auf und B. ward bald durch Voß’ Uebersetzung der „Odyssee“ so gründlich bekehrt, daß er endlich selbst den Versuch einer Uebersetzung in Hexametern machte, bei dem er sich vielleicht mehr als in irgend einer anderen Uebersetzung von seiner eigenen Manier losrang. Seine Anschauungen über das wahre Wesen der Poesie legte B. in den Mittheilungen „Aus Daniel Wunderlich’s Buche“ nieder, welche 1776 im fünften Stück des „Deutschen Museums“ gedruckt wurden (Werke, Bohtz, 1835 S. 318 ff.). Als dawider Fr. Nicolai mit „Danyel Seuberlich’s Almanach“, einer platten Parodie, auftrat, antwortete B. durch einen Einzeldruck seiner schon 1770 gedichteten aber bisher nicht veröffentlichten „Europa“ mit vorausgeschickten Spottversen, deren persönliche Beziehung auf Nicolai Niemand mißverstehen konnte. Seit 1778 übernahm B. die Redaction des „Göttinger Musenalmanachs“, nachdem Goecking, der nach Boie die Redaction geführt hatte, von Voß für seinen Musenalmanach gewonnen war. Voß und Goecking, die darin eine gewisse Unredlichkeit Bürger’s erkannten, ließen sich doch bald beschwichtigen und namentlich Goecking ist bis ans Ende sein treuer Freund geblieben, während die meisten Jugendfreunde, mochten sie auch ihre Gesinnung gegen ihn nicht ändern, ihm doch infolge seiner unüberwindlichen Schreibfaulheit Einer nach dem Andern verloren gingen. Goethe, dessen „Götz“, „Werther“ und „Stella“ bei B. die feurigste Bewunderung erregten und der sich auch seinerseits 1774 Bürgern mit Wärme brieflich näherte, zog sich doch unter den Entwicklungen seiner ersten weimarischen Periode bald in einen kühleren Ton der Achtung zurück.

Zu Michaelis 1784 siedelte B. nach Göttingen über, um sich der akademischen Laufbahn zu widmen, wobei ihn Heyne, Kästner und Lichtenberg wohlwollend förderten. Seine Vorlesungen als Privatdocent der Aesthetik begann er mit gutem Erfolg. Jetzt verheirathete er sich (27. Juni 1785) mit seiner geliebten Molly, um wie er in einem Briefe an seinen Schwager Ludwig Leonhart sagt, diejenige, die nach einem ihm unerklärbaren Verhängnisse seit 10 oder 12 Jahren das Unglück seines Lebens gewesen, dadurch zum Glück seines noch übrigen Lebens umzuschaffen. Er feierte seine Verbindung mit ihr in dem „Hohen Lied von der Einzigen“, welches seitdem ihm selbst stets für den Gipfel seiner dichterischen Kunst galt. Aber das Glück war von kurzer Dauer: Auguste, die ihm am 25. December 1785 eine Tochter (Auguste, † zu Celle 1847 als Wittwe des Friedensrichters Mühlenfeld) geboren hatte, starb schon am 9. Jan. 1786 am Wochenbettfieber. Ihrem Tode gelten die schönen Sonette „Verlust“, „Trauerstille“, „Auf die Morgenröthe“, „Liebe ohne Heimath“ und noch später feierte er das Andenken ihres anmuthig bescheidenen Wesens in dem „Blümchen Wunderhold“ (wol von 1789). – Er suchte Trost und Zerstreuung in seiner [599] neuen akademischen Thätigkeit und in warmgehegten Dichter- und Uebersetzerplänen. Auch eine neue Zeitschrift gründete er 1789 in der bei Riem in Berlin erscheinenden „Akademie der schönen Redekünste“, die aber bei seinem Leben nicht über die drei ersten Stücke gedieh. Wir wissen, wie anregend er in dieser Zeit für den jungen A. W. Schlegel wurde, dessen Talent er sehr hoch schätzte und in dem an ihn gerichteten Sonnet: „Kraft der Laute, die ich rühmlich schlug“, feierte. Vor allem beschäftigte beide gemeinsam 1789 eine Uebersetzung des „Sommernachtstraumes“; das Manuscript dieses ersten Schlegel’schen Versuches am Shakespeare ist uns erhalten; B. hat nicht nur einzelne Stellen selbst übersetzt, sondern auch auf Ton und Geist der ganzen Uebersetzung sehr wesentlich eingewirkt. Freilich mußte gerade alles, was hiervon den Stempel trägt, später, als Schlegel das Werk von neuem angriff, wieder ausgemerzt werden (vgl. M. Bernays, Die Entstehungsgeschichte des Schlegel’schen Shakespeare, S. 31 bis 79). – B. suchte neben solchen Beschäftigungen Trost und Zerstreuung in allerlei kleineren Reisen; wir wissen, wie er in dieser Zeit in Weimar die persönliche Bekanntschaft Goethe’s und Schiller’s machte. Auf ersteren, dessen vornehme Höflichkeit ihn verletzt hatte, dichtete er damals (1789) das Epigramm „Mich drängt’ es, in ein Haus zu gehen“ (s. Strodtmann, Briefe von und an B. IV. S. 271), welches jedoch erst nach Bürger’s Tod bekannt gemacht ward. Auch in Liebeleien mit gefallsüchtigen und leichtfertigen Frauen finden wir ihn bald genug wieder verstrickt. Sein Leben blieb bei alle dem öde; sein Leumund schloß ihn von den meisten Professorenkreisen aus; auch bittere äußere Noth umdrängte ihn. Zwar ward er 1789 außerordentlicher Professor, aber ohne Gehalt. Seine Briefe dieser Zeit und die Berichte der nächsten Zeitgenossen zeigen ihn arbeitsemsig für den Erwerb, aber zerfahren, leidenschaftlich, unruhig, herabgekommen. Und in dieser krankhaften Ueberreiztheit that B. wie ein Verzweifelnder, der nach einem letzten Rettungsanker ausschaut, einen Schritt, der ihn vollends zum Untergang führte. Ein Mädchen in Stuttgart, Elise Hahn, für die Dichtungen Bürger’s begeistert, hatte 1789 ein Gedicht geschrieben, worin sie dem Dichter ihre Liebe erklärte. Dieses Gedicht wurde B. zugeschickt; er antwortete; es entstand ein Briefwechsel. B. ging nach Stuttgart, man verlobte sich und im October 1790 erfolgte die Verheirathung. Bald zeigte sich dies bei ihrem Einzug in Göttingen so gefeierte „Schwabenmädchen“ als eine grundgemeine Natur. Die jetzt (Strodtmann, Briefe etc. IV.) veröffentlichten Urkunden dieser Ehe von minder als anderthalb Jahren enthüllen ein „bürgerliches Trauerspiel“, furchtbarer, als der Dichter es einst geplant haben mochte. Die Acten ergeben das Eingeständniß der Frau, die ihm am 1. August 1791 den (1813 in Dresden gestorbenen) Agathon gebar, daß sie bereits seit den ersten Monaten der Ehe mit drei und mehr Männern im Ehebruch gelebt hatte. Im März 1792 ward die Scheidung ausgesprochen. Elise Hahn durchzog später Deutschland als Schauspielerin und Declamatrice und ist erst 1831 gestorben. – In jenem unter solchen Seelenqualen verlebten Jahre 1791 traf den unglücklichen Dichter auch noch Schiller’s herbe Recension seiner Gedichte (Jen. Allg. Litt.-Ztg. d. J., I. Sp. 97 ff.), die ihn, so sehr er sich auch äußerlich in seiner „vorläufigen Antikritik“ im Intelligenzblatt der Litt.-Ztg. von 1791 Nr. 46 (die Antwort des Recensenten folgt unmittelbar dahinter) und in dem Gedicht „Der Vogel Urselbst“ dawider wehrte, dennoch um so tiefer aufregte, als sie ihn in innerer Zerrüttung traf. Er war an Leib und Seele gebrochen. zu dem alten Leberleiden meldete sich bald eine Brustkrankheit, die schnell wuchs, während er sich zur Abwehr des drückendsten Mangels zu angestrengter Lohnarbeit verurtheilt sah. Am 8. Juni 1794 erlöste ihn der Tod. – Eine zweite Ausgabe seiner [600] Gedichte hatte er 1789 veranstaltet; die dritte, welche ihn während der letzten Zeit beschäftigte, ward erst 1796 von K. Reinhard beendigt.

Wie Bürger’s Lebensgeschichte, so kann man auch die Geschichte seines Dichtens nicht ohne tiefe Rührung betrachten. Eine feinbesaitete echte Dichternatur, die unter dem Druck schuldvoll grausen Unglückes niemals zur vollen Reife kam. „Meiner Palmen Keime starben, eines bessern Lenzes werth!“ – Die Ansicht, welche B. an Daniel Wunderlich in seinem „Herzensausguß über Volkspoesie“ niederlegte (s. o.), daß die deutsche Muse nicht auf gelehrte Reisen gehen, sondern hübsch zu Hause ihren Naturkatechismus lernen solle, war der Kern und Antrieb seines gesammten Dichtens und Denkens, das sich an Homer und Shakespeare und ganz besonders an Percy und Herder herangebildet hatte. Aber man thut Unrecht, wenn man im Hinblick auf diesen scharf ausgeprägten volksthümlichen Zug vorzugsweise immer nur die Balladen Bürger’s ins Auge faßt; höher noch steht seine Lyrik. Gewiß gehört die Lenore zu den schönsten Perlen deutscher Dichtung; ein solches Hereintreten in die Tiefe der Gemüthswelt und in die düstere Region des Nächtlichen und Gespenstigen kann nur dem Auserwählten gelingen; aber trotz aller Macht und Pracht der Gestaltung stört die moralisirende lehrhafte Fassung des Grundmotivs und stört insbesondere auch die spielende Ueberladung der Tonmalerei, die dem schlichten Naturlaut des Volksliedes widerspricht. Und die späteren Balladen Bürger’s, so reich auch sie an markigen Zügen sind, zeigen doch leider nur eine sich steigernde Vergröberung in das Platte und Burleske. Um dieselbe Zeit, da Goethe den „König von Thule“ und den „Erlkönig“ dichtete, wucherte in B. noch unausrottbar die aus der bänkelsängerischen Verwilderung des Volksliedes entsprungene Anschauung, als müsse die Ballade durchaus eine rührende Schauergeschichte oder ein auf rohe Lachmuskeln berechneter Schwank sein. Die Lyrik Bürger’s dagegen hat gar manches Lied, das sich an Tiefe der Empfindung und an Schmelz und Wohllaut des Verses dem schönsten anreiht, was deutsche Dichter gesungen. Besonders gilt dies von den Liedern an Molly, vorausgesetzt, daß man sie in ihrer Urgestalt liest, bevor eine durch Schiller’s bittere Kritik veranlaßte überängstliche Feile sie abschwächte und verkünstelte. In diesen Liedern und Sonnetten ist eine Gluth und Zartheit, eine Ausgelassenheit jubelnder Lust und Munterkeit, deren süßem Zauber sich keiner entziehen kann. Nur selten werden schmerzvolle Töne angeschlagen und dann nicht in koketter Zerrissenheit, sondern immer nur mit dem tief elegischen Sehnen nach Friede und Versöhnung. B. ist einer der Größten der Sturm- und Drangperiode und zugleich eines ihrer unglückseligsten Opfer.

H. Pröhle, G. A. Bürger. Leipzig 1856. Goedeke, Bürger in Gelliehausen. Wichtigstes Quellenwerk: A. Strodtmann, Briefe von und an G. A. Bürger. 4 Bände. Berlin 1874.