ADB:Hutten, Ulrich von
[465] altväterischer Strenge. Leider ist es unbekannt, was in ihm den zäh festgehaltenen Entschluß hat reifen lassen, seinen Sohn, unseren Ulrich, obwol demselben als Erstgeborenem etwas Anderes in der Wiege gesungen worden war, für den geistlichen Stand zu bestimmen und ihn demgemäß schon im 11. Jahre (1499) in das nahe Stift Fulda zu bringen, wo er nach erreichtem Alter Mönch werden sollte. Ein unter allen Umständen gewagter Schritt, besonders aber damals, wo trotz aller wohlmeinender Reformversuche das Mönchswesen wieder einmal an innerlicher Zersetzung zehrte. Wer darf sich wundern, daß es einem Feuerkopf wie Ulrich bald zu eng wurde hinter den Mauern, in die man den wilden Vogel eingesperrt in einer Periode, innerhalb der, anderer Symptome zu geschweigen, fast Jahr für Jahr die Umwandlung von Klöstern in die freieren Stifte der Chorherren statthatte, zum nicht geringen Kummer eines so eifrigen Klostermannes wie Trithem? Seinem Ruf hat es freilich wenig genützt, daß Ulrich die richtige Consequenz seiner Lage zog, bevor er sich bindend auf die Regel verpflichtet hatte: Feindeshaß hat ihn trotzdem als „ausgetretenen Mönch“ zu brandmarken versucht. Als die Bemühungen des hochgebildeten Eitelwolf von Stein, Vater und Abt des jungen Klosterzöglings zum Aufgeben ihres Planes zu bewegen, der unvereinbar war mit Hutten’s Geist und Gaben, abprallten an dem Starrsinn des Besitzers von Steckelberg, da rang sich in der Seele des werdenden Jünglings der Gedanke durch, fliehend dem väterlichen Despotismus sich zu entziehen. Im Sommer 1505 bewerkstelligte er, wie es heißt, mit Hülfe eines Jugendfreundes Johann Jäger aus Dornheim, diese Flucht. Freiheitsdrang, Selbstbewußtsein, Liebe zur Wissenschaft hatten H. hinaus in die Welt getrieben; wir finden ihn in Begleitung des genannten Freundes, der am Ende seiner Universitätszeit stand, wieder in Köln, um daselbst humanistischen Studien obzuliegen. Wie er diese betrieb, können wir nur aus dem Resultat schließen: ebensowenig läßt sich feststellen, wovon er sein Leben fristete, denn mit dem starrköpfigen Vater hatte H. durch seinen eigenmächtigen Schritt zunächst jedes Band zerrissen. Bis zur Hefe hat er das Elend des fahrenden Schülerthums auskosten müssen: er selbst schreibt das Siechthum seines Körpers später ausdrücklich den Leiden und der Ueberanstrengung jener Jahre zu. Damit ist freilich der Ursprung jener entsetzlichen Krankheit nicht erklärt, deren Verwüstungen auch er, wie zahllose Zeitgenossen, seinen frühen Tod zu danken hatte. Mag die Ansteckung mit oder ohne Schuld des Ritters geschehen sein: die Anschauung seiner Zeit war fern davon ihm dies Leiden zum Makel anzurechnen.
Hutten: Ulrich von H. ward am 21. April 1488 auf Schloß Steckelberg unweit der Kinzig, auf der Grenze fränkischen und hessischen Wesens geboren. Das Geschlecht war ein altberühmtes und weitverzweigtes, wenn auch mit Glücksgütern nur mäßig gesegnetes. In mehreren seiner Glieder um die Wende des Mittelalters findet sich derselbe Zug harter Einseitigkeit und unbeugsamer Willensstärke. Vor Allem gilt das von dem gleichnamigen Vater, der sich als Freund der sog. guten alten Zeit gar nicht in die Anforderungen und Fortschritte des Daseins zu finden wußte. Haus und Familie regierte er mitOb im Interesse der Studien oder aus unruhiger Wanderlust ist unbekannt, unser H. hat es weder in Köln noch in einer der anderen deutschen Universitäten, die er im folgenden Lustrum besuchte, lange ausgehalten. Der Sommer 1506 sah ihn in Erfurt, wo er neben dem alten Freund Jäger, der sich als „Crotus Rubianus“ latinisirt hatte, an dem begabten Dichter Eoban Hesse einen warmen Freund fand. Schon der folgende Winter führte ihn an die neubegründete Hochschule Frankfurt a. d. O., dann nach Leipzig. Im Herbst 1509 taucht er in Greifswald auf, auch des Nöthigsten ermangelnd und nur durch das Eintreten der beiden Lötz, Vater und Sohn, Bürgermeister und Canonicus, vor dem Untergang gerettet. Es ist nicht aufgeklärt, was diese entgegenkommende Freundlichkeit so rasch, nach kaum einem Vierteljahr, in den rachdurstigen Haß verwandelte, der die beiden antrieb, den im harten Winter nach Rostock weiterziehenden Musenzögling überfallen und bis aufs Hemd ausplündern zu lassen. In Rostock rettete den Schwerkranken und Tieferschöpften wieder nur seine Zugehörigkeit zu dem großen Kreise der Humanisten, welche, je mehr sie von den Anhängern des alten Schlendrians Widerstand erfuhren, [466] um so fester zusammenhielten und sich förderten. Hier in Rostock scheint sich auch um den jungen Gelehrten zuerst ein Kreis junger strebsamer Elemente gesammelt zu haben: hier fand er die Muße zur Abfassung seines ersten bedeutsamen Werkes, der zwei Bücher Klagelieder gegen die Lötze. Doch sind es weniger Querelen als von Zorn eingegebene und getragene Invectiven gegen die verrätherischen Frevler. Das persönliche Leid, der sittliche Ingrimm über erlittenes Unrecht hat zuerst Hutten’s poetische Ader reicher strömen machen. Anfang 1511 treffen wir den Dichter in Wittenberg, beschäftigt mit der Verfertigung eines Gedichtes über die Verskunst, das sich als Lehrbuch rasch Anerkennung erwarb. Da noch immer, wie es scheint, an keine Aussöhnung mit der Familie zu denken war, setzt H. bald den Wanderstab weiter. Wien, die im humanistischen Sinne von Kaiser Maximilian umgestaltete und reicherblühte Universität war diesmal das Ziel. Man darf nicht zweifeln, daß er hier als Lehrer aufzutreten wünschte. Doch fand dies Vorhaben so viel Hindernisse, daß er es fallen ließ und nach Italien, dem Land der Sehnsucht aller Humanisten, aufzubrechen sich entschloß. Aber der wenn auch kurze Aufenthalt in des Kaisers Landen war für ihn nicht ohne Bedeutung gewesen. Sein Dichten und Denken nahm jetzt zuerst, soweit es sich beobachten läßt, einen patriotischen Flug. Es empörte ihn die Haltung, welche die dem Ritter als Krämervolk verächtlichen Venetianer dem Kaiser gegenüber einzunehmen für gut befanden. Dieser mit sarkastischer Verachtung des Gegners gewürzte Zorn klingt durch in der noch im Reich verfaßten Aufmahnung an Maximilian zum Kampf und in unvergleichlich gelungenerer Weise in den in den folgenden Jahren in Italien selbst bei verschiedener Gelegenheit gedichteten Epigrammen, die erst später zu einer dem Kaiser gewidmeten Sammlung vereinigt wurden. Zwar bewegt sich in derselben der Gedankengang des Dichters vielfach in denselben Bildern, dafür entschädigt die frische unmittelbare Empfindung und eine den Fesseln des Conventionellen nunmehr völlig entwachsene Form. Neben Venedig sind die Pfeile des Epigrammatisten auch auf Frankreich, jenes Bundesgenossen, gerichtet. Für Hutten’s spätere Entwicklung ist es von besonderer Wichtigkeit, daß jetzt schon das ungeistliche Leben des kriegerischen Papstes Julius II., die Thorheit des Ablaßhandels u. dgl. m. gegeißelt wird. Zum Theil sind es eigene Erlebnisse aus den Jahren 1512 und 1513, die dem Dichter Stoff bieten. Denn H., welcher nach Pavia und dann nach Bologna gewandert war, um da dem Rechtsstudium obzuliegen – jedenfalls nicht eigenem Triebe folgend, sondern in der Hoffnung durch Erlernung dieses Brodfachs den praktisch klugen Vater zu versöhnen und seine pekuniäre Unterstützung zu gewinnen –, hatte durch äußerste Noth gezwungen das Studium bald an den Nagel gehangen und Kriegsdienste genommen. Es ist damit nicht gesagt, daß er gerade Landsknecht gewesen wäre, auch konnte sein überaus leidender Zustand – sein Uebel hatte damals den Fuß ergriffen – ihn nur wenig zum Ertragen kriegerischer Strapazen befähigen. Wie lange die Unterbrechung der Studien, welche neben der Jurisprudenz hauptsächlich dem Griechischen gegolten hatten, gedauert hat, läßt sich nicht sagen. Wol nach 1513 ist H. wieder in Deutschland und unter der Aegide seines humanistischen Gönners Eitelwolf v. Stein, bald im Dienst des neuen Erzbischofs Albrecht von Magdeburg und Mainz. Eitelwolf’s Tod machte dann freilich der für H. bedeutsamen Aussicht ein jähes Ende, in Mainz einen neuen Mittelpunkt wissenschaftlicher Bestrebungen zu begründen. Ein anderer für die Hutten’sche Familie höchst schmerzlicher Todesfall bildete dann für unseren H. freilich die erwünschte Brücke zur Wiedervereinigung mit seinen Geschlechtsgenossen und insbesondere dem Vater. Am 7. Mai 1515 war Hans v. H., ein Sohn Ludwigs, welcher dem vom Vater verstoßenen Ulrich wiederholt hülfreich sich bewiesen, in empörender Weise [467] von seinem Herrn, Herzog Ulrich von Württemberg, ermordet und beschimpft worden. Natürlich brannten die Hutten’schen auf Rache. Hutten’s litterarisches Talent war da zu gebrauchen, um die schlechte Sache des fürstlichen Mörders vollends in der öffentlichen Meinung zu discreditiren. Diesem äußeren Anlaß, der sich mit der eigenen, kaum zu bändigenden Empörung unseres durchaus als Mitglied des Ritterstandes sich fühlenden H. berührte, verdankt man außer einigen kleineren Arbeiten die fünf Reden gegen Herzog Ulrich und später den Dialog Phalarismus, oratorische Meisterwerke, in denen man freilich peinliche Wahrheitsliebe nicht suchen darf. Hier zeigte sich zuerst, daß der Dichter in H. durch den Redner ebenso überboten wurde, wie sein publicistisches Genie seine oratorische Begabung überragte.
Der Aussöhnung mit der Familie und der Unterstützung des Erzbischofs von Mainz verdankte H. die Möglichkeit seine in Italien unterbrochenen Studien wieder aufzunehmen. Der Zwischenzeit entsprang noch die Vollendung und Umarbeitung des „Niemand“, eines poetischen Scherzes, zu dem H. sich angetrieben gefühlt hatte durch die Geringschätzung, mit der man ihm, der nun trotz seiner 27 Jahre noch nichts war, in dem Kreise der Familie begegnet war. Er sollte nun in Italien seine juristische Ausbildung vollenden, um dann als rechtsgelehrter Rath im Fürstendienste Carriere zu machen. Im December 1515 zog er nach Rom, welchen Aufenthalt er im Sommer 1516 mit Bologna vertauschte. In Rom, wo ihm die feile Käuflichkeit der päpstlichen Curie einen besonders abstoßenden Eindruck machte, war ihm wol der Boden zu heiß geworden, seit er im ritterlichen Eintreten für seines Kaisers Ehre im Kampfe mit fünf Franzosen einen derselben erschlagen hatte. Doch hat auch der Aufenthalt in der juristischen Luft Bologna’s Hutten’s eingewurzelte Abneigung gegen das damals verknöcherte Rechtsstudium nicht überwinden können. Statt dessen benutzte er lieber die Gelegenheit Griechisch zu treiben, die daheim noch seltener war. Vor allen griechischen Autoren gewann Lucian Einfluß auf Hutten’s Schriftstellerei. So war er den Dreißig nahe, ein fertiger Mann, als er im Sommer 1517, nach kurzem Ausflug nach Venedig, Bologna verließ, um nach Deutschland zurückzukehren. Er kam noch immer als „Niemand“; treu der Abneigung der Humanisten hatte er sich nicht dazu herbeigelassen, durch Erwerbung der akademischen Grade dem verachteten Herkommen seinen Tribut zu entrichten. Er war trotzdem schon ein weitbekannter, ja berühmter Mann, in den humanistischen Kreisen mit gespannter Erwartung begrüßt. Aeußerlich repräsentirte freilich der eher kleine, blasse und hagere Ritter nicht zu viel; aber in dem gebrechlichen Körper lebte ein unbezwinglicher Geist, dessen Regsamkeit selbst durch die furchtbarsten Kuren, zu denen sein Leiden ihn zwang, nur zeitweise gedämpft, nie ganz zu Boden gedrückt werden konnte. Im persönlichen Umgang bald bestrickend liebenswürdig, bald maßlos heftig, scharf und nicht im Stande Unrecht auch nur zu sehen. Dabei strömte ihm der Witz reichlich zu: zur Satire war er umsomehr geschaffen, weil ihm der Scherz, den er grausam zu handhaben verstand, nur die Waffe war zur Bekämpfung und Vernichtung des Schlechten. Unter allen Umständen mußte es für einen so gearteten Charakter schwer sein, geduldig der Menge die alten Geleise nachzutreten. Unmöglich für H., welchen das Geschick gerade in dem Augenblick, ausgereift durch nicht leichte Erfahrungen, dem Vaterland zurückgab, als längst vorbereitete Umwälzungen auf allen Gebieten des Lebens sich zu vollziehen begonnen hatten. H. hatte sich in seinen Epigrammen gegen Julius II. und insbesondere in seinem Eintreten für Reuchlin die Sporen bereits verdient im Kampfe gegen die Mächte des Rückschritts. Die gegen den unzweifelhaft unschuldigen Mann in Scene gesetzte Hetze erschien, ähnlich wie beim ersten Auftreten der Dominikaner in Deutschland im 13. Jahrhundert, als eine allgemeine [468] Gefahr. Unter allen Humanisten, die sich entschlossen um den Angegriffenen schaarten, hat keiner mehr als H. das Vorgehen der kölner Dominikaner gegen den hochverdienten Gelehrten fast wie eine persönliche Angelegenheit empfunden. Noch viel später enthielt er sich kaum, als ein Zufall den verhaßten Ketzerrichter Hochstraten ihm in den Weg führte, diesen die Schärfe seines Schwertes kosten zu lassen.
Zeitig ist er durch kleinere Publikationen, brieflich, im persönlichen Verkehr nach Kräften für den Bedrängten eingesprungen. Dagegen hat man lange Zeit mit Unrecht in ihm einen der Hauptmitarbeiter an den Briefen der Dunkelmänner gesehen. Nach dem heutigen Stand der Frage hat er nur zu dem zweiten Theil jener köstlichen Satire wenige Briefe beigesteuert. Man hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß ohnedies Hutten’s stärkste Seite, jener ihn durchglühende sittliche Zorn gegen das Schlechte, wenig gemein hat mit der Art des Humors, welcher sich auch der Lächerlichkeit des Gegners freut.
Wie sollte der Heimgekehrte seine herrlichen Gaben dem Vaterland, dem seine ganze Seele gehörte, dienstbar machen? Die gelehrten Freunde scheinen gemeint zu haben, daß er berufen sei die Leuchte wissenschaftlicher Freiheit und Forschung auf einer Universität hochzuhalten. Das möchte zu schließen sein aus der von den Freunden veranlaßten feierlichen Krönung mit dem Dichterlorbeer, mit welchem Kaiser Max am 12. Juli 1517 den Ritter schmückte. Damit war neben dem nicht gering anzuschlagenden privilegirten Gerichtsstand vor dem Kaiser das Recht verbunden, an allen Hochschulen als Lehrer dessen aufzutreten, was man damals die besten Künste und Wissenschaften nannte. Noch lagen diese von den Humanisten vertretenen philologischen Disciplinen an den Universitäten im Kampf mit der scholastischen Unterrichtsmethode. Zu was sollte die Dichterwürde dienen, wenn nicht dazu ihrem Träger bei seiner Laufbahn den Mangel jegliches akademischen Grades zu ersetzen? H. hat diese Erwartung getäuscht. Vielleicht verdanken wir diesem Gefühl den schönen Brief an Pirkheimer vom folgenden Jahr, in welchem er gewissermaßen den getroffenen Entschluß rechtfertigt. Der Dichter war nach manchem Schwanken noch im J. 1517 wieder in die Dienste des kunstliebenden Erzbischofs Albrecht von Mainz getreten. Als Rath desselben wird er noch im gleichen Jahr nach Frankreich entsandt; 1518 begleitet er seinen Herrn auf den Reichstag nach Augsburg, eine Episode, welche für seine litterarischen Hervorbringungen außerordentlich fruchtbar war. Man darf sich den Hofdienst nicht als zu schwer vorstellen: die eigene Versicherung Hutten’s und die Reihe verfaßter Arbeiten beweisen, daß ihm Zeit zum Studiren und Schaffen gesichert blieb während der Dauer eines Verhältnisses, welches allerdings in sich widerspruchsvoll genug war. Man stelle sich nur vor: der erste deutsche Kirchenfürst, obendrein persönlich interessirt am Erfolg des Ablasses, und als sein Diener der rücksichtslose Bekämpfer päpstlicher Mißbräuche, welcher dieselben als eine Deutschland angethane Beschimpfung empfand. H. war nicht der Mann darnach solche Situation erträglich zu machen. Neben einem Dialog, der die Schattenseiten des Hoflebens durchhechelt, einer Rede, welche die deutschen Fürsten zum unliebsamen Türkenkrieg anzutreiben versuchte, fallen in die erste Zeit seines Dienstes vor allem seine berühmte Schrift über die Guajak-Kur, welche er ganz naiv seinem Fürsten widmet zur Nachachtung bei vorkommenden Fällen und die Herausgabe der von ihm aufgefundenen Schrift des Laurentius Valla über die angebliche Schenkung Constantins, welche er mit einer sehr durchsichtigen Vorrede dem Papst Leo selbst zu Füßen zu legen die Unverschämtheit hatte. Nur der Werth, den der ohnedies im Bewußtsein eigener Schwäche nachsichtige Erzbischof auf die Erhaltung eines so gefeierten Mannes an seinem Hof legte, konnte dies Dienstverhältniß so lange währen lassen. Etwas [469] später hat des Fürsten Munificenz den Diener unter Belassung seiner Besoldung bei Entbindung von wirklichen Dienstleistungen noch freier gestellt. Hutten’s Genius hat den beengenden Zwang nur wenig empfunden. Fühlte er sich doch so frei, so sicher, daß in jenen Jahren ihm, dem Unruhevollen, allen Ernstes der Gedanke kam, sich mit einer jungen Frankfurterin zu vermählen. Kunigunde Glauburg war die Erwählte, welche ihm indessen nicht bestimmt war.
Kriegerisches Getümmel unterbrach die friedliche Beschäftigung im J. 1519. Während des nach Maximilians I. Tod eingetretenen Interregnums hatten neue Gewaltthaten das Maß des Herzogs Ulrich von Württemberg zum Ueberschäumen gebracht. Der durch die Ermordung Hans Hutten’s tödtlich beleidigte Adel des deutschen Westens fehlte selbstverständlich nicht unter den zu des Herzogs Sturz mitwirkenden Factoren. Auch H. schwang sich in den Sattel und machte den Frühjahrsfeldzug mit unter dem Commando Franz v. Sickingens, dem er seit Kurzem bekannt geworden war. Das Lagerleben führte rasch Vertraulichkeit zwischen beiden Edelleuten herbei. H. glaubte zu erkennen, daß in dem neugewonnenen Freund ein Geist lebte, der, wohlgeleitet, fähig sei große Ziele im großen Sinne zu erfassen. Was der Krieg begann, vollendete die nationalste Angelegenheit: das gemeinsame Eintreten für die als ersprießlichst erachtete Wahl Karls von Spanien zum Herrscher Deutschlands. Es währte länger als ein Jahr nach diesem Tag vereinten Triumphs, bis Kaiser Karl in Person in Deutschland erschien. Diese Zwischenzeit und die daran sich schließenden Momente bis zum Reichstag zu Worms, innerhalb deren allenfalls in weiteren Kreisen noch Zweifel bestehen konnte über die persönliche Gesinnung des neuen Herrschers, sind die eigentliche Glanzepoche der litterarischen Thätigkeit Hutten’s. Wenigstens soweit publicistische Thätigkeit gemessen zu werden verdient an ihrer Wirksamkeit, hat Hutten’s Agitation nach dem Wormser Tag den Höhepunkt hinter sich gelassen. Von den in zu hohem Grade erregten Erwartungen war keine erfüllt worden. Je weniger es nun möglich ist innerhalb der für diese Blätter nothwendigen Beschränkung den einzelnen Schöpfungen des Hutten’schen Geistes als Kunstprodukten gerecht zu werden, um so gebotener erscheint es im Zusammenhang die kirchlich-politischen Ueberzeugungen und Pläne Hutten’s zu erörtern. In allen wesentlichen Stücken ist das Programm im J. 1520 fertig und ausgebildet: die späteren Schriften gehen vielleicht an Wildheit des Ausdruckes und Energie des Hasses, nicht an Radicalismus der Forderungen über die des Jahres 1520 hinaus. Mit Fug und Recht, abgesehen von erklärlichen Inconsequenzen, dürfte H. in seiner „Clagschrift“ an alle Stände deutscher Nation behaupten, daß er nie um äußeren Vortheil gebuhlt, sondern daß „Hulde der warheyt und lieb meines vaterlands“ ihn zu sich gezogen. Liebe zur Wahrheit hatte ihn zum Gegner mönchischer Verknöcherung der Wissenschaft, Liebe zum Vaterland zum Gegner des römischen Papalsystems gemacht. Kirchlichen Fragen hatte er so fern wie möglich gestanden, ja in Luther’s Anfängen sich noch über das Mönchsgezänk erfreut, das die Kräfte der Gegner wissenschaftlicher Freiheit hoffentlich im gegenseitigen Hader aufreiben würde. Das war anders geworden. Seit die deutsche Entwickelung ihn dazu geführt statt launig-liebenswürdige Gespräche, wie die „Fortuna“ zu dichten, im „Vadiscus“ offen den Kampfruf gegen Rom erschallen zu lassen, hatte er Luther’s fortschreitende Entschiedenheit mit Befriedigung begrüßt. Seit Anfang 1520 ist H. erfüllt von der Zuversicht, daß in Luther der Mann entstanden sei, der römischen Tyrannei ein Ende zu machen. Er tritt mit ihm in brieflichen Verkehr. Wie ohne Zweifel Luther in mehrfacher Beziehung durch H. Beeinflussung erfahren hat, so durchdringt sich der Ritter, der des Mönches Theologie freilich etwas rationalistisch gegenüberstand, mit lutherischen Ideen. Unter dem zwiefachen Einfluß von lutherischen Ideen von der [470] Freiheit des Christenmenschen und der antichristlichen Tyrannei der Päpste einerseits und der Hoffnung auf eine nationale Politik des noch fernen Kaisers andererseits bildet sich Huttens Programm. In gewissem Sinne ist H. Unitarier. Mit aller Energie strebt er das Kaiserthum in seine Bahnen zu ziehen. Diesem und seiner Macht soll vor Allem die beabsichtigte Umwandlung deutschen Lebens zu Gute kommen. Als Karl sich dann dieser Aufgabe versagt, ist Hutten’s Rede im Grunde nur noch eine klingende Schelle. Während er immer noch eine Umkehr Karls ersehnt, appellirt er, nicht etwa wie Luther, der sich gerade da scharf von ihm scheidet, an das Fürstenthum, dem er wiederholt drohend seine antinationale Haltung vorgerückt, sondern an revolutionäre Kräfte. – Doch vorerst gilt es die Erneuerung kaiserlicher Macht. Die unrechtmäßige Gewalt des Papstthums ist zu beschränken und der Ausbeutung der deutschen Nation durch die Mißbräuche der curialistischen Verwaltung gründlich ein Ende zu bereiten. Die Zahl der Cardinäle und Bischöfe ist zu verringern, überhaupt die Menge unnützer Kleriker zu beschneiden. Statt 100 dünkt etwa einer dem Ritter genug. Die Klöster sollen ganz aufgehoben werden. Es ist dafür zu sorgen, daß statt der Courtisanen fromme und gelehrte Männer zu den geistlichen Stellungen in Deutschland gelangen. Von Anfang an wird bei diesem Vorgehen an das Beispiel der Böhmen erinnert. Soweit hat das Programm kaum besonders charakteristische Züge. Merkwürdigerweise pflegt das Weitere nicht scharf genug hervorgehoben zu werden, worin gerade der Patriot und der ritterliche Kriegsmann in H. zur hellsten Erscheinung kommen. Nichts liegt H. ferner als der Gedanke, die äußeren Früchte einer kirchlichen Reformation zur Stärkung des Fürstenthums dienen zu lassen. Die im Lande bleibenden Annaten, die überflüssig gewordenen Klöster, Pfründen etc. sollen zur Füllung eines „gemeinen Schatzes“ verwendet werden, aus dem nicht nur für die Pflichten der Menschenliebe und der Bildung gesorgt, sondern in erster Linie ein großes Kriegsheer zur Mehrung des Reichs und zum Widerstand der Türken aufgestellt werden soll (op. I. 396, IV. 396.). Durch die im Heere zu verdienenden Löhnungen, meint Hutten, würden viele, die jetzt aus Noth raubten, der Sache der Ordnung wiedergewonnen werden. Gerade der letzte Satz führt zu dem zwingenden Schluß, daß H. dem Kaiser mit Hülfe des disponiblen Kirchenguts ein stehendes Reichsheer, aus Rittern und Landsknechten, zur Verfügung stellen wollte. Welche Perspective, wenn man erwägt, daß mit einem so zusammengesetzten Heer eine antinationale Politik geradezu unmöglich war.
Aus diesem Inhalt des Reformplans begreift sich allein, wie mir dünkt, Hutten’s so lange unerschütterliche Hoffnung, Karl V. trotz aller Hemmnisse doch herüberziehen zu können. Er hatte etwas zu bieten. Auf Finanzen und Heer sollte sich die neue Monarchie aufbauen, welche ein Königthum der unteren Stände im Gegensatz zu den fürstlichen Interessen darstellen sollte.
Doch nehmen wir den biographischen Faden wieder auf. H. hatte sich, von seiner Dienstpflicht nicht gefesselt, nachdem die Aufregung der Wahlzeit sich gelegt, mit neuem Eifer litterarischen Arbeiten hingegeben. Die Verbindung des rednerischen mit dem dramatischen Element, wie sie die von Lucian entlehnte Form des Dialogs gestattete, ward von ihm in dieser Zeit mit glücklichem Instinct als die seinem Genius am meisten entsprechende Art der Produktion erkannt und ausgebildet. Gerade für publicistische Zwecke war dieselbe vorzüglich geeignet. Den Uebergang gewissermaßen von der noch durch das Gespräch „Fortuna“ bezeichneten älteren Periode Hutten’schen Dichtens und Trachtens zu der kampferfüllten Stimmung seiner großen politischen Dialoge bilden die beiden „Fieber“, in welchen das sittenlose Leben des geistlichen Standes gegeißelt und Vorschläge zu dessen Besserung discutirt werden. Bald griff H. mit schwerem [471] Geschütz in den Kampf ein, nachdem er jene bedeutungsvolle Sinnesänderung in sich durchgelebt, welche ihn zum Bundesgenossen Luther’s machte. Der Kampf gegen die römischen Tyrannen zur Befreiung des Vaterlandes ward ihm jetzt Lebensaufgabe. Schärferes hat in der That die Litteratur des Reformationszeitalters gegen Rom nicht hervorgebracht, als den Vadiscus oder die römischen Dreiheiten. Die etwa gleichzeitig Anfang 1520 entstandenen „Anschauenden“ stehen künstlerisch und inhaltlich gleich hoch. In diesem Gespräch hat sich der Dichter den stumpfen Uebermuth des vom Augsburger Reichstag her bekannten Legaten Cajetanus zum Gegenstand höhnischer Kritik gewählt. Mit diesen Leistungen hatte er die Brücke hinter sich abgebrochen. Das schon längst als Fessel empfundene Mainzer Dienstverhältniß ward allmählich der bare Widersinn, wenn auch bei Hutten’s heftigen Angriffen auf Kirche und Fürstenthum die Albrecht von Mainz zugewiesene Ausnahmestellung keinen offenen Bruch nöthig machte. Noch setzte er ja überhaupt Hoffnungen auf die bestehenden Gewalten. Warum sollte denn Karl nicht durchführen, was, wie im gleichen Jahre bekannt wurde, sein Großvater Maximilian geplant: eine Abstellung der römischen Mißbräuche? Wiederholt noch im Laufe dieses Jahres hat ihn H. aufgerufen die Führung der Nation in dieser Angelegenheit zu übernehmen. Sich selbst bot er zu diesem Zwecke als uneigennützigen, ja namenlosen Helfer an. Besonders hatte er seine Hoffnung auf Karls Bruder, Ferdinand, gesetzt, dem er schon im März 1520 seine Ausgabe der Schrift „De unitate ecclesiae conservanda“ gewidmet hatte. Im Sommer 1520 machte er sich auf den Weg zu Ferdinand nach Brüssel, um persönlich auf denselben einzuwirken. Er kam ganz unverrichteter Sache zurück, ja er fand bereits seine Sicherheit aufs Aeußerste gefährdet. Endlich hatte man am päpstlichen Hof Kenntniß genommen von Hutten’s Schriftstellerei und den zur Begrüßung des aus Spanien erwarteten Kaisers nach Deutschland gesendeten Legaten die Weisung ertheilt, auf Gefangennehmung und Auslieferung eines so gefährlichen Menschen zu dringen. Da, als die Städte sich ihm verschlossen, fand unser Ritter eine Zuflucht auf den Burgen seines Freundes Sickingen, den Herbergen der Gerechtigkeit, wie er sie deshalb nannte. H. hatte seinen Einfluß auf diesen gefürchteten Mann schon im württembergischen Feldzug erprobt. Seiner Fürsprache gelang es Sickingen für Reuchlin zu interessiren und dadurch dem geplagten Gelehrten Ruhe vor seinen Peinigern zu verschaffen. Seit H. begonnen sich für Luther’s Sache zu erwärmen, hatte er auch Sickingen dafür zu stimmen gewußt. Schon im Januar 1520 lud er im Namen dieses seines Gastfreundes durch Melanchthon Luther auf Sickingen’s Burgen ein, falls er des Schutzes bedürftig sei. Ganz in Sickingen’s Sinne hatte H. sich an Ferdinand zu lehnen versucht. Durch Sickingen, der seit 1519 in Karls Dienst stand und sich Einfluß auf denselben zutraute, hoffte er dem Kaiser selbst die Augen zu öffnen. Beide hatten sich so bereits in gemeinsamer Arbeit für ihre Auffassung der nationalen Wohlfahrt einander freundschaftlich genähert, als jenes Einschreiten des Papstes H. plötzlich aus seiner Bahn warf. Da suchte er im September 1520 eine Zuflucht auf Landstuhl und Ebernburg, Sickingen’s Burgen. Hier verbrachte er großentheils den Winter 1520/21 und es gelang ihm den Burgherrn, der vorher nur hochherzig Luther als Verfolgtem hatte Schutz verleihen wollen, jetzt völlig von der Wahrheit dessen zu überzeugen, was Luther gelehrt hatte (s. Sickingen). Hutten’s Wunsch, den Freund in diesen Anschauungen zu kräftigen, führte ihn zur Verdeutschung seiner Gespräche. Doch begann er überhaupt jetzt sich mit seinen Wünschen und Plänen an das Volk in dessen Sprache zu wenden, während er bisher zu den Studirten Latein gesprochen. Es hängt das zusammen mit seiner Entwickelung vom Humanisten zum Publicisten, ebenso wie die Ersetzung klassischer Aussprüche in seinen Schriften durch Sprüche [472] der heiligen Schrift. Auch politisch reift er weiter in der Noth der Zeit. H. hat sein Lebenlang den Stempel seines ritterlichen Standes getragen und sich nur schwer von gewissen Vorurtheilen gegen die Städte und das Bürgerthum frei gemacht. Die Volksstimmung, wie sie in zahllosen Flugschriften und dem ganzen Thun jener Zeit sich für Luther aussprach, machte ihn erst aufmerksam auf die wichtige Bundesgenossenschaft. Er und, was fast noch erfreulicher ist, Sickingen entschlossen sich den angefeindeten Pfeffersäcken weit vorgestreckt die Hand hinzureichen. Dieser veränderten Situation gaben Hutten’s neue Dialoge Ausdruck. Abgesehen von dieser Erweiterung der Grundlage, auf welche die verjüngte Kaisermacht behufs allseitiger Reformen sich stützen sollte, bleibt das Programm das alte. In der „Bulle“ wird, veranlaßt durch den gegen Luther geschleuderten Bannstrahl des Papstes, der Gegensatz der deutschen Freiheit zu römischer Anmaßung und Verderbniß nochmals zum energischsten Ausdruck gebracht. Im ersten und zweiten „Warner“ bildet die Reformation der Kirche mit ihren Chancen und Gefahren den Gegenstand. Mit voller Kühnheit, wie außerdem nur noch in den aus dem Herbst 1520 stammenden Sendschreiben, besonders dem an Friedrich von Sachsen, werden in den „Räubern“ Wege und Mittel allseitiger Reform erörtert. H. versagt es sich dabei nicht, den häufig bei ihm wiederkehrenden Gedanken, daß die vielgescholtenen Ritter eigentlich im viel geringeren Grad Räuber zu nennen seien, als Monopolisten, Juristen und Kleriker, nochmals zu pointiren. Doch ergibt gerade die Läuterung der Begriffe durch das Gespräch selbst, das wie nur wenige Städte Brutnester des Monopolismus, so nur eine Minderzahl der Ritterburgen Raubnester seien. Daher Verbindung Beider zum gemeinsamen Kampf! Daß H., wie man dem nicht seiner Feder entflossenen Dialog „Neukarsthans“ hat entnehmen wollen, auch an eine weitere Vereinigung der Reformelemente mit den aufgeregten Schichten des bäuerlichen Volks gedacht hätte, ist mit Sicherheit nicht festzustellen. Möglich wäre es schon, weil er mit diesen Kreisen sich zusammenfand in dem Streben die Reform durchzuführen zum Besten der kaiserlichen Macht. Sickingen’s Beifall dürften solche Pläne nicht gehabt haben.
Während so auf der sicheren Ebernburg rastlos gearbeitet und agitirt wurde, im regsten Verkehr mit den Freunden allerorts, nahte die Entscheidung. Hutten’s und auch Sickingen’s Wollen war darauf gestellt den nunmehr in Deutschland angekommenen König Karl dem Einfluß der ihn umgarnenden päpstlichen Partei zu entreißen, indem man ihm die Augen öffnete über deren Ziele. Das Verhalten Karls in der Angelegenheit Luther’s, das hier als bekannt vorausgesetzt werden muß, zeigt deutlich die Hoffnungslosigkeit dieses Strebens. Doch klammerte man sich noch weiter an die Aussicht, daß veränderte politische Constellationen einen Umschwung zu Ungunsten des Papstes in Bälde würden eintreten lassen. H. setzte die Täuschung nicht in Verlegenheit. Wünschte er auch mit aller Kraft seiner Seele den Kaiser an die Spitze der Bewegung, so war doch auch der Gedanke ihm nicht fremd gegen des Monarchen zeitigen Willen für dessen angebliches wahres Interesse zu kämpfen. Spannung, Sorge, Zorn wechselte auf Ebernburg in seiner Seele, während in dem nicht fernen Worms die Geschicke der Nation Anfangs 1521 entschieden wurden. Nach Karls anfänglichem Entschluß, die Bulle gegen Luther ohne dessen Anhörung in Kraft treten zu lassen, wußte er sich vor Wuth nicht zu lassen. Zeuge dessen sind sein mehr als dreistes Schreiben an den Kaiser selbst und seine völkerrechtswidrigen Invectiven gegen die Legaten, gegen welche er auch gar zu gerne einen Handstreich ins Werk gesetzt hätte, hätte ihn nicht Sickingen zurückgehalten. Dieser stand noch in des Kaisers Dienst: bald sollte er für denselben gegen Frankreich kämpfen. Auch H. hat, wenn nicht Alles trügt, zeitweise der Erwägung nachgegeben, [473] daß es auch für die von ihm vertretene Sache nützlich sein könne dem Kaiser neue Dienste zu leisten, um ihn sich mehr zu verpflichten. Anfang April erschienen auf der Ebernburg als unerwartete Gäste im kaiserlichen Auftrag der Beichtvater Glapion und der Ritter Paul von Armstorf. Als H. von ihnen erfahren, daß Luther zum Verhör vorgeladen sei, lenkte er ein. Er entschuldigte beim Kaiser sein letztes rücksichtsloses Vorgehen: er versprach, falls Karl befehle, künftig nicht mehr zu schreiben. Damals muß er in des Kaisers Dienst getreten sein, möglicherweise in der Form, daß er von Sickingen als kaiserlichem Feldherrn, als Doppelsöldner angenommen wurde für den bevorstehenden Feldzug. Der Umschwung ist allerdings überraschend, aber doch ohne Annahme schwächlicher Nachgiebigkeit oder gar feilen Sinneswechsels erklärbar eben durch die Phasen, welche damals die Sache Luther’s durchlief. Als H. erfuhr, wie wenig die Behandlung Luther’s in Worms durch den Kaiser dem Bilde entsprach, welches wol sein leicht erregbarer Geist nach den Eröffnungen der kaiserlichen Agenten sich gebildet, erkannte er rasch, daß er einen falschen Schritt gethan hatte. Noch einmal erwachte der Gedanke an den Curtisanen, d. h. an den abziehendem Legaten sein Müthchen zu kühlen, in ihm mit aller Kraft und um dazu und in jeder Beziehung freie Hand zu haben, schrieb er am 22. Mai bereits den Dienst des Kaisers wieder auf und bereitete sich vor die Ebernburg (Sickingen stand in Karls Dienst) zu verlassen. Wenn H. dann im Laufe des Herbstes doch die Absicht ausspricht, nach seiner Herstellung Sickingen ins Feldlager zu folgen, so hängt das mit dem kaiserlichen Dienst in keiner Weise mehr zusammen. Er folgte da nur dem sehr begreiflichen Trieb, dem Freund als Warner und Antreiber zur Seite zu stehen.
Als H. im Sommer 1521 Sickingen’s Burgen verließ, war er ebenso gebrochen am Körper wie geknickt in allen Hoffnungen. Er begann sich seines Vaterlandes zu schämen. Aber auch seine Reputation hatte gelitten. Den hochtönenden Worten waren keinerlei Thaten gefolgt. Die Freunde wurden irre, die Feinde riefen höhnend, daß H. wol belle, aber nicht beiße. Man hat das Gefühl, daß nach dem Wormser Reichstage H. sich in der Lage eines Kriegers befindet, der sein Pulver verschossen und nun halb wehrlos dem Angriff preisgegeben ist. Er verschwindet für einige Zeit fast völlig vom Schauplatz. Selbst intime Freunde, wie Eoban Hesse konnten schon im Sommer 1521 nicht ermitteln, wo sein Versteck war. Denn an einen verborgenen Ort, wo er zugleich seinen siechen Körper pflegen konnte, hatte H. sich damals zurückgezogen. Den Winter über hat er wahrscheinlich auf den Burgen Sickingen’s, dessen Verhältniß zum Reichsoberhaupt inzwischen lockerer geworden war, zugebracht. Zugleich verpuffte er den Rest seiner Kraft in kleinen litterarischen und persönlichen Händeln, die seiner nicht würdig waren. Sonst wissen wir wenig aus dieser Zeit von ihm. Daß er trotz aller Herabstimmung doch festhielt an seinen Ideen, ergeben jedoch seine Briefe und Schriften. Besonders war ihm der Gedanke einer engeren Verbindung zwischen Rittern und Städten wieder nahe gerückt. Noch wichtiger wäre es, wenn wir wüßten, welchen Antheil er genommen hat an der vorbereitenden Agitation zu der großen ritterschaftlichen Bewegung des J. 1522. Doch wird im Sommer 1522 nur ganz im Allgemeinen durch Butzer der H. mit Sickingen gemeinsamen und im Fortgang befindlichen Pläne für das Evangelium und gegen die Tyrannei der Großen gedacht. Etwas nur hebt sich mit voller Bestimmtheit aus dem dunkelen Hintergrund ab: Welche spezielle Richtung seine sich gleich bleibenden Pläne damals auch genommen haben mögen, weniger wie je rechnet er bei deren Erfüllung auf die Kräfte des Fürstenthums. Dieser praktische Gesichtspunkt schon macht es unwahrscheinlich, daß nach Worms noch zwischen ihm und Luther ein Einverständniß über die Ziele bestanden haben könnte. Was H. bereits im zweiten Warner seinem Sickingen in den Mund gelegt, [474] gilt jetzt für den Dichter selbst: er sucht im kaiserlichen Interesse zu wirken für Zwecke, die im Augenblick vom Kaiser verleugnet sind. In diesem Sinne faßte er wol den Angriff auf Trier auf, der ihm nur der Anstoß zu allgemeinerer Umgestaltung sein sollte. Von gegnerischer Seite wird seiner als eines dabei in Person Anwesenden gedacht.
Als Franzen’s Fehde gegen Trier ein so unglückhaftiges Ende genommen, war auch Hutten’s Bleiben nicht länger in Deutschland. Die „Mauer“, an die er, seinem Ausdruck nach, sich gelehnt, begann zu wanken. Krank bis ins innerste Mark, von Mitteln entblößt, suchte er nach kurzem Aufenthalt in Schlettstadt in Basel eine Zuflucht unter dem ihm bereitwillig zugestandenen Schirm des Rathes. Hier sollte ihn der letzte große, freilich nicht unverschuldete Schmerz seines Lebens treffen. Erasmus, der angebetete Heros der Humanisten, sagte sich los von dem Jünger der stillen Musen, der als Publicist und Reformer mit allen bestehenden Mächten in unlösbaren Zwiespalt gerathen war. Die Furcht bei hohen Gönnern anzustoßen und die Besorgniß für den kranken und mittellosen ehemaligen Freund zu tief in den eigenen Beutel greifen zu müssen, veranlaßten Erasmus in häßlichster Weise sich Hutten’s Besuch zu verbitten. Zwischenträger haben das Feuer geschürt. Unter solchen Umständen konnte der Verfehmte nicht lange in Basel weilen, da auch der Rath ihm den Schirm aufkündigte. Im Augustinerkloster des nahen Mühlhausen fand er für einige Monate Unterkunft. Hier war es, wo er mit dem Rest seiner Kraft jene herbe Herausforderung schrieb gegen den in seinen Augen abtrünnigen Erasmus, die dieser in seinem giftgeschwollenen „Schwamm“ überbot. Wie mußten die Dunkelmänner jubeln über diesen Zwist! Auch Hutten’s Freunde waren mit seiner Schrift unzufrieden. Damals muß er auch mit einer weiteren Arbeit „In tyrannos“ beschäftigt gewesen sein, einem Angriff auf Sickingen’s Gegner. Es zeichnet grell die Verlassenheit Hutten’s, daß er etwas später diese Arbeit behufs des Druckes seinem Freund Eoban Hesse in Erfurt zusandte, der, lüstern nach einer hessischen Anstellung, sich gerade erboten hatte, sein poetisches Talent in den Dienst der Bezwinger Sickingen’s zu stellen! So ist diese Schöpfung Hutten’schen Geistes nicht gedruckt worden und gänzlich verschollen. Ob der nach seinem Tod herausgegebene patriotische Dialog „Arminius“ auch in seine letzte Zeit fällt oder schon früher verfaßt ist, bleibt zweifelhaft. Neben diesen litterarischen Arbeiten war er wie in Basel so auch in Mühlhausen ruhelos thätig für die Reform. Daher war er auch am letzteren Orte nicht mehr sicher, als nach Sickingen’s Tod auch hier die Anhänger des Alten neuen Muth schöpften. Ende Mai oder Anfang Juni 1523 entfloh er heimlich nach Zürich. Da war es Zwingli, der sich des Vertriebenen annahm und mit seiner Fürsorge die letzten Tage des vom Schicksal hart heimgesuchten Kämpfers für geistige und nationale Freiheit erhellte. Noch aus dem Juli 1523 besitzen wir aus Zürich Briefe Hutten’s, die seinen Muth noch immer ungebeugt zeigen. Zwinglis Vermittlung verschaffte dem Leidenden die Möglichkeit, die Bäder zu Pfäfers zu gebrauchen. Doch vergebens, ungeheilt kehrte er nach Zürich zurück. Als ihm auch hier die argwöhnische Verfolgung seiner Feinde nachspürte, suchte er Verborgenheit und zugleich Linderung seiner Leiden auf der Insel Ufnau im Züricher See. Hier ereilte ihn der Tod Ende August oder Anfang September 1523. Er starb arm wie er gelebt, da auch der Anfang 1522 erfolgte Tod seines Vaters seine Verhältnisse nicht verbessert hatte. Wohin sein litterarischer Nachlaß, besonders auch an Briefen der Zeitgenossen, gekommen ist, ist unbekannt.
- Das Material zu Hutten’s Biographie findet sich mit geringfügigen Ausnahmen gesammelt in: Ulr. Hutteni opera ed. E. Böcking, 5 Bände und 2 Supplementbände. Von Biographien nenne ich nur: D. F. Strauß, Ulrich [475] v. Hutten, 1858. In zweiter verbesserter Auflage 1871 und daraus unverändert in den gesammelten Schriften Bd. VII (1877) abgedruckt. Für einzelne Fragen und Verhältnisse hebe ich aus der Litteratur noch hervor: Kampschulte, Die Universität Erfurt in ihrem Verhältniß zu Humanismus und Reformation. – H. Ulmann, Franz v. Sickingen. – C. Krause, H. Eobanus Hessus.