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ADB:Budge, Ludwig Julius

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Artikel „Budge, Julius“ von Paul von Grützner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 337–339, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Budge,_Ludwig_Julius&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 18:16 Uhr UTC)
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Budge: Ludwig Julius B., geboren am 11. September 1811 in Wetzlar, jüdischer Abstammung, studirte nach Absolvirung des Gymnasiums seiner Vaterstadt von 1828–33 in Marburg, Berlin und Würzburg Medicin und beendete seine Studien in Berlin, woselbst er am 31. Juli 1833 mit der historisch-philosophischen Dissertation: „De definitione morbi“ promovirte. Ein Jahr später nach beendetem Staatsexamen wird er praktischer Arzt in Wetzlar und Altenkirchen (Regbz. Coblenz) und nimmt diese Stellung bis zum Jahre 1842 ein. Aber schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit rein wissenschaftlichen, experimentellen Fragen, und zwei größere Arbeiten „Die Lehre vom Erbrechen“ (Bonn 1840), sowie „Untersuchungen über das Nervensystem“ (Frankfurt a. M. 1841 und 1842) bezeugen seinen wissenschaftlichen Trieb und die Gewandtheit im Experimentiren selbst unter ungünstigen äußeren Verhältnissen. Sie enthalten den Keim zu allen seinen späteren Arbeiten, die er so wie diese ganz aus sich selbst heraus geschaffen hat. Denn B. war durchaus ein selfmade man. Diese Thatsache läßt vollkommen seine etwas isolirte Stellung gegenüber einigen zunftmäßigen Vertretern der Wissenschaft, sowie namentlich diejenige der letzteren gegen ihn verstehen (s. unten).

Im Sommer 1842 habilitirte sich B., der inzwischen auch Dr. phil. geworden war, als Docent an der medicinischen Facultät in Bonn, verheirathete sich 1843 mit Helene Butschbach, wurde 1847 daselbst Extraordinarius, 1855 Ordinarius und 1856 als Professor der Anatomie und Physiologie nach Greifswald berufen. Zu gleicher Zeit wurde er zum Director nicht bloß dieser Institute (das „physiologische“ war allerdings nur ein kleiner Anhang des anatomischen), sondern auch des zootomischen Instituts ernannt, wie denn auch B. in Bonn neben anatomischen und physiologischen Vorlesungen solche über Zoologie gehalten hat. Bis zum Sommer 1873 vertrat er die beiden ersten, umfangreichen, medicinischen Wissenschaften allein, von da ab aber nur noch die Anatomie, während L. Landois sein Nachfolger in der Physiologie wurde. Am 14. Juli 1888 verschied er in Greifswald, nachdem ihm seine Gattin 1879 und sein Sohn Dr. med. Albrecht B., außerordentl. Professor der Anatomie in Greifswald, 1885 im Tode vorangegangen waren und ihn nur noch eine Tochter mit einer Enkeltochter überlebt.

B., der allein als Lehrer in Greifswald über eine mehr als 30jährige reiche Lehrthätigkeit zurückblicken konnte, hat als Mann der Wissenschaft im wesentlichen folgende Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie und Physiologie aufzuweisen. Zunächst ertheilte er technische Rathschläge betreffend den anatomischen Unterricht („Anleitung zu den Präparirübungen“ 1865/66; „Ein gutes Mittel zur Conservirung der Leichen“, Virchow’s Archiv Bd. 5, S. 172, 1858, nämlich Injection von Holzessig und schwefelsaurem Zink je 8–12 Loth auf 7 Pfund Wasser in die Carotiden; „Wann sollen die Medicin Studirenden anfangen zu präpariren?“, Deutsche med. Wochenschr. Nr. 11, 1884); weiter veröffentlichte er eine Reihe zoologisch-anatomischer Arbeiten mehr beschreibenden Inhalts, die sich hauptsächlich in den Verhandlungen des naturhistor. Vereins in Bonn Bd. 3–13, sowie in Joh. Müller’s Archiv für Anatomie von 1847 an niedergelegt finden. Von Bedeutung auf diesem Gebiete sind seine Untersuchungen über den Bau und das Wachsthum des quergestreiften Muskels und über den Verlauf der Gallengänge. In der ersteren Arbeit (Moleschott’s Untersuchungen zur Naturlehre Bd. 6, S. 41, [338] 1859) wird durch Isolirung eines Muskels in seine Fasern vermittelst Salpetersäure, und chlorsaurem Kali gezeigt, daß beim Wachsen des Muskels nicht bloß die Dicke, sondern auch die Zahl der einzelnen Fasern (allerdings nicht in dem Maaße, wie B. angab) zunimmt, in der zweiten (Archiv f. Anatomie 1859, S. 642) zum ersten Male der wichtige und unzweifelhafte Nachweis geführt, daß die ganze Leber von einem continuirlichen, injicirbaren Netz feinster Capillaren durchzogen ist, die zwischen den Leberzellen liegen und in die größeren Gallengänge übergehen.

Von seinen physiologischen Arbeiten heben wir als die wichtigsten folgende heraus. Er geht von der bekannten Thatsache aus, daß die sogenannten „animalen“, willkürlichen Muskeln unter dem unmittelbaren Einfluß des Centralnervensystems stehen und durch Isolirung von demselben zu unwiederbringlicher Ruhe, ja zum Tode verurtheilt sind, während die „vegetativen“ Organe (Magen, Darm, Harnblase und auch das Herz) verhältnißmäßig unabhängig von dem Centralnervensystem sind. Sie bewegen sich weiter, selbst wenn man sie ganz und gar aus dem Körper entfernte. Gehirn und Rückenmark hatten also, wie man meinte, keinen Einfluß auf das vegetative Leben. Dasselbe stand vielmehr unter der Herrschaft des sympathischen, des sog. Gangliennervensystems. Diese Stellung des sympathischen Nervensystems erschüttert zu haben, ist das wesentliche Verdienst Budge’s und bezeichnet zugleich einen bedeutsamen Fortschritt in unserer Wissenschaft. Schon in seinen ersten Arbeiten („Beitrag zur Lehre von den Sympathien“, Arch. f. Anat. 1839, S. 389 und in seinen „Untersuchungen über das Nervensystem“, 1841) zeigte er, daß durch Reizung verschiedener Stellen des Cerebrospinalnervensystems (nämlich der Vierhügel, des gestreiften Körpers, des Kleinhirns und Rückenmarks) Bewegungen in den vegetativen Organen (Darm, Geschlechtstheilen, Herz) ausgelöst werden können. Genauer wird diese Angelegenheit verfolgt in der Arbeit über das Centrum genitospinale, d. h. einer Stelle im Lendenmark, aus welchem sympathische motorische Fasern entspringen, die zu den Geschlechtsorganen gehen (Virchow’s Archiv Bd. 15, S. 115, 1858), sowie weiter in der überaus wichtigen Untersuchung über die Innervation der Iris (Archiv f. physiol. Heilkunde, Jahrg. 11, S. 773, 1852 und ausführlicher in: „Bewegung der Iris“, 1855), in welcher B. nachweist, daß entgegen früheren Angaben der Oculomotorius die Pupille verengt, während der sie erweiternde Sympathicus am Halse von unten nach oben verläuft und aus dem Rückenmark (Ende des Halsmarkes Anfang des Brustmarkes), im „Centrum ciliospinale“ entspringt. Diese Entdeckung wurde von der Pariser und Brüsseler Akademie preisgekrönt. Schließlich erwähnen wir noch seine wichtigste Entdeckung, nämlich diejenige vom Einfluß des Vagus auf das Herz (Archiv f. Anat. 1846, S. 255). Er findet durchaus selbständig, daß Reizung des verlängerten Markes, sowie eines Vagus beim Frosch vermittelst eines magneto-elektrischen Rotationsapparates das Herz zum Stillstand bringt. Die gleiche Thatsache wurde bekanntlich auch von E. H. Weber und E. Weber etwas früher als von B. entdeckt. Wir müssen aber, wenn wir gerecht sein wollen, auch B. als selbständigen Entdecker dieser Thatsache neben den Gebrüdern Weber nennen. (Vgl. E. Weber, Muskelbewegung, in Wagner’s Handwörterbuch d. Physiol. Bd. 3, Abth. 2, 1846, S. 42 u. 120, sowie J. Budge, ebenda Bd. 3, Abth. 1, S. 407 u. 412 und dessen „Lehrbuch der Physiologie“, 1862, S. 324.)

Von einigen oben nicht erwähnten wichtigeren Arbeiten seien hier noch die Titel mitgetheilt: „Allgemeine Pathologie“ (Bonn 1845), „Ueber den Verlauf der Nervenfasern im Rückenmarke des Frosches“ (Arch. f. Anat. 1844, S. 160), „Neue Untersuchungen über das Nervensystem“ in Gemeinschaft mit A. Waller [339] (Froriep’s Tagesberichte 1851, Nr. 413, S. 305), „Ueber die verschiedene Reizbarkeit eines und desselben Nerven an verschiedenen Stellen desselben“ (Virchow’s Arch. Bd. 18, S. 457, 1860 und ebenda Bd. 28, 1863, S. 282), „Ueber die Musculi intercostales“ (Arch. f. physiol. Heilkunde 1857, S. 63), „Ueber den Einfluß des Nervensystems auf die Bewegung der Blase“ (Zeitschr. f. ration. Medic. Bd. 21, 1864, S. 1 u. 174 und Bd. 23, 1865, S. 78; Pflüger’s Arch. Bd. 6, 1872, S. 306), „Muthmaßungen über die Function des M. stapedius“ (ebenda Bd. 9, S. 460, 1874).