Zum Inhalt springen

ADB:Leuckart, Rudolf

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Leuckart, Karl Georg Friedrich Rudolf“ von Wilhelm Heß in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 672–675, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Leuckart,_Rudolf&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 01:02 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Letzner, Karl
Nächster>>>
Leudesius
Band 51 (1906), S. 672–675 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Rudolf Leuckart in der Wikipedia
Rudolf Leuckart in Wikidata
GND-Nummer 118572180
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|51|672|675|Leuckart, Karl Georg Friedrich Rudolf|Wilhelm Heß|ADB:Leuckart, Rudolf}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118572180}}    

Leuckart: Karl Georg Friedrich Rudolf L., einer der hervorragendsten Zoologen des 19. Jahrhunderts, wurde am 7. October 1822 als Sohn des Buchdruckereibesitzers G. Leuckart in Helmstedt geboren. Er besuchte das Gymnasium seiner Vaterstadt und zeichnete sich als Schüler in jeder Weise aus, so daß er, obwol er vielfach durch Krankheit gehindert wurde am Unterrichte Theil zu nehmen, doch mit 15 Jahren schon nach Prima versetzt wurde. Die Naturwissenschaften erregten sein besonderes Interesse und schon als Schüler begann er Insecten, namentlich Käfer, zu sammeln und fand in H. v. Heinemann, dem bekannten Lepidopterologen, welcher damals als Auditor in Helmstedt lebte, einen eifrigen Förderer seiner Bestrebungen.

Nach Absolvirung des Gymnasiums bezog L. 1842 die Universität Göttingen, um Medicin und Naturwissenschaften zu studiren. Hier fand er in dem berühmten Physiologen Rudolf Wagner einen väterlichen Freund. Sein Verhältniß zu ihm schildert er in einer Rudolf Wagner gewidmeten Schrift: „Sie sind es gewesen, der mich eingeführt hat in den heiligen Tempel einer Wissenschaft, vor dessen Pforte bereits der Knabe mit Sehnsucht des Eintritts harrte, der mich begeistert hat durch das lebende Wort, das seinen Lippen entströmt ist. Ihr Rath, Ihr Beistand ist es gewesen, der bestimmend und fördernd überall mir zur Seite gestanden. Dem Schüler haben Sie Freundesrechte verstattet. Sie haben ihn aufgenommen unter ihr gastliches Dach, in den Kreis Ihrer liebenswürdigen Familie“. 1845 bestand L. das Staatsexamen und wurde Rudolf Wagner’s Assistent. Noch in demselben Jahre [673] veröffentlichte er gemeinsam mit Heinrich Frey seine erste größere Arbeit, eine Neubearbeitung des ersten Theiles von Rudolf Wagner’s Lehrbuch der vergleichenden Anatomie: „Die Anatomie der wirbellosen Thiere“, Leipzig 1845. Ferner löste L. in demselben Jahre die von der medicinischen Facultät gestellte Preisaufgabe durch seine Arbeit: „De monstris eorumque causis et ortu“, Göttingae 1845, in so vorzüglicher Weise, daß ihm einstimmig der Preis zuerkannt und er auf Grund dieser Arbeit zum Doctor promovirt wurde. 1847 habilitirte sich L. als Privatdocent der Zoologie.

Eine Forschungsreise an die norddeutsche Küste und deren Inseln, welche er zusammen mit H. Frey unternahm, gab ihm Veranlassung, seine Beobachtungen mit diesem gemeinsam zu veröffentlichen: „Beiträge zur Kenntniß der wirbellosen Thiere mit besonderer Berücksichtigung der Fauna des norddeutschen Meeres“, Braunschweig 1847, ein Werk, welches eine reiche Fülle höchst sorgfältiger Untersuchungen brachte. In dieser Schrift hatte er bereits angedeutet, daß die Cuvier’schen Typen nicht ausreichten. Er begründete diese Ansicht noch ausführlicher in einer Schrift: „Ueber die Morphologie und die Verwandtschaftsverhältnisse der wirbellosen Thiere. Ein Beitrag zur Charakteristik und Classification der thierischen Formen“, Braunschweig 1848. Er theilte die Cuvier’schen Radiaten auf Grund der anatomischen und entwicklungsgeschichtlichen Verhältnisse in Coelenteraten und Echinodermata. Huxley bezeichnet diese Theilung als den bedeutendsten Fortschritt in der thierischen Systematik seit Linné. In den folgenden Jahren entwickelte L. eine rege litterarische Thätigkeit. Zunächst begann er seine wichtigen Berichte über die Leistungen in der Naturgeschichte der niederen Thiere in dem Archiv für Naturgeschichte, dessen Mitherausgeber er später wurde, zu veröffentlichen und setzte dieselbe bis 1883 fort. Ferner begann er mit seinen bedeutungsvollen Arbeiten über die Zeugung: „Zur Morphologie und Anatomie der Geschlechtsorgane“, Göttingen 1848; „Article Semen“ in Todd’s Cyclopedia of Anatomie, Vol. IV, Pars I, 1847–49 und „Article Vesicula prostatica“ ebd. Vol. IV, Pars II, 1849–52.

Im J. 1850 wurde L. als außerordentlicher Professor nach Gießen berufen und 1855 zum ordentlichen Professor ernannt. In die Zeit seiner Gießener Lehrthätigkeit fallen eine Menge wichtiger, zum Theil bahnbrechender Arbeiten. Zunächst setzte er seine Arbeiten über die Zeugung fort und veröffentlichte seinen berühmten Artikel „Zeugung“ in R. Wagner’s Handwörterbuch der Physiologie, Leipzig 1853, S. 707–1000. Die Lehre von der Befruchtung förderte er wesentlich durch die Entdeckung der Mikropyle bei den Insecteneiern, durch welche die Samenfäden in das Ei eindringen: „Ueber die Mikropyle und den feinern Bau der Schalenhaut bei den Insecteneiern“ in Müller’s Archiv für Anatomie 1855, S. 90–264. Ferner sind von entwicklungsgeschichtlichen Arbeiten dieser Periode besonders hervorzuheben: „Die Fortpflanzung und Entwickelung der Pupiparen“, Halle 1858; „Zur Kenntniß des Generationswechsels in der Parthenogenesis bei Insecten“, Frankf. 1858; „Die Fortpflanzung der Rindenläuse, Coccina“ im Archiv f. Naturgeschichte, 25. Jahrg., 1. Bd. 1859; „Bau und Entwickelungsgeschichte der Pentastomen“, Leipzig und Heidelberg 1860. Auch die von Pfarrer Dzierzon aufgestellte Lehre von der Parthenogenesis der Bienen begründete er wissenschaftlich, indem er mikroscopisch nachwies, daß in den Eiern, aus denen sich Drohnen entwickeln, keine Samenfäden zu finden sind, während sie in den Eiern, aus denen sich Königinnen oder Arbeiterinnen entwickeln, nachzuweisen sind. Auch die Bezeichnung Arrenstokie (Dronenbrütigkeit) stammt von L. her, Eichstädt. [674] Bienen-Zeitung, 13. Bd. 1857; 16. Bd. 1860. Aber nicht allein auf diese Arbeiten über Zeugung und Fortpflanzung beschränkte sich L. Er machte sich auch auf anderen Gebieten der Zoologie rühmlichst bekannt. So veröffentlichte er mit Professor Bergmann zusammen: „Anatomisch-physiologische Uebersicht des Thierreichs. Vergleichende Anatomie und Physiologie“, Stuttgart 1852. Hatte L. in früheren Schriften schon mit der bisher geltenden Herrschaft der Systematik gebrochen und die Morphologie in den Vordergrund gestellt, so suchte er hier „die wunderbare Harmonie in den Verhältnissen der einzelnen Stücke eines Thieres und in der Bildung der einzelnen thierischen Formen“ nachzuweisen. Dr. Zacharias bezeichnet dieses Werk auch heute noch als eine Fundgrube anregender Gedanken, welchem man eine zeitgemäße Bearbeitung dringend wünschen möchte.

Von großer Bedeutung für die Wissenschaft waren seine Arbeiten über die Siphonophoren: „Ueber Polymorphismus der Individuen oder die Erscheinung der Arbeitstheilung in der Natur“, Gießen 1851, und „Zoologische Untersuchungen“, Gießen 1853–54. Er erkannte, daß diese bisher für Einzelwesen gehaltenen Thiere polymorphe Thierstöcke sind und führte den Begriff des Polymorphismus in die Wissenschaft ein. Seine Arbeiten über die Fortpflanzung der Thiere führten L. zu demjenigen Zweige der Zoologie, welchem er sich in der Folgezeit vorwiegend widmete, auf dem er wichtige und grundlegende Entdeckungen machte und den er wie kein Anderer beherrschte, auf den Parasitismus. Mit Benutzung des Thierversuchs entdeckte er zunächst die Entwicklung des Blasenwurms zum Bandwurm: „Die Blasenwürmer und ihre Entwicklung“, Gießen 1856, und „Helminthologische Experimentalversuche“ in Göttinger Nachrichten 1862; und ferner unabhängig von Virchow und Zenker die Entwicklung der Trichine: „Untersuchungen über Trichina spiralis. Zugleich ein Beitrag zur Kenntniß der Wurmkrankheiten“, Leipzig und Heidelberg 1860. Diese Untersuchungen gaben hauptsächlich Veranlassung zur Einrichtung der allgemeinen Fleischschau. Es reihen sich noch zahlreiche Untersuchungen verschiedener Parasiten an und das Resultat aller dieser Untersuchungen war das berühmte, unübertroffene Werk: „Die Parasiten des Menschen“, Leipzig 1863–69.

Als Burmeister 1860 nach Argentinien übersiedelte, wurde L. von der philosophischen Facultät bei dem preußischen Cultusministerium als Nachfolger desselben in Vorschlag gebracht. Allein dieses hatte kein Verständniß für die von L. vertretene neue Richtung und berief einen Vertreter der alten Schule. 1869 folgte L. einem Rufe als ordentlicher Professor der Zoologie und Zootomie an die Universität Leipzig. Mit rastlosem Eifer setzte er hier die Untersuchungen über die Parasiten fort und bereicherte dies Gebiet durch zahlreiche neue Entdeckungen. Namentlich hervorzuheben sind die Arbeiten über die Entwicklungsgeschichte des Leberegels, Distomum hepaticum, im „Zoologischen Anzeiger“, 4. Jahrg. 1881 und 5. Jahrg. 1882. Während L. bisher nur Arbeiten über die wirbellosen Thiere veröffentlicht hatte, schrieb er jetzt auch über Wirbelthiere und bewies damit, daß er auch auf diesem Gebiete der Zoologie ebenso bewandert war wie auf dem der wirbellosen Thiere. So erschien die „Organologie des Auges. Vergleichende Anatomie“, Leipzig 1875, und „Ueber Bastard-Fische“ im Archiv f. Naturgeschichte, 48. Jahrg., 1. Bd., 1882. Bemerkenswerth sind ferner noch die „Zoologischen Wandtafeln zum Gebrauch an Universitäten und Schulen“, Kassel 1877–98, welche er in Verbindung mit H. Nitsche und später mit L. Chun herausgab, ein Unterrichtsmittel, welches unübertroffen dasteht. Ferner gab er mit L. Chun zusammen die Zeitschrift „Bibliotheca Zoologica“, Kassel 1888–98 heraus.

[675] Ein schwerer Schlag traf L. durch den Tod seines einzigen hoffnungsvollen Sohnes und einer seiner Töchter, den er nie ganz hat überwinden können. Anfang 1898 erkrankte L. an Lungenentzündung. Schon hatte er die Krankheit überwunden, als am 6. Februar ein Herzschlag seinen Tod herbeiführte. L. war ein unermüdlicher, sorgfältiger Forscher und ein ausgezeichneter Lehrer, der mit seinem reichen Wissen einen glänzenden Vortrag verband. Seine Vorlesungen waren berühmt und wurden von weither besucht. Sein Leben war reich an Ehren. 27 neue Arten sind nach ihm benannt. Zahlreiche Akademien und gelehrte Gesellschaften haben ihn zum Ehrenmitgliede und correspondirenden Mitgliede ernannt und zahlreiche Orden und Ehrenzeichen sind ihm zu Theil geworden. Die zoologische Wissenschaft betrauert in ihm einen hervorragenden Meister.

Nekrolog: Victor Carus, Zur Erinnerung an Rudolf Leuckart, im Bericht über d. Verhandl d. Kgl. Sächs. Gesellsch. d. Wiss., 50. Bd. 1898. – Taschenberg, Rudolf Leuckart in Leopoldina Heft XXXV, Nr. 4, 1899.