Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I/Brüderchen und Schwesterchen

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Das Lumpengesindel Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I von Johannes Bolte, Jiří Polívka
11. Brüderchen und Schwesterchen
Rapunzel
Für verschiedene Auflagen des Märchens der Brüder Grimm siehe Brüderchen und Schwesterchen.

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11. Brüderchen und Schwesterchen. 1856 S. 20.

1812 nr. 11; umgearbeitet 1819: nach zwei Erzählungen aus den Maingegenden, die sich vervollständigen; in der einen fehlt der Umstand, daß das Hirschlein in die Jagd hineinspringt und den König durch seine Schönheit lockt. Beide stammen von der Marie im Wildschen Hause zu Kassel; die erste vom 10. März 1811 ist in der ersten Ausgabe 1812 S. 33 gedruckt:

Brüderchen nahm sein Schwesterchen an der Hand und sagte ‘Seit die Mutter tot ist, haben wir keine gute Stunde mehr. Die Stiefmutter schlägt uns alle Tage, und wenn wir zu ihr kommen, stößt sie uns mit dem Fuß fort; sie gibt uns auch nichts zu essen als harte Brotkrusten; dem Hündlein unter dem Tisch gehts besser, dem wirft sie doch manchmal was Gutes zu; daß Gott erbarm, wenn das unsre Mutter wüßte! Komm, laß uns miteinander fortgehen!’ Sie gingen zusammen fort und kamen in einen großen Wald, da waren sie so traurig und so müde, daß sie sich in einem hohlen Baum setzten und da Hungers sterben wollten.

Sie schliefen zusammen ein, und wie sie am Morgen aufwachten, war die Sonne schon lange aufgestiegen und schien [recht] heiß in den hohlen Baum hinein. ‘Schwesterchen,’ sagte das Brüderchen nach einer Zeit, ‘mich dürstet so gewaltig; wenn ich ein Brünnlein in der Nähe wüßte, ich ging hin und tränk einmal; es ist mir auch, als hörte ich eins [80] rauschen.’ – ‘Was hilft das,’ antwortete das Schwesterchen, ‘warum willst du trinken, da wir doch Hungers sterben wollen?’ – Brüderchen aber schwieg still und stieg heraus, und weil es das Schwesterchen immer fest mit der Hand hielt, mußte es mit heraussteigen. Die böse Stiefmutter aber war eine Hexe, und wie sie die zwei Kinder hatte fortgehen sehen, war sie ihnen nachgegangen und hatte ein klares Brünnlein in der Nähe des Baums aus dem Felsen springen lassen, das sollte durch sein Rauschen die Kinder herbeilocken und zum Trinken reizen; wer aber davon trank, der ward in ein Rehkälbchen verwandelt.[1] Brüderchen kam bald mit dem Schwesterchen zu dem Brünnlein, und als er es so glitzerig über die Steine springen sah, ward seine Lust immer größer, und er wollte davon trinken. Aber dem Schwesterchen war angst; es meinte, das Brünnlein spräche im Rauschen[2] und sagte: ‘Wer mich trinkt, wird zum Rehkälbchen; wer mich trinkt, wird zum Rehkälbchen’. Da bat es das Brüderchen, nicht von dem Wasser zu trinken. ‘Ich höre nichts’, sagte das Brüderchen, ‘als wie das Wasser so lieblich rauscht. Laß mich nur gehen!’ Damit legte es sich nieder, beugte sich herab und trank, und wie der erste Tropfen auf seine Lippen gekommen war, da lag ein Rehkälbchen an dem Brünnlein.

Das Schwesterchen weinte und weinte, die Hexe aber war böse, daß sie es nicht auch zum Trinken hatte verführen können. Nachdem es drei Tage geweint, stand es auf und sammelte die Binsen in dem Wald und flocht ein weiches Seil daraus. Dann band es das Rehkälbchen daran und führte es mit sich. Es suchte ihm auch eine Höhle, trug Moos und Laub hinein und machte ihm ein weiches Lager; am Morgen ging es mit ihm hinaus, wo zartes Gras war, und sammelte das allerschönste, das fraß es ihm aus der Hand, und das Rehkälbchen war dann vergnügt und spielte auf den Hügeln. Abends aber, wenn Schwesterchen müde war, legte es seinen Kopf auf den Rücken des Rehkälbchens, das war sein Kissen, und so schlief es ein. Und hätte das Brüderchen nur seine menschliche Gestalt gehabt, das wäre ein herrliches Leben gewesen.

So lebten sie lange Jahre in dem Wald. Auf eine Zeit jagte der König und verirrte sich darin. Da fand er das Mädchen mit dem Tierlein in dem Wald und war erstaunt über seine Schönheit. Er hob es zu sich auf sein Pferd und nahm es mit, und das Rehkälbchen lief an dem Seile nebenher. An dem königlichen Hof ward ihm alle Ehre angetan, schöne [81] Jungfrauen mußten es bedienen, doch war es selber schöner als alle andern; das Rehkälbchen ließ es niemals von sich und tat ihm alles Gute an. Bald darauf starb die Königin, da ward das Schwesterchen mit dem König vermählt und lebte in allen Freuden.

Die Stiefmutter aber hatte von dem Glück gehört, das dem armen Schwesterchen begegnet; sie dachte, es wäre längst im Wald von den wilden Tieren gefressen worden; aber die hatten ihm nichts getan, und nun war es Königin im Reich. Die Hexe war so böse darüber, daß sie nur darauf dachte,[3] wie sie ihr das Glück verderben könnte. Als im folgenden Jahr die Königin einen schönen Prinzen zur Welt gebracht hatte und der König auf der Jagd war, trat sie in der Gestalt der Kammerfrau in die Stube, worin die Kranke lag. ‘Das Bad ist für Euch bereitet’, sagte sie, ‘das wird Euch wohltun und stärken. Kommt, eh es kalt wird!’ Sie führte sie darauf in die Badestube; wie die Königin hineingetreten war, schloß sie die Türe hinter ihr zu; drin aber war ein Höllenfeuer angemacht, da mußte die schöne Königin ersticken. Die Hexe hatte eine rechte Tochter, der gab sie ganz die äußerliche Gestalt der Königin und legte sie an ihrer Stelle in das Bett. Der König kam am Abend heim und wußte nicht, daß er eine falsche Frau habe. Aber in der Nacht, sah die Kinderfrau, trat die rechte Königin in die Stube; sie ging zur Wiege, nahm ihr Kind heraus, hob es an ihre Brust und gab ihm zu trinken; dann schüttelte sie ihm sein Bettchen auf, legte es wieder hinein und deckte es zu. Darauf ging sie in die Ecke, wo das Rehkälbchen schlief, und streichelte ihm über den Rücken. So kam sie alle Nacht und ging wieder fort, ohne ein Wort zu sprechen.

Einmal aber trat sie wieder ein und sprach:

‘Was macht mein Kind? Was macht mein Reh?
Nun komm ich noch zweimal und dann nimmermehr’.

und tat alles wie in den andern Nächten. Die Kinderfrau weckte aber den König und sagte es ihm heimlich. Der König wachte die andere Nacht, und da sah er auch, wie die Königin kam, und hörte deutlich ihre Worte:

‘Was macht mein Kind? Was macht mein Reh?
Nun komm ich noch einmal und dann nimmermehr’.

Aber er getraute sich nicht sie anzureden. In der andern Nacht wacht’ er wieder, da sprach die Königin:

‘Was macht mein Kind? Was macht mein Reh?
Nun komm ich noch diesmal her und dann nimmermehr’.

[82] Da konnte sich der König nicht länger halten, sprang auf und umarmte sie; und wie er sie anrührte, ward sie wieder lebendig, frisch und rot. Die falsche Königin ward in den Wald geführt, wo die wilden Tiere sie fraßen; die böse Stiefmutter aber ward verbrannt. Da verwandelte sich das Rehkälbchen, und Brüderchen und Schwesterchen waren wieder beisammen und lebten glücklich ihr Lebelang.


Die andere Fassung ist im Anhange der ersten Ausgabe S. VII mitgeteilt und im Handexemplar hsl. vervollständigt:

Eine ähnliche Erzählung kennen wir nur fragmentarisch: Bruder und Schwester gingen eines Tags in den Wald, und weil die Sonne so heiß und der Weg so weit war, so fing den Bruder an zu dursten. Sie suchten Wasser und kamen zu einer Quelle, daran stand geschrieben: ‘Wer aus mir trinkt, ist es ein Mann, wird er ein Tiger, ist es ein Weib, wird es ein Lamm’. Da sprach das Mädchen: ‘Ach lieber Bruder, trink nicht aus der Quelle, sonst wirst du ein Tiger und zerreißest mich’. Da sagte der Bruder, er wolle noch warten, ob ihn gleich der Durst so quäle, bis zur nächsten Quelle. Wie sie aber an die nächste Quelle kamen, stand daran: ‘Wer aus mir trinkt, wird ein Wolf’. Da sprach das Mädchen wieder: ‘Lieber, ach lieber Bruder, trink nicht, sonst frißt du mich’. Der Bruder sprach: ‘Noch einmal will ich meinen Durst bezähmen, aber länger kann ich nicht mehr’. Und sie kamen zu einer dritten Quelle, daran war geschrieben: ‘Wer aus mir trinkt und ist ein Mann, wird er ein goldener Hirsch, ist es ein Mädchen, wird es groß und schön.’ – Da legt sich der Bruder nieder und trinkt und steht als ein goldener Hirsch auf; das Mädchen trinkt auch und wird noch schöner und groß, als wär es erwachsen. † Dann legt es den Hirsch an ein Seil und führt ihn fort; der König sieht den wunderbaren Hirsch und läßt ihn einfangen. Das Mädchen bleibt bei ihm und wird einmal behorcht, als sie mit ihm spricht; da hört der König, daß es die Schwester von dem Goldhirsch ist, und vermählt sich mit ihr. Die Mutter des Königs aber ist neidisch und will sie verderben; sie gibt ihr eine häßliche Gestalt und macht, daß sie soll getötet, der Hirsch aber vom Metzger geschlachtet werden. – – Die Unschuld aber kommt an den Tag, die Schwiegermutter wird in eine mit scharfen Messern angefüllte Tonne getan und einen Berg herabgerollt.

Die letzten Zeilen vom † an sind im Handexemplar durchstrichen, und am Rande steht von Wilhelm Grimms zierlicher Hand: ‘S. am Ende die teilweise Ergänzung’. Diese lautet:

Da spricht das Mädchen: ‘Sei still, lieb Hirschchen!’ und tut sein goldenes Strumpfband ab und bindet es dem Goldhirsch um den Hals und führt ihn daran fort in den Wald, tief, tief hinein. Da kommen [83] sie zuletzt zu einem kleinen Häuschen und wohnen lange Zeit darin. Einmal aber hält der König große Jagd; da hört der Hirsch das Schreien und Hörnerblasen und möcht gar zu gern hinaus. ‘Ach laß mich ein wenig auf die Jagd’, spricht er zum Schwesterchen und bittet so lang, bis es einwilligt und ihn hinausläßt. ‘Abends komm wieder an mein Türchen’, sagt die, ‘und wenn du rufest (nun müßte ein Vers folgen), so mach ich dir wieder auf’. Da sprang der Goldhirsch hinaus in den Wald und vor dem König her, und alle Jäger folgten ihm, es konnte ihn aber keiner fangen; endlich am Abend verschwand er. Er war aber vor das Häuschen gelaufen, hatte gerufen, und da hatte ihm das Schwesterchen die Türe aufgetan und ihn wieder eingelassen. Am andern Tag ist wieder Jagd, da läßt das Goldhirschchen dem Schwesterchen keine Ruhe, bis es ihm die Tür wieder aufmacht. Da springt es wieder lustig hinaus, aber am Abend kommt es langsam und hinkt; die Jäger hatten den Wald umzingelt, und einer hatte es verwundet, und nun ging ihm einer nach, der sieht, wie das Goldhirschchen vor das Haus schleicht, hört, was es spricht, und daß es darauf eingelassen wird, und geht dann zurück und sagts dem König. Das Schwesterchen pflegt das Goldhirschchen, bis es wieder gesund ist, und das ist bald. Wie der König nun auch denkt, es sei wieder gesund, stellt er aufs neue eine Jagd an. Das Goldhirschchen läßt sich da gar nicht abhalten, das Schwesterchen mag sagen, was es will. Wies aber bald Abend ist, geht der König vor das Haus, ruft die Worte des Goldhirschchens und wird alsbald eingelassen. Wie er hineinkommt, weiß er gar nicht, was er sagen soll, so schön ist das Mädchen. Da reicht er ihm endlich die Hand und sagt, ob es seine Gemahlin werden wolle, so solle es mit ihm in sein Schloß gehen. Das Mädchen sagt ja, aber jetzt könne es noch nicht fort, es müsse erst auf das Goldhirschchen warten. Da warten sie noch ein bißchen zusammen, da kommt es gesprungen; denn die Jäger hatten ihm nichts tun dürfen, das hatte der König befohlen. Das Mädchen bindet es wieder an sein Strumpfband und führt es mit ins Schloß. Da hält der König Hochzeit mit dem Mädchen, und sie leben lange Zeit vergnügt. – Das Mädchen aber hat eine Stiefmutter, die war immer neidisch und gönnte ihm sein Glück nicht. Wie nun die Königin soll in Wochen kommen, geht sie mit ihrer rechten Tochter, die aber garstig ist und nur ein Aug hat, ins Schloß, und da trifft sichs gerad, daß der König auf der Jagd ist und die Königin in dieser Zeit einen schönen Prinzen zur Welt bringt. Da faßt die gottlose Stiefmutter sie beim Kopf und ihre Tochter bei den Füßen, und so tragen sie die Kranke in einen tiefen Turm; und dann fangen sie das Goldhirschchen und geben es dem Metzger[WS 1], der soll es schlachten. Und wie das alles getan ist, muß sich die garstige Tochter ins Bett legen, aber auf die scheele [84] Seite, so daß ihr eines Auge oben hinkommt; dann setzt ihr die Alte noch eine Haube auf und zieht die Vorhänge dicht zu. Abends kommt der König nach Haus und freut sich, daß der Storch ihm einen Prinzen gebracht, und will ans Bett gehen und sehen, was die Königin macht. Die Alte aber ruft: ‘Laßt bei Leibe die Vorhänge zu! Eure Frau kann nicht ins Licht sehen und will auch ein bißchen schlafen. Da sprecht nicht mit ihr!’ – – Die Unschuld kommt aber an den Tag; der Metzger hat das Goldhirschchen nicht geschlachtet, und der König findet auch endlich seine rechte Frau wieder (dabei ist noch eine besondere Verwicklung). Die Alte wird in einem Faß voll Messer einen Berg herabgerollt, und die scheele Jungfer wird auch gestraft. – (Marie am 8. März 1813).

Nach einer dritten (hannöverschen?) Überlieferung, die H. R. v. Schröter (vor 1822) den Brüdern Grimm mitteilte, ist das Brüderchen von der Stiefmutter in ein Rehkalb verwandelt und wird von ihren Hunden gehetzt. Es steht am Fluß und ruft hinüber zu den Fenstern des Schwesterchens:

‘Ach Schwesterchen, errette mich!
Des Herren Hunde jagen mich,
Sie jagen mich so schnell,
Sie wollen mir aufs Fell,
Sie wollen mich den Pfeilen geben
Und mir also das Leben nehmen’.

Aber Schwesterchen war schon von der Stiefmutter aus dem Fenster geworfen und in eine Ente verwandelt, und von dem Wasser klang es zu ihm:

‘Ach, Brüderchen, gedulde!
Ich lieg im tiefsten Grunde;
Die Erde ist mein Unterbett,
Das Wasser ist mein Oberbett.
Ach, Brüderchen, gedulde!
Ich lieg im tiefsten Grunde.’

Als Schwesterchen hernach in die Küche zum Koch kommt und sich ihm hat zu erkennen gegeben, da fragt es:

‘Was machen meine Mädchen, spinnen sie noch?
Was macht mein Glöckchen, klingt es noch?
Was macht mein kleiner Sohn, lacht er noch?’

[85] Er antwortet:

‘Deine Mädchen spinnen nicht mehr,
Dein Glöckchen klingt nicht mehr,
Dein kleiner Sohn weint allzusehr.’

Eine vierte Aufzeichnung, die W. Busch (Ut ôler Welt 1910 S. 23) um 1850 in Wiedensahl machte, enthält ähnliche Verse, aber der Bruder der Heldin ist darin ganz fortgefallen.

Diese Erzählungen gehören zu dem von Arfert[4] übersichtlich und sorgsam behandelten Märchen von der untergeschobenen Braut, in denen eine unschuldige Frau durch ihre Stiefmutter im Kindbett oder schon vorher auf dem Wege zur Hochzeit gewaltsam beseitigt und durch eine häßliche Stiefschwester[5] ersetzt wird; nachts kehrt sie in Entengestalt wieder, um sich beim Küchenjungen nach den Ihrigen zu erkundigen, oder in Menschengestalt, um ihr Kind zu tränken. Die Schönheit der guten Schwester und die Häßlichkeit der bösen wird in den drei Männlein im Walde (nr. 13) und in der weißen und schwarzen Braut (nr. 135) durch eine Begegnung mit überirdischen Wesen ähnlich wie in der Frau Holle (nr. 24) begründet; in mehreren Erzählungen aber, nämlich unsrer nr. 11, im Lämmchen und Fischchen (nr. 141) und in der weißen und schwarzen Braut (nr. 135), hat die Heldin einen rechten Bruder, der mit ihr leidet; in nr. 135 ist er Kutscher beim König, muß die schöne Schwester als Braut für diesen holen und wird, als er dafür unwissend die garstige Stiefschwester bringt, in eine Schlangengrube geworfen; in nr. 11 und 141 wird er gleich zu Anfang durch Veranstaltung der Stiefmutter in ein Reh oder Lamm verwandelt, von der Schwester mit an den Hof genommen und soll auf Befehl der falschen Königin geschlachtet werden; in Reimversen klagen die verwandelten Geschwister einander ihre Todesnot, was ein Lauscher dem Könige meldet, wie anderwärts die nächtliche Erscheinung der toten Gattin.[6] Wir haben also folgende Motive zu unterscheiden:

[86] A. Ein Witwer läßt sich durch seine Tochter überreden, wieder zu heiraten. – B. Dem guten Mädchen wird Schönheit nebst andren Wundergaben, dem bösen Häßlichkeit verliehen.[7]C. Der Bruder wird durch die Stiefmutter in ein Reh oder Schaf verwandelt[8] (C¹) oder er tritt in den Dienst eines Königs, dem er von seiner schönen Schwester erzählt (C²). – D. Die Schwester, die zur Gattin eines Königs erhoben ist, wird auf dem Wege zur Hochzeit (D¹) oder im Kindbett beseitigt (D²), ins Wasser gestürzt (D³) oder in einen Vogel oder Fisch verwandelt (D⁴), bisweilen von einer Meerfrau gefangen oder von einem Fische verschlungen (D⁵) und dafür ihre Stiefschwester untergeschoben[8]. – E. Der König läßt den Bruder in die Schlangengrube werfen und heiratet die untergeschobene Braut. – F. Lösung: 1. Gespräch der Geschwister, das ein Diener oder der König belauscht; 2. die Königin kehrt nachts in Tiergestalt wieder, um sich nach den Ihrigen zu erkundigen, und wird durch Enthauptung oder Zerhauen der Kette entzaubert; 3. die tote Königin kommt nachts aus dem Grabe, ihr Kind zu tränken. In F¹ und F² zeigen vielfach die Klagereden Versform. – G. Die Stiefmutter erleidet die Strafe, die sie sich unwissend zugesprochen hat. – Unsere Nr. 11 enthält die Motive C¹ D² F³ G, das hannöversche Bruchstück C¹ F¹˙², nr. 13 A B D²˙³ F² G, nr. 135 B C² D¹˙³ E F² G, nr. 141 C¹ D⁴ F¹.

Dänisch in Grundtvigs hsl. Register nr. 38 ‘De to kongebörn’. – Eine schwedische Fassung, die H. R. v. Schröter (vor 1822) in Upland aufzeichnete, ist viel dürftiger und ohne besondere Eigentümlichkeiten. Die ermordete Königin kommt in der Donnerstagnacht im weißen Kleid und mit einer langen rasselnden Kette. Zu ihrem Hündchen, das sich in die Küche verkrochen hat, sagt sie: ‘Hast du nichts zu essen?’ Da gibt ihr das Hündchen ein paar Bissen Brot. Sie fragt weiter: ‘Was macht mein kleines Kind?’ – ‘Das schläft’. – ‘Liegt der Hexe Tochter in meines Liebsten Arm?’ – ‘Nein’. Sie geht seufzend fort und kommt in der nächsten [87] Donnerstagnacht wieder. Zum drittenmal weint sie bitterlich und sagt: ‘Dies ist das letztemal; errettet mich niemand, so bin ich dem Meerweib verfallen’. Da erlöst sie der König, der gelauscht hat, indem er ihre Kette zerhaut.[9] Die falsche Königin wird in geschmolzenes Blei geworfen. – Andre Fassungen s. unten zu nr. 13. Auch das norwegische Märchen von Jungfrau Gyltrom (Janson 1878 nr. 1) schließt mit dem Erscheinen der ertränkten Königin: ‘Endaa tvo Tordagskvaldar kjem eg atter, men Ve den Stygga, som ligg i Sengi mi med Barnet mitt i Arm.’ – Französisch bei Pineau, Contes du Poitou p. 123 (C¹ D²˙³). Mélusine 1, 419 ‘Les neuf frères métamorphosés en moutons et leur soeur’ (vermischt mit den zwölf Brüdern; vgl. oben S. 73; die Entzauberung der Schafböcke erfolgt in der Kirche bei der Taufe ihres Neffen). – In den italienischen Märchen bei Gonzenbach nr. 48 ‘Von Sabedda und ihrem Brüderchen’ (A C¹ D²˙³ F¹) und 49 ‘Von Maria und ihrem Brüderchen’ (ebenso bis auf den aus ‘Hänsel und Gretel’ bekannten Eingang) wird der Bruder in ein Schaf mit goldenen Hörnern verwandelt, die Schwester aber in eine Zisterne geworfen und von einem großen Fische verschluckt. Da klagt das Schaf am Brunnen:

Schwesterchen, Schwesterchen, Ringelhaar,
Für mich sie wetzen die Messer gar,
Für mich sie setzen die Kessel blank,
Mir abzuschneiden mein Hälschen schlank.

Und aus dem Wasser antwortet eine Stimme:

Ich kann dir nicht helfen, mein Brüderlein.
Der böse Haifisch im Rachen mich hält;
Mein Kindlein kann ich nicht bringen zur Welt.[10]

Zum Schlusse wird die untergeschobene Frau zerschnitten, eingesalzen und als Tunfisch ihrer Mutter gesandt, die sie verspeist. [88] Bei Pitrè 4, 214 nr. 283 ‘La parrastra’ = Crane p. 331 (C¹ D²˙³ F¹) wird der Bruder ein Kalb mit Goldhörnern, der Vater sucht die verlorenen Kinder und findet die Tochter verheiratet. Bei Corazzini p. 443 nr. 9 ‘U pecuriello’. (A C¹ D²˙³ F¹) aus Benevent. Aus den Abruzzen bei Finamore, Archivio 3, 546 nr. 18 ‘La favoletta dell’ agnelluccio’ (C D²˙³ F¹. Eingang wie Hänsel und Gretel). Bernoni nr. 2 ‘El pescecan’ (C D³ F¹). Visentini nr. 16 ‘La fanciulla e il vitellino’ (C¹ D²˙³ F¹. Anlaß zur Flucht ist, daß der erblindete König die Augen mit dem Blute der eigenen Tochter bestreichen soll). De Gubernatis, St. Stefano nr. 11 ‘Il pesce e l’agnellino’ (C D²˙³ F¹); vgl. Gubernatis, Die Tiere S. 335¹; Nino 3, 48 nr. 9 ‘La mala matrè’ (A C¹ D²˙³ F¹. Die Kinder töten ihre Mutter auf den Rat der Lehrerin und bitten den Vater, diese zu heiraten)[11]. Rivista delle tradiz. pop. 1, 675 ‘La crudel matrigna’ (C¹ D²˙³ F¹) und 2, 22 ‘Il principino capretto’ (C¹ D³ F¹. Keine Stiefmutter). Bei Busk p. 40 ‘The king who goes out to dinner’ (A D²˙³ F¹) ist der Bruder nicht verwandelt, sondern Vizekönig, soll aber zur Genesung der falschen Königin getötet werden. Eine ähnliche Entstellung liegt auch in Basiles ‘Nennillo und Nennella’ (Pent. 5, 8) vor; die Geschwister werden auf Betreiben der Stiefmutter in den Wald geführt und trennen sich; Nennillo wird ein kunstreicher Messerschmied und steht am Ufer, als ein Fisch herbeischwimmt, der die Schwester verschlungen hat. Sie ruft ihn an[12] und wird vom Fisch ausgespieen; zum Schlusse die Bestrafung der in einem Fasse vom Berge herabgerollten Stiefmutter. Eine Vermischung mit dem Märchen von den zwölf Brüdern (nr. 9) zeigen mehrere toskanische Märchen im Archivio 1, 44 ‘I dodici fratelli’, ‘I sette fratelli’ usw. und bei Weber nr. 5 ‘I sette fratelli’. Nicht eine Stiefmutter verzaubert die mit ihrer Schwester im Waldhause lebenden Brüder in Lämmer oder Schweine, sondern die Frau des von ihnen getöteten Orco, indem sie ihnen Mützen aus seiner Haut schenkt. Dann folgen die Motive D²˙³ F¹; die Zauberin muß die Lämmer entzaubern und wird in einem Pechhemd verbrannt. – [89] Rumänisch: Şăinénu p. 741–748. – Die schöne griechische Fassung bei Hahn nr. 1 ‘Asterinos und Pulja’ = Pio p. 1 = Geldart p. 31 hat viele Züge mit den slavischen gemeinsam. Wie im slovakischen, serbokroatischen und bulgarischen Märchen[13] schneidet sich die Frau eine Brust ab, als die Katze ihr Fleisch gestohlen hat, und setzt sie ihrem Manne vor, der nun auch die eigenen Kinder verzehren will. Wie im polnischen werfen die fliehenden Kinder Messer, Kamm und Salz hinter sich, und der Knabe trinkt aus der Lammspur. Wie im 1., 2. und 4. bulgarischen und im türkischen Märchen lockt eine Alte die Schwester vom Baume herab. An den Dialog des Lammes und der von der Schwieger in den Brunnen gestürzten Prinzeß schließt sich ein Motiv aus unsrer nr. 130: aus den von der Schwester gesammelten Knochen des Lammes erwächst ein Apfelbaum; sie pflückt einen Apfel und geht davon. Gott aber macht sie (heißt es bei Geldart) zum Sternbild der Plejaden und den Bruder zum Abendstern. – Albanesisch bei Mitkos S. 165 nr. 1 = Archiv f. Litgesch. 12, 93 (vgl. R. Köhler 1, 385) ‘Das Mädchen mit der Ziege’. Hier ist die Ziege, die mit der in den Brunnen gestürzten Königin redet, nicht ihr Bruder. – Trümmerhaft ist ein kroatisches Märchen aus der Esseker Gespanschaft bei Krauß 1, 289 nr. 69 ‘Der Jäger’ (C¹ D³), in welchem die Geschwister entfliehen, weil ihr Vater Appetit auf Menschenfleisch hat, und der Knabe zum Esel wird, weil er wider der Mutter Warnung unterwegs Wasser trinkt. Die Gräfin springt, um ihren Bruder zu erlösen, über den Weiher, fällt hinein; aber der Fisch, der sie verschluckt, wird gefangen und aufgeschnitten. – In der serbischen Fassung bei Stefanović S. 80 nr. 11 (= Archiv f. slav. Phil. 5, 32 nr. 44; vgl. K. Köhler 1, 438) ist die gewöhnliche Einleitung ausgefallen, das dem Mädchen vom Hirten geschenkte redende Schaf ist nicht der Bruder des Mädchens; es dringt wie bei Afanasjev nr. 146a in den Garten des Kaisers, der darauf das Mädchen heiratet. Eine Zigeunerin stößt die Kaiserin in den Brunnen und verlangt das Herz des Schafes. Zufällig wird ein goldener Karpfen aus dem Brunnen gezogen, der sich in die Kaiserin verwandelt. Eine entstellte Version aus dem Üsküber Karadagh in Naselja srpskih zemalja 3, 488 beginnt ähnlich wie die kroatische; das Mädchen wird wie in der griechischen bei Hahn nr. 1 vom Baum heruntergelockt; beide Geschwister trinken [90] aus derselben Quelle und werden zu Hirschen. Seit dieser Zeit gibt es Hirsche. – Unter den sieben bulgarischen Aufzeichnungen enthält die aus der Gegend von Sophia stammende im Sb. min. 3, 3, 212 (C D F¹) dieselbe Einleitung wie die kroatische. Der Knabe wird ein Hirsch; eine Zigeunerin stürzt die Prinzeß in den Brunnen und setzt sich an ihre Stelle; aber der verfolgte Hirsch zeigt den Dienern die Schwester im Wasser. Einen andern Schluß hat die Version aus Silistria bei Miletič (Arnautitê v Silistrensko i slêdi ot nosovki v têhnija ezik S. 41. Period. Spisanie 61, 663): die Schwester wird zu einem goldigen Fisch, den der Prinz fängt und zubereiten läßt; die falsche Gattin befiehlt, alle Schuppen ins Feuer zu werfen; aber aus einer Schuppe, die ein Weib aufgehoben und mitgenommen hat, ersteht das Mädchen wieder und räumt, gleichwie in unserer Erzählung von der Nelke (nr. 76), heimlich das Zimmer auf[14]. Als der Kaiser von dem Wunderwesen hört, bescheidet er es zu sich, und es erzählt statt eines Märleins die eigne Geschichte. In der Überlieferung aus Ochrid in Macedonien bei Šapkarev, Sb. 8, 203 nr. 19 ruft der Hirsch: ‘Die Zigeunerin ist nicht meine Schwester’, läuft auf den Fischmarkt und bewegt durch die Worte ‘Hier ist meine Schwester Elena’ den Prinzen, den Fisch zu kaufen und aufzuschneiden; da springt Elena heraus. Die vierte Fassung aus Loveč im Sb. min. 4, 1, 513 hat die gleiche Einleitung wie die drei erwähnten; aber der Bruder wird zu einem Schwein, welches dem Prinzen die von der Zigeunerin unterm Trog versteckte Schwester noch vor dem Kirchgange offenbart, gleich dem Hahne im Aschenputtelmärchen. In einer weiteren Ochrider Überlieferung im Sb. min. 13, 3, 216, die sonst zu der erwähnten stimmt, ist die arglistige Nebenbuhlerin der Prinzeß ihre eigne häßliche Schwester; das Lamm wird von ihr wohl Bruder genannt, ist es aber nicht. Nur den Anfang von der Verwandlung des Bruders in einen Hirsch, und der Heirat der Schwester berichtet eine Erzählung aus Bitolia in Statistički izveštaj o radu srpske gimnazije u Skoplju 1901, S. 77. Bei Lačooglu S. 16 nr. 2 entfliehen die Geschwister vor den menschenfresserischen Eltern und werfen Topf und Schleifstein aus, wodurch ein Sumpf und viele [91] Messer entstehen. Die junge Frau wird von der Magd in den Brunnen gestürzt und von einem Fische verschlungen, aber der Prinz läßt den Brunnen reinigen und den Fisch aufschneiden. – Čechisch bei Nĕmcová 4, 37 nr. 53 (der Knabe trinkt aus einer Lammspur; die Schwester wird durch Genuß eines Apfels zur Ente und erhält in der dritten Nacht durch das Blut des schwarzen Adlers, den ihr Gatte erschießt, ihre menschliche Gestalt). – Slowakisch aus dem Komitat Gömör bei Nĕmcová, Slov. 2, 16 (C¹ D²˙³ F³): das Lamm trägt nachts das Kind zur Donau; die goldene Ente schwimmt herbei, verwandelt sich in eine schöne Frau und säugt ihr Kind; sie entrinnt aber dem lauschenden Gatten, bis auf sein Geheiß das Lamm in der dritten Nacht ihr Kleid festnagelt. Durch das Blut der Stiefmutter wird der Bruder entzaubert. Eine andere slowakische Fassung aus Nordungarn bei Škultety-Dobšinský S. 232 nr. 24 = 2. Aufl. S. 506 nr. 37 beginnt damit, daß der Vater nach Menschenfleisch verlangt, weil ihm die Brust der Frau, die diese an Stelle des von der Katze geraubten Hasen gebraten hat, so gut schmeckte. Daher fliehen die Kinder, aber die Stiefmutter schleudert ihnen den Fluch nach, daß sie sich in das Tier verwandeln, aus dessen Fußstapfen sie trinken. Die goldene Ente wird dadurch entzaubert, daß der Gatte sie trotz aller ihrer Verwandlungen festhält, wie bei Kolberg 17, 137. Ebenso aus dem Komitat Zips im Sborník mus. slov. spol. 16, 5 nr. 8. Ähnlich beginnt eine kürzere Version aus dem Komitat Saros bei Czambel S. 329, dagegen fehlt die Einleitung ebd. S. 288 in einer im selben Komitat aufgezeichneten Fassung. – In einem polnischen Märchen aus Oberschlesien bei Malinowski 2, 112 (C¹ D²˙³ F²) stürzt nicht die Stiefmutter, sondern eine Köchin die Frau in den See, die als Ente zu ihrem Kinde und dem Lamme zurückkehrt. Einen Nachhall (D²˙³) enthält Kühnau 1, 93 nr. 108 ‘Die Wöchnerin’; nicht der Bruder der ertränkten Frau, sondern ihr junger Schwager hört nachts ihre Klage und reicht ihr den Säugling. In einer Krakauer Aufzeichnung bei Ciszewski 1, 75 nr. 64 (C¹ D²˙³ F²) entfliehen Bruder und Schwester, weil die Eltern sie töten wollen, und werfen ein Ei und einen Kamm hinter sich, die sich in Wasser und Gestrüpp verwandeln. Die Schwieger ertränkt die Frau und vertauscht ihr Kind; das Lamm führt den Gatten, der sich in eine Ochsenhaut hüllt, zum Flusse. Ebenso folgt in einer andern Krakauer Version (Wisła 8, 237. – C¹ D²˙⁴ F³) der Gatte in einer Rindshaut dem Lamme und erlöst die ihr Kind [92] säugende Frau, indem er ihr die Zaubernadeln aus den Ohren zieht. Hier, bei Kozłowski S. 309, wo die Entzauberung des Lammes fehlt, und in einer ähnlichen Fassung aus dem Gouv. Warschau (Wisła 8, 799. – C¹ D²˙³ F²) geht die Verfolgung der Königin von einer Magd aus. Ebenso in der von Kolberg 17, 187 mitgeteilten Erzählung aus Lublin (C¹ D³ F³), wo der Knabe zum Lamme wird, als er aus den Fußstapfen von Lämmern trinkt, und die vom König gepackte Gans sich in eine Schlange, Otter, Kröte und endlich in eine Frau verwandelt, ein aus der griechischen Sage von Peleus und Thetis bekanntes Motiv. – Großrussisch aus dem Gouv. Voronež bei Afanasjev³ 2, 147 nr. 146a = Anna Meyer 2, 108 (C¹ D³ F¹): der Knabe wird zum Ziegenbock und nicht erlöst, die Schwester als Kaiserin von einer Hexe durch einen um den Hals gehängten Stein verwandelt. Aus dem Gouv. Kursk ebd. 2, 148 nr. 146b ebenso, nur daß der Knabe zum Lamme wird. Aus dem Gouv. Tambov ebd. 2, 149 nr. 146c ebenso (Ziegenbock; eine Magd ertränkt die Frau und nimmt deren Stelle ein). Viertens aus dem Gouv. Rjäzan bei Chudjakov 2, 85 nr. 61 ebenso bis auf die Einleitung, in der der Vater auf Wunsch der Stiefmutter die Kinder in den Wald führt. Fünftens aus dem Gouv. Saratov bei Afanasjev³ 3, 150 Anm. ebenso bis auf die der ersten weißrussischen Version entsprechende Einleitung: die Kinder kommen zur Waldhütte der Jagababa, wo der Knabe Ziegenfett aufleckt und zur Ziege wird. Aus dem Gouv. Samara bei Sadovnikov S. 218 nr. 65 (verbunden mit Grimm nr. 130; der Bruder leckt Ziegenfett, die Schwester ins Wasser gestürzt). Aus dem Gouv. Olonetz bei Ončukov S. 309 nr. 129 (das dem Teufel verschriebene Mädchen flieht mit dem Bock, von der Hexe Ichibicha ins Meer gestoßen, vom Gatten solange geschlagen, bis sie wieder Mensch wird). – Kleinrussisch aus der Ukraine bei Moszyńska nr. 8 (C¹ D³): Keine Stiefmutter. Schluß wie in der bulgarischen Fassung aus Silistria: die Ente wird auf Betreiben der falschen Frau geschlachtet, ein aus zwei vergrabenen Federn entsprossener Baum umgehauen, ein vom Lamme geretteter Span gerät in die Truhe einer Frau, die eines Tages ein fremdes Mädchen im Zimmer findet und darauf den Herrn zu sich ladet. Ferner aus Galizien bei Dragomanov S. 352 nr. 31 mit einer Einleitung wie bei Ciszewski; eine Zauberin befreit auf Bitten des Königs die Ente und das Lamm. Aus dem Gouv. Poltawa Etnograf. Zbirnyk 14, 223 nr. 32: die verwaisten Zarenkinder [93] kommen, der Bruder als Ziegenbock, an einen fürstlichen Hof. Die frühere Geliebte des Fürsten stößt seine Braut ins Meer und will den Bock schlachten lassen. Als der Fürst die Klagen der Geschwister hört, fliegt die falsche Braut als Drache davon. Der Bruder wird durch dasselbe Wasser, das ihn verwandelt hatte, wieder entzaubert. – In einer weißrussischen Erzählung aus dem Gouv. Mogilew bei Romanov 3, 265 nr. 47a (C¹ D³ F¹) verirren sich Geschwister im Walde in die Behausung eines Drachen und schieben diesen in den Backofen, aber der Knabe leckt vom Drachenfett und wird zu einem Lamme. Die Schwester wird im Badehaus von einer Schlange ertränkt, die sich in ihre Kleider hüllt und das Lamm schlachten will; der Kutscher belauscht das Gespräch der Geschwister. Bei Romanov nr. 47b kehrt die aus Ciszewski und Dragomanov bekannte Einleitung wieder; der Herr hält die nachts wiederkehrende Tote an den Haaren fest und bekreuzt sie. Aus dem Gouv. Wiłna bei Karłowicz nr. 17 (C¹ D³ F². Öchslein und Fischweib. Der Prinz hört den Gesang des spinnenden Mädchens; die Hebamme und ihre Tochter werden von eisernen Eggen zerrissen). Aus dem Gouv. Grodno bei Federowski 2, 192 nr. 165 (C¹ D³ F². Die Verfolgungen gehen von der Stiefmutter aus; das Häschen trägt das Kind zur verzauberten Schwester, der ihr Gatte eine Priesterstola überwirft, ohne der verschiedenen Verwandlungen zu achten). – Litauisch aus dem Gouv. Kowno in Dowojna Sylwestrowicz 1, 43 (C¹ D²˙³ F¹): Keine Stiefmutter; der Bruder wird zum Schaf, weil er aus der Fußspur eines Schafes trinkt; eine Hexe verwandelt die Fürstin, der sie einen Frosch in die Kehle steckt, in einen Hecht, den der Fürst wie bei Afanasjev 146b im Netze fängt; als er den Frosch herauszieht, steht seine rechte Frau vor ihm. – Estnisch bei Dähnhardt 3, 460 (die dritte Wasserlache verwandelt den Bruder in eine Gemse; die Fortsetzung fehlt). – Finnisch in Aarnes Register nr. 450. Die Fassung bei Salmelainen 1, nr. 7, 1 = Schreck S. 63 ‘Die wunderbare Birke’ = Hertzberg S. 79 knüpft an das Märchen von Aschenputtel (unten nr. 21) die Verwandlung der jungen Königin in eine Renntierkuh; auf den Rat einer weisen Frau lockt der König diese zum Säugen des Kindes herbei und verbrennt die abgelegte Tierhaut. Der Bruder fehlt völlig. – Ungarisch bei Erdélvi 3, nr. 9 = Jones-Kropf p. 220 nr. 41 ‘The two orphans’ (C¹ D²˙³˙⁵ F¹), wo die verwaisten Geschwister in die Welt ziehen und die vierte Wasserlache den Bruder in ein Reh [94] verwandelt. Berze Nagy nr. 31 (verbunden mit Allerleirauh, unten nr. 65), nr. 44 ‘Das arme Waisenmädchen und sein Bruder, das Reh’ und nr. 45 ‘Die zum Mästen eingesperrten Geschwister’. Róna-Sklarek 2, 83 nr. 7 (Einleitung). – Unvollständig bei den Gagausen im Gouv. Bessarabien (Radloff 10, 90 nr. 52); der Knabe wird zum Stier mit goldenen Hörnern und silbernen Hufen, das Mädchen wird von der Pappel heruntergelockt und des Prinzen Gattin,. – Ein Märchen der Sarten bei Ostroumov 2, 93 nr. 16 berichtet, wie von fünf Töchtern und einem Sohne, die der Vater auf Drängen der Stiefmutter in den Wald führt und verläßt, vier Töchter sich in einen Affen, Wolf, Fuchs und Tiger, der Knabe sich in einen Ziegenbock verwandelt. Die jüngste Schwester, der der Ziegenbock nachläuft, wird Gattin des Kaisers, aber von den 39 älteren Frauen desselben ertränkt. Als der zurückgekehrte Kaiser das Gespräch der Geschwister anhört, läßt er den See von 10 000 Arbeitern ausschöpfen und findet am Boden in einem silbernen Häuschen seine Gattin, wie sie zwei Söhnlein wiegt. – Armenisch bei Chalatianz S. 1 ‘Der Hammelbruder’ (C¹ B D³ F¹ G): der Bruder wird zum Hammel, weil er aus den Hammelfußspuren getrunken; das Mädchen erhält bei der alten Dew goldene Haare, ihre Stiefschwester aber Häßlichkeit; Schuhprobe wie im Aschenputtelmärchen; die Stiefmutter stößt die Prinzeß ins Meer, ein Fisch verschlingt sie, den der Prinz aufschneidet. Die falsche Frau und die Stiefmutter werden an den Schwanz eines Pferdes gebunden und zu Tode geschleift. – Im türkischen Märchen bei Kúnos S. 3 ‘Brüderchen und Schwesterchen’ (C¹ D³ F¹ G) fehlt die Stiefmutter; das Mädchen wird wie im Bulgarischen und Griechischen durch eine Hexe vom Baume herabgelockt und zum Padischah geführt; eine schwarze Sklavin stürzt sie ins Wasser, und der zum Schlachten bestimmte Bruder Hirsch klagt:

Man wetzt die Messer,
Im Kessel siedet das Wasser;
Mein Schwesterchen, eile, eil!

Die vom Fisch verschluckte Schwester antwortet:

Hier bin ich in des Fisches Magen,
In meiner Hand eine goldne Trinkschale,
An meinen Füßen silberne Schuhe,
In meinem Schoße ein kleiner Padischah.

[95] Der Schluß wie in der armenischen Fassung. Eine andre Fassung aus Kúnos’ Sammlung (Auszug im Sbornik v čest’ V. F. Millera S. 198 nr. 52) beginnt mit des Vaters Verlangen nach Menschenfleisch. – Arabisch bei A. Jahn, Die Mehri-Sprache S. 124 nr. 8 ‘Die Wildziege’ (C¹ D³ F¹); die Geschwister fliehen, weil der Vater sie schlachten will, und entkommen, obwohl ihnen der Verfolger als Hemmnisse einen Haufen Gold, ein wütendes Kamel und einen Gießbach in den Weg wünscht; Gespräch des Bruders Ziege und der Sultanin, die von der zweiten Frau des Sultans in den Brunnen gestürzt und vom Hai verschlungen ist. Unvollständig mit gleicher Einleitung bei D. H. Müller, Die Mehri- und Soqotri-Sprache 2, 99 nr. 20 ‘Die beiden Kinder’; der Bruder wird von Hexen, von denen er den Kamm seiner Schwester fordert, in einen Stier verwandelt; die Schwester wird auf dem Tamarindenbaume vom Sultan erblickt und zur Frau erkoren; die Motive DEFG fehlen. Bei Hein-Müller, Mehri- und Hadrami-Texte S. 99 nr. 39 ‘Die zwei Kinder’ sollen die Geschwister als Opfer am Wallfahrtstage geschlachtet werden, der Knabe wird von den Wildziegen verwandelt; die Schwester von der Nebenfrau in den Brunnen gestoßen und von einem Hai verschlungen. – Auch in einer Erzählung der Houwāra in Marokko (Stumme, Abh. 26, 85 nr. 2) fehlt die Unterschiebung der falschen Frau; der in einen Vogel verwandelte Knabe redet nachts mit der Schwester, die sich ein Hundefell übergezogen und im Schloß Unterkunft gefunden hat:

‘Schwesterchen, mein Schwesterchen,
Was hast du gestern abend bekommen, mein Schwesterchen?’

worauf sie erwidert:

‘Brüderchen, mein Brüderchen,
Kleie bekam ich wie die andern Hunde, mein Brüderchen,
Und auf dem Misthaufen muß ich schlafen, mein Brüderchen.’

Nun entdecken die Hofleute in der Hündin ein schönes Mädchen; der Prinz heiratet sie und entzaubert den Bruder. Bei Stumme, Märchen der Schluh S. 71 nr. 1 geht das Hänsel- und Gretel-Märchen (nr. 15) vorauf. – Die Haussa-Neger erzählen die Geschichte in andrer Reihenfolge: J. F. Schön, Grammar of the Haussa-language 1862 p. 176 = Bleek 1870 S. 132 nr. 19 ‘Der Löwenschwanz’. Die Heldin wird von ihrer älteren Schwester in den See gestoßen und vom Wassergeist gefangen gehalten, steigt aber empor, um ihren kleinen Bruder zu kämmen, der am Ufer die [96] Schafe hütet; ein Königssohn tötet den Wassergeist und heiratet das Mädchen. Aus Nigeria bei Dayrell p. 126 nr. 34 ‘The slave girl who tried to kill her mistress’. An Stelle des Bruders erscheint hier eine kleine Schwester der auf der Brautfahrt von der Sklavin in die Quelle gestürzten schönen Emme; ein Jäger erzählt dem Manne von dem belauschten Gespräche der Schwestern; dieser bewegt den Wassergeist durch ein reiches Opfer, ihm die rechte Frau herauszugeben, die nun ihre Nebenbuhlerin zu Tode martert.

Bei den indischen Kols (F. Hahn nr. 30 ‘Die beiden Waisengeschwister’) verwandelt sich der Bruder erst, nachdem seine Schwester vom König entführt ist, in einen Hirsch und wird vom König erlegt; aber die Schwester erkennt das Fleisch als Menschenfleisch und sammelt die Stücke, da wird der Bruder wieder lebendig. Ein anderes Motiv des Märchens begegnet in Benares bei Stokes nr. 2: eine tote Mutter erfleht vom Gotte Khuda, daß sie nachts in Vogelgestalt in ihr Haus zurückkehren darf; sie fragt den Pförtner nach ihren Kindern und dem Gatten und fügt hinzu: ‘Was für ein Tor ist euer König!’ Als sie weint, entfallen ihr Perlen, und als sie lacht, Rubinen. In der nächsten Nacht läßt der König den Vogel mit einem Netze fangen, zieht ihm die Zaubernadel aus dem Kopfe und hat seine Gattin wieder.

Wie hier, so kommt im Märchen von den drei Männlein im Walde (nr. 13) die Mutter aus dem Grab, ihr Kind zu tränken und zu pflegen; so auch in dem altdänischen Volksliede ‘Moderen under mulde’ (W. Grimm, Altdän. Heldenlieder S. 148. Grundtvig, DgFv. 2, 470 nr. 89 und 3, 868. Geijer-Afzelius² nr. 58) und in deutschen und französischen Sagen (Stöber-Mündel, Sagen des Elsasses 1, 93 nr. 125. Pröhle, Harzsagen S. 79. Wolf, Hess. Sagen nr. 153; Nld. Sagen nr. 175. 326. Bladé 2, 188. Le Braz, La légende de la mort² 2, 154). Melusine kommt nach ihrem Verschwinden zu ihren kleinen Söhnen Dietrich und Raimund, wärmt sie am Feuer und säugt sie; die Ammen sehen zu, wagen aber nicht zu sprechen (Désaivre, La légende de Mélusine 1885. Nowack, Die Melusinensage, Zürich 1886); ebenso tut eine Marte bei Kuhn-Schwarz, Nd. Sagen nr. 102. Vgl. Wackernagel, Kl. Schriften 2, 412. Uhland, Germania 8, 72. Mannhardt, Baumkultus 1, 103. Liebrecht, Zur Volkskunde S. 56.


  1. Hsl. abgeändert: es war aber von ihr so verwünscht worden, daß wer davon trank, in ein Rehkälbchen verwandelt ward.
  2. So wird Psyche bei Apuleius (Metam. 6, 14) von Quellen gewarnt: ‘Iamque et ipsae semet muniebant vocales aquae; nam et Discede et Quid facis? vide et Quid agis? cave et Fuge et Peribis subinde clamant’. Ein redender See bei B. Schmidt, Griechische Märchen 1877 S. 119.
  3. Hsl. abgeändert: daß sie nichts anders im Sinn hatte als.
  4. P. Arfert, Das Motiv von der unterschobenen Braut in der internationalen Erzählungsliteratur, Diss. Rostock 1897.
  5. In der Gänsemagd (nr. 89) wird die Braut von der Dienerin genötigt, unterwegs mit ihr zu tauschen; die Jungfrau Maleen (nr. 198) dagegen, welche die unwürdige Braut des Prinzen bei der Hochzeit vertreten muß, offenbart sich als die rechtmäßige frühere Verlobte des Bräutigams.
  6. Johannes Victoriensis (2, 8 ad a. 1287, bei Böhmer, Fontes 1, 323. Uhland, Schriften 8, 454).
  7. Vgl. dazu unten nr. 24.
  8. a b Vgl. Macculloch p. 150. – Eine Stiefmutter verwandelt den Sohn in einen Raben oder Wolf (Grundtvig, DFv. 2, 179 nr. 60. Arwidsson nr. 138), die Tochter in eine Hindin (Grundtvig 2, 158 nr. 56. Arwidsson nr. 136); vgl. Uhland, Schriften 3, 279. 379. – Öfter, z. B. in den unten angeführten slavischen Fassungen oder bei Rona-Sklarek 2, 82 nr. 7, verwandelt das Trinken aus einer Rehspur in ein Reh.
  9. Dies Zerhauen der Kette der Meerfei auch bei Poestion nr. 35. Schreck nr. 10. Gonzenbach nr. 33. 34.
  10. Sora, soru, aneddi, aneddi,
    Pri mia mmolanu li cuteddi,
    Pri mia mentinu li quaddari,
    Pirchi a mia hannu ammazzari.

    – E iu, fratuzza, chi ti pozzu fari!
    In vucca sugnu a lu pisci-cani;
    Gravida sugnu e nun pozzu figghiari.

    Vgl. die Fassung aus Cuneo in der Riv. delle trad. pop. 1, 676: ‘Sorellina mia, il coltello ammolato, il secchio preparato, mi vogliono ammazzare.’ – ‘Fratellino mio, io sono qui dentro nel pozzo, non ti posso difendere.’

  11. Die Tötung der eigenen Mutter auch bei Basile 1, 6 und bei Hahn nr. 103.
  12. Frate, mio frate,
    Li cortielle so ammolate,
    Le tauole apparecchiate
    Ed a me la vita ’ncresce,
    Senza te dintro a sto pesce.

  13. Vgl. zu diesem Motiv Olaf Broch, Studien 1, 44. Atan. Nikolić 1, 128.
  14. Zu diesen weiteren Verwandlungen der verfolgten unschuldigen Jungfrau vgl. die kleinrussische Fassung, das zu nr. 89 angeführte Märchen aus Lesbos, das griechische bei Hahn nr. 49 ‘Die Cedercitrone’, das ungarische bei Erdéyi 2, 345 = Stier 1850 S. 83 ‘Die drei Pomeranzen’.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Meztger
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