Aus dem Unterinnthal

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Autor: Ludwig Steub
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Titel: Aus dem Unterinnthal
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aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 743–745
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[743]
Aus dem Unterinnthal.
Von Ludwig Steub.
1. Das Passionsspiel in Brixlegg.

Hin und wieder geschieht es doch, daß dem Menschen schon hienieden ein Wunsch in Erfüllung geht. So bin ich eben dazu gekommen, zwei schöne Herbstwochen in dem lieblichen Brixlegg zu verleben. Es ist dies ein ansehnliches Dorf, welches im untern Innthale, in einer grünen Bucht des Gebirges liegt, nahe bei der alten Stadt Rattenberg, nicht weit von dem fröhlichen Zillerthale. Nachdem ich manches Jahr umsonst nach einer Wohnung gefahndet, bot sich dieses Jahr eine Mühle dar, ein schönes großes Haus, das oben im Dorfe steht und auf seiner Altane eine herrliche Ansicht der Landschaft bietet. Mühlen sind ohnedem poetischer Natur und von der deutschen Dichtkunst, wie man weiß, schon öfter gefeiert worden. Diese besondere Mühle hat aber noch den Vorzug, sehr helle reinliche Stuben zu besitzen und einem Ehepaare zu gehören, welches sehr geachtet und liebenswürdig ist, ein Musterbild für alle Hausleute, in den Städten wie auf dem Lande.

Es war am Feste Mariä Himmelfahrt (15. August), als wir am Orte unserer Sehnsucht glücklich ankamen und vernahmen, daß am andern Tage, welcher ein Sonntag war, das Passionsspiel, von dem die Zeitungen schon so viel erzählt, an uns und hoffentlich auch an vielen Andern vorübergehen würde. So schlenderten wir denn am Abend noch im Dorfe und seiner Gegend umher, betrachteten die herrliche Landschaft und standen auch ein Weilchen vor der Auslage eines ländlichen Photographen, welcher das Passionsspiel mit Industrie verwerthet und die bedeutenderen Figuren, Adam und Eva, Christus nach der Geißelung und am Kreuze, die allerseligste Jungfrau und sämmtliche Apostel, kurz alles, was für die große Welt von Werth sein möchte, mit Kunst und Wahrheit darzustellen weiß. Die Bauersleute sprechen bei dem Künstler nicht selten zu und tragen um billigen Preis gern eine Erinnerung an die Passion nach Hause. Beim Abendtrunke trafen wir mit den Honoratioren zusammen und hörten sehr erfreuliche Nachrichten über den Verlauf der theatralischen Unternehmung. Herr Cooperator Winkler, der geistliche Vorstand, erzählte mit Behagen, wie das Gedränge bisher mit jedem Spieltag größer geworden; auch Herr Hillepold, der Wachszieher und weltliche Mitdirector, zeigte ein zukunftsicheres Gesicht. Nach langen und belehrenden Gesprächen gingen wir in unsre Mühle hinauf und fielen, des großen Morgens gewärtig, unter dem Rauschen der Bäche bald in tiefen Schlaf.

Plötzlich um drei oder vier Uhr in der Nacht, wenn der Fremdling eben im tiefsten Schlummer liegt, erweckt ihn ein vielstimmiges Freudengeläute. Der Meßner und sein sämmtliches Hausgesinde befinden sich im Glockenthurme und ziehen an allen Strängen, dergestalt, daß der vereinte Schall das ganze Dorf ans dem Schlafe bringen muß. Es besteht überhaupt unter den tirolischen Meßnern von Kufstein bis Meran eine geheime Verschwörung, ihre Glocken an Sonn- und Feiertagen vom frühesten Morgen bis zum spätesten Abend nicht zur Besinnung kommen zu lassen. Jene Morgenfanfaren bilden aber ein wunderliches Durcheinander von Solo, Duo, Trio und Tutti, so daß der Hörer immer geneigt ist, ihren Klängen eine gewisse nur dem Eingeweihten faßliche Bedeutung beizulegen. Auch mir kam es oft vor, als wenn es Novellen ohne Worte wären. Hin und wieder glaubte ich sogar einer Familienscene beizuwohnen. Um drei oder vier Uhr nämlich erheben sich Vater und Mutter mit sämmtlichen Kindern, um eine Bergpartie zu unternehmen, die am Abend vorher verabredet worden. Alles wünscht sich guten Morgen und freut sich, zu rechter Zeit erwacht zu sein (Tutti). Mama, eine schöne Altglocke, sieht aber ein Wölkchen am Himmel und spricht sich besorglich darüber ans (Solo). Kanin hat sie geschwiegen, so ergreift das jüngste Kind, ein liebliches Mädchen mit blonden Haaren, eine kleine Sopranglocke, das Wort, protestirt gegen die Aengstlichkeit der Mutter (ebenfalls Solo) und wird bald von seinem älteren [744] Bruder unterstützt, so daß ein Duett entsteht, welches durch den Zutritt eines anderen Sohnes, der vielleicht schon auf der Universität ist und als sonorer Bariton spricht, zum Trio erhoben wird. Endlich reden Vater und Mutter auch wieder drein und es giebt ein lebendiges Tutti, welches anfangs darstellt, wie man sich über die Witterung von allen Seiten abdisputirt, zuletzt aber auch, wie man sich verständigt, den Ausflug nach Alpbach oder Brandenberg gleichwohl beschließt und sich plaudernd und schäkernd auf den Weg macht. Derlei oder andere Sachen lassen sich bei diesen vielsagenden Glockentönen allerdings denken, allein Mancher, der seinen gesunden Schlaf zu schätzen weiß, wird sich gleichwohl ärgern, daß er aufgeweckt worden, und christlicher wäre es jedenfalls, den müden Menschen in Frieden schlummern zu lassen, bis die Zeit seiner Thätigkeit gekommen, als ihm lange vor Tagesanbruch mit siebenfachem Glockenschall zu melden, daß nichts passirt, vielmehr noch alles finster sei und daß er sich immerhin noch einige Stunden auf’s Ohr legen könne.

Das arme Land Tirol hat überhaupt einen ungemeinen Reichthum an schönen Glocken. Selbst in den kleinsten Dörfern hört man oft ein Geläute, wie es anderswo kaum der Herr Stadtpfarrer erklingen lassen kann. Wohlthäter und Wohlthäterinnen sorgen überdies durch Schenkungen und Vermächtnisse, durch freiwillige Sammlungen für jeden Schmuck der Kirche. Stets wird an neuen Fahnen, an neuen Meßgewändern gestickt, die alten Bilder werden durch neue ersetzt, die vergilbten Altäre wieder frisch bemalt und neu vergoldet, zuweilen mit schweren Kosten ein heiliger Leib verschrieben – auf Büheln und Bergen entstehen neue Einsiedeleien, Capellen und Kirchen, die man fast für überflüssig halten möchte, weil deren im Thal schon zu viele sind. Diese rege Sorge für die Kirche läßt aber wenig Theilnahme für die Schule aufkommen, und es war jedenfalls ein schlimmes Seitenstück zu dem Glanz des Cultus, daß es in Tirol vor nicht so langer Zeit noch Schullehrer gab, welche jährlich sechszig Gulden einnahmen und ihre mageren Küchel mit Leinöl backen mußten.

Es ist jetzt sieben Uhr des Morgens und ein wunderschöner Tag. Unter der Altane rauscht der Mühlbach dahin; die Aepfelbäume des Dorfes paradiren mit ihren goldenen Früchten; da und dort schlendert ein schmauchender Jüngling, ein feiertäglich prangendes Mädchen durch die Gassen. Rechts auf der Höhe steht die Dorfkirche im stillen Friedhofe und streckt den rothen Spitzthurm sehnsüchtig in die Luft; die rothen Kuppeln, die das „Herrenhaus“ zieren, zeugen von der einstigen Bedeutung dieses Baues, der jetzt zum Gasthof geworden, früher aber ein adeliger „Ansitz“ gewesen ist. Ueber dem freundlichen Dörfchen mit seinen raschen Bächen, seinen steinbeschwerten Dächern, unter denen die Kürbisse und die gelben Maiskolben trocknen, seinen Büschen und Bäumen erheben sich die wilden Hörner verschiedenen Namens, der waldige Brandenberg, das kahle Sonnwendjoch, die nackten Spitzen des Vomperjoches. Jenseits des Baches aber in nächster Nähe zeigt sich die lange, mächtige Hütte, in welcher das Passionsspiel vor sich gehen soll. Den Giebel zieren einige Flaggen und der rothe tirolische Adler. Unter diesem hängt ein Laubkranz mit der Inschrift: Willkommen! Die Cassirer haben sich bereits auf ihren Amtssitz begeben, denn vorsichtige Leute treten wohl jetzt schon ein, um sich einen guten Platz zu sichern. Auch die Hökerinnen setzen ihre Tische zurecht, decken ihre Obstkörbe auf oder legen Würstchen, Krapfen, Trauben und andere beliebte Näschereien zum Verkaufe aus. Allmählich stellen sich am rauschenden Bach verschiedene Häuflein beiderlei Geschlechts im Sonntagsstaat zusammen, um die Hütte, die Landschaft und sich selbst zu betrachten.

Ferner fahren zahlreiche Rollwagen aus dem Zillerthal und anderer Nachbarschaft knallend herein und bringen viel zierliche Jugend, viel würdiges Alter mit. Auch der Extrazug, der von Bozen und Innsbruck kommt, rollt in den Bahnhof und wirft unzähliges Volk aus, das sich in dichtem Gedränge durch das Dorf nach der Spielhütte wälzt.

Nachgerade ist es neun Uhr geworden und krachende Böller verkünden den Anfang des Stücks. Dort drinnen spielen sie zum Willkomm bereits die Ouvertüre zur Stummen von Portici, über deren Zusammenhang mit dem bittern Leiden und Sterben unseres lieben Heilandes sich mancher städtische Grübler den Kopf zerbricht. Auch „die schönsten Augen“, welche gleich darauf folgen, scheinen eher geeignet, die Stimmung für ein Schäferspiel vorzubereiten, als für den Kreuzestod auf Golgatha. Glückliches Landvolk, das über solche Zweifel weit hinaus ist und mit ungestörtem Behagen sich von den weichen Klängen ergötzen läßt!

Endlich haben wir Platz genommen und betrachten uns zunächst den Vorhang. Dieser stellt das Dorf Brixlegg mit seiner Kirche, dem Herrenhause und andern namhaften Gebäuden, den, Hüttenwerken dem Bahnhof und zwei dampfenden Zügen, sowie die gesammte Berglandschaft wahrheitsgetreu vor Augen. Ist es auch nicht Rottmann’s Pinsel, so würden wir doch, wenn wir Kunstkritiker wären, dem Vorhang eine milde Beurtheilung nicht versagen können, da ihn Anton Windhager, damals Gehülfe im nahen Bade Mähren, umsonst gemalt hat. Ob die inneren Decorationen, mit denen wir im Laufe des Stücks bekannt werden, ihm an Kunstfertigkeit vor- oder nachstehen, wollen wir auch nicht untersuchen – genug, daß Herr Franz Staudacher, der Tischlermeister und Maler zu Rattenberg, der sie gefertigt, ein sehr braver Mann ist.

Die Hütte faßt gegen dreitausend Zuschauer und war dieses Mal nahezu gefüllt. Auf dem ersten Platze zeigte sich heute wenig Vornehmheit, dagegen erschienen viele wohlhabende Bauern, Müller und Wirthe mit den gutgenährten und reichgeschmückten Gattinnen. Hinter diesen, auf den wohlfeileren Bänken, sitzt der mindere, aber gleich biedere Landmann von Tirol mit Weib und Kindern. Doch mischen sich auch einige Zuzügler und Pilgerinnen aus dem bairischen Gebirge ein, wie aus den niederen Spitzhüten mit den goldenen Schnüren und Quasten leicht zu ersehen. Der Hitze wegen hatten viele Männer ihre Röcke ausgezogen und sahen dem Spiele in bloßen, doch reinlichen Hemdärmeln zu.

Den Inhalt dürfen wir wohl bei allen guten Christen als bekannt voraussetzen; daher nur einige Mittheilungen über die Art der Darstellung. Diese ist der Hauptsache nach dieselbe, wie bei dem Passionsspiel, welches alle Jahrzehnte zu Ammergau im bairischen Gebirge abgehalten wird. Das Stück zerfällt darnach in zwei gesonderte Bestandtheile, in die symbolischen Vorgänge aus dem alten Testamente, welche als prophetische Vorzeichen der Leidensgeschichte in lebenden Bildern oder Pantomimen dargestellt werden, und in die Ereignisse der Leidensgeschichte selbst. So oft ein lebendes Bild erscheinen soll, treten fünfzehn Genien, lauter Mädchen von sechs bis achtzehn Jahren, vor den niedergelassenen inneren Vorhang und eine der älteren giebt die Erklärung der kommenden Darstellung. Hierauf entfernen sich die Genien, der Vorhang rollt auf, das lebende Bild wird bei griechischem Feuer sichtbar und unten fällt Gesang mit Instrumentalbegleitung ein. Nach einer kleinen Weile sinkt der Vorhang, erhebt sich wieder und es zieht dann ein Stück der Leidensgeschichte mit Bewegung und Rede an uns vorüber, um später wieder einem lebenden Bilde Raum zu geben.

Diese Einrichtung ist zwar altherkömmlich, allein es wäre vielleicht doch besser gewesen, sie zu beseitigen. Einmal ist die Symbolik mitunter sehr gesucht, denn es gehört fast übermenschliche Combinationsgabe dazu, um in dem Backenstreiche, welcher dem Propheten Micha zu Theil wurde, weil er dem König Achab die Wahrheit sagte (I. Kön. 22, V. 24.), ein Vorbild jenes späteren zu sehen, welchen Jesus vor dem Hohenpriester Annas erhielt. Ebenso fraglich wird es Vielen vorkommen, ob sich Judas mit Beziehung auf den treulosen Ahitophel erhängt hat, welch’ letzterer viele Jahrhunderte vorher (nach II. Sam. 17, V. 23.) jene Todesart ebenfalls wählte, weil sein Rath nicht befolgt worden war. Diese Bilder wären an und für sich gar nicht zu verstehen, und es kommt dem Beschauer daher ein billiges Passionsbüchlein zu Hülfe, welches Vorbild und Handlung nach der Reihenfolge angiebt, allein auch so setzt die Bekanntschaft mit Micha, Achab, Ahitophel und andern jüdischen Celebritäten des alten Testaments eine Bibelfestigkeit voraus, wie sie bei dem Tiroler Landmann nicht gesucht werden darf und vielleicht auch nicht gern gefunden werden möchte. Die Auferstehung Christi wurde in den ersten Vorstellungen durch einen Walfisch und den Propheten Jonas symbolisirt, deren ersterer letzteren „gesund an das Land setzte“.

Beide miteinander, und zwar der Prophet trotz oder vielleicht wegen seiner Gesundheit, erregten aber jedesmal ein so heiteres Gelächter, daß man später dieses Vorbild ganz entfallen ließ.

Wenn man aber die lebenden Bilder einmal zulassen wollte, so müßte man, meine ich, dem Ammergauer Theater auch die [745] vielbesprochene äschyleisch-shakespearische Mittelbühne entlehnen, was man leider nicht gethan hat. Auf dem Ammergauer Theater kommen nämlich alle die Vorbilder nur in der Mittelbühne zur Darstellung, und diese kann mit eigenem Vorhang geschlossen werden. Es ist daher die Möglichkeit gegeben, jene in dieser inneren Halle vorzubereiten, während die Leidensgeschichte im Proscenium ungehindert fortspielt. Nichts desto weniger treten mitunter auch in Ammergau sehr lange Pausen ein, welche durch den Gesang der Schutzgeister, die dort aus Männern, Weibern und Jungfrauen bestehen, nicht sehr ansprechend ausgefüllt werden. In Brixlegg aber nimmt dieser Uebelstand ein riesiges Maß an, weil die lebenden Bilder nur gestellt werden können, wenn der Hauptvorhang herabgelassen ist. Die fünfzehn Genien sind dann zur Ausfüllung der Leere auch nicht zu verwenden, weil die Kürze der Zeit nicht erlaubt hat, sie zu Sängerinnen heranzubilden, und so entsteht eine thatenlose Leere, die mitunter fast eine halbe Stunde dauert. Das ganze Orchester, die Geiger, die Trompeter, die Sänger und Sängerinnen verlassen dann ihre Plätze und viele von den Zuschauern, denen es innen zu heiß geworden, begeben sich ebenfalls in’s Freie, um frische Luft zu schöpfen. Dagegen werden Bier- und Weinflaschen, Brod, Würstchen und andere Erfrischungen herumgereicht, welchen das Publicum immer gerne zuspricht. So verwandelt sich denn das Theater mit plötzlichem Umschwünge in eine Schenke, wo man sich zwar einer anständigen und gemüthlichen, aber von den Leiden Christi weit abliegenden Unterhaltung überläßt.

Diese weltlichen Pausen möchten denn auch die Ursache sein. warum sich die andächtige Empfindung, die doch beabsichtigt wird, nie recht festsetzen will. Während in Ammergau das Publicum, und namentlich das ländliche, dem Spiel mit frommer Beschaulichkeit, mit andächtigem Starren, oft mit Thränen in den Augen folgt, ist in Brixlegg die Stimmung eher kritisch und moquant. Man scheint lieber lachen als weinen zu wollen, wenigstens werden alle die kleinen Ungeschicklichkeiten, die sich im Spiel ergeben, mit heiterm Kichern glossirt und es ist oft zu bemerken, wie der Nachbar die Nachbarin mit dem Ellenbogen stößt, um sie auf dieses oder jenes Fehlerchen aufmerksam zu machen. In dein Augenblicke aber, da Judas, der Verräther, an seinem Aste baumelt, geht ein ganz vernehmliches Gelächter durch die gefüllten Räume. Dies hängt wohl auch mit dem Volkscharakter zusammen, denn die Unterinnthaler sind fast immer bei guter Laune und werden überhaupt zu den heitersten Völkerschaften Deutschlands gerechnet.

Indessen – wenn auch nichts in dem Stück vollkommen ist, so ist doch fast Alles so gut, als es unter solchen Umständen erwartet werden darf. An dem Spiele der Männer ist sehr wenig auszusetzen, der Heiland wird allgemein belobt. Ihn stellt der Hüttenarbeiter Josef Schweiger dar, der aber auch Intendant einer bäuerlichen Bühne in der Nachbarschaft ist. Auch für den Judas hat sich eine tüchtige Kraft gefunden, die den Charakter drastisch, doch ohne Uebertreibung darzustellen weiß. Pontius Pilatus, der Wirth von Mähren, imponirt durch seine römische Insolenz. Die Frauen und Jungfrauen dagegen haben nicht Allen genügt. Damit hat es aber eine besondere Bewandniß. Es giebt nämlich für das schwache Geschlecht im bajuvarischen Stamme (vielleicht auch in den übrigen) eine eigenthümlich hohe, weinerliche, singende Stimmlage. Sie gilt für besonders ehrwürdig und wird nur bei feierlichen Gelegenheiten verwendet, wie z. B. bei Schulprüfungen, wo die Mädchen auf die Fragen, die der Herr Dechant stellt, immer in solch’ erhabener Tonart antworten. So konnten sich denn auch die Frauen und Jungfrauen zu Brixlegg dieser herkömmlichen Sprachweise so wenig einschlagen, als es jene zu Ammergau vermögen. Natürlich zu sprechen würde unehrerbietig und dem heiligen Gegenstand nicht angemessen erscheinen.

So weit es zulässig ist, sind die Costüme der Hauptpersonen mit weidlichem Prunke ausgestattet, die vorkommenden Anachronismen in Kleidung, Waffen u. s. w. wirken nicht störend, da der Liebhaber tirolischer Bauernspiele an derlei naive Abweichungen von der historischen Strenge ohnedem gewöhnt ist. Daß dem Ammergauer Spiele im Ganzen der Vorzug einzuräumen, scheint uns allerdings außer Frage. Die Ammergauer haben aber auch eine mehr als hundertjährige Tradition für sich sie haben Alles prüfen und das Beste behalten können, während in Brixlegg, da keiner der Leiter jenes Vorbild gesehen, Alles von Neuem erdacht und improvisirt werden mußte. Namentlich sind die großen, volkreichen Scenen, wie der Einzug Christi in Jerusalem oder die Kreuzigung, in Ammergau viel lebendiger und malerischer eingerichtet, als zu Brixlegg.

Alle die Schwierigkeiten und Hindernisse eines solchen Unternehmens wohl beachtend, war aber das Publicum im großen Ganzen immer sehr beifällig gestimmt. Daß sich gebildete Städter und Städterinnen hin und wieder kritische Noten zu machen erlaubten, versteht sich von selbst; das Landvolk dagegen sprach sich unbedingt zufrieden aus und gab dieser Anerkennung auch durch immer wachsenden Besuch den erwünschtesten Ausdruck.

Was endlich die irdischen Früchte des Brixlegger Spiels betrifft, so ist der Segen sehr reichlich geflossen. Es sind über zwölftausend Gulden eingegangen, wovon die eine Hälfte zur Deckung der Einrichtungskosten diente, die andere zur Verfügung steht. Da man vorher an die Möglichkeit eines Ueberschusses gar nicht gedacht hat, so ist für diesen Fall keine Bestimmung getroffen worden und sollen die Ansichten über die Verwendung jetzt ziemlich weit auseinander gehen. Doch wollen wir hoffen, daß der Friede, der die Spielenden bisher zusammengehalten, über ihnen auch walten werde, wenn die kitzlige Frage zur Entscheidung kommt, wie die Silberlinge vertheilt werden sollen.