Aus deutschen Lustschlössern/1. Auf dem Winterkasten

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Autor: H. S.
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Titel: Aus deutschen Lustschlössern/1. Auf dem Winterkasten
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aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 39–42
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Aus deutschen Lustschlössern.
1. Auf dem Winterkasten.

Unsere weiland Hunderte von Landesvätern haben in löblicher Eintracht dafür Sorge getragen, daß das liebe deutsche Reich von Nord nach Süd und von Ost nach West mit kaiserlichen und königlichen, mit kurfürstlichen und pfalzgräflichen, mit herzoglichen und prinzlichen, mit bischöflichen und äbtlichen Residenzen und Lustschlössern jedweder Art und Gestalt geschmückt und beglückt werde, und gar viele dieser größeren und kleineren allerhöchsten und höchsten Tuscula, dieser Steine und Burgen, dieser Ruhen und Haine, dieser Fantaisies und Belvederes, dieser Solituden und Eremitagen, dieser Monrepos und Monplaisirs sind in der That bewunderns- und neidenswerthe Flecken Erde, Architektur- und Landschaftsbijoux, keines derselben aber reicht durch die vollendete Vereinigung von Natur und Kunst in Ensemble und Totalwirkung an den weltbekannten Sommersitz heran, welchen sich die reichen Landgrafen und Kurfürsten von Hessen eine Stunde von ihrer Hauptstadt Kassel geschaffen haben.

[40] „Mein Gott, welch einen großen schönen Gedanken hat euer Fürst da in unseres Gottes Schöpfung hineingeworfen!“ so rief ein deutscher Dichter aus, als er an einem Sommermorgen die Wilhelmshöhe[1] zum ersten Male vor Augen hatte, und wer jemals die entzückende grüne Bergterrasse des Habichtswaldes mit ihren Bauten und Anlagen erschaute, der stimmt gewiß aus vollem Herzen dem ehrwürdigen Sänger der Messiade bei – denn kein Geringerer ist es, den wir citiren. „Ganz Europa hat nichts Herrlicheres aufzuweisen,“ meint gar ein seiner Zeit viel gelesener Reiseschriftsteller, ein Mann von Geist und Witz, der mancher Länder Städte und Menschen gesehen. In wie weit sein Wort stichhaltig ist auch nach der Begeisterung des Momentes, lassen wir dahin gestellt sein.

Der Stil von Schloß und Park, halb Renaissance, halb Rococo und Zopf, mannigfach manierirt und gespreizt, rührt zum großen Theil aus einer Zeit her, wo das landschaftliche Auge ein anderes war als heutzutage, wo man, in der Reaction gegen alle mittelalterlichen Anschauungen und Geschmacksrichtungen, „unplaisirlich“, „wüst und öde“ nannte, was uns jetzt als hochpittoresk und hochromantisch erscheint, allein das Ganze in seiner Harmonie von Natur und Menschenwerk bleibt unvergleichlich, und wenn sich der Mensch auch da und dort bemüht hat, die Natur zu corrigiren, dem Gesammteffect hat es keinen Eintrag zu thun vermocht.

Ich habe Wilhelmshöhe in allen Luftströmungen und Wetterstimmungen, in jeder Färbung und Beleuchtung gesehen, nie aber schöner als neulich beim durchsichtig klaren Himmel eines milden Herbsttages, eben als das Laub sich zu röthen begann. Vor mir die weite freie Aussicht auf das heitere Fuldathal mit der Stadt im Herzen, der stundenlangen Allee von alten Linden, die zum Plateau heraufführt, der Reihe von Zwischenstufen mit Feldern und Baumgruppen, mit Wiesen und Häusern daneben und den sanft geformten Bergen rechts und links und in der bläulichen Dämmerung des Hintergrundes; rund um mich herum der sich über drei Berge hinwegziehende köstliche Park mit seinen Büschen, seinen Blumen und Rasengründen, seinen Bächen und Weihern; dann das Schloß selbst, gefällig und imposant zugleich, mit seiner Kuppel, seiner Freitreppe und seinem Porticus; zur Seite die Riesenfontaine mit ihrer mächtigen Wassersäule; im Rücken die buntbetupften Waldhöhen mit der Löwenburg und dem Erzkoloß des Hercules, der sich gleich einem ungeheuern aufgehobenen Finger aus der Laublücke heraus in den Himmel reckt, zwischen alle dem in reizendem Wechsel Thäler, Schluchten, Felsen, Cascaden und Aquäducte und überall das fröhliche Treiben von Lustwandlern und Touristen – ein Bild, wie es das mittlere Deutschland in gleichem Einklang aller Elemente wohl nicht zum zweiten Male umschließt, ein Paradies von landschaftlicher Schönheit, um es mit einem banalen Worte bequem und verständlich zu bezeichnen, ein Ort, der so recht auf die Erde gesetzt zu sein scheint zu würdiger Erfüllung und edlem Genuß des Lebens.

So dünkt uns Wilhelmshöhe, so muß es Jedem dünken im Entzücken des ersten Anblicks, in der unbefangenen Hingabe an den Eindruck des Momentes, welchem sich Niemand entziehen kann. Bald aber kommen spukhafte Schatten hervorgekrochen aus den vergoldeten Prunksälen, aus den verschwiegenen Boudoirs, aus den kühlen Grotten, aus den lauschigen Boskets heraus, rauschen unheimlich in den Baumwipfeln, schlüpfen über den Sammet der Wiesen, tauchen aus der Fontaine empor, huschen durch die Alleen und umschweben uns, wo wir gehen und stehen, bis sie alle die Pracht vor unseren Augen ausgelöscht haben und uns schauert in der gespenstischen Gesellschaft.

Die Geister der früheren Zeiten sind es, die auf Wilhelmshöhe umgehen auch im Sonnenlichte des hellen Tages, die Erinnerungen vergangener Scenen und Gestalten, welche hier in diesen Räumen lebendig werden und auf uns eindringen, – ach, und wo ist da nur eine, bei der das Herz gern weilen möchte, bei der es sich beglückt, erhoben, veredelt fühlte? Von königlichem Prunk, von rauschender Lust, von Spiel und Fest und Sinnenzauber hat die Chronik von Wilhelmshöhe ohne Ende zu erzählen, – von Momenten höherer Weihe steht wenig geschrieben auf ihren Blättern. Ein Capitel aus jenem großen Buche der Monarchenwillkür, eine der unzähligen Variationen über „der Staat, das bin ich!“ wozu unsere deutschen Fürstenschlösser so reiche Beiträge und Illustrationen geliefert, wissen die Annalen von Wilhelmshöhe zwar nicht von Schauderdramen zu berichten, wie sie sich in den italienischen und russischen Palästen abgespielt haben; aber das auf den Schlachtfeldern Europas und weit drüben jenseits des Oceans verspritzte Blut der Landessöhne hat die Bauten, die Wasserkünste, die Gartenwunder von Wilhelmshöhe zusammengeleimt, und dort hinter den hohen Spiegelfenstern, auf den blanken Marmorparquets ihrer Säle, in den weichen Seidenpolstern ihrer wollusthauchenden Pavillons, im verborgenen Geranke ihrer Lauben ist der Schweiß und das Mark des Volkes verpraßt, ist seinen vaterländischen Gefühlen Hohn gesprochen, seine Würde mit Füßen getreten, seine Sitte und Tugend vergiftet worden. Und wenn es heute verwaist steht, das Prachtschloß, wenn von ihm aus der letzte seiner „angestammten“ Herren den Passionsweg antreten mußte in Gefangenschaft und Exil, wer möchte darin nicht das „Weltgericht der Weltgeschichte“ erkennen, nicht die nothwendige Sühne für jahrhundertelanges Verschulden?

„Denn jede Schuld rächt sich auf Erden.“

Zu allen Zeiten haben die geistlichen Herren ein scharfes Auge für landschaftliche Schönheit und Vortheile gehabt. Das bezeugt die Lage von Hunderten von Klöstern und Stiften in und außerhalb Deutschlands. Geistliche Herren sind’s auch gewesen, welche die aussichtsreiche Bergterrasse des eine Stunde westlich von Kassel beginnenden Habichtswaldes, wo sich heute die Pracht von Wilhelmshöhe entfaltet, für die Welt entdeckt und zuerst besiedelt haben. Auf dem Plateau des sogenannten Winterkasten unweit des heutigen Dorfes Kirchdetmold gründeten Anfangs des elften Jahrhunderts Augustinermönche ein Kloster, das sie nach der Farbe des Felsens, auf welchem sie ihren Bau unternahmen, das Kloster auf dem Weißen Steine hießen. Die Reformation machte dem ziemlich unheiligen Leben der heiligen Väter und Mütter – denn auch diese hatten sich inzwischen auf dem Winterkasten etablirt – ein Ende, und die Stiftsgebäude, soweit sie noch vorhanden waren, begaben sich in den Dienst St. Hubert’s, als bequemer Sammel- und Rastpunkt bei den fürstlichen Jagden in den nahen Wäldern. Später führte Landgraf Moritz, der ein hochgelehrter Herr – seine Zeitgenossen gaben ihm den Beinamen „der Gelehrte“ – aber Glanz und Prunk nicht minder zugethan war als den Wissenschaften und mit seinen militärischen Neigungen den Grund legte zu der Soldatenpassion, welche bis in die Neuzeit hinab die hessischen Fürsten gekennzeichnet hat, an Stelle des halbverwüsteten Klosters ein eigenes Jagd- und Lustschloß auf, sein „Moritzheim“ oder die „Villa Mauritiana“. Der dreißigjährige Krieg, der ihm selbst die Krone kostete, zerstörte ihm auch seine Schöpfung, und lange Jahre lag der Weiße Stein wieder wüst und einsam.

Vom letzten Viertel des siebenzehnten bis über das erste des achtzehnten Jahrhunderts hinaus regierte in Hessen ein kluger, doch curioser Herr, eine Art Tausendkünstler, der selbst sich in allen möglichen Wunderwerken versuchte und eine merkwürdige Collection von seltsamen Gegenständen und Raritäten, Perpetuum-mobiles, Zauberlaternen, kunstvollen Uhren, Automaten und dergleichen zusammenbrachte. Er reiste zu diesem Behufe in Europa umher, tauschte mit anderen Potentaten, namentlich mit dem vielfach gleichgesinnten August dem Starken von Sachsen, seine Schätze aus und suchte sich mit Künstlern und Mechanikern nah und fern in Verbindung zu setzen. Italien war damals das gelobte Land für alle fürstlichen Touristen; auch Landgraf Karl pilgerte dahin. Dort sah er die Vorbilder für die großen Bauten, die er nachmals zu Hause unternahm, für das noch heute berühmte Marmorbad im Kasseler Curgarten, besonders aber für seine Schöpfungen auf dem Weißen Steine. Diesen wollte er zu einem wahren Zaubergarten umwandeln, und der italienische Baumeister, welchen er sich mitbrachte, Francesco Guarnieri, mußte ihm seine Pläne verwirklichen helfen. Ludwig der Vierzehnte hatte sein Versailles, August von Sachsen seinen Zwinger, Eberhard Ludwig von Würtemberg sein Ludwigsburg; Landgraf Karl mußte etwas besitzen, was anders und größer war als alle diese Weltwinkel, und so fiel er auf die Idee eines Riesenschlosses mit einem wahrhaftigen Riesen auf der Zinne.

Auf der höchsten Spitze der den Weißen Stein im Westen säumenden Bergkette ließ er ein kolossales Achteck setzen und als Krone des Ganzen die Statue des berühmten farnesischen Hercules in gigantischen Verhältnissen. Es war eine der „curieusen“ Ideen [41] einer an curieusen Gedanken und Menschen merkwürdig reichen Zeit, und Landgraf Karl hatte jedenfalls erreicht, was er erstrebt: kein Potentat konnte etwas Aehnliches aufweisen, wie das Octogon des Karlsberges mit seinem Erzkolosse noch heute ohne Gleichen da steht. Aber er hatte auch etwas gezeigt, was damals, wo man die prunkvollsten Schlösser in die langweiligsten Sandebenen oder die ödesten Moorflächen zu bauen liebte, nicht eben häufig war: ein Auge für wahre landschaftliche Schönheit. Wer sich durch die grabeskalten dunkeln Tuffsteingewölbe der unteren Stockwerke bis zu der um den ganzen Bau laufenden Platform emporgearbeitet hat, was freilich ein gut Theil Anstrengung kostet, dem liegt eine Welt vor dem Blicke, wie sie der Versucher dem frommen Zimmermannssohne vom Gipfel des Oelbergs nicht schöner enthüllt haben kann. Bis zum düstern Brocken hinüber im Norden und gen Morgen bis zum waldgrünen Inselsberge schweift das wonnetrunkene Auge, und dazwischen sieht es ein unendliches Meer ausgegossen von Städten, Dörfern, Weilern, Burgen, Flüssen, Büschen, Forsten und Bergen, einen solchen Reichthum von Landschaftspracht, daß man Stunde um Stunde mit immer gleichem Entzücken vor dem Panorama weilt.

Die Natur aber, wie er sie fand, genügte dem Landgrafen nicht. In jenen Tagen ging ein merkwürdiger Zug und Drang nach dem Wasser. Wasser mußte rauschen und plätschern, rinnen, springen, stürzen, wo immer sich ein großer Herr seinen Sommersitz herrichtete. Marly, Versailles, Hollabrunn bei Salzburg, Herrenhausen bei Hannover, alle diese berühmten Wasserwerke und Wasserspielereien mit ihren mythologischen Ungethümen und Grotten sind um die Scheide des siebenzehnten und achtzehnten Jahrhunderts entstanden. Natürlich konnte auch der Weiße Stein seiner Wasserkünste nicht entrathen, und reicher, umfänglicher, imposanter sollten sie werden, als Alles was die Welt bis jetzt dergleichen kannte, vollkommene Zauberconstructionen. Da sann nun der baulustige Fürst, der gern Alles selbst und allein machen wollte, der in den verschiedensten mechanischen und technischen Hantirungen mit Geschick dilettirte, und entwarf den Plan zu den großen Cascaden und zu der gewaltigen Fontaine, die uns noch heute zu Staunen und Bewunderung fortreißen. Mit seinem italienischen Baumeister grub er unweit vom Gipfel seines Karlsberges sein „Riesenbecken“ aus, in welchem sich die Wasser sammeln. Mitten darin liegt unter einem massigen Felsblocke der Riese Eukeladus und schleudert aus seinem Gigantenmunde einen fast sechszig Fuß hohen Wasserstrahl in die Luft, während zu beiden Seiten des Bassins reiche Cascaden in dreifachen Absätzen tausend Fuß tief in die vom Meergotte Neptun mit dem Dreizack behütete Grotte hinabstürzen.

Im Jahre 1714 spielten die Wasser vom Weißen Steine, welche Karl’s Namen verewigt haben, zum ersten Male. Der ganze glänzende Hof, mit dem sich der Landgraf nach Versailler Muster umgeben hatte, war entboten, dem Schauspiele beizuwohnen. In vergoldeter kleiner Barke, welche acht venetianische Gondoliere lenkten, schiffte der Fürst, ein noch sehr stattlicher Herr von achtundfünfzig Jahren, durch das in Quadern ausgehauene Becken bis in die Neptunsgrotte hinein, um hier, vor der fallenden Fluth geschirmt, dem bestrickenden Spiele des beweglichen Elementes zuzusehen und durch den in den Irisfarben schimmernden Tropfenschleier die draußen in Gruppen vertheilte Versammlung der vornehmen Schäfer und Schäferinnen, Götter und Göttinnen zu mustern. Hinter Boskets versteckt war die Hofcapelle postirt, deren Mitglieder zumeist aus Italienern bestanden, und während Welle auf Welle in die Tiefe hinabrauschte, mischten sich die Fanfaren und Rondos der wälschen Musiker in das melodische Geplätscher. Plötzlich schallt’s von der Höhe hinab wie die Posaune des Weltgerichts; die Capelle schweigt und Alles lauscht erschrocken den wundersamen durchdringenden Tönen; nur der Landgraf und seine Vertrauten kannten das Räthsel dieser Klänge. Oben am Riesenbassin ist ein Centaur mit einem Faune aufgerichtet, die auf gewaltigen Kupferhörnern blasen. Indem nämlich, vom einströmenden Wasser gedrückt, die Luft aus diesen Hörnern entweicht, erzeugen sich Töne, welche gleich dem Schmettern einer Tuba Mark und Bein erschüttern.

So ging das Fest in stetem Wechsel bis zum Abend fort, dann flammten ringsum in Busch und Wald Hunderte von bunten Lampen auf und streuten magische Lichter und Tinten auf Teiche und Cascaden. Endlich erschienen Karl’s gigantische Heiducken oder Hofhusaren, sämmtlich Kinder der ungarischen Pußten, die er sich um theueres Geld zusammengeworben hatte, und unter dem Scheine ihrer Wachsfackeln und Lichtersträuße stieg, den Landgrafen an der Spitze, die Gesellschaft mit ihren hochstelzigen Stöckelschuhen die achthunderundzweiundvierzig Stufen zum oberen Bassin hinauf. Neue Wunder! Das Becken glühte wie eine Fluth geschmolzenen Erzes, und ein Purpurstrahl stieg aus Eukeladus’ Munde in die feuerhelle Luft empor. Aus der hintern Grotte aber tauchte aus einem Muschelkahne ein Trupp lieblicher Nixen auf und tänzelte zu dem Landgrafen heran, welchem auf einem mit Teppichen behangenen Steinwürfel der Sitz bereitet war, ihn mit grünem Geschlinge und Wasserrosen zu umwinden, während die sogenannten Ortolansänger, als Waldnymphen costümirt, mit einer getragenen weichen Arie von Alessandro Scarlatti das Echo der Haine weckten.

Mit seinem getreuen Factotum und Liebling, dem Geheimen Secretär Ries, der allein das Ohr seines durchlauchtigen Herrn und weit größern Einfluß besaß, als alle Minister, Generale und Höflinge zusammen genommen, hatte der Landgraf den Plan des Festes bis in das kleinste Detail selbst entworfen, wie die Wunderschöpfung überhaupt als sein „eigenstes Werk“ gelten darf, er hatte sogar höchstselbst unterschiedliche Proben des Schauspiels abgehalten, mit welchem er jetzt seine Gäste überraschte, dennoch fühlte auch er sich zur Begeisterung fortgerissen, wie er nunmehr seine Ideen verwirklicht vor sich hatte. In huldvollster Laune, wie es sonst nicht immer die Art des hochfahrenden und hitzigen Herrn war, der auch mit seinen höchsten „Dienern“ nicht viel Federlesens zu machen pflegte, ging er von einem Cavalier zum andern, von Dame zu Dame und lächelte wohlgefällig über die ungeheuchelte Bewunderung, welche sich in Aller Blicken und Aller Worten kundgab, bis ihn eine jener reizenden Nixen ausschließlich zu fesseln schien. Ein ganz junges Mädchen, eine noch kaum erblühte Knospe, war sie doch eine Erscheinung, die unwillkürllch zum gebietenden Mittelpunkt des Kreises wurde, in welchem sie sich zeigte. In ihren großen, tiefblauen Augen brannte ein Feuer, das zugleich mächtige Leidenschaft und ungewöhnliche geistige Begabung und Energie verrieth.

Von Stunde an hat der Landgraf seine Nixe – ein Fräulein von Bernhold – nicht wieder aus dem Blick verloren, und diese im Verein mit ihren speculirenden Angehörigen das Interesse festzuhalten und auszunützen verstanden, welches sie dem Fürsten eingeflößt hatte. Jahre darauf hat sie Karl zu seiner erklärten Favoritin erhoben, und nachdem er selbst alt und fast stumpfsinnig geworden, ist sie es gewesen, welche Hof und Staat regiert hat, die erste jener galanten Damen, die fortan und bis auf die jüngsten Tage, bis zur gewaltsamen Entsetzung der Dynastie, am Kasseler Hofe und im Lande der Katten so allmächtige und meist so unselige Herrscherinnen gewesen sind, Landverderberinnen, wie jene berüchtigte Gräfin von Urach, unter deren Schandwirthschaft das Herzogthum Württemberg schmachtete.

Aehnliche Feste wie das hier geschilderte sind sich bei den Wassern des Weißen Steines in endloser Reihe gefolgt, mit all’ dem Pompe, welchen Karl zu entfalten liebte; die Königin von allen war „die schöne Bernhold“, wie sie die Cousine des Landgrafen, die Herzogin von Orleans, nennt. Karl war glücklich: die Wasserkünste auf dem Winterkasten waren das Wunder Europas geworden. Fürsten und Cavaliere aus Deutschland und aus der Fremde, gelehrte Touristen aus Frankreich und England kamen nach Kassel, die Herrlichkeit zu beschauen und dem Urheber derselben in Prosa und Poesie Weihrauch anzuzünden. Was fragten die staunenden Fremden danach, wo die fabelhaften Summen herkamen, welche des Landgrafen Wasserkünste und Feste verschlangen; fragte doch dieser selbst nicht, wo er das Geld fand, das er zu seinen Bauten und Anlagen, zu seinem Hof- und Militärgepränge brauchte. Um so besser wußte das arme Volk, was ihm sein prachtliebender Landesvater kostete: es hatte Trank- und Acciseabgaben, hatte den Licent, hatte Stempel-, Rangclassen-, Perrücken- und viele andere Steuern zu entrichten, die von Jahr zu Jahre stiegen – mehr noch, es hatte den Glanz mit seinem Blute zu bezahlen. Landgraf Karl ist es gewesen, welcher jenen schmachvollen Menschenhandel ersann, der zur „berechtigten Eigenthümlichkeit“ des Hessen-Kassel’schen Hauses werden sollte, um dieses für alle Zeiten zu richten und zu brandmarken. Den Venetianern verkaufte er ein Regiment Infanterie zum Türkenkriege auf der Halbinsel Morea, im spanischen Erbfolgekriege lieferte er England und Holland Tausende tapferer Hessen zum Kanonenfutter auf den Schlachtfeldern [42] in Italien endlich überließ er den Königen Georg dem Ersten und Georg dem Zweiten von Großbritannien nachmals Tausende seiner Landeskinder, so daß er allein ein jährliches Einkommen von zweimalhundertundvierzigtausend Pfund Sterling bezog. Die Wasserwunder des Weißen Steines – sie sind buchstäblich aus den Blutstropfen seiner Unterthanen entquollen. Ob ihm nie gegraust haben mag, wenn er an der Seite seiner schönen Nixe dem Wellentanze zuschaute? Ob ihm nicht aus jeder Wasserperle ein Gespenst aufgestiegen ist, das ihn als Raubmörder anklagte?

Die Maitressenwirthschaft und der Seelenschacher der hessischen Fürsten – Beides ist aus dem Wogenschaume des Winterkastens geboren worden. Wenn auch nicht so toll, so ist doch auch in den Prunkgemächern der übrigen deutschen Lustschlösser die Leidensgeschichte unseres armen Volkes zu suchen und wir wollen den Lesern der Gartenlaube davon erzählen.
H. S.



  1. Die Leser der Gartenlaube erinnern sich wohl noch der großen Ansicht von Wilhelmshöhe in Nr. 21 des Jahrgangs 1860.
    D. Red.