Ausgewählte Abhandlungen des Bischofs Aphraates/Abhandlung über das Fasten

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Textdaten
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Autor: Aphrahat
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Titel: Abhandlung über das Fasten
Untertitel:
aus: Bibliothek der Kirchenväter, Band 38, S. 52–66.
Herausgeber: Gustav Bickell
Auflage: 1
Entstehungsdatum: 3./4. Jahrhundert
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Jos. Koesel’sche Buchhandlung
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Erscheinungsort: Kempten
Übersetzer: Gustav Bickell
Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
siehe auch die Themenseite über das Fasten
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[052]
Abhandlung über das Fasten.[1]




Das heilige Fasten ist wohlgefällig vor Gott, ein Schatz, der im Himmel aufbewahrt wird, eine Waffe gegen den Bösen und ein Schild, welcher die Pfeile des Feindes auffängt. Dieses behaupte ich nicht etwa bloß nach meiner eigenen Meinung, sondern nach den heiligen Schriften, welche uns längst schon bewiesen haben, daß das Fasten denen, welche es in Wahrheit üben, stets heilbringend ist. Denn das Fasten, mein Lieber, besteht nicht nur in der bloßen Enthaltung von Speise und Trank, sondern es gibt vielerlei Arten, das Fasten zu beobachten. Denn Manche enthalten sich des Brodes und Wassers, bis daß sie hungern und dursten. Andere fasten, um jungfräulich zu bleiben; deßhalb essen und trinken sie nicht, obgleich sie hungern und dursten. Dieß ist ein vorzüglicheres Fasten. Andere fasten aus Enthaltsamkeit; auch dieß ist ein gutes Fasten. Wieder Andere [053] enthalten sich des Fleisches, des Weines und verschiedener Arten von Speisen. Andere fasten, indem sie ihrem Munde einen Zaum setzen, damit er keine sündhaften Reden führe. Andere enthalten sich vom Zorne und bändigen ihre Natur, um nicht von derselben überwunden zu werden. Wieder Andere enthalten sich vom Besitz, um die Seele von der Dienstbarkeit gegen denselben abzulösen. Manche enthalten sich eines bequemen Lagers, um besser zum Gebet wach bleiben zu können. Andere enthalten sich aller weltlichen Sorgen, um nicht vom Feinde beschädigt zu werden. Andere fasten, um sich abzutödten und durch freiwilliges Leiden ihrem Herrn wohlzugefallen. Manche endlich vereinigen alle diese verschiedenen Arten mit einander und machen daraus ein einziges Fasten, ebenso wie die, welche sich der Nahrung bis zum Hungerleiden enthalten. Wer sich der Speise und des Trankes enthält, wird ein Fastender genannt; wenn er aber auch nur ein Weniges ißt oder trinkt, so bricht er sein Fasten. Ebenso, wenn sich ein Mensch aller jener vorhergenannten Dinge enthält, läßt sich aber gelegentlich in irgend einer Hinsicht eine Übertretung zu Schulden kommen, so wird ihm sein Fasten nicht mehr angerechnet. Wenn er auch nur ein einziges von jenen Geboten übertritt, so wird auf sein Fasten ebenso wenig Rücksicht genommen, als wenn er noch so gierig gegessen und getrunken hätte. Wenn Jemand von Hunger gedrängt das Fasten gebrochen hat, so begeht er keine sehr schwere Sünde; wer sich aber zur Enthaltung von allen jenen Dingen verpflichtet hat und dann wagt, auch nur eine einzige dieser Verpflichtungen zu übertreten, dessen Sünde ist schwer und nicht gering.

Vernimm nun, mein Lieber, den Unterricht über das reine Fasten! Zuerst übte Abel das reine Fasten aus in seinem Opfer, alsdann Henoch, indem er wohlgefällig war vor seinem Gotte, Noe, indem er sich inmitten des verkehrten Geschlechts unsträflich bewahrte; Abraham, indem er reich an Glauben war; Isaak um des Bundes mit Abraham willen; Jakob um des Schwures an Isaak willen, weil er Gott kannte; und Joseph durch seine Barmherzigkeit und [054] Mildthätigkeit. Die Reinheit Dieser aller galt vor Gott als ein vollkommenes Fasten; aber ohne Herzensreinheit wird das Fasten gar nicht angenommen. Merke wohl, mein Lieber, und erkenne, daß es eine vorzügliche Sache ist, wenn der Mensch sein Herz läutert, seine Zunge im Zaum hält, seine Hände vom Bösen fernhält, kurz alles Das thut, was ich dir vorher aufgezählt habe. Denn es geziemt sich nicht, Honig mit Wermuth zu vermischen. Wenn sich also Jemand der Speise und des Trankes enthält, so möge er nicht Schmähungen und Verwünschungen mit seinem Fasten verbinden. Denn es gibt nur eine Thüre zu deinem Hause, welches ein Tempel Gottes ist, und nicht geziemt es sich, o Mensch, daß aus derselben Thüre, in welche der König eintritt, Dünger und Schlamm herauskomme. Der Mensch wache also sorgfältig über seinen Mund, in welchen der Königssohn eingeht, indem er durch Enthaltung von allen Sünden faste und so den Leib und das Blut Christi empfange![2] Es ist dir nicht erlaubt, o Mensch, aus diesem deinem Munde sündhafte Worte auszustoßen.

Höre, was unser Erlöser sagt: „Was in den Menschen hineingeht, verunreinigt ihn nicht; aber was aus seinem Munde ausgeht, das verunreinigt ihn.“ Moyses beobachtete ein reines Fasten, als er auf den Berg hinaufstieg und dem Volke das Gesetz brachte. Durch sein zweimaliges Fasten von vierzig Tagen erlangte er Kraft und hohe Herrlichkeit, so daß die Haut seines Angesichtes glänzte. Er wandte den Zorn von seinem Volke ab, daß es nicht vertilgt wurde. Nach dem Beispiel Moysis fastete auch der wunderkräftige Elias, als er von der Jezabel verfolgt wurde und in vierzigtägigem Fasten bis zum Horeb wanderte, wo Gott einst mit Moyses geredet hatte. Daselbst offenbarte er sich ihm und gebot ihm[3]: „Gehe hin und salbe den Jehu, den [055] Sohn Namsi’s, und den Hazael, welcher das Strafgericht den Söhnen Israels vollziehen soll, und den Elisäus, den Sohn Saphat’s, auf daß er deine Stelle ersetzen soll!“ Da freute er sich über die Offenbarung seines Herrn, die ihm im vollkommenen Fasten zu Theil geworden war, wie sich einst Moyses gefreut hatte bei seinem zweimaligen Fasten von vierzig Tagen, als er den Zorn seines Gottes von seinem Volke abwandte und die vom Finger Gottes beschriebenen Bundestafeln herab brachte. Diesen Beiden gereichte ihr Fasten zum Ruhme, und sie werden durch dasselbe vollkommen gemacht.

Nun will ich dir auch das mißfällige Fasten der Gottlosigkeit und des Blutvergießens zeigen, welches Jezabel, die Verführerin Achab’s und Verderberin Israels, anordnete. Diese schrieb nämlich einen Brief im Namen Achabs und sandte zu den Bewohnern Jezrahels Bösewichte, welche ihren gottlosen Befehlen gehorchten. In diesem abscheulichen Brief schrieb sie Folgendes[4]: „Ordnet ein Fasten an und setzet den Naboth an die Spitze des Volkes; aber ihm gegenüber setzet jene beiden gottlosen Männer, damit sie gegen ihn Zeugniß ablegen, er habe Gott und den König gelästert, und steinigt ihn alsdann zu Tode!“

Daß aber Jezabel schrieb, es sollten zwei Zeugen gegen Naboth aussagen, Dieß, mein Lieber, trug sie ihnen auf, wie um das heilige Gesetz zu erfüllen. Denn im Gesetze steht geschrieben, daß ein auf den Tod Angeklagter nicht auf die Aussage eines einzigen Zeugen hingerichtet werden dürfe, sondern, daß er aus den Mund zweier Zeugen sterben solle.[5] Auch steht also geschrieben: „Die Hand der Zeugen soll sich zuerst zu seiner Steinigung erheben, und nachher die Hand des ganzen Volkes!“ Ferner schrieb sie, daß jene bezeugen sollten, Naboth habe Gott und den König gelästert. Auch Dieses hatte sie in dem gottlosen Brief wie nach dem heiligen Gesetze geschrieben. Denn es heißt ja darin[6]: [056] „Wer den Namen Gottes lästert, soll gesteinigt werden, weil er den heiligen Namen lästernd ausgesprochen hat.“ Der Jezabel aber war Nichts an der Lästerung des Namens Gottes gelegen, sondern es kam ihr darauf an, die Habgier Achabs zu befriedigen, welcher den Weinberg Naboths begehrte und nicht bedachte, daß geschrieben steht: „Laß dich nicht gelüsten alles dessen, was dein Nächster hat!“

O Jezabel, du Verführerin Achabs, wer ist denn eigentlich jener Gott, den Naboth gelästert haben soll? Ist es der, dessen Altar du zerstört und dessen Propheten du getödtet hast? Oder welchen König hat er gelästert? Denjenigen, welcher das Gesetz aufgehoben hat und das Besitzthum Naboths an sich zu reissen gesucht hat? Warum aber, o Jezabel, hast du nicht das erste Gebot des Gesetzes erfüllt, welches lautet: „Du sollst keinen anderen Gott anbeten“? Jezabel aber diente dem Baal. Ferner steht geschrieben[7]: „Du sollst kein unschuldiges Blut vergießen in dem Lande, welches dir der Herr, dein Gott, geben wird.“ Du hättest aber bedenken sollen, o Jezabel, daß geschrieben steht[8]: „Das Land, in welchem Blut vergossen ist, kann nicht anders wieder entsühnt werden, als wenn in demselben das Blut des Blutvergießers vergossen wird.“ Hätte dich nicht, o Jezabel, die Furcht hiervor davon abhalten sollen, deinen gottlosen Eifer für die Ehre Gottes durch die lügenhafte Beschuldigung, Naboth habe Gott gelästert, zu bethätigen? Ferner heißt es:[9] „Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll wieder vergossen werden.“ Aber Jezabel die Gott Erzürnende, vergoß das unschuldige Blut Naboths. Deßhalb wurde das Blut Jezabels an derselben Stelle vergossen, wo das unschuldige Blut durch das von ihr angeordnete gottlose Fasten vergossen worden war, und sie selbst wurde von den Hunden gefressen. Auch das Blut Achabs, welcher ihrem Rathe gehorcht hatte, leckten eben daselbst die Hunde.

[057] Wenn sich nun Jezabel, freilich zu ihrem eigenen Schaden, das, was ihr zweckdienlich schien, aus dem Gesetze auswählte, warum habt dann ihr, gottlose Bewohner von Jezrahel, jenen Brief angenommen, in welchem das frevelhafte Fasten und das lügenhafte Zeugniß vorgeschrieben war? In welcher Generation ist es je erhört worden, daß man Fasten mit dem Vergießen unschuldigen Blutes verbunden hat? Warum habt ihr nicht den gottlosen Brief und das falsche Zeugniß zurückgewiesen? Achab und Jezabel sind mit gerechtem Gerichte bestraft worden, weil sie das unschuldige Blut Naboths vergossen hatten. Aber auch die Jezraheliten haben ihre gerechte Strafe erhalten, weil sie der Jezabel Gehorsam geleistet hatten. Denn Osee[10] hat also geweissagt: „Noch kurze Zeit, so ahnde ich die Blutschuld Jezrahels am Hause Jehu’s.“ Jehu hatte nämlich das Blut Naboths an Jezabel und dem Hause Achabs gerächt, aber auch die Jezraheliten in dem Tempel Baals erschlagen lassen. So kam das Blut Naboths über sie, wie Jehu am Tage der Rache sprach[11]: „Am Abend habe ich gesehen, wie dem Blute Naboths und seiner Söhne Vergeltung zu Theil geworden ist.“ So hat den Jezraheliten ihr Fasten den Untergang bereitet.

Die Niniviten aber hielten ein reines Fasten, als ihnen Jonas die ihnen bevorstehende Zerstörung ankündigte. Denn es steht geschrieben, daß sie auf die Bußpredigt des Jonas hin ein anhaltendes Fasten und ein inständiges Flehen um Gnade anordneten, indem sie im Sack und in der Asche trauerten. Ihre kostbaren Gewänder zogen sie aus und bekleideten sich statt dessen mit Säcken. Ihren Kindern versagten sie die Mutterbrust, und den Schafen und Rindern die Weide. Denn also steht geschrieben: „Die Nachricht kam vor den König von Ninive; da erhob er sich von seinem Throne, nahm seine Krone vom Haupte und demüthigte sich, im Sack und in der Asche sitzend. Dann ließ er in seiner Stadt [058] Ninive Dieses ausrufen: Auf Befehl des Königs und seiner Großen sollen die Menschen Nichts essen und die Thiere nicht geweidet werden, auch soll man kein Wasser trinken, sondern Menschen und Vieh sollen in Säcke gehüllt werden, und man soll Gott mit Seufzen anrufen, auf daß sich sein Zorn und Grimm von uns wende und wir nicht zu Grunde gehen.“ Auch heißt es also: „Gott sah an ihre Werke, wie sie sich bekehrten von ihren bösen Wegen; darum wandte er seinen Grimm von ihnen ab und vertilgte sie nicht.“ Es heißt nicht: Er sah an ihr Fasten von Speise und Trank, ihren Sack und ihre Asche, sondern: daß sie sich bekehrten von ihren bösen Wegen und von der Gottlosigkeit ihrer Werke. Denn der König von Ninive hatte also ausrufen lassen: „Es bekehre sich ein Jeder von seinem bösen Wege und von dem Raube in seinen Händen!“ So wurde das Fasten der Niniviter ein reines Fasten, welches angenommen wurde, weil sie sich bekehrten von ihren bösen Wegen und von dem Raub in ihren Händen. Deßhalb wurde das reine Fasten der Niniviten wohlgefällig aufgenommen und glich nicht dem Fasten der Jezraheliten, bei welchem unschuldiges Blut vergossen wurde.

Denn es ist stets vorzüglicher, mein Lieber, daß der Mensch sich der Sünden enthalte, als daß er ohne Speise und Trank faste, oder sich kasteie, oder seinen Hals wie einen Haken krümme, oder sich in Sack und Asche demüthige, wie Isajas[12] sagt. Denn wenn sich der Mensch der Speise und des Trankes und aller Lebensbedürfnisse enthält, sich in Sack und Asche demüthigt und trauert, so ist Dieß zwar Gott wohlgefällig, angemessen und schön; aber noch weit schöner ist es, wenn er sich verdemüthigt, die Riegel der Sünde löst und die Fesseln des Truges bricht. Alsdann strahlt sein Licht hervor gleich einer Sonne, und seine Gerechtigkeit zieht vor ihm her. Er wird gleich einem wonnevollen Paradiese und gleich einer Quelle, deren Wasser nicht versiegen. [059] Nicht gleicht er den Heuchlern, welche finstere Mienen annehmen, ihr Angesicht entstellen und ihr Fasten zur Schau tragen.

Denn siehe, auch die Irrlehrer, diese Gefäße des Bösen, fasten und bekennen ihre Sünden; aber Niemand belohnt sie dafür. Wer sollte wohl dem Marcion Lohn verleihen, da er unseren Schöpfer nicht als den Gütigen anerkennt? Wer sollte dem Valentinus sein Fasten vergelten, da er verkündigt, er habe viele Schöpfer, und der vollkommene Gott könne weder mit dem Munde genannt noch im Gedanken erkannt werden? Wer sollte endlich jenen Söhnen der Finsterniß ihren Lohn verleihen, welche, der Lehre des gottlosen Manes folgend, gleich Schlangen im Dunkel hausen und Chaldäerkunst, babylonische Weisheit betreiben? Siehe, alle Diese fasten, aber ihr Fasten wird nicht angenommen.

Höre nun, mein Lieber, wie ich dir das Gott wohlgefällige Fasten des Mardochäus und der Esther beschreibe, welches zum Schilde des Heils für alle ihre Volksgenossen wurde. Sie machten den Übermuth ihres Verfolgers Aman zu nichte. Sein Frevel fiel auf sein eigenes Haupt zurück, und sein ränkevoller Plan traf ihn selbst. Mit dem Gericht, welches er vollstrecken wollte, wurde er selbst gerichtet, und mit dem Maße, mit welchem er messen wollte, wurde ihm selbst gemessen. So wie er thun wollte, ward ihm gethan, und in den Strick seiner Sünden verstrickte er sich selbst. Sein Reichthum, dessen er sich rühmte, konnte ihn nicht begleiten, und seine Klugheit ihn nicht erretten. Er, welcher in Bosheit schlau war, mußte seinen Hochmuth gedemüthigt sehen. Seine Herrlichkeit wich von ihm, sein Glanz ward ausgetilgt, seine Gewalt sank zu Boden; durch den Schlag, den er führen wollte, ward er selbst getroffen, und durch den Mord, den er plante, ward er selbst getödtet. Denn er wollte alle Juden im Reiche des Königs Assuerus ausrotten; aber das Fasten des Mardochäus und der Esther ward zu einem Schilde, welcher die Pfeile des Aman auffing. In seinem Frevel ward Aman gefangen, sein mörderisches Schwert durchbohrte sein eigenes Herz, und sein [060] zum Verbrechen gespannter Bogen wurde zerbrochen, wie es von den Gottlosen heißt[13]: „Ihr Schwert dringe ein in ihr Herz, und ihre Bogen mögen zerbrochen werden.“ Dieß erfüllte sich an Aman; denn er und seine Söhne wurden an dem Holze aufgehängt, welches er für Mardochäus und seine Söhne hatte aufrichten lassen. In die Grube, welche er gegraben hatte, fiel er selbst hinein und fing sich in der Schlinge, die er gelegt hatte. Sein Netz wurde über ihn selbst ausgebreitet, er verstrickte sich in die Maschen seiner Ungerechtigkeit und ging zu Grund auf ewig. Warum aber, mein Lieber, verlangte Aman vom König, daß alle Juden vertilgt werden sollten? Er wollte seine Volksgenossen an ihnen rächen und den Namen des Volkes Israel ebenso austilgen, wie das Gedächtniß Amaleks ausgetilgt worden ist unter dem Himmel. Aman war nämlich als Überrest der Amalekiter zurückgeblieben. Denn es steht geschrieben, daß Aman, Sohn Amadathi’s, der Agagiter hoch angesehen war bei dem König Assuerus.[14] Mardochäus aber saß täglich an der Pforte des Königs wegen Esther, seiner Pflegetochter. Diese war vor den König Assuerus gebracht worden und gefiel ihm mehr als alle anderen Jungfrauen, so daß sie an die Stelle der Königin Vasthi gesetzt wurde. Mardochäus nun kam täglich und setzte sich an die Pforte des Königs. Aman war Reichskanzler des Königs und im ganzen Reiche hochgeehrt, so daß Jedermann an der Pforte des Königs, wenn er ihn sah, niederfiel, um ihn anzubeten. Nur Mardochäus blieb vor ihm stehen. Deßhalb wollte Aman bei dieser Gelegenheit Rache an den Volksgenossen des Mardochäus nehmen und ihnen vergelten, was sie den Amalekitern angethan hatten. Denn Aman stammte aus dem Geschlecht Agag’s, des Königs der Amalekiter, welchen Saul gefangen genommen hatte und Samuel vor dem Herrn in Stücke hieb. Mardochäus aber war aus dem Geschlechte Sauls, aus dem Stamme Benjamin, von den Söhnen des [061] Kis. Weil also Saul die Amalekiter ausgetilgt hatte, wollte Aman sein Volk an den Israeliten und die Tödtung Agags an Mardochäus rächen. Er war nicht verständig genug, zu bedenken, daß über Amalek die Austilgung seines Gedächtnisses unter dem Himmel beschlossen war. Denn es steht ja geschrieben in dem heiligen Gesetze, daß Gott zu Moyses sprach[15]: „Rede mit Josue, dem Sohne Nun’s, daß er Männer auswähle, um Krieg gegen Amalek zu führen!“ Da rüstete sich Josue und kämpfte mit Amalek, und Amalek ward besiegt durch das Kreuzeszeichen, nämlich durch die Ausbreitung der Arme Moysis. Nachdem nun diejenigen Amalekiter, welche in den Kampf gezogen, getödtet worden waren, blieb noch ein Rest von ihnen am Leben, nämlich diejenigen, welche zu Hause geblieben waren. Da sprach der Herr zu Moyses: „Schreibe in das Buch zum Gedächtniß und lege es nieder bei Josue, dem Sohne Nun’s, daß ich das Gedächtniß Amaleks austilgen werde unter dem Himmel.“ Darauf hatte er noch eine Zeit lang Geduld mit den Amalekitern, ob sie vielleicht auf die Drohung des heiligen göttlichen Buches, daß er sie austilgen wolle, achten und sich zu ihm bekehren würden, so daß er sich ihnen wieder gnädig zuwenden könne. Denn wenn sie sich bekehrt hätten, so hätte Gott ihre Buße angenommen, wie die der Niniviten, als er ihnen die Zerstörung ihrer Stadt androhte, dann aber, als sie sich bußfertig zeigten, seinen Zorn von ihnen abwandte, oder, wie mit den Gabaonitern ein Bund geschlossen wurde, daß sie nicht mit den Kanaanitern ausgerottet werden sollten, oder wie der Rahab, welche geglaubt hatte, Buße gewährt wurde. Ebenso wäre auch den Amalekitern Buße gewährt worden, wenn sie in der ihnen gelassenen vierhundertjährigen Frist geglaubt hätten. Als er aber nach Ablauf dieser Zeit sah, daß sie sich nicht bekehrt hatten, ergrimmte sein Zorn über sie, und er gedachte dessen, was Moyses in das heilige Buch eingetragen hatte. Als [062] nämlich Saul die Herrschaft angetreten hatte, beauftragte Gott den Samuel, ihm Folgendes zu sagen[16]: „Ich gedenke dessen, was euch Amalek that, als ihr auszoget aus Ägypten, daß er euch mit dem Schwerte entgegen trat; nun ziehe aus und vertilge das sündige Amalek!“ Da zog Saul aus und besiegte die Amalekiter; weil er aber Barmherzigkeit an Amalek that, wurde er der Herrschaft entsetzt. Denn er hatte einen Rest von ihnen am Leben gelassen, und Aman stammte aus diesem Reste von dem Geschlecht Agag’s, welchen Saul verschont hatte. Mardochäus aber stammte aus dem Geschlechte Sauls, welcher den Agag und sein Volk besiegt hatte. Es gibt Menschen, mein Lieber, welche dem Mordochäus einen Vorwurf daraus machen, daß er sich nicht vor Aman erhob, da dieser doch der Angesehenste im ganzen Reich war. Was hätte es ihm denn geschadet, wenn er ihm diese Ehrenbezeigung erwiesen hätte? Wenn Mardochäus, so sagen Jene, vor Aman aufgestanden wäre, so wäre der Vernichtungsplan gegen ihn und sein Volk nicht ausgesonnen worden. Wer aber so spricht, versteht die Bedeutung der Sache nicht. Denn Mardochäus handelte so als ein gerechter Gesetzesbeobachter. Er erhob sich nicht vor dem gottlosen Aman, weil er seines Ahnen Saul gedachte, gegen welchen Gott zürnte und ihm die Herrscherwürde entzog, weil er an Agag, dem Ahnen Amans, Barmherzigkeit gethan hatte. Ebenso hätte sich auch Mordochäus, wie Saul, den göttlichen Zorn zugezogen, wenn er dem Frevler Aman Ehrerbietung erwiesen hätte. Weßhalb aber, mein Lieber, zog wohl vor allen anderen Völkern gerade Amalek Israel entgegen, um es zu bekämpfen? Dieß that das amalekitische Volk in der Absicht, die Söhne Jakobs im Kampfe zu vernichten und die Segnungen Isaaks wirkungslos zu machen. Es fürchtete nämlich, von den Söhnen Jakobs unterjocht zu werden, weil Isaak zu Esau gesprochen hatte[17]: „Du wirst deinem Bruder Jakob dienen; wenn du dich aber bekehrst, [063] so wird sein Joch von deinem Halse weichen.“ Du mußt aber wissen, daß Amalek der Sohn eines Nebenweibes von Eliphas, dem Sohne Esau’s, war und den Söhnen Jakobs nicht unterworfen sein wollte. Weßhalb aber, mein Lieber, sprach Isaak zu Esau: „Du wirst deinem Bruder Jakob dienen“? Dieses Wort bezieht sich darauf, daß sich Esau Weiber aus den Töchtern Kanaan’s genommen hatte, welcher von seinem Vater Noe verflucht worden war. Denn so sprach Noe[18]: „Ein Knecht der Knechte sollst du deinen Brüdern sein.“ Weil also Abraham und Isaak wußten, daß die Kanaaniter verflucht waren, so nahmen sie deren Töchter nicht zu Weibern für ihre Söhne. Weder nahm Abraham für Isaak, noch Isaak für Jakob eine Kanaaniterin, damit nicht der verfluchte Same der Kanaaniter mit dem von Noe gesegneten Samen Sems vermischt würde. Deßhalb wollte also Amalek, der Sohn des Eliphas, des Sohnes Esau’s, mit den Söhnen Jakobs kämpfen, um den Fluch Noe’s und den Segen Isaak’s wirkungslos zu machen. Gott schrieb also dem Amalek ein gerechtes Urtheil, indem er bestimmte, daß sein Gedächtniß durch die Söhne der Rachel ausgetilgt werden sollte. Zuerst besiegte ihn Josue, der Sohn Nun’s, aus dem Stamme Joseph, alsdann Saul, aus dem Stamme Benjamin; seinen Rest aber rottete Mardochäus durch Fasten aus. Weil Amalek unter allen Söhnen Esau’s vorzugsweise die Söhne Jakobs zu bekämpfen strebte, deßhalb ist gerade sein Gedächtniß ausgetilgt worden. Siehe da, wie durch das Fasten des Mardochäus und der Esther Aman von seiner Höhe herabgestürzt und der Rest der Amalekiter vertilgt worden ist! Mardochäus aber erlangte die Würde Amans und ward der Oberste im ganzen Reiche des Assuerus, und Esther ward Königin anstatt der Vasthi.

Auch Daniel hielt drei Wochen lang ein Gott wohlgefälliges Fasten für sein Volk, damit es nicht nach Ablauf der siebenzig Jahre noch ferner in Babel bleiben müsse. [064] Nachdem er einundzwanzig Tage gefastet hatte, ward ihm Erhörung vor seinem Gotte. In jenen Tagen erhob sich Gabriel, welcher stets die Gebete anzunehmen pflegt, zu seiner Hilfe. Aber ausser Gabriel half ihm auch noch Michael, der Schützer Israels. Diese beiden widerstanden einundzwanzig Tage hindurch dem Fürsten von Persien[19] und unterstützten den Daniel während feines Fastens. Wisse aber, mein Lieber, daß Gabriel die Gebete vor Gott zu bringen pflegt. Denn als Daniel betete, kam Gabriel zu ihm, stärkte ihn und sprach[20]: „Dein Gebet ist vor Gott erhört worden, und ich bin gekommen wegen deiner Worte.“ Darauf ermuthigte er ihn und sprach zu ihm: „Fasse Muth, Mann des Verlangens!“ Auch während er in feinem Fasten betete, kam Jener zu ihm. Auch das Gebet des Zacharias brachte Gabriel vor Gott. Denn als er ihm die Geburt des Johannes ankündigte, sprach er zu ihm: „Dein Gebet ist vor Gott erhört worden.“ Deßgleichen brachte er das Gebet Maria’s vor Gott und verkündete ihr die Geburt Christi. Denn er sprach zu ihr: „Du hast Gnade gefunden vor Gott.“ Wodurch anders aber hat Maria Gnade gefunden als durch Fasten und Gebet? Denn Gabriel nimmt die reinen Gebete in Empfang und bringt sie vor Gott. Michael aber war der Vorsteher des Volkes Israel, von welchem Gott zu Moyses sprach[21]: „Siehe, mein Engel wird vor dir herziehen und die Bewohner des Landes vor dir her ausrotten.“ Dieser ist es, welcher der Eselin Balaams entgegentrat, als Balaam auszog, um den Israeliten zu fluchen. Dieser ist es auch, welcher dem Josue, dem Sohne Nun’s, mit gezücktem Schwerte auf dem Felde von Jericho stehend erschien. Als ihn Josue erblickte, glaubte er, daß er zu den Feinden gehörte. Deßhalb fragte ihn Josue[22]: „Gehörst du zu uns oder zu unseren Feinden?“ Michael antwortete [065] ihm: „Ich bin der Anführer der Heerschaaren des Herrn und bin hierher gekommen.“ Er stürzte die Mauern Jericho’s vor Josue, dem Sohne Nun’s. Er vernichtete vor ihm her einunddreissig Könige. Er vertilgte auch die tausendmal tausend Äthiopier vor Asa. Er schlug ferner im Lager der Assyrier hundert fünfundachtzig tausend Mann. Als die Israeliten nach Babel hinweg geführt wurden, begleitete er sie dorthin und kämpfte für sie. Weßhalb aber, mein Lieber, fastete wohl Daniel diese drei Wochen hindurch unter Gebet und Flehen zu Gott, da doch nicht gemeldet wird, daß er in der vorhergehenden Zeit gefastet habe? Er steht geschrieben, daß er, als die siebenzig Jahre seit der Zerstörung Jerusalems vollendet waren, von welchen der Prophet Jeremias[23] geredet hatte, vor seinem Gott eifrig betete und flehte, damit die Gefangenschaft des Volkes nicht über diese siebenzig Jahre hinaus verlängert werden möchte. Denn schon früher hatte Gott die ursprünglich von ihm angesetzte, Frist bald verkürzt, wie dem Geschlecht zur Zeit Noe’s, bald verlängert, wie dem Volke Israel in Ägypten, bald wieder verkürzt, wie dem Reiche Ephraim. Deßhalb befürchtete Daniel, daß das Volk wegen seiner Sünden noch über die von Jeremias geweissagten siebenzig Jahre hinaus zurückbleiben würde. Während seines Fastens nun halfen ihm Gabriel und Michael, der Fürst des Volkes Israel. Denn auch dem Michael war daran gelegen, daß er sich über die Rückkehr seines Volkes in das heilige Land freuen könne; und Gabriel half ihm, damit ihm das Volk im Tempel reichliche Früchte des Gebets liefere, welche er täglich als Opfergaben Gott darbringen könne. Aber der Fürst des persischen Reiches wollte nicht, daß der heilige Same Israels das sündige persische Reich verlasse, welches ihm von Gott anvertraut war. Denn je mehr Gerechte in demselben waren, um so mehr gereichte es ihm zur Freude. Sieh’ also, welchen reichen Erfolg das Gott gefällige Fasten Daniels hatte [066] indem es nach Verlauf der siebzig Jahre der Gefangenschaft seines Volkes ein Ende machte! Aber der Vorsteher unserer Heerschaar ist größer als Gabriel und herrlicher als Michael und stärker als der Fürst Persiens. Er ist unser Herr und Erlöser Jesus Christus, welcher gekommen ist, um sich mit unserer Menschheit zu bekleiden, welcher Leiden und Versuchungen in seinem von uns angenommenen Leibe erduldet hat und den Versuchten zu helfen vermag. Denn er hat selbst für uns gefastet und unseren Widersacher besiegt und hat uns befohlen, stets zu fasten und zu wachen, damit wir durch die Kraft des reinen Fastens zu seiner Ruhe gelangen sollen.




  1. Diese Abhandlung liegt deutlich dem ersten der von uns mitgetheilten Gedichte Isaaks von Antiochien über das Fasten zu Grund. Viele Gedanken und Ausdrücke stimmen wörtlich überein.
  2. Hier wird die reale Gegenwart Christi in der Eucharistie sehr bestimmt bezeugt.
  3. III. Kön. 19, 15.
  4. III. Kön. 21, 9.
  5. Deuter. 17, 6–7.
  6. Levit. 24, 16.
  7. Deuter. 19, 10.
  8. Num. 35, 33.
  9. Gen. 9, 6.
  10. Os. 1, 4.
  11. IV. Kön 9, 26.
  12. Is. 58, 5–11.
  13. Ps. 36, 15.
  14. Esth. 3, 1.
  15. Exod. 17, 9.
  16. I. Kön.15, 2–3.
  17. Gen. 27, 40.
  18. Gen. 9, 25.
  19. Dem Schutzengel des persischen Reichs.
  20. Dan. 10, 13.
  21. Exod. 23, 23; 33, 2.
  22. Jos. 5, 13.
  23. Jer. 25, 12; 29, 10.