Critik der reinen Vernunft (1781)/Des Systems der Grundsätze des reinen Verstandes Dritter Abschnitt. Systematische Vorstellung aller synthetischen Grundsätze desselben.
« Des Systems der Grundsätze des reinen Verstandes Zweiter Abschnitt. Von dem obersten Grundsatze aller synthetischen Urtheile. | Immanuel Kant Critik der reinen Vernunft (1781) Inhalt |
Der Transscendentalen Doctrin der Urtheilskraft (Analytik der Grundsätze) Drittes Hauptstück. Von dem Grunde der Unterscheidung aller Gegenstände überhaupt in Phaenomena und Noumena. » | |||
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|
Daher werde ich unter meine Grundsätze die der Mathematik nicht mitzählen, aber wol dieienige, worauf sich dieser ihre Möglichkeit und obiective Gültigkeit a priori gründet, und die mithin als Principium dieser Grundsätze anzusehen seyn, und von Begriffen zur Anschauung, nicht aber von der Anschauung zu Begriffen ausgehen.
In der Anwendung der reinen Verstandesbegriffe auf mögliche Erfahrung ist der Gebrauch ihrer Synthesis entweder mathematisch, oder dynamisch: denn sie geht theils blos auf die Anschauung, theils auf das Daseyn einer Erscheinung überhaupt. Die Bedingungen a priori der Anschauung sind aber in Ansehung einer möglichen Erfahrung durchaus nothwendig, die des Daseyns der Obiecte einer möglichen empirischen Anschauung an sich nur zufällig. Daher werden die Grundsätze des mathematischen Gebrauchs unbedingt nothwendig, d. i. apodictisch lauten, die aber des dynamischen Gebrauchs werden zwar auch den Character einer Nothwendigkeit a priori, aber nur unter der Bedingung des empirischen Denkens in einer Erfahrung, mithin nur mittelbar und indirect bey sich führen, folglich dieienige unmittelbare Evidenz nicht enthalten, (obzwar ihrer auf Erfahrung allgemein bezogenen Gewißheit unbeschadet)| die ienen eigen ist. Doch dies wird sich beym Schlusse dieses Systems von Grundsätzen besser beurtheilen lassen.Die Tafel der Categorien giebt uns die ganz natürliche Anweisung zur Tafel der Grundsätze, weil diese doch nichts anders, als Regeln des obiectiven Gebrauchs der ersteren sind. Alle Grundsätze des reinen Verstandes sind demnach
1. Axiomen der Anschauung |
||
2. Anticipationen der Wahrnehmung |
3. Analogien der Erfahrung | |
4. Postulate des empirischen Denkens überhaupt. |
Grundsatz des reinen Verstandes: Alle Erscheinungen sind ihrer Anschauung nach extensive Grössen.
Eine extensive Grösse nenne ich dieienige, in welcher die Vorstellung der Theile die Vorstellung des Ganzen möglich macht, (und also nothwendig vor dieser vorhergeht). Ich kan mir keine Linie, so klein sie auch sey, vorstellen, ohne sie in Gedanken zuziehen, d. i. von einem Puncte alle| Theile nach und nach zu erzeugen, und dadurch allererst diese Anschauung zu verzeichnen. Eben so ist es auch mit ieder auch der kleinsten Zeit bewandt. Ich denke mir darin nur den successiven Fortgang von einem Augenblick zum andern, wo durch alle Zeittheile und deren Hinzuthun endlich eine bestimte Zeitgrösse erzeugt wird. Da die blosse Anschauung an allen Erscheinungen entweder der Raum, oder die Zeit ist, so ist iede Erscheinung als Anschauung eine extensive Grösse, indem sie nur durch successive Synthesis (von Theil zu Theil) in der Apprehension erkant werden kan. Alle Erscheinungen werden demnach schon als Aggregate (Menge vorhergegebener Theile) angeschaut, welches eben nicht der Fall bey ieder Art Grössen, sondern nur derer ist, die uns extensiv als solche vorgestellt und apprehendirt werden.Auf diese successive Synthesis der productiven Einbildungskraft, in der Erzeugung der Gestalten, gründet sich die Mathematik der Ausdehnung (Geometrie) mit ihren Axiomen, welche die Bedingungen der sinnlichen Anschauung a priori ausdrücken, unter denen allein das Schema eines reinen Begriffs der äusseren Erscheinung zu Stande kommen kan, z. E. zwischen zwey Puncten ist nur eine gerade Linie möglich; zwey gerade Linien schliessen keinen Raum ein etc. Dies sind die Axiomen, welche eigentlich nur Grössen (quanta) als solche betreffen.
Was aber die Größe, (quantitas) d. i. die Antwort auf die Frage: wie groß etwas sey? betrift, so giebt es| in Ansehung derselben, obgleich verschiedene dieser Sätze synthetisch und unmittelbar gewiß (indemonstrabilia) seyn, dennoch im eigentlichen Verstande keine Axiomen. Denn daß gleiches zu gleichem hinzugethan, oder von diesem abgezogen, ein gleiches gebe, sind analytische Sätze, indem ich mir der Identität der einen Grössenerzeugung mit der andern unmittelbar bewust bin; Axiomen aber sollen synthetische Sätze a priori seyn. Dagegen sind die evidente Sätze des Zahlverhältniß zwar allerdings synthetisch, aber nicht allgemein, wie die der Geometrie, und eben um deswillen auch nicht Axiomen, sondern können Zahlformeln genant werden. Daß 7 + 5 = 12 sey, ist kein analytischer Satz. Denn ich denke weder in der Vorstellung von 7, noch von 5, noch in der Vorstellung von der Zusammensetzung beyder die Zahl 12, (daß ich diese in der Addition beyder denken solle, davon ist hier nicht die Rede; denn bey dem analytischen Satze ist nur die Frage, ob ich das Prädicat wirklich in der Vorstellung des Subiects denke). Ob er aber gleich synthetisch ist, so ist er doch nur ein einzelner Satz. So fern hier blos auf die Synthesis des gleichartigen (der Einheiten) gesehen wird, so kan die Synthesis hier nur auf eine einzige Art geschehen, wiewol der Gebrauch dieser Zahlen nachher allgemein ist. Wenn ich sage: durch drey Linien, deren zwey zusammengenommen grösser sind, als die dritte, läßt sich ein Triangel zeichnen; so habe ich hier die blosse Function der productiven Einbildungskraft, welche die| Linien grösser und kleiner ziehen, imgleichen nach allerley beliebigen Winkeln kan zusammenstossen lassen. Dagegen ist die Zahl 7 nur auf eine einzige Art möglich, und auch die Zahl 12, die durch die Synthesis der ersteren mit 5 erzeugt wird. Dergleichen Sätze muß man also nicht Axiomen, (denn sonst gäbe es deren unendliche) sondern Zahlformeln nennen.
Der Grundsatz, welcher alle Wahrnehmungen, als solche, anticipirt, heißt so: In allen Erscheinungen hat die Empfindung, und das Reale, welches ihr an dem Gegenstande entspricht, (realitas phaenomenon) eine intensive Grösse, d. i. einen Grad.
Man kan alle Erkentniß, wodurch ich dasienige, was zur empirischen Erkentniß gehört, a priori erkennen und bestimmen kan, eine Anticipation nennen, und ohne Zweifel ist das die Bedeutung, in welcher Epicur seinen| Ausdruck προληψις brauchte. Da aber an den Erscheinungen etwas ist, was niemals a priori erkant wird, und welches daher auch den eigentlichen Unterschied des empirischen von dem Erkentniß a priori ausmacht, nemlich die Empfindung, (als Materie der Wahrnehmung) so folgt, daß diese es eigentlich sey, was gar nicht anticipirt werden kan. Dagegen würden wir die reine Bestimmungen im Raume und der Zeit, sowol in Ansehung der Gestalt, als Grösse, Anticipationen der Erscheinungen nennen können, weil sie dasienige a priori vorstellen, was immer a posteriori in der Erfahrung gegeben werden mag. Gesezt aber, es finde sich doch etwas, was sich an ieder Empfindung, als Empfindung überhaupt, (ohne, daß eine besondere gegeben seyn mag,) a priori erkennen läßt; so würde dieses im ausnehmenden Verstande Anticipation genant zu werden verdienen, weil es befremdlich scheint, der Erfahrung in demienigen vorzugreifen, was gerade die Materie derselben angeht, die man nur aus ihr schöpfen kan. Und so verhält es sich hier wirklich. Die Apprehension, blos vermittelst der Empfindung, erfüllet nur einen Augenblick, (wenn ich nemlich nicht die Succession vieler Empfindungen in Betracht ziehe). Als etwas in der Erscheinung, dessen Apprehension keine successive Synthesis ist, die von Theilen zur ganzen Vorstellung fortgeht, hat sie also keine extensive Grösse: der Mangel der Empfindung in demselben Augenblicke würde| diesen, als leer, vorstellen, mithin = 0. Was nun in der empirischen Anschauung der Empfindung correspondirt, ist Realität (realitas phaenomenon) was dem Mangel derselben entspricht, Negation = 0. Nun ist aber iede Empfindung einer Verringerung fähig, so daß sie abnehmen, und so allmählig verschwinden kan. Daher ist zwischen Realität in der Erscheinung und Negation ein continuirlicher Zusammenhang vieler möglichen Zwischenempfindungen, deren Unterschied von einander immer kleiner ist, als der Unterschied zwischen der gegebenen und dem Zero, oder der gänzlichen Negation, d. i. das Reale in der Erscheinung hat iederzeit eine Grösse, welche aber nicht in der Apprehension angetroffen wird, indem diese vermittelst der blossen Empfindung in einem Augenblicke, und nicht durch successive Synthesis vieler Empfindungen geschieht, und also nicht von den Theilen zum Ganzen geht; es hat also zwar eine Grösse, aber keine extensive. Nun nenne ich dieienige Grösse, die nur als Einheit apprehendirt wird, und in welcher die Vielheit nur durch Annäherung zur Negation = 0 vorgestellt werden kan, die intensive Grösse. Also hat iede Realität in der Erscheinung intensive Grösse, d. i. einen Grad. Wenn man diese Realität als Ursache, (es sey der Empfindung oder anderer Realität in der Erscheinung, z. B. einer Veränderung) betrachtet; so nent man den Grad der Realität als Ursache, ein Moment, z. B. das Moment der Schwere,| und zwar darum, weil der Grad nur die Grösse bezeichnet, deren Apprehension nicht successiv, sondern augenblicklich ist. Dieses berühre ich aber hier nur beyläufig, denn mit der Caussalität habe ich vor iezt noch nicht zu thun.So hat demnach iede Empfindung, mithin auch iede Realität in der Erscheinung, so klein sie auch seyn mag, einen Grad, d. i. eine intensive Grösse, die noch immer vermindert werden kan, und zwischen Realität und Negation ist ein continuirlicher Zusammenhang möglicher Realitäten, und möglicher kleinerer Wahrnehmungen. Eine iede Farbe z. E. die rothe hat einen Grad, der, so klein er auch seyn mag, niemals der kleinste ist, und so ist es mit der Wärme, dem Moment der Schwere etc. überall bewandt.
Die Eigenschaft der Grössen, nach welcher an ihnen kein Theil der kleinstmögliche (kein Theil einfach) ist, heißt die Continuität derselben. Raum und Zeit sind quanta continua, weil kein Theil derselben gegeben werden kan, ohne ihn zwischen Grenzen (Puncten und Augenblicken) einzuschliessen, mithin nur so, daß dieser Theil selbst wiederum ein Raum, oder eine Zeit ist. Der Raum besteht also nur aus Räumen, die Zeit aus Zeiten. Puncte und Augenblicke sind nur Grenzen, d. i. blosse Stellen ihrer Einschränkung, Stellen aber setzen iederzeit iene Anschauungen, die sie beschränken, oder bestimmen sollen, voraus, und aus blossen Stellen, als aus Bestandtheilen, die| noch vor dem Raume oder der Zeit gegeben werden könten, kan weder Raum noch Zeit zusammen gesezt werden. Dergleichen Grössen kan man auch fliessende nennen, weil die Synthesis (der productiven Einbildungskraft) in ihrer Erzeugung ein Fortgang in der Zeit ist, deren Continuität man besonders durch den Ausdruck des Fliessens (Verfliessens) zu bezeichnen pflegt.Gleichwol mangelt es uns nicht an Beweisthümern des grossen Einflusses, den dieser unser Grundsatz hat, Wahrnehmungen zu anticipiren, und so gar deren Mangel so fern zu ergänzen, daß er allen falschen Schlüssen, die daraus gezogen werden möchten, den Riegel vorschiebt.
Wenn alle Realität in der Wahrnehmung einen Grad hat, zwischen dem und der Negation eine unendliche Stufenfolge immer minderer Grade statt findet, und gleichwol ein ieder Sinn einen bestimten Grad der Receptivität der Empfindungen haben muß, so ist keine Wahrnehmung, mithin auch keine Erfahrung möglich, die einen gänzlichen Mangel alles Realen in der Erscheinung, es sey unmittelbar oder mittelbar, (durch welchen Umschweif im Schlüssen, als man immer wolle) bewiese, d. i. es kan aus der Erfahrung niemals ein Beweis vom leeren Raume oder einer leeren Zeit gezogen werden. Denn der gänzliche Mangel des Realen in der sinnlichen Anschauung kan erstlich selbst nicht wahrgenommen werden, zweytens kan er aus keiner einzigen Erscheinung und dem Unterschiede des Grades ihrer Realität gefolgert, oder darf auch zur Erklärung derselben niemals angenommen werden. Denn wenn auch die ganze Anschauung eines bestimten Raumes oder Zeit durch und durch real, d. i. kein Theil derselben leer ist; so muß es doch, weil iede Realität ihren Grad hat, der, bey unveränderter extensiven Grösse der| Erscheinung bis zum Nichts (dem leeren) durch unendliche Stufen abnehmen kan, unendlich verschiedene Grade, mit welchen Raum oder Zeit erfüllet seyn, geben, und die intensive Grösse in verschiedenen Erscheinungen kleiner oder grösser seyn können, obschon die extensive Grösse der Anschauung gleich ist. Wir wollen ein Beyspiel davon geben. Beynahe alle Naturlehrer, da sie einen grossen Unterschied der Quantität der Materie von verschiedener Art unter gleichem Volumen (theils durch das Moment der Schweere, oder des Gewichts, theils durch das Moment des Widerstandes gegen andere bewegter Materien) wahrnehmen, schließen daraus einstimmig: dieses Volumen (extensive Grösse der Erscheinung) müsse in allen Materien, ob zwar in verschiedenem Maaße leer seyn. Wer hätte aber von diesen größtentheils mathematischen und mechanischen Naturforschern sich wol iemals einfallen lassen, daß sie diesen ihren Schluß lediglich auf eine metaphysische Voraussetzung, welche sie doch so sehr zu vermeiden vorgeben, gründeten, indem sie annehmen, daß das Reale im Raume, (ich mag es hier nicht Undurchdringlichkeit oder Gewicht nennen, weil dieses empirische Begriffe sind), allerwerts einerley sey, und sich nur der extensiven Grösse, d. i. der Menge nach unterscheiden könne. Dieser Voraussetzung, dazu sie keinen Grund in der Erfahrung haben konten, und die also blos metaphysisch ist, setze ich einen transscendentalen| Beweis entgegen, der zwar den Unterschied in der Erfüllung der Räume nicht erklären soll, aber doch die vermeinte Nothwendigkeit iener Voraussetzung, gedachten Unterschied nicht anders, wie durch anzunehmende leere Räume erklären zu können, völlig aufhebt, und das Verdienst hat, den Verstand wenigstens in Freyheit zu versetzen, sich diese Verschiedenheit auch auf andere Art zu denken, wenn die Naturerklärung hiezu irgend eine Hypothese nothwendig machen sollte. Denn da sehen wir, daß, obschon gleiche Räume von verschiedenen Materien vollkommen erfüllt seyn mögen, so, daß in keinem von beyden ein Punct ist, in welchem nicht ihre Gegenwart anzutreffen wäre, so habe doch iedes Reale bey derselben Qualität ihren Grad (des Widerstandes oder des Wiegens) welcher ohne Verminderung der extensiven Grösse oder Menge ins Unendliche kleiner seyn kan, ehe sie in das leere übergeht, und verschwindet. So kan eine Ausspannung, die einen Raum erfüllt z. B. Wärme, und auf gleiche Weise iede andere Realität (in der Erscheinung) ohne im mindesten den kleinsten Theil dieses Raumes leer zu lassen, in ihren Graden ins unendliche abnehmen, und nichts desto weniger den Raum mit diesen kleinern Graden eben sowol erfüllen, als eine andere Erscheinung mit grösseren. Meine Absicht ist hier keinesweges, zu behaupten: daß dieses wirklich mit der Verschiedenheit der Materien, ihrer specifischen Schwere nach, so bewandt sey, sondern nur aus einem Grundsatze des reinen Verstandes| darzuthun: daß die Natur unserer Wahrnehmungen eine solche Erklärungsart möglich mache, und daß man fälschlich das Reale der Erscheinung dem Grade nach, als gleich, und nur der Aggregation und deren extensiven Grösse nach, als verschieden annehme, und dieses so gar vorgeblicher massen, durch einen Grundsatz des Verstandes a priori behaupte.Es hat gleichwol diese Anticipation der Wahrnehmung etwas vor einen der transscendentalen gewohnten und dadurch behutsam gewordenen Nachforscher, immer etwas Auffallendes an sich, und erregt darüber einiges Bedenken, daß der Verstand einen dergleichen synthetischen Satz, als der von dem Grad alles Realen in den Erscheinungen ist, und mithin der Möglichkeit des innern Unterschiedes der Empfindung selbst, wenn man von ihrer empirischen Qualität abstrahirt, und es ist also noch eine der Auflösung nicht unwürdige Frage: wie der Verstand hierin synthetisch über Erscheinungen a priori aussprechen, und diese so gar in demienigen, was eigentlich, und blos empirisch ist, nemlich die Empfindung angeht, anticipiren könne.
Die Qualität der Empfindung ist iederzeit blos empirisch, und kan a priori gar nicht vorgestellet werden, (z. B. Farben, Geschmack etc.). Aber das Reale, was den Empfindungen überhaupt correspondirt, im Gegensatz mit der Negation = 0 stellet nur Etwas vor, dessen Begriff an sich ein Seyn enthält, und bedeutet nichts als die| Synthesis in einem empirischen Bewustseyn überhaupt. In dem innern Sinn nemlich kan das empirische Bewustseyn von 0 bis zu iedem grössern Grade erhöhet werden, so daß eben dieselbe extensive Grösse der Anschauung (z. B. erleuchtete Fläche) so grosse Empfindung erregt, als ein Aggregat von vielem andern (minder erleuchteten) zusammen. Man kan also von der extensiven Grösse der Erscheinung gänzlich abstrahiren, und sich doch an der blossen Empfindung in einem Moment eine Synthesis der gleichförmigen Steigerung von 0 bis zu dem gegebenen empirischen Bewustseyn[WS 1] vorstellen. Alle Empfindungen werden daher, als solche, zwar nur a priori gegeben, aber die Eigenschaft derselben, daß sie einen Grad haben, kan a priori erkant werden. Es ist merkwürdig, daß wir an Grössen überhaupt a priori nur eine einzige Qualität, nemlich die Continuität, an aller Qualität aber (dem Realen der Erscheinungen) nichts weiter a priori, als die intensive Quantität derselben, nemlich, daß sie einen Grad haben, erkennen können, alles übrige bleibt der Erfahrung überlassen.
Die drey modi der Zeit sind Beharrlichkeit, Folge und Zugleichseyn. Daher werden drey Regeln aller Zeitverhältnisse der Erscheinungen, wornach ieder ihr Daseyn in Ansehung der Einheit aller Zeit bestimt werden kan, vor aller Erfahrung vorangehen, und diese allererst möglich machen.
Der allgemeine Grundsatz aller dreyen Analogien beruht auf der nothwendigen Einheit der Apperception, in Ansehung alles möglichen empirischen Bewustseyns, (der Wahrnehmung), zu ieder Zeit, folglich, da iene a priori zum Grunde liegt, auf der synthetischen Einheit aller Erscheinungen nach ihrem Verhältnisse in der Zeit. Denn die ursprüngliche Apperception bezieht sich auf den innern Sinn, (den Inbegriff aller Vorstellungen) und zwar a priori auf die Form desselben, d. i. das Verhältniß des mannigfaltigen empirischen Bewustseyns in der Zeit. In der ursprünglichen Apperception soll nun alle dieses Mannigfaltige, seinen Zeitverhältnissen nach, vereinigt werden; denn dieses sagt die transscendentale Einheit derselben a priori, unter welcher alles steht, was zu meinem (d. i. meinem einigen) Erkentnisse gehören soll, mithin ein Gegenstand vor mich werden kan. Diese synthetische Einheit in dem Zeitverhältnisse aller Wahrnehmungen, welche a priori bestimt ist, ist also das Gesetz: daß alle empirische Zeitbestimmungen unter Regeln der allgemeinen Zeitbestimmung| stehen müssen, und die Analogien der Erfahrung, von denen wir iezt handeln wollen, müssen dergleichen Regeln seyn.Diese Grundsätze haben das besondere an sich, daß sie nicht die Erscheinungen, und die Synthesis ihrer empirischen Anschauung, sondern blos das Daseyn, und ihr Verhältniß unter einander, in Ansehung dieses ihres Daseyns erwägen. Nun kan die Art, wie etwas in der Erscheinung apprehendirt wird, a priori dergestalt bestimt seyn, daß die Regel ihrer Synthesis zugleich diese Anschauung a priori in iedem vorliegenden empirischen Beyspiele geben: d. i. sie daraus zu Stande bringen kan. Allein das Daseyn der Erscheinungen kan a priori nicht erkant werden, und, ob wir gleich auf diesem Wege dahin gelangen könten, auf irgend ein Daseyn zu schliessen, so würden wir dieses doch nicht bestimt erkennen, d. i. das, wodurch seine empirische Anschauung sich von andern unterschiede, anticipiren können.
Die vorigen zwey Grundsätze, welche ich die mathematische nante, in Betracht dessen, daß sie die Mathematik auf Erscheinungen anzuwenden berechtigten, gingen auf Erscheinungen ihrer blossen Möglichkeit nach, und lehrten, wie sie so wol ihrer Anschauung, als dem Realen ihrer Wahrnehmung nach, nach Regeln einer mathematischen Synthesis erzeugt werden könten; daher so wol bey der einen, als bey der andern die Zahlgrössen, und, mit ihnen, die Bestimmung der Erscheinung als Grösse, gebraucht| werden können. So werde ich z. B. den Grad der Empfindungen des Sonnenlichts aus etwa 200000 Erleuchtungen durch den Mond zusammensetzen und a priori bestimt geben, d. i. construiren können. Daher können wir die erstere Grundsätze constitutive nennen.
1. Was mit den formalen Bedingungen der Erfahrung (der Anschauung und den Begriffen nach) übereinkomt, ist möglich.
2. Was mit den materialen Bedingungen der Erfahrung (der Empfindung) zusammenhängt, ist wirklich.
3. Dessen Zusammenhang mit dem Wirklichen nach allgemeinen Bedingungen der Erfahrung bestimt ist, ist (existirt) nothwendig.
Die Categorien der Modalität haben das besondere an sich: daß sie den Begriff, dem sie als Prädicate beygefüget werden, als Bestimmung des Obiects nicht im mindesten vermehren, sondern nur das Verhältniß zum Erkentnißvermögen ausdrücken. Wenn der Begriff eines Dinges schon ganz vollständig ist, so kan ich doch noch von diesem Gegenstande fragen, ob er blos möglich, oder auch wirklich, oder, wenn er das leztere ist, ob er gar auch nothwendig sey? Hiedurch werden keine Bestimmungen mehr im Obiecte selbst gedacht, sondern es frägt sich nur, wie es sich, (samt allen seinen Bestimmungen) zum Verstande und dessen empirischen Gebrauche, zur empirischen Urtheilskraft, und zur Vernunft (in ihrer Anwendung auf Erfahrung) verhalte?
Eben um deswillen sind auch die Grundsätze der Modalität nichts weiter, als Erklärungen der Begriffe der Möglichkeit, Wirklichkeit und Nothwendigkeit in ihrem empirischen Gebrauche, und hiemit zugleich Restrictionen aller Categorien auf den blos empirischen Gebrauch, ohne den transscendentalen zuzulassen und zu erlauben. Denn, wenn diese nicht eine blos logische Bedeutung haben, und die Form des Denkens analytisch ausdrücken sollen, sondern Dinge und deren Möglichkeit, Wirklichkeit oder Nothwendigkeit betreffen sollen, so müssen sie auf die mögliche Erfahrung und deren synthetische Einheit gehen, in welcher allein Gegenstände der Erkentniß gegeben werden.
| Das Postulat der Möglichkeit der Dinge fordert also, daß der Begriff derselben mit den formalen Bedingungen einer Erfahrung überhaupt zusammenstimme. Diese, nemlich die obiective Form der Erfahrung überhaupt, enthält aber alle Synthesis, welche zur Erkentniß der Obiecte erfordert wird. Ein Begriff, der eine Synthesis in sich faßt, ist vor leer zu halten, und bezieht sich auf keinen Gegenstand, wenn diese Synthesis nicht zur Erfahrung gehört, entweder, als von ihr erborgt, und denn heißt er ein empirischer Begriff, oder als eine solche, auf der, als Bedingung a priori, Erfahrung überhaupt, (die Form derselben) beruht, und denn ist es ein reiner Begriff, der dennoch zur Erfahrung gehört, weil sein Obiect nur in dieser angetroffen werden kan. Denn wo will man den Character der Möglichkeit eines Gegenstandes, der durch einen synthetischen Begriff a priori gedacht worden, hernehmen, wenn es nicht von der Synthesis geschieht, welche die Form der empirischen Erkentniß der Obiecte ausmacht. Daß in einem solchen Begriffe kein Widerspruch enthalten seyn müsse, ist zwar eine nothwendige logische Bedingung; aber zur obiectiven Realität des Begriffs, d. i. der Möglichkeit eines solchen Gegenstandes, als durch den Begriff gedacht wird, bey weitem nicht genug. So ist in dem Begriffe einer Figur, die in zwey geraden Linien eingeschlossen ist, kein Widerspruch, denn die Begriffe von zwey geraden Linien und deren Zusammenstossung, enthalten keine Verneinung einer Figur; sondern| die Unmöglichkeit beruht nicht auf dem Begriffe an sich selbst, sondern der Construction desselben im Raume, d. i. den Bedingungen des Raumes und der Bestimmung desselben, diese haben aber wiederum ihre obiective Realität, d. i. sie gehen auf mögliche Dinge, weil sie die Form der Erfahrung überhaupt a priori in sich enthalten.Aber ich lasse alles vorbey, dessen Möglichkeit nur aus der Wirklichkeit in der Erfahrung kan abgenommen werden, und erwege hier nur die Möglichkeit der Dinge durch Begriffe a priori, von denen ich fortfahre zu behaupten: daß sie niemals aus solchen Begriffen vor sich allein, sondern iederzeit nur als formale und obiective Bedingungen einer Erfahrung überhaupt statt finden können.
Es hat zwar den Anschein, als wenn die Möglichkeit eines Triangels aus seinem Begriffe an sich selbst könne erkant werden (von der Erfahrung ist er gewiß unabhängig); denn in der That können wir ihm gänzlich a priori einen Gegenstand geben, d. i. ihn construiren. Weil dieses aber nur die Form von einem Gegenstande ist, so würde er doch immer nur ein Product der Einbildung| bleiben, von dessen Gegenstand die Möglichkeit noch zweifelhaft bliebe, als wozu noch etwas mehr erfordert wird, nemlich daß eine solche Figur unter lauter Bedingungen, auf denen alle Gegenstände der Erfahrung beruhen, gedacht sey. Daß nun der Raum eine formale Bedingung a priori von äusseren Erfahrungen ist, daß eben dieselbe bildende Synthesis, wodurch wir in der Einbildungskraft einen Triangel construiren, mit derienigen gänzlich einerley sey, welche wir in der Apprehension einer Erscheinung ausüben, um uns davon einen Erfahrungsbegriff zu machen, das ist es allein, was mit diesem Begriffe die Vorstellung von der Möglichkeit eines solchen Dinges verknüpft. Und so ist die Möglichkeit continuirlicher Grössen, ia sogar der Grössen überhaupt, weil die Begriffe davon insgesamt synthetisch sind, niemals aus den Begriffen selbst, sondern aus ihnen, als formalen Bedingungen, der Bestimmung der Gegenstände in der Erfahrung überhaupt allererst klar, und wo sollte man auch Gegenstände suchen wollen, die den Begriffen correspondirten, wäre es nicht in der Erfahrung, durch die uns allein Gegenstände gegeben werden, wie wol wir, ohne eben Erfahrung selbst voran zuschicken, blos in Beziehung auf die formale Bedingungen, unter welchen in ihr überhaupt etwas als Gegenstand bestimt wird, mithin völlig a priori, aber doch nur in Beziehung auf sie, und innerhalb ihren Grenzen, die Möglichkeit der Dinge erkennen und characterisiren können.Ich habe dieser Fragen nur Erwähnung gethan, um keine Lücke in demienigen zu lassen, was, der gemeinen Meinung nach, zu den Verstandesbegriffen gehört. In der That ist aber die absolute Möglichkeit (die in aller Absicht gültig ist) kein blosser Verstandesbegriff, und kan auf keinerley Weise von empirischem Gebrauche seyn, sondern er gehört allein der Vernunft zu, die über allen möglichen empirischen Verstandesgebrauch hinausgeht. Daher haben wir uns hiebey mit einer blos critischen Anmerkung begnügen müssen, übrigens aber die Sache bis zum weiteren künftigen Verfahren in der Dunkelheit gelassen.
Da ich eben diese vierte Nummer, und, mit ihr, zugleich das System aller Grundsätze des reinen Verstandes schliessen will, so muß ich noch Grund angeben, warum ich die Principien der Modalität gerade Postulate genant habe. Ich will diesen Ausdruck hier nicht in der Bedeutung nehmen, welche ihm einige neuere philosophische| Verfasser, wider den Sinn der Mathematiker, denen er doch eigentlich angehört, gegeben haben, nemlich: daß Postuliren so viel heissen solle, als einen Satz vor unmittelbar gewiß, ohne Rechtfertigung, oder Beweis ausgeben; denn, wenn wir das bey synthetischen Sätzen, so evident sie auch seyn mögen, einräumen sollten, daß man sie ohne Deduction, auf das Ansehen ihres eigenen Ausspruchs, dem unbedingten Beyfalle aufheften dürfe, so ist alle Critik des Verstandes verloren, und, da es an dreusten Anmassungen nicht fehlt, deren sich auch der gemeine Glaube, (der aber kein Creditiv ist) nicht weigert; so wird unser Verstand iedem Wahne offen stehen, ohne daß er seinen Beyfall den Aussprüchen versagen kan, die, obgleich unrechtmäßig, doch in eben demselben Tone der Zuversicht, als wirkliche Axiomen eingelassen zu werden verlangen. Wenn also zu dem Begriffe eines Dinges eine Bestimmung a priori synthetisch hinzukomt, so muß von einem solchen Satze, wo nicht ein Beweis, doch wenigstens eine Deduction der Rechtmässigkeit seiner Behauptung unnachlaßlich hinzugefügt werden.
- ↑ Die Einheit des Weltganzen, in welchem alle Erscheinungen verknüpft seyn sollen, ist offenbar eine blosse Folgerung des in geheim angenommenen Grundsatzes der Gemeinschaft aller Substanzen, die zugleich seyn: denn, wären sie isolirt, so würden sie nicht als Theile ein Ganzes ausmachen, und wäre ihre Verknüpfung (Wechselwirkung des Mannigfaltigen) nicht schon um des Zugleichseyns willen nothwendig, so könte man aus diesem, als einem blos idealen Verhältniß, auf iene, als ein reales, nicht schliessen. Wiewol wir an seinem Ort gezeigt haben: daß die Gemeinschaft eigentlich der Grund der Möglichkeit einer empirischen Erkentniß, der Coexistenz sey, und daß man also eigentlich nur aus dieser auf iene, als ihre Bedingung, zurück schliesse.
- ↑ Durch die Wirklichkeit eines Dinges setze ich freilich mehr, als die Möglichkeit, aber nicht in dem Dinge; [235] denn das kan niemals mehr in der Wirklichkeit enthalten, als was in dessen vollständiger Möglichkeit enthalten war. Sondern da die Möglichkeit blos eine Position des Dinges in Beziehung auf den Verstand (dessen empirischen Gebrauch) war, so ist die Wirklichkeit zugleich eine Verknüpfung desselben mit der Wahrnehmung.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Bewustsey
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext. |
« Des Systems der Grundsätze des reinen Verstandes Zweiter Abschnitt. Von dem obersten Grundsatze aller synthetischen Urtheile. | Immanuel Kant Critik der reinen Vernunft (1781) Inhalt |
Der Transscendentalen Doctrin der Urtheilskraft (Analytik der Grundsätze) Drittes Hauptstück. Von dem Grunde der Unterscheidung aller Gegenstände überhaupt in Phaenomena und Noumena. » | |||
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|