Critik der reinen Vernunft (1781)/Des dritten Hauptstücks Sechster Abschnitt. Von der Unmöglichkeit des physikotheologischen Beweises.

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Des dritten Hauptstücks
Sechster Abschnitt.
Von der
Unmöglichkeit des physicotheologischen Beweises.

Wenn denn weder der Begriff von Dingen überhaupt, noch die Erfahrung von irgend einem Daseyn überhaupt, das, was gefodert wird, leisten kan, so bleibt noch ein Mittel übrig, zu versuchen, ob nicht eine bestimte Erfahrung, mithin die, der Dinge der gegenwärtigen Welt, ihre Beschaffenheit und Anordnung einen Beweisgrund abgebe, der uns sicher zur Ueberzeugung von dem Daseyn eines höchsten Wesens verhelfen könne. Einen solchen Beweis würden wir den physicotheologischen nennen. Solte dieser auch unmöglich seyn: so ist überall kein gnugthuender Beweis aus blos speculativer Vernunft vor das Daseyn eines Wesens, welches unserer transscendentalen Idee entspräche, möglich.

|  Man wird nach allen obigen Bemerkungen bald einsehen, daß der Bescheid auf diese Nachfrage ganz leicht und bündig erwartet werden könne. Denn, wie kan iemals Erfahrung gegeben werden, die einer Idee angemessen seyn solte? Darin besteht eben das Eigenthümliche der lezteren, daß ihr niemals irgend eine Erfahrung congruiren könne. Die transscendentale Idee von einem nothwendigen allgnugsamen Urwesen ist so überschwenglich groß, so hoch über alles Empirische, das iederzeit bedingt ist, erhaben, daß man theils niemals Stoff genug in der Erfahrung auftreiben kan, um einen solchen Begriff zu füllen, theils immer unter dem Bedingten herumtappt und stets vergeblich nach dem Unbedingten, wovon uns kein Gesetz irgend einer empirischen Synthesis ein Beispiel, oder dazu die mindeste Leitung giebt, suchen wird[WS 1].
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 Würde das höchste Wesen in dieser Kette der Bedingungen stehen, so würde es selbst ein Glied der Reihe derselben seyn und, eben so, wie die niedere Glieder, denen es vorgesezt ist, noch fernere Untersuchung wegen seines noch höheren Grundes erfodern. Will man es dagegen von dieser Kette trennen und, als ein blos intelligibeles Wesen, nicht in der Reihe der Naturursachen mit begreifen: welche Brücke kan die Vernunft alsdenn wol schlagen, um zu demselben zu gelangen? Da alle Gesetze des Ueberganges von Wirkungen zu Ursachen, ia alle Synthesis und Erweiterung unserer Erkentniß überhaupt auf nichts anderes, als mögliche Erfahrung, mithin blos auf| Gegenstände der Sinnenwelt gestellt seyn und nur in Ansehung ihrer eine Bedeutung haben können.
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 Die gegenwärtige Welt eröfnet uns einen so unermeßlichen Schauplatz von Mannigfaltigkeit, Ordnung, Zweckmässigkeit und Schönheit, man mag diese nun in der Unendlichkeit des Raumes, oder in der unbegränzten Theilung desselben verfolgen, daß selbst nach den Kentnissen, welche unser schwache Verstand davon hat erwerben können, alle Sprache, über so viele und unabsehlichgrosse Wunder, ihren Nachdruck, alle Zahlen ihre Kraft zu messen und selbst unsere Gedanken alle Begränzung vermissen, so, daß sich unser Urtheil vom Ganzen in ein sprachloses, aber desto beredteres Erstaunen auflösen muß. Allerwerts sehen wir eine Kette der Wirkungen und Ursachen, von Zwecken und den Mitteln, Regelmässigkeit im Entstehen oder Vergehen, und, indem nichts von selbst in den Zustand getreten ist, darin es sich befindet, so weiset er immer weiter hin nach einem anderen Dinge, als seiner Ursache, welche gerade eben dieselbe weitere Nachfrage nothwendig macht, so, daß auf solche Weise das ganze All im Abgrunde des Nichts versinken müßte, nähme man nicht etwas an, das ausserhalb diesem unendlichen Zufälligen, vor sich selbst ursprünglich und unabhängig bestehend, dasselbe hielte und, als die Ursache seines Ursprungs, ihm zugleich seine Fortdauer sicherte. Diese höchste Ursache (in Ansehung aller Dinge der Welt) wie groß soll man sie sich denken? Die Welt kennen wir nicht ihrem ganzen Inhalte| nach, noch weniger wissen wir ihre Grösse durch die Vergleichung mit allem, was möglich ist, zu schätzen. Was hindert uns aber, daß, da wir einmal in Absicht auf Caussalität ein äusserstes und oberstes Wesen bedürfen, es nicht zugleich dem Grade der Vollkommenheit nach über alles andere Mögliche setzen solten, welches wir leicht, obzwar freilich nur durch den zarten Umriß eines abstracten Begriffs, bewerkstelligen können, wenn wir uns in ihm, als einer einigen Substanz, alle mögliche Vollkommenheit vereinigt vorstellen, welcher Begriff der Foderung unserer Vernunft in der Erspahrung der Principien günstig, in sich selbst keinen Widersprüchen unterworfen und selbst der Erweiterung des Vernunftgebrauchs mitten in der Erfahrung, durch die Leitung, welche eine solche Idee auf Ordnung und Zweckmässigkeit giebt, zuträglich, nirgend aber einer Erfahrung auf entschiedene Art zuwider ist.
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 Dieser Beweis verdient iederzeit mit Achtung genant zu werden. Er ist der älteste, kläreste und der gemeinen Menschenvernunft am meisten angemessene. Er belebt das Studium der Natur, so wie er selbst von diesem sein Daseyn hat und dadurch immer neue Kraft bekomt. Er bringt Zwecke und Absichten dahin, wo sie unsere Beobachtung nicht von selbst entdekt hätte und erweitert unsere Naturkentnisse durch den Leitfaden einer besonderen Einheit, deren Princip ausser der Natur ist. Diese Kentnisse wirken aber wieder auf ihre Ursache, nemlich die| veranlassende Idee zurück und vermehren den Glauben an einen höchsten Urheber bis zu einer unwiderstehlichen Ueberzeugung.

 Es würde daher nicht allein trostlos, sondern auch ganz umsonst seyn, dem Ansehen dieses Beweises etwas entziehen zu wollen. Die Vernunft, die durch so mächtige und unter ihren Händen immer wachsende, obzwar nur empirische Beweisgründe, unablässig gehoben wird, kan durch keine Zweifel subtiler abgezogener Speculation so niedergedrükt werden, daß sie nicht aus ieder grüblerischen Unentschlossenheit, gleich als aus einem Traume, durch einen Blick, den sie auf die Wunder der Natur und der Maiestät des Weltbaues wirft, gerissen werden solte, um sich von Grösse zu Grösse bis zur allerhöchsten, vom Bedingten zur Bedingung, bis zum obersten und unbedingten Urheber zu erheben.

 Ob wir aber gleich wider die Vernunftmässigkeit und Nützlichkeit dieses Verfahrens nichts einzuwenden, sondern es vielmehr zu empfehlen und aufzumuntern haben, so können wir darum doch die Ansprüche nicht billigen, welche diese Beweisart auf apodictische Gewißheit und auf einen, gar keiner Gunst, oder fremder Unterstützung bedürftigen Beifall machen möchte und es kan der guten Sache keinesweges schaden, die dogmatische Sprache eines hohnsprechenden Vernünftlers auf den Ton der Mässigung und Bescheidenheit, eines zur Beruhigung hinreichenden, obgleich eben nicht unbedingte Unterwerfung gebietenden| Glaubens, herabzustimmen. Ich behaupte demnach: daß der physicotheologische Beweis das Daseyn eines höchsten Wesens niemals allein darthun könne, sondern es iederzeit dem ontologischen (welchem er nur zur Introduction dient), überlassen müsse, diesen Mangel zu ergänzen, mithin dieser immer noch den einzigmöglichen Beweisgrund (wofern überall nur ein speculativer Beweis statt findet), enthalte, den keine menschliche Vernunft vorbey gehen kan.
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 Die Hauptmomente des gedachten physischtheologischen Beweises sind folgende: 1. In der Welt finden sich allerwerts deutliche Zeichen einer Anordnung nach bestimter Absicht, mit grosser Weisheit ausgeführt und in einem Ganzen, von unbeschreiblicher Mannigfaltigkeit des Inhalts so wol, als auch unbegränzter Grösse des Umfangs; 2. Denen Dingen der Welt ist diese zweckmässige Anordnung ganz fremd und hängt ihnen nur zufällig an, d. i. die Natur verschiedener Dinge konte von selbst, durch so vielerley sich vereinigende Mittel, zu bestimten Endabsichten nicht zusammen stimmen, wären sie nicht durch ein anordnendes vernünftiges Princip, nach zum Grunde liegenden Ideen, dazu ganz eigentlich gewählt und angelegt worden. 3. Es existirt also eine erhabene und weise Ursache (oder mehrere), die nicht blos, als blindwirkende allvermögende Natur, durch Fruchtbarkeit, sondern, als Intelligenz, durch Freiheit die Ursache der Welt seyn muß. 4. Die Einheit derselben läßt sich aus der Einheit der wechselseitigen Beziehung der Theile der Welt, als Glieder von einem| künstlichen Bauwerk, an demienigen, wohin unsere Beobachtung reicht, mit Gewißheit, weiter hin aber, nach allen Grundsätzen der Analogie, mit Wahrscheinlichkeit schliessen.

 Ohne hier mit der natürlichen Vernunft über ihren Schluß zu chicaniren, da sie aus der Analogie einiger Naturproducte mit demienigen, was menschliche Kunst hervorbringt, wenn sie der Natur Gewalt thut und sie nöthigt, nicht nach ihren Zwecken zu verfahren, sondern sich in die unsrige zu schmiegen, (der Aehnlichkeit derselben mit Häusern, Schiffen, Uhren) schließt, es werde eben eine solche Caussalität, nemlich Verstand und Wille, bey ihr zum Grunde liegen, wenn sie die innere Möglichkeit der freiwirkenden Natur (die alle Kunst und vielleicht selbst so gar die Vernunft zuerst möglich macht), noch von einer anderen, obgleich übermenschlichen Kunst ableitet, welche Schlußart vielleicht die schärfste transsc. Critik nicht aushalten dürfte, muß man doch gestehen, daß, wenn wir einmal eine Ursache nennen sollen, wir hier nicht sicherer, als nach der Analogie mit dergleichen zweckmässigen Erzeugungen, die die einzige sind, wovon uns die Ursachen und Wirkungsart völlig bekant sind, verfahren können. Die Vernunft würde es bey sich selbst nicht verantworten können, wenn sie von der Caussalität, die sie kent, zu dunkeln und unerweislichen Erklärungsgründen, die sie nicht kent, übergehen wolte.

 Nach diesem Schlusse müßte die Zweckmässigkeit und Wolgereimtheit so vieler Naturanstalten blos die Zufälligkeit| der Form, aber nicht der Materie, d. i. der Substanz in der Welt beweisen; denn zu dem lezteren würde noch erfodert werden, daß bewiesen werden könte: die Dinge der Welt wären an sich selbst zu dergleichen Ordnung und Einstimmung, nach allgemeinen Gesetzen, untauglich, wenn sie nicht, selbst ihrer Substanz nach, das Product einer höchsten Weisheit wären, wozu aber ganz andere Beweisgründe, als die von der Analogie mit menschlicher Kunst, erfodert werden würden. Der Beweis könte also höchstens einen Weltbaumeister, der durch die Tauglichkeit des Stoffs, den er bearbeitet, immer sehr eingeschränkt wäre, aber nicht einen Weltschöpfer, dessen Idee alles unterworfen ist, darthun, welches zu der grossen Absicht, die man vor Augen hat, nemlich ein allgnugsames Urwesen zu beweisen, bey weitem nicht hinreichend ist. Wollten wir die Zufälligkeit der Materie selbst beweisen, so müßten wir zu einem transscendentalen Argumente unsere Zuflucht nehmen, welches aber hier eben hat vermieden werden sollen.
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 Der Schluß gehet also von der in der Welt so durchgängig zu beobachtenden Ordnung und Zweckmässigkeit, als einer durchaus zufälligen Einrichtung, auf das Daseyn einer ihr proportionirten Ursache. Der Begriff dieser Ursache aber muß uns etwas ganz Bestimtes von ihr zu erkennen geben und er kan also kein anderer seyn, als der von einem Wesen, das alle Macht, Weisheit etc., mit einem Worte, alle Vollkommenheit, als ein allgnugsames Wesen,| besizt. Denn die Prädicate von sehr grosser, von erstaunlicher, von unermeßlicher Macht und Treflichkeit geben gar keinen bestimten Begriff und sagen eigentlich nicht, was das Ding an sich selbst sey, sondern sind nur Verhältnißvorstellungen von der Grösse des Gegenstandes, den der Beobachter (der Welt) mit sich selbst und seiner Fassungskraft vergleicht und die gleich hochpreisend ausfallen, man mag den Gegenstand vergrössern, oder das beobachtende Subiect in Verhältniß auf ihn kleiner machen. Wo es auf Grösse (der Vollkommenheit) eines Dinges überhaupt ankomt, da giebt es keinen bestimten Begriff, als der, so die ganze mögliche Vollkommenheit begreift, und nur das All (omnitudo) der Realität ist im Begriffe durchgängig bestimt.

 Nun will ich nicht hoffen, daß sich iemand unterwinden solte, das Verhältniß der von ihm beobachteten Weltgrösse (nach Umfang so wol als Inhalt) zur Allmacht, der Weltordnung zur höchsten Weisheit, der Welteinheit zur absoluten Einheit des Urhebers etc. einzusehen. Also kan die Physicotheologie keinen bestimten Begriff von der obersten Weltursache geben und daher zu einem Princip der Theologie, welche wiederum die Grundlage der Religion ausmachen soll, nicht hinreichend seyn.

 Der Schritt zu der absoluten Totalität ist durch den empirischen Weg ganz und gar unmöglich. Nun thut man ihn doch aber im physischtheologischen Beweise. Welches| Mittels bedient man sich also wol, über eine so weite Kluft zu kommen?

 Nachdem man bis zur Bewunderung der Grösse der Weisheit, der Macht etc. des Welturhebers gelanget ist und nicht weiter kommen kan, so verläßt man auf einmal dieses durch empirische Beweisgründe geführte Argument und geht zu der, gleich anfangs aus der Ordnung und Zweckmässigkeit der Welt geschlossenen Zufälligkeit derselben. Von dieser Zufälligkeit allein geht man nun, lediglich durch transscendentale Begriffe, zum Daseyn eines Schlechthinnothwendigen und von dem Begriffe der absoluten Nothwendigkeit der ersten Ursache auf den durchgängig bestimten, oder bestimmenden Begriff desselben, nemlich einer allbefassenden Realität. Also blieb der physischtheologische Beweis in seiner Unternehmung stecken, sprang in dieser Verlegenheit plötzlich zu dem cosmologischen Beweise über und, da dieser nur ein versteckter ontologischer Beweis ist, so vollführte er seine Absicht wirklich blos durch reine Vernunft, ob er gleich anfänglich alle Verwandschaft mit dieser abgeleugnet und alles auf einleuchtende Beweise aus Erfahrung ausgesezt hatte.

 Die Physicotheologen haben also gar nicht Ursache gegen die transscendentale Beweisart so spröde zu thun und auf sie mit dem Eigendünkel hellsehender Naturkenner, als auf das Spinnengewebe finsterer Grübler, herabzusehen. Denn, wenn sie sich nur selbst prüfen wolten, so würden sie finden: daß, nachdem sie eine gute Strecke auf dem| Boden der Natur und Erfahrung fortgegangen sind und sich gleichwol immer noch eben so weit von dem Gegenstande sehen, der ihrer Vernunft entgegen scheint, sie plötzlich diesen Boden verlassen und ins Reich blosser Möglichkeiten übergehen, wo sie auf den Flügeln der Ideen demienigen nahe zu kommen hoffen, was sich aller ihrer empirischen Nachsuchung entzogen hatte. Nachdem sie endlich durch einen so mächtigen Sprung festen Fuß gefaßt zu haben vermeinen, so verbreiten sie den nunmehr bestimten Begriff (in dessen Besitz sie, ohne zu wissen wie, gekommen sind), über das ganze Feld der Schöpfung und erläutern das Ideal, welches lediglich ein Product der reinen Vernunft war, obzwar kümmerlich gnug und weit unter der Würde seines Gegenstandes, durch Erfahrung, ohne doch gestehen zu wollen, daß sie zu dieser Kentniß oder Voraussetzung durch einen anderen Fußsteig, als den der Erfahrung, gelanget sind.

 So liegt demnach dem physicotheologischen Beweise der cosmologische, diesem aber der ontologische Beweis, vom Daseyn eines einigen Urwesens als höchsten Wesens, zum Grunde und, da ausser diesen dreien Wegen keiner mehr der speculativen Vernunft offen ist: so ist der ontologische Beweis, aus lauter reinen Vernunftbegriffen, der einzige mögliche, wenn überall nur ein Beweis, von einem so weit über allen empirischen Verstandesgebrauch erhabenen Satze, möglich ist.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: werden


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