Der Philosoph von Königsberg

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Titel: Der Philosoph von Königsberg
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aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 667
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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[667] Der Philosoph von Königsberg. Von dem großen Immanuel Kant, welcher seiner Vaterstadt den Namen „Stadt der reinen Vernunft“ verschaffte, von diesem berühmtesten Denker des vorigen Jahrhunderts werden sich unsere Leser, selbst wenn sie mit seinen großen Werken vertraut sind, meistens doch kein in scharfen Umrissen gehaltenes Bild machen können. In seiner interessanten Schrift „Kulturbilder aus Altpreußen“ (Leipzig, Karl Reißner) giebt uns Alexander Horn nach den Berichten der Zeitgenossen ein wohlgetroffenes Portrait des Philosophen, das sich in den geschichtlichen und landschaftlichen Bilderfries, der uns des deutschen Ordens Fahrten und Sitten, des Volkes Eigenthümlichkeiten, des Landes Städte, Seen und Berge, vor Allem die Hauptstadt am Pregel vorführt, als fesselndes Medaillon einfügt. Da berichtet ein Besucher des „Patriarchen“:

„Er hat etwas Bewegliches, Feines, Freundliches um den Mund und um seine hellen blauen Augen. Er geht schon gebückt und sein Haarbeutel fällt ihm immer vor, weil er etwas schief ist. Beim ersten Besuche, Morgens halb acht Uhr, fand ich ihn im gelben Schlafrocke mit einer rothen seidenen polnischen Binde, in der Schlafmütze arbeitend. Er empfing mich sehr freundlich, sprach sehr viel – schwatzte beinahe meist von Kleinigkeiten, scherzte mit sehr viel Witz und sagte einige ganz originelle Bemerkungen über Schwärmerei und besonders über die gelehrten Damen und ihre Krankheiten. Er liest Logik öffentlich, täglich Morgens sieben Uhr, zweimal in der Woche physische Geographie. Sein Vortrag ist ganz im Tone des gewöhnlichen Sprechens und, wenn Sie wollen, nicht eben schön.

Stellen Sie sich ein altes kleines Männchen vor, das gekrümmt, in braunem Rocke mit gelben Knöpfen, eine Perücke und den Haarbeutel nicht zu vergessen, dasitzt; denken Sie noch, daß dieses Männchen zuweilen seine Hände aus dem zugeknöpften Rocke, wo sie verschränkt stecken, hervornimmt und eine kleine Bewegung vors Gesicht macht, wie wenn man Einem etwas so recht begreiflich machen will, so sehen Sie ihn auf ein Haar.“

Der größte Denker des 18. und der größte Feldherr des 19. Jahrhunderts, Kant und Napoleon, waren beide von auffallend kleiner Statur. Kant war kaum 5 Fuß groß, von flacher Brust; sein rechter Schulterknochen trat etwas vor; sein strahlendes blaues Auge erglänzte beim Vortrage; seine Haare waren blond, seine Gesichtszüge bis ins hohe Alter frisch und gesund; sein Gehör ungemein scharf; seine einfache regelmäßige Lebensweise hielt bis in sein höheres Alter größere Krankheiten von ihm fern. Er stand pünktlich Sommer und Winter 5 Uhr früh auf, schlief (nur Nachts) 7 Stunden. Nachmittags ging er eine Stunde spazieren, mochte das Wetter noch so schlecht sein; seine Kleidung war immer gewählt und anständig. Seine Spaziergänge, sein regelmäßiges Erscheinen auf dem Philosophendamm und sein Diener Lampe sind bekannt. Mit Hilfe eines Freundes, eines englischen Kaufmanns, hatte er sich ein bedeutendes Vermögen gesammelt, das ihn im Alter der Sorge überhob, obwohl mancher Student das Honorar schuldig blieb und Kant es nie gefordert hat. Seine Bescheidenheit und Liebenswürdigkeit achtete und ehrte in jedem Menschen dessen besondere Eigenthümlichkeiten, und niemals ist er schroff oder absprechend aufgetreten. Seine Vorlesungen hielt er pünktlich und hat in den Jahren 1775 bis 1780 und 1784 bis 1793 nicht eine einzige Stunde ausfallen lassen. Er saß auf geringer Erhöhung vor einem kleinen Pulte und sprach die ganze Stunde frei nach einem Notizenzettel, so leise, daß man Mühe hatte ihn zu verstehen, mit einem Geistreichthum, der den seiner Bücher weit übertraf, dabei mit einer Klarheit des Gedankenausdrucks, den alle seine Zuhörer einstimmig anerkannten. Selbst in seinen Tischgesprächen warf er massenweise geniale Gedanken hin, die oft verloren gingen, weil er nicht mehr darauf zurückkam.

Kant hatte ein kindliches Gemüth und hielt sich selbst für keinen großen Mann. Viele, die heute dicke Bücher über ihn schreiben, bilden sich weit mehr auf ihre Leistungen ein; doch Bescheidenheit ist stets eine Mitgift des wahren Genius.