Die Entführung (Bürger)

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Autor: Gottfried August Bürger
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Titel: Die Entführung
Untertitel: oder Ritter Karl von Eichenhorst und Fräulein Gertrude von Hochburg
aus: Gedichte, S. 304–323
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum: 1778
Erscheinungsdatum: 1778
Verlag: Johann Christian Dieterich
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Erscheinungsort: Göttingen
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Die Entführung,
oder
Ritter Karl von Eichenhorst
und
Fräulein Gertrude von Hochburg.
Im Jänner 1778.


     „Knap, satt’le mir mein Dänenros,
Daß ich mir Ruh erreite!
Es wird mir hier zu eng’ im Schlos;
Ich wil und mus ins Weite!“ –

5
So rief der Ritter Karl in Hast,

Vol Angst und Ahndung, sonder Rast.
Es schien ihn so zu plagen,
Als hätt’ er Wen erschlagen.

     Er sprengte, daß es Funken stob,

10
Hinunter von dem Hofe;

Und als er kaum den Blik erhob,
Sieh da! Gertrudens Zofe!
Zusammenschrak der Rittersman;
Es pakt’ ihn, wie mit Krallen, an,

15
Und schüttelt’ ihn, wie Fieber,

Hinüber und herüber. –

     „Gott grüss’ Euch, edler junger Herr!
Gott geb’ Euch Heil und Frieden!
Mein armes Fräulein hat mich her

20
Zum leztenmal beschieden.

Verloren ist Euch Trudchens Hand!
Dem Junker Plump von Pommerland
Hat sie, vor aller Ohren,
Ihr Vater zugeschworen.

25
     ‚Mord!‘ – flucht er laut, bei Schwert und Spies, –

‚Wo Karl dir noch gelüstet,
So solst du tief ins Burgverlies,
Wo Molch und Unke nistet.
Nicht rasten wil ich Tag und Nacht,

30
Bis daß ich nieder ihn gemacht,

Das Herz ihm ausgerissen,
Und das dir nachgeschmissen.‘

     Jezt in der Kammer zagt die Braut,
Und zukt vor Herzenswehen,

35
Und ächzet tief, und weinet laut,

Und wünschet zu vergehen.
Ach! Gott der Herr mus ihrer Pein,
Bald mus und wird er gnädig seyn.
Hört ihr zur Trauer läuten,

40
So wist ihr’s auszudeuten. –

     ‚Geh, meld’ ihm, daß ich sterben mus‘ –
Rief sie mit tausend Zären –
‚Geh, bring ihm ach! den lezten Grus,
Den er von mir wird hören!

45
Geh, unter Gottes Schuz, und bring

Von mir ihm diesen goldnen Ring
Und dieses Wehrgehenke,
Wobei er mein gedenke!‘“ –

     Zu Ohren braust’ ihm, wie ein Meer,

50
Die Schreckenspost der Dirne.

Die Berge wankten um ihn her.
Es flirt’ ihm vor der Stirne.
Doch jach, wie Windeswirbel fährt,
Und rührig Laub und Staub empört,

55
Ward seiner Lebensgeister

Verzweiflungsmut nun Meister.

     „Gottslohn! Gottslohn! du treue Magd,
Kan ich’s dir nicht bezalen.
Gottslohn! daß du mir’s angesagt,

60
Zu hunderttausendmalen.

Bis wolgemut und tumle dich!
Flugs tumle dich zurük und sprich:
Wär’s auch aus tausend Ketten,
So wolt’ ich sie erretten!

65
     Bis wolgemut und tumle dich!

Flugs tumle dich von hinnen!
Ha! Riesen, gegen Hieb und Stich,
Wolt’ ich sie abgewinnen.
Sprich: Mitternachts, bei Sternenschein,

70
Wolt’ ich vor ihrem Fenster seyn,

Mir geh’ es, wie es gehe!
Wohl, oder ewig wehe!

     Risch auf und fort!“ – Wie Sporen trieb
Des Ritters Wort die Dirne.

75
Tief holt’ er wieder Luft und rieb

Sich’s klar vor Aug und Stirne.
Dann schwenkt’ er hin und her sein Ros,
Daß ihm der Schweis vom Buge flos,
Bis er sich Rath ersonnen

80
Und den Entschlus gewonnen.


     Drauf lies er heim sein Silberhorn
Von Dach und Zinnen schallen.
Herangesprengt, durch Korn und Dorn,
Kam straks ein Heer Vasallen.

85
Draus zog er Man bei Man hervor,

Und raunt’ ihm heimlich Ding ins Ohr: –
„Wolauf! Wolan! Seyd fertig,
Und meines Horns gewärtig!“ –

     Als nun die Nacht Gebirg und Thal

90
Vermumt in Rabenschatten,

Und Hochburgs Lampen überal
Schon ausgeflimmert hatten,
Und alles tief entschlafen war;
Doch nur das Fräulein immerdar,

95
Vol Fieberangst, noch wachte,

Und seinen Ritter dachte:

     Da horch! Ein süsser Liebeston
Kam leis’ empor geflogen.
„Ho, Trudchen, ho! Da bin ich schon.

100
Risch auf! Dich angezogen!

Ich, ich, dein Ritter, rufe dir;
Geschwind, geschwind herab zu mir!
Schon wartet dein die Leiter.
Mein Klepper bringt dich weiter.“ –

105
     „Ach nein, du Herzens-Karl, ach nein!

Stil, daß ich nichts mehr höre!
Entränn’ ich ach! mit dir allein,
Dann wehe meiner Ehre!
Nur noch ein lezter Liebeskus

110
Sey, Liebster, dein und mein Genus,

Eh ich im Todtenkleide
Auf ewig von dir scheide.“ –

„Ha Kind! Auf meine Rittertreu
Kanst du die Erde bauen.

115
Du kanst, beim Himmel! froh und frei

Mir Ehr’ und Leib vertrauen.
Risch gehts nach meiner Mutter fort.
Das Sakrament vereint uns dort.
Kom kom! Du bist geborgen.

120
Las Gott und mich nur sorgen!“ –

     „Mein Vater! - - Ach! ein Reichsbaron! - - -
So stolz von Ehrenstamme! - - - -
Las ab! Las ab! Wie beb’ ich schon,
Vor seines Zornes Flamme!

125
Nicht rasten wird er Tag und Nacht,

Bis daß er nieder dich gemacht,
Das Herz dir ausgerissen
Und das mir vorgeschmissen.“ –

     „Ha, Kind! Sey nur erst sattelfest,

130
So ist mir nicht mehr bange. –

Dann steht uns offen Ost und West. –
O zaudre nicht zu lange!
Horch, Liebchen, horch! – Was rührte sich? –
Um Gotteswillen! tumle dich!

135
Kom, kom! Die Nacht hat Ohren;

Sonst sind wir ganz verloren.“ –

     Das Fräulein zagte – stand – und stand –
Es graust’ ihr durch die Glieder. –
Da grif er nach der Schwanenhand,

140
Und zog sie flink hernieder.

Ach! Was ein herzen, Mund und Brust,
Mit Rang und Drang, vol Angst und Lust,
Belauschten jezt die Sterne,
Aus hoher Himmelsferne! –

145
     Er nam sein Lieb, mit einem Schwung,

Und schwang’s auf den Polacken.
Hui! sas er selber auf und schlung
Sein Heerhorn um den Nacken.
Der Ritter hinten, Trudchen vorn.

150
Den Dänen trieb des Ritters Sporn;

Die Peitsche den Polacken;
Und Hochburg blieb im Nacken. –

     Ach! leise hört die Mitternacht!
Kein Wörtchen ging verloren.

155
Im nächsten Bett’ war aufgewacht

Ein Paar Verräterohren.
Des Fräuleins Sittenmeisterin,
Vol Gier nach schnödem Goldgewin,
Sprang hurtig auf, die Thaten

160
Dem Alten zu verrathen.


     „Halloh! Halloh! Herr Reichsbaron! –
Hervor aus Bett’ und Kammer! –
Eur Fräulein Trudchen ist entflohn,
Entflohn zu Schand’ und Jammer!

165
Schon reitet Karl von Eichenhorst,

Und jagt mit ihr durch Feld und Forst.
Geschwind! Ihr dürft nicht weilen,
Wolt ihr sie noch ereilen.“

     Hui auf der Freiherr, hui heraus,

170
Bewehrte sich zum Streite,

Und donnerte durch Hof und Haus
Und wekte seine Leute. –
„Heraus, mein Sohn von Pommerland!
Siz auf! Nim Lanz’ und Schwert zur Hand!

175
Die Braut ist dir gestolen;

Fort fort! sie einzuholen!“ –

     Rasch rit das Paar im Zwielicht schon,
Da horch! – ein dumpfes Rufen –
Und horch! – erschol ein Donnerton,

180
Von Hochburgs Pferdehufen;

Und wild kam Plump, den Zaum verhängt,
Weit weit voran, dahergesprengt,
Und lies, zu Trudchens Grausen,
Vorbei die Lanze sausen. –

185
     „Halt an! halt an! du Ehrendieb!

Mit deiner losen Beute.
Herbei vor meinen Klingenhieb!
Dann raube wieder Bräute!
Halt an, verlaufne Bulerin,

190
Daß neben deinen Schurken hin

Dich meine Rache strecke,
Und Schimpf und Schand’ euch decke!“ –

     „Das leugst du, Plump von Pommerland,
Bei Gott und Ritterehre!

195
Herab! Herab! daß Schwert und Hand

Dich andre Sitte lehre. –
Halt, Trudchen, halt den Dänen an! –
Herunter, Junker Grobian,
Herunter von der Märe,

200
Daß ich dich Sitte lehre!“ –

     Ach! Trudchen, wie vol Angst und Not!
Sah hoch die Säbel schwingen.
Hell funkelten im Morgenrot
Die Damascener Klingen.

205
Von Kling und Klang, von Ach und Krach,

Ward rund umher das Echo wach.
Von ihrer Fersen Stampfen
Began der Grund zu dampfen.

     Wie Wetter schlug des Liebsten Schwert

210
Den Ungeschlifnen nieder.

Gertrudens Held blieb unversehrt,
Und Plump erstand nicht wieder. –
Nun weh, o weh! Erbarm’ es Gott!
Kam fürchterlich, Galop und Trot,

215
Als Karl kaum ausgestritten,

Der Nachtrab angeritten. –

     Trarah! Trarah! durch Flur und Wald
Lies Karl sein Horn nun schallen.
Sieh da! Hervor vom Hinterhalt,

220
Hophop! sein Heer Vasallen. –

„Nun halt, Baron, und hör’ ein Wort!
Schau auf! Erblikst du Jene dort?
Die sind zum Schlagen fertig,
Und meines Winks gewärtig.

225
     Halt an! Halt an! Und hör’ ein Wort,

Damit dich nichts gereue!
Dein Kind gab längst mir Treu und Wort,
Und ich ihm Wort und Treue.
Wilst du zerreissen Herz und Herz?

230
Sol dich ihr Blut, sol dich ihr Schmerz

Vor Gott und Welt verklagen?
Wolan! so las uns schlagen!

     Noch halt! Bei Gott beschwör’ ich dich!
Bevor’s dein Herz gereuet.

235
In Ehr’ und Züchten hab’ ich mich

Dem Fräulein stets geweihet.
Gib - - Vater! - - gib mir Trudchens Hand! –
Der Himmel gab mir Gold und Land.
Mein Ritterruhm und Adel,

240
Gottlob! trozt jedem Tadel. –“


     Ach! Trudchen, wie vol Angst und Not!
Verblüht’ in Todesblässe.
Von Zorn der Freiherr heis und rot,
Glich einer Feueresse. –

245
Und Trudchen warf sich auf den Grund;

Sie rang die schönen Hände wund,
Und suchte bas, mit Thränen,
Den Eifrer zu versönen.

     „O Vater, habt Barmherzigkeit,

250
Mit eurem armen Kinde!

Verzeih’ euch, wie ihr uns verzeiht,
Der Himmel auch die Sünde!
Glaubt, bester Vater, diese Flucht,
Ich hätte nimmer sie versucht,

255
Wenn vor des Junkers Bette

Mich nicht geekelt hätte. –

     Wie oft habt ihr, auf Knie und Hand,
Gewiegt mich und getragen!
Wie oft: du Herzenskind! genant!

260
Du Trost in alten Tagen!

O Vater, Vater! Denkt zurük!
Ermordet nicht mein ganzes Glük!
Ihr tödtet sonst daneben
Auch eures Kindes Leben.“ –

265
     Der Freiherr warf sein Haupt herum,

Und wies den krausen Nacken.
Der Freiherr rieb, wie taub und stum,
Die dunkelrauhen Backen. –
Vor Wehmut brach ihm Herz und Blik;

270
Doch schlang er stolz den Strom zurük,

Um nicht durch Vaterthränen
Den Rittersin zu hönen. –

     Bald sanken Zorn und Ungestüm.
Das Vaterherz wuchs über.

275
Von hellen Zären strömten ihm

Die stolzen Augen über. –
Er hub sein Kind vom Boden auf,
Er lies der Herzensflut den Lauf,
Und wolte schier vergehen,

280
Vor wundersüssen Wehen. –

     „Nun wol! Verzeih’ mir Gott die Schuld,
So wie ich dir verzeihe!
Empfange meine Vaterhuld,
Empfange sie auf’s neue!

285
In Gottes Namen, sey es drum!“ –

Hier wandt’ er sich zum Ritter um, –
„Da! Nim sie meinetwegen,
Und meinen ganzen Segen!

     Kom, nim sie hin, und sey mein Sohn,

290
Wie ich dein Vater werde!

Vergeben und vergessen schon
Ist jegliche Beschwerde.
Dein Vater, einst mein Ehrenfeind,
Der’s nimmer hold mit mir gemeint,

295
That vieles mir zu Hohne.

Ihn hast’ ich noch im Sohne.

     Mach’s wieder gut! Mach’s gut, mein Sohn,
An mir und meinem Kinde!
Auf daß ich meiner Güte Lohn

300
In deiner Güte finde.

So segne dann, der auf uns sieht,
Euch segne Gott, von Glied zu Glied!
Auf! Wechselt Ring’ und Hände!
Und hiermit Lied am Ende!“ –