Die Gemälde-Galerie des Grafen Schack − Kapitel 14

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Autor: Adolf Friedrich von Schack
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Titel: Kapitel XIV.
Untertitel: Arbeiten von August Wolf in Venedig, Treviso, Castelfranco, Vicenza, Villa Maser, Bassano, Brescia, Florenz und Parma. Kopien nach Gian Bellin, Sebastian del Piombo, Paul Veronese, Tintoretto, Palma Vecchio, Giorgione, Tizian, Paris Bordone, Bonifazio, Bassano, Romanino, Fra Bartolommeo, Mariotto Albertinelli, Andrea del Sarto, Michel Angelo, Correggio. – Schlusswort
aus: Die Gemälde-Galerie des Grafen A. F. von Schack in München
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Dr. E. Albert
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Erscheinungsort: München
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XIV.


Im Frühjahr 1870 kam mir eine vortreffliche Kopie zu Gesichte, die ein junger Maler aus Baden, August Wolf, in Dresden gefertigt hatte. Das Original, eine heilige Jungfrau von einem Weibe in weissem Gewande und deren Angehörigen angebetet, ist neben dem „Zinsgroschen“ wohl der vorzüglichste Tizian, den die dortige Galerie aufzuweisen hat. Die Nachbildung von Wolf liess nichts zu wünschen übrig; sie besass in hohem Grade jenes undefinirbare Etwas, was erst die Seele eines Kunstwerks ausmacht und das der blosse Fleiss selbst mit der grössten Anstrengung zu erreichen sich vergebens bemühen würde. Wie eine poetische Uebersetzung nur dann wahrhaft gelingen kann, wenn ein Dichter sich mit liebevoller Begeisterung in einen Urtext versenkt und ihn aus sich wiederzugebären trachtet, so vermag auch nur ein Künstler, der mit warmem Herzen alle Schönheiten seines Originals nachempfindet, ein Abbild davon zu liefern, das dieselben Empfindungen wie das Urbild hervorruft; es ist ein grosser Irrtum zu glauben, dies könne je dem seelenlosen Arbeiter gelingen, oder gar einem mechanischen Prozesse, wie etwa dem Farbendrucke. Kopien, die auf solche Art zu Stande gebracht werden, verhalten sich zu den echt künstlerischen, wie eine lateinische Interlinearübersetzung, die nur das Verständnis des Textes in den Schulen fördern soll, zu den wirklich poetischen. Gerade von der Wärme und Liebe, mit welcher Wolf seinen Tizian durchdrungen hatte, legte jeder Pinselstrich auf seiner Kopie Zeugnis ab, und ich nahm dieselbe nicht allein in meine Galerie auf, sondern knüpfte auch an ihren Urheber den Plan zu weiteren Unternehmungen. Bei mehreren langen Aufenthalten in Venedig und Reisen durch das venezianische Gebiet hatte ich entdeckt, dass dieser Teil Italiens noch übervoll von den vortrefflichsten, meist wenig bekannten Gemälden ist. Wie viel auch schon hinweggeschleppt sein mag, so strotzen doch noch alle Kirchen Venedigs von Werken der alten Meister. Wer kennt Tizians „Heiligen“ in der Kirche S. Lio, oder den in der Kirche des St. Johannes, des Almosengebers? wer den des Vittore Carpaccio in S. Vitale? wer die überreichen Kunstschätze in S. Giacomo in Loria, S. Francesco della Vigna, S. Giovanni in Bragora, S. Cassiano, Santa Maria Mater Domini, oder in Santa Catarina, die jetzt geschlossen ist und kaum noch von Fremden besucht wird? wie Wenige halten es der Mühe für wert, nach Castelfranco, Treviso, Vicenza, der Villa Masèr, Bassano oder gar nach Cadore zu reisen? Und doch ist der genannte Landstrich, bis hinab in das Dorf S. Zerman, das einen trefflichen Palma aufzuweisen hat, eine Fundgrube der interessantesten Bilder. Freilich befinden sich die meisten dieser Gemälde in höchst ungünstigen Lokalen, an dunklen Altären, oft so schlecht aufgehängt, dass man sie nur mit der grössten Anstrengung, an besonders hellen Tagen und in den Stunden, wo ein Schimmer des Lichtes zu ihnen dringt, sehen kann. Es lässt sich kaum fassen, dass die Urheber jener Altarstücke sich zufrieden geben mochten, ihre Werke dergestalt begraben und den Blicken entzogen zu wissen; gerade von den Venezianern, die in einer solchen Wonne des Kolorits schwelgten, sollte man glauben, sie hätten ihre Bilder an Plätze bringen müssen, wo ihr leuchtender Farbenglanz die Augen weithin entzückte. Aber nichts von dem! An den finstersten Stellen der Gesuiti, der Scalzi, der Scuola di S. Rocco zu Venedig finden sich Gemälde von Tizian, Gian Bellin und Tintoretto, deren Umrisse man kaum anders, als bei Fackel- oder Kerzenlicht zu erkennen vermag. Im rührenden Gegensatz zu der Eitelkeit und Ruhmsucht unserer Tage müssen die Künstler jener Zeit ihre Kirchenbilder einzig in dem Gedanken gemalt haben, etwas dem Himmel Wohlgefälliges damit zu vollbringen; sie müssen ihren Lohn darin gefunden haben, dass Gottes oder der Heiligen Auge auf ihnen weile. Ich dachte, wenn es möglich wäre, eine Anzahl solcher Gemälde, die an den Stätten, wo sie sich befinden, den Blicken fast gänzlich verborgen sind, durch gute Kopien der Betrachtung zugänglich zu machen, so würde hierdurch der Kunst ein Dienst erwiesen werden. Allerdings waren die Schwierigkeiten, dies ins Werk zu setzen, ausserordentlich gross; in manchen Fällen liess es sich überhaupt nur ausführen, wenn das Bild zeitweise von seinem dunkeln Platze entfernt wurde; in anderen konnte die Aufgabe nur unter Bekämpfung riesiger Hindernisse gelöst werden. Ich besprach dies Alles mit Wolf; er war ganz erfüllt von der Grösse des zu vollbringenden Werkes. Bei dem Gedanken daran regte sich oft in ihm Misstrauen in seine eigenen Kräfte; allein er war jung, voll Begeisterung, und der Trieb, etwas Tüchtiges zu leisten, siegte über die Zagnis. So reiste er im Sommer 1870 nach Venedig ab, gerade als das Kriegsgewitter furchtbar drohend über Deutschland aufstieg. Es war mir wohlthuend in jener Zeit, wo die Tagesereignisse auf jedem Geiste lasteten, meinen Gedanken, wenigstens auf Augenblicke, eine andere Richtung zu geben; vermochte ich auch sonst nichts zu arbeiten, so schien doch die Mühwaltung, welche nötig war, um verschiedene besonders anziehende Bilder aus ihren düsteren Verstecken ans Licht hervorzuziehen, eine mit der Aufregung solcher stürmischen

[63] Tage vereinbare Beschäftigung. Ich begab mich selbst nach Venedig, teils um Umschau zu halten, teils um von Kirchenvorstehern oder durch Vermittelung des Präfekten die Erlaubnis zum Transporte dieses oder jenes Gemälde einzuholen. Man ist in dieser Hinsicht fast überall in Italien von grösster Zuvorkommenheit, und wo es irgend statthaft, ward mein Wunsch gewährt; in manchen Fällen jedoch standen bestimmte gesetzliche Vorschriften entgegen, und ich musste, um nicht unbillig zu sein, von meinem Vorhaben abstehen. Wolf inzwischen liess sich durch kein Hemmnis, selbst nicht durch ein unbesiegbar scheinendes, zurückschrecken; wenn ihn ein Werk mächtig anzog, wenn er meinen Wunsch, es nachgebildet zu sehen, kannte, machte er sich rüstig an die Arbeit, und führte dieselbe mit eiserner Beharrlichkeit zu Ende, mochte das graue Dämmerlicht, das durch die Kirchenfenster hereinzitterte, ihn das Bild auch nur wie durch einen Schleier erkennen lassen, mochte sein Auge auch von der unaufhörlichen Anstrengung ermüden, seine Hand, von der feuchten Kälte des Dezembers erstarrt, auch nur mit Mühe den Pinsel halten können! In den allermeisten Fällen, da, wo die Umstände nur einigermassen günstig waren, hat er Bewundernswertes geleistet; ich fordere alle Maler der Welt auf, z. B. den grossen Gian Bellin in S. Zaccaria, den Fischer des Paris Bordone, oder den Tempelgang der Maria von Tizian vorzüglicher zu kopiren, als er es gethan hat. Es ist unmöglich; denn Original und Kopie sind hier vollkommen eins; wer wie ich, während des Entstehens der letzteren, beide täglich nebeneinander gesehen und miteinander verglichen hat, nur der vermag dies zu beurteilen, und der weiss auch, welch ungeheuer schwere Aufgabe hier vollführt ist, welcher Riesenfleiss, welche kolossale Anstrengung und zugleich nie ermattende Begeisterung erfordert wurde, um so enorm grosse, figurenreiche Kompositionen in gleichem Format wiederzugeben. Wenn einige wenige seiner Arbeiten nicht so völlig befriedigend ausgefallen sind, so liegt die Schuld an mir, der ich wünschte, dieses oder jenes Bild kopirt zu sehen, ohne zu bedenken, dass dabei Hindernisse entgegenstanden, die unbesiegbar waren. Ist es nun nicht empörend, einem Künstler, der mehr meisterliche Kopien geliefert hat, als vielleicht irgend ein Lebender, einen Vorwurf daraus zu machen, wenn er sich, aus Gefälligkeit gegen mich, hier und da an eine Aufgabe gewagt hat, die überhaupt von Keinem durchaus nach Wunsch gelöst werden konnte?

Mein Hauptaugenmerk war auf Gian Bellin gerichtet. Dieser grosse Maler, den man kaum anderswo vollkommen kennen lernen kann, als in Venedig, wo sich noch seine Hauptwerke befinden, scheint mir bisher noch nicht in seiner ganzen Bedeutung gewürdigt zu sein. In den Werken, die er während seiner neunzigjährigen Lebensdauer schuf, kann man die Kunst von ihrer ersten Entfaltung an bis zu ihrer höchsten Blüte verfolgen. Während in seinen früheren Arbeiten sein grosser Geist sich noch in mühsamem Ringen mit der Form zeigt, die er nicht vollständig zu bewältigen vermag, gewahrt man in seinen späteren Bildern einen stetigen Fortschritt zur immer reiferen Vollendung, und in seinem letzten umfangreichen Altargemälde, das in seinem achtzigsten Lebensjahre entstanden, hat er einen Gipfel der Kunst erklommen, bis zu dem nur Wenige hinanreichen. Tiefe, Adel und Ernst der Auffassung, hohes Stilgefühl und die edelste Formgebung erheben dieses grandiose Werk auf eine der obersten Stufen im ganzen Gebiete der Kunst. Aber der Genuss des Originals ward im höchsten Grade beeinträchtigt durch die Dunkelheit der Kirche S. Zaccaria, auf deren finsterstem Altare es sich befand; nur morgens um zehn Uhr kam es etwas, aber doch nur teilweise, zur Erscheinung. Ein Kopiren an diesem Platze war unmöglich, und mein ganzes Streben musste dahin gerichtet werden, die Versetzung in eine günstigere Oertlichkeit zu erreichen. Nach vielen vergeblichen Bemühungen gelang das endlich, und so konnte Wolf an einer grossartigen Aufgabe seine volle Kraft bewähren. In dieser Arbeit rechtfertigte, ja übertraf er meine kühnsten Erwartungen; ich betrachte seine Kopie als einen meiner grössten Schätze. In der Aufstellung, die ich ihm gegeben, lässt sich das Wunderwerk in einer Weise überblicken, wie es auch heute, wo man es in die Sakristei gebracht hat, in Venedig nicht möglich ist. Diese Maria auf dem Throne, zu ihren Seiten links die Heiligen Petrus und Katharina, rechts Hieronymus und Lucia, zu ihren Füssen der lautenspielende Engel – man weiss nicht, ob man mehr die einzelnen Figuren oder die ganze Gruppe in ihrer Zusammenstellung bewundern soll; Alles ist herrlich und von fast überirdischer Schönheit, so dass man das Auge des Adlers besitzen müsste, um ungeblendet emporzuschauen. Wie oft hat mich die Kälte der meisten Menschen, ihre Unfähigkeit zu wahren Kunstgenüssen befremdet, wenn ich sie teilnahmlos mit einigen flüchtigen Bemerkungen an diesem Bilde vorübergehen sah! Mich ergreift dasselbe zu jeder Zeit; am tiefsten und mächtigsten aber, wenn die Abendstrahlen auf ihm ruhen und es wie in einer Glorie leuchtet, als ob sich der ganze Himmel vor uns aufthäte.

Ein anderes Altarblatt, das Gian Bellin auch schon in beginnendem Alter, jedoch beträchtlich früher malte, steht hinter dem obigen an Grossartigkeit zurück, ist aber von der hinreissendsten, seelenvollsten Anmut und Lieblichkeit. Es zerfällt in drei Teile, deren mittlerer die Madonna mit dem Christkinde in einer Nische enthält, während zu den beiden Seiten sich je zwei Heilige befinden. Zu den Füssen der Jungfrau spielen zwei Engel die Laute, und es sind Engel, wie sie so holdselig kaum je gemalt worden sind. Das Kopiren dieses Gemäldes, das die Sakristei der Frari aufbewahrt, wurde ungemein dadurch erschwert, dass dasselbe nicht von Ort und Stelle entfernt werden durfte; seine Stellung gegen das Licht ist überaus ungünstig, und den grössten Teil des Tages hindurch liegt Dämmerung, bei trübem Wetter fast Nacht auf ihm. Wolf, während seiner Arbeit unter so ungünstigen Umständen oft beinahe verzweifelnd, hat von früh bis spät auf dem Altar stehend [64] und die vorteilhafteren Momente sorgfältig benutzend, schliesslich ein höchst glückliches Resultat erzielt. Wer dieses wonnige, den Beschauer mit dem Gefühle innigster Seligkeit erfüllende Bild in meiner Galerie betrachtet, ahnt wohl nicht, wie viele Stunden des Bangens und Zweifelns bis zu seinem Zustandekommen verflossen sind, wie viele Sorgen und Mühen es gekostet hat. Damit es in seiner ganzen Erscheinung eine der des Originals möglichst entsprechende Wirkung mache, habe ich den Rahmen, der es in Venedig umgibt, genau nachformen lassen.

Zwei kleinere Madonnen des Gian Bellin in der Akademie zu Venedig, deren eine nur das Christkind vor sich hält, die andere von zwei Heiligen umgeben ist, waren leichter nachzubilden; auch auf ihnen ruht der reine und edle Geist des Meisters. Er hat seine Herzensandacht in sie ergossen, und sie locken in ihrem ewig-frischen Reiz zu stets erneuter Betrachtung, die sich mit immer neuer Freude lohnt.

Der edle alte Meister Cima, nach seinem Geburtsorte da Conegliano benannt, steht hinter Bellini an Grossartigkeit und Erhabenheit zurück, allein an Innigkeit der Empfindung und Schönheit der Formgebung kommt er ihm oft nahe. Dies zeigt seine Madonna mit dem Jesusknaben in der Akademie, welche Wolf für mich vorzüglich kopirte. Es ist mir unerklärlich, weshalb man lange Zeit hindurch und wohl auch noch bis auf den heutigen Tag den Malern der umbrischen Schule, den Perugino, Pinturicchio, einen wahren Kultus gewidmet und darüber die älteren Venezianer viel weniger beachtet hat. Nach meiner Meinung sind die Werke der Letzteren von derselben Tiefe des Gefühls, von derselben religiösen Weihe erfüllt, wie diejenigen der Schule, aus welcher Rafael hervorging, zeichnen sich jedoch durch edlere Gestaltung und durch ein Kolorit aus, das in der Knospe schon die Blüte venezianischer Kunst ankündigt.

Sebastian del Piombo, ein Schüler Bellins und Genosse des Giorgione, hat in Venedig nur wenige Denkmale seiner Thätigkeit zurückgelassen. Er ging schon in frühen Jahren nach Rom und wurde hier den aus seiner Heimat mitgebrachten Traditionen halb und halb untreu, indem er den Stil des Michel Angelo, dessen schroffe Strenge und bisweilen an Uebertreibung grenzende Grossartigkeit, mit dem venezianischen Kolorit und Schönheitsgefühl zu verbinden suchte. Aber wahrscheinlich hat dies seiner Kunst zum Schaden gereicht, und er würde Grösseres geleistet haben, wenn er auf der zuerst von ihm eingeschlagenen Bahn geblieben wäre. In dem Altarblatt der Kirche S. Giovanni Crisostomo steht er den Besten seiner Zeit gleich. Auf demselben erblicken wir den heil. Chrysostomus, eine würdige Greisengestalt, an einem Pult schreibend. Vor ihn hin tritt der jugendliche Johannes der Täufer, gefolgt von dem, mit Ritterrüstung bekleideten heil. Liberalis; weiter nahen ihm die heil. Magdalena mit dem Salbgefäss, die heil. Agnes mit dem Feuerbecken und die heil. Katharina mit dem Rade. Ueber alle diese Gestalten ist eine Fülle von Schönheit ergossen, besonders über die heil. Magdalena, in welcher man Palmas Tochter Violanta zu erkennen glaubt. Das Bild konnte nicht von dem Altar, an welchem täglich Messe gelesen wird, entfernt werden; die Beleuchtung daselbst ist sehr ungünstig, und nur durch Anbringung eines grossen Schirms, der Abhilfe gegen die Störung durch einfallende Lichteffekte brachte, ward das Kopiren desselben überhaupt ermöglicht. Trotzdem blieb die Arbeit eine äusserst schwierige, und nachdem ich sie während ihres Fortgangs beobachtet und mich täglich von den zu überwindenden Hindernissen überzeugt hatte, erstaunte ich schliesslich, dass sie so gut ausgefallen war.

Noch besass ich nichts von Paul Veronese und wünschte doch, einige seiner schönsten Werke bei mir zu sehen. Dieser Maler wird gewöhnlich nicht in dem ganzen Umfange seines staunenswerten Talentes anerkannt. Gewöhnlich preist man ihn nur als den in blendender Farbengebung unerreichten Virtuosen; seine grossen Gastmahle, deren eines sich in Paris, das andere in der Akademie zu Venedig befindet, oder seine „Anbetung der Könige“ in Dresden, zeigen freilich diese Seite seiner Begabung in eminentem Grade; andere Gemälde von ihm jedoch thun dar, dass er sich auch auf bewegte Kompositionen, wie Wenige, verstand, und seine „Kreuztragung“ in Dresden ist von so ergreifender dramatischer Lebendigkeit, dass sie jeden Vergleich herausfordert. Ich trachtete nun danach, mir Kopien von verschiedenen solchen Werken des Meisters zu verschaffen, aus deren Zusammenstellung sich die volle Tragweite seiner Leistungsfähigkeit erkennen liesse. Ein überaus glänzendes Prachtstück, das ihn nach allen Richtungen hin repräsentiren könnte, wie kaum ein anderes, ist das grosse Votivbild für die Schlacht von Lepanto in der Sala del Collegio des Dogenpalastes. Hier vereint sich das prangendste Kolorit mit einer vortrefflichen Anordnung und dem höchsten Adel der Form. Aber Wolf getraute sich erst, nachdem durch jahrelange Uebung seine Kraft gewachsen war, Bilder von so kollossalen Dimensionen in der gleichen Grösse zu kopiren. Auch waren damals meine Räumlichkeiten noch beschränkter, und so entschloss ich mich, mit einer beträchtlich verkleinerten Nachbildung vorlieb zu nehmen. Auf dieser können natürlich die Vorzüge des Originals nicht im vollen Masse zur Geltung kommen; es bleibt jedoch genug auf ihr übrig, was Bewunderung verdient. Der oben in einer Glorie thronende Christus und die unten Knieenden sind ebenso geschickt gruppirt, wie in den Stellungen und Physiognomien von seltener Würde und Anmut, besonders der mit Begeisterung aufschauende Doge Sebastian Venier und die weibliche Gestalt des Glaubens; auch hat die Farbenglut in der Verkleinerung wenig von ihrer ursprünglichen Kraft verloren.

Eine der umfangreichsten malerischen Unternehmungen des Paolo war die Ausschmückung der von Palladio erbauten, unfern von Treviso gelegenen Villa Masèr, mit Fresken. Diese gehören zu seinen besten Hervorbringungen und zeigen den seltenen Reichtum seiner übersprudelnden Phantasie, müssen aber, da im [65] Fresko nie ein gleich sattes Kolorit zu erreichen ist wie im Oelgemälde, in letzterer Hinsicht hinter anderen seiner Werke zurückstehen. Die erstgenannten Vorzüge derselben sind jedoch so gross, dass ich ihrer zwei kopiren zu lassen beschloss, und zwar dies trotz der Erwägung, dass die Uebertragung von Wandbildern in Staffeleigemälde stets eine missliche Sache sei. Wolf brachte zum genannten Zwecke während zweier Sommer mehrere Monate in der Villa zu, froh, der Glut und den Mückenstichen in der Lagunenstadt zu entrinnen, am Tage während seiner Arbeit wohl auch unter der Julihitze leidend, sich aber am Abend in dem luftig gelegenen Städtchen Asolo, dem Wittwensitze der Katharina Cornaro, erfrischend. Die Kopien der beiden Fresken, die er dort vollendete, fielen vortrefflich aus. Auf der einen derselben erblickt man Venus auf Wolken hingebettet, von Amoretten und Grazien umgeben, und rechts von ihr den erst geborenen Liebesgott, wie ihn eine Nymphe waffnet; die andere, deren ausserordentliche Schönheit sich nicht genug preisen lässt, zeigt Bacchus in mitten jubelnder weinlaubbekränzter Scharen, wie er Traubensaft in eine Schale auspresst, und neben ihm die auf einem Aehrenbündel ruhende Ariadne.

Die beiden, meines Bedünkens schönsten Oelgemälde Paolos, welche Venedig besitzt, nämlich die heil. Katharina in der gleichnamigen Kirche, und die thronende Madonna in der Akademie, durfte ich mir nicht entgehen lassen. Die erste bekundet in wie unübertrefflicher Weise der Maler den Glanz und Prunk, der in den Häusern der venezianischen Nobili herrschte, mit Innigkeit und andachtsvoller religiöser Empfindung zu verbinden wusste. Kein weltliches Vermählungsfest kann prachtvoller sein, als dieses der Sancta Catharina mit dem Jesuskinde. Die Heilige ist in so luxuriöse Gewänder gehüllt, wie nur Katharina Cornaro bei ihrer Hochzeitsfeier sie getragen haben kann; und doch reisst diese äussere blendende Pracht die Seele nicht aus der weihevollen Stimmung, die über dem Ganzen ruht. – Die „thronende Madonna mit dem Christkinde‟, die sich früher, ein nobles Seitenstück zu dem herrlichen Gian Bellin, in S. Zaccaria befand, jetzt in der Akademie ihren Platz hat, ist wohl das grossartigste Werk des Paolo; hier dient die höchste Farbenherrlichkeit doch nur zur Vermehrung des hoheitsvollen Ernstes einer echt kirchlichen Komposition. Diese Madonna ist die wahre Himmelskönigin, welche Anbetung heischt.

Einer der fruchtbarsten Künstler, von dessen umfangreichen Gemälden, wie Vieles auch hinweggeführt worden, noch jetzt ganz Venedig erfüllt ist, war Tintoretto. Man hat ihn in neuerer Zeit, wie die Mode stets Wechsel im Urteile hervorruft, ausserordentlich emporgehoben; ein geistreicher Schriftsteller, den die Engländer gegenwärtig als eine Autorität in Kunstsachen betrachten, Ruskin, geht so weit, ihn neben Dante und Michel Angelo den dritten Master-spirit of Italy zu nennen, und sein Ausspruch hat so viel Geltung gewonnen, dass, wie ich oft bemerkt habe, die reisenden Britten in Venedig besonders zu Tintorettos Bildern wallfahrten, als wären sie die grösste Sehenswürdigkeit der Dogenstadt. Die Unselbständigkeit der meisten Menschen, die sich in dieser Weise von einem einmal ausgesprochenen Urteile leiten lassen, ist mir immer eine klägliche Erscheinung gewesen. Das Unerklärliche bei dieser Wandelbarkeit des Geschmacks bleibt, dass jede Generation sich für überzeugt hält, ihr Standpunkt sei der einzig massgebende, während doch die geringste historische Betrachtung zeigt, dass die Ansichten beständig fluktuiren, und der Alternde oft erlebt, dass dasjenige herabgesetzt wird, was in seiner Jugend bewundert wurde. So wird auch der übertriebene, jetzt dem Tintoretto erwiesene Kultus vermutlich schon nach einem Jahrzehnt eingestellt oder doch auf ein geringeres Mass zurückgeführt werden. Gewiss besass dieser Künstler eine unerschöpfliche Erfindungskraft und eine ungemeine technische Fertigkeit; allein er war doch mehr Virtuos, als ein aus innerem Seelendrange schaffender Künstler. Seine meisten Werke lassen daher kalt, vornehmlich diejenigen, in denen er ein unübersehbares Gewimmel von Figuren auf die Leinwand hingeworfen hat. Ein besonderer Uebelstand, an welchem seine Gemälde mehrenteils leiden, ist es noch, dass sie, wohl infolge schlechtgewählten Farbenmaterials, zu dunkel, oft fast schwarz geworden sind. Um jedoch auch diesen, immerhin bedeutenden und merkwürdigen Meister in meiner Sammlung nicht zu missen, wählte ich zwei Bilder aus, die mir zu seinen vorzüglichsten zu gehören scheinen und weniger Spuren einer Nachdunkelung tragen. Das eine, gewöhnlich Bacchus und Ariadne genannt, in der Sala dell’ Anti-Collegio des Dogenpalastes ist zum mindesten in der Farbe vortrefflich und von grosser pittoresker Wirkung, wenn auch die Zeichnung der Figuren manches zu wünschen übrig lässt. Was im Grunde diese Gruppe zu bedeuten habe, möchte sich schwer enträtseln lassen. In der Bacchusmythe ist keine Scene vorhanden, die hier dargestellt sein könnte; wird denn von irgend einem Mythographen erzählt, dass Bacchus, aus dem Meere ans Ufer watend, der dort sitzenden Ariadne einen Ring darreicht, während Venus vom Himmel herabschwebt, um der Schönen einen Kranz aufzudrücken? Am wahrscheinlichsten dünkt es mich, dass wir es vielmehr mit einer Allegorie zu thun haben, dass die weibliche sitzende Figur Venezia vorstellen soll und der ihr dargebotene Ring der berühmte Dogenring ist, welcher ja, nach einer nachher noch zu erwähnenden Legende dem Beherrscher Venedigs zuerst von einem Fischer überbracht wurde. Die vermeintliche Venus würde dann Fortuna oder ein anderes allegorisches Wesen sein. – Wenn dieses Gemälde, das in guter Beleuchtung sich nahe dem Fenster befindet, bequem von Wolf kopirt wurde, so stellten sich dem gleichen Vorhaben in Bezug auf das Wunder der heil. Agnes in Maria dell’ Orto bedeutende Hindernisse entgegen. Das Bild ist in der Kapelle, für die es gemalt wurde, nahezu unsichtbar; ich würde es kaum gekannt haben, wenn ich es nicht viele Jahre früher, als man dasselbe zum Behufe einer Ausbesserung von dem Altare entfernt hatte, gesehen hätte. Seit dieser Zeit stand es in zauberischem Lichte in meiner Erinnerung und ich beschloss, Alles daran zu setzen, um es an einen besseren Platz gebracht zu wissen. Endlich wurde dies erreicht; und als sich das Werk in allen seinen Teilen überblicken liess, bestätigte sich mein früheres Urteil, dasselbe sei die vielleicht ausgezeichnetste von allen Leistungen Tintorettos. Die dargestellte Legende ist diejenige, wonach die heil. Agnes durch ihr Gebet vom Himmel erreicht, dass ein sie bedrohender römischer Krieger wie vom Blitze getroffen zu Boden stürzt, wonach sie dann aber, um dem Prätor die Wunderkraft ihres Gebetes zu zeigen, den Toten wiederum zum Leben erweckt. In dem Antlitze der knieenden Heiligen ist die reinste jungfräuliche Unschuld ausgeprägt. Die Darstellung des Vorganges lässt an drastischer Lebendigkeit nichts zu wünschen übrig, und das Kolorit, in seiner Verteilung auf die Engelchöre oben, wie auf die verschiedenen Gruppen unten, entfaltet bei näherer Betrachtung immer neue Schönheiten.

Wenn Wolfs Kopien solcher Bilder, die sich ihm unter günstigen Umständen darboten, und besonders die grosser, figurenreicher Kompositionen meist jeden Vergleich aushalten, so lagen gewisse Klassen von Gemälden vielleicht doch nicht völlig in seiner Sphäre. Besonders mochte dies bei denen der Fall sein, welche, wie das Porträt, die grösste Schärfe der Charakteristik erheischen; mindestens hatte er hier an Lenbach, den sein eigenes, specielles Talent ganz vorzüglich auch zum Kopiren von Bildnissen befähigte, einen höchst gefährlichen Vorgänger, und ich sah ihn deshalb nicht ohne eine gewisse Zagnis sich an ein sehr vortreffliches Porträt von Tintoretto wagen. Dieses, das den Prokurator Priuli darstellt, besitzt nicht die ideale Schönheit, wie Tizians derartige Werke, z. B. das staunenswürdige Porträt des Dogen Grimani im Palast Morosini, das leider wenig zugänglich ist und um das ich mich vergebens bemüht habe; [66] sein ganzer Wert beruht auf der tiefen und eindringenden Charakteristik. Gewiss nun muss auch diese Arbeit von Wolf als eine sehr achtungswerthe gelten; allein es schien mir immer, als ob irgend ein kleiner, jedoch wesentlicher Zug unberücksichtigt geblieben sei, und das Fehlen eines solchen kleinen Zuges zerstört oft die Wirkung des Ganzen. Seitdem hat Wolf, in richtiger Erkenntniss seines eigentlichen Berufs, sich nur noch ein paar Male, um eine unbesetzte Zeit auszufüllen, der Nachbildung von Porträts zugewendet, und dies waren, mit Ausnahme von einem oder zweien, Werke von nicht grosser Bedeutung, weshalb ich ihrer gar nicht erwähnen werde.

Die von allen Jahrhunderten bewunderte heil. Barbara des älteren Palma stand in der vordersten Reihe der in Venedig befindlichen Gemälde, von denen ich eine Kopie wünschte. Das Original derselben in Santa Maria Formosa ist zu diesem Behufe nicht eben gut aufgestellt, wenn auch keineswegs so schlecht, wie manche andere. Immerhin bringt die Lokalität so viele Nachteile, dass die Wiedergabe in gleicher Grösse wohl noch selten versucht worden ist. Niemand hätte, das ist meine feste Ueberzeugung, unter solchen Umständen die Aufgabe besser lösen können, als es Wolf gethan. Er hat der Heiligen, welche als Schutzpatronin der Kanoniere das Heldenhafte einer Jeanne d’Arc besitzt und doch zugleich den Typus der höchsten Anmut und Frauenschönheit trägt, diese beiden Seiten der Erscheinung vollständig gewahrt. Im Reiche der venezianischen und aller Kunst gibt es wohl keine weibliche Gestalt, die sich an Hoheit und Liebreiz zugleich mit dieser heil. Barbara messen könnte, es sei denn Morettos heil. Justina. Ich habe daher diese beiden Musterbilder gleichsam als Pendants einander gegenüber gestellt.

Wie Palma sich in dem genannten Bilde den grössten Künstlern aller Zeiten angereiht hat, so gewahren wir ihn auch noch in einem zweiten Werke auf derselben Rangstufe. Es ist dies das grosse Altarstück zu S. Stefano in Vicenza. Da dasselbe an Ort und Stelle von nur Wenigen gesehen wird, hielt ich eine Reproduktion, wodurch es weiteren Kreisen erschlossen würde, für besonders wünschenswert; es gelang mir, das Bild von dem sehr hohen Platze, wo es aufgehängt war, herabgebracht zu sehen, und so konnte Wolf in der Kopie sein ganzes Talent entfalten. In einigen Partien, namentlich in den Gesichtern, hat das Original offenbar gelitten; dieselben sind durch Verwaschung zu weiss geworden, sie haben ein kreideartiges Ansehen erhalten, und diesen Uebelstand durfte natürlich auch die Kopie nicht beseitigen; aber ein Thor, wer sich durch so etwas den Genuss eines Gemäldes beeinträchtigen lässt, das zu den schönsten Schöpfungen im Gebiete der Malerei gehört. Die Madonna mit dem Kinde auf erhöhtem Sitze, zu ihren Seiten die heil. Lucia und der in voller Waffenrüstung prangende Georg, sowie unten der musizirende Engel, sind von der höchsten, grandiosesten Schönheit, und die Farbenpracht, abgesehen von den erwähnten einzelnen Flecken, kann selbst einen durch die anderen Venezianer verwöhnten Sinn noch zum Entzücken hinreissen.

Da ich den nie genug zu preisenden Giorgione über Alles liebte, trachtete ich lebhaft nach Arbeiten dieses einzigen Künstlers. Zu meinem ausserordentlichen Bedauern scheiterten alle meine Versuche, für Wolf die Erlaubnis zum Kopiren seines, im Besitze der Gräfin Loschi in Vicenza befindlichen unvergleichlichen Christus zu bekommen. Dagegen machte man im Palast Manfrini zu Venedig in Betreff der damals noch dort vorhandenen sog. Familie des Giorgione keine Schwierigkeiten. Es ist traurig zu denken, wie viele Kunstwerke, die ehemals die Galerie dieses Palastes zierten, durch Verkauf in alle Welt zerstreut sind, so dass nur noch kümmerliche Reste übrig blieben. Das genannte Bild ist nun auch in andere Hände, die des Prinzen Giovanelli, übergegangen und hat, infolge einer Restauration, der es unterzogen worden, ein ganz anderes Ansehen erhalten. Die Kopie, welche Wolf davon gefertigt, gewährt noch das Interesse, dass sie der Nachwelt das Bild in seiner früheren Farbe aufbewahrt hat. Was dasselbe eigentlich vorstelle, möchte schwer zu sagen sein, und es ist vielleicht am besten, sich wegen der Deutung nicht zu bemühen, da gerade in dem Rätselhaften, Geheimnisvollen sein Reiz besteht. Dass eine Scene aus Giorgiones eigenem Leben geschildert sei, ist zwar nicht bewiesen, aber nicht ganz unwahrscheinlich. Was aber bedeutet das nackte, nur leicht mit einem Leintuche bekleidete Weib mit dem Kinde an der Brust? was der düstere, von einem Blitze durchzuckte Gewitterhimmel? Wie gesagt, wir verkümmern uns den Genuss, wenn wir danach forschen, statt uns mit der äusseren, so reizvollen Erscheinung zu begnügen.

Ein nie angezweifeltes Werk des Giorgione, das zu seinen besten zählt, ist das Altarbild in Castelfranco. Wolf begab sich auf meinen Wunsch nach diesem, ganz ausserhalb des Zuges der Reisenden gelegenen Städtchen, um dasselbe zu kopiren, und fand bei den dortigen Behörden das bereitwilligste Entgegenkommen zur Ausführung seines Vorhabens. Ich betrachte seine treffliche Kopie des nur von Wenigen gekannten Bildes als ein höchst interessantes Besitztum. Dasselbe erinnert noch an den strengen Stil der älteren Meister; aber doch sieht man in ihm schon die Blüte venezianischer Kunst sich aus der Knospe hervordrängen. Es ruht darauf eine tauige Morgenfrische, die wahrhaft herzerquickend wirkt. Die auf hocherhöhtem Throne sitzende, durch die holdseligste Unschuld fesselnde Jungfrau und zu ihren Seiten die beiden Gestalten des heil. Franciskus und des heil. Liberalis, darunter besonders der letztere in seiner Waffenrüstung eine prächtige ritterliche Erscheinung, dazu die reizvolle Landschaft mit einem antiken Tempel, bilden ein Ganzes, das Auge und Seele unwiderstehlich gefangen nimmt.

Seit Jahrhunderten als ein Hauptwerk Giorgiones hat die Grablegung gegolten, welche im Monte di Pietà oder Leihhause zu Treviso aufbewahrt wird. Ridolfi erwähnt dieselbe in seinem 1646 erschienenen Buche über die venezianischen Maler als Giorgiones Hauptwerk, und Boschini preist es im Jahre 1660 in seiner Carta del navegar in venezianischen Versen über alles. Erst in unserer Zeit ist es dem Meister abgesprochen und bald dem Pordenone, bald Anderen zugeschrieben worden. Ich lege solchen Zweifeln nicht viele Bedeutung bei; und da ich oft erlebt habe, dass Diejenigen, welche immer geneigt sind, Gemälde mit neuen Namen zu taufen, nachher wieder ihre Meinung ändern, so halte ich gerne an der ursprünglichen Bezeichnung fest, wofern nicht die gewichtigsten Gründe gegen sie sprechen. Jedenfalls ist diese Grablegung des besten Meisters würdig. Hören wir, was Wolf selbst darüber sagt. „Es wird ein grünseidener Vorhang zurückgestreift . . . und in niederschmetternder, wahrhaft flammender Farbenglut steht das Bild vor unseren erstaunten Blicken. Der Eindruck ist der der äussersten Ueberraschung und des Schreckens der erschütterten Seele, wie ihn das Grässliche stets erzeugt. Ganz furchtbar ist das dem Tode vorausgegangene physische Leiden in dem riesenhaften Christusleichnam zur Darstellung gebracht. Es mag wohl selten in solcher Weise ein toter Christus gestaltet worden sein. Sofort fragen wir uns: legen die Engelchen den Leichnam in den halbgeöffneten Sarg, oder schleifen sie ihn heraus? wird den schwachen Putten nicht das Unmöglichste zugemutet? Doch das sind Bedenken, welche sich erst geltend machen, wenn wir lange Zeit die ganz gewaltige Farbe auf unseren Sinn haben wirken lassen. Von glühender Pracht ist der Glorienschein, welcher von seitwärts zwischen den Cherubimköpfchen hindurchzitternd, um den Kopf Christi einen Nimbus bildet, während die Streiflichter dieser Glorie über Schultern und Brustmuskeln hin magisch die wuchtigen Schenkel und den Rand des graumarmornen Sarkophages beleuchten. Es ist das Fleisch kaum je bezaubernder gemalt worden, als in dem vom Rücken gesehenen Engelchen, welches [67] den Zipfel der braunroten, mit goldener Borde versehenen Sammetdraperie mit aller Anstrengung erfasst hat, um ihn aus dem Sarkophage herauszuziehen. Kaum ist das Engelkind im Stande, das Gleichgewicht auf dem Rande desselben wie angeklebt schwebend zu halten. Sein reizender Kopf ist aufs kräftigste von der Glorie beleuchtet, löst sich jedoch nichtdestoweniger hell von solcher, wie bei Correggio. Sein Fleisch ist völlig in Licht und Verklärung getaucht.“ Wolf führt nun auch die Schattenseiten des Werkes an, verschiedene Verzeichnungen und ein brandiges Rot, das (übrigens vielleicht infolge späterer Uebermalung) einige Partien des Gemäldes entstelle. Sicher sind diese Mängel nicht bedeutend genug, um dem hohen Werte des Ganzen vielen Abbruch zu thun. Nachdem ich das Original zum erstenmale gesehen, ward das Verlangen nach einer Kopie desselben in mir rege. Die Behörde des Leihhauses zu Treviso hütet diese Grablegung als einen kostbaren Hort und gab nur zögernd die Erlaubnis, eine verkleinerte Kopie derselben zu fertigen; eine solche stellte Wolf her. Da ihm, wie mir, aber das ursprüngliche Format für die Wirkung unerlässlich schien, so vergrösserte er nachher die erste Aufnahme, eine mühselige Arbeit, die ihm indes aufs vortrefflichste gelang, indem er in irgend zweifelhaften Fällen sich nicht mit seiner kleineren Abbildung begnügte, sondern immer wieder in den Monte di Pietà eilte, um das Original zu konsultiren.

Die schwerste und umfangreichste unter allen den bedeutenden Unternehmungen, denen Wolf mit nie ermattender Ausdauer und Begeisterung seine Kraft gewidmet hat, ist die Kopie von Tizians grossem Tempelgang der Maria in der Akademie zu Venedig. Dass ein Künstler es überhaupt wagte, das zuvor immer nur in kleinem Massstabe nachgebildete Riesenwerk in gleicher Grösse zu kopiren, erregte Erstaunen in der Lagunenstadt, denn es war eine der schwierigsten Aufgaben, die sich denken liess. Da das Original, eine der Hauptzierden der Akademie, den Blicken der Fremden nicht entzogen werden durfte, musste eine eigene Maschinerie erfunden werden, wonach die Kopie in der Regel aufgerollt blieb und nur der kleine Teil der Leinwand, auf welchem gerade gemalt wurde, entfaltet ward. Sodann aber wurde es durchaus nötig, hier und da, wenigstens auf kurze Zeit, die ganze gewaltige Fläche auszubreiten, damit über die Einzelheiten nicht die Gesamtwirkung verloren ginge. Wie gross nun auch die Mühsale waren, unter denen die Kopie zu Stande gebracht wurde, nicht die mindeste Spur wird davon an ihr bemerkt, so vollkommen ist Tizians Werk in seiner Naivetät und Frische reproduzirt. Ueber das Bild und die darin behandelte, wenig bekannte Legende lasse ich meinen verstorbenen Freund Eduard Prosch reden, der jahrelangen Fleiss auf eine Monographie über Tizian verwandt hatte, als ihn der Tod an der Vollendung derselben hinderte. Das seitdem erschienene vorzügliche Werk von Cavalcaselle bietet der Kunstgeschichte keinen Ersatz dafür, dass diese Arbeit nicht zum Abschluss gekommen, indem es meinem Freunde gelungen war, ein überaus reiches Material zusammenzubringen.

Prosch sagt: „Die ältere Legende erzählt, dass Maria im Alter von drei Jahren, die spätere Legende dagegen, dass sie im Alter von sechs bis sieben Jahren von ihren Eltern zum Dienste im Tempel zu Jerusalem bestimmt worden sei. Sie berichtet: Die Eltern brachten die kleine Maria bis zu den vierzehn Stufen, welche bis zur Tempelpforte hinaufführten. Auf dem Wege hieher ereignete sich das Wunder, dass ihre Gestalt von einem Lichtscheine umflossen wurde, welcher immer heller strahlte, je mehr sie sich dem Tempel nahte. Dies Wunder zog eine grosse Menschenmenge herbei, welche ihren Schritten bis zum Tempel folgte, und noch ehe sie dorthin kam, war die Nachricht hievon schon bis zum Tempel und dessen Umgebung gedrungen, aus allen Fenstern schauten Neugierige, um das Himmelszeichen zu sehen. Die Menschen, welche dem langsam schreitenden Kinde folgten, waren aus jedem Stande und von jedem Alter, von den höchsten Würdenträgern bis zur armen Bettlerin, von dem Säugling an der Mutterbrust bis zum altersmüden Greise. Harmlos steigt das liebliche Kind die für die kleinen Beine viel zu grossen Stufen (dieselben, auf denen die Stufen-Psalmen gesungen wurden) hinan und hebt zierlich das blaue Röckchen in die Höhe, um nicht zu fallen. Der greise Oberpriester, gefolgt von andern Dienern des Tempels, geht ihr bis an den Saum der höchsten Plattform entgegen. Seine ganze Erscheinung macht einen erhebenden Eindruck, seine stattliche Gestalt, seine feierliche Haltung, der Reichtum seines priesterlichen Gewandes und ganz besonders sein würdevolles Antlitz, welches voll Verehrung und zugleich mit dem Ausdruck weiser Ermahnung sich zu der kleinen Maria wendet. Unten an der Treppe bleiben ihre Begleiter zurück; ihr Vater Joachim lehnt sich auf die sechste Stufe und schaut innig bewegt ihr nach; hinter ihm (jedoch durch einen Mann mit orientalischer Kopfbedeckung von ihm getrennt) steht die Mutter Anna und sieht mit fast ängstlichem Ausdruck des Gesichts auf ihr geliebtes Kind. Neben Joachim hat ein ungemein liebliches kleines Mädchen, etwa eine Gespielin von Maria, in ungezwungener graziöser Haltung die Hände auf die dritte und vierte Stufe gelegt und widmet ihr gleiche Teilnahme wie die Eltern. Das Letztere geschieht auch von der im Profil gesehenen, zunächst der untersten Stufe stehenden jugendlichen Frauengestalt, welche Ticozzi ohne hinreichenden Grund als Mariens Erzieherin erklärt. Die Aufmerksamkeit, welche sie dem Kinde widmet, lässt sie nicht bemerken, dass ihr Schleier vom Kopf herab auf die Schulter fiel und nun ein Antlitz von solcher Lebenswahrheit sehen lässt, dass man sie anreden möchte. Zu ihr wendet sich eine ebenfalls jugendliche, weibliche Gestalt von grosser Schönheit und zeigt mit der linken Hand auf Maria hin. Unter den hierauf folgenden fünf Figuren lenken besonders der nach rückwärts schauende Alte in dem vorzüglich geordneten Gewande und das Gesicht des Jünglings, welcher anscheinend sich auf die Fussspitzen erhebt, um besser sehen zu können, unsere Aufmerksamkeit auf sich. Diesen zunächst sieht man vier Würdenträger in den Gewändern und mit der Haltung venezianischer Machthabender gravitätisch daherschreiten, hinter denselben und zu ihnen einen interessanten Gegensatz bildend, eine Bettlerin mit ihrem Kinde, welche von einem stattlichen Herrn (der mit Unrecht als Tizians Selbstporträt erklärt wurde) Almosen empfängt, und schliesslich noch einen Knaben, der um eine Gabe bittet. Die scharf ausgeprägten Gesichtszüge der vier Herren lassen auf den ersten Blick erkennen, dass Tizian hier Bildnisse von Zeitgenossen geschaffen hat. Dies wird bestätigt schon durch die ältesten vorhandenen Beschreibungen dieses Gemäldes, namentlich durch das Zeugnis des Anonimo, der den Künstler persönlich kannte und dessen kleines Werk schon zu Tizians Lebzeiten gedruckt wurde, und durch Vasari, später aber auch von Allen, die hierüber geschrieben haben, von Ridolfi, Zanetti, Ticozzi, Zanotto, Cadorin und Anderen. Leider werden von diesen Schriftstellern nicht alle in diesem Bilde porträtirten Personen ausdrücklich namhaft gemacht, wohl aber einige, und dies ist um so wichtiger, weil hienach die Zeit, wann dies herrliche Gemälde entstanden ist, mit ziemlicher Genauigkeit zu bestimmen ist. Zunächst wird der Nobile mit ‚purpurea toga e dall’ omero manco gli pende la stola di nero velluto‘ bezeichnet als Andrea de Franceschi, cancelliere della Republica; der Herr zu seiner Linken als Lazaro Crasso, ‚sta il Crasso alla sinistra di quello in atto di ragionare seco lui sopra il misterio ehe va a comprirsi della Vergine Santa‘. Ferner wurde der Mann mit kleinem Stabe in der Linken hinter dem Vater der Maria als Porträt des Dichters Pietro Aretino, der Priester in rotem Gewande, welcher dem Oberpriester assistirt, als Porträt des berühmten Gelehrten und Cardinals Pietro Bembo erklärt. Alle [68] diese Personen waren nicht nur Zeitgenossen des Tizian, sondern standen zu ihm in näherem freundschaftlichen Verkehr. Andrea de Franceschi wurde im Jahre 1529 zum Kanzler der Republik ernannt, Lazaro Crasso, ein ausgezeichneter Rechtsgelehrter und berühmter Redner, gehörte genau derselben Zeit an. Pietro Aretino (geb. 1492) wurde wegen seiner obscönen Gedichte und boshaften Satiren 1524 aus Rom vertrieben, ging zunächst nach Mailand und im Jahre 1528 nach Venedig, wo er (mit kurzen Unterbrechungen) bis zu seinem Tode (1556) blieb. Während seiner letzten 28 Lebensjahre stand er in fortwährendem Verkehr mit Tizian, der ihn fünfmal porträtirte und dessen Gemälde er über alles schätzte und mit übertriebenen Lobeserhebungen in seinen Gedichten zu verherrlichen suchte. Der berühmte Pietro Bembo ist im Jahre 1470 in Venedig geboren, studirte in Ferrara, ging 1506 nach Urbino, 1512 nach Rom, wo er Sekretär bei Leo X. wurde. Nach Leos Tode ging er nach Padua, wurde 1529 Historiograph der Republik Venedig und Bibliothekar an der Markusbibliothek. 1539 rief ihn Paul III. nach Rom und machte ihn bald darauf zum Kardinal. Da nun der Priester im Gewande von der Farbe der Kardinäle allerdings einige Aehnlichkeit mit den Porträts des P. Bembo hat, dieser aber erst 1539 Kardinal geworden ist, so ist Zanotto der Ansicht, dass das Gemälde von Mariens erstem Tempelgang nicht vor 1539 gemalt sein kann. Auch Vasari und Zanetti setzen dies Werk in die Zeit der künstlerischen Reife des Tizian, wogegen Ticozzi ohne triftigen Grund es zu den Jugendarbeiten desselben zählt und es im Jahre 1500 geschaffen glaubt. Er stützt sich hiebei auf ein Wort des Ridolfi, welcher glaubt, dass es zu den ‚früheren‘ Arbeiten desselben gehöre, bei diesem Ausdruck aber wohl nur an die lange Reihe von späteren, bis zum Jahre 1576 geschaffenen Arbeiten gedacht hat.

Das angebliche Porträt des Pietro Aretino, von welchem Ridolfi meint, das Stäbchen in seiner Hand bedeute die Rute, mit der er in seinen Satiren die Fürsten gegeisselt habe, hat sehr wenig Aehnlichkeit mit den verschiedenen anderen Porträts dieses Dichters, von denen mir vier bekannt sind und von denen das anerkannt beste sich im Palast Pitti zu Florenz befindet. Allein es ist dennoch nicht unmöglich, dass es diesen berüchtigten Schriftsteller darstellen soll, denn seine bekannten Porträts in Paris, Dresden, England, München[1]) und besonders das in Florenz sind entschieden weit später gemalt, sie stellen einen viel älteren Mann mit starkem schwarzem Bart vor, während der hier Porträtirte weit jünger ist. Ich besitze vier Abbildungen von dem Gemälde ‚Mariens Tempelgang‛, von denen nur die älteste (ein Kupferstich) den Aretino mit der Rute, die anderen drei ihn ohne Rute enthalten; da selbige auf dem Original auch nicht mehr zu sehen ist, wird sie wahrscheinlich bei einer späteren Restaurirung übermalt sein. – Da nun von Allen, die über dies Bild geschrieben haben, fast einstimmig behauptet wird, dass die oben erwähnten beiden Nobili die Porträts des Andrea de Franceschi und des Lazaro Crasso sind, dergleichen Angaben aber selten ohne weiteres erfunden werden, da ferner schon zu Tizians Lebzeiten von dem Anonimo und bald darauf von Vasari bezeugt wurde, dass er in diesem Gemälde hervorragende, ihm befreundete Personen porträtirt habe, so kann man mit ziemlicher Sicherheit behaupten, dass dies Gemälde nicht vor dem Jahre 1529 geschaffen sein kann. – Allein auch aus dem künstlerischen Gehalt ist dies zu folgern. Denn zunächst ist die alte Frau mit den Hühnern und Eiern, welche im Vordergrunde an der Treppe sitzt, das Wunder selber nicht wahrnehmen kann, wohl aber die Menschenmenge erstaunt ansieht, als fragte sie, was dies Alles zu bedeuten habe, nicht nur vollendet lebenswahr, sondern auch so frei und markig gemalt, wie Tizian in früherer Zeit dies nicht vermochte. Mit richtiger Ueberlegung gab er gerade dieser Alten so kräftige, leuchtende Farben, dass hiedurch die einförmige Mauerfläche der Treppe hinter ihr wohlthuend unterbrochen und zugleich die Gegenstände über derselben zurückgedrängt werden.

Dann aber zeigt die ganze Komposition uns den Künstler in seiner vollendeten Reife, sowohl in Betreff der Anordnung der zahlreichen Gestalten zu einem höchsten Zweck, als auch in Betreff ihrer feierlichen Haltung bei zugleich doch unbefangener, natürlicher Bewegung; in Betreff ihrer feinen Charakteristik, der Drapirung ihrer Gewänder, der Wahl und des Reichtums ihres Kostüms, welches er mehrfach, namentlich den Porträtfiguren, aus damaliger Zeit und aus seinem venezianischen Vaterlande entnommen hat, um den dargestellten Gegenstand dem Bewusstsein seiner Mitbürger näher zu bringen. Ganz besonderes Lob verdienen ferner der landschaftliche Teil des Bildes, sowie die Architekturen in demselben. Freilich ist die eigentliche Landschaft durch ungeschickte Restaurirung arg verunglimpft, namentlich die Luft, welche in den ältesten Beschreibungen als ein Wunderwerk der Naturwahrheit geschildert wird, allein die Fernsicht mit ihren Bergen, Hügeln, Bäumen und Büschen ist so schwungvoll komponiert und gezeichnet, so warm und saftig gefärbt, dass schon dieser Teil allein ein wahres Meisterwerk ist. Die Linienperspektive und in höherem Masse die Luftperspektive sind hier und mehr noch in den Architekturen vollendet richtig. Das Zurücktreten der Gebäude und ihrer einzelnen Teile gegen einander ist so klar und schlagend, dass man die Luftschicht zwischen denselben zu sehen glaubt, und das ist durch einfach richtiges Abtönen der Farbe, ohne irgend welche scharfe Schatten erreicht. Allein auch die Komposition der Architekturen, welche Tizian seinem Lande und seiner Zeit (aus gleichem Grund wie die Kostüme) angepasst hat, zeigt einen Künstler, welcher in diesem Fache gründliche Kenntnisse besass. Diese letzteren verdankte er besonders dem Jacopo Tatti, genannt Sansovino, einem ehrenwerten, hoch verdienten Manne, seinem intimsten Freunde und Gevatter. Derselbe kam im Jahre 1528 nach Venedig, wurde 1529 als Architekt von San Marco angestellt und blieb bis zu seinem Tode (1570) ununterbrochen im innigsten Freundschaftsverkehr mit Tizian. Auch hieraus dürfte man folgern, dass dies Gemälde erst nach 1529 entstanden sein kann. – Unter den zahlreichen, mir bekannten Gemälden Tizians wüsste ich keins, welches eine so feine, harmonische Abstimmung der Farben hat, wie dieses. In Betreff der Farbenglut und in Betreff der Feinheit und Lebensfrische der Karnation gibt es mehrere gleich gute Werke dieses Meisters, allein auch in dieser Beziehung gehört es zu den schönsten Gemälden, welche überhaupt jemals geschaffen sind.“

Von kleineren Bildern Tizians kopirte Wolf noch das in der Akademie zu Venedig befindliche Porträt des Jacopo Soranzo, das durch unglückliche Restauration wohl etwas verdorben ist, und das des Antonio Capello ebendaselbst, welches, wenn es von dem grossen Meister herrührt, nicht zu seinen interessantesten Bildnissen gehört. Mehr Freude machte mir die allegorische Figur der Geschichte, ebenso wegen ihrer besonderen Schönheit als auch deshalb, weil ich darin etwas besitze, was sonst nirgendwo zu sehen ist. In Venedig nämlich nimmt dieses Gemälde Tizians einen so dunkeln Platz an der Decke der Markusbibliothek ein, dass selbst das schärfste Auge es schwer erkennen kann; auch hätte es nicht kopirt werden können, wenn es nicht behufs einer Ausbesserung der Decke heruntergenommen gewesen wäre; eine Gelegenheit welche Wolf sogleich benutzte. – In Florenz war, obgleich er sich dahin begab, um seinen Fleiss vorzugsweise den Arbeiten florentinischer Meister zu widmen, doch wieder die sog. Flora Tizians von solcher Anziehungskraft für ihn, dass er nicht unterlassen mochte, [69] eine Kopie davon zu fertigen. Dieses vielbewunderte Gemälde ist unstreitig eines der zaubervollsten Frauenbilder, die je aus einem Maleratelier hervorgegangen sind; auch der höchsten Virtuosität kann so etwas nur gelingen, wenn sie sich in den Dienst begeisterter Anschauung begibt.

Weiter harrte Wolfs noch eine schwierige Aufgabe, als er sich anschickte, meinem Wunsche gemäss das grosse, unter dem Namen die Familie Pesaro bekannte Votivbild Tizians in der Kirche der Frari zu kopiren. Auf dem Altare, den es schmückt, ist es fast den ganzen Tag in tiefe Dämmerung gehüllt; und weil die Herabnahme von seinem Platze sich nicht erreichen liess, ward die Arbeit überhaupt nur dadurch ermöglicht, dass sorgfältig jeder lichtere Moment benutzt wurde. Von vornherein erklärte Wolf, bei der Wiedergabe eines so höchst ungünstig situirten Gemäldes, das in einzelnen Partien von ewiger Nacht umhüllt sei, würden sich die höchsten Anforderungen überhaupt nicht befriedigen lassen. Aber ebenso sehr die Schwierigkeit der Aufgabe, wie die Herrlichkeit des Werkes reizten ihn zu dem Versuche, was sich werde leisten lassen. Das Bild ist erstaunlich hoch, und es wäre für dasselbe kaum ein Platz in meinen Räumlichkeiten zu ermitteln gewesen. Obgleich ich nun bisher mit sehr wenigen Ausnahmen an dem Grundsatze festgehalten hatte, die Kopien müssten das gleiche Format wie das Original haben, war ich hier genötigt, das Mass um etwas reduziren zu lassen. Ich entschloss mich jedoch um so leichter dazu, als die alten Meister ihre Figuren nur dann lebensgross zu malen pflegten, wenn die Gemälde für sehr hohe Kirchen oder Säle bestimmt waren; und so berechnete Wolf die Verhältnisse seiner Kopie in der Weise, dass sie in meinem kleineren Raume dieselbe Wirkung macht, wie das Original in der riesigen Kirche; die vorderen Gestalten haben sogar fast volle Lebensgrösse. Wie vorzüglich, unter Berücksichtigung der Umstände sogar wie staunenswert ihm seine Arbeit gelungen, welches Verdienst er sich dadurch erworben, dass er das in Venedig kaum sichtbare Altarstück jedem Blicke zugänglich gemacht, werden alle billig Denkenden anerkennen. Dasselbe gehört zu Tizians besten Schöpfungen. Das alte Venedig in seiner ganzen Machtfülle und Herrlichkeit tritt in ihm vor unsere Augen; in den Gliedern der Familie Pesaro, welche den Segen der heil. Jungfrau empfangen, während ein Krieger das Siegesbanner schwingt und einen mohammedanischen Gefangenen heranführt, erblicken wir die edelsten Typen jener stolzen und thatkräftigen Geschlechter, welche die Fahne des Freistaats bis in den fernsten Orient trugen und mächtige Königreiche in den Staub beugten. Der Vorzug der vollendetsten Porträtmalerei vereinigt sich hier mit dem Adel einer grossartigen historischen Komposition und mit der religiösen Weihe eines Andacht erweckenden Altargemäldes.

Lange bemühte ich mich, dass Tizians Tobias mit dem Engel in S. Marziale zu Venedig von der sehr hohen Stelle, wo er hängt, an einen besseren Platz gebracht würde. Da dies nicht gelang, bat ich Wolf, eine andere Darstellung desselben Vorganges, die sich in Santa Catarina befindet, zu kopiren. Dieser Tobias wird zwar meist einem Schüler Tizians, dem Santi Zago, beigelegt, von Ridolfi aber schon im Jahre 1640 dem grossen Meister selbst zugeschrieben und er ist dessen auf alle Weise würdig. Wenn der Knabe hinter dem in S. Marziale zurücksteht, so erscheint mir dagegen der Engel den auf dem Bilde jener Kirche weitaus zu übertreffen; den holdseligen Engelknaben des Gian Bellin hat hier der Maler einen Cherub in der höchsten Glorie gegenübergestellt; seine Schwingen sind von einer Macht, dass sie ihn durch alle Himmel tragen müssen.

Zu den Riesenarbeiten, welche Wolf während der elf Jahre seines bisherigen Aufenthaltes in Italien für mich vollendet hat, gehört auch seine Kopie des berühmten Fischers von Paris Bordone. Dieselbe ist ihm so unübertrefflich gelungen, dass er jeden Maler der Welt herausfordern darf, es ihm gleich zu thun. Italienische Kunst hat wohl nichts hervorgebracht, was sich an Glanz und Pracht mit diesem Fischer messen könnte, und wenn Tizian, Palma, Paul Veronese auch in anderer Hinsicht Höheres geschaffen, in Farbenherrlichkeit hat Paris Bordone sie hier noch übertroffen und ein wahres Nonplusultra geliefert. Das ist kein rohes Bravourstück, kein Ausschütten des Farbenkastens auf die Leinwand, um einen leicht gewinnbaren Effekt zu erzielen, vielmehr muss man die feinste Verteilung und Aussparung des Kolorits, die tiefste künstlerische Berechnung in Zusammenstimmung der verschiedenen Tinten bewundern. Wie glänzend und blendend auch alle die mannigfaltigsten Farben im einzelnen sind, so drängt sich doch keine derselben vor, vielmehr ist jede dem Ganzen untergeordnet, und aus der Harmonie aller resultirt die höchste Gesamtwirkung. Erst bei einem sorgfältigen Studium wird man erkennen, wie Ungeheures hier geleistet ist; man möchte glauben, Paris Bordone habe sein ganzes Leben lang studiert, um dies einzige Werk hervorzubringen; seine meisten anderen Arbeiten stehen nicht auf gleicher Stufe, und nur einige Porträts, wie z. B. das himmlische weibliche Bildnis in der Nationalgalerie zu London, bekunden ihn noch als einen Meister ersten Ranges. Der in der Akademie zu Venedig befindliche Seesturm, den Wolf in etwas verkleinertem Massstabe für mich kopirt hat, wird jetzt gleichfalls und wohl nicht ohne Grund dem Paris Bordone zugeschrieben. Da die Legende, auf welche sich dieses Bild bezieht, in engem Zusammenhange mit derjenigen steht, die in dem „Fischer“ behandelt ist, so muss ich zunächst erst einige Augenblicke bei diesem „Seesturm“ verweilen. Man sieht auf demselben Dämonen, die ein heftiges Unwetter in den Lagunen erregt haben, auf Masten und Segelstangen eines Schiffes umherklettern, aus dem Flammen emporschlagen; andere Teufel von grauser Missgestalt, Ungetüme mit Drachenhäuptern, tauchen aus den wild empörten Wellen auf; da schifft der heil. Markus in einem Nachen herbei und beschwört die höllischen Mächte, dass die Wut des Orkans sich bricht und die Dämonen verzweifelnd sich in die Tiefe stürzen. Der Apostel reicht dann dem seinen Nachen führenden Fischer einen Ring mit dem Auftrage, denselben dem Dogen von Venedig zu bringen, der fortan in solchem äusseren Zeichen die Herrschaft über das Meer besitzen solle. Dieser „Seesturm“, der früher mit Giorgiones Namen bezeichnet ward, hängt an einer so finsteren Wand, dass ich mich mit einer Skizze davon begnügen musste; allein schon diese erscheint mir als äusserst interessant. Etwas Wilderes, Phantastischeres hat kein Italiener gemalt; aber wenn man an die widrigen Höllengreuel denkt, die mit Vorliebe von den altdeutschen und niederländischen Künstlern geschildert worden, so muss man das Schönheitsgefühl preisen, mit dem hier die Ausgeburten eines tollen Volksglaubens geadelt sind. Auf dem „Fischer“ nun setzt sich die Handlung des vorgenannten Bildes fort. Wir sehen vor uns in einer weiten prächtigen Halle, welche ganz von der Phantasie des Künstlers geschaffen ist und kein Vorbild in Venedig hat, den Dogen umgeben von den Senatoren und Nobili der Republik und vor ihm den eben aus seinem Boot entstiegenen Fischer, welcher ihm den Ring des heil. Markus einhändigt.

Sehr zahlreich durch alle Galerien verstreut finden sich Gemälde, welche mit dem Namen Bonifazio bezeichnet sind, und ich habe oft gedacht, wenn man nicht wisse, von wem ein Bild herrühre, so müsse Bonifazio als der Urheber herhalten. Es hat verschiedene Künstler gegeben, die so hiessen, und die ihnen zugeschriebenen Werke sind von sehr ungleichem Wert; aber ein Bonifazio, nämlich der ältere, reiht sich den besten Malern Italiens an, und ich wollte ein paar Proben seiner edlen Begabung in meiner Sammlung nicht entbehren. Seine von Wolf kopirte Madonna, von Heiligen umgeben, leuchtet zwar zunächst durch die entzückende goldige Wärme des Kolorits [70] ins Auge, befriedigt aber auch nachhaltig durch die innige Empfindung und gemütvolle Stimmung, die in ihr waltet. – Höher noch steht Bonifazios, gleichfalls von Wolf für mich reproduzirter bethlehemitischer Kindermord. In demselben muss man die seltene Lebendigkeit in den Gruppen der verzweifelt fliehenden Mütter, der wütenden Henkersknechte und der gemordeten, hier wild in Lüften geschwungenen, dort am Boden zerschmetterten Säuglinge bewundern; aber die entsetzliche Handlung ist doch so aufgefasst, dass sie nichts Verletzendes hat, was man recht erkennen wird, wenn man den in anderer Hinsicht so unübertrefflichen Kindermord des Rubens damit vergleicht. Die Figur des Herodes allerdings ist dem Venezianer misslungen; er sitzt während des grausen Würgens, das er angeordnet, so behaglich auf seinem Thron, als ob er über das Wetter spräche.

Jedermann schätzt die unter dem Namen der verschiedenen Bassano gehenden Bilder, welche Heerden mit ihren Hirten, das Innere von Hauswirtschaften und Aehnliches vorstellen. Als ich die mit ihren alten Mauern und Warttürmen in schöner Gegend sehr malerisch gelegene Stadt Bassano besuchte, war ich höchlich erstaunt, in dem dortigen Museum eine beträchtliche Anzahl von Gemälden des älteren Bassano zu finden, welche weit aus diesem engen Kreise heraustraten und mit dem Vorzuge eines blühenden Kolorits den einer reichen, wohlgeordneten Komposition verbanden. Dasjenige unter ihnen, das mir am merkwürdigsten schien, kopirte Wolf für mich. Es stellt die Taufe der heil. Lucilla vor (nach einer mir nicht näher bekannten Legende), und gewiss wird Jeder davon, als von einem wahren Prachtstück überrascht werden.

Als Hauptwerk des eminenten, jedoch nicht nach Verdienst bekannten Brescianers Romanino gilt, neben dem grossen, im Museum von Padua aufbewahrten Bilde das Altarstück der Kirche S. Francesco zu Brescia. Dasselbe hat entschiedene Vorzüge, namentlich eine erstaunliche Kraft und Tiefe der Farbe, so dass eine Kopie davon durch einen mehrmonatlichen Aufenthalt Wolfs in dem von Kunstschätzen strotzenden Brescia mir nicht zu teuer erkauft dünkte. Man sieht die Jungfrau mit dem Christkinde auf dem Throne, von sechs heiligen Franciskanern verehrt; das Ganze bietet eine höchst würdevolle Erscheinung von echtem religiösen Ernst; es entfernt sich in dieser Hinsicht von der Weise der Venezianer, bei denen die feierliche Strenge immer durch Anmut gemildert wird, und erinnert stark an die Werke spanischer Maler, z. B. des Zurbaran. Als welch’ ein Farbenvirtuos Romanino sich hier zeigt, erkennt man in seinem vollen Umfange erst, wenn das Bild recht hell beleuchtet wird.

Nachdem Wolf eine so grosse Anzahl der herrlichsten Werke venezianischer Kunst kopirt hatte, wünschte ich, dass er seine Kraft auch an einigen Gemälden anderer Meister versuche, die mir von hervorragendster Bedeutung schienen. Er begab sich zu diesem Zwecke zweimal nach Florenz, und gewiss wird man es eine glückliche Wahl nennen, dass er sich zuerst der Grablegung (Pietà) des Fra Bartolommeo im Palast Pitti zuwandte. Kaum hätte sich ein glänzenderes Beispiel von der Höhe, zu welcher sich die toskanische Malerei erhoben, finden lassen, als dieses Bild; nie ist der Mutterschmerz ergreifender geschildert worden, als in der Maria, nie der wilde, die ganze Seele zerwühlende Jammer um das Hinscheiden eines geliebten Toten in einer Gebärde so erschütternd zur Anschauung gekommen, wie in der die Füsse des Heilandes umklammernden Magdalena. Freilich haben wir Belege dafür, dass auch die Venezianer dem Ausdruck der tiefsten Gefühle, des mächtigsten, herzbewältigenden Wehes gerecht zu werden wussten; indes vor dieser Pietà des Fra Bartolommeo möchte man doch die Toskaner wegen ihrer grösseren Innerlichkeit, ihrer mehr zur Seele dringenden Glut der Empfindung preisen.

Wenn ich die Galerien von Florenz durchwanderte und mich in die Schöpfungen der vorrafaelischen Maler vertiefte, regte sich oft in mir der Wunsch, auch einige von diesen in Nachbildungen zu besitzen. Viele derselben haben, namentlich die Werke des Filippo Lippi, des Sandro Botticelli, des Lorenzo di Credi, durch die Wärme des Gemüts, die in sie ergossen ist, eine grosse Anziehungskraft, und so oft ich nach Florenz komme, kehre ich mit stets erneuter Freude zu ihnen zurück. Solche Denkmale einer noch nicht zu ihrer Höhe gelangten Kunst kopiren zu lassen, hatte jedoch für mich etwas Bedenkliches. Was ich meine, wird man ganz verstehen, wenn man sich Kopien nach dem so überaus verehrungswürdigen Fra Angelico da Fiesole zwischen solchen nach Tizian und zwischen Bildern moderner Maler aufgehängt denkt. Allerdings haben nun Filippo Lippi und einige seiner Zeitgenossen schon eine beträchtlich höhere Stufe erreicht, allein sie müssten sich in der genannten Umgebung doch immer noch seltsam ausnehmen. Ein reizendes Rundbild von Mariotto Albertinelli im Palast Pitti, eine vor dem Christkinde knieende Madonna, schien mir dagegen die Vorzüge der kindlichen Naivetät, wie sie den Prärafaeliten eigen ist, schon mit einer so hohen Kunstvollendung zu vereinen, dass ich in Betracht ihrer meine Bedenken fallen liess; und ich brauche meinen Entschluss nicht zu bereuen; denn die mit äusserster Sorgfalt und eingehendem Verständnis von ihr gefertigte Kopie, die ich Wolf verdanke, behauptet sich vollständig, selbst zwischen Tintoretto und Sebastian del Piombo.

Lange hatte ich um des grossen Andrea del Sarto Meisterwerk, die Madonna del Grifeo oder delle Arpie, in der Tribune der Uffizien, umsonst geworben. Nach vielfältigen fruchtlosen Bemühungen aber erreichte ich, dass sie an einen Platz gebracht wurde, wo es möglich war, sie zu kopiren. Dass Wolf diese Aufgabe in so vorzüglicher Weise gelöst, muss ihm besonders hoch angerechnet werden; denn es ist keine Kleinigkeit, nach langer, fast ausschliesslicher Beschäftigung mit den Venezianern sich in einen so völlig verschiedenen Stil zu finden. Was aber soll ich zum Preise von Andreas Madonna sagen? Jedes Lob, und wäre es das überschwänglichste, erscheint hier als matt. Es ist besser, vor solcher unergründlichen Schönheit zu verstummen, als sie mit inadäquaten Worten zu feiern. In der heil. Jungfrau, wie sie auf hohem Postamente anbetungheischend dasteht, vereinigt sich die Göttlichkeit der Himmelskönigin mit aller Reizfülle des irdischen Weibes, und ich kenne ausser der sistinischen keine Madonna, die dem Ideal einer Mutter Gottes so nahe käme, wie diese. Auch der Christusknabe und die untenstehenden heil. Franciskus und Johannes sind von so seltener Vollendung und bilden, mit der heil. Jungfrau vereint, ein so herrliches Ganzes, dass man davor, wie vor einer Offenbarung göttlicher Glorie steht. – Eine zweite, kleinere Madonna von Andrea im Palast Pitti kommt zwar der ebengenannten nicht gleich, ist aber höchst liebenswürdig und mit Vorzügen ausgestattet, wie sie ihr nur der Meisterpinsel des grossen Florentiners verleihen konnte; ich freute mich daher, auch sie in einer des Originals völlig würdigen Kopie Wolfs bei mir aufhängen zu können.

Das fast einzige, wirklich beglaubigte Staffeleigemälde Michel Angelos, die Madonna mit Joseph und dem Jesuskinde in der Tribune zu Florenz, war mir von jeher überaus lieb gewesen und hatte, seit ich es zuerst gesehen, stets vor meinem Geiste gestanden. Manche stossen sich an den, freilich nicht gerade weichen Formen, an dem wenig gefälligen Kolorit; aber mir hat es immer ferne gelegen, wenn ich die Hauptsache an einem Kunstwerk gut fand, wenn es stark zu meinem Gefühle sprach, an Einzelheiten zu mäkeln. Worauf dieser mächtige Eindruck, den Michel Angelos Rundbild gleich zu Anfang auf mich machte und noch fortwährend auf mich macht, beruht, davon vermag ich nicht Rechenschaft zu geben. Der letzte [71] Grund unseres Wohlgefallens am Schönen ist eben etwas Undefinirbares. Wenn wir den Duft einer Blume besonders lieben, vermögen wir nicht zu beweisen, dass derselbe vorzüglicher sei, als der der übrigen, und eben so wenig können wir Solche, die darin nicht empfinden wie wir, zu unserem Geschmack bekehren. Mögen denn Andere sich vor Buonarottis Madonna bekreuzen und sie ein hässliches Mannweib nennen, ich, bei meiner Vorliebe für sie, die durch ein halbes Menschenleben nicht vermindert worden war, hatte gewiss recht, sie für mich kopiren zu lassen.

Nachdem in meinen Räumen sich so viele Gemälde angehäuft hatten, dass die Aufnahme neuer eine Ueberfüllung derselben und eine Beinträchtigung im Genusse der schon vorhandenen herbeigeführt haben würde, musste ich den Entschluss fassen, meiner Sammlung keine weitere Ausdehnung zu geben. Das letzte Bild, das für mich zu kopiren ich Wolf beauftragt habe, ist Correggios Giorno oder heil. Hieronymus in der Galerie zu Parma. Dieser Maler hat nie zu meinen Lieblingen gehört, und ich bin der Meinung, dass er lange sehr überschätzt worden ist, ja noch heute überschätzt wird. In fast allen seinen Werken stört mich Affektirtheit und Ziererei, besonders jenes süssliche, widrige Lächeln, das er seinen Figuren leiht; ich sehe in Correggio, obgleich er in der Blütezeit der Kunst lebte, sich schon deren Verfall stark ankündigen. Dass er aber in technischer Hinsicht bewundernswürdig ist, habe ich nie verkannt und so wünschte ich denn auch ein Specimen der Leistungsfähigkeit eines so berühmten Mannes aufweisen zu können. Kein Bild nun schien dazu geeigneter, als der genannte „Giorno“ in Parma, der wohl mit Recht als Correggios Meisterstück gilt. Es ist in ihm eine Fülle des Lichts, wie man sie nie gesehen hat, und ein wirklich fabelhafter Glanz des Kolorits, und wegen dieser Vorzüge wollen wir denn über die Grimasse der meisten Figuren, namentlich des Christkindes, hinwegsehen.

Bei einer Ueberschau der elfjährigen angestrengten Thätigkeit, welche Wolf in der Reproduzirung alter Maler für mich entfaltet hat, muss man ebenso über die Fülle, wie über die Trefflichkeit seiner Leistungen erstaunen. Da er erst in der Blüte des Mannesalters steht, liegt noch ein ausgedehntes Feld für weitere Arbeiten vor ihm. Aber selbst wenn er jetzt mit denselben abschlösse, hätte er schon genug für ein ganzes Menschenleben gethan. Denkmale der Liebe und innigen Hingebung, mit der er sich in Tizian, Paolo, Giorgione und Palma versenkt hat, sind auch seine Originalgemälde, ein venezianisches Festgelage auf Murano, und Giorgione mit seiner Geliebten, auf welchen ein schöner Widerschein der Glanzperiode italienischer Kunst ruht. Hätte er mehr ähnliche Bilder gemalt und sie auf die Ausstellungen gesandt, so würde sein Name in weiteren Kreisen wohl bekannter geworden sein, als er jetzt ist. Wenn ihm für seine vorzüglichen Nachbildungen alter Kunstwerke keine Medaille zu Teil geworden, so ist er statt dessen des warmen Dankes aller echten Kunstfreunde gewiss. Schon die gegenwärtige Generation wird vielleicht den Untergang von Tizians „Familie Pesaro“ erleben, da die Farben nur noch als eine dünne Schicht über der Leinwand liegen und bei einer leichten Erschütterung herabfallen müssen. Dann wird August Wolf der Ruhm zuerkannt werden, das göttliche Bild der Zukunft gerettet zu haben, und wenn nach und nach auch die anderen Meisterstücke einer noch unerreichten Kunst, die er kopirt hat, den vielen, die schon zu Grunde gegangen, nachfolgen, werden ihn unsere späten Enkel dafür preisen, dass er ihnen noch den Genuss derselben ermöglicht hat.




Es ist eine wehmütige Empfindung, die mich beschleicht, indem ich das letzte Gemälde, die Kopie nach Correggio, in meiner Galerie aufhänge. Denn die Bildung dieser Sammlung hat die Mussestunden von vierundzwanzig Jahren angenehm für mich ausgefüllt, indem ich mit den Künstlern die Sorge um das Gelingen ihrer Werke, sowie die Freude über die glücklich vollendeten teilte. Doch verbindet sich damit auch ein Gefühl der Befriedigung, wenn ich auf diese Periode zurückblicke. Infolge der herzlichen Verachtung, die ich von jeher, in Kunst wie Litteratur, gegen die Tagesmode gehegt, traf ich meine Auswahl stets im entschiedensten Gegensatze gegen dieselbe und habe mein Prinzip als das richtige bestätigt gefunden; denn während die von mir gewählten Kunstwerke sich, wenn auch nur langsam und in engen Kreisen, den Weg zu dauernder Anerkennung bahnen, habe ich den Modegeschmack mit den von ihm gehätschelten Produkten seitdem schon mehrmals Bankerott machen sehen. Weiter muss ich es ein Glück nennen, dass, als ich anfing zu sammeln, eine Anzahl ausgezeichneter Talente auf der vollen Höhe ihrer Schaffenskraft standen. Hätte ich nur zehn Jahre später begonnen, so wäre es mir unmöglich gewesen, so viel Treffliches zusammen zu bringen; denn wie manche Begabte sich auch unter dem jüngeren Nachwuchs finden mögen, der hohen, echten, idealen Kunst weihen sich nur Wenige, und was das Schlimmste ist, diese Wenigen finden keine Ermutigung durch das Publikum, werden daher meist, wenn sie nicht nach fruchtlosem Ringen früh zu Grunde gehen, mit gebrochenen Kräften auf andere Bahnen getrieben, welche heute allein noch Erfolg versprechen. Träte jetzt ein Genelli oder ein Feuerbach auf, sie würden wo möglich noch mehr vernachlässigt werden, als jene es wurden, da ich sie kennen lernte. Die Hoffnung, dass mit dem neuen deutschen Reiche eine Periode frischen geistigen Lebens anbrechen werde, schwindet mehr und mehr, und es wäre thöricht, die Regierenden dafür verantwortlich zu machen. Denn wenn selbst Perikles und Lorenzo von Medici vereint an die Spitze dieses Reiches träten, um eine solche Blütenepoche in ihm hervorzurufen, ihr Streben würde an dem heute in Deutschland lebenden Geschlechte scheitern, das nur noch Sinn für das Leerste hat, und, wie dies Schicksal stets die Hohlheit ereilt, auf den verschiedensten Gebieten der Kunst und Litteratur mehr und mehr die Beute von Spekulanten und Schwindlern wird. – Für mich knüpft sich endlich an die Sammlung, der ich diese Blätter gewidmet habe, noch eine Erwägung von Wert. Bei der eisigen Kälte und tötlichen Gleichgiltigkeit, welche die ganze deutsche Nation von jeher meinem eigenen poetischen und litterarischen Schaffen gezeigt hat und noch jetzt zu zeigen fortfährt, wo mein Abend [72] hereinbricht, liegt es wohl oft nahe, dass mich tiefe Niedergeschlagenheit befällt und dass ich den Wunsch nicht zurückweisen kann, ich möchte lieber in England oder Italien, in Frankreich oder Spanien geboren worden sein. Ich kenne diese Länder genug, um zu wissen, dass mir dort nicht die Teilnahmlosigkeit begegnet wäre, wie im „Lande der Dichter und Denker“. Es ist hart, an der Neige eines von ernster Arbeit und begeistertem Streben erfüllten Lebens sich so trüben Gedanken hingeben zu müssen; wofern es dabei für mich einen Trost gibt, so liegt er, neben der Hoffnung auf eine empfänglichere Nachwelt, in dem Bewusstsein, dass ich nicht teilgenommen habe an der Schuld, welche das deutsche Volk gleichzeitig gegen einige Andere geübt hat, vielmehr bemüht gewesen bin, das ihnen zugefügte Unrecht nach meinen schwachen Kräften zu sühnen. Und wenn es mir gelungen ist, den Bann der Verkennung, unter dem Deutschland schon so viele seiner besten Söhne verkümmern liess, auch nur von einem derselben hinwegzuheben, so werde ich mir in meiner letzten Stunde sagen können, dass ich nicht vergebens gelebt habe.

  1. Ich muss hierzu bemerken, dass man nicht in allen diesen Gemälden Bildnisse des berühmten Satirikers sehen muss. Aretino heisst ja nur: aus Arezzo gebürtig, und so gibt es verschiedene Aretiner.