Die Reise

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Autor: Christian Fürchtegott Gellert
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Titel: Die Reise
Untertitel:
aus: Sämmtliche Schriften. 1. Theil: Fabeln und Erzählungen, Erstes Buch. S. 46–48
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1769
Verlag: M. G. Weidmanns Erben und Reich und Caspar Fritsch
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Erstdruck 1746/48
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Die Reise.


Einst machte durch sein ganzes Land,
Ein König den Befehl bekannt,
Daß jeder, der ein Amt erhalten wollte,
Gewisse Zeit auf Reisen gehen sollte,

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Um sich in Künsten umzusehn.

Er ließ genaue Karten stechen,
Und gab dazu noch jedem das Versprechen,
Ihm, würd er nur, soweit er könnte, gehn,
Mit dem Vermögen seiner Schätze

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Alsdann auf Reisen beyzustehn.

Es war das deutlichste Gesetze,
Das jemals noch die Welt gesehn;
Doch weil die meisten sich vor dieser Reise scheuten:
So sah man viele Dunkelheit.

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Die Liebe zu sich selbst, und zur Bequemlichkeit

Half das Gesetz sehr sinnreich deuten;
Und jeder gab ihm den Verstand,
Den er bequem für seine Neigung fand;
Doch alle waren eins, daß man gehorchen müßte.

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Man machte sich die Karten bald bekannt,

Damit man doch der Länder Gegend wüßte.
Sehr viele reisten nur im Geist,
Und überredten sich, als hätten sie gereist.
Noch andre schafften das Geräthe

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Zu ihrer Reise fleißig an,

Und glaubten, wenn man nur stets reisefertig thäte:
So hätte man die Reise schon gethan.

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Sehr viele fiengen an, zu eilen,

Als wollten sie die ganze Welt durchgehn;

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Sie reisten; aber wenig Meilen,

Und meynten, dem Befehl sey nun genug geschehn.
Noch andre suchten auf den Reisen
Noch mehr Gehorsam zu beweisen,
Als den, den das Gesetz befahl;

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Sie reisten nicht durch grüne Felder,

O nein! sie suchten finstre Wälder,
Und reisten unter Furcht und Qvaal;[1]
Behängten sich mit schweren Bürden,
Und glaubten, wenn sie ausgezehrt,

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Und siech und krank zurücke kommen würden,

So wären sie des besten Amtes werth;
Sie reisten nie auf Kosten des Regenten;
Doch jene, die zur Zeit noch keinen Schritt gethan,
Die hielten Tag für Tag um Reisekosten an,

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Damit sie weiterkommen könnten.




Wie elend, hör ich manchen klagen,
Ist nicht dieß Mährchen ausgedacht!
Schämt sich der Dichter nicht, uns Dinge vorzusagen,
Die man kaum Kindern glaublich macht?

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Wo giebt es wohl so stumpfe Köpfe,

Als uns der Dichter vorgestellt?
Dieß sind unsinnige Geschöpfe,
Und nicht Bewohner unsrer Welt.
O Freund! was zankst du mit dem Dichter?

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Sieh doch die meisten Christen an;

Betrachte sie, und dann sey Richter,
Ob dieses Bild unglaublich heissen kann?

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Qvaal = Qual