Die Selbstverwaltung Berlins

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Autor: Franz Duncker
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Titel: Die Selbstverwaltung Berlins
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aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 266–271
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[266]

Die Selbstverwaltung Berlins.

Ein Wort der Abwehr gegen ministerielle Angriffe.
Von Franz Duncker.

Eine genauere Darlegung der Selbstverwaltung Berlins ist gewiß jeder Zeit von allgemeinstem Interesse. Wie viel mehr in einem Augenblicke, wo der höchste Beamte des deutschen Reiches, Fürst Bismarck, die Anklage gegen dieses Gemeinwesen geschleudert hat: die mit dem Einschätzungswesen betrauten Bürger der Stadt ließen sich durch politische Abneigungen zu falsch gegriffenen Abschätzungen hinreißen, das Finanzsystem Berlins sei im höchsten Maße reformbedürftig und entspreche den Aufgaben, die einer so großen Verwaltung gestellt werden müssen, in keiner Weise.

Ich hoffe durch die Schilderung, welche ich hier von dem Wesen der Berliner Communalverwaltung in großen Zügen zu geben versuche, die Leser der „Gartenlaube“ freilich für eine der Auffassung des mächtigen Reichskanzlers direct entgegenstehende Ueberzeugung zu gewinnen. Ich folge bei derselben dem trefflichen, in alle Details eingehenden Verwaltungsbericht des Berliner Magistrats über die Gemeindeverwaltung in den Jahren 1861 bis 1876, der in zwei stattlichen Bänden vor mir liegt; denn gerade in dieser Zeit hat die Entwickelung Berlins den höchsten Aufschwung genommen und haben zugleich in der Gemeindeverwaltung selbst die bahnbrechendsten Reformen stattgefunden. Ueberall aber, wo es erforderlich scheint und mir Material vorliegt, werde ich die Darstellung bis zur Gegenwart herabführen und dieselbe ebenso für die Vergangenheit hier und da aus meinen Erinnerungen als Berliner Kind ergänzen.

Berlin ist das größte Gemeinwesen des deutschen Reiches, welches im Wesentlichen seine Angelegenheiten durch die freie Thätigkeit seiner Bürger, und nur insoweit diese nicht ausreicht, durch besoldete Beamte verwaltet, diese aber werden durch die eigenen Organe der Bürgerschaft gewählt und für die eigentlich regierenden Stellungen im Magistrat nur auf sechs- bis zwölfjährige [267] Amtsperioden berufen. Dabei übertrifft Berlin durch seine Einwohnerzahl so manchen Kleinstaat, der sich den weitläufigen Apparat eines Fürstenhofes, eines Ministeriums und einer Volksvertretung, manchmal auch diese noch zweigeteilt, gestatten kann, aber mit den Zahlen seines Budgets von ungefähr 42 Millionen Mark in der Einnahme und Ausgabe übertrifft Berlin heutzutage bereits dasjenige der schweizerischen Eidgenossenschaft.

Die einer Stadtverwaltung gestellte „ideale Aufgabe auch nur annähernd zu erreichen, ist um so schwieriger, je plötzlicher die Entwickelung zur Großstadt ein Gemeinwesen überrascht“.

Diese in dem Vorworte des Berliner Magistratsberichtes enthaltene Bemerkung ist, wenn irgendwo, gerade für Berlin selbst zutreffend; denn das Wachsen Berlins in den letzten fünfzig Jahren ist ein geradezu gewaltiges.[1]

Aber noch andere Hindernisse, als das rapide Wachsen, standen der raschen und allseitigen Entfaltung der 1808 unter dem Freiherrn von Stein in’s Leben gerufenen Städte-Ordnung entgegen.

Der lebendige und trotzige Bürgersinn unserer Vorfahren, welcher einst selbst den Hohenzollern Widerstand geleistet, bis diese durch die Gründung der Burg zu Köln an der Spree im Jahre 1442, des heutigen königlichen Schlosses, denselben niedergeworfen, war in dem Sturm und Elend des Dreißigjährigen Krieges bis auf die letzten Spuren verschwunden. Als der große Kurfürst zweihundert Jahre später sein Regiment antrat und Berlin mit den Festungswerken umgab, deren letzter Rest, der Königsgraben, jetzt durch den Bau der Stadtbahn beseitigt wird, da war die Stadt zum elenden Nest mit 6000 Einwohnern herabgesunken. Von da ab bis abermals zweihundert Jahre später, bis in die Zeit Friedrich Wilhelm’s des Vierten, war Berlin wesentlich nur die Residenz der preußischen Könige, und alles, was Großes und Bedeutendes in derselben geschaffen, ist das Werk der Fürsten. Diese lebendige Initiative, die bedeutenden Aufwendungen, welche die Herrscher zur Verschönerung und zum Nutzen ihrer Residenz spendeten, enthob die Bürger alles Nachdenkens und aller Sorge, ihrerseits für die gemeinsamen Interessen der Stadt einzutreten, und als nun mitten in den Drangsalen der französischen Occupation, nach der Katastrophe von Jena, die Städte-Ordnung ein Selbstregiment der Bürger einzuführen versuchte, „da wurden“ – so sagt der Magistratsbericht – „zunächst nicht sowohl die neuen Rechte freudig, als die neuen Lasten schmerzlich empfunden“. Erst als nach dem Befreiungskampfe im Jahre 1819 die Differenzen zwischen Staats- und Stadtbehörden beendet waren, fingen die Communalbehörden an, „die Stadt nicht blos als die Residenz des Königs, sondern zugleich als die Stadt der Bürger aufzufassen. Und doch, wie Vieles blieb in Berlin noch der Selbstverwaltung vorenthalten, was ihr in anderen Städten mit der Städte-Ordnung zugefallen, was zum Theil erst in der allerjüngsten Zeit in unsere Verwaltung übergegangen ist, zum Theil für dieselbe – jetzt als ein wünschenswerthes Gut betrachtet – noch zu erstreben bleibt“.

Das ist ein Punkt, der bei der Klage, daß Berlin in so manchen großstädtischen Einrichtungen gegen andere Weltstädte zurückgeblieben ist, nie genug in Anschlag gebracht werden kann; denn für Berlin gilt nicht das Wort: „der Kaiser ist weit“, nein, der Vorzug, Landes- und Reichshauptstadt zu sein, hat neben seinen Licht- doch auch seine Schattenseiten. Die Centralbehörden sind natürlich wenig geneigt, auf dasjenige, was sie unmittelbar unter ihren Augen haben, ihren Einfluß aufzugeben, und daher kommt es, daß für viele Dinge, namentlich für Bau-Angelegenheiten, nirgends ein mehr complicirter Instanzenzug existirt, als gerade in Berlin, und daß z. B. noch heute, um eine Pferdebahnlinie endgültig festzustellen, vier bis fünf Instanzen, oft selbst bis zum Kaiser hinauf, angerufen werden müssen.

Erst mit dem Jahre 1840 trat eine neue Epoche Berlins ein, nicht nur, weil das neu erwachte politische Leben nicht ohne Einfluß blieb auf das Interesse an den öffentlichen städtischen Angelegenheiten – ward doch erst im Jahre 1844 die Öffentlichkeit der Sitzungen der Stadtverordneten vom Könige zugestanden – sondern auch, weil mit dem erst seit dem Anfang der vierziger Jahre in schneller Progression wachsenden Bau der Eisenbahnen, mit der Gründung und dem raschen Erblühen der Berliner Maschinenbau-Anstalten, mit der wachsenden Bedeutung der Börse Berlin anfing, eine Centrälstätte für die Industrie und den Handel zu werden.

Von ähnlichem, äußerlich noch bedeutsamerem Einfluß waren die politischen Ereignisse, welche sich an die Thronbesteigung König Wilhelm’s im Jahre 1861 knüpften. Die neue Aera mit ihren Hoffnungen, das in den Conflictsjahren sich stärkende Selbstbewußtsein der Bürger, sodann die glücklichen Kriege mit Dänemark, Oesterreich, Frankreich, die Stiftung des norddeutschen Bundes, die Gründung des deutschen Reiches waren nicht nur auf die städtische Verwaltung von bedeutendem unmittelbarem Einfluß, sondern mußten auch mittelbar der Entwickelung des ganzen Gemeinwesens Berlins, das nun die Hauptstadt des deutschen Reiches, der Sitz des deutschen Reichstages und der meisten Reichsbehörden wurde, eine neue Signatur geben. Dazu kam in Beziehung auf die materiellen Existenzbedingungen das allmählich vorbereitete, nunmehr durch das Eindringen der französischen Milliarden rasch bis zu einem völlig unerwarteten Grade geförderte allgemeine Sinken des Geldwerthes. Doch auf die Zeit der Wohnungsnoth und der Gründerepoche, Uebel, welche sich aus diesen Verhältnissen ergaben, sind rasch genug die Tage der Noth der Hausbesitzer, der Subhastationen und der Verarmung weiter Volksschichten gefolgt. Gegenwärtig ist es daher die Aufgabe der städtischen Verwaltung, gegenüber der geminderten Leistungsfähigkeit der Bürger doch die Leistungen der Commune, an die immer neue Anforderungen herantreten, mindestens auf der schon erreichten Höhe zu erhalten; denn nur dann kann sich allmählich auch die Einwohnerschaft wieder zu neuem Wohlstand emporschwingen.

Um nun aber einen Blick in den Mechanismus, der das Getriebe dieser großen Verwaltung im Gange erhält, zu thun, wenden wir uns zunächst zu dem Centralsitze derselben, dem Berliner Rathhause.

Wenn man das Brandenburger Thor durchschreitet und die „Linden“ betritt, sieht man über der grauen Steinmasse des königlichen Schlosses den rothen Backsteinbau des Rathhausthurmes kühn sich in die Luft erheben, ein steinernes Monument, das den Berlinern zuzurufen scheint: den „Bürgerstolz vor Königsthronen“ nicht zu vergessen. An Stelle des alten, engen, winkligen Rathhauses, das kaum einer kleinen Provinzialstadt würdig war, ist der jetzige 1871 vollendete Prachtbau getreten. Neben dem alten Rathhause mußte noch ein ganzes Straßenquarré von Privathäusern mit dem Aufwande von einer Million Thalern niedergelegt werden, um dem Neubau Platz zu schaffen.

Der Grundstein zu dem neuen Rathhause, dessen die „Gartenlaube“ bereits früher (vergl. Jahrgang 1870, Nr. 9) in einem Artikel vorübergehend gedachte, ward am 11. Juni 1861 gelegt und schon am 30. Juni 1865 konnte der Magistrat dort seine erste Sitzung halten, während die Stadtverordneten, welche bis dahin im Kölnischen Rathhause getagt hatten, ihren neuen Sitzungssaal erst am 6. Januar 1870 betreten konnten. Die gesammten Festräume des Rathhauses aber fanden ihre würdigste Einweihung durch das großartige Fest, welches die Stadt Berlin in denselben dem damals zum ersten Mal zusammentretenden deutschen Reichstage gab. Die Gesammtkosten zur Herstellung des Hauses, die fast ausschließlich aus den laufenden Einnahmen, also im Wesentlichen aus den Steuern der Bürger, gedeckt wurden, haben, inclusive des Grunderwerbes, Mark 9,724,800 betragen.

In dem großen Sitzungssaale des Rathhauses hält der Magistrat regelmäßig an jedem Freitagvormittag seine ordentlichen Plenarsitzungen ab. Um einen elliptischen Tisch, der in der Mitte einen freien Raum einschließt, sind die vierunddreißig Sessel der Stadtväter geordnet; denn der Magistrat besteht aus dem Oberbürgermeister, dem Bürgermeister, zwei Stadtsyndicis, dem Stadtkämmerer, zwei Stadtschulräthen, zwei Stadtbauräthen, acht andern besoldeten Stadträthen, zusammen aus siebenzehn besoldeten und ebenso viel unbesoldeten im Ehrendienst der Stadt stehenden Bürgern, [268] die aber ebenfalls den Titel Stadtrath führen, zusammen aus vierunddreißig Mitgliedern.

Während in dem Collegium des Magistrats sich die gesammte Verwaltung concentrirt und er dieselbe nach außen hin und der Stadtverordnetenversammlung gegenüber zu vertreten hat, greift doch insofern eine Decentralisation Platz, als in Berlin in sehr ausgedehntem Maße von der Bestimmung der Städte-Ordnung (§ 59) Gebrauch gemacht wird, nach welcher zur dauernden Verwaltung oder Beaufsichtigung einzelner Geschäftszweige besondere Deputationen entweder blos aus Mitgliedern des Magistrates oder aus solchen beider Gemeindebehörden oder aus letzteren und aus stimmfähigen Bürgern gewählt werden können. Man hat sich in Berlin mit Recht für die letztere Zusammensetzung entschieden, und gegenwärtig bestehen achtzehn solcher gemischten Deputationen, in gewissem Sinne die Ministerien der Stadtverwaltung, wie z. B. die Steuer- und Einquartierungsdeputation, die Armendirection, die Baudeputation.

In der localen Verwaltung – abgesehen von der für die Veranlagung der Staats- und Communalsteuern eintretenden Mitwirkung zahlreicher Bürger – werden der Magistrat und seine Deputationen unterstützt:
1) durch die Bezirksvorsteher (Ende 1866: 122, Ende 1879: bereits 210);
2) durch die Armencommissionen, gegenwärtig 223 an der Zahl mit gegen 1800 Mitgliedern;
3) durch die Schulcommissionen, in welchen Ende 1876 bereits 1024 Bürger arbeiteten;
4) durch die Waisenräthe, in denen 1876: 315 Bürger thätig waren, die von 249 Waisenpflegerinnen unterstützt wurden.

Dem Magistrate zur Seite oder gegenüber stehen, als für die Stadt gesetzgebende, geldbewilligende und controllirende Vertretung der Bürgerschaft, die Stadtverordneten. Das Wahlsystem ist ein sehr unglückliches, auf dem Dreiclassenprincip beruhendes, das Bismarck einst im norddeutschen Reichstage ebenso scharf wie gegenwärtig die Miethssteuer gebrandmarkt hat und das trotzdem noch heute besteht. Die Städte-Ordnung von 1808 hatte das Bürgerrecht an einen hohen Census und an sonstige erschwerende Bedingungen geknüpft – das Einzugsgeld kostete für Berlin 20 Thaler und die Erwerbung des Bürgerrechtes außerdem noch 30 Thaler; Bürger wurde daher nur, wer gesetzlich dazu verpflichtet war, wie die Gewerbtreibenden und Hausbesitzer, die übrigen Einwohner der Stadt blieben ohne Stimmrecht und hießen: Schutzverwandte. Die Bürger selbst aber waren vollkommen gleichgestellt, sie wählten in mäßig großen, localabgegrenzten Bezirken, in geheimer Wahl und in feierlicher Weise in den Kirchen den Stadtverordneten ihres Bezirks, mit dem sie daher durch nachbarliches Interesse eng verbunden waren und der seinerseits in allen besonderen Fragen seines Bezirks der Stadtverwaltung die genaueste Auskunft in sachlicher wie personeller Beziehung ertheilen konnte. Die der Reactionszeit entsprungene Städte-Ordnung von 1853 hat an Stelle dieser Einrichtung das Dreiclassensystem mit öffentlicher Abstimmung gesetzt. Die Dreitheilung nach den gezahlten Steuern erfolgt durch die ganze Stadt, da nun aber trotzdem die Wahl in localabgegrenzten Bezirken erfolgen soll, so ergiebt sich daraus, da die Wähler erster und zweiter Abtheilung sehr zerstreut unter der übrigen Menge wohnen, daß die Wahlbezirke vergrößert wurden, immer eine ganze Reihe von Stadtbezirken umfassen müssen und so das nachbarliche Interesse und der persönliche Zusammenhang unter den Wählern ganz verloren geht.

Dazu kommt noch ein anderer Uebelstand. Da alljährlich nur ein Drittel der Stadtverordneten neu gewählt wird, so muß die ursprüngliche Wahlbezirkseintheilung in der alten Stadt stets beibehalten werden; sie kann nur durch die Anfügung neuer Bezirke an der Peripherie mit dem steigenden Wachsthum der Stadt ergänzt werden. Dies und, da außerdem auch die Zahl der Stadtverordneten fixirt war (bis zum vorigen Jahr 108) hat dann zur Folge gehabt, daß sich in den Wahlbezirken die größte Ungleichheit der Wählerzahl ergeben. Diesem Uebelstand hat man nun im vorigen Jahre einigermaßen dadurch abzuhelfen gesucht, daß man die Zahl der Stadtverordneten auf 126 erhöht und die 18 neuen den Bezirken und Abtheilungen zugetheilt hat, welche die meisten Wähler enthalten. Trotzdem sind sehr erhebliche Ungleichheiten ungetilgt geblieben.

Die Complicirtheit und Unpopularilät dieses Wahlsystems ist offenbar mit schuld daran, daß die Betheiligung an den städtischen eine weit geringere als an den politischen Wahlen ist.

Die Stadtverordneten-Versammlung selbst tagt regelmäßig Donnerstags in ihrem Sitzungssaal. Sie ordnet ihre Geschäfte nach einer im Jahre 1875 neu festgestellten Geschäftsordnung, welche den früheren Grundsatz verlassen, daß ein für alle Mal alle wichtigen Vorlagen durch ein und dieselbe Deputation, die sogenannte Geldbewilligungsdeputation, vorberathen und für die andern Vorlagen Referenten vom Vorsitzenden der Versammlung ernannt würden, Einrichtungen, die allerdings dem Vorsteher und einer kleinen Zahl von Mitgliedern einen überwiegenden Einfluß verschafften. Jetzt findet die Berathung einer jeden Vorlage in erster Lesung sofort im Plenum statt, und nur diesem selbst steht es zu, die Verweisung an einen Ausschuß oder die Ernennung von Berichterstattern zu beschließen.

Wenden wir uns nun zu der gegenwärtig jedenfalls im Vordergrunde des Interesses stehenden Frage: welche Steuern hat die Selbstverwaltung Berlins ihren Bürgern auferlegt oder bestehen lassen? Wie ist ihr Finanzzustand? Wie groß ihre Schuldenlast und welche Vortheile gewährt sie dagegen den Einwohnern?

Seit der königlichen Verordnung vom 25. Januar 1815 über die Serviseinrichtung der Haupt- und Residenzstadt Berlin, beziehungsweise seit der Neugestaltung des Staatssteuersystems zu Anfang der zwanziger Jahre, flossen die Einnahmen, welche die Stadtgemeinde aus Steuern bezog:
1) aus der Haussteuer, dem sogenannten hergebrachten Hausservis, welche nach der ged. Verordnung mit 4 Procent des Miethsertrages gesetzlich genehmigt wurde;
2) aus der Wohnungs- oder Miethssteuer , welche nach derselben Verordnung mit 8 1/3 Procent des Miethsbetrages von den Miethern erhoben werden dürfen;
3) aus einem Zuschlage von 25 Procent zu der vom Staat erhobenen Mahl- und Schlachtsteuer;
4) aus einem Zuschlage von 25 Procent zu der Braumalzsteuer des Staates.

Hierzu waren später noch als dauernde Steuern getreten:
1) die Hundesteuer 1829;
2) die Wildpretsteuer 1847;
3) ein Drittel des Steuerertrages der Mahlsteuer, auf welches der Staat durch die Verordnung vom 4. April 1848 und durch das Gesetz vom 1. Mai 1851 zu Gunsten der mahl- und schlachtsteuerpftichtigen Städte verzichtete.

Von diesen Steuern ward in der Periode von 1861 bis 1876 die Haussteuer slatt mit 4 Procent bis zum Jahre 1864 einschtießlich nur mit 3 1/5, seit dem Jahre 1865 nur mit 2 2/9 Procent, die Miethssteuer, mit Ausnahme dreier Quartale des Jahres 1868, aber nur mit 6 2/3 Procent des Miethsertrages erhoben. Diese Steuern reichten aus bis gegen Ende der sechsziger Jahre, wo sich der Einfluß der großen Weichbilderweiterung des Jahres 1861 fühlbar machte, welche zunächst der Stadt große Opfer auferlegte, ohne daß man aus den neuen nur unvollständig bebauten Gebieten entsprechende Einnahmen an Steuern ziehen konnte. Bei der Aufstellung des Etats für 1868 ergab sich ein Deficit von Einer Million Thaler. Dies und die schon damals in Aussicht stehende und allgemein gewünschte Aufhebung der Mahl- und Schlachtsteuer wies auf eine durchaus notwendige Vermehrung der Einnahmequellen hin, und nach langen Verhandlungen zwischen dem Magistrat und den Stadtverordneten gelangte man zu einer Einigung dahin, daß
1) vom Jahre 1868 ab die Gewinnüberschüsse der städtischen Gasanstalt, welche bis dahin zu Erweiterungsbauten verwendet worden waren, in die Stadtcasse fließen sollten;
2) daß vom 1. Januar 1869 ab eine Gemeinde-Einkommensteuer erhoben werden sollte.

Der wesentliche Grundsatz, der für diese Steuer schon damals angenommen und seitdem festgehalten worden, ist der, daß dieselbe eine Supplementarsteuer bildet, welche in ihrer Höhe wandelbar ist und nur nach dem bei Feststellung des Jahresetat sich herausstellenden Bedürfnisse zur Ausschreibung gelangt. Durch dieses rechtzeitige Vorgehen der Stadtbehörden in Vermehrung der Einnahmequellen war es allein möglich, daß die Stadt den sehr erheblichen Ausfall, welcher durch das unter dem Ministerium Bismarck's am 25. Mai 1873 erlassene Gesetz wegen Aufhebung der Mahl- und Schlachtsteuer eintrat, ohne jede Schwierigkeit überwinden [270] und ihrerseits auch auf die durch jenes Gesetz noch zugelassene Beibehaltung der Schlachtsteuer verzichten konnte.

In Folge des Ausfalles dieser beiden Steuern seit dem 1. Januar 1876 in der Höhe von 3,379,293 Mark und der von Jahr zu Jahr immer mehr wachsenden Bedürfnisse der städtischen Verwaltung, ist dann allerdings bereits im Jahre 1875 80 Procent Zuschlag zur Staatseinkommensteuer erhoben worden, ein Satz, der bekanntlich seitdem mit den steigenden Ansprüchen sich auf 100 Procent erhöht hat. Aber jetzt erhält er sich schon jahrelang auf dieser Höhe, und die überaus gewissenhafte Art der Etatsaufstellung, wie solche sich seit Einführung dieser Steuer bei Magistrat und Stadtverordneten-Versammlung herausgebildet hat, stellt einen Hauptvorzug der direkten Besteuerung klar vor Augen.

Jetzt erhebt nun Fürst Bismarck den Vorwurf gegen die Stadtbehörden, daß sie damals den Verzicht auf die Schlachtsteuer ausgesprochen und nicht statt dessen lieber die Miethssteuer aufgehoben, und bewundert die Geduld der ärmeren Bevölkerung, die diese Steuer so lange ertragen. Er übersieht dabei vollständig, daß die Aufhebung der Mahl- und Schlachtsteuer als Staatssteuer von einer Regierung durchgeführt wurde, in welcher er selbst den Vorsitz führte, und daß somit die Stadtbehörden, wenn sie geirrt, in seiner Gemeinschaft geirrt haben, indem sie annahmen, daß dieselben volkswirthschaftlichen Gründe, die gegen diese Steuer als Staatssteuer, auch gegen die Fortdauer derselben als Gemeindesteuer sprechen. Fürst Bismarck beachtet dabei noch einen Punkt nicht: über 50 Procent des Gesammtertrages dieser Steuer erforderte der Controll-Apparat für ihre Erhebung; den Consumenten ward also 50 Procent mehr Steuer abgenommen, als wirklich in die Staats- und Stadtcasse floß. Diesen ganzen Apparat hätte die Stadt auf ihre Kosten lediglich zur Erhebung der Schlachtsteuer übernehmen müssen, wobei sich der Procentsatz wahrscheinlich noch ungünstiger gestellt hätte, da jetzt nur eine einzige Steuer und in weit geringeren Beträgen zur Erhebung gekommen wäre als früher; außerdem hätte übrigens der entsittlichende Schmuggelhandel mit unversteuertem Fleisch jedenfalls fortbestanden, während jetzt die gesammten Erhebungskosten der direkten Steuern noch nicht ganz 0,8 Procent vom Brutto-Ertrag der Steuern betragen und Defraudationen kaum vorkommen können.

Was aber speciell die Miethssteuer betrifft, so ist ihre Erhebung so einfach wie möglich, da ihr Betrag sich nach der Höhe der wirklich gezahlten Miethe richtet; nur für die Wohnungen der Hauswirthe und die Dienstwohnungen muß natürlich eine Einschätzung eintreten, welche die im Ehrendienst der Stadt stehenden Servisverordneten vornehmen. Bismarck’s Vorwürfe, daß diese bei der Einschätzung der Dienstwohnung des Kanzlers zu hoch gegriffen, haben die Stadtbehörden in ihrer Petition an den Reichstag siegreich zurückgewiesen. Was aber die Bürgerschaft angeht, so hat diese die Miethssteuer stets willig getragen; eine Opposition hat sich nur dagegen geltend gemacht, daß der Steuersatz für alle Wohnungen ein gleicher ist und daher allerdings diejenigen, die zu ihrem Geschäft oder Gewerbe größere Räume bedürfen, im Verhältniß zu ihren nur von Renten- oder Börsengeschäften lebenden Mitbürgern stärker betroffen werden. Im Uebrigen aber hat, obschon die Nationalökonomen darüber streiten, die Miethssteuer für Berlin entschieden den Charakter einer Einkommensteuer, da doch so ziemlich jeder Miether eine seinem Einkommen entsprechende Wohnung wählt.

Aber auch der weitere Vorwurf des Reichskanzlers, daß, wenn die Miethssteuer diesen Charakter trägt, Berlin seine Einwohner mit zu hohen Sätzen, mit mehr als 200 Procent Zuschlägen zur Staatseinkommensteuer treffe, erweist sich bei näherer Betrachtung als unbegründet; denn nach genauen Berechnungen ergeben Miethssteuer und städtische Einkommensteuer zusammengerechnet höchstens 150 bis 160 Procent Zuschlag zur Staatseinkommensteuer, während viele Städte Preußens, namentlich im Westen, die keine Miethssteuer haben, 200, 300, ja bis 600 Procent Zuschlag zur Staatseinkommensteuer erheben müssen, ein Beweis dafür, daß das so hart verurtheilte Finanzsystem Berlins seinen Bürgern weniger Lasten auferlegt, als das vieler anderer Städte. Das ist um so mehr anzuerkennen, als Berlin nicht, wie manche ältere Städte, einen erheblichen Antheil der Ausgaben aus dem eigenen Vermögen, aus Gütern, Wäldern etc., dem sogenannten Kämmereivermögen, ziehen kann.

Die Gesammtnetto-Einnahme aus der Kämmereicasse war in Berlin 1876 nur 394,100 Mark = 1 ½ Procent der Gesammteinnahme, dagegen fließen aus einem Unternehmen gesammtwirthschaftlichen Charakters der Stadt, aus den städtischen Gaswerken, sehr erhebliche Gewinnüberschüsse dem Etat zu; dieselben betrugen 1876 bereits 2,526,460 Mark, 1880 bis 1881 schon 3,648,462 Mark, obgleich den Privatconsumenten das Gas zu einem billigeren Preise als in irgend einer Hauptstadt abgelassen wird, nämlich zu 16 Pfennig für den Cubikmeter; die englische Gesellschaft berechnete dagegen, als sie bis 1846 noch im Besitze des ihr von dem Polizeipräsidium 1825 einseitig verliehenen Monopols war, 35 Reichspfennig für das gleiche Quantum Gas.

Den letzten Betrag der städtischen Einnahmen bilden Dotationen und Renten, welche ihren Ursprung wesentlich den früher hier in Berlin vorzugsweise in einander verzwickten Verpflichtungen des Staates und der Commune verdanken. Theils wurden derartige Verpflichtungen des Staates schon früher durch Vergleiche in Geldrenten verwandelt, theils trat dies im Jahre 1873 in Folge des Gesetzes über die Dotationen der Provinzialverbände ein, theils erst durch den Vertrag vom December des Jahres 1875. Kraft desselben, der erst nach jahrelangen und mühevollen Verhandlungen zu Stande kam, übernahm die Stadt für ihre Rechnung die bis dahin noch dem Fiscus obliegende Straßen- und Brückenbaulast, während der Staat das Eigenthum der Stadt an ihren Straßen ausdrücklich anerkannte und derselben zugleich die örtliche Straßenbaupolizei, letztere allerdings nur widerruflich, in Gemäßheit des Paragraph 62 der Städte-Ordnung, übertrug. Die Communalbehörden waren sich bei Abschluß dieses Vertrages dessen vollkommen bewußt, daß die Rente von 556,431 Mark, welche der Staat für die Befreiung von der ihm bis dahin obliegenden Baulast übernahm, nicht entfernt ausreichen werde, um die Unterhaltung der Straßen und Brücken in einer den heutigen Verkehrsverhältnissen entsprechenden Weise zu bewirken. Aber sie wollten auch um den Preis bedeutender Opfer auf ein so wesentliches Stück der Selbstverwaltung nicht verzichten; sie wollten die Beschaffenheit ihrer Verkehrsmittel nicht ferner von den Bewilligungen des Finanzministers abhängig machen.

Je mehr aber die Stadt allmählich Herrin ihres Eigenthums wurde, desto mehr hat sie es auch verstanden, aus Befugnissen, welche vordem die Staatsbehörden einseitig vergaben, sich neue Einnahmequellen zu schaffen. Wir gedachten bereits des Umstandes, daß das Polizeipräsidium 1825 einer englischen Gesellschaft das Monopol für den Gasverkauf einräumte; jetzt, da die Stadt selbst die Herstellung übernommen und jenes Monopol längst erloschen, fließen aus dieser Einnahmequelle über drei Millionen in den Stadtsäckel. Der Polizeipräsident Hinckeldey verfügte 1852 über die Wasserversorgung der Stadt zu Gunsten einer englischen Gesellschaft, sodaß die Gemeinde genöthigt war, um dieses Privilegium, mittelst dessen nur ein Theil der Stadt mit Wasser versorgt wurde, zu beseitigen, die Wasserwerke der Engländer zu Ende des Jahres 1873 für über 25 Millionen Mark anzukaufen. Da sich sofort die Nothwendigkeit großer Erweiterungsbauten ergab, so liefert dies Unternehmen einen Ueberschuß bisher nicht. Dagegen fließt der Stadt jetzt ein Pachtgeld für die sogenannten Litfaß- oder Anschlagesäulen zu, welche Hinckeldey ebenfalls in der willkürlichsten Weise an einen einzelnen Unternehmer, den verstorbenen Buchdrucker Litfaß, fast ohne jede Gegenleistung vergeben hatte.

Zu einer sehr erheblichen Einnahmequelle aber versprechen nunmehr die gegenwärtig in immer größerer Ausdehnung die Stadt durchziehenden Pferdebahnen für den Stadtsäckel zu werden. Bei ihrer ersten Einführung hatte die Stadt nur in letzter Stelle ein Wort mitzusprechen, doch schloß sie bereits im Jahre 1871 mit den Gründern der Großen Berliner Pferdebahn einen Vertrag ab, welcher dieser Gesellschaft die Ringbahn und eine Zahl von Bahnen nach den Vororten bis zum Jahre 1901 zusicherte. Da nun die Stadt inzwischen in den wirklichen Besitz ihrer Straßen gelangt war und jene Gesellschaft eine Verlängerung ihrer Concession bis zum Jahre 1910 wünschte, so kam es im vorigen Jahre nach langen und schwierigen Verhandlungen zu einem Vertrage, der diese Verlängerung aussprach, zugleich aber die Gesellschaft zur Zahlung einer steigenden Rente aus dem Brutto-Ertrage ihrer Einnahmen verpflichtete, welche bereits für das verflossene Jahr circa 400,000 Mark betragen hat. Neuerdings hat die Stadt auch mit den beiden anderen Berliner Pferdebahngesellschaften Verträge geschlossen, und hieraus wird vielleicht schon im laufenden Jahre eine Einnahme von etwa einer Million Mark erwachsen. [271] Ebenso erfreulich ist die Wahrnehmung, daß an der Spitze des Ausgabe-Etats das Schulwesen steht, welches die höchste Quote der Einnahmen, nämlich 25,82 Procent, d. h. für das Jahr 1876 7,374,000 Mark, in Anspruch nahm.

Früher führten die von der Stadtgemeinde unterhaltenen Elementarschulen den Namen „Communal-Armenschulen“; später nannte man sie nur Communalschulen. Aber auch als im Jahre 1863 die Erinnerung an den ursprünglichen Namen durch die Bezeichnung „Gemeindeschule“ ausgelöscht wurde, trug das städtische Volksschulwesen noch die Merkmale des Armenschulwesens. Im Anfang des Jahres 1861 sorgten nur zwanzig Communalschulen und fünfunddreißig Privatschulen, in denen Kinder auf Kosten der Stadt unterrichtet wurden, für das Schulbedürfniß solcher Kinder, für die von den Eltern ein volles Schulgeld nicht entrichtet werden konnte. Die genannten Privatschulen waren gegen Zahlung des vollen Schulgeldes allgemein zugänglich, aber die Communalschulcn selbst wurden nur von den Armenkindern besucht, und die Einschulung erfolgte ausschließlich durch die Freischulexpedition, während die Festsetzung der Schulgeldbeiträge sowie die Bewilligung ganzer Freischule den Armencommissionen vorbehalten war.

Dem Wunsche, die Gemeindeschulen von aller Verbindung mit der Armenverwaltung zu lösen, lag von Anfang an die Ansicht zu Grunde, daß die Vereinigung der Armen mit den günstiger Gestellten auch das beste Mittel zur sittlichen Hebung der Verlassenen sein und eine wohlthätige Annäherung der verschiedenen Volksclassen unter einander bewirken werde. Alle diese Bemühungen erhielten einen Abschluß durch die „Instruction für die Schulcommissionen hiesiger Residenz“, welche unterm 17. December 1868 mit Zustimmung der Stadtverordneten erlassen wurde. Hiernach wurde die Stadt in vierzig Schulcommissionsbezirke getheilt, die wieder in zehn Schulinspectionen gefaßt waren.

Diese Organisation trat mit dem 1. April 1869 in’s Leben, aber der letzte entscheidende Schritt, der dem Berliner Gemeindeschulwesen sein gegenwärtiges Gepräge aufdrückte, erfolgte noch in demselben Jahre: Die Aufhebung der Schulgelder wurde von den Stadtverordneten beschlossen, und schon vom 1. Januar 1870 ab war der Besuch der Gemeindeschule unentgeltlich.

„Selten ist in der Stadtverwaltung ein heilsamerer Beschluß von kaum übersehbarer Tragweite mit gleicher Kühnheit gefaßt, mit gleich ausdauernder Opferbereitschaft bis in seine letzten Consequenzen durchgeführt.“

Zwar das augenblickliche Geldopfer schien nur gering. Der Aufwand für das Volksschulwesen betrug im Jahre 1868 circa 1,469,000 Mark, an Schulgeld aber waren nur 138,000 Mark eingekommen, davon beinahe 17,000 Mark erst durch den Executor beigetrieben. Die Folge des Beschlusses aber war zunächst die Verpflichtung, allen Zutritt begehrenden Kindern Raum zu schaffen. Daher die außerordentliche Vermehrung der Schulen und Classen; denn heute sorgen, statt jener 20 des Jahres 1861, 114 Gemeindeschulen und außerdem noch zahlreiche Privatschulen sowie 23 städtische höhere Schulanstalten für das Bildungsbedürfnis der auf 95,576 Gemeinde- und 22,245 höhere Schüler angewachsenen Schulbevölkerung Berlins. An den Gemeindeschulen allein aber wirkten ultimo März 1880: 106 Rectoren, 1029 Lehrer, 461 Lehrerinnen in 1546 Classen nach einem einheitlichen, den Erfordernissen neuerer Pädagogik entsprechenden Lehrplane unter der Inspection von 6 weltlichen, pädagogisch gebildeten, von der Stadt gewählten, vom Staate anerkannten Schulinspectoren. Die sämmtlichen Schulen sind, mit Ausnahme von vier evangelischen und sechs katholischen, die diesen Charakter stiftungsgemäß bewahren müssen, paritätisch und Schülern wie Lehrern aller Confessionen zugängig. Für die weit überwiegende Zahl der Schulen sind mit allen Erfordernissen der Neuzeit ausgerüstete, geschmackvolle Schulgebäude errichtet, diejenigen für die höheren Schulen fast Schulpaläste zu nennen. Dazu kommen Fortbildungsschulen, in denen ebenfalls der Unterricht unentgeltlich ertheilt wird, eine Taubstummenschule und in neuester Zeit die Handwerkerschule zur besseren technischen Ausbildung der Lehrlinge. Das sind die Leistungen einer nach dem Ausspruche des Reichskanzlers „ihren großen Aufgaben in keiner Weise entsprechenden städtischen Finanzverwaltung“.

Nicht minder überraschend sind diese Leistungen auf fast allen anderen Gebieten, aber um sie schildern zu können, dazu müßten wir mindestens das Zehnfache des Raumes beanspruchen, den uns bis hierher die Geduld der Leser gewährt hat.

Wo viel Licht, da ist auch viel Schatten. Wer wird leugnen wollen, daß nicht auch die Organe der Berliner Selbstverwaltung einmal Mißgriffe machen, verfehlte Experimente, wie z. B. die Tegler Tiefbrunnen bei den Wasserwerken, die viel Geld kosten? Wer wird ferner leugnen wollen, daß mancher in einem bürgerlichen Ehrenamte nicht nur die allgemeinen Interessen, sondern auch die eigenen zu fördern unternimmt? Ist es endlich zu verwundern, wenn unter den circa 16,000 im Dienste der Stadt arbeitenden Bürgern auch einmal einer sich findet, der das ihm anvertraute Geld ehrlos unterschlägt? Berechtigt dies gewisse Blätter, die ganze städtische Verwaltung, in der mit so viel Opferfreudigkeit, Intelligenz und Hingebung gearbeitet wird, und an deren Spitze Ehrenmänner im strengsten Sinne des Wortes stehen, maßlos zu schmähen und zu verdächtigen?

Wie aber steht es mit dem sogenannten „Fortschrittsring“? Mit Stolz dürfen wir sagen: es ist nicht ein Ring, nein, eine Kette des Fortschrittes, die sich seit zwanzig Jahren durch alle Bestrebungen der städtischen Behörden Berlins hindurchzieht und die allerdings zum Theil zusammenfällt mit dem Eindringen und allmählichen Anwachsen des Einflusses von hochgeachteten Männern der Fortschrittspartei innerhalb der städtischen Verwaltung, aber noch an keiner Stelle hat sich ein einseitiges Vordrängen des Partei-Interesses gezeigt; auch mit conservativen Elementen ist treu zusammengearbeitet worden, und lange Jahre hindurch, bis an seinen Tod, nahm ein Mitglied der conservativen Partei, der verstorbene Vollgold, den zweiten Ehrensitz in der Stadtverordnetenversammlung ein. In der Stadtverordnetenversammlung wie im Magistrat Berlins ist an Stelle des früheren oft gespannten, selbst bis zu Conflicten gesteigerten Verhältnisses zwischen beiden Körperschaften ein harmonisches Zusammenwirken getreten, ein reger Wetteifer in der Lösung der einen Aufgabe, welche keine andere ist, als diese: unter Anerkennung der gegenseitigen Rechte, das Beste der Stadt und die Wohlfahrt aller ihrer Bürger nach Kräften zu schützen und zu fördern.

Mit Stolz kann die Berliner Selbstverwaltung allen Anfeindungen zum Trotz heute auf das Wort verweisen:

„An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.“




  1. Berlin hatte im Jahre 1829 eine Bevölkerung von 242,000 Seelen aufzuweisen; zu Anfang des Jahres 1876 war dieselbe auf 979,860 angewachsen, hatte also in 47 Jahren eine Steigerung um 304,9 Procent zu verzeichnen, am Schlusse des Jahres 1880 aber betrug dieselbe 1,122,385, war somit in 5 Jahren um 14,5 Procent, in 50 Jahren aber um 363,8 Procent gestiegen. – Die Ausgaben der gesammten Communalverwaltung beliefen sich im Jahre 1829 auf nur 2,317,656 Mark; für 1881/1882 sind dieselben auf 42 Millionen Mark veranschlagt. Das ergiebt also in 52 Jahren eine Steigerung von 1712 Procent. Schon hieraus ist zu ersehen, daß die Ausgaben in stärkerem Maße als die Bevölkerung gewachsen sind. Noch anschaulicher ergiebt sich dies, wenn man die Ausgaben auf den Kopf der Bevölkerung vertheilt; dann betragen dieselben im Jahre 1829 circa 9,6 Mark pro Kopf, 1881 aber circa 37,4 Mark, ein schlagender Beweis, wie sehr die Leistungen der Commune gestiegen sind.