Ein Besuch bei Theodor Körner’s Pflegerin in Groß-Zschocher

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Autor: H.
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Titel: Ein Besuch bei Theodor Körner's Pflegerin in Groß-Zschocher
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 407-408
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Ein Besuch bei Theodor Körner’s Pflegerin in Groß-Zschocher.

Die vielen thatsächlichen Beweise der Theilnahme für Theodor Körner’s Pflegerin nach seiner Verwundung bei Kitzen gaben dem Herausgeber der „Gartenlaube“ Veranlassung, die hochbetagte Frau Häußer in ihrem Wohnorte selbst aufzusuchen, um ihr die bis jetzt für sie gesammelten Gaben an Geld und freundlichen Zuschriften zu überreichen.

Es ist natürlich, daß die trotz ihrer nun fast 80 Jahre noch immer geistig muntere Frau, erfreut durch die dargebrachten Geschenke einer dankbaren Gegenwart, gern und ausführlich jener gefahrvollen Tage gedachte, in welchen ein Theodor Körner unter ihrem Schutze lebte, und es wurde dabei so manches Neue, unsers Wissens bis heute Unbekannte über des Sängerhelden Auffindung und Bergung in der Erinnerung der Frau Häußer geweckt, das wir einer Mittheilung um so mehr werth halten, als jetzt, wo man bald den Gedächtnißkranz eines halben Jahrhunderts auf sein Grab legt, die allgemeine Theilnahme der Deutschen sich auch dem Kleinsten zuwendet, das mit diesem lieben großen Todten in Verbindung steht.

Die napoleonische Schandtat bei Kitzen geschah bekanntlich am 17. Juni. In der Nacht nach jenem für die Lützower so blutigen Tag standen zwei Männer (der eine ein Zimmermann, Namens Haugk) an dem Mühlwehr bei Großzschocher, und zwar am rechten Ufer der Elster, um das Bauholz zu bewachen, mit welchem damals das Wehr ausgebessert wurde. Sie hatten sich ein Feuerchen angeschürt und waren eben beschäftigt, Kaffee zu kochen, als sie mit einem militärischen „Wer da?“ angerufen wurden und zu gleicher Zeit zwei dunkle Gestalten zu ihnen herantraten, in denen sie Officiere von der schwarzen Schaar erkannten. Diese fragten, ob Franzosen im nächsten Dorfe seien, und als das bejaht und mit einem „sehr viel“ bekräftigt worden, baten sie die Männer, sobald der Morgen anbreche, über den Fluß hinüber in das Gehölz zu gehen, wo sie einen ihrer Cameraden verwundet an einer Eiche liegend finden würden. Sie möchten, fänden sie ihn noch am Leben, ihm ärztliche Hülfe verschaffen und vor Allem ihn nicht in die Hände der Franzosen fallen lassen. Die beiden Männer mußten das wiederholt versprechen, worauf die Officiere sich entfernten.

Mit dem ersten Morgengrauen gingen sie an die Ausführung ihres Auftrags. Die Frau Häußer erzählt, daß jene Eiche nicht sehr weit vom Wehr entfernt gewesen, denn sie hätten in der Stille der Nacht das Schnaufen von Körner’s Pferde gehört. Da aber das Wehr zum Theil abgerissen war, so mußten die Beiden den Umweg über die nächste Brücke machen, der allerdings längere Zeit gekostet habe. Im Gehölz (es war „im Schönen“ genannt) fanden sie, eben durch das Schnaufen des Pferdes geführt, ohne langes Suchen die bezeichnete Eiche und darunter den verwundeten Officier.

Als sie sich ihm näherten, hielt Körner ihnen in jeder Hand eine Pistole entgegen und rief: „Wer da?“ Die Männer beruhigten ihn mit der Nachricht von ihrem Auftrage und sicherten ihm ihre bereitwillige Hülfe zu. Nur war es, nach der Erzählung jenes Zimmermanns Haugk, nicht sofort möglich, den Verwundeten nach Groß-Zschocher zu bringen, eben weil es darin von Franzosen gewimmelt, und erst als um 4 Uhr ein starkes Trommeln vom Dorfe her den Abmarsch des Feindes anzudeuten schien und sie sich vom wirklichen Abmarsch desselben genau überzeugt, habe man noch mehrere Leute vom Dorfe geholt, um „den Officier, der sich Körner nannte“, in Sicherheit zu bringen.

Die Haugk’sche Erzählung berichtigt jedoch Frau Häußer, indem sie als sicher behauptet, daß damals gar keine Franzosen im Dorfe gewesen seien, daß aber ihr seliger Mann, den man zunächst zum Beistand aufgerufen und ohne welchen die andern Männer ihre Beihülfe nicht gewagt hätten, trotzdem alle möglichen Sicherheitsmaßregeln getroffen habe, um auch in’s Dorf keine Kunde von der Anwesenheit eines Lützow’schen Officiers gelangen zu lassen. Er habe von seinen Kleidern einen Anzug zusammengepackt, habe sogleich den alten Chirurg Dietze aus Klein-Zschocher herbeiholen lassen und sei dann zum Pächter[1] Schurig geeilt, um sich von diesem eine Flasche Wein zur Stärkung für den Blessirten zu erbitten, und so ausgerüstet habe er den Weg zum Walde eingeschlagen.

Nachdem man Körner vom Blut nothdürftig gereinigt und er sich an einem Schluck Wein gelabt, kleidete er sich um, Uniform und Waffen wurden sorgfältig verpackt, und dann führte Häußer ihn allein und, um nirgends Aufsehen zu erregen, um das Dorf herum in seine beim Rittergute gelegene Gärtnerswohnung. Die Entfernung von der Eiche bis dahin betrug ungefähr eine Viertelstunde. Außer dem Pächter Schurig, der es sich zur Freude machte, Körner manche kleine Erquickung durch den Gärtner zu schicken, dem Chirurgen Dietze und den wenigen Männern am Wehr, die Alle das treueste Stillschweigen schwuren und hielten, erfuhr im Dorfe Niemand etwas von dem stillen Gaste, selbst die Schwester der Frau Häußer nicht, „denn,“ sagte sie, „wenn’s verrathen worden wäre, wären wir ja Alle erschossen worden, und die Franzosen hätten ja gleich das ganze Gut demolirt“ – und daß diese Befürchtung nicht übertrieben war, dafür zeugen Beispiele genug aus jener Zeit der deutschen Erniedrigung – und Erhebung.

Um so höher müssen wir den Heldenmuth achten, den diese deutsche Frau bei den gefahrvollen Aufträgen bewährte, die ihr noch geworden sind. Während sie die von Blut starrende Uniform Körner’s wusch, hatte dieser, nachdem er vom Chirurg Dietze verbunden und ein wenig der Ruhe überlassen war, sich wenigstens soweit erholt, daß er seinem Drange, seinen Eltern und Freunden Nachricht voll sich zu geben, folgen konnte. Da saß er denn, mit verbundenem Haupte, in dem Dachstübchen des Hauses, und mag aus dem kleinen Fenster, das unser Bildchen uns zeigt, manchen besorgten Blick auf das Dorf und die Flur geworfen haben, während er an dem bescheidenen Tischchen neben seinem Bette die Briefe schrieb, die wir auf S. 119 (Nr. 8) mitgetheilt haben. Wer es aber übernahm, diese Briefe an Körner’s Vater und an den [408] Kaufmann Kunze durch das streng bewachte Thor von Leipzig in die Stadt zu bringen, war nicht „ein zuverlässiger Bote“, sondern eine aufopferungsfähige Bötin, unsere Frau Häußer.

Wer bedenkt, wie unerbittlich streng die französischen Gewalthaber damals jede deutsch-patriotische Handlung straften, wer ferner bedenkt, daß Frau Häußer damals Mutter von zwei lieben Kindern war, die ihr das Leben doppelt theuer machten, und daß sie nicht etwa von irgendwelcher

Das Gärtnerhaus in Groß-Zschocher.

Begeisterung für den „gefeierten Dichter“ zu jenem Wagniß emporgehoben sein konnte, da sie von diesem Dichterruhm gar nichts gewußt, sondern blos und allein den „blessirten Officier“, den „braven jungen Mann“, den „Lützower in der Noth“ vor sich hatte, der wird es ihr doppelt hoch anrechnen, daß sie den Gang für ihn wagte. Sie verbarg beide Briefe in ihre Strümpfe und brachte sie glücklich zu Kunze. Wir glaubten es ihr, als sie hier ihrer Erzählung hinzufügte: „Wie ich da die Briefe los war, da können Sie denken, daß ich recht froh war.“

In seinem Bodenstübchen, „wo er den ganzen Tag schrieb“, verweilte Körner, nach der Aussage der Frau Häußer, 8–9 Tage. Nachdem sie die von Kunze besorgten Kleider und die Perrücke, durch welche die fernere Flucht Körner’s gesichert werden sollte, nach Groß-Zschocher gebracht, kam der Tag der Uebersiedelung desselben zu Dr. Wendler nach Leipzig. Am hellen Mittag verließ der Gärtner Häußer mit seinem verkleideten Gaste das Haus und führte ihn durch den Park, wiederum ohne das Dorf zu berühren, nach Schleußig, bis wohin er ihm auch die Kriegscasse (von mehr als tausend Thaler, wie Frau Häußer sagte) trug, die Körner gerettet hatte.

„Wie’s wieder ruhig war,“ erzählte Frau Häußer weiter, „kamen die Eltern Körner’s und besuchten uns. Mein seliger Mann mußte den Vater an die Eiche im Gehölz führen, aber die Mutter blieb bei mir, und ich sollte ihr von ihrem Sohne erzählen. Draußen an der Eiche gab Körner’s Vater meinem Mann den silbernen Becher, den ich durch alles Kreuz und Elend, das über mich kam, glücklich erhalten habe bis heute.“ Auch einige Bilder und die Gedichte Körner’s in ältester Ausgabe werden als Andenken der Eltern des Dichters von der Familie Häußer aufbewahrt.

Leider sucht der Verehrer Theodor Körner’s heute vergeblich nach der Eiche; sie ist sammt dem ganzen Walde verschwunden, es ist Ackerfeld aus dem Waldboden geworden, und selbst die Elster hat ihr altes Bett, das nun „das stille Wasser“ heißt, verlassen müssen und kann nicht mehr als Wegweiser für den dienen, der die ehemalige Stätte des Holzes „im Nesselwinkel“ und des Gehölzes „im Schönen“ sucht. Nur der Sohn und die Tochter der Frau Häußer sind im Stande, annähernd den Platz anzudeuten, wo die schöne Eiche emporragte und wo Theodor Körner, selbst dem Tode nah noch Dichter, in der schlimmsten Nacht seines Lebens lag. Diese Stelle soll jetzt durch einen Denkstein bezeichnet werden.

H.

  1. WS: Im Original Pachter